Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5.

Haroun verhüllte sich und begab sich mit einem seiner Getreuen auf die Straße. Seit dem Antritt seiner Regierung stellte er oft in den Stunden, da man ihn in dem Harem glaubte, solche nächtliche Wanderungen an, mischte sich unter das Volk, ging in die öffentlichen Häuser und lauschte, was man von ihm, den Großen, den Hofleuten und Richtern sprach. In den Karavanseries unterredete er sich mit den Reisenden, erkundigte sich nach den Statthaltern in den Provinzen, und vernahm er eine Verletzung der Gerechtigkeit, ein heimliches Verbrechen, so forderte er den Schuldigen vor seinen Thron und sah es gerne, daß die Sage ging, er habe Geister in seinem Dienste, die ihm Alles zutrügen, was in Bagdad und in seinen Staaten vorging. Für diesmal aber führte ihn ein anderer Bewegungsgrund auf die Straße. Er wollte mit eigenen Ohren hören, was das Volk von dem neuen Großvizir spräche und hoffte. Vor Giafars Palast traf er eine Menge Volks an, das nach den erleuchteten Fenstern blickte und in jedem Vorübergehenden, in Jedem, der sich nahte, den Barmeciden zu sehen glaubte. Haroun horchte aufmerksam auf die verschiedenen Unterredungen des rohen Haufens. Einige sprachen von des gerechten Jahiah Saffahs traurigem Ende und der Schlechtigkeit des letzten Khalifen. Andre erzählten mit starkem Gefühle die guten und großen Thaten der Barmeciden und behaupteten, Giafar würde sie alle übertreffen. Sie erinnerten ihre Zuhörer an seine Freigebigkeit, seine Herablassung, seine Traurigkeit über den Tod seines Vaters und die Regierung des bösen Hadi. Ein Derwisch schrie: »Es lebe der Khalife, er gab uns einen Barmeciden; sich zur Stütze, uns zum Schutze! Mag er nun gegen die Ungläubigen zu Felde ziehen, wenn er will, wir haben einen Vater! Beim Propheten, er hat uns durch seine Wahl zeigen wollen, daß er immer so regieren will, wie er angefangen hat. Ihr wißt ja alle, daß nur immer unsre schlechten Fürsten die Barmeciden verfolgt haben.« Es lebe der Khalife! schrie der Haufe; es leben die Barmeciden! das Echo. Haroun schlich in den Palast Giafars, eilte nach den dunkeln Gängen des Gartens, wo ihn Masul, der erste Diener des Großvizirs, nach seinem Befehle erwartete. Diesem Masul, der zu den erprobten Vertrauten gehörte, deren er eine kleine Anzahl sich gänzlich zugeeignet hatte, und die durch stilles, eingezogenes Leben, durch die unsichtbare Verbindung mit ihm den Augen der Hofleute verborgen blieben, hatte er den Auftrag gegeben, den Mann, mit dem er nun seine Macht theilen wollte, genau zu beobachten, ihm Nachricht von seinen Verhältnissen, seinem Thun und Reden zu geben. Diese Kundschafterei nannte der Khalife Klugheit, Vorsicht, und so mag es, nach der verfeinerten Hofsprache, dann auch heißen. Ihn hatte seine ehemalige, gefährliche Lage dazu gezwungen, und da ihm diese Art von Leuten sehr wichtige Dienste geleistet hatte, so glaubte er nun, er müsse aus Klugheit fortsetzen, was er aus Noth begonnen hatte. Diese kleine Schaar hatte er so weise in den Provinzen vertheilt, daß er vermöge ihrer und seiner nächtlichen Wanderungen leicht für den Beherrscher eines Geists gehalten werden konnte. Haroun schlich mit Masul in den Palast, stellte sich so hinter die dünne Wand eines Nebenzimmers, daß er Giafar und seine Verwandten sehen und hören konnte. Die Diener waren entfernt, es herrschte eine augenblickliche Stille, dann sprach Giafar:

Barmeciden! Brüder! der Wille Eines hat uns alle hier zerstreut, der Wille Eines hat uns alle nun wiederum versammelt. Der Wille dieses kann uns abermals zerstreuen, er kann noch mehr thun. Bereitet euch darauf, und geschieht es einst, so sei der Trost eines jeden von uns, er habe es nicht um ihn verdient. Was ich nun sage, meine Brüder, laßt euch alle zur Regel dienen: nicht um meinetwillen, nicht um euretwillen hat mich der Khalife zu diesem hohen Posten berufen. Ich kenne keinen andern Ruf, als Das zu vollenden, was mein Vater begonnen hat, sollte ich auch enden, wie er geendet hat. Was ich an Gütern und Gold besitze, gehört euer und den Dürftigen, weiter fordert nichts von mir. Keinen von euch werde ich zu erheben suchen. Man soll nie sagen, ich füllte die wichtigen Posten mit meinen Verwandten, um den meinen fester zu gründen, meines Einflusses sichrer zu sein. Ihr alle gewinnt dadurch, denn ich entziehe euch dadurch dem Neid und Hasse und stelle mich der Gefahr, die der Größe auf dem Fuße folgt, allein aus. Nur durch eure Tugend zeigt, daß wir von den Blute der Könige des Landes stammen, nie stieße es über eure Lippen; denn der Herrscher dieses Landes mochte uns das Zufällige leicht zum Verbrechen oder Spott machen. Seid bescheiden und demüthig. Eure Bescheidenheit und Demuth nehme mit dem Glücke zu, das mir nun zu lächeln scheint. An den Verwandten und Hausgenossen der Großen erkennt man, was sie sind; so laßt mich nun in euch erscheinen, wie ihr mich immer sehen werdet. Ein Wort verbinde uns alle: das Haus der Barmeciden kann fallen, aber nie sein Ruhm, den es nur in der Gerechtigkeit und Tugend sucht.

Seine Verwandten nahten ihm gerührt, bezeugten ihm ihre gänzliche Ergebenheit, ihren eifrigsten Willen, seinem Winke durchaus zu folgen. Hierauf erzählte jeder sein Schicksal von dem Augenblick ihrer Zerstreuung, und jeder hatte die Prüfung mit Geduld und Muth ertragen. Nur Giafar erröthete, da er seine Geschichte erzählen sollte. »Brüder, ich, den nun das Glück vor euch allen emporgehoben, habe allein in Unthätigkeit, in mürrischer Unzufriedenheit gelebt. Ein Zufall zog mich heraus, führte mich dahin, wo ich nun für euch alle die Prüfung bestehen soll. Ich habe nichts gethan, diese Unterscheidung zu verdienen, und glaube, der Khalife will nur des Vaters Tugend in dem Sohne belohnen. Laßt uns streben, daß er es nicht bereue.«

Haroun entfernte sich, da er das Geräusch des Aufbruchs hörte. »Ein sonderbarer Mensch,« sagte er bei sich. »Ich wünsche mir Glück zu ihm; aber ihn so gerade aufs Wort zu nehmen, dies kann, dies darf ich nicht. In seinen Worten, seinen Geberden liegt ein Zauber, der selbst mein Herz ihm unterwirft, um so wacher muß darum der Geist auf seine Herrschaft sein. Mir, meiner Gerechtigkeit, meiner Tugend scheint er nicht ganz zutrauen, gleichwohl hab' ich der Proben viel gegeben, und ich sollte der seinen trauen, die er durch Proben noch nicht erwiesen hat?«

So beschönigte der Herrscher eine dunkele, eifersüchtige Empfindung, deren sich der edle Mann noch schämte. Zwei Seelen hat der Mann, der auf einem Throne sitzt, eine des Herrschers, eine des Menschen; welche von beiden die untergeordnete ist, erzählt uns die Geschichte.


 << zurück weiter >>