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Sechster Abend

Ben Hafi erschien auf den Glockenschlag, rollte seine Handschrift aus einander und begann:

Mahal, Herr der Gläubigen, saß, wie du dich erinnern wirst, in seinem Kahne und folgte dem Strome des Flusses. Vieles hatte der Mann in der kurzen Zeit freilich erlernt, doch war Alles nur Stückwerk, denn es fehlte ihm an Kühnheit und Gewandtheit, das Erlernte hübsch in ein Ganzes zu verarbeiten, der Umriß sei richtig oder nicht. Durch den Talisman der Worte, die er von dem gegeißelten Ram gelernt hatte, konnte er manches der ihn quälenden Geheimnisse deuten, manche Erscheinung von ihrem schimmernden Dunst und Nebel reinigen, auch schwammen sie beständig in seinem Gehirne und schwebten immer auf seinen Lippen, da er in seinem Kahne über all das Geschehene und Gesehene nachsann.

Auf seine Tochter war er so sehr ergrimmt, daß er gar nicht rückwärts blickte, und mit seinen Beleidigern so beschäftigt, daß er keinen Augenblick finden konnte, auf Das zu horchen, was sein Herz ihm über sich selbst zu sagen hatte. Als nun endlich dieser Augenblick kam und sich das Ich in dem erschütterten Herzen selbst empfand, ihn ohne alle Schmeichelei und Schonung an gewisse Dinge erinnerte, wie zum Beispiel: an sein Wohlgefallen an den Ergötzungen der abgöttischen Enocher, an seine schnelle Beruhigung über das sträfliche Verhältniß seiner Tochter mit dem jungen Hofmanne, an die Vorwürfe, die sie ihm machte, so besänftigte doch sehr bald sein schon etwas erleuchteter Verstand den beschwerlichen, ungestümen Richter. Der geschmeidige Sophist lispelte ihm zu: »Er habe Gott an dem erbärmlichen Wicht gerochen, da er sich nur für seine Sache in Gefahr begeben.« Ja, er ging in seiner Täuschung so weit, daß er zu denken wagte, die Enocher würden ganz gute Leute sein, wenn dieser grämliche Sultan nicht über sie herrschte, und sie bedürften nur eines weisen Mannes, um wieder Gott gefällige Menschen zu werden. Demnach sprach er sie bald von der Verwünschung frei, schüttete diese ganz auf das Haupt des Sultans Puh und seinen Hof, ohne selbst seine Tochter auszunehmen. Aus Betrachtungen dieser Art, die ein wenig den Schooßneigungen der Menschen fröhnten, erweckte ihn der Hunger. Er trieb nun schon lange genug auf dem Strome hin, sah seine blühenden Ufer mit Bäumen süßer, anlockender Früchte besetzt, die fernen und nahen Wohnungen, und sah keine Möglichkeit, sie zu erreichen. Unerfahren in der Erd- und Schiffkunde, fürchtete er, der Strom würde ihn bis an das Ende der Erde forttreiben; durch welchen Gedanken natürlich seine Lage sehr unbehaglich ward. Nun seufzte er zum erstenmal nach den in dem fernen Blauen sich verlierenden Gebirgen, die er nach seiner jetzigen Meinung so thöricht verlassen hatte, um gewaltige Riesen aufzusuchen, an deren Statt er nur einen grämlichen Puh gefunden hatte, der ihn noch obendrein zum Richter verschneiden lassen wollte.

Gebeugt und entkräftet sah er endlich in der Ferne Felsen in dem Strome, die zu einem Uebergang durch Kunst verbunden waren. Seitwärts lag eine Stadt auf Hügeln erbaut. Dieser Anblick heiterte ihn auf und stärkte sein gesunknes Herz; er vergaß sogar, wie wenig er noch vor Kurzem mit den Städtern zufrieden gewesen war. Als er den Felsen näher kam, trieb sein Kahn sehr schnell, und ehe er sich's versah, stieß ihn die Gewalt des Stroms gegen sie an und zerschmetterte ihn. Mahal hielt sich winselnd und laut schreiend an den Felsen. Auf dem Uebergang, den man gezogen hatte, stand ein Mann, der ganz gleichgültig zusah und ihm endlich kalt und ernsthaft zurief: »Ja, du wirst ersaufen, richte dich nur darnach ein.« Auf dem gegenseitigen Ufer saß ein Fischer und flickte sein zerrißnes Netz. Kaum vernahm er das Schreien Mahals, so sprang er auf, warf sich in den reißenden Strom, kämpfte mit seiner Gewalt, drang bis zu Mahal, ergriff und rettete ihn. Der Mann auf der Felsenbrücke sagte während der Bemühung des Fischers sehr ärgerlich: »O des Thoren! des Thoren! sie müssen nun Beide ersaufen!« Mit vieler Mühe brachte der Fischer Mahal an das Ufer; der Mann von der Felsenbrücke kam nun langsam hinzu und lächelte, da er Mahal vor sich liegen sah. Mahal erwachte bald hierauf und erkannte in dem kalten Zuschauer seiner Noth seinen gegeißelten Lehrer Ram. Dieser grüßte ihn und fragte ihn um die Ursache seiner so sonderbaren Reise, und Mahal sagte mit matter Stimme: »Ich sterbe vor Hunger und habe keine Kraft mehr zu reden!«

Der Schiffer hörte kaum seine Worte aus, so lief er schon über die Felsenbrücke und brachte sein Morgenbrod, nebst etwas Milch. Nachdem nun Mahal sein Herz gestärkt hatte, so erzählte er Ram seine traurige Geschichte, und Ram brach in ein zischendes Gelächter aus. Mahal ärgerte sich über das Lachen, und Ram sagte spöttisch: »Hättest du den Sinn der Worte, die ich dich gelehrt habe, besser gefaßt, so würdest du an des grämlichen Sultans Puh Hofe ein ganz angenehmes Leben geführt haben und nicht in Gefahr gekommen sein, hier zu ersaufen, das indessen immer noch das Klügste war, was du nach deiner Thorheit thun konntest. Sei in Zukunft weiser, denn nicht immer ist so ein Narr bei der Hand, der dich aus dem Wasser auf eigne Gefahr zieht.« Mahal antwortete ihm sehr ärgerlich: Du Weiser, warum warst denn du so thöricht, den Sultan so zum Zorn zu reizen, daß er dich geißeln und dann verjagen ließ?

Ram (spöttelnd). Was bei mir Uebermaß des Verstandes that, that bei dir rohe Stumpfheit. Ich hatte Zwecke von besondrer Art, und ohne falsche Vertraute (denn keine Freunde gibt es, sonst würde ich sie so nennen) wollte ich dem erbärmlichen Puh seine Götterheit schon ausgezogen haben. Auch war er nicht mein Schwiegersohn und ich in Ungnade.

Mahal. Und warum ließest du mich so gleichgültig ertrinken und schaltest noch den guten Mann da, der mich errettet hat?

Ram. So will es die Selbsterhaltung, ein Ding, das man auch auf dem Gebirge kennt, ob man gleich das Wort nicht weiß. Merke es indessen, du wirst dadurch Manches, was in dir und Andern vorgeht, deuten lernen. Der Mann übrigens war immer ein Narr, daß er sich um deinetwillen, der du ihm nichts bist, in Gefahr begab, und Diejenigen, die seines Daseins bedürfen, würden es ihm schlecht gedankt haben, wenn er um deinetwillen ertrunken wäre.

Mahal seufzte und sagte: »Wiederum ein neues Wort!«

Es ging nun gegen Mittag, die Sonne brannte heiß auf ihre Häupter, sie begaben sich nach einem kleinen Gehölze, wo der Fischer Mahal eilends ein Lager von Moos zubereitete und dann dessen triefende Kleider an Aeste hing, um sie zu trocknen. Mahal schlief, ermüdet wie er war, sehr bald ein. Ram folgte seinem Beispiel, der Fischer sah bald nach Mahals Kleidern, bald flickte er an seinem Netze, das er von dem andern Ufer herüber gebracht hatte. Während jene schliefen, zog sich ein schwarzer Sturm zusammen. Plötzlich erweckte fürchterliches Rollen des Donners die beiden Schlafenden. Der Fischer sagte ihnen, sie möchten sich schnell entfernen, denn der Blitz schlüge sehr oft in dieses Gehölze. Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als ein hellleuchtender Blitz zischend herunter fuhr und ihn todt zu den Füßen der Beiden warf. Die schreckliche Erleuchtung, der Dampf, das schnell erfolgende Gerassel des Donners betäubte die Beiden, und nur nach einer langen Weile fühlten sie sich lebend. Ram schlug zuerst die Augen auf und sah mit einem spöttischen Lächeln auf den Fischer, indem er sagte: »Da hast du deinen Lohn!«

Als Mahal die Augen nun aufschlug und den Fischer todt liegen sah, fing er laut zu weinen und zu klagen an. Er rief in seinem Jammer: »Herr, in dessen Händen der Blitz ist, warum thatest du doch dieses? Warum erschlugst du den Retter meines Lebens, dem ich noch nicht gedankt habe? Warum erschlugst du ihn und verschontest Den, der kalt meiner Gefahr zusah?«

Diese Worte verdrossen Ram, er sagte mit Verachtung: Vermutlich tödtete Der, welcher, wie du sagst, die Blitze in seiner Hand hat, den Thoren, weil er dich, einen noch größern Thoren, von dem Tode errettet hat.

Mahal erbebte und entfernte sich weiter von ihm, indem er sagte: »Du lästerst Gott, der noch ferne in den Wolken donnert.«

Ram. Was schwatzest du nun? Hättest du dich an dem Hofe deines erbärmlichen Schwiegersohns nicht wie ein Narr aufgeführt, so hättest du nicht flüchten müssen. Hättest du nicht flüchten müssen, so hättest du, Unwissender, dich nicht in diesen Kahn gesetzt. Hättest du dich nicht in diesen Kahn gesetzt, so wäre dieser Kahn nicht an den Felsen dort zerschmettert worden. Wäre der Kahn nicht an den Felsen dort zerschmettert worden, so würdest du nicht in Gefahr gekommen sein, zu ertrinken. Wärst du nicht in Gefahr gekommen, zu ertrinken, so würdest du nicht wie ein Feiger gewinselt und geschrieen haben. Hättest du nicht wie ein Feiger gewinselt und geschrieen, so würdest du die Nerven dieses armen Narren nicht gereizt haben, dir beizuspringen. Wär' er dir nicht beigesprungen, so würde er ruhig auf der andern Seite des Flusses bei seinem Netze geblieben sein. Wäre er ruhig auf der andern Seite bei seinem Netze geblieben, so würde er nicht in dieses Gehölze, das der Blitz, wie er sagte, so gern auszeichnet, gekommen sein. Wäre er nicht in dieses Gehölze gekommen, so würde ihn der Blitz, der auf diese Stelle und nicht auf jene fallen sollte, nicht getödtet haben. Folglich hast du oder die dir erwiesene Wohlthat den Narren getödtet.

Khalife. Der kühne Vernünftler! Mußte es nicht geschehen? Stand es nicht in dem Buche des Schicksals? Gott sagt: »Wir haben einem Jeden von euch sein Schicksal um den Hals gebunden, und an dem Tage des Gerichts wollen wir Jedem ein Buch vorlegen, worin seine Thaten aufgezeichnet sind, und zu Jedem sagen: Lies dies Buch, deine eigne Seele soll dein Richter sein. Preis sei Gott, der Himmel und Erde geschaffen, Licht und Finsterniß geordnet hat. Er hat uns aus Erde geschaffen, das Ziel unsers Lebens fest bestimmt, und bei ihm ist das Ziel unsers Lebens.«

Ben Hafi. Allerdings; aber Mahal mußte gleichwohl den Kitzel des Wissens in seiner thörichten Brust fühlen, von dem Gebirge heruntersteigen, den König Puh beleidigen, damit der gute Fischer, so scheint er immer noch, eine gute Handlung an ihm begehen möchte, und der Blitz mußte Diesen tödten, damit er auf der Stelle seinen Lohn empfing. Der Herr ist gerecht, und das Ende erweist es immer, hier oder dort.

Khalife. »Und außer ihm ist kein Gott; er ist der Lebendige, der Selbständige; ihn überfällt nicht Schlummer, nicht Schlaf; ihm gehört Alles, was im Himmel und auf Erden ist. – Er weiß, was geschehen ist, was geschehen wird, und Keiner soll von seinem Wissen mehr begreifen, als so fern es ihm gefällt.«

Seht, der Engel des Todes ging einst sichtbar an Salomo vorüber und sah auf einen, der bei ihm saß. Der Mann fragte Salomo, wer ist Dieser? Salomo sagte, es ist der Engel des Todes. Der Mann erwiederte: Es scheint, daß er meiner bedarf, befiehl darum dem Winde, daß er mich von hier nach Indien bringe. Da dies geschehen war, sagte der Engel des Todes zu Salomo: Verwundert sah ich so ernstlich diesen Mann an: Mir war befohlen, seine Seele in Indien von ihm zu nehmen, und fand ihn bei dir in Palästina, wo ich ihn nicht suchte.

Ben Hafi. Vortrefflich!

Ram fuhr fort: Begrabe deinen Retter wenigstens zum Dank. Ich begreife den Narren wahrlich nicht, aus jener Stadt kann er unmöglich sein; doch mag ja auch ein Narr unter den klugen Iradern wohnen. Begib dich zu ihnen, du wirst viel Neues von ihnen lernen. Ich eile, in ein Land zu kommen, wo, wie man sagt, ein Philosoph als Sultan herrscht.

Mahal bat ihn, zu bleiben und sich deutlicher zu erklären; aber Ram antwortete: Ich fliehe dich und mag dich nicht wieder sehen. Deine Gesellschaft bringt Unglück, wie dieser Todte hier beweist.

Er eilte davon.

Mahal sah ihm lange nach; seine Worte hatten seinen Geist verdunkelt, und er sprach seufzend: »Gott sollte diesen Guten hier getödtet haben, weil er mich errettet hat? Wäre er dann gerecht? Um der guten Handlung willen sollte er sterben, und der Sultan Puh, nebst seinem Hofe und allen den Sündern in Enoch, sollten leben? Ach, er nahm sich meiner nicht an, da sie mich verstümmeln wollten, und doch reizte ich bloß um seinetwillen die abgöttischen Frevler zum Zorne gegen mich!«

Lange sah er auf die Leiche, weinte, grub dann die Erde auf und legte sie in ihren Schooß. Darauf wanderte er über die Brücke nach der Stadt Irad zu.

Der Sultan von Irad –

Gloßvizir. Was, abermals ein Sultan? Müssen denn immer Sultane der Inhalt dieser langweiligen Märchen sein? Wäre es nicht unterhaltender für den Herrn der Gläubigen, wenn du sie mit wunderbaren Begebenheiten zu Wasser und zu Lande, mit Zauberern, Riesen, Feen und Geistern ausschmücktest, wie man es von einem vernünftigen Märchen mit Recht erwartet?

Den Khalifen verdroß das ehrfurchtwidrige Betragen des Großvizirs, er sprach:

Langweilig mögen nun wohl Ben Hafis Märchen sein, aber doch gewiß nicht darum, weil Sultane, wie sich's gebührt, der Hauptinhalt sind. Warum sollen sie nicht dabei sein? Was in der Welt interessirt wohl mehr, als Diejenigen, die sie beherrschen? Welcher Gegenstand ist wohl erhabener und zugleich unterrichtender? Ich finde jedes Märchen gemein und niedrig, worin Sultane nicht die erste Rolle spielen. Auch ist es immer so von alten Zeiten her gewesen. Dieses sage ich nun nicht, als hätte ich etwas gegen Zauberer, Riesen, Feen und Geister, ganz und gar nicht, sie sollen mir alle recht willkommen sein; aber man sieht sich doch gerne in Gesellschaft seines Gleichen. Kann nun Ben Hafi das Wunderbare, die Zauberer und Geister, die du zu lieben scheinst, mit den Sultanen zusammenbringen, so werde ich's ganz gerne sehen, denn mich dünkt, eben dieser Mangel ist die Ursache, warum seine Märchen so langweilig sind und dem Geiste so wenig Nahrung geben.

Ben Hafi. Ich folge meiner Handschrift, und lügen will ich, befiehlst du es, wenn ich dir meine eignen Wanderungen erzählen werde. Der Sultan von Irad saß mit seinen Räthen in dem Divan und rathschlagte mit ihnen über die wichtigste, neueste, sonderbarste, unerhörteste Sache, über die je ein Sultan mit seinen Räthen gerathschlagt hat. Du glaubst vielleicht, Befehlshaber der Kinder des Propheten, die Weisen in Irad hatten untersucht: ob es besser oder anständiger sei, einen langen oder einen Knebelbart zu tragen? Was die Tugend sei? Von welcher Farbe? Ob sie eingelehrt, oder ob sie angeboren werde? Ob sie in einem Staate nöthig sei? Ob der Mondschein eine Farbe habe? Ob der Sultan der Unterthanen wegen da sei, oder die Unterthanen des Sultans wegen? Ob es besser für die Menschen wäre, Sklaven oder frei zu sein, da sie doch im zweiten Fall die schwere Last tragen müssen, für sich selbst zu sorgen! Ob es klüger sei, mit dem rechten oder linken Fuße aus dem Bette zu treten? Ob die sultanische Würde ein Amt, wie jedes andere Amt, oder nur eine Würde, ohne Sorge und ohne Mühe wäre? Ob der Mensch zu den Lastthieren gehörte, und wie viel er in diesem Falle eigentlich wohl zu tragen fähig und geschickt wäre? Von allen diesen Fragen handelte der Divan in Irad nicht.

Khalife. Und wovon denn, du lästiger Schwätzer?

Großvizir (im Bart). Ja wohl, und giftiger dazu.

Ben Hafi. Ich erkühne mich, es deinem scharfsinnigen Geiste zum Errathen vorzulegen.

Khalife. Nichts ist leichter, ob du es gleich sehr listig zu verhüllen suchst. Ich wette, der Sultan von Irad rathschlagte mit seinem Divan über Das, worüber ich so oft mit dem meinen rathschlage, und was ich so gerne ausführen möchte, wenn man mir nicht so viele Schwierigkeiten entgegen zu setzen wüßte, nämlich: Wie er seine Unterthanen recht glücklich und zufrieden machen möchte.

Ben Hafi (für sich). Gute, betrogene Seele! – (Laut.) Auch diese Beratschlagung in einem Divan war vor der Sündfluth neu und unerhört genug; nach der Sündfluth ist es, wie alle Welt weiß, ein ganz gewöhnliches Ding und geschieht in kleinen und großen Reichen täglich. Ich wundre mich daher, wie du, Herr, auf so etwas Alltägliches fallen konntest. Nein, es war etwas so Unerhörtes, wovon wir nach der Sündfluth gar kein Beispiel haben, und darum eben durft' ich es nur wagen, es dir zum Errathen vorzulegen.

Khalife. Ben Hafi, mir scheint, ich bin nun nicht zum Errathen aufgelegt, und ob ich gleich wetten könnte, Alles, was ich wollte, zu errathen, so mag ich mich doch nicht immer der Mühe des Nachsinnens unterwerfen. Ich gebiete dir also, es gerade herauszusagen.

Ben Hafi. Ich gehorche. Nun so höre. Der Sultan Zobar rathschlagte mit den Räthen in seinem hohen Divan, wie er es wohl anfangen müßte, sich all das Gold seiner Unterthanen zuzueignen. Das heißt: sich nur zum Obereinnehmer und sichren Verwahrer alles ihres Gewinnstes und Erwerbes zu machen und ihnen nur so viel übrig zu lassen, daß es ihnen nicht an Mitteln und Kräften mangele, in seinem Frohndienst fortzuarbeiten.

Khalife. Du spottest, Ben Hafi? Dies sollte etwas Neues und Außerordentliches sein? Es ist etwas so alltäglich Gemeines, daß ich es gleich hätte errathen können, wenn ich nur gewollt hätte.

Ben Hafi. Vor der Sündfluth, sage ich, war es neu. Weiß ich doch, daß nun Alles anders ist. Daß sich unsre Herrscher nur durch den Reichthum ihrer Unterthanen reich halten, daß sie gerne den ihrigen spenden, um den Reichthum des Volks zu befördern! daß unsre Herrscher zwar geben, aber nur, von der Noth gezwungen, nehmen.

Khalife. Da weißt du, beim Propheten, mehr als ich. Doch wozu brauchte der Sultan von Irad rathzuschlagen, wenn es ihm bloß um das Gold seiner Unterthanen zu thun war; er durfte es ja nur nehmen, da sie geben mußten und alles das Ihrige ihm gehörte, wie meine Vizire beweisen, ob ich es gleich nicht glauben kann.

Ben Hafi. Der Zweifel ist hierin wenigstens erlaubt. Uebrigens hätte es, wie du sagst, der Sultan von Irad nach der Sündfluth ohne alle Gefahr wagen können. Vor der Sündfluth aber war es damit ein anders, und wäre es auch in andern Ländern damals Sitte gewesen, so ging es doch in Irad nicht an, weil die Irader gewisse Vorrechte hatten.

Khalife. Vorrechte? Wozu? Was ist dies für ein Ding? Nie hörte ich in meinem Divan davon reden.

Ben Hafi. Zum Beispiel, Herr: Ein jedes Ding bei seinem rechten Namen zu nennen, wenn es nur der rechte war und keine andere Deutung litte. Da aber die Diener des Sultans die Deutung sich vorbehalten hatten, so mußte der Sprecher, bei dem Gebrauche dieses Vorrechts, sehr behutsam sein. Ferner zu lachen, wenn man sie kitzelte, und zu weinen, wenn man sie schlug oder ihnen sonst wehe that; zu murren, wenn sie wider Willen thaten, was man wollte, und keiner der Diener des Sultans es hörte; zu essen und zu trinken, was sie bezahlen konnten. Den Narren öffentlich zu spielen, wenn es ihnen gefiel, sogar ihre Kinder selbst zu machen, wenn sie sich die Mühe geben wollten, ihre Weiber es dabei verbleiben ließen und damit zufrieden waren. Alle diese beschwerlichen Vorrechte für den Sultan, über welche ich den Herrn der Gläubigen mit Vergnügen lächeln sehe, würden am Ende wohl noch zu überwinden gewesen sein; aber die Irader hielten das Gold für ihren Gott, und darin lag die große Schwierigkeit. Denn seinen Gott läßt, wie du weißt, der Mensch sich nicht gerne nehmen, besonders wenn es nicht der rechte, wenn es ein Götze ist. Für ihn wagt er das Leben, ja, was noch mehr ist, den Gehorsam, den er dem Sultan schuldig ist.

Khalife. Scheußliche Abgötterei!

Ben Hafi. Und eins der Uebel, das, wie man sagt, die Sündfluth auch nicht ganz weggeschwemmt hat. – Aus diesem sehr erheblichen Grunde nun mußte es Sultan Zobar schon listiger anfangen.

Khalife. Ich verlasse mich auf seinen Divan.

Ben Hafi. Dein Zutrauen macht deiner Erfahrung Ehre, und mit Recht verlässest du dich auf ihn, denn Diejenigen, die in dem Divan saßen, wußten, ihr Gott liefe keine Gefahr und könnte nur Das an Werth und Gewicht gewinnen, was Deren Gott, die nicht in dem Divan saßen, oder des Divans Befehle nicht zu vollziehen hatten, an Werth und Gewicht verlöre. So nun, Nachfolger des Propheten, saß der Sultan von Irad mit seinen Räthen in eben dem Augenblick im Divan, als Mahal in das Thor der Stadt trat. Ein Gewappneter hielt ihm einen Speer mit der Frage vor: »Wohin? Woher? Warum?« Als ihm Mahal sehr bescheiden zur Antwort gab: Er sei einer der Söhne Seths, komme vom Gebirge und reise, der Menschen Wissen und Weisheit zu erlernen, so ließ ihn der Gewappnete durch einen seines Gleichen, nach der Sitte des Orts, zu dem Sultan führen. Der Sultan ließ ihn eintreten, und beschäftigt mit dem dir bekannten wichtigen Gegenstand, fragte er ihn sehr rasch: Was bringst du, Fremdling?

Mahal (sehr feierlich). Die Furcht Gottes bring' ich dir, Sultan von Irad.

Der Sultan (launig). Wir fürchten nur die Armuth hier. Hast du Gold?

Da nun Mahal die wichtige Frage mit einem kalten Nein beantwortete, so rief Einer dem Andern verächtlich zu: »Er ist nichts werth! Er ist kein Mensch! Er hat kein Gold!«

Man stieß ihn hinaus und rathschlagte fort.

Mahal begriff weder den ganzen Sinn der Frage, noch die sonderbare Aufnahme. An dem Hofe seines Schwiegersohns brauchte er kein Gold, da die Diener, die ihm zugetheilt waren, seine Kasse führten, und bei seiner Flucht dachte er gar nicht an dieses so nöthige Hilfsmittel des menschlichen Verkehrs. »Kein Gold!« rief er, als er mitten in der Straße allein stand; »kein Gold! und darum stießen sie mich hinaus, und ich stehe hier auf der Straße, weil ich kein Gold habe. Vermuthlich ist es Dies, was ich, wie Ram mir sagte, hier Neues lernen soll. Der Mann da, der mir die gottlose Antwort gab, ist also auch ein Sultan. Ob er nun gleich kein Riese ist, so ist er doch viel stärker und kraftvoller gebildet, als der Sultan Puh, mein grämlicher Schwiegersohn; ich zweifle aber daran, ob er darum besser und verständiger ist als er!«

Lange sah sich nun Mahal um, ob ihn Jemand von den vielen an ihm Vorübergehenden anreden wollte; er folgte Jedem mit seinen Augen, aber Jeder ging kalt an ihm vorbei. Er dachte bei sich, die Leute hier sind nicht so freundlich, wie in Enoch, vermuthlich weil sie mich nicht kennen. Da es nun dunkel ward und nach dem magern Mahl des armen Fischers der Hunger sich bei ihm meldete, so wagte er es endlich, in ein großes Haus einzutreten. Der Herr des Hauses kam ihm auf der Schwelle entgegen und fragte, wer er sei? was er wollte? Mahal antwortete: er sei einer der Söhne Seths, hungere und bedürfe Obdach. Hast du Gold? erwiederte der Irader. Da er nun sein trauriges Nein vorbrachte, stieß ihn der Irader von der Schwelle, rief ihm verächtlich laut nach, daß es die Vorbeigehenden hörten: »Ein werthloses Ding! Es hat kein Gold!« Wie ein Echo ertönte es in der langen Straße: »Ein werthloses Ding! Es hat kein Gold!« lief von Haus zu Hause, und jede Thür verschloß sich ihm.

Khalife. Das ist ja ein abscheuliches Volk und scheint von Gastfreiheit gar nichts zu wissen. Wahrlich das größte Laster auf Erden, das Gott nicht ungestraft läßt. Euch sagt der Prophet: »Dienet Gott und gesellt ihm kein Geschöpf zu. Zeigt Milde und Barmherzigkeit euren Verwandten, den Waisen und dem Armen, euren Nachbarn, die eures Geschlechts sind, und auch euren Nachbarn, die euch fremde sind. Euren Genossen des Hauses und auch dem Reisenden, denn Gott liebt nicht den Stolzen, nicht den Ruhmsüchtigen, nicht die Habsüchtigen, die den Geiz empfehlen und Das verbergen, was er aus Güte ihnen zum Erbe gegeben hat. Jede gute Handlung belohnt er zwiefach.« O Gläubige, seid milde und barmherzig, daß Gott milde und barmherzig gegen euch sei. Wendet eure Augen nicht von dem Hilflosen, daß Gott an jenem Tage sein Angesicht nicht von euch wende und sage: Ihr kanntet den Hilflosen nicht, ich kenne euch nicht.

Ben Hafi. Die Irader, Herr der Gläubigen, werden dein gutes Herz noch mehr empören. – Die Verachtung, womit man diese Worte aussprach, die Blicke, das Hohnlachen, womit man sie begleitete, reizten Mahals Galle. Der Hunger bellte in seinem schwarzen Groll, die feuchte Kühle der Nacht schauderte durch seinen Leib, und in Unmuth rief er: »Herr, verdirb die Grausamen, sie verdienen deinen Zorn! Dem Nachkommen deines Knechtes Seth, den du deinen Sohn nanntest, versagen sie Obdach und ein wenig Brod! Versagen dem Manne, mit dem du gewürdigt hast zu sprechen, den Namen Mensch! Herr, dein Zorn ist gerecht, hart und grausam ist der Städtebewohner!«

Khalife. Ich hoffe, Gott wird diesen Fluch nicht als Sünde in Mahals Buch aufgezeichnet haben; denn die Sünde der Grausamen, da sie das Gastrecht gegen ihn verletzten, reizte den Unglücklichen. Schrecklich muß es sein, von Hunger und Kälte zu leiden, wo Brod und Wärme so nahe sind. Ich habe sie nie empfunden; aber ich kann fühlen, wie es Dem sein muß, den sie überfallen; und wüßte ich, daß Einer in meinem Reiche Hunger litte, ich wollte nicht eher essen, bis ich ihn aufgefunden und gespeiset hätte.

Großvizir. In deinem Reiche, Nachfolger des Propheten, leidet Keiner Hunger.

Khalife. Ich hoffe es um deinetwillen. Gott sieht Alles, und ihm ist nichts verborgen. Wisset, der leiseste Seufzer, den ihr der Brust des Leidenden durch Mißbrauch der Gewalt entreißt, wird zum lauten Donner dem Ohr des Herrn, und die Thräne, die ihr dem Auge des Unschuldigen abdrängt, wird zum brausenden Strome vor seinen Augen. – Der Khalife richtete sich auf und sah feierlich gen Himmel: »Herr, richte zwischen mir und meinen Dienern am Tage deines Gerichts! richte mich nach meinem Willen, sie nach ihrem Thun und der Weise, wie sie ihn erfüllen. Du ließest mich wie die Andern als beschränkter Mensch geboren werden, bildetest mich aus Erde wie sie und setztest mich zu ihrem Herrn auf den Thron der Khalifen, und doch reicht mein Arm nicht weiter als der ihre, mein Ohr hört nicht schärfer als das ihre, und mein Auge sieht nicht weiter als das ihre. Und hätte auch ich das Gesicht des Adlers, das Gehör des Hasen, die Stärke des Löwen und die Weisheit Salomos, der Gewissenlose könnte mich gleichwohl mit seinem Netze umstricken. Herr, zerreiße das Netz des Gewissenlosen, daß es deinen Diener nicht verstricke!«

Bei dem ersten Blicke der Andacht des Khalifen warf sich der taube Verschnittene neben seinem Lager auf die Kniee und betete inbrünstig. Eine feierliche Stille herrschte, noch betete der Khalife leise. Als er sich wieder niederließ, sah er auf Ben Hafi, von Ben Hafi auf den knieenden Verschnittenen, auf dessen Haupt er dann seine Hand legte, und indem er freundlich dabei auf Ben Hafi blickte, sagte er:

Dieser kennt mich, und ich weiß, er betet für mich, und ich weiß, der Herr erhöret sein Gebet.

Der taube Verschnittene faßte des Khalifen Hand, indem er sie von seinem Haupte wegzog, küßte sie – verbeugte sich bis zur Erde, setzte sich auf seine Stelle und wischte seine Augen.

Ben Hafi sah Dem, was vorging, so lange zu, bis seine Wangen erglühten und seine Augen voll hellen Wassers standen.

Khalife. Du bist ein guter Mensch, Ben Hafi.

Ben Hafi. Wer sollte es vor dir nicht werden? Auch kenne ich die Armuth und ihr Gefolge, den Mangel, die Verachtung.

Khalife. Die Feinde des Gerechten, die der Ungerechte zeugt. Sie sollen dich nicht mehr erreichen.

Ben Hafi rollte seine Handschrift zusammen, indem er für sich sagte: Edle Seele! es soll schon wirken.


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