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Zwölfter Abend.

Ben Haft erschien auf den Glockenschlag und begann:

Ach, Herr der Gläubigen, ich könnte dir ein ganzes Mondenjahr von dem Glücke meiner Kindheit erzählen und vor Freude weinen und lachen und wieder weinen; denn nie ist wohl einem menschlichen Wesen eine seligere Jugend zu Theil geworden, als mir, und wäre ich beim Eintritt in das männliche Alter gestorben, so hätte ich den süßesten Traum von diesem Erdenleben geträumt. Liebe, Unschuld, Vertrauen! selige, blühende Gefährten der Jugend, was ersetzt euch uns?

Das Schicksal gab mir die munterste, beste, gesundeste Mutter, den weisesten, edelsten Vater, die Alles thaten, den kleinen Hafi so weise, glücklich und munter zu machen, als sie selbst waren, sie, die, um dieses recht zu können, mit ihm selbst zu Kindern wurden, es gar so einrichteten, daß der Aufwachsende mit ihnen immer ein Kind verblieb, weil sie ein so großes Vergnügen darin fanden, es immer fort zu verbleiben.

Der Vater lehrte mich den Fischfang und den Feldbau und das Uebrige nur darum, damit ich früh einsehen möchte, daß, den Acker zu bauen und Fische zu fangen, weit glücklicher, als gewisse andere Fischereien und Brauereien machten. Die Mutter lehrte mich ihre Lieder und ihre schönen Märchen.

Als ich aufgewachsen war, erzählte mir der Vater auf jenem Felsen die Geschichte, mit welcher ich dich unterhalten habe, und erwies mir, was du, Herr, nach deiner Aeußerung darin gefunden hast, ohne es uns zu sagen. Dadurch ward ich so unbesorgt um alle meine Handlungen und Worte, folgte dem Triebe meines Herzens so unbekümmert um die Folgen derselben, als wenn es damit genug wäre, wenn mein Herz mir sagte: das Ding, das ich thäte, und das Wort, das ich spräche, sei gut und wahr.

Von diesem Augenblicke an nistete sich in meinem Herzen jener schöne Dämon ein, der uns für die verstattete Herberge so herrlich belohnt und dessen Belohnung darum die allersicherste und allerzuverlässigste ist, weil sie den Augen der Menschen unsichtbar, ganz unabhängig von ihnen genossen werden kann. Diesem Gaste ließ ich so freies Spiel, daß er bald aufhörte, bloß Gast zu sein, und wirklicher Besitzer und Eigenthümer des armen, durch ihn so reichen Hast ward. Und daher kommt es nun, Beherrscher der Kinder des Apostels, daß ich deinem und allen Großviziren so sehr mißfalle, aber, dir zu Gefallen, das schöne Glück erworben habe.

Khalife. Darauf kannst du rechnen, Ben Hafi, doch wie nennst du diesen Gast?

Ben Hafi. Ach, Herr, es ist eben Der, den mein Vater einst mißkannte, den er nach schwerer Prüfung erst recht kennen lernte – der Enthusiasmus für alles Gute und Wahre, die Begeisterung von allem Schönen und Edeln, der heftigste Haß und Widerwillen gegen alles Böse, Schlechte und Niederträchtige, alle Menschenverächter, Menschenschinder und Menschenunterdrücker, Die nicht ausgenommen, welche auf ihrer Haut die Trommel schlagen und sich dessen rühmen.

Auch begreife ich wahrlich nicht, besonders wenn ich deinen Großvizir anblicke, wie man mich, der ich doch eine lange Zeit auf dieser Erde hin und her gelaufen bin und, wohl zu merken, meinem Gaste nicht untreu ward, so lange auf dieser Erde hat laufen lassen, bis mir das seltenste Glück zu Theil ward, bei dir, der du selbst diesen Gast in deinem Busen trägst und meinen und deinen Gast gegen seine grimmigen Verfolger vertheidigest, Schutz zu finden.

Dafür danke ich dir nun und hoffe unter deinen Flügeln des schönen Dämons, an Gestalt ein frischer, kühner, ewigblühender Jüngling, recht zu pflegen und so selig zu werden, als es die von ihm Begeisterten gewöhnlich sind, wenn sie freien Spielraum haben.

Der Khalife lächelte ihm freundlich zu, und er fuhr fort:

Es ist nun Zeit, daß ich mich dir male, und da ich dies nicht anders, als durch meine Wanderungen kann, wobei ich aber mehr sah, als that, so muß ich dir voraus erzählen, durch welche Veranlassung ich das glückliche, väterliche Haus verlassen habe.

Eines Tags ging ich mit dem Vater auf den Markt. Da stand ein junger Mann von so trauriger und doch so harmloser, feiner, guter Miene, daß mein Vater beim ersten Blick aufmerksam auf ihn ward.

Er zeigte mir den jungen Mann. Ich sah nach ihm, und in eben dem Augenblicke sah er auch auf mich. Sein Blick aber drang aus einem so feurigen, dabei so milden und freundlichen Auge, daß der Dämon in meiner Brust plötzlich lebendig ward, mein Herz durchglühte und in den Augen des traurigen Fremdlings zu lesen schien: auch in seiner Brust wohne ein ihm verwandter Dämon.

Mein Vater bemerkte unsre Blicke auf das Zucken des Dämons meiner Brust. Er trat mit mir zu dem Fremdling und bot ihm, wie Leute, die sich lange kennen, das Gastrecht an. Er nahm es an, als ein Freund, der erwartet ist.

Die Mutter wusch ihm die Füße, der Tisch ward gedeckt, eine Kammer für ihn zugerichtet, und wir fragten ihn weiter nicht, denn wir waren ja durch den schönen Dämon mit ihm verwandt, der uns beim ersten Blick und Gruß so freundlich und vertraulich umschloß. Ei selbst redete nicht viel, aber seine Aufmerksamkeit und die Blicke auf Das, was wir thaten und sagten, zeigte, daß er den Sinn unsers Handelns und Redens recht gut verstand und, so traurig er auch übrigens schien, recht sehr damit zufrieden war.

Dieser Fremdling, Herr, lebte lange in unserm Hause und vermehrte um eines die Zahl der Kinder, die es bewohnten, und von welchen, wie du dich zu erinnern belieben wirst, Vater und Mutter sich nicht ausschlossen; ja, selbst der Großvater nicht, so lange er lebte.

Da ereignete es sich nun eines Abends, daß die Mutter von dem ersten Eindrucke sprach, den mein Vater auf sie gemacht, als er mit Naser in das Haus gekommen, und der Vater erzählte ihm viel aus seiner Geschichte, bis zu seiner Verheirathung, ohne doch von seinem Verhältnisse mit dem Geiste zu reden.

Der Fremdling horchte sehr gerührt zu. Endlich öffnete er die Lippen und sprach:

»Ihr verzeiht mir wohl mein bisheriges Schweigen; doch länger kann ich es nicht halten. Bisher trennt mich ein Schatten von euch, und der Mensch, der uns ganz lieb werden soll, muß uns gleichwohl deutlich sein. Wir müssen wissen, wo und wie er entstanden, wie und durch welche Verhältnisse er gegangen ist, wie er sich durch sie gebildet hat, sonst liegt immer eine weite, kalte Kluft zwischen seinem vorigen und jetzigen Dasein, die wir nicht ausfüllen, und darum ihn uns nie ganz zueignen können. Ich will nun alle diese Hindernisse wegräumen, Kluft und Schatten.

»Traurig ist freilich, was ich euch von mir zu erzählen habe; aber unter so guten Menschen, wie ihr seid, verliert selbst das Traurige seine düstre Farbe und nimmt den sanften Schimmer der Herzen an, denen man es anvertraut. Was ich verloren habe, kann ich zwar nie wieder finden, doch ihr knüpfet mich abermals an das Leben und zeiget mir in eben der Quelle Ersatz, aus welcher all mein Unglück entsprang.

»Eure glückliche Einfalt, eure ungeschminkte Liebe zu einander, eure herzliche Vertraulichkeit, erinnerten mich oft an meine glückliche Jugend, die ich in einem Stande und in einem Hause verlebte, wo man Glück dieser Art so selten genießt, wo man es kaum ahnet. Ich bin in dem Glanze des Palastes geboren, und meinem Vater fiel das schwere Loos, Menschen zu beherrschen.

»Ich wuchs unter Schmeicheleien, Liebkosungen, Vergötterung auf, wie Alle meines Standes, und gewiß würde ich durch sie geworden sein, was die Meisten meines Standes dadurch werden, wenn nicht ein gewisses Gefühl, so selten in dieser Lage, dieses gefährliche Gift für mich unschädlich gemacht hätte.

»Ich hatte einen altern Bruder – nie hatte die Natur einen Sterblichen aus milderm Thone gebildet, nie einem ein reineres, liebenderes, unschuldigeres Herz gegeben, und dieser Bruder liebte mich, wie nie ein Bruder geliebt hat, und ich liebte diesen Bruder, wie nie ein Jüngling geliebt hat. Unser Leben war ein Gedanke, ein Geist, eine Beschäftigung. Wie die durch die Liebe allein getrauten Turteltauben, flogen wir sorglos und unbekümmert über die blühende Wiese des jugendlichen Lebens hin und sahen und ahneten keinen andern Zweck des Lebens, als das Glück, das wir jetzt empfanden. Ach, daß diese Zeit nicht dauern kann, daß das zu schnelle Reifen zum Manne diese Blüthe des Lebens vertrocknet und aus ihren lieblichen Knospen oft eine so bittre Frucht hervortreibt! Noch ahneten wir nichts davon. Wir standen auf diesem entscheidenden Punkte des Lebens, ohne daran zu denken. Meines Bruders Leidenschaft war, Märchen zu hören, die meinige, Märchen zu erzählen. Wir sollten bald aus diesem süßen Wahne erwachen, und die schön gefärbten Fäden der Phantasie sollten plötzlich von unsern Herzen abgelöst werden.«

Der Khalife hörte mit der äußersten Aufmerksamkeit und mit einer beklommenen Theilnahme zu. Als Ben Hafi von den Märchen sprach und seine letzten Worte endigte, färbten sich des Khalifen Wangen mit einem sanften Roth, und ein Seufzer schwellte leise seine Lippen.

Ben Hafi fuhr fort:

»Unser Vater, ein weiser Mann, der anfangs unsre jugendliche Verbindung wie jedes kindische Verhältniß ansah, bemerkte nun erst, daß meinen Bruder und mich ein ganz eigner Geist der Liebe vereinigt hatte. Von diesem Augenblicke betrachtete er unsre Vertraulichkeit als Regent und fürchtete, der jüngere Bruder möchte durch sie an dem nöthigen Gehorsam und der Achtung verlieren, die er einst seinem künftigen Herrn zu leisten schuldig sein würde, und sah von nun an dieses Verhältnis; für Beide als höchst gefährlich an.«

Khalife. Ben Hafi – doch fahre nur fort – nur geschwinde fort!

Ben Hafi. »Dieses sagte uns der Vater mit ernster Miene und befahl mir, dem Jüngern, meinem Herrn von nun an mit Ehrfurcht zu begegnen und mich zu dem Gehorsam zu gewöhnen, den ich ihm einst, zum Beispiel aller Andern, vorzüglich zeigen müßte. Bedenkt, setzte er hinzu, daß die Sicherheit des Throns, des Reichs, oft die Nächsten unsers Bluts als Opfer fordern muß, wenn wir nicht frühe weise sind; bedenkt, daß dieses schreckliche Opfer durch unsre Schuld zur Nothwendigkeit werden kann.

»Wir Beide standen vor ihm stumm und leblos, und Keiner von uns fühlte den Schlag seines Herzens.

»Der Vater verließ uns, nachdem er uns unser künftiges Betragen sehr streng und drohend anempfohlen hatte.

»Ich sah meinen Bruder an – aus seinen Augen drangen zuerst die Thränen.«

Sie stürzten aus den Augen des Khalifen.

Ben Hafi fuhr fort:

»Ich fiel um seinen Hals und schluchzte: Sei mein Herr, mein strenger, gefürchteter Herr, so strenge, als es unser Vater ist – nur liebe mich!

»Mein Bruder antwortete:

»Sei du mein Herr und bleibe mein Bruder!

»Wir verloren uns in unsern Klagen, in unserer Zärtlichkeit, bis die Worte meines Vaters, denen das Lesen der Geschichte Nachdruck gab, in meine Seele zurückkehrten. Ich wiederholte sie meinem Bruder und sagte:

»Die Erfahrung und die Weisheit unsers Vaters geben seinen Worten ein schweres Gewicht; denn so wenig ich auch an deiner Liebe zweifle, so können doch die bösen Leute, vor denen uns der Vater so oft warnt, wenn du einst herrschest, durch ihre Kunstgriffe zwischen zwei Unschuldigen und Unerfahrenen, wie wir Beide sind, leicht Zwietracht stiften, diese Zwietracht durch Argwohn immer gefährlicher und mich endlich zum Unglücklichsten der Erde machen. Erinnerst du dich der Lehre, womit unser Vater gewöhnlich seine Vermahnungen schließt? Sagt er nicht: daß die Hofleute an den Regenten nichts ärger haßten, als ihre Tugenden, nichts mehr liebten, als ihre Gebrechen und Laster, und daß der Kampf mit ihnen der gefährlichste von allen wäre, die ein Regent zu bestehen hätte?

»Mein milder Bruder erglühte über meine Rede, strafte mich mit zärtlichen Verweisen und drückte unter seinen Verweisen Küsse auf meine Lippen. Seine Thränen netzten meine Augen unter seinem Schmollen – er verwünschte wegen meines Verdachts sein Loos, der Erstgeborene zu sein, und wünschte mir den Thron, um mir zeigen zu können, wie er mir mehr traute, als ich ihm, und folglich mich mehr liebte.

»Der Eindruck, den die Worte unsers Vaters auf mich gemacht hatten, die Erinnerung ähnlicher Fälle aus der Geschichte, verloschen nicht aus meiner Seele. Mein Bruder, um mich von meiner Schwermuth zu heilen, sagte:

»Das Schicksal will, daß ich herrschen und daß du glücklicher, als ich, sein sollst. Doch höre, laß uns jetzt ein unverletzliches Bündniß machen und es durch ein unauslöschliches Zeichen versiegeln.

»Nach diesem Worte führte er mich eilend in unsre Zimmer, nahm unvertilgbare Farbe, rieb die Stelle über meinem Puls der Hand und drückte das Siegel mit seinem Namenzug, an seinem Herzen erwärmt, auf die Stelle, wo, wie er sagte, das Leben schlägt. Meinen Namenzug mußte ich eben so auf seinen Puls ausdrücken.

»Nun sprach er: bei dem geringsten Argwohn, der kleinsten Mißhelligkeit, zeige mir Dies, und eher müßte der Thron unsers Vaters unter mir zerfallen, als daß, nach diesem Anblick, noch einen Zeigerschlag Argwohn oder Mißtrauen zwischen uns herrschen sollte.

»Aber man trennte von nun an unsre Erziehung – ihm gab man andere Lehrer, andere Führer – und diese Lehrer und diese Führer sollten ihn bloß zum Fürsten bilden.

»Mein Vater starb, mein Bruder bestieg den Thron« –

Hier schwieg unser Gastfreund einen Augenblick – die Thränen träufelten über seine Wangen – dann fuhr er fort:

»Ich klage ihn nicht an, auch beklage ich mich nicht darüber, daß ich als ein herumwandelnder Bettler auf der Erde irren und meinen Namen verbergen muß! daß ich ihn nicht mehr lieben darf, ihn unter seinen Verführern traurig und unglücklich denken muß, daß die Güte seines Herzens, sein schöner Verstand von den Elenden mißbraucht und verworren wird« –

Der taube Masul sprang plötzlich auf und rief schreiend und tief gerührt:

»Mann, du sprichst von Abdallah, dem Bruder meines Herrn; nichts anders könnte ihn so erschüttern, wie ich ihn jetzt erschüttert sehe!«

Der Khalife stammelte:

»Ja, von ihm – er ist's – der Fremdling« –

Er neigte sein Haupt auf die Schulter Masuls und weinte.

Ben Hafi trat hinter den Vorhang des Seitengemachs, und als er wieder hervor kam, rief er:

»Bruder!«

Der Khalife bebend:

»Ich höre meines Abdallahs Stimme!«

Er schlug die Augen auf und sah in Ben Hafi seinen Bruder.

Dieser hatte sein Oberkleid abgeworfen und erschien in der Farbe des Gewands, in welchem ihn der Khalife zum letzten Mal gesehen hatte. Sein grauer Bart war nun schwarz, und die Farbe, welche seine Gesichtszüge verbarg, verschwunden.

In frohem, starrem Erstaunen saß der Khalife noch einen Augenblick auf dem Sopha, sich fest an Masul haltend. Dann drangen die Freudenthränen aus seinen Augen, er konnte die Arme ausstrecken, den Geliebten umfassen, und seine Zunge konnte sich lösen:

»Abdallah! mein Freund! mein Bruder! meine wiedergefundene Glückseligkeit, Starke, Kraft und Weisheit!«

Masul lag zu ihren Füßen und umschloß ihre Kniee. Der Khalife stammelte unter Schluchzen: »Weine doch, Masul, und sei glücklich! Du siehst ja, daß ich nicht weinen, noch nicht glücklich sein kann!«

»Ach, Abdallah, vergibst du mir?«

Abdallah. Vergibst du mir, daß ich entfloh, nicht vor dich drang und dir dieses Zeichen vorhielt?

Der Khalife küßte die Stelle des entblößten Arms Abdallahs. »Ach, Bruder, du durftest es nicht wagen, und ein Glück ist es, daß du es damals nicht gewagt hast, denn dieser Verworfene, Bebende hier – (auf den Vizir deutend) – Nein, der Verworfene und Strafbare bin ich – aber ich habe dafür gebüßt – Wollte Gott, ich hätte nur allein gebüßt – dann hätte mir mein Abdallah leichter vergeben können – Er hätte mir vergeben müssen!«

Abdallah. Bruder, du hast mich noch nicht umarmt.

Khalife. Dieser Augenblick! und der Augenblick der Auferstehung an jenem großen, fürchterlichen Tage! –

O mein Bruder! mein Bruder! wie konntest du so lange um mich sein, ohne dich mir zu entdecken – wie mein Glück so lange aufsparen!

Abdallah  Das Gerücht von dir lautete, durch die Sorge dieses Mannes und seines Gleichen, so übel, und ich fand dieses Gerücht durch meine Wanderungen in deinem Reiche so bestätigt, daß ich dich erst unter dieser Verhüllung sehen und beobachten mußte, ehe ich mich dir entdecken konnte.

Ich erkannte dich beim ersten Blick, ich fühlte deine Unschuld, deine grenzenlose Güte, deinen gesunden Verstand, ich fand den Jüngling in dem Manne wieder, und mein Herz sprach das deinige von dem Bösen frei, das ich in deinem Namen begehen sah.

Khalife. Um meine Schwäche anzuklagen! – O, mit dir verschwanden mein Muth und meine Stärke – dieses wußten Diejenigen wohl, die uns von einander rissen. Das Gewissen, so gegen dich gehandelt zu haben, machte mich schwach, furchtsam und feige – dieses wollten sie. Aber nun bist du mir wiedergekehrt und mit dir meine Stärke, die Kraft meines Willens. – Was mußt du indessen gelitten haben – Dies alles wirst du mir erzählen – und ich will bei jedem deiner Unfälle weinen, mich anklagen, dich um Vergebung bitten, sie erhalten und wieder erbitten.

Abdallah. Beruhige dich über Das, was ich gelitten habe. Ganz unglücklich konnte dein Bruder nie werden. Erinnere dich des Dämons! – Das Schicksal wollte, ich sollte wandern, um Erfahrung zu deinem Dienste zu sammeln. Vielleicht habe ich dir es durch meine Erzählungen bewiesen, daß ich auf das menschliche Leben und Wesen aufmerksam gewesen bin. Meine Wanderungen erzähle ich dir allein, zum Theil hast du sie schon vernommen.

Khalife. Was soll ich mit diesem Menschen hier anfangen, der mein Herz so lange mit Argwohn gegen dich vergiftete und dann –

Abdallah. Er liegt zu deinen Füßen! Ein Mann, der einen Wahlspruch führt, wie er, und der sich bei solchen Trommelschlägen einst gefiel, ist das unglücklichste Wesen der Erde, wenn er jenen nicht mehr ausüben und dieses nicht mehr wagen darf.

Großvizir. Prinz Abdallah, gegen dich habe ich ein unverzeihliches Verbrechen begangen, dieses erkenne ich; aber es gehe mir, wie es wolle, was das Regieren betrifft, da verbleibe ich bei meinem Spruche:

»Alles kommt von dem in den Menschen eingewurzelten Bösen her, und darum muß man sie mit einem eisernen Scepter beherrschen und zum Guten, das heißt, zum Gehorsam peitschen.«

Abdallah. Jene Trommelschläge ertönen in deinem Gewissen und begleiten dich ins Grab und erwachen mit dir an jenem Tage!

Khalife. Dort sehen wir uns wieder! Entferne dich. Ihr alle geht. Verkündiget ganz Bagdad, was ihr hier gesehen und gehört habt. Es erschalle durch mein ganzes Land, und bald soll die Wirkung davon dem Gerüchte nachfolgen. –

Und du – du liebst mich, wie du mich geliebt hast?

Abdallah. Noch mehr, wenn es möglich ist. Bist du nicht so gut, so milde, so geboren für das Glück der Menschen, die dir anvertraut sind!

Khalife. Dies ist meines Abdallahs sanfte Stimme. Dies der Klang seines Herzens! – Wo war deine Stimme? Wie verkannte ich sie? War sie in meinem Gehöre verklungen, und erwachte sie mir jetzt erst?

Abdallah. Ein silbernes, dünnes Blättchen auf der Zunge machte sie schärfer und schnarrender.

Khalife. Armer Masul, daß du nun taub bist und diese Stimme nie mehr hören sollst! Er war es nicht, da du mich verlassen mußtest – er war dein einziger Freund und blieb mein einziger Freund. Als er sah, wie sehr ich durch deine Entfernung litt, nannte er dich nicht mehr. Aber wohl wußte ich, daß er deiner immer dachte, wenn ich deiner dachte. –

Doch, Bruder, das Märchen von jenem Abdallah ist doch wahr, ob er gleich dein Vater nicht mehr ist?

Abdallah. Durch den innern Sinn, so wahr wie die Reisen Mahals vor der Sündfluth und alle Märchen, die ich dir je erzählt habe.

Und sieh! Im späten Alter küßte jenem Abdallah der Engel des Todes die Seele sanft von den Lippen weg, und er trat unter jene Geister und Genien, und der Himmel schimmerte in dem Abglanze des erhabenen Gezelts. Dies werde einst dein und mein Loos!

Khalife. An deiner Hand, Bruder, kann es mir min werden.

Komm, laß uns umschlungen die Stätten durchwandeln, die wir als glückliche Jünglinge durchsprungen haben, und uns bei jeder erinnern, was wir damals thaten und sagten. Unsre Herzen haben nicht gealtert.

Abdallah. Und werden es nie, denn uns umschlingt der immer junge, ewig blühende Dämon, und zu ihm gesellen sich seine Ernährerinnen, die Liebe, die Freundschaft, das Vertrauen und die Güte.

Khalife. Und sie sterben nicht mit uns, sie begleiten uns in die Gärten des Propheten; sie sind die süßesten Früchte der Garten Gottes. Und dort sitzest du an meiner Seite, und der treue Masul zu meinen Füßen, und freundlich lächelt Gott seinen Kindern zu.


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