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2.

Für Giafar war der Eindruck, den das grausame Ende seines Vaters auf ihn machte, von schrecklichen Folgen. Längst war er düster und ernst, denn früh hatten Nachdenken und Betrachtungen über das Leiden der Menschen unter dem Tyrannen und seinen gebietenden Sklaven Furchen in seine jugendliche Stirne gegraben, seine Augenbraunen heruntergedrückt und dicke Falten zwischen dieselben gezogen. Das seltene Lächeln um seinen Mund glich eher einer schmerzlichen Zuckung als dem Ausdruck des Gefallens. Nun erst überließ er sich seinem Hange, traurige Gedanken zu verfolgen, über widrigen Empfindungen zu brüten, ohne den geringsten Gegenkampf: er fühlte ihn gerechtfertigt und hielt dafür, Schmerz sei das einzige Gefühl, welches einem über diese Welt nachdenkenden Wesen zukomme. Um sich indessen dem Khalifen nicht verdächtig zu machen, blieb er noch einige Zeit in der Hauptstadt, erschien öffentlich und ließ sein Herz durch die Geißel der Tyrannei, die beständig um ihn her zischte, so lange zerfleischen, bis sein Verstand durch das peinliche Leiden so verwirrt und verdunkelt ward, daß er sich vor den Schreckbildern, die seine verwilderte Phantasie zusammensetzte, nicht mehr zu retten wußte. Zweifel, Groll und Wuth hatten seine Seele gefaßt, wie blutgierige Hunde das erjagte Wild, und bald schien ihm das Loos der Menschen das scheußlichste, welches nur immer eine feindliche Hand im Grimm über sie werfen konnte. Endlich wagte er sich laut zu gestehen, was er so tief in seinem gepeinigten Innern empfand:

»Die Hand der Gottheit gleiche der Hand des tyrannischen Khalifen, die nur die Gerechten zerschlüge und der Bösen schonte. Der Mensch sei geschaffen, beiden zum Spiel zu dienen, und es sei auf dem ganzen Erdenrunde nicht mehr Ordnung und moralischer Zusammenhang, als an dem Hofe des Khalifen. Alles, was wir von edlem Ursprunge, hoher Bestimmung, angeborenen Rechten auf Glück und Wohl träumten, sei ein Netz, das unsre Verfolger gesponnen hätten, uns leichter und ohne Gefahr für sie zu verstricken.«

So sah er bald das ganze Menschengeschlecht an die einzige, ungeheure Kette der Nothwendigkeit gefesselt, an welcher Jeder von uns bei dem ersten Besinnen sein Dasein zerschlagen würde, wenn jenes Wesen, das uns daran geschmiedet, nicht das erste Glied derselben an die Furcht vor dem Tod in den Abgrund, und das letzte, in die glänzende Ferne, an die betrügerische Hoffnung geknüpft und geschmiedet hätte. Sein Geist empörte sich gegen diesen Zwang und sprang von diesem erdrückenden Gedanken zu einem noch gefährlichern über, nämlich:

»Nur die Fabeln der Indier, die gleichwohl von tiefdenkenden Köpfen herrührten, lösten diesen verschlungenen Knoten. Armozd, der Geist und Schöpfer der Welt, hätte entweder aus Unvermögen oder Unwillen gegen die Menschen (den sie doch als sein eignes Werk nicht verdienten), ihr Schicksal dem Ahermen oder Geist und Schöpfer des Bösen überlassen, der auch seine Tücke besonders durch seine Gesellen, die Khalifen, Shahe, Pashahe und Vizire, auf das grausamste an ihnen ausübte. Und da er keinen der Guten gegen die Bösen schützte oder schützen wollte, so schien es, daß dieser böse Geist sein Wesen auf der Welt als unumschränkter Herr triebe und immer treiben würde.«

So sah nun Giafar die Welt als ein ungeheures, von Blut triefendes, von Brüllen und Gestöhn' erschallendes Schlachthaus an, in welchem ein unersättlicher Dämon herumwüthet und würget, vor dem ein noch gefährlicherer und schrecklicherer Geist einherschwebt, der mit süßen Träumen, täuschenden Gaukeleien die unschuldigen Opferthiere auf die lachende beblümte Wiese des Lebens lockt, damit sie sich da, als künftige Beute des Würgers, mästen, um nur reifer und empfindlicher gegen die nahe Qual zu werden. Nur Geschrei des Jammers tönte in seinen Ohren, nur Dampf der Vernichtung stieg in seine Nase, nur zerrissene Fäden aller moralischen Verbindung und Harmonie schwebten vor seinem düstren Geiste; er verlor das Ganze aus den Augen und saugte gierig aus jedem einzelnen Umstand alle das Gift, das er mit sich führte, oder das ihm sein eigner, schwarzer Groll beilegte. Sein edles, krankes Herz, das an dem Leiden der Geplagten den heißesten Antheil nahm, machte seinen Zustand noch grausamer, und oft entbrannte seine Wuth, daß er sich aufmachen wollte, mit den Unterdrückern der Menschen zu kämpfen, um lieber sein peinvolles Leben im edeln Kampfe für ihr Bestes auszubluten. Das schaudervolle Ende seines Vaters dämpfte die Gluth der Rache: er hatte den Mann fallen sehen, den Asien vergötterte und dessen gewaltsamer Tod selbst auf Die, für welche er sich geopfert hatte, nicht mehr Eindruck zu machen schien, als der Fall eines Sperlings. Sein Nachfolger, der jeden Tag mit Grausamkeiten und neuen Thorheiten bezeichnete, war eben dadurch der Liebling des Khalifen geworden, und am Hofe fand man bald, daß ein Mann, der, weil er leben wollte, leben ließ, sich viel besser zum Vizir schicke, als ein strenger, karger Barmecide, der es immer nur mit dem Volke halten wollte. Ja, selbst dieses Volk ward von dem Glanze, den prächtigen Thorheiten des neuen Vizirs und seinen unsinnigen Anschlägen und Thaten zu Vergrößerungen verblendet und vergaß, daß es das Opfer davon war.

Giafar rief: »Es ist eine sinn- und zwecklose Menge, ihrer dunkeln Bestimmung werth, die man ihrem Schicksal überlassen muß. Keiner kann so weit ihr Meister werden, um sie zu ihrem Besten zu lenken; sie bewaffnet die Hand, die sie zertrümmert, und betet den Götzen an, der sie verschlingt. Ich will sie fliehen, über ihr und mein Schicksal weinen, bis Finsterniß mich umschließt und die Verwesung die Fasern aussaugt, die nur zu meiner Qual fühlend sind.«

Und da er obendrein in jedem stolzen Sklaven des Khalifen einen Henker zu erblicken glaubte, der nur auf den Befehl lauerte, ihm, wie seinem Vater, einen Strick um den Hals zu ziehen, so schlich er sich mit seiner Familie, den geretteten Schätzen und der Sammlung von Büchern seines Vaters aus der Residenz des Khalifen. Alle Barmeciden, seine Verwandten, folgten seinem Beispiel.

So bilden sich unsre Begriffe über Gott, die Welt und die Menschen, die moralischen und physischen Erscheinungen nach unsern ersten Erfahrungen, der Stimmung unsrer Seele, der Macht unsrer Vernunft über unsre Leidenschaften, und vorzüglich, nach der Kraft unsers Herzens, der Quelle des moralischen Sinns. Daher kommt es, daß ein Theil der Menschen diese unübersehbare Masse, wo man nur Erscheinungen sieht, deren Ursache und Zweck unbegreiflich sind, mit Ungeheuern anfüllt, während sie der glücklichere oder weisere Theil mit einem freudigen Glanze umzieht. Keiner kann dem Gefühle, das aus den ersten Eindrücken fließt, ganz entfliehen, und auch der hellste und kälteste Kopf nimmt einen Anstrich von ihnen an, den er nie ganz verbergen kann.


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