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Zweiter Abend.

Ben Hafi erschien mit dem Glockenschlag und begann:

Abdallah, Beherrscher der Gläubigen, der Großvizir, der Freund und Günstling des Sultans von Giuzurat, in dem schönen und reichen Indostan, war ein Mann, wie Großvizire es selten sind; er war mehr Freund des Staats, dadurch der Giuzurater, als des Sultans, seines Herrn, und was noch sonderbarer ist, er hielt sich als Großvizir noch mehr im Dienste der Giuzurater, als des Sultans, von dem er doch als Großvizir seine Bestallung erhalten hatte und durch welchen allein nur er sie behaupten konnte.

Khalife. Einen Augenblick, Ben Hafi; angenommen, daß Das, was du von diesem Großvizir erzählst, sich wirklich so verhalte, welches gleichwohl ein starkes Zutrauen zu deiner Glaubwürdigkeit erfordert, so bin ich dem ungeachtet nicht besser daran, und das darum, weil ich mich auf einmal in einem innern Streit über diesen seltenen Mann befinde. Mein Verstand sagt mir geradezu, daß, wenn ein solcher Mann auch mehr wäre, als Auszierung eines Märchens, dessen Grenzen der mächtigste Herrscher weder beschränken noch bestimmen kann, so tauge doch ein solcher Mann eigentlich nicht zum Großvizir. Dagegen aber wünscht mein Herz, ein solcher Mann möchte keine dichterische Lüge sein, und ein Großvizir sollte so denken und handeln, weil er, meine ich, das Gute, welches er für das Volk thut, doch im Grunde für seinen Herrn mit thut. Bei allen Dem liegt aber doch immer etwas Besonderes in dem Dinge; und ob ich's an der Stelle dieses Sultans da vertragen könnte, daß mein Großvizir hier mehr der Großvizir des Volks als der meinige sei, kann ich nicht so ganz bestimmt sagen, wenigstens müßte ich, um es ertragen zu können, bei recht guter Laune sein. Damit will ich nun diesen Sultan von Giuzurat nicht tadeln, im Gegentheil, er gewinnt dadurch meine Achtung, und Alles, was ich dabei denke, ist: er müsse muthiger und beherzter gewesen sein, als ich, wenn er ohne Verdruß und Aerger einen solchen Großvizir ertragen konnte.

Großvizir. Ja, ja, in einem Märchen läßt sich so etwas recht gut hören.

Khalife. Und warum ließe sich's nicht eben so gut außer einem Märchen thun? Ich setzte immer dabei voraus, der Herr sei ein Mann, wie dieser Sultan in Giuzurat. Auch hätte ich gar nichts dagegen, wenn du so dächtest und handeltest, und die einzige Bedingung, die ich in diesem Falle machen würde, wäre: du möchtest keinen Augenblick vergessen, daß du von mir allein abhängig bist, daß ich dich, den ich zum Großvizir erhoben habe, wieder zum niedrigsten meiner Unterthanen machen kann.

Ben Hafi. Selbst davor fürchtete sich mein Abdallah nicht.

Khalife. Und wovor fürchtete er sich denn?

Ben Hafi. Unrecht zu thun.

Khalife.. Wahrlich, dies kommt nur daher, weil du ihm den Namen Abdallah gabst – ich kannte einen, der ihn trug und eben so dachte.

Der Großvizir, dem diese Wendung der Unterredung nicht gefiel, sprach rasch dazwischen:

Dein Großvizir, Herr der Gläubigen, handelt so, daß deine hohen Vorrechte und der Nutzen deines Volks immer gleichen Schritt halten.

Khalife. Gleichen Schritt! Der Nutzen meines Volks und meine Vorrechte? – Vizir, Gott stärke dich bei diesem schweren und seltenen Werke. Nur er vermag es. »Ihm, der alle Dinge verschiedener Art erschaffen hat, gebührt der Preis. Er hat dem Monde seine verschiedenen Wohnungen angewiesen, damit er sich nicht verändere und verirre und dem alten Aste des Palmbaums ähnlich werde. Es ist nicht gut, daß der Mond die Sonne überlaufe; auch soll die Nacht dem Tage nicht überlegen sein, sondern jedes der Lichter soll in seinem festen Kreise laufen.« Und so soll der Herrscher unerschüttert auf der Bahn der Gerechtigkeit einhergehen, von der Milde an der Hand geleitet. Dieses setze ich zu den Worten des erhabenen Propheten aus meinem eignen Herzen. – Doch, was meinst du von meinem Vizire und seinem Werke?

Ben Hafi. Daß dein Großvizir noch ein größeres Wunder thut, als der Großvizir des Sultans von Giuzurat; denn sonst war ich immer so einfältig Zu denken, es sei eben so leicht und sicher, den Tiger und das Schaf vor einen Pflug zu spannen.

Khalife. An Wunder von seiner Seite glaube ich so eigentlich nicht; aber –

Großvizir. Doch an meine Pflicht, an den Eid, den ich dir geschworen habe, an die Wirkung, die deine Güte auf mein dir ganz hingegebenes Herz gethan hat, an die Ruhe und Zufriedenheit, welche in deinen Ländern herrschen, seitdem es dir gefallen hat, mich auf diesen wichtigen, gefährlichen und wie ich sehe, auch beneideten Posten, zu erheben. Vielleicht um so besser, Herr, daß ich keiner der Vizire bin, wie man sie in Märchen aufstellt – Ich – Ich – arbeite für die Geschichte.

Khalife. So soll sie Ben Hafi schreiben; er ist wahr, ehrlich und uneigennützig – gerade die Eigenschaften, welche ihn dazu geschickt machen. Indessen fahr er in Abdallahs Geschichte fort; ich nehme nun viel Antheil daran.

Ben Hafi. Abdallah, Herr, war einer jener Geister, welche kalte Leute Thoren nennen, Schurken gern an einem hohen Posten sehen, mittelmäßige Köpfe für gefährlich halten, Dummköpfe anstaunen, Hofleute verspotten und die selten von den mit ihnen lebenden Geschlechtern für Das gehalten werden, was sie wirklich sind: Männer, welche, begeistert von dem Schönen und Guten, Thaten unternehmen und ausführen, die das Werk eines Jahrhunderts zu sein scheinen. Die oft allein einen gesunknen Staat emporheben und uns mit der Menschheit, an der wir lange verzweifelten, wiederum aussöhnen. So wie die Kometen (nur durch Unwissenheit in übeln Ruf gebracht) durch ihren unregelmäßig scheinenden Lauf die Bahnen der Welten reinigen, so führen diese Männer durch rasches, kühnes Wirken das Menschengeschlecht in die Bahn zurück, welcher es, von Leidenschaften verblendet, von seinen Führern irre geleitet, so gern und schnell entspringt. Und so wie jene, wenn sie in die Sonne fallen, ihrer glühenden Zerstörerin noch Stoff zu ihrer glänzenden Fortdauer geben, so leuchten und nützen diese den nachkommenden Geschlechtern Derer noch, für die sie sich aufgeopfert haben, die nicht selten selbst ihre Opferer gewesen sind.

Khalife. Ben Hafi, dies ist ein schönes Bild.

Großvizir  (murmelnd). – Und sonst auch nichts.

Ben Hafi. Aber selten, Nachfolger des Propheten, ist ein solcher Mann sehr glücklich, es sei denn, daß er den Menschen, für die er arbeitet, Alles verzeihen, Alles von ihnen ertragen könne, sich aber selbst nichts verzeihe, nichts an sich vertrage. Das Herz eines solchen Mannes muß von seinem Zwecke so ganz durchdrungen sein, daß die Erfahrung an Denen, für die er arbeitet und durch die er arbeitet, nicht mehr Wirkung auf ihn macht, als der Dunst auf die Sonne, der weiter nichts gegen sie vermag, als sich zwischen ihrem Glanz und unserm Auge zu Wolken auszubilden, um in fruchtbarem Regen auf das Land zu fallen.

Wer nun das Gute immer will, ob gleich er so viel Böses sieht, und sich doch dafür noch aufopfern kann, der muß ein Mann sein, wie ich freilich gern einen sehen möchte.

Khalife. Ich spreche nicht gern von mir, dies wirst du schon bemerkt haben, aber bei Gott! läge es an mir allein, du solltest deinen Wunsch erfüllt sehen.

Ben Hafi. Und was hindert den Herrn der Gläubigen daran, da er doch nur zu wollen braucht?

Khalife. Daß ich es nicht früher bedacht habe, und wenn ich es auch bedacht hätte, man mich gewiß daran verhindert haben würde.

Ben Hafi.  (für sich). Es soll schon dahin kommen.

Dieser Abdallah nun war ein solcher Mann, von theilnehmendem, feurigem Heizen, hohem Muthe, rastloser Thätigkeit, der das Gute eben so rasch und schnell wollte und betrieb, als sein Herz es auffaßte. Wer aber das Gute gar zu rasch und schnell will, befindet sich sehr oft in der Gefahr, ein ganz anderes Ding hervorzubringen, als er Willens war; weil die Menschen, welche man zu diesem Zwecke braucht, oft diesen Zweck nicht fassen und, wenn sie ihn auch fassen, ihn wenigstens für sich nicht so ersprießlich halten und sogar noch öfter glauben, es ließe sich für sie durchs Böse weit mehr gewinnen. Auch arbeiten selbst die bessern Menschen selten mit der Wärme, die den Urheber desselben während seines Entwurfs begeisterte, und die dazu gehört, das Gute zu befördern. Aber Abdallah war der Mann nicht, der sich von den ersten unangenehmen Entdeckungen, die er Gelegenheit genug hatte in den menschlichen Herzen zu machen, abschrecken ließ. Der Widerstand und diese unangenehmen Entdeckungen feuerten seinen Enthusiasmus nur um so mehr an; und da der Sultan von Giuzurat sich selbst davon anstecken ließ, so sah man an seinem Hofe eine Erscheinung, die auf unserer kalten Erde und an unsern noch kältern Höfen gewiß unter die allerseltensten zu zählen ist.

Glaube darum nicht, Herr, daß Abdallah in Giuzurat wie ein wilder, brausender Schwärmer verfuhr. Er hatte Verstand genug, um früh einzusehen, daß kein Geschäft der Welt weniger Schwärmerei verträgt, als das Geschäft, Menschen zu beherrschen, oder – zweckmäßiger zu reden – Menschen zu leiten. Er irrte sich nur darin, daß er die Menschen etwas besser dachte, als sie vielleicht sind, und wenn auch nicht immer besser, wenigstens doch klüger. Er stand nämlich in dem Wahne: das Gute, welches er ihnen zudachte und aus welchem so sichtbar ihr eigner Vortheil entspringen müßte, erschiene auch ihnen so, und verrechnete sich hierbei nur in dem einzigen kleinen Umstand: daß die Menschen zwar herzlich gern ihr eignes, persönliches Beste mit allem Feuer und aller Betriebsamkeit befördern, aber für das Allgemeine, für Das, was Allen nützen kann, keinen oder sehr wenig Sinn haben. Doch noch mehr irrte er sich darin, daß er die Leute, welche er zur Ausführung seiner Pläne wählte, für so willig als fähig hielt, Das anzuführen, was er zum Besten Derer ersonnen hatte, denen sie vorgesetzt waren. Das, was er selbst ausführen, oder wozu er einige wenige ihm von fern ähnelnde Geister entzünden konnte, glänzte in lieblichem Abdruck in dem erhabenen Gezelt; aber Vieles, das er warm, schön, kräftig und groß in seinem Busen entworfen hatte und in dieser Gestalt Andern anvertrauen mußte, erschien ihm später so entstellt, mißgestaltet, verzerrt und verkrüppelt, daß er sich vor seinem Werke entsetzte und da Böses erntete, wo er so sorgfältig zum Guten ausgesäet zu haben glaubte.

Aus diesem letzten Grunde ist es nun freilich nicht zu verwundern, daß er zu Zeiten dem Sultan von Giuzurat als ein Mann erschien, der zwar Alles besäße, was zu einem großen Manne erforderlich wäre, dem aber doch Das abginge, was den großen Mann eigentlich zum Vizir geschickt macht.

Großvizir. Ich glaube es gern, und es war nicht schwer, sich davon zu überzeugen.

Khalife. Und was war es denn?

Ben Hafi. Der Sultan wußte es eigentlich selbst noch nicht; aber ihn däuchte, ein Großvizir müsse die Geschäfte des Staats so betreiben, daß der Sultan nicht allzusehr in seiner Ruhe gestört würde, und wenn man ein Reich mit allem Guten und Bösen, das es in sich fassen mag, fortrollen lassen will, so ist dieses ohne allen Widerspruch, wo nicht die beste, doch die allerbequemste Art zu regieren.

Großvizir. Sage nur immer, auch die allerersprießlichste. Die Natur dient uns hier zum Muster; Alles geht bei ihr in gleicher Ordnung, und wir sehen keine das Alte zerstörende Erscheinung.

Ben Hafi.. Und für was rechnest du die Stürme und Gewitter, welche die Erde und die Luft reinigen, und die Erdbeben, die unsere alte Mutter oft so schrecklich erschüttern?

Khalife. Dies alles ist das Werk des Herrn; »Er ist es, der den Regen von dem Himmel sendet, euch zu tränken, und die Pflanzen, wovon eure Thiere leben. Durch seinen Regen wächset euer Korn, eure Oel- und Palmbäume, eure Weintrauben und allerlei Art von Früchten, die für euch aus der Erde hervortreiben. Und er hat die Nacht und den Tag eurem Dienste unterworfen und die Sonne, den Mond und die Gestirne gezwungen, auf seinen Befehl euch zu dienen. Wahrlich dies sind Zeichen dem Verständigen. Er hat euch Macht über Alles gegeben, was er in der Erde für euch erschaffen hat, unterschieden durch mancherlei Farben. Wahrlich dies sind Zeichen dem Nachsinnenden. Er ist es, der euch das Meer unterthan gemacht hat, daß ihr die Fische desselben essen und Schmuck für euch herausziehen möchtet. In dem Schiffe, das die Wogen durchpflügt, sitzest du, daß der Handel dich bereichere. Er hat die Erde dahin geworfen, Gebirge fest darauf eingewurzelt, damit ihr euch nicht mit ihr bewegtet. Flüsse und Wege zog er auf ihr, und die Gestirne stellte er am Himmel auf, damit der Mensch auf seinem Wege von ihnen begleitet werde.«

Wer ist der Kühne, der da fragt, was thust du, Herr?

Hat er nicht eine vortreffliche Rede offenbart, ein Buch nur sich gleich? Die Haut Derer, die Gott fürchten, schrumpft darüber zusammen, aus Furcht, und dann wird ihre Haut sanfter und gleicherweise ihr Herz, bei dem Erinnern an Gott.«

Ben Hafi. Dieser Sultan von Giuzurat nun, Herr, war ein sehr guter Mann: und bei seinem Guten war nur dies das kleine Uebel, daß er mehr von Denen abhing, die sein Vertrauen hatten, als von ihm selbst. Da er zu Allem Anlagen, für Alles Empfänglichkeit, ein weiches Herz, eine leicht zu entzündende Phantasie und eine erstaunende Neigung berühmt zu werden hatte, so konnte Abdallah in ihm erwecken, was er nur wünschen mochte. Ja, er konnte ihn für das Schöne und Gute so sehr begeistern, daß der Sultan Augenblicke des Enthusiasmus hatte, in welchen ihn Abdallah, um der Tugend willen, in die Zelle eines Derwisches hätte treiben können, wenn es ihm darum zu thun gewesen wäre. Das aber, was ihm Abdallah weder geben noch einreden konnte und was allem Guten Kraft, Dauer und Zuverlässigkeit zusichert, war Das, was man Charakter nennt.

Khalife. Und wer den nicht hat, pflegte mein Vater zu sagen, ist der beste Regent von der Welt, doch nur für seine Hofleute. Darum, Ben Hafi, habe ich so fest auf den meinigen gehalten. Ich weiß, daß ein solcher Regent für gewisse Leute seinen Hof zum Paradiese macht; wer aber außer diesem Paradiese lebt, schmeckt, wie sie sagen, hier die Holle schon im Voraus.

Ben Hafi. Du hast es so stark gesagt, als ich es zu denken wagte.

Der Sultan von Giuzurat gefiel sich in allen Empfindungen Abdallahs, ohne daß doch eine einzige die seinige ausschließlich ward. Er redete sogar seine Sprache mit der Zunge, den Augen und Geberden, und wenn ein Mann, sei er auch der weiseste, sich so in einem Sultan wieder siebt und hört, so schleicht sich bei ihm sehr natürlich der Glaube sehr leicht an Das ein, was er sieht und hört.

Unter den Hofleuten, die dieser Sultan von Giuzurat gern um sich sah, hatte er schon von lange her den Sohn seines verstorbenen Kanzlers ausgezeichnet. Er liebte und achtete ihn so eigentlich nicht; aber er mochte ihn leiden, und sehr erfahrene Hofleute versichern, diese Lage sei für einen ihres Gleichen weit sicherer und dauerhafter, als die Lage des Freundes oder des Günstlings. Sie meinen, dem Freund und Günstling ständen nur noch Ueberdruß und Fall bevor, da der Wohlgelittne noch täglich in Glück und Gunst aufwärts steigen könnte. Ebu Amru muß sehr fest von dieser Meinung überzeugt gewesen sein, denn er hielt sich sorgfältig in den ihm angewiesenen Schranken, zeigte die demüthigste Ehrfurcht für die erhabene Person des Sultans, sprach klein von sich und strebte vorzüglich dadurch, daß er sich so gar klein machte, den Sultan recht groß zu machen. Bisher gewann er freilich hiermit weiter nichts, als daß ihm der Sultan viel Verstand und noch mehr Anhänglichkeit, Bewunderung und Ehrfurcht an und für seine hohe Person zutraute.

Khalife. Wie, und dieses hältst du für nichts? Ben Hafi, glaube mir, einem solchen Menschen widersteht es sich am schwersten, und der Herrscher, welcher dieser gefährlichen Schlinge entgehen will, muß stärker sein, als ich mich zu gewissen Zeiten fühle: denn ich versichere dich, unser Herz hat gewisse heimliche Schwächen, die der Verstand wohl kennt; aber ihre Berührung von geschickter und geübter Hand thut uns so wohl, daß sich unser Verstand am Ende gar mit dem Spiele so weit aussöhnt, es für allen Ernst zu nehmen.

Ich habe Leute kennen gelernt, die dieses Spiel so meisterhaft und trefflich mit mir zu spielen wußten, daß ich ihnen, wenn sie endlich mit einem dummen oder bösen Streich endigten, der von ihnen immer am ersten zu erwarten ist, wegen des Vergnügens, das sie mir so lange gemacht hatten, kaum recht zürnen konnte.

Ich bin begierig, zu erfahren, wie es deinem Sultan mit Diesem da ergeht.

Ben Hafi. Du siehst scharf, und ergötzlich ist's, dir zu erzählen.

Dieser Ebu Amru, Herr, war, wie du nun selbst absiehst, ganz das Gegentheil von Abdallah. Dieses wußte er aber so geschickt zu verbergen, daß der Sultan und selbst Abdallah nicht das Geringste davon ahneten: denn er hatte ihre Sprache sehr geflissentlich erlernt und seine Blicke sehr genau nach den ihrigen geübt. Ja, er übertrieb's in beiden, wie es Nachahmer immer zu thun pflegen. Nur dann, wann der Sultan zu Zeiten leise über Abdallahs feuriges Betreiben seiner Lieblingsentwürfe zu klagen anfing, ließ er etwas Weniges von seinem kältern Sinne, von seiner vom Vater ihm hinterlassenen geprüftem Weltklugheit merken. Damit konnte er nun Abdallah bisher keinen andern Schaden thun, als hin und wieder den Sultan zum Widerspruch gegen ihn zu reizen; daraus entstand aber nach und nach ein stiller unsichtbarer Kampf zwischen diesem Ebu Amru und Abdallah, der für diesen gefährlicher als für jenen werden mußte. Und dies darum, Beherrscher der Gläubigen, weil der Böse (ich nenne ihn so wider den Gebrauch des Hofes) durch Widerstreben an Argwohn und Gewandtheit gewinnt, was er an Festigkeit und Kraft verliert, so wie der Rechtschaffene durch das zu öftere Reizen der Galle und des Unmuths an Herzensgüte verlieren kann, was er an Festigkeit und Kraft gewinnt. Auf diesem Wege wird Bosheit leicht gefährliche Feigheit und Rechtschaffenheit leicht Starr- und Steifsinn; welches nun von diesen am Hofe die besten und zuverlässigsten Waffen sind, wage ich nicht zu entscheiden.

Khalife. Wozu? Sprichst du doch nicht zu Neulingen? Gleichwohl gestehe ich dir, daß ich den Steifsinn auch nicht leiden kann, und dies darum, weil man mir dadurch so Vieles abgedrungen hat.

Ben Hafi. Der Sultan von Giuzurat liebte noch immer Abdallah leidenschaftlich, sah ihn noch immer als die Stütze seines Throns, die Zierde seines Hofes, den Beförderer des Glücks seines Volks und dadurch des seinigen an: auch kränkte noch jetzo nichts sein Herz mehr, als wenn er gezwungen war, ihm Unrecht zu geben, oder einem von seinem feurigen Geiste entworfenen Unternehmen die Einwilligung zu versagen. Dieses that er einige Mal bei Fällen, welche Abdallah für zu wichtig hielt, als daß er gleichgültig dabei bleiben konnte, und da er den geheimen Urheber dieser Widersprüche entdeckt zu haben glaubte, so umzogen bald Gram und Mißmuth seine heitere Stirne.

Gram und Mißmuth, Herr, empfehlen selten den Günstling dem Herrscher und halten eben so selten Maß. Die Gunst und Freundschaft bestanden immer noch zwischen dem Herrn und dem Diener; aber sie hatten nun den Grad erreicht, worauf sie stehen blieben, und dieses soll so wenig bei der Gunst der Großen, wie bei der Liebe taugen, weil beide nur ihren vollen Genuß und Glück und die Sicherheit ihres Genusses und Glücks im Unermeßlichen und Unausdrückbaren finden.

Um eben diese Zeit entdeckte Abdallah so viel Empörendes und Widriges an Menschen, die er emporgehoben und zur Ausführung seiner edlen Zwecke angestellt hatte, daß er sich, ohne es vorherzusehen, ohne es nur zu ahnen, plötzlich in dem angstvollen, gefährlichen Labyrinthe befand, in welchem Mißtrauen diejenigen Großen fängt und umhertreibt, welche als Große edle, gute Menschen bleiben wollen.

Khalife. Höre, Ben Hafi, Alles, was du mir da sagst, mag ganz wahr und sogar auch nützlich sein; aber ich finde es entsetzlich langweilig, und es wäre mir sehr angenehm, wenn du weniger wahr und desto unterhaltender wärst. Wozu alle die Bemerkungen, die Seitenblicke? Wer weiß besser als ich, daß das Mißtrauen ein sehr häßliches, abscheuliches Ding und der gefährlichste Vergifter ist; doch so ganz umsonst muß man auch nicht unumschränkter Herr der Menschen sein wollen.

Uebrigens entspringt dieses Mißtrauen eben so oft aus dem Stolze und der Schwäche unsers Herzens und Verstandes, als aus der Erfahrung, die wir wirklich an den Menschen machen. Wozu brauche ich mißtrauisch zu sein, da ich mit Klugheit, Vorsicht und Muth ganz gemächlich durch das Leben kommen kann. Der Mann, welcher mit Gift handelt, muß es sich zuschreiben, wenn ihm dadurch etwas Arges widerfährt. Ich traue mir, und so lange ich mir traue, traue ich auch Andern und kann dabei nur gewinnen. Also nur kurz; es wäre Zeit, daß du mir den Div, Gin, Geist oder Genius aus den kalten, düstern Inseln vorführtest. Ein neues Gesicht erweckt wenigstens die Aufmerksamkeit auf einen Augenblick.

Ben Hafi. Herr, wenn der Erzähler wirken will, so muß er den Schlag vorbereiten, der den Zuhörer treffen oder rühren soll. Der Geist soll erscheinen, so bald es Zeit ist, beliebe dich nur hierbei unsers alten Vertrags zu erinnern.

In dieser trüben Stimmung ward Abdallah ein Magus aus Egypten vorgeführt, welcher sich in Doltabad, der Hauptstadt Giuzurats, verdächtig gemacht hatte. Abdallah unterhielt sich mit ihm über seine geheime Wissenschaft, und der Magus, der sich auf Gesichter, Blicke und Geberden verstand, las schnell etwas zu Gunsten seiner Wissenschaft in Abdallahs Augen. Dieses war nun hier nicht schwer, denn kaum fing der Magus an, von der Gewalt zu reden, welche er besäße, Genien und Geister der höhern Welt in seinen Dienst zu zwingen, als der Gedanke wie ein Lichtstrahl durch die unruhige Seele seines Zuhörers fuhr: »Der Herr eines solchen Wesens zu sein, wäre das einzige und sicherste Mittel, das ihm helfen und seine großen Zwecke befördern könnte.« Sein von dem Guten und Edeln ganz durchdrungenes Herz jauchzte dem flüchtigen Gedanken Beifall zu, hielt ihn fest und durchglühte ihn. Er ward der Schüler des Magus, und je weiter er in dieser geheimen Wissenschaft kam, je mehr überzeugten sich sein Herz und sein Verstand von der Größe, Schönheit, Erhabenheit, Sicherheit und Nützlichkeit seines Unternehmens. Und zu seinem Ruhme muß ich dir sagen, Herr, daß er, wenigstens in diesem Augenblick, nicht an sich und seinen Vortheil, sondern bloß an den Vortheil der Giuzurater und das Glück seines Herrn dachte.

Als er die Beschwörungsformeln erlernt hatte, verschwand der Magus, und in dieser Sekunde steht Abdallah mitten unter seinen Zauberrollen – er hat den Ruf vollendet, der Teppich seines Gemachs rauscht zischend auseinander, ein dünner, kalter Nebel rollt gegen ihn, und aus dem Nebel tritt die Gestalt eines Jünglings hervor, wie Abdallahs Augen nie gesehen, seine Einbildungskraft unter menschlicher Form nie geträumt hatte.

Seine erhabene Gestalt entsprach dem wunderbar schönen Angesicht – ein Ideal, nach allen Regeln der im Geiste abgezogenen Schönheit gebildet; aber dabei so kalt, gleichgültig, ernst, empfindungslos, daß das Verwundern und Bewundern des vor ihm Stehenden plötzlich in ein erstarrendes, ängstliches Gefühl überging. Auf seinem wunderschönen Gesichte war kein Zug, keine Miene, keine Spur eines Zugs oder einer Miene zu finden, welche dem ihm gegenüber Stehenden den Weg zu dem Herzen oder innern Sinn desselben anzeigte.

Seine hoch und schön gewölbte Stirne war so glatt und fest, wie gediegenes und hell geglättetes Silber. Seine großen rabenschwarzen Augen sahen grade und starr vor sich hin und glichen dem Krystall, den man gegen das farbelose Wasser hält. Fest und unbeweglich standen seine in sanftesten, zierlichsten Bogen gezogenen Augenbraunen über ihnen. Seine schön gebildete, sich sanft nach der Oberlippe senkende Nase schien so wenig von dem Athem, als dem feurigern Hauche der Begierden belebt zu werden. Seine vollen Lippen schienen nie die Freude oder den Kummer ausgedrückt, und um seinen lieblichen Mund, auf seinen blühenden Wangen sich nie das Lächeln des Wohlwollens oder des geistvollen Spotts gebildet und gezeigt zu haben. Ein langer, grauer, schwebender Talar, der wie ein sich kräuselnder Nebel um seine Gestalt floß, war seine Bekleidung. Sein Haupt deckte ein rückwärts flatternder Schleier, der aus dem Reife gewebt schien, den eine kalte Frühlingsnacht leise auf die aufgeblühte Rose streut. Er hielt seine Hände fest über der Brust gefaltet und stand unbeweglich vor Abdallah. Nachdem dieser lange die durch Kälte tödtende Erhabenheit dieses Wesens angestarrt hatte und vergebens in seinem Angesicht Dem nachspürte, was uns bei einem Unbekannten zum Wort verhelfen kann, fragte er ihn endlich mit einem beklommenen Tone:

Wer bist du?

Geist. Der Geist, den du riefest, und dessen du bedarfst. Sagt dir nicht mein Angesicht, daß ich der Rechte bin?

Abdallah. Der Rechte! – Vielleicht! Jugendliche, blühende, erhabene Gestalt und eine Kälte, vor der mein Herz erstarrt, als erkalte der Strom des Lebens in meinen Adern. Du bist eine wunderbar schöne, aber eine fürchterlichere Erscheinung, als wenn du empörend häßlich wärest: denn Häßlichkeit hat Ausdruck und bestimmte Bedeutung durch ihren Ausdruck.

Geist. Eben darum bin ich der Rechte – der, dessen du bedarfst.

Abdallah. Wozu die Larve, die dieser Jugend und Schönheit zu spotten scheint?

Geist. Untrüglichkeit, Schnelligkeit der Gedanken, eiserne, mitleidslose Kraft, eiskalte Klugheit, Unbestechlichkeit, Gewißheit und Furchtlosigkeit, sind diese Eigenschaften dir nichts, so hast du bei meiner Erscheinung deines Zwecks vergessen.

Abdallah. Das Meiste, dessen ich bedarf: doch wollte ich, du sähest anders aus. So wirkest du auf mein Herz, wie der kalte Marmor auf die erhitzte Hand.

Geist. Eben darum bin ich der Rechte. Doch wenn du meiner, so wie ich bin und sein muß, nicht bedarfst, so entlaß mich nur. Mir ist gleich, wo ich bin, hier oder dort. Ob ich mich in den Strahlen der Sonne, oder den feuchten, kalten Dünsten bade, ist einerlei für mich: denn mir sind die Strahlen der Sonne nicht warm, und der Nebel nicht kalt. Ich diene dir, wenn du willst und weil ich muß, und diene dir nicht, wenn du es nicht heischest.

Abdallah. Vernahmst du, warum ich dich gerufen habe?

Geist. Wohl vernahm ich es, doch du magst es immer sagen.

Abdallah. Weißt du, frostiges Wesen, was die Tugend ist?

Geist. Ich habe wohl davon reden gehört, doch es kümmert mich nicht.

Abdallah. Es kümmert dich nicht? Die Tugend kümmert dich nicht? Und das Laster?

Geist. Auch davon habe ich gehört, und noch viel mehr; aber auch dieses kümmert mich nicht, und darum eben bin ich Der, dessen du bedarfst. Am Hofe Salomo's sprach man auch sehr viel von den Dingen, nach denen du mich fragst.

Abdallah. Am Hofe Salomo's? – des Weisen?

Geist. Ja, des Weisen, wie sie ihn nannten. Ich war sein Diener und am Abend seines Lebens sein liebster Gefährte. In meiner Gesellschaft überzeugte er sich endlich, Alles sei eitel.

Abdallah. Außer Das, was er sich selbst zu gute gethan hatte?

Geist. Vielleicht.

Abdallah. Dies ist es nicht, was ich von dir lernen will; denn ich, der ich nicht so weise wie Salomo bin, glaube gleichwohl, daß nur Dies eitel sei, was wir aus Selbstsucht zu unsrer eignen Befriedigung thun.

Geist. Vielleicht! Mir ist es ganz gleichgültig. Als Salomo so weit gekommen war, entließ er mich, und die alte Nothwendigkeit, mit der Welt zugleich geboren, ward wiederum ganz mein Meister. Sie ist auch der deinige. Seitdem verweilte ich in den düstern, kalten Inseln, welche die Dünste eurer Erde und des Meers umhüllen, bis auf den Augenblick, da du mich gerufen hast.

Abdallah. So muß es dir denn doch gefallen, daß ich dich aus diesem langweiligen, düstern Orte gerufen habe?

Geist. Langweilig? – Gefallen? Was ist langweilig? Was ist gefallen? Mir gefällt und mißfällt nichts. Wenn du befiehlst, so gehorche ich dir, weil es dein und mein Meister so haben will.

Abdallah. Und du fühlst weder Willen noch Widerwillen, weder Liebe noch Haß?

Geist. Ich weiß nichts davon, und darum bin ich Der, dessen du bedarfst.

Abdallah. So ist es dir gleichviel, was du bewirkest, was ich durch dich bewirke, und wenn ich dich in meinen Dienst zwinge, so thust du das Gute wie das Böse, das Böse wie das Gute?

Geist. Ich weiß nicht, wovon du sprichst, und dies ist deine Sache, nicht die meine. Ich kann weder verlieren noch gewinnen, nicht größer und nicht glücklicher, nicht kleiner und nicht unglücklicher werden. Ich rede jetzo in eurer Sprache, nicht in der meinen, wie du wohl hörst.

Abdallah. Wozu habe ich dich berufen?

Geist. Dies will ich von dir hören und dir dann sagen, ob ich es leisten kann.

Abdallah. Da du meinen Ruf vernahmst, auf meinen Ruf erschienst, so weißt du, was mein Herz bekümmert, kennest meine Leiden und ihre Quellen.

Geist. Wohl vernahm ich Dieses alles: da mich aber die Leiden deines Herzens nicht kümmern, so achtete ich auch nicht darauf. – Was betrübt dich nun so plötzlich? – Wie wunderbar doch ihr Menschen seid! Da du nun in mir Den gefunden hast, dessen du bedarfst, erschrickst du vor der Erfüllung deines eignen heißen Wunsches.

Ich sehe wohl, die Söhne der Erde haben sich seit Salomo's Zeiten nicht verändert.

Abdallah. Und was ist der Mensch?

Geist. Der Mensch? – Was er ist, der Mensch? – Frage mich lieber, was er nicht ist.

Abdallah. Und wenn ich dich nun frage!

Geist. So antworte ich dir: er ist alles Das nicht, was er gern sein wollte, und wäre er alles Dies, so wollte er wieder sein, was er vorher gewesen ist. Streben und Wünschen ist sein Erbtheil, und vielleicht ist es nur dieses, was ihn verhindert, so glücklich zu werden, als Der ist, welcher hier vor dir steht.

Abdallah. Glücklich! Du! Du Fühlloser! – Doch deine Antwort sagt sehr viel, indem sie nichts zu sagen scheint.

Geist. Vielleicht: was weiß ich? Du magst aus meiner Antwort nehmen, was du dabei denkst. Indessen ist es Zeit, daß du mir sagst, was du von mir forderst.

Abdallah. Ich will nur das Gute, das Glück der Menschen, will es mit Eifer, Feuer und Begeisterung und achte nicht, was daraus für mich entsteht, wenn es mir nur gelingt.

Geist. So! Und was bist du unter den Söhnen der Erde? Ich will sagen, welche Rolle spielst du unter deinen sterblichen Brüdern, die, wie du sagst, dir noch lieber sind, als du dir selber bist.

Abdallah. Das Schicksal hat mich zum Freund, zum Günstling und Großvizir des Sultans von Giuzurat gemacht.

Geist. Und doch willst du alles Das, was du so eben gesagt hast?

Abdallah. Oder lieber es nicht mehr sein, lieber ganz zu sein aufhören.

Geist. Weiser, gewaltiger Salomo! So ist doch einer deiner klugen Sprüche falsch!

Abdallah. Und welcher?

Geist. Dieser: Nichts Neues geschieht unter der Sonne. – Doch ich habe nichts dagegen.

Abdallah. Treffe dein frostiger Spott die Menschen, mich trifft er nicht, und hätte ich die schwarze Erfahrung nicht an ihnen gemacht, du kaltes, seelenloses Wesen ständest nicht vor mir.

Geist. Laß mich sein, wie ich will, denn so bedarfst du meiner.

Abdallah. Rastlose Thätigkeit spornte meinen Geist und mein Herz! Nur erwärmt und begeistert von dem Guten, trieb ich vorwärts, Alles kühn zu unternehmen, was das Glück der Millionen, die mir der Sultan anvertraut hatte, befördern konnte. Ich glaubte und glaube es noch, nur darum sei ich da, nur darum von dem mächtigen Schicksal auserlesen, diesen hohen Posten zu bekleiden. Vieles ist mir gelungen, noch Mehreres mißlungen, weil ich es Andern anvertrauen mußte, weil ich, hingerissen von der Wichtigkeit der Sache, dem Zutrauen, der Freundschaft und Liebe, Jeden von den Empfindungen begeistert dachte, die mich begeisterten. So erntete ich oft Vorwurf und Flüche, wo ich so sorgfältig auf Dank und Segen ausgesäet hatte.

Da ich nun meinen Enthusiasmus den eigennützigen Sterblichen nicht mittheilen kann, da mich dieser Enthusiasmus in Ansehung ihrer und der Unternehmungen zu ihrem Besten so oft irre führte und blendete, so dachte ich endlich, es sei vielleicht besser und klüger, diese Begeisterung durch den kalten Verstand und die widrige Erfahrung zu leiten. Aber das Feuer meines Herzens überglühte beide in dem Augenblick, da es darauf ankam, etwas zu bewirken, das es als gut empfand.

So rief ich dich nun, daß du mich warntest, wenn die Begeisterung mich hinreißt. Du sollst mich bewahren vor der Falschheit, der Heuchelei und dem Betruge der Menschen. Du sollst vor meinen Augen den Schein von der Wahrheit scheiden, mir das Herz der Sterblichen zerspalten, mir die Folgen meiner Unternehmungen und der ihrigen im Voraus anzeigen und alle Täuschung vor meinen Sinnen weghauchen.

Geist. Du hast deinen Mann an mir gefunden. Vor meinem kalten Athem, meinem ernsten Blick verschwindet alle euch blendende Täuschung. Ich sehe die Dinge, wie sie wirklich sind, blicke durch das Fleisch, welches Das verhüllt, was ihr in eurem trugvollen Innern denkt und fühlt. So sollst auch du durch mich sehen und erkennen. Mich besticht nichts. Weder die feurige, augenblickliche Aufwallung des unbeständigen Herzens, noch das erkünstelte oder natürliche Zauberlächeln des Mundes, nicht der lügenhafte oder aufrichtige Blick des Wohlwollens, nicht die verstellte oder wahre Demuth, nicht die süße Schmeichelei, welche selbst das Ohr des Weisesten und Stärksten deines Geschlechts bezaubert. Der bunte Regenbogen, der euer Auge entzückt, ist mir ein blendendes Gaukelspiel, aus Dünsten gewebt, in denen sich die Sonne bricht: der Schmelz der Wiesen ein kurzes Blendwerk, hinter welcher die Fäulniß lauert; das Murmeln des Baches ein Stück der Nothwendigkeit und Alles, was die Natur und ihr durch sie macht, ein Flickwerk und mühsames Zusammensetzen, das bei seinem Keimen und Entspringen den Samen der Vernichtung mit seiner Entstehung zeugt. Was aufblüht, sehe ich schon verwelkt, und Das, was ihr Großes ersinnt und ausführt, sehe ich schon von den Händen Derer verzerrt und verunstaltet, zu deren Besten ihr es ersannt und ausführtet. Für mich ist nichts groß und klein, und selbst der Enthusiasmus, der euch zu erhabenen Thaten antreibt, ist für mich nichts als eine Aufwallung des Bluts, welches in den Adern Dieses oder Jenes üppiger und feuriger rauscht, und in das ein unruhiger, kühner, stolzer Geist etwas ungestümer hinein bläst.

Befiehl, und dich soll nichts mehr täuschen, die Menschen und Dinge sollen dir erscheinen, was sie wirklich sind.

Abdallah. Ich nehme dich beim Wort; so dachte ich dich mir, so wollte ich dich haben. Von diesem Augenblicke an bin ich vor Wahn und Betrug gesichert. Kühn kann ich nun auf meine hohen Zwecke zusteuern, da du mir Die enthüllen wirst, welche ich dazu brauchen muß, da du mich selbst vor dem Blendwerk bewahren wirst, womit die Begeisterung mich so oft getäuscht hat. Giuzurats, meines Herrn und Freundes, Glück ist gesichert, gesichert gegen Alle, die es untergruben oder untergraben wollen.

Geist. Dies kümmert mich nichts.

Abdallah. Frostiges Wesen, an was nimmst du denn Antheil, wenn dich die Freude, meine Freude nicht rührt?

Geist. Freude! Rühren! Antheil! Was ist Antheil?

Abdallah. Wenigstens nimmst du Antheil an dir selbst, und um so mehr, je weniger du etwas außer deinem kalten Selbst liebst.

Geist. Liebst! Mich! Ich! Mein Selbst! Was ist mein Selbst? Was ist dein Selbst? Ich weiß von allem Diesem nichts. Was sollte der Sklave der Nothwendigkeit wohl an sich lieben?

Abdallah. So bist du alles Glücks unfähig, da du den Genuß entbehrest, den wir Sterblichen erwerben, wenn wir etwas zu unserm Besten und dem Besten unsrer Brüder ausführen.

Geist. Glück! Genuß! Ich habe Beides wohl nennen hören – aber ich – ich lache und weine nicht – und außer diesen sah ich nichts – denn Das, was dazwischen liegt, führt ja doch am Ende zu dem einen oder zu dem andern. Vielleicht ist dieses aber euer Glück, Beides zu können.

Abdallah. Tief wahr, aber ich bin auf dem Wege eines höhern, reinern, unvermischtern Glücks.

Geist. Vielleicht; doch was kümmert mich's. Wäre ich ein Mensch, ein Ding, das etwas wollte, um es wiederum nicht zu wollen, das etwas begehrte, um es hernach zu bereuen, das etwas aufbaute, um es hernach zu zerstören: so möchte ich wohl sein, wie du gewesen bist.

Abdallah. Und nun?

Geist. Nun möchte ich es nicht mehr sein.

Abdallah. Warum?

Geist. Erfahre es selbst.

Abdallah. Ich gebiete dir, es zu sagen.

Geist. Wer hindert dich daran: aber ich werde schweigen.

Abdallah. Ich weiß, daß ich dich zu reden zwingen kann.

Geist. So müßte ich fürchten, doch ich fürchte und hoffe nichts.

Abdallah. Und darum taugest du auch nichts dazu, der Gefährte eines Menschen zu sein.

Geist. Aber doch zu dem deinigen, wenn du deines Zweckes, aus Furcht und Feigheit, nicht schon vergessen hast.

Abdallah. Mir ist nicht wohl in deiner Gesellschaft.

Geist. Was liegt mir daran, mir ist in der deinigen nicht wohl, nicht weh. Ich muß dir nun einmal den Knäuel abwinden helfen, den das Schicksal für dich zusammengewickelt hat. Auch ist mir dein künftiges Geschick ganz wohl bekannt; aber ich schlage dir langsam die Blätter der geheimen Rollen auf. Hätte ich das letzte lesen dürfen, so wüßte ich auch, wie lange ich um dich sein müßte, doch endet ja Alles, das Gute und das Böse, wie Ihr Eure Ereignisse zu nennen pflegt. –

Abdallah. Deine Gegenwart, dein Anblick, deine Worte, dein kalter, starrer Blick, deine wunderbare Schönheit, die weder die Seele noch das Herz beleben, zermalmen mich, und doch muß ich dich haben, muß dich so nehmen, wie du dich mir vorstellst. Ich wage es um eines großen, erhabenen Zwecks willen, und ich hoffe, so kalt und empfindungslos du auch erscheinst, so bist du doch ein gutes Wesen.

Geist. Ich weiß es nicht, ich bin, was ich bin, weil ich sein und so sein muß.

Abdallah. Verschwinde, bis ich mich gesammelt habe, bis sich mein Herz wiederum so weit erwärmt, daß ich dich ertragen kann. – Doch wie nennt man dich?

Geist. Ich erscheine dir, und ohne deinen Ruf, wenn du meiner bedarfst, nur deinen Augen sichtbar; darauf verlasse dich, denn mein und dein Meister gebot es mir.

Abdallah. Ich will deinen Namen wissen.

Geist. Ich heiße Namenlos, bis du mir selbst einen Namen gibst.

Abdallah. Verschwinde: du gefällst mir nicht. Mein Feuer und deine Kälte können sich nicht vertragen.

Geist. Du mußt die Probe machen.

Abdallah. Ich möchte dich noch Vieles fragen, aber mein Herz ist vor dir Eis geworden. Genug!

Der Geist verschwand.

Khalife. So wie das meine, Ben Hafi. Jeden Augenblick wollte ich dich unterbrechen, und gewiß hätte ich es gethan, wenn ich nicht so begierig gewesen wäre, mehr zu hören. In der Gesellschaft dieses Geistes könnte ich's nicht aushalten, und sein Frost, seine Gleichgültigkeit haben mich für immer von dem Wunsche geheilt, ein Wesen dieser Art zu sehen. Nutzen mag er deinem Abdallah, das kann wohl sein. –

Großvizir. Ganz gewiß; denn da eben diese Kälte und Gleichgültigkeit die nothwendigsten Eigenschaften eines Herrschers der Menschen sind, so kann dieser Großvizir, wenn er anders klüger als bisher sich aufführt, nur gut mit ihm fahren, und Giuzurat, der Sultan von Giuzurat, wollt' ich sagen, muß dabei gewinnen. Wenigstens kann Abdallah durch die Hülfe dieses Geistes die Tiefe der Heuchelei ergründen, die sich unsern Augen so gern in blendenden Masken zeigt.

Er sah bei diesen Worten Ben Hafi sehr scharf an.

Ben Hafi. Wenn wir, Vizir, mit unserm Bewußtsein nur auf dem Reinen sind, so kommen wir auch wohl mit unsern Augen ohne Hülfe eines Geistes aus. Werden wir doch sehen, wie es diesem Abdallah bekommt, so gar helle zu sehen.

Großvizir. Wie es ihm ergehe, ist mir gleichviel, meinen Spruch wird er immer erweisen.

Khalife. Desto schlimmer! – Friede sei mit dir und euch.


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