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Vierter Abend

Ben Hafi erschien auf den Glockenschlag, rollte seine Handschrift aus einander und begann:

Der Schriftkundige lief so lange herum, bis es ihm gelang, vor das Oberhaupt seiner Zunft zu kommen. Er berichtete ihm den Vorfall mit allen Umständen: das Oberhaupt empfand, welchen Vortheil ihm dieser Vorfall bei der Sultanin erwerben könnte, und da er wegen des Auftrags, sie von ihrer Unwissenheit zu heilen, zu jeder Stunde des Tags bei ihr Eintritt hatte, so eilte er schnell nach dem Palaste und hinterbrachte ihr die glückliche Botschaft. Mit der gehörigen Ehrerbietung vertraute sie Alles dem Sultan, ihrem Gemahle, und der Göttersohn geruhte seine Staatsbedienten abzuschicken, um den Vater mit geziemender Achtung abzuholen.

Mahal ward prächtig gekleidet, unter tiefer Verehrung aus dem Gefängnisse geführt und wider seinen Willen, gegen sein flehentliches Bitten, auf ein Pferd gesetzt, das, wie gewöhnlich, einige Diener leiteten. Einige Schreier des Hofs gingen voraus und riefen sehr vernehmlich: »Heil Mahal! Dem Enkel Seths! Dem weisen Manne vom Gebirge! Dem ehrwürdigen Vater unsrer schönen Sultanin!« Das Volk verbeugte sich tief vor ihm, und Mahal gesteht hier auf dieser Stelle: »so groß auch seine Furcht auf dem gefährlichen Thiere Anfangs gewesen wäre, so hätte er sie bei diesem Anblick doch sehr bald vergessen.«

Khalife. Ich glaube es gerne, und wie kann es anders sein. So sehr er auch Klotz gewesen ist, so mußte er doch nun empfinden, daß er, da ihn der Sultan so sehr ehrte, ein anderer Mann geworden sei.

Ben Hafi. Wir wollen sehen, wie es ihm bekommt. – Die Sultanin Milka empfing ihn reich und prächtig gekleidet, umgeben von ihrem Hofstaate. Mahal, entweder geblendet von ihrer schimmernden Pracht, oder erstarrt von ihrer erhabenen Kälte, wagte es nicht, ihr zu nahen, sie an sein klopfendes Herz zu drücken und vor Freude zu weinen, wie er doch so gerne gethan hätte. Die Sultanin that vor der glänzenden Versammlung einige Fragen über sein Wohlbefinden an ihn und freute sich über den glücklichen Zufall, der ihn nach Enoch gebracht, so, wie sich eine Sultanin öffentlich freuen muß: hierauf entließ sie ihn höchst gnädig. Man vertrieb ihm bis zum Abend mit tiefer und kalter Verehrung die Zeit, führte ihn dann in das innere Zimmer der Sultanin, die ihm für diesmal beim ersten Blick um den Hals fiel und nach Allem fragte, was ihm begegnet sei. Sein Herz erwärmte sich nun wieder, er gab ihr von Allem Nachricht, berührte selbst seine hohe Sendung, die aber der Sultanin Aufmerksamkeit nicht sonderlich reizte. Endlich fragte er sie sehr beklommen um die Ursache der Kälte von dem Morgen her, und die Sultanin antwortete: »So will es mein erhabener Gemahl, der Sultan. Er sagte mir, dies Betragen sei eines von den vielen Geheimnissen, die Gedim durch seine Mutter von Aza und Azael erhalten hätte, die Menschen zu beherrschen. Anfangs fiel es mir ein wenig schwer, da mich aber der Sultan sehr hart anging und mir der furchtsame, ängstliche Zwang der andern in meiner Gegenwart immer mehr gefiel, so unterwarf ich mich dem mir selbst Aufgelegten und finde nun Ersatz in dem ihrigen.«

Khalife. Diese Sultanin ist für eine Tochter ihres Vaters sehr gelehrig und gefällt mir nicht übel; hier wenigstens hat sie, wie man sagt, den Nagel auf den Kopf getroffen. So viel ist einmal gewiß, wenn ich meinen ganzen Hof so steif und hölzern um mich stehen sehe, daß man alle meine Höflinge für Richter des Königreichs Enoch halten sollte, so vergesse ich, bei ihrem ehrfurchtsvollen Anblick, allen Zwang, den ich selbst empfinde. Weiß ich nicht, daß es von mir, von einem meiner Winke, von einem Zulächeln abhängt, diese hölzernen Maschinen zu beleben? Und dies tröstet, Ben Hafi, und macht gar viel ertragen. Wie sie es ertragen, womit sie sich trösten, das weiß ich nicht, auch kümmert mich's nicht. Doch, womit glaubst du, daß sie sich trösten?

Ben Hafi. Ohne deinem durchdringenden Verstande vorgreifen zu wollen mit dem Gedanken: daß sie das Spiel, das du mit ihnen spielst, mit ihren Untergeordneten wieder spielen. Khalife. Und diese mit den Andern, und so immer abwärts. Ja der Mensch ist ein wunderbares Ding, doch Gott hat ihn gemacht, er sprach: » dies habe ich gemacht, und es ist gut!« Auch ist dieses wirklich eines der Geheimnisse, die den Staat und die Menschen in Ordnung zusammen erhalten, und bin ich gleich eines Menschen Sohn, so habe ich's nicht weniger gefunden.

Ben Hafi. Mahal war nicht so glücklich, er nagte an dem Räthsel, und bei jedem Schritte schien es ihm verworrener und dunkler zu werden.

Khalife. Seine Tochter wird ihn schon in die Schule nehmen.

Ben Hafi. Vielleicht. Beim Abschied sagte sie ihm: »Mein Vater, ich habe in der kurzen Zeit, in dieser wunderbaren Stadt, unter diesen wunderbaren Leuten Dinge erfahren und gesehen, wovon man auf unserm langweiligen Gebirge nichts im Traume sieht. Auch sind sie nicht so böse, wie der strenge Noah sie zu schildern pflegte. Mache es nur, wie ich, und sei hübsch gelehrig. Du wirst sehen, wie Alle sich bestreben werden, dich zu unterrichten und dir zu gefallen.«

Den folgenden Morgen bekleidete man Mahal mit einem noch reichern Gewande, gürtete ihm ein Schwert um und führte ihn in den goldnen Saal des Sultans Puh. Man bedeutete ihm sein nahes Glück. Seine Geister waren gespannt, sein Blut in Wallung über den Gedanken, bald den Gewaltigen des Landes, den Riesen und großen Abkömmling der Söhne Gottes von Angesicht zu Angesicht zu sehen.

Dieser Sultan Puh, Herr der Gläubigen, auf welchen durch den so öftern Vererb nur sehr wenig von den hohen Kräften, welche die Geister oder Engel seinem Urvater ertheilt hatten, übergegangen war, suchte wenigstens das ihm Fehlende durch Aufrechthaltung und Verbesserung des von seinen Vorfahren eingeführten Ceremoniels zu ersetzen.

Khalife. Man thut, was man kann, und wozu einem Jeden Gott Kraft und Muth verliehen hat. Wer das gethan hat, wozu er bestimmt war, hat seinen Lauf und seine Schuldigkeit erfüllt. Der Ochse zieht den Pflug, das Pferd trägt den Krieger, das Kameel die Last.

Ben Hafi. Und der Affe schneidet Grimassen.

Khalife. Und macht selbst den Zornigen lachen.

Ben Hafi. Und den Weisen nachsinnen.

Khalife. Und ist dem Thoren ein Spiegel.

Ben Hafi. In dem er sich doch selten erkennt.

Khalife. Warum?

Ben Hafi. Weil es für den Thoren keine Spiegel gibt. Doch um wieder auf den Sultan Puh zu kommen – er unterwarf sich und seine Hofleute den strengsten Regeln der äußern Achtung (denn die innere erzwingt, wie gesagt, kein Sultan auf der Erde, wenn er sie nicht verdient) – hatte seinen Hofstaat so eingeschult, daß Alles wie ein Uhrwerk ging und er des Geistes seiner Vorfahren so lange entbehren konnte, als nichts den Gang der Räder hemmte. Ich versichre dich, Herr der Gläubigen, auf diesem Wege hat sich vor der Sündfluth (nach der Sündfluth geht es ganz anders her) mancher flache Kopf mit Ehren auf dem Throne erhalten, und gewiß ist es die beste Regierungsart (die sicherste und bequemste ist es ohne allen Zweifel), wenn nur nicht zu Zeiten wilde Brauseköpfe, unvorgesehene Umstände, kleine Zufälle und Begebenheiten, die oft die größten Ereignisse und Begebenheiten hervorbringen, den schönen, gemächlichen Gang der weislich eingeführten Ordnung störten. Auch würden wahrlich die Völker unter solchen ruhigen Regenten viel besser fahren, als unter den feurigen, ruhm-, herrsch- und eroberungssüchtigen Geistern, welche die Erde mit dem Blute der Menschen düngen, Städte zertrümmern, ohne neue aufzubauen, ohne alle Ordnung und Regel leben, auf kein Hofceremoniel achten, eine Zeitlang, wie ein drohendes Schwanzgestirn, über den bebenden Völkern einherschweben und dann plötzlich in das Dunkel sinken, woraus sie besser nie hervorgegangen wären. Du wirst sagen, ihr Dasein war nothwendig, war mit allen den blutigen Zeichen im klaren Buche aufgezeichnet; auch ich sage mit einem Seufzer so und bin froh, daß mein Sultan Puh kein Völkerwürger und Städtezertrümmrer gewesen ist.

Khalife. Er soll mir darum nicht weniger gefallen. Ich danke Gott, daß ich in Frieden auf dem Throne der Khalifen. sitze, doch vergesse ich nicht, daß ihn ihr Schwert erworben hat. Wer das meinige will kennen lernen, der greife ihn nur an.

Ben Hafi. Sitze in Ruhe darauf, Herr der Gläubigen, es stirbt sich leichter so, als wenn die Geister der Erschlagenen ihn umschweben. Mit diesem aufrichtigen Wunsch gehe ich in meinem Märchen weiter.

Der Glanz des Saals, worin sich Mahal befand, der prächtige, schimmernde Thron, auf Löwen ruhend, über dem ein ungeheurer Vogel mit einem Menschenangesicht, langen Flügeln, einem langen Ziegenleib mit Tigerklauen schwebte, die reiche Kleidung der Hofleute, die ernste, tiefe Stille, das ehrfurchtsvolle Benehmen Aller mußte ihn immer mehr von dem Gedanken überzeugen, ein Wesen höherer, besondrer, schrecklicher Art müßte nun bald hereintreten.

Eine große Pforte flog sausend auf. In dem nämlichen Augenblick riß man Mahal etwas gewaltsam zu Boden, die Stirne niederwärts. Diejenigen, welche ihn gebeugt zur Erde hielten, raunten ihm ins Ohr: »Bei deinem Leben, rühre dich nicht!« In dieser Stellung verblieb Mahal so lange, als der Sultan den Kreis seiner Staatsdiener und Hofleute mit ernsten, kalten Blicken durchlief und so seine Audienz ertheilte. Darauf stellte der Oberceremonienmeister den zur Erde Gebeugten dem Sultan vor. Der Sultan nahte mit hoher Majestät, setzte dem Gebeugten, von zwei der ersten Diener der Krone unterstützt, den Fuß auf das Haupt, trat dann mit aller ihm möglichen Kraft so gewaltsam darauf, daß der rohe, unwissende Mahal glaubte, der Fuß eines ungeheuren Riesen zerschmettre sein Gehirn. Er seufzte, ächzete laut und sträubte sich unter den Händen der ihn Haltenden, wie ein gefangener Eber unter den Zähnen der Fanghunde, Der Sultan setzte sich auf seinen Thron, beschattet von den Flügeln des sonderbaren Vogelthiers. Ein Teppich rollte davor herunter. Man richtete nun Mahal auf, und da man seine Nase und den Boden blutig sah, so nahte man ihm mit der tiefsten Ehrfurcht und wünschte ihm zu der auszeichnenden Gnade Glück. Vermöge deines durchdringenden Verstandes, Nachfolger des Propheten, wirst du ohne mein Erinnern denken, daß man die Grade der sultanischen Gnade in Enoch nach dem Nachdruck maß, mit welcher der sultanische Fuß die ihm Vorgestellten beehrte, und daß man in Enoch einen gewaltigen Fußtritt des Sultans ebenso inbrünstig wünschte, wie anderwärts den Blick der Huld. Mahal, der den Geist dieser so merkwürdigen als bedeutungsvollen Ceremonie jetzt nicht faßte, nahm sie in dem rohen Sinne eines unkultivirten Menschen, und hätten ihm die Staatsbedienten nicht den schäumenden und blutigen Mund zugehalten, so hätte er sich gewiß seinem natürlichen Unwillen und Zorn überlassen und um alle Vortheile gebracht, die ihm der Sultan so gnädig zugesichert hatte.

Khalife. Eine sonderbare Ceremonie, aber ich sehe doch Ordnung und Methode darin, wie in Allem, was in diesem Reiche geschieht, und sind die dabei, so ist es gleichviel, wie ein Ding geschieht; die Menschen gewöhnen sich an Alles, und was fiele wohl dem Hofmann schwer und hart, wenn er unsre Gunst erhalten kann? Er thut und erträgt das Böse, selbst ohne Gewissensbiß und ohne Klage. Nur ein einziges Versehen bemerkte ich hier, Ben Hafi: warum unterrichtete man den rohen Menschen nicht von des Hofes Sitte? Dies Versehen dünkt mich unverzeihlich, und mein Oberceremonienmeister wage es nicht, ein gleiches zu begehen.

Ben Hafi. Konnten die Hofleute des Sultans in Enoch vermuthen, daß ein Mann auf Erden lebte, der so barbarisch unwissend wäre, die Gebräuche des ältesten Hofs der Welt nicht zu kennen?

Khalife. Das ist ein Anderes; ich dachte wohl, daß ihnen die Entschuldigung nicht fehlen würde. Hofleuten fehlt sie nie, und eben dieses beweist die Bildung, die wir ihnen geben.

Ben Hafi. Die Hofleute in Enoch, die ich gern wieder mit dir ausgesöhnt sehe, flüsterten ihm hierauf, von seiner thierischen Wildheit gezwungen, die Bedeutung des Geschehenen ins Ohr, wuschen seine Nase mit einem blutstillenden Wasser und stellten ihn vor den verhüllten Thron. Langsam rollte nun der Vorhang auf. Auf einmal sah Mahal die Majestät von Enoch in ihrer ganzen Pracht und Gewalt vor sich und ward von dem Anblick derselben noch mehr erschüttert, als von dem Tritt, mit dem sie so eben sein Gehirn betäubt und seine Nase zerquetscht hatte. Anstatt eines ungeheuren Riesen, eines furchtbaren Göttersohns, eines übermächtigen Gewaltigen, sah er eine dünne, grämliche, blasse, prächtig geschmückte Gestalt, fünf Fuß und einige Linien hoch. Du siehst, Herr, daß der Einfluß der mächtigen, himmlischen Urväter, wenigstens dem Körper nach, nicht sehr merkbar war. So verhaucht Alles auf dieser Erde, und nichts ist beständig, als die Neigung des Menschen zum Bösen und der Undank des Menschen gegen seine Wohlthäter.

Mahals Verwirrung, dummes Erstaunen und weit geöffneter Mund wurden ihm indessen zum Besten ausgelegt. Sultan Puh schrieb die Wirkung, die er auf seinen Schwiegervater machte, seinem majestätischen Wesen, seiner erhabenen Gestalt und seinen großen, glänzenden, starren Augen zu, das einzige erbliche Abzeichen, das er von seinen Urvätern an sich trug. Ich sage Abzeichen und nicht Merkzeichen, weil ihnen Das fehlte, was sie in seinen Urvätern beseelte und durch sie mit Blitzen sprach. Du weißt, Herr der Gläubigen, aus Erfahrungen an kleinen, flachen Menschen, daß in ihnen ein Geist, aus bunten Dünsten gebildet, lebt, der in ihrer Einbildungskraft sein Spiel so mit ihnen treibt, daß sie sich immer in dem Glanze sehen, den der lügenhafte Zaubrer in ihrem wässerigten Gehirne erzeugt. Ein schwacher Sultan hat oft viele solcher Geister in und um sich. Puh, gekitzelt von den Seinen, hingerissen von dem süßen Genüsse des Selbstgefühls, überschritt sogar die sich vorgeschriebene Regel und lächelte ein wenig; aber schnell erinnerte sich der Sultan seiner Würde und starrte ernsthaft vor sich hin. So endigte diese für Mahal große und merkwürdige Stunde. Unter abermaligen Glückwünschen ward er in seine neue Wohnung am Hofe gebracht, wo er sich sogleich sehr mißmuthig auf ein weiches Lager niederwarf. Er war mehr darüber ergrimmt, daß er sich in seiner großen Erwartung, etwas Gewaltiges, Ungeheures in dem Herrscher Enochs zu sehen, betrogen hatte, als über die Mißhandlung und den Schmerz, den er noch an seiner Nase und seinem Haupte empfand. Sein Aerger vermehrte sich noch, da er beinahe gestehen mußte: Noch möchte in Dem, was er ihm von den Gewaltigen der Erde sagte, wohl Recht haben. Eine bittre Bemerkung für einen Mann von Mahals Gemüthsart und Forschungsgeist. »Wie,« sagte er bei sich, »dieses grämliche, ernsthafte, geschmückte Männchen, das mir, einem Enkel Seths, auf das Haupt trat – um den Alle zitternd stehen – der kleinste, schwächste Wicht, den ich bisher gesehen habe, herrscht über Diese alle? Wirkt Alles, was ich sehe, höre und vernehme? Und das so gewaltig, daß dem Nahen und Fernen sein Name wie der Donner des Erhabenen ertönt? Wie macht er dies? Worin besteht das Geheimnis, wodurch er alles Dies bewirkt? Etwa darin, daß er ein Abkömmling der Geister ist? Das, was ich an ihm wahrnehme, zeigt mir nichts davon; er ist ein Schatten gegen mich und die Meisten, die bebend um ihn stehen. Doch seh' ich noch nicht, warum der Herr so sehr ergrimmt gegen sie ist und warum er sie verderben will; den Schmerz ausgenommen, den mir dieser traurige Sultan verursachte, scheinen sie mir noch ganz gut zu sein, und er selbst, sagen sie, wollte mich dadurch seines Wohlwollens versichern. Ich glaubte lauter fürchterliche, große, kraftvolle Menschen zu sehen und finde sie klein, lächerlich und schwächlicher, als ich es bin; aber eben Dieses verwirrt mich noch mehr. Wie können so kleine, schwache Wesen so böse sein, um den mächtigen, großen Gott selbst zum Zorne zu reizen? Wie können sie alles das Ungeheure, das ich um mich sehe, hervorbringen? Wie diese Städte, Brücken und Thürme erbauen? Wie sich das Pferd, den Wind und die Gewässer unterthan machen? Und wie die bösen Thaten begehen, wovon der Herr im Zorne spricht und deren Zeuge ich selbst war? Wie, wie kann dieser kleine, schwache Mann alle die Stärkern an seinen Willen fesseln? Wie können sie sich, um seines traurigen Zulächelns willen, das Haupt von ihm zertreten lassen? Ach, er ist kein Riese; da er nun kein Riese ist, so muß er gewiß ein Zauberer sein, und ohne allen Zweifel hat seine Urmutter Naahmah von den Söhnen Gottes die Zauberei gelernt, sie Gedim ihren Sohn gelehrt, von dem sie dann bis auf seinen Enkel, diesen kleinen Puh, fortgeerbt hat!«

Nach dieser Standrede fiel ihm sein Lehrer ein. Er ließ ihn schnell aufsuchen. Der Schriftkundige trat herein, fiel auf sein Angesicht vor ihm nieder, und als er seine geschwollne Nase erblickte, wünschte er ihm Glück dazu und empfahl sich seiner Gnade. Hierauf erzählte er ihm, wie er es angefangen hätte, der Sultanin von seinem Hiersein Nachricht zu geben, und ließ leise in seine Rede einfließen, was er von ihm zum Lohn erwartete. Mahal hörte ihn nicht, er war zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt und sagte ihm ganz rasch heraus, welches Wunder er in dem Sultan zu sehen gehofft hätte und wie gewaltig er sich betrogen fände. Der Schriftkundige gab ihm die klügste Antwort, die ihm je über die Lippen gegangen war und sagte:

»Vielleicht hast du eben da das größte Wunder gesehen, indem du keines zu sehen glaubtest!«

Mahal horchte hoch auf, sann vergebens nach, um den tiefen Sinn dieser Worte zu fassen, drang dann in ihn, ihm dies Wunder zu beschreiben, ihm zu sagen, worin es läge. Der Schriftkundige macht hier in der Handschrift, nach der Gelehrten Art, ein so dunkles, klingendes Gewäsche über die Geheimnisse der Wunder der Regierung, daß ich vermuthe, er habe einen sehr alltäglichen Sinn mit den Worten verbunden, die einen so tiefen in sich schließen, und das Wunder gerade da nicht gefunden, wo es nach seinen eignen Worten zu liegen scheint. So geht es Schriftkundigen und Dummköpfen sehr oft; zu Zeiten spricht der Geist durch sie, und sie gleichen alsdann Glocken, die nur Andern tönen.

Mahal ahnete gleichwohl etwas von dem tiefen Sinne, denn er fagte zu dem Schriftkundigen im Fortgang des Gesprächs: »Das größte Wunder würde immer dieses sein, wenn dieser Mann von Geistern, von Söhnen Gottes abstammte. Wenigstens werde ich an dieses nicht mehr glauben, und dem andern will ich suchen auf die Spur zu kommen.«

Der Schriftkundige erblaßte bei dieser kühnen Aeußerung, sah sich furchtsam um, faßte sich, da er Niemand sah, und hielt weiter nicht für zuträglich, über diesen höchst kitzlichen Gegenstand fortzureden. Er entfernte sich bald und hinterbrachte, aus zarter Gewissenhaftigkeit, die kühne Aeußerung des Schwiegervaters des Sultans dem Oberhaupte seiner Zunft. Das Oberhaupt legte dem Untergebenen Stillschweigen auf und schrieb sich die Ketzerei ins Gedächtnißbuch.

Mahal ward mit dem traurigen, furchtbaren Sultan nach und nach so vertraut, als es die Würde des Sultans erlauben konnte, und seine Verwunderung nahm durch die nähere Bekanntschaft mit dem grämlichen, mächtigen Zauberer immer mehr zu.

Khalife. Und ganz natürlich, Ben Hafi, denn dein roher Dummkopf wird in dem Umgang mit dem Sultan doch endlich begriffen haben, daß es nicht die Masse von Fleisch und Knochen, sondern der Geist oder der Verstand ist, durch den man die Menschen leitet.

Ben Hafi. Und wenn er nun nichts davon entdeckt hatte, was sollte der rohe Bergbewohner denken?

Khalife. Wer sagt denn, daß er denken sollte? Wozu nutzt es ihm?

Ben Hafi. Gegen diesen Ausspruch ist nichts anders einzuwenden, als daß Mahal denken mußte, weil er sah, hörte und verglich, und daß sein Denken außer den Grenzen der Macht des Zauberers von Enoch lag. Nach seiner Handschrift sage ich: er konnte noch immer nicht begreifen, wie die Hofleute in Enoch so viel an ihrem Sultan finden konnten, an dem er so wenig fand, und sann noch immer über die dunkeln Geheimnisse nach, welche die Wunder, die er sah, bewirkten. Der Sultan ertrug und achtete ihn dem Aeußern nach, weil er der Vater seiner Gemahlin war, ihm dadurch angehörte, sonst fand er weiter nichts an ihm. Die Sultanin erzeigte sich ihm immer sehr gnädig vor den Augen Andrer, sie war sogar freundlich gegen ihn, wenn sie sich mit ihm allein befand.

Mahal, so erstaunt als ermüdet über und von dem prächtigen Schauspiel, das er am Hofe täglich aufführen sah, warf sich nun in die volkreiche Stadt, von einigen Dienern begleitet, und wenn es dir nicht zuwider ist, so will ich dir morgen, Herr der Gläubigen, einige seiner Bemerkungen verdolmetschen. – Er rollte seine Handschrift zusammen.

Khalife. Ganz und gar nicht, ob ich gleich nicht viel erwarte.


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