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Fünfter Abend.

Ben Hafi erschien auf den Glockenschlag, rollte seine Handschrift aus einander und begann:

Mahal spricht: Enoch heißt die Stadt, in welcher die Menschen ihr unruhiges Wesen treiben. Mitten hindurch fließt ein Strom, sie nennen ihn den Pfeil. Ueber denselben haben sie einen großen Bogen von Steinen gespannt, er soll ein Werk Gedims sein und scheint wirklich eher von mächtigen Geistern, als von solchen schwächlichen Menschen herzurühren. Doch wer weiß? So klein sie auch sind, so vermögen sie doch sehr viel, wenn sie einig sind und sich zu einer Unternehmung verbinden. Ihre Höhlen, die sie Häuser nennen, sind sehr ordentlich eingerichtet, reich geschmückt und voller Gemächlichkeiten, die mir nicht zuwider sind. An jeder Höhle ist eine Thüre, die man verschließen kann, damit Keiner sehe, was man darin macht. Kommt Einer zu dem Andern, so kündigt er sich durch einen starken Schlag an der Thüre an, aus Furcht, er möchte den Herrn der Höhle oder des Hauses bei einer bösen oder unanständigen That überraschen. –

Es wird mir dunkel vor den Augen, wenn ich auf der Straße durch das Gewühl von Menschen gehe, weil ich immer fürchte, es möchte zwischen ihnen zu gefährlichem Streit kommen, da ich in meines Schwiegersohns Hause bemerkt habe, daß sie sich unter einander gar grimmig hassen, und mein Schwiegersohn, der kleine Zauberer, sein grämliches, blasses, finstres Angesicht doch nicht überall zeigen kann. –

In Enoch wohnen viele Leute, die mit ihren Händen, vermöge verschiedener Werkzeuge, aus Holz, Stein, Metall und Fäden, allerlei zum Gebrauch und Vergnügen bilden, hauen, schaffen und weben. Diese haben wahrlich Verstand in den Fingern. Auch sah ich einen Bildner eine Gestalt aus Stein bilden und lache nun über meine Furcht vor dem steinernen Bilde, das sie die Liebe nennen. Ihr Bild hab' ich zwar wieder in Enoch gesehen, doch noch nichts von der Auslegung wahrgenommen, die mir die Bewohner der Felder gemacht haben. Sonderbar kommt mir vor, daß Diejenigen, die am meisten arbeiten, die Aermsten sind und in den elendesten, schmutzigsten Höhlen wohnen. Die auf den Feldern, höre ich, arbeiten noch mehr und sind noch ärmer: auch sollen Die, die mich so gut bewirthet haben, keine Feldbewohner, sondern Städter sein, die auf das Land gezogen waren, um sich daran zu ergötzen, die Andern arbeiten zu sehen. Dagegen leben in der Stadt und besonders an dem Hofe viele Leute, die sehr reich sind, Alles im Ueberfluß haben und gar nichts thun. Einige nennen sich die Bessergebornen – wie diese leben, begreife ich nicht, besonders da sie so gar viel brauchen. Auch begreife ich nicht, wie sie es anfangen, um sich besser als die Andern zeugen und gebären zu lassen. Andere heißen die Beamten des Sultans, unter ihnen sind die meisten aus den Bessergebornen, und sie stehen sich dann zwiefach gut. Andere arbeiten mit dem Kopfe und der Zunge für Die, die keinen Kopf haben und ihre Zunge nicht zu brauchen wissen; sie stehen sich auch nicht schlecht. Andere laufen von den Arbeitern auf dem Lande und in der Stadt, was sie nur hervorbringen, sehr wohlfeil ein und verkaufen es sehr theuer. Der wird der Reichste, der am wohlfeilsten einkauft und am theuersten verkauft. Was mich sehr wundert, ist, daß der Arme Alles, was er von ihnen kauft, sehr theuer bezahlen muß, daß die Großen und Vornehmen Alles viel wohlfeiler von ihnen kaufen, ja oft gar nicht einmal bezahlen. Vielleicht daß sie eben darum den Armen so theuer verkaufen müssen und dürfen; auch ist der Arme gar zu furchtsam in Gegenwart der Reichen, und thut ihm der Reiche Unrecht, so wagt er nicht einmal es zu sagen.

Jetzt begreife ich, warum die Bessergebornen so reich sind und nichts thun: die Armen arbeiten für sie, und oft hat ein Einziger viele Hunderte, die für ihn arbeiten, die er nicht seine Ernährer, sondern seine Untergebenen nennt. Die Leute hier nennen die Dinge immer anders, als sie an sich sind. –

Der Sultan und meine Tochter, die Sultanin, verzehren so viel, daß es gewiß viele tausend Hände erfordert, für sie zu arbeiten. Ich habe nichts dagegen; was mich aber ärgert, ist, daß die Reichen und Faulen Diejenigen verachten, ja oft mißhandeln, die für sie arbeiten. Diese müssen sehr gutmüthige Leute sein; wie sollten sie es sonst ertragen, sich mit dem wenigen, mühsam Erworbenen begnügen und nicht den Andern gewaltsam den Ueberfluß rauben, der doch von ihnen herkommt? Alle, mit denen ich darüber spreche, sagen mir, der große Sultan Gedim habe es so geordnet, und der Sultan Puh halte nun darauf durch seine Richter und die Schwerter seiner Gewaffneten. Es ist recht gut, daß dieses hilft und sich die Vielen vor den verstümmelten Richtern und den Gewaffneten fürchten: ich möchte sonst keiner von den Bessergebornen und Reichen sein. So laß ich mir's gefallen. –

Die Künstler, die aus Steinen Bilder schaffen, und die, welche Menschen, Thiere und Bäume durch bunte Farben nachäffen, nebst den Schriftkundigen, waren sehr zufrieden mit mir. Ich bewunderte sie ganz laut und erstaunte über Alles, was ich sah. Meine Begleiter sagten es dem grämlichen Sultan, der mir bittre Verweise gab und mir sagte, ich machte ihm durch meine rohe Plumpheit Schande; ein Großer müsse nichts bewundern, noch viel weniger, wenn er auch innerlich nicht anders könnte, es äußerlich den Kleinen zeigen. Man machte sie dadurch nur stolz und übermüthig. Vermuthlich verdrießt es ihn, daß ich nicht lobe, was er bildet, denn wenn er nicht steif und grämlich unter seinen Hofleuten steht, so schließt er sich ein und schnitzelt Bilder, die noch steifer und grämlicher aussehen, als er selbst. Ich kann sie nicht loben, wie ich denn überhaupt nichts von Dem loben kann, was er macht, thut und spricht. Indessen ist er doch ein guter Mann, alle Bewohner der Stadt sind gute Leute, und sie sind ganz besonders freundlich und ehrerbietig gegen mich. Auch kann ich noch nicht recht begreifen, warum Gott so gar gewaltig auf sie zürnt. Wäre es nicht Schade, Leute zu verderben, die so große Dinge ausführen, die todten Steine beleben, Metalle in andere Gestalten zwingen, gar zu flüssigem Feuer machen und ihre Gedanken so durch Zeichen zu malen wissen, daß sich Zwei in der weitesten Entfernung unterreden, durch welche sogar der Todte noch mit dem Lebenden sprechen kann. Sie leben alle vergnügt, ja zu Zeiten selbst die Arbeiter: und daß mein grämlicher Schwiegersohn unter ihnen wohnt und sein Name überall zu hören ist, hindert sie nicht einmal daran. Keinen Genuß versagen sie sich und hängen allen Lüsten nach. Von nichts lieber sprechen sie, als von Essen, Trinken, Putz und Weibern. Die Vornehmen sprechen am liebsten von der Gunst meines traurigen Schwiegersohns. Dieses alles wundert mich eben nicht, denn Das, was sie essen und trinken, ist sehr gut, dem Munde sehr angenehm, ihre Weiber gefallen durch ihre Artigkeit und Schönheit und sehen es sehr gerne, wenn man ihnen zu gefallen sucht; auch thun sie in diesem Falle Alles, was Einem Vergnügen machen kann. Daß den Großen viel an der Gunst des Sultans liegen muß, ist ganz natürlich, sie erhalten ja dadurch Alles, was die Andern haben, im Ueberfluß und brauchen nicht zu arbeiten. Uebrigens thun sie Alles, das Gute wie das Böse, so sorgenlos, als könnte es gar nicht anders sein. Sehe ich ihnen zu, so däucht mich selbst, sie könnten nicht anders handeln, und Gott zürne ihnen über Dinge, die sie nicht zu ändern vermögen. Da er sie gemacht und so gemacht hat, muß er es doch wohl besser wissen. Meine Tochter, die Sultanin, die doch noch vor Kurzem auf dem Gebirge den Weg des Herrn wandelte, ist ihnen ganz ähnlich geworden, ich kenne sie beinahe nicht mehr. Das Leben unter den Städtebewohnern muß also sehr ansteckend und ihre Laster, worüber Gott zürnt, den Menschen sehr natürlich sein. Es ist mir leid, besonders da die Quelle davon, nach Gott und meinem Schwäher Noah, in ihrem eignen verdorbenen Herzen springen soll. Ich werde es ja wohl erfahren! –

Auf dem Markte der Stadt liegt der große alte Gedächtnißstein Kains, des Brudermörders und Stifters Enochs. Sie nennen die Stätte heilig, ich weiß nicht, warum. Sie wagen nicht, den Stein zu berühren, oder ihm zu nahen. An diesem Orte, sagen die Enocher, traf Lamech den hinter einem Busche stehenden Brudermörder mit einem Pfeile, den er nach einem Reh abschoß, mitten durch das Herz. Ich dachte bei mir, hätte ihn doch der Pfeil des Herrn getroffen, bevor er in das Thal stieg und den Grund zu dieser Stadt legte. Sie würde nun, nach seinen Worten, nicht voller Gräuel und dem Verderben reif sein. Doch Vieles, was ich hierüber denke, halte ich aus Furcht zurück, denn der Herr ist strenge und fordert Unterwerfung. –

Noch steht auf dem Markte das Bild Gedims, gewaltig groß und fürchterlich. Man hört beinah nur ihn nennen, selten Gott; sie scheinen ihn über diesen Gedim ganz vergessen zu haben. Ich sprach mit dem Sultan Puh sehr heftig darüber, und er antwortete mir sehr verdrießlich: »Ob es mir mißfiele, daß das Volk seinen großen Ahnherrn und ihn in seinem Ahnherrn verehrte?« –

Um das Bild des fürchterlichen Gedims stehen noch viele andere Bilder seiner Nachfolger, alle Sultane und sehr groß, doch immer ein wenig kleiner, als Gedims Bild. Meines grämlichen Schwiegersohns Bild steht auch darunter und ist nach Gedim das größte, so klein er auch wirklich ist. Die Sultane müssen sich wohl gern groß abbilden lassen und die Wahrheit nicht sehr lieben. Hier in den Abbildungen sah ich sie doch wenigstens, wie ich mir sie einst auf dem Gebirge vorgestellt habe. Ueberhaupt vergrößern diese Menschen gern Alles, was sie thun, bilden und in Worten ausdrücken; sollte es wohl daher kommen, weil sie sich so klein fühlen und gerne größer, besser scheinen mögen, als sie sind? Was mich aber ganz besonders an diesen sultanischen Bildern wundert, ist, daß Jeder von ihnen ein reißendes Thier oder einen Raubvogel zum Gefährten hat. Mein trauriger Schwiegersohn hat einen ungeheuren Löwen zu seinen Füßen liegen, der grimmig um sich her sieht und den Rachen zum Verschlingen öffnet. Die Zähne sind sehr schön gebildet. Ich will ihn doch um die Ursache fragen, denn, wie ich ihn kenne, so bin ich überzeugt, er würde gleich vor Schrecken sterben, wenn er einen viel kleinern Löwen lebendig sähe. –

Meinen geschwätzigen Lehrer habe ich fortgeschickt, er lobte ohne Unterlaß den kleinen Sultan Puh, sprach immer von seinen großen Eigenschaften und ward mir unerträglich. Ich kann nun einmal nichts an ihm finden, das mir gefalle, und besitzet er keinen Zauber, so sind sie alle toll, daß sie sich so gar sehr vor ihm fürchten. –

Endlich habe ich einen Mann gefunden, der mir die dunkeln Räthsel lösen will; er heißt Ram. Wie ich merke, so kann ihn mein Schwiegersohn, der Sultan, nicht leiden, und er darf nicht mit den andern Bessergebornen am Hofe erscheinen, ihn anzugaffen. Gewiß denkt er wie ich, denn er lacht über seinen Zorn. Dieser Ram hat mich gewisse Worte gelehrt und mir durch ihre Anwendung ihren Sinn so gezeigt, daß ich Vieles dadurch unter den Menschen hier erklären kann, was mir bisher so dunkel schien. Die Worte sind: »Bedürfniß, Nutzen, Genuß, Betrug, Heuchelei, Wahn, Stolz, Hoffnung und Furcht.« Nach dem Sinne dieser Worte, die er mir durch Fälle zu erklären sucht, sehe ich den Grund von Vielem, was geschieht. Nach seiner Meinung ist es die Kraft dieser wenigen Worte allein, die Alles hier zusammen hält, und sie sind die Quellen des Guten und Bösen und alles Dessen, was die Menschen thun. Ich fragte ihn, woher diese Worte kämen? Wer sie erfunden hätte? Er antwortete mir: »Unsre Triebe, unser Herz.« Nun kenne ich in mir den Trieb des Hungers und des Durstes, den Trieb nach dem Weibe und, seit langer Zeit, den Trieb, Alles zu wissen, was die Menschen in den Städten wissen. Keinem davon kann ich widerstehen, keinen habe ich mir selbst gegeben, wie, wenn es nun mit diesen Trieben ebenso ist? Wenn sie nun ohne diese Triebe nicht verbunden in den Städten leben und bleiben können? Mein neuer Lehrer sagte mir: »So ist es allerdings. Da unsre Väter auf den Gebirgen in Unschuld lebten, so wußten sie von allem Diesem nichts, und kein grämlicher Puh saß ihnen auf den Nacken, weil sie keines Herrschers bedurften, um sie in Ordnung zu halten.« Das ist wohl wahr, antwortete ich, und ich, der ich so eben von diesem langweiligen Gebirge komme, weiß es gewiß am besten. Doch was können nun Diese dafür, daß ihre Urväter von den Gebirgen gestiegen sind und sich in den Städten niedergelassen haben. Ram antwortete mir mit einem widrigen, spöttischen Lächeln: »Fahre nur so fort, du bist auf gutem Wege.« Und als ich ihm etwas von der Drohung Gottes sagte, erwiederte er mir mit einer ganz äffischen Verzerrung des Gesichts: »Lieber, es wäre schon lange Zeit, daß er diesem Possenspiel ein Ende machte, und wenn es ihn nicht ergötzte, wäre es wohl schon längst geschehen. Vielleicht aber kümmert's ihn gar nicht.« Ich erschrak über seine kühnen Worte, er verließ mich kalt, und so Unrecht er auch hat, so liegen mir seine Worte doch noch immer schwer auf dem Herzen. –

Mein grämlicher Schwiegersohn muß ein Herz von eben dem Steine haben, aus dem sein Bild gehauen ist. Heute ging ich mit den Lästigen, die er mir zugesellt hat, nach dem Markte, wo ich eine Menge Volks versammelt fand. Als mich das Volk gewahr wurde, floh es ehrerbietig aus einander. Da sah ich nun meinen neuen Lehrer, der mir die bedeutenden Worte mitgetheilt hat, entkleidet vor der Bildsäule meines grämlichen Schwiegersohns stehen, und ein Mann peitschte ihn ganz schrecklich auf den nackten, zitternden Leib. Der meine schauderte, und das Herz schmerzte mich entsetzlich in meiner eignen Brust. Ich schrie dem Schlagenden zu, einzuhalten, aber er gehorchte mir nicht, und mein Führer sagte mir sehr erzürnt: »Rufe ihm zu, die Streiche zu verdoppeln, er hat Hochverrath begangen.« Auf meine Frage, was es sei, erfuhr ich, Ram habe den Sultan gelästert und laut gesagt, er entspringe nicht aus göttlichem Samen, sei ein Mensch wie andere, und Das, was man von den Göttersöhnen Aza und Azael erzählte, sei ein Märchen, erfunden, die Enocher zu unterjochen. Hätte meinem Leibe nicht so entsetzlich vor der Peitsche gegraut und mein Herz bei Rams Leiden so sehr geächzt, ich würde gewiß geschrieen haben: »Ram spricht wahr, Noah, mein Schwäher, hat zu meinem Verdrusse Recht, und der Sultan Puh ist, wie ich sehe, ein böser Narr. Wäre er göttlichen Ursprungs, wie ihr sprecht, er würde es nicht durch die Peitsche beweisen.« Doch ich schwieg und ging eilends weg, da ich doch dem guten Manne nicht helfen und sein Geschrei nicht ertragen konnte. Ergrimmt ging ich zu dem Sultan, hielt ihm vor, was ich gesehen hatte; er nannte mich einen unwissenden Thoren, wandte mir den Rücken zu und murmelte: »Wäre deine Tochter Milka nicht meine Gemahlin, ich würde dir ein Gleiches thun.« – Ich muß mich hüten, denn er ist wohl fähig, Wort zu halten, der grämliche Puh.

Khalife. Und mit Recht, Ben Hafi! Eine kleine Züchtigung thut diesem Mahal, wie ich merke, Noth und wird ihm bald mehr Aufschluß geben, als die Worte, die er von jenem Tollkopf gelernt hat. Was Tausende glauben, muß nicht Einer mustern und bezweifeln wollen, besonders, wenn es eines der Geheimnisse ist, die den Staat zusammen halten.

Ben Hafi. Ich erstaune, der Nachfolger des Propheten spricht der Abgötterei das Wort und vergißt, daß Mahal ein Gläubiger ist.

Khalife. Ferne sei die Sünde von meiner Seele! Aber sagt nicht Gott durch seinen Apostel: »Die Teufel, die bösen Geister sind es, die dem Menschen trügliche Gedanken und Reden einblasen, um sie zu verführen; gefiele es dem Herrn, sie würden es nicht vermögen. Darum fliehe sie, und Das, was sie fälschlich erträumen, höre nicht an. Laß Die daran glauben, die nicht auf die Zukunft hoffen. Mögen sie sich in ihren Erdichtungen gefallen und Das gewinnen, was ihr Gewinnst sein wird.« Und wiederum sagt Gott durch seinen Propheten: »Gott ist es, der euch erschaffen hat, Einer ist bestimmt, ein Ungläubiger zu sein, und ein Anderer ist bestimmt, ein Gläubiger zu sein. Er hat die Himmel und die Erde geschaffen in Wahrheit, hat euch gebildet und euch schöne Gestalten gegeben, und zu ihm müßt ihr wiederkehren.«

Alle. Preis sei Gott!

Ben Hafi (nach einer Pause). Herr der Gläubigen, du müßtest eine schlechte Meinung von dem Hofe des Sultans in Enoch haben, wenn du nur einen Augenblick glaubtest, ein Mann, der so verwegen denkt und spricht, und sei er auch der Sultanin Vater, könne sich lang' erhalten. Die Polizei war in Enoch viel zu wachsam, als daß der Sultan Mahals Verhältnis mit dem Gegeißelten und seine sonstigen lauten Aeußerungen nicht hätte erfahren sollen. Er selbst hatte ja einige von ihm gehört, und Mahals Fragen, womit er den Sultan täglich beehrte, waren viel zu naiv verwegen, als daß sie den zerrißnen Faden der Gunst, der eigentlich nie fest gesponnen war, wieder hätten ganz anknüpfen können. Auch das Oberhaupt der Schriftkundigen hielt es nun für seine Pflicht, dem Sultan zu berichten, was ihm der geschwätzige und nun beleidigte Lehrer Mahals hinterbracht hatte. Die Zunft der Schriftkundigen in Enoch hielt weislich und pflichtmäßig ebenso eifrig auf die Vorrechte des Sultans, als die Bessergebornen, und fand ihren Vortheil nebst ihrem Dasein so eng mit dem Vortheil und dem Dasein des Sultans verbunden, daß sie den ganzen Reichthum ihres Witzes und ihrer Beredtsamkeit anwandten, das Volk immer mehr von dem göttlichen Ursprunge des Sultans, als der Hauptquelle aller Macht, zu überzeugen. Darum waren die Staffeln des Rangs in Enoch so geordnet: Die Opfrer Gedims, die verstümmelten Richter, die Großen des Hofs nebst allen übrigen Bessergebornen und sultanischen Beamten, und dann die Schriftkundigen. Alles Uebrige hieß Pöbel und war nur da, für die Andern zu arbeiten, wie Mahal sagt. Ob sich nun gleich diese Klassen unter einander haßten, so kamen sie doch in Dem, was den Sultan betraf, einträchtig überein.

Der Sultan Puh machte seinem Schwiegervater eine saure Miene, seine Hofleute folgten dem Beispiel. Mahal, der es gewagt hatte, verwegen vor Gott zu stehen, fühlte Groll darüber und überließ sich ohne Schonung der kraftvollen Aeußerung seines natürlichen Unwillens. Auch glaubte er, es sei nun Zeit, seine hohe Sendung zu beweisen und Gott an den Betrügern zu rächen.

Der Sultan Puh begegnete ihm eines Abends sehr schnöde, und seine eigene Tochter Milka stimmte gegen ihn in den Ton ihres Gemahls ein. Den folgenden Morgen, an dem Tage des großen Festes Gedims, wollte er ihr Vorwürfe über ihr unkindliches Betragen machen und seine Strafpredigt über ihren Leichtsinn wiederholen. Bisher hatte er nichts damit gewonnen, als der Sultanin lästig zu werden, welches sie ihm auch ohne alle Verstellung sagte. Trotz der Vorstellung einer alten Wächterin, welcher die Aufsicht über das Betragen der Sultanin anvertraut war, drang er in ihr Schlafgemach und fand sie mit einem jungen Hofmann in einer Lage, wozu er nur seinen grämlichen Schwiegersohn berechtigt zu sein glaubte. Der junge Mann entfloh durch eine Seitenthüre, und der wüthende und beschämte Vater wollte nun eben anfangen, der Tochter ihr sträfliches Vergehen vorzuhalten, als ihm die Sultanin mit hoher Würde und kaltem Aerger entgegen rief: »Glaubst du, mein Vater, du wärst noch auf dem Gebirge unter deinen Heerden, und der Hof meines Gemahls wäre eine Höhle für Thiere, in die man ohne alle Achtung und Vorsicht eindringt?«

Mahal (entflammt). Ja wohl ist es eine Höhle für Thiere, für recht schändliche Thiere, und wie ich sehe, bist du selbst das unreinste der Heerde.

Sultanin (ganz kalt). Worin? Wodurch?

Mahal. Dieses fragt meine Tochter? Die Enkelin Seths? Sie, die noch vor Kurzem auf dem Gebirge lebte, wo Gott wohnt?

Sultanin. Da ich auf dem Gebirge lebte, lebte ich nach der Weise des Gebirges; nun ich am Hofe lebe und Sultanin geworden bin, lebe ich, wie man am Hofe, wie man als Sultanin leben muß. So lehrt mich Jedermann, ich bin meinen Lehrern folgsam und rathe dir ein Gleiches, sonst wär' es besser für mich und dich, du kehrtest zu dem strengen Noah, deinem Schwäher, und den Heerden zurück.

Mahal. Muß die Sultanin so leben, wie ich dich gefunden habe?

Sultanin. Warum nicht, wenn sie einen Mann zum Gemahl hat, wie ich einen habe? Will ich Sultanin bleiben und mich nicht gleich meinen Vorgängerinnen verstoßen lassen, so muß ich wohl selbst dafür sorgen, diesem Throne, wie sie sagen, Erben zu gebären. Umsonst will ich nicht gehört haben, daß der Sultan immer seinen Weibern den Fehler der Unfruchtbarkeit zum Vorwurf und Verbrechen macht. Ich weiß nun, was daran ist, und weiß, daß zu den großen Eigenschaften, welche die Söhne Gottes seinem Urvater als Erbschaft hinterließen und die er alle hat, wie man sagt, nur diese einzige nicht gehört, die mich zur Mutter machen könnte.

Mahal wollte reden, die Sultanin ließ ihn nicht zum Worte kommen und fuhr fort: Zürne dir, nicht mir! Bin ich Schuld daran, daß ich Sultanin in Enoch bin? Warum verließest du mit mir das Gebirge, wo, wie du sprichst, der Herr wohnt? Immer zanktest du dort mit Jedermann, schaltst auf Alles, und Alles ekelte dich an. Deinen Schwäher selbst nanntest du einen langweiligen Thoren, der, stolz auf sich, vor Gott einher ginge. Mißmuthig sagtest du mir oft, das Leben dort sei dir zur Last, du wolltest mit mir in die Thäler steigen, um die Menschen in den Städten, ihre gewaltigen Herrscher und Aller Thun und Wissen zu sehen und zu begreifen. Ich sagte nichts, aber mir lachte das Herz in dem Busen; denn längst hattest du mich mit deinem Ekel angesteckt und das Verlangen nach dem Neuen in mir rege gemacht. Du ruhtest mit mir in einer Höhle, an dem Fuße des Gebirges, Gewaltige nahmen mich dir, du folgtest nicht, und sie führten mich hierher. Herrlich schmückten mich die Freundlichen, und der Netteste der Opfernden stellte mich dem Sultan vor und sagte: »Weiser Sohn des gewaltigen Gedims, des Sohns Azas und Azaels! Hier ist eine reine Tochter des alten Gottes, schön wie deine Urmutter Naahmah, welche die Mächtigen des Himmels mit irdischem Feuer entflammte! Gedim sendet sie dir durch mich. Nimm sie zum Weibe, daß du blühende Söhne von ihr erhaltest und Enochs Volk unter Aza und Azaels Enkeln immer glücklich lebe!« Der Sultan nahm mich von seiner Hand, und die Freude im Reiche war groß. Der Sultan und sein ganzes Reich verehren mich, und mir gefällt die Verehrung. Sage nun, was du gesehen hast, Keiner wird dir glauben, und du wirst nur dir schaden.

Nach diesen Worten trat die Sultanin in das Seitenzimmer und ließ den Vater stehen. Ihr Vorwurf fiel ihm schwer auf das Herz. Beschämt stand er noch einige Augenblicke auf derselben Stelle, und schon wollte ihn sein Gewissen laut anklagen, als er plötzlich den Einfluß der wenigen Ausbildung empfand, die er erhalten hatte. Er entschuldigte sein Herabsteigen von dem Gebirge mit dem Durst nach Kenntniß und Wissenschaft, dem bestimmten Befehl Gottes, und ergrimmte nur noch heftiger gegen die Verderber, die seiner Tochter Milka Herz so schnell vergiftet hatten. Er warf sie alle dem Zorne des Herrn hin. Sein Unwillen gegen den Sultan fand neue Nahrung in dem verächtlichen Bilde, das Milka von ihm gemacht hatte, und ganz wagte er nun nicht mehr ihre Vorsicht zu tadeln, da ihre Furcht, verstoßen zu werden, so sehr gegründet war.

Der Trompeten- und Paukenschall, das Geschrei des jauchzenden Volks erweckten Mahal aus seinen Betrachtungen. Er verfügte sich zu dem Sultan. Bald zog der Monarch in dem Gefolge seines Hofs nach dem Markte, um vor Kains, Gedims und der übrigen Sultane Denkmälern zu opfern. Geschmückte Schafe und Rinder standen um die Säulen. Der Sultan stand vor Kains Denkstein, wo das Opfer beginnen mußte. Die Opfernden entblößten ihre Messer, und jeder derselben faßte ein Thier. Doch bevor der Aelteste das Zeichen gab, fiel er zuerst mit dem ganzen Volke vor dem Sultan nieder und hielt eine lange Rede an ihn. Nach dieser langen Rede war der kleine grämliche Puh der Inbegriff aller der großen Eigenschaften und erhabenen Vollkommenheiten, die seine Vorfahren insgesammt besessen hatten. Sultan Puh hörte die Rede mit seinem gewöhnlichen Ernste an, und Mahal ergrimmte über ein Ding, worüber ein Weiserer kaum gelächelt hätte. Der Redner verglich den Sultan einigemal mit seinem Ahnherrn Gedim, nannte ihn den göttlichen Sprossen des Geistersohns, und das Volk rief aus voller Kehle: »Er ist es! Er ist Gedims Sohn! Er ist Azas, Azaels Enkel!« Mahal hätte vermuthlich diese ihn empörende Scene ausgehalten, wenn ihn der Sultan nicht selbst zum Ausbruch seiner innern Wuth gereizt hätte. Er ward plötzlich gewahr, daß Mahal nicht mit den Uebrigen niedergefallen war, sondern gleich ihm gerade auf seinen Beinen stand. Sein possierlicher Ernst verwandelte sich in Verzerrung des Zorns; er schoß drohende Blicke nach Mahal aus seinen großen Augen. Mahals verschloßne Wuth entzündete sich nun wie eine dunkle Wolke an dem hinschießenden Blitze, und er schrie mit einem schrecklichen Gebrülle: »Herr, warum tödtete dein Pfeil den Brudermörder Kain nicht, bevor er den Grund zu dieser verfluchten, abgöttischen Stadt gelegt hat? Dein Zorn ist gerecht, vertilge sie alle, sie beten diesen grämlichen Wicht hier an und vergessen dich über das elendeste und lächerlichste deiner Geschöpfe!«

Nun erst ergriff ihn die Begeisterung, schon wollte er den Enochern von seiner Sendung reden und ihnen Gottes fürchterliche Drohung in die Ohren donnern, als man ihn umringte und gewaltsam davon führte.

Der Sultan erinnerte sich noch in dem Aufruhr seiner Seele der hohen Würde und faßte sich. Die Opfer an den Bildsäulen wurden nach der Reihe vollzogen, man hielt noch eine Rede an ihn, worauf er mit allem Ernst und Anstand nach seinem Palaste hinzog.

Lange vor seiner Ankunft hatte die Sultanin von dem tollen Eifer ihres Vaters Nachricht erhalten, und diese neue Begebenheit setzte die von dem Morgen bei ihr in ein noch, gehässigeres und gefährlicheres Licht. Sie fühlte sich nun gänzlich überzeugt, ihr roher Vater tauge nicht zum Hofleben und sei gar nicht gemacht, seine Verhältnisse zu fühlen und zu achten. In dieser Verlegenheit sandte sie nach ihrem Lehrer, dem Oberhaupt der Schriftkundigen, der keuchend zu ihr rannte. Sie theilte ihm ihren Kummer mit und sprach sehr ängstlich über die Gefahr, in welcher sie sich durch ihren Vater zu befinden glaubte. Der Lehrer antwortete: »Es sei gewiß sehr gefährlich für sie, wenn sie sich bei einem so schrecklichen, in Enoch unerhörten Verbrechen ihres Vaters gegen den Sultan annähme oder es nur wagte, ihn zu entschuldigen. Ihr Vater müßte nach dem Gesetze ohne alle Rettung sterben; doch vielleicht ließe der Sultan gegen ihn, als einen zu seiner Familie Gehörigen, Gnade für Recht ergehen. Darum rathe er ihr, sie sollte dem Sultan bei seiner Zurückkunft entgegen gehen, sich heftig über ihren Vater beklagen und ihm den Vorschlag thun, den blinden, tollen Eifrer zum Richter verstümmeln zu lassen. Dadurch würde sie den Zorn des Sultans ein wenig besänftigen, ihren Vater durch die erste Würde des Staats geehrt und glücklich machen und ihn für immer außer Stand setzen, Thorheiten zu begehen, die am Ende ihm und ihr höchst schädlich werden könnten. Du weißt, Sultanin, fügte er hinzu, daß unsre Richter die ruhigsten und stillsten Leute in Enoch sind.«

Diese Worte machten natürlich Eindruck auf das Herz und den Verstand der Sultanin und Tochter. Sie ging ihrem Gemahl entgegen, brach in Vorwürfe und Klagen gegen ihren tollen Vater aus, vergoß Thränen und theilte ihm, unter Seufzern und Schmeicheleien, das Rettungsmittel ihres Vaters mit. Der Sultan ward kühler, er fühlte, was er sich und seinem Hause schuldig sei, willigte ein und gab Befehl, es auszuführen. Damit er aber keine neue Thorheit begehen könnte, befreite er ihn von dem vorläufigen Studium der Gesetze und wollte, daß man die Einweihung Mahals den folgenden Tag vornehmen sollte.

Milka ließ ihren Vater vor sich bringen, hielt ihm mit vieler Bitterkeit sein unsinniges Betragen vor, erzählte ihm, wie sie ihn von dem unvermeidlichen Tod errettet hätte, und vertraute ihm dann das glücklich ersonnene, ehrenvolle Rettungsmittel. Mahal sagt hier, sein Herz sei in diesem Augenblick so vor Wuth geschwollen, daß er schon in die Haare seiner Tochter hätte greifen wollen, um sie nach väterlicher Art zu züchtigen. Aber auf ihr Geschrei seien ihre Weiber und ihre Lehrer hereingesprungen, hätten ihm seinen schwarzen Undank vorgeworfen und dann zu seiner hohen Ehrenstelle sehr ernsthaft Glück gewünscht. Weislich, setzt er hinzu, erinnerte ich mich nun eines der Worte, die, nach des gegeißelten Rams Meinung, die Gesellschaft fest zusammen halten sollen, aus denen, wie er sagt, alles Gute und Böse der Menschen entspringt und schwieg.

Sie entließen ihn, da er ruhig schien. Er aber wartete die Einweihung zu der hohen Ehrenstelle nicht ab, sondern schlich sich bei einbrechender Nacht aus dem Palaste, warf sich in einen Kahn, rief: »Herr, verdirb sie alle!« und trieb, wohin der Strom ihn zog.

Ben Hafi rollte seine Handschrift zusammen.

Khalife. Daran thut er wohl, die Verwünschung ausgenommen; denn die Rache ist Gottes, er bestimmt und weiß ihre Stunde! – Ob ich nun gleich nichts dagegen hätte, daß deine langweiligen und doch immer anziehenden Märchen zu Ende wären, so wünschte ich doch nicht, daß sie so endigen möchten. Erstlich opferte sich doch dein Mahal hier für den Ruhm Gottes auf, da er den Unsinnigen ihre Abgötterei verwies, und zweitens ist ein solcher Richter ein gar erbärmliches Ding, und ein Gläubiger wird dieses Schicksal keinem Hund anfluchen, sollte er ihn auch im Gebet anbellen. Aber ländlich, sittlich! Es steht in der Macht der Monarchen, das Bitterste zum Süßesten und das Süßeste zum Bittersten zu machen, wie dein Märchen beweist.

Ben Hafi. Auch soll es nicht mehr beweisen, Herr der Gläubigen.

Khalife. Friede sei darum mit dir und euch! Der Großvizir, der mit seinem Gewissen nicht so gut stand wie sein Herr, fand auch darum in Ben Hafis Märchen weit mehr, als sein Herr. Er ließ Ben Hafi zu sich rufen, sprach mit ihm in einem sehr gelinden, schmeichelnden Tone, den er bald mit versteckten Drohungen, bald mit glänzenden Aussichten unterstützte. Ben Hafi stellte sich, als verstände er seine Meinung nicht; der Großvizir ward rauher, und Ben Hafi antwortete ihm: »Herr, du verwaltest des Khalifen großes Reich so ziemlich nach deinem Sinne, ich erzähle meine Märchen nach dem meinen oder vielmehr dieser Handschrift, deren Echtheit ich beweisen kann. Ist es dir gelegen, so bin ich bereit, dir darzuthun, daß mein Recht auf diese sogenannten Märchen hier, wo nicht gegründeter, doch eben so gegründet ist, als das deine auf die Unterthanen des Khalifen.«

Der Großvizir stimmte seinen Ton herunter, erließ ihm den Beweis, und Ben Hafi fuhr mit äußerer Ehrfurcht fort: »Die Geschichten oder Märchen, die ich dem Herrn der Gläubigen erzähle, werden eben Das bewirken, was Wahrheit gewöhnlich bei den Großen wirkt. Warum? Dies wissen Die am besten, die von Jugend auf um sie sind. Meine Märchen können dem Khalifen höchstens dazu dienen, uns seine Belesenheit im Koran und seine Weisheit zu zeigen. Willst du aber, daß sie noch mehr bewirken sollen, so laß ihn nur deinen Unwillen und Verdacht gewahr werden; ich wette, er sieht dann eben Dies, was du, wie es scheint, nicht gern wolltest, daß er es sehen möchte.«

Großvizir. Aber wozu? Warum?

Ben Hafi. Wozu? Warum? Für das Erste, weil ich es für ein Verbrechen halte, die Wahrheit, welche diese Handschrift enthält, zu verstellen oder zu verbergen. Zweitens, weil es mir mehr Vergnügen macht, als der Besitz des Goldes mir machen könnte, dem Khalifen Wahrheiten zu sagen, die ihm Keiner sagt. Drittens, weil kein Genuß dem Genusse gleich kommt, seiner Laune ohne allen Zwang den Lauf zu lassen, und dies nenne ich mit und in dem Geiste schwelgen. Viertens, weil es doch möglich ist, daß es Einem oder dem Andern von den Zuhörern nützte. Dieses nun sind meine Gründe. Soll ich meine Märchen erzählen, so laß es mich nach meiner Weise thun und glaube mir, so mächtig du auch bist, so vermagst du doch nichts über das kleine, unsichtbare Ding, das in dem Umfange meines Kopfes sein Wesen treibt. Bist du ein so weiser Hofmann, als der Ruf dich ausschreit, so versuchst du's nicht einmal. Ich habe des Khalifen heiliges Wort, meine Märchen und dann meine Wanderungen bis an das Ende anzuhören; willst du ihn gegen den armen Ben Hafi meineidig machen, so thue es immer. Ich finde überall Zuhörer, und ich versichre dich, es ist für dich noch besser, daß der Khalife meine Märchen hört, als daß sie Bagdaner hören. Verlangst du es, so kann ich dir auch hiervon verschiedene Gründe vorlegen, denn ich zähle Gründe gar zu gerne an meinen Fingern her, während ich den Augen des Horchers folge.

Großvizir. Aber was gehen uns die Völker vor der Sündfluth und ihre Sultane an? Wozu uns dieser Unsinn, diese Laster, die du in deinen Märchen von den Verderbten aufstellst – und wahrscheinlich noch mehr aufstellen wirst – da sie der Herr mit allem diesem Unsinn und ihren Lastern nun einmal sammt und sonders ersäuft hat und ihnen heute kein Volk der Erde mehr gleicht?

Ben Hafi. Daß die heutigen Völker und Sultane und, was noch mehr ist, ihre Vizire den Sultanen, Viziren und Völkern vor der Sündfluth gar nicht gleichen, das weiß auch ich und behaupte es mit dir. Denn glichen sie ihnen, würde sie das Feuer des Rächers nicht längst verzehrt haben? Aber könnte ich wohl den allgemeinen Untergang der ganz Verderbten durch die Sündfluth oder die gerechte Rache Gottes nur mit einiger Wahrscheinlichkeit herbeiführen, wenn ich die Völker, die Sultane und ihre Vizire nach Denen malte, die nach der Sündfluth gelebt haben, heute leben? Würdest du mir glauben, die Großvizire vor der Sündfluth hätten verdient, mit den übrigen Verderbten ersäuft zu werden, wenn ich sie so darstellte, wie du dich uns darzustellen suchst? Die Wahrscheinlichkeit soll dir eigentlich meine Märchen zur Geschichte machen; und legst du ihnen einen andern Sinn bei, so thust du es selbst und magst um die Ursache dein Inneres fragen. Ich fühle es, meine Märchen werden den Khalifen und alle Sultane seines Geistes und Herzens verherrlichen, und daß der Geist und das Herz seines Großvizirs auch durch sie verherrlichet werde, dafür muß ja der Großvizir schon lange her gesorgt haben.

Der Großvizir vermerkte nun, daß mit diesem närrischen Weisen nichts zu machen sei, und da er ihn einmal brauchte, so entließ er ihn ganz freundlich; ärgerte sich aber sehr darüber, daß er ihn aufgeführt hatte, und daß er, der mächtigste Mann in Asien, sich der Laune eines herumschweifenden Menschen unterwerfen, gar jeden Abend ihm zuhören mußte, um den weisen Thoren nicht aus den Augen zu lassen. Ben Hafi fühlte es wohl und sagte in seinem Herzen: »Er soll mein Zuhörer bis an das Ende bleiben; diesen Lohn wenigstens nehme ich im Voraus!«


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