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Dritter Abend.

Ben Hafi erschien auf den Glockenschlag, rollte seine Handschrift auseinander und begann:

Gestern Abend, Herr der Gläubigen, verließen wir Mahal in dem Gefängnisse. Der Ort war zu finster, der Uebergang zu rasch, die Veranlassung dazu zu tragisch, das Benehmen der Bewaffneten zu roh, als daß es sein Herz nicht mit besondern und unangenehmen Empfindungen hätte erfüllen und beschäftigen sollen. Die Bewohner der Thäler erschienen ihm nun in einem etwas veränderten Lichte, und er ahnete, Gott möchte doch nicht in Ansehung ihrer so ganz Unrecht haben.

Da nun in Enoch die Gerechtigkeit sehr schnell in Erfüllung ihrer Pflichten war, so ward er schon beim Anbruche des Tags vor das Gericht geführt. Ein Gebrauch, Herr, den die Sündfluth mit manchen andern hie und da weggeschwemmt zu haben scheint.

Khalife. Und der ein gutes Vorurtheil für den Herrscher des Reichs einflößt; denn wo die Richter so früh aufstehen, ihre Pflicht zu thun, da muß der Oberherr sehr wachsam sein.

Ben Hafi. Ganz gewiß. – Einige Männer, in Scharlach gekleidet, traten zu Mahal ins Gefängniß, hüllten ihn in ein langes schwarzes Gewand, warfen einen schwarzen Schleier über sein Haupt, der gleich einem Sacke über seine Schultern herunterhing, und gingen dann langsam, in tiefem Tone heulend, mit ihm durch die Straßen. In einem Saale zog man ihm den Schleier ab. Hier sah er in einem Kreise um sich herum zwölf schwarze Gestalten, eben so verhüllt, wie er es vor einem Augenblick noch war. Hinter jedem der Verhüllten stand ein blendend weiß Gekleideter, mit einem schwarzen Stäbchen in der Hand. Einer der in Scharlach Gekleideten schlug dreimal stark auf eine Pauke, die mitten in dem Kreise stand. Auf den dritten Schlag berührte jeder der Weißgekleideten den vor ihm sitzenden Verhüllten mit dem Stäbchen, und in demselben Augenblick fielen alle die Schleier herunter. Die zwölf Entschleierten starrten nach Mahal hin, ohne daß einer den andern ansah. Die Köpfe, die sich so plötzlich aus der Verhüllung emporhoben, glichen alle den völlig ausgewachsenen Kürbissen und bewiesen, daß die Richter gut genährte Leute waren. Der Scharlachene schlug abermal auf die Pauke, die Stäbchen rührten sich, und eben so schnell verhüllten sich die starren Gaffer.

Khalife. Was ist das? Was soll es bedeuten? Sage, was sind dies für sonderbare Richter? Und was ist dies für ein tolles Gericht?

Ben Hafi. So toll nicht, als es scheint, Befehlshaber der Gläubigen. Doch Alles nach der Ordnung, die mir die Handschrift vorzeichnet. Jedes Land hat seine Gebräuche, und jedes hält die seinen für die besten.

Hierauf trat einer der Scharlachenen zu Mahal und überreichte ihm eine Anklageschrift. Mahal hielt lange die Schrift in den Händen und besah die sonderbaren Zeichen. Der Mann brachte ihm eine Feder und hielt sie ihm dar. Mahal nahm sie nicht, darüber wurde der Scharlachene ungeduldig, drohte, und Mahal rief endlich: »Männer von Enoch! Ich komme vom Gebirge, weiß nicht, was ihr wollt, und verstehe diese Zeichen nicht.«

Bei dem Schall seiner Worte schlugen die Weißen neunmal sehr heftig auf die Häupter der Verhüllten, diese brachen in Verwirrung aus und liefen davon. Die Führer faßten Mahal sehr erzürnt an und zogen ihn fort.

Khalife. Aber warum? Was that der arme Narr?

Ben Hafi. Die Form war verletzt, und du weißt, diese thut Alles; das Weitere wirst du hören. Es ist dir wohl nicht unbekannt, Herr der Gläubigen, daß oft in einem Narrenspiel ein sehr weiser Gedanke zu Grunde liegt. – Da man in dem Nebenzimmer den entflohenen Richtern den Vorfall begreiflich gemacht hatte, so erging der Spruch: man sollte den Angeklagten in Entzifferung der Zeichen unterrichten und Bericht erstatten, wenn er es so weit gebracht hätte.

Einer der Schriftkundigen Enochs erschien demnach vor Mahal und erklärte ihm seinen Antrag. Mahal erinnerte sich, daß ihm Gott befohlen hatte, Alles, was er hören, sehen und denken würde, in Zeichen aufzumerken, und überließ sich demnach mit allem Eifer dem Unterricht des Schriftkundigen. Da nun Mahals kindische Unwissenheit dem Schriftkundigen bei jedem Worte Gelegenheit gab, seine Kenntnisse zu zeigen, so entstand sehr bald das angenehme und friedliche Verhältniß zwischen ihnen, das wir so oft mit Erbauung zwischen Dummkopf und Gelehrtem sehen. Mahal wurde nicht müde zu fragen, sein Lehrer nicht müde zu antworten, und jede Antwort gab Stoff zum Bewundern, Erstaunen und zu neuen Fragen. Unter andern fragte ihn auch Mahal, was es für eine Bewandtniß mit den Verhüllten hätte, und um dich nicht mit der zu kindischen Erläuterung ihres Ursprungs zu ermüden, welche die Handschrift enthält, so stimme ich sie so um, damit sie deines aufgeklärten Geistes würdiger werden möge.

Unter allen Verderbnissen, Herr der Gläubigen, die die Grundsäulen eines Staats untergraben, ist das verderblichste und gefährlichste die Bestechlichkeit der Richter. Sie greift gleich der Pest um sich und theilt sich allen Denen mit, die den Angesteckten nahen. Setze den Fall, Beherrscher der Kinder des Propheten, unser gerechter Großvizir sei mit diesem schändlichen Laster angesteckt, so kannst du gleich sicher schließen, daß es von ihm aus, bis auf den Vorsteher des kleinsten Dörfchens deines Reichs, sich ausdehnt. Sieht nun einmal das Volk, Recht und Gerechtigkeit seien feil, so sinnet Jeder auf Ränke, wie er die Bestechlichen zum Verderben seines Nächsten benutzen möge. Dann verschwindet alle Redlichkeit, alle Vaterlandsliebe, alles Gefühl von Recht, und das Mitleid selbst. Habsucht und Eigennutz lösen alle Bande der Menschlichkeit auf, tödten in dem Verbrecher und dem Leidenden das Zutrauen zu dem Herrscher, und die allgemeine Schlechtigkeit, nebst dem Elend, das sie zeugt, muß am Ende den Thron erschüttern, und sei er auch in Felsen eingehauen.

In dieser Lage, fuhr Mahals Lehrer fort, befand sich das Reich Enoch unter dem Urvater unsers erhabenen Sultans. Mit Kummer und Unwillen sah er die Verderbniß und versuchte alle Mittel, ihr zu steuern. Er strafte, belohnte, umsonst; das Gift war zu tief eingedrungen. Er gab die weisesten Gesetze, sie nahmen sich ganz artig im Gesetzbuch aus, wurden gelobt und blieben todter Buchstabe. Ach, dem Sultan, der unter einem verderbten Volk Gutes thun will, fiel ein schweres Loos. So schnell ein einziger Schlechter es verdirbt, so langsam bessern es viele Gute; und daß viele Gute sich einander auf dem Throne folgen, ist ein Fall, wovon bis jetzt die Geschichte schweigt.

Großvizir (trotzig und ärgerlich). Dies alles kommt von dem in dem Menschen eingewurzelten Bösen her, und darum muß man sie mit einem eisernen Zepter beherrschen und sie zum Guten peitschen.

Ben Hafi. Ich beneide den Zuchtmeister nicht. Der Urvater unsers erhabenen Sultans, fuhr der Schriftkundige fort, sann auf einen neuen Plan. Er wollte nun einmal, es koste auch, was es wolle, das Uebel mit der Wurzel ausreißen.

Großvizir (zwischen den Zähnen). Es wird ihm nicht gelingen.

Ben Hafi. Eine Handlung, Herr, die sehr selten gelingt, vielleicht dem Menschen gar nicht gelingen soll, weil, wenn sie ihm gelänge, Eines gegen Hunderte zu wetten wäre, man risse das wenige Gute, das daran kleben mag, mit dem Bösen aus, und das Unkraut sprossete plötzlich an einem Orte hervor, wo man es nicht vermuthete. Das Menschenverbessern mag das Einreißen, wie das gewaltsame Antreiben nicht wohl vertragen. Mit dem eisernen Zepter des Großvizirs ist es etwas anders, denn wird dadurch auch der Mensch nicht besser, so wird er doch geschmeidiger.

Der Großvizir blickte finster nach Ben Hafi.

Khalife. Alles Gewäsche! Der Mensch ist ein gutes, nützliches Ding, Gott ist Aller Schöpfer und Vater, und ich wünschte, daß es Jedem auf der weiten Erde recht wohl gehn möchte; geschieht es nicht in meinem Reiche, so ist es, bei dem Glanze Gottes, nicht meine Schuld. – Nach deinem Spruche, Vizir, dessen Wahrheit und Nützlichkeit ich übrigens nicht bestreite, müßte nun eigentlich Ich die eingewurzelte Bosheit aus dir herauspeitschen, und wer peitschte sie aus mir heraus? – Du staunst mich an, Ben Hafi? –

Ben Hafi. Ich bewundere dich.

Khalife. Worüber?

Ben Hafi. Nun verehre ich dich. (Für sich.) Deine eingeschläferte Tugend soll erwachen.

Khalife. Dieses mußt du.

Ben Hafi. Dem Aeußern nach, gewiß; doch der innern, wahren Verehrung, wie ich dir sie nun zolle, bin ich Herr und Meister wie meiner Gedanken, und so mächtig du auch bist, kannst du diese nicht in Fesseln legen und jene nicht erzwingen. Sieh, Herr der Gläubigen, so ist jeder wahre Mensch ein unbeschränkter Sultan in den kleinen und großen Reichen, die er sich in dem Umfange seines Kopfs und Herzens schafft.

Khalife. Ich habe nichts dagegen, und auch als Sultan bist du mir willkommen. Fahre indessen fort, denn ich bin nun einmal begierig zu erfahren, was es mit dieser Vermummung für eine Bewandtniß hat.

Ben Hafi. Der Urvater unsers erhabenen Sultans, fuhr der Enocher fort, ließ auf einmal die fähigsten Köpfe im Lande ausheben.

Khalife. Ha, Ben Hafi, und wer waren denn Die, die sie aushoben und dafür erkannten?

Ben Hafi. Davon schweigt die Handschrift. Vermuthlich die Vizire und Ober-Kadis.

Khalife. Ich habe nichts dagegen; aber lieber wäre es mir gewesen, wenn sie die Bürger gewählt und dabei nicht auf die Fähigsten, sondern auf die Gerechtesten gesehen hätten.

Ben Hafi (für sich). Weise wie Salomo.

Großvizir. Sagte doch Ben Hafi, es sei kein Gerechter mehr in Enoch gewesen.

Khalife. Das thut mir leid, und ich hatte es vergessen.

Ben Hafi. Und ich nicht gesagt. – Diese fähigen, ausgesuchten Köpfe nun ließ der Sultan in den Gesetzen unterrichten, und nachdem sie ihre Studien vollendet, die schärfste Prüfung ausgestanden hatten, ließ er ihnen allen auf einen Tag die Trommelfelle des Gehörs durchstechen und so viel von der Zunge abschneiden, als nöthig war, sie völlig stumm zu machen.

Khalife. Taub und stumm die Richter?

Ben Hafi. Taub und stumm die Richter; dafür nun ließ er sie köstlich nähren und unterhalten, und das Volk mußte ihnen, wo sie sich nur zeigten, die tiefste Ehrfurcht erzeigen; da aber leider die Tauben und Stummen den Weg der Hörenden und Sprechenden einschlugen, so ersann der Sultan die Gebräuche, die ich beschrieben habe. Du siehst daraus, daß dieser Sultan ein Regent war, der seine Plane durchzusetzen wußte, und man sagt, daß nur dieses das Wahre und Nützliche eines Planes sei, wenn sonst der Plan sein Gutes hat.

Verhüllt müssen sie die Angeklagten richten, nur einen Augenblick ihr Angesicht sehen und den ganzen Handel schriftlich mit ihnen und unter sich ausmachen. Stumm müssen Angeklagte, Zeugen und Vertheidiger vor ihnen stehen, weil die Richter taub sind; verhüllt, damit das Spiel der Augen, Mienen und Geberden sie nicht bestechen könne. Während der Angeklagte seine Antwort abfaßt, sitzen alle Richter vermummt, sobald er sie geendigt hat, wird er selbst verhüllt, dann läuft die Antwort von einem der Richter zu dem andern, einer von ihnen nach dem andern zieht den Schleier weg, schreibt sein Gutachten nieder, ein Weißgekleideter sammelt sie, überliefert sie dem Vorsitzer, der nach der Stimmenmehrheit durch übereingekommne, allgemein bekannte Zeichen das Urtheil andeutet. Der Urvater unsers großen Regenten, fährt Mahals Lehrer fort, traute den so weit Verstümmelten gleichwohl so wenig, daß er es noch für nöthig und klug hielt, sie von allen übrigen Menschen abzusondern. Jedem wurde nebst seinem Weibe eine bequeme, abgelegene Wohnung angewiesen, wo sie sich dem Genusse ihrer noch übrigen Sinne ohne alle Störung überlassen konnten. Der Staat nahm es auf sich, sie mit allem Dem zu versorgen, was der lüsternste Mensch von drei Sinnen nur wünschen mochte.

Khalife. Dieser Sultan scheint mir ein weiser und entschlossener Mann und dabei ein großer Menschenkenner gewesen zu sein.

Ben Hafi. Dieses meinte auch Mahal, ob ihm gleich das Licht nicht sonderlich gefiel, in welchem sich ihm hier die Menschen zeigten. Gleichwohl betrog sich dieser Menschenkenner von einem Sultan, wie du gleich hören wirst.

Es dauerte gar nicht lange, so ging Alles den alten Gang; denn da ihre Weiber hören und sehen konnten, mit den Tauben und Stummen bald durch Geberden reden lernten, so fanden die Angeklagten, obgleich nicht durch die Ohren und die Augen, doch einen noch weit geradern und sichern Weg zu dem Herzen ihrer Männer. Diesen Weg nun abzugraben, ersann nach vieler und langer Anstrengung der Vater unsers gewaltigen Sultans, ein Mann von großem Geiste, wie diese Probe zeigt, ein ganz unfehlbares Mittel, und nun, sagte der Enocher zu Mahal, richten unsre Richter so ziemlich gerecht, wenn sie nicht den Schnupfen haben.

Khalife. Wie machte er dieses? Bei den Geistern meiner Vorfahren, Ben Hafi, wenn du mir dieses Geheimniß vertraust und es Stich hält, so bist du der reichste Mann in Bagdad. Laß hören, es soll dich nicht gereuen.

Ben Hafi. Errathe, Herr. Du hast mir so viele Proben von der Feinheit deines Geistes gegeben, daß du es mit einem kleinen Nachsinnen selber finden wirst.

Khalife. Nun, er ließ den Weibern Dasselbe thun, sie taub und stumm machen.

Ben Hafi. Und hätt' er sie bis auf den Rumpf verstümmelt, blieb ihnen die erlernte Sprache, der Weg zu dem Herzen ihrer Männer nicht?

Khalife. So sag' es nur heraus! du weißt ja, daß ich mir erzählen lasse, um nicht zu denken.

Ben Hafi. Vernimm dann, Herr der Gläubigen, das Geheimniß und mache mich zum reichsten Manne in Bagdad. Er ließ sie verschneiden.

Alle riefen: Verschneiden! und Alle sahen nach dem tauben Verschnittenen, und der taube Verschnittene sah nach Allen.

Ben Hafi. Ja, verschneiden; aber dafür gab er ihnen auch den ersten Rang im Staate, und was du Herr kaum glauben solltest, die Handschrift sagt hier deutlich: Jede Familie in Enoch strebte mit allem Eifer nach dem großen Glücke, einen ihres Stammes unter die Stummen, Tauben und Verschnittenen zu bringen, und die erwählten Glücklichen studirten mit solcher Anstrengung die Gesetze, als die Diener deiner hohen Person auf Mittel, dir zu gefallen. Wahrlich, man hätte sagen sollen, es waren dadurch drei neue Sinne zu gewinnen und keine zu verlieren.

Khalife (bestürzt und tief nachsinnend). Taub, stumm, verschnitten, eingesperrt und doch nur gerecht, wenn sie nicht den Schnupfen haben! Das überrascht mich!

Ben Hafi. Thut es dies?

Khalife. Ha, Vizir, wenn dieser so entschlossene Mann nichts ausrichten konnte, wozu werden uns die schönen Verordnungen wohl dienen, die wir vor Kurzem ergehen ließen?

Ben Hafi. Herr der Gläubigen, laß dem armen Ben Hafi die hundert goldnen Derhems auszahlen.

Khalife. Wofür?

Ben Hafi. Für die Ueberraschung, die du selbst eingestanden hast; ist es die erste dieser Art, so verdient sie wahrlich die Belohnung, und du bist der Weiseste deiner Vorfahren, wie du nach aller Meinung der Glücklichste bist.

Der Großvizir blickte grimmig nach Ben Hafi, und Ben Hafi erwiederte seinen Grimm mit einem ernsten Lächeln.

Khalife. Die hundert Derhem, die sind dein, ob ich gleich diese Ueberraschung nicht unter die angenehmen zählen kann. Ich hoffte ein Geheimnis von dir zu lernen, mein Volk auf einmal von dieser Pest zu heilen, und Alles, was ich höre, ist, daß diese Pest unheilbar sei. Doch schlagen meine letzten Verordnungen nicht ein, und die Bestechung dauert in meinen Landen immer so fort, so wage ich dieses schreckliche Mittel; denn besser ist es, daß ein Richter nicht bei dem Weibe schlafen kann, als daß er die Gerechtigkeit zur feilen Metze macht. Beim Propheten. –

Ben Hafi. Herr, binde dich durch keinen Eid, und solltest du dieses schreckliche Mittel in Ausübung bringen wollen, so laß erst alle deine Unterthanen im Lesen unterrichten und die Richter aus fremden Landen kommen. Ich fürchte immer, der Schnupfen, von dem Mahals Lehrer spricht, ist eine Familienkrankheit und erklärt sich nur aus dem Drängen nach den Richterstühlen.

Khalife. Wohl, ich binde mich durch keinen Eid und will vorerst abwarten, was meine letzten Verordnungen für Wirkung thun. Indessen beweist doch abermals deine Geschichte, wie viel ein Sultan mit seinen Unterthanen unternehmen kann, wenn er nur entschlossen ist, auf seinem Sinn verharrt und es klug anfängt. Daß sich die Söhne der besten Familien verstümmeln ließen, nimmt mich nicht Wunder, denn der Sultan wollte es so; aber daß sie sich darnach drängten, daß er es ihnen so anziehend zu machen wußte, daß sie die besten Glieder hingaben, um den sonst unbrauchbaren Rumpf geehrt zu sehen, darin liegt das große Wunder. Doch nur weiter, er hätte noch mehr wagen können, und ich weiß die Ursache.

Ben Hafi. Darf ich mich erkühnen, darnach zu fragen?

Khalife. Was sollte es anders sein, Ben Hafi, als der Wille des Allmächtigen; er hat den Menschen, um der Ordnung willen, so für uns zugerichtet; laßt uns dies anerkennen und dankbar schweigen. Gehorchet dem Khalifen, dem Diener Gottes und preiset den Herrn. »Alles, was lebet, singet ihm ein Loblied, er ist mächtig und weise. Sein ist das Königreich des Himmels und der Erde, er ist allmächtig. Er ist der Erste und der Letzte, der Offenbare, der Verborgene, und er kennt alle Dinge. Er ist es, der die Himmel und die Erde in sechs Tagen erschuf und dann seinen Thron bestieg. Er weiß, was in die Erde geht, was aus ihr hervorkommt, was von dem Himmel heruntersteigt, was in den Himmel aufsteigt; er ist mit euch, wo ihr seid, und weiß Alles, was ihr beginnet. Sein ist Alles, zu ihm kehrt Alles zurück. Gehorchet ihm und seinem Diener, glaubet an ihn und seinen Apostel, gebt einen Theil eures Vermögens den Armen, ihr gebt von der Erbschaft, die euch von ihm kommt, und für eure Almosen soll euch großer Lohn werden.« Alles, was wir thun, thun wir, weil er es will, weil er es vor unserm Dasein in das klare Buch aufgezeichnet hat. Wer kann ungeschehen machen, was er in das klare Buch aufgezeichnet hat? –

Ben Hafi. So sei denn Alles in das klare Buch geschrieben und die Nothwendigkeit unser Herr, auch ist es nur sie, die alle Verwirrung löset.

Daß Mahal in seines Lehrers Erzählung sehr reichen Stoff zum Nachsinnen gefunden haben muß, ist sehr begreiflich; er selbst gesteht, daß er ohne seinen Beistand sehr wenig davon begriffen haben würde. Endlich, setzt er noch hinzu, sei ihm daraus so viel deutlich geworden, daß er vor diesem Gerichte wohl das Ende seiner Reisen finden würde; aber er betrog sich. Du wirst wohl gemerkt haben, Herr der Gläubigen, daß das Gefängniß die Schule Mahals war. und ohne dasselbe würde ich nicht das Glück haben, dir diese kostbare Handschrift zu verdolmetschen.

Khalife. Noch mir Langeweile zu verursachen.

Ben Hafi. Wohl dem Manne, der über sonst nichts zu klagen, der Zeit zur Langenweile hat! Ein Großer, der sonst nichts thut als gähnt, ist wahrlich ein besserer Mann als der, der sich die Zeit mit Thaten vertreibt, die den Kreis seines Wirkens mit Geheul und Jammer erfüllen und ihm am Ende die Reue als Lohn abwerfen.

Der Großvizir sah Ben Hafi mit Beifall an, und Ben Hafi achtete es nicht.

Ben Hafi. Ueberzeugt von dieser großen Wahrheit, der die Gemächlichkeit das Wort redet, fahr' ich fort:

Der Schriftkundige hatte so oft den Sultan genannt, daß er Mahals Neugierde endlich reizte. Du weißt, welches große Bild sich seine gespannte Einbildungskraft von den Gewaltigen der Erde erschaffen hatte. Der geschwätzige Enocher machte ihm nun eine so erhabene, prächtige und kräftige Beschreibung von seines Sultans Person, Eigenschaften und Ursprung, als habe er die Farben dazu aus Mahals Phantasie gestohlen. Er sagte ihm: die Sultane von Enoch stammen in gerader Linie von Naahmah, der schönen Enkelin Kains, des Stifters dieses Reichs und dieser Stadt. Diese Naahmah war so reizend, daß sie die Herzen der mächtigen Geister Aza und Azael mit irdischem, wollüstigem Feuer entflammte. Von ihnen empfing sie den gewaltigen Gedim. Aza beschenkte seinen Knaben mit schrecklicher Kraft, Azael mit durchdringendem Verstande, unternehmendem Geiste und gefährlicher List. Da Gedims Väter aber Geister waren und nicht durch der Menschen Sinne fühlten, so vergaßen sie, was uns armen Menschen das Nothwendigste und Ersprießlichste ist – Mitleiden und Theilnahme. Doch eben dieses, sagte der Enocher, machte sie zu wahren, großen Sultanen, da sie sich durch keine Nebenabsicht, durch kein kleinliches Gefühl in ihren Entwürfen, Unternehmungen und Thaten fesseln ließen. Ich, der arme Ben Hafi, sage: Glücklich sind wir, daß unsre Sultane nach der Sündfluth von Menschen gezeugt und geboren werden, daß ihnen nichts Menschliches fremde ist, daß sie fühlen, wo es uns drückt, und unsre Lasten gern erleichtern, vorausgesetzt, daß ihre Vizire ihnen nicht allzustark beweisen, die Kasse und das vermeinte Ansehen leide zu sehr dadurch.

Khalife. Ben Hafi, der Muselmann thut mehr. –

Ben Hafi. Und erwirbt den Himmel. – Ferner bedachten die von den Reizen der Mutter verblendeten Geister nicht, daß sie diese gefährlichen Geschenke dem Sohne eines sterblichen Weibes ertheilten, die ihn zugleich zum Erben von Neigungen machte, welche den Besitzer solcher Eigenschaften so leicht zum Mißbrauch reizen. Gedim gebrauchte die Geschenke nach Herzenslust, ward Allen furchtbar durch seine Gaben, gefiel sich bloß in dem Gerüchte des schreckenvollen Ruhms, der sich von ihm über das ganze Land verbreitete. Er unterjochte seine Nachbarn, und nachdem er sich Alles durch Gewalt und Schrecken unterworfen hatte, hielt er es durch seinen Verstand und sein Schwert zusammen, unterrichtete seine Unterthanen in den Künsten und führte durch sie Werke aus, die wir noch heute anstaunen. Er herrschte so gewaltig über die Herzen der Menschen seiner Zeit, daß sich die Furcht vor ihm von Geschlecht zu Geschlechte fortpflanzte und wir noch heute in seinem Urenkel vor ihm beben. Doch glücklicher Weise ließ der Einfluß der mächtigen Geister in den Enkeln bei jedem neuen Geschlechte etwas nach; sie sind nun viel milder, und Alles, was ihnen noch übrig geblieben, ist das Bewußtsein ihres hohen Ursprungs, die Verachtung Derer, die von gemeinen Eltern oder Menschen herkommen, und gewisse Geheimnisse, welche die Geister Naamah lehrten, von der sie Gedim empfing und die sich nun von Vater zu Sohn immer forterben. Dieses ist ein gar glücklicher Umstand, und nichts ist nützlicher als Geheimnisse, wenn das Licht irre führen könnte. Sieh, fuhr Mahals Lehrer fort, dieses ist der hohe Ursprung unsers erhabenen Sultans; möchte er uns nur bald mit einem Erben seiner Macht beglücken, damit sein himmlisches Geschlecht nicht aussterbe und wir armen Enocher zu Waisen oder gar der Raub habsüchtiger Nachbarn werden. Vergebens flehten wir bisher zu dem furchtbaren Gedim, seinem Ahnherrn, unser Vorbitter bei den Geistern, seinen Vätern, zu sein, doch nun scheinen sie uns endlich erhört zu haben, denn vor Kurzem sandten sie eine Jungfrau von dem Gebirge, die von dem Sohne Gottes Seth abstammt und die der Sultan sich nun zugelegt hat.

Khalife. Ich wette, ich weiß, wo dies hinaus will. Ist diese Sultanin nicht die geraubte Tochter deines einfältigen und langweiligen Mahals?

Ben Hafi. Du hast es errathen, und auch der Vater erkannte sie aus den nähern Umständen, die er dem Schriftkundigen nach und nach abfragte. Ueberzeugt, es sei seine verlorne Tochter, rief er freudig: Ach, Milka, meine Tochter! Der Lehrer bat sich Erläuterung über den Ausruf aus, und als er sie erhalten, fiel er demüthig vor seinem Schüler nieder und sagte: »Gedenke meiner, Herr, in deiner Größe!« Nach diesen Worten verließ er den froh betäubten Mahal. Der Gedanke, seine Tochter sei die Gemahlin eines der Riesen und Gewaltigen der Erde, vor denen er sich so sehr fürchtete, ward bald so überschwänglich und berauschend in seinem Herzen und Kopfe, daß er ganz vergaß, dieser Sultan sei von dem wahren Gott abgefallen. Sein Vaterherz und die Ueberzeugung, das Ende seines Studirens sei das Ende seines Lebens, mögen ihn hier entschuldigen.

Ben Hafi rollte seine Handschrift zusammen, und der Khalife winkte ihm für heute gnädig Urlaub zu.


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