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Neunter Abend.

Ben Hafi erschien auf den Glockenschlag und begann:

Abdallah, Herr der Gläubigen, verließ noch vor Sonnenaufgang Dolt-Abad, ohne Plan und Zweck. Diener, mit seinen Schätzen und nöthigen Geräthschaften beladne Thiere folgten ihm.

Es war ihm jetzt gleichviel, wohin ihn das Schicksal trieb, da er einmal seinem unermüdeten, furchtbaren Verfolger nicht entfliehen und ihn weder der Erdboden noch seine Tiefe, noch das ihn umgürtende Meer vor ihm verbergen konnte. Er ritt in Dämmerung gehüllt über die Erde hin. Die aufgehende Sonne, welche sie mit goldnem Licht erleuchtete und die mannigfaltigen, herrlichen Gegenstände seinen Augen entschleierte, Alles um ihn her belebte und erheiterte, strahlte nun auf ihn, wie auf das stille Grab, dessen aufgeworfene lockere Erde ihre Gluth erwärmt, ohne daß sie der darin Schlummernde empfindet.

Schwer lag das Vergangene auf ihm, noch schwerer das Zukünftige. Selbst die Erinnerung seiner schönen, uneigennützigen Handlungen erwärmte sein Herz nicht mehr, und nur schwach erleuchtete der, dem schuldlosen Unglücklichen so wohlthätige sanfte Schein des reinen Bewußtseins die schwarze Finsterniß, welche der Kummer vor seine Seele gezogen hatte. Der frostige, zerknirschende, in seiner Seele fest eingedrückte Blick des Geistes verkältete diese wohlthätigen Strahlen in dem Augenblick, da sie sein Herz berühren wollten. Doch würde dieses reine Bewußtsein ihm endlich Stärke zum Siege verliehen haben, wenn ihn die düstre Weissagung nicht unablässig umtönt hätte. Er sah und hörte ihn im Wachen, im bangen Schweben zwischen Wachen und Träumen und fühlte sein Leben abgeblüht, seine Kraft zerschlagen, seines Wirkens Ziel und Ende und in jedem neuen Verhältnisse mit den Menschen eine Quelle neuen Elendes.

So fiel der edle Abdallah von seiner Höhe, und Keiner der vielen Taufende, die durch ihn glücklich geworden waren, seufzte oder klagte über seinen Fall Er war der einzige Trauernde an der Gruft, die er sich selbst gegraben hatte.

Khalife. Ben Hafi, du würdest mich dir sehr verbinden, wenn du diesen guten Menschen, doch unbeschadet deines Märchens, wiederum glücklich machtest. Mich däucht, er hat schon genug gelitten, und er könnte sich jetzt viel leichter wieder zusammen nehmen, da er dem Hofe, der freilich kein Platz für ihn war, entgangen ist.

Großvizir. Eben darum kann er's nimmer.

Khalife. Wie so?

Großvizir. Kann er wohl vergessen, daß er Großvizir gewesen ist? daß er es nun nicht mehr ist? daß ihn sein Herr verstoßen hat; und, was wohl kein Mensch von Fleisch, Bein und Blut ertragen kann, daß sein Feind, wie ich immer als gewiß voraussah, an seiner Stelle Großvizir geworden ist?

Der Geist hatte es ihm vorhergesagt, und wie ich ihn kenne, so mußte es auch ohne den Geist so ergehen. Und, Herr, der Mann, der einen solchen Verlust ertragen, die Ungnade seines Herrn überleben kann, ist seiner Gnade niemals werth gewesen.

Khalife. In Dem, was du da sagst, liegt etwas Wahres, und ich glaube beinah selbst, daß die Traurigkeit Abdallahs ein wenig aus dieser Quelle fließt; denn so selten uns Ben Hast auch den Mann vorstellt, so war er doch ein Mensch und, wie du sehr richtig bemerkst, ein Großvizir.

Ben Hafi. War Abdallah hierüber traurig, so war er's wenigstens aus einem andern Gründe.

Dein Vizir, Herr, hat sich übrigens in diesem Augenblicke die Inschrift auf seinen Leichenstein selbst entworfen. –

Großvizir. Gott entferne von mir jede böse Ahnung, jeden bösen Wunsch – und erfülle ihn Dem, der mir Böses wünschet oder weissagt.

Khalife. »Gehe nicht stolz im Lande einher, denn du kannst die Erde nicht zerspalten, noch die Gebirge eben machen.«

Sei ruhig, Vizir: Das, was dir widerfahren soll, schläft unter dem Kissen, auf dem dein Haupt ruht, und kommt der Augenblick, daß ich sagen muß: der Mann ist reif! und geschieht dir dann, was du fürchtest und ich nicht wünsche, so will ich deinen Fall so leicht und gelinde machen, als ich die Strafe jedem Sünder mache, doch vorausgesetzt, daß du nur gegen mich gesündigt hast.

Fahre fort, Ben Hafi, du hast meinen Großvizir erschreckt, und doch muß er es gut mit dir meinen, so wenig er auch Gefallen daran finden mag: dafür stehe ich dir!

Ben Hafi. Abdallah wanderte weiter und immer weiter, und jeder Ort, wo er sein Haupt niederlegte, war ihm gleich. Nur als er den Namen der Provinz Baglana vernahm, erinnerte er sich eines Freundes, den er, wegen seiner Fähigkeiten und guten Eigenschaften, von den geringsten Dienern des Sultans zu einem wichtigen Amte an der Grenze dieser Provinz befördert hatte. Er rechnete auf seinen Dank, und der Wunsch, ihn zu sehen, von ihm aufgenommen zu werden, erwachte in seinem Heizen.

Er betrog sich nicht in ihm. Obgleich sein Fall und das Unglück seines Hauses ihm auch hier schon vorgegangen war, so wurde er doch mit Treue und Ergebenheit aufgenommen. Er erbat sich nichts von seinem Freunde, als einen Aufenthalt ungestörter Ruhe; um diesen Wunsch schnell zu befriedigen, führte ihn dieser einige Parasangen weit von der Stadt nach einem einsamen Orte, den er sich, nach seiner Aussage, erwählt hatte, um daselbst zu Zeiten die Kräfte seiner Seele wiederum aufzuwinden.

Mit dieser Aeußerung übergab er ihm einen Strich Landes, den die Natur in einem Augenblick melancholischer Erhabenheit über ihre ewigblühende und ewighinwelkende Schöpfung für Wesen von Abdallahs Stimmung hervorgebracht zu haben schien.

Denke dir, Nachfolger des Propheten, Wälder, Felsen, Thäler, Quellen, Wiesen, Wasserfälle, in der wildesten, regellosesten Verbindung, der kühnsten Zusammenstellung. Denke hinzu, daß die Hand des staunenden Menschen, gefesselt von der Uebermacht des großen, hier gewaltig herrschenden Meisters, nie gewagt hat, sein in Schutz genommenes Werk zu stören, und daß ein Geist aus diesen großen Gegenständen wehte, welcher der gerührten Seele zulispelte:

»Alles Das, was du um dich her siehst, war vor Jahrtausenden schon da. Diese zum Himmel steigenden Bäume sind die Söhne der Väter, die einst hier, wie sie, ihre Riesenarme ausbreiteten und nun an dem Fuße ihrer grünenden Söhne Staub geworden sind. Die zerstörende und künstelnde Hand eines Geschlechts zerstörte hier nicht, schuf nicht im Kleinen meine erhabenen Werke nach. Alles, was hier blüht, blüht durch eigne ungestörte, ungeleitete Kraft, und Alles, was stirbt, stirbt ohne fremde Gewalt und löst sich nur nach meinen Gesetzen auf. Die Oberfläche eines Felsen verwittert hier, der Thau des Himmels befruchtet den lockern Staub, bildet ihn zur fruchtbaren Erde, der Wind führt ihr den Samen von der Ebene zu, und das Haupt des undurchdringlichen wird mit einer blühenden Krone geschmückt. Dort löst sich der grünende Garten von einem andern, rollt in das Thal, und der uralte Sohn der Erde, mit ihr entsprungen, hebt sein nackendes Haupt empor und blickt zum ersten Mal in die Schöpfung, um nach Jahrhunderten wiederum mit Blüthe bekleidet zu werden. Suchest du Ruhe, so verweile hier. Kein Seufzen, kein Aechzen und Jammern des Menschen stört dich, wenn dich das deinige nicht stört. Die Menschen fliehen diesen Ort, den auch du fliehen wirst, wenn du dein Innres, das bei meinem Anblick erwacht, zu fürchten hast!«

Khalife. »Gott ist es, der die Gebirge fest in die Erde gewurzelt hat: sie erheben sich über die Erde, und er segnete die ganze Erde und sorgte für die Nahrung Derer, die sie bewohnen sollen. Dann dachte er an die Schöpfung des Himmels, und es war dunkel, und er sagte zu dem Himmel und zu der Erde: Komm hervor, mit Willen oder Widerwillen. Der Himmel und die Erde antworteten: Wir kommen hervor auf deinen Befehl. Und er theilte den Himmel in sieben Himmel und offenbarte jedem derselben sein Amt. Und die untersten zierte er mit Lichtern und setzte Engel zur Wache in die Lichter.«

Ben Hafi. Abdallah fühlte das Lispeln dieses erhabenen Geistes, seine düstre Seele verlor sich in der tiefen, schaudernden Beschauung der Gegenstände um ihn her, sein Herz gab ihnen die hohe Deutung, die ihnen aufgedrückt war, in dem wahren Sinne ihres mächtigen Urhebers.

Er bezog bald ein kleines Haus, das erste, welches hier die Erde drückte, und das sein Freund in dem Mittelpunkt dieses erhabenen Tempels der Natur gebauet hatte.

In dieser Einsamkeit, getrennt von allen Menschen, los von allen Verhältnissen mit ihnen, glaubte er vor dem furchtbaren Geiste, seinem Verfolger, sicher zu sein. Sein Freund besuchte ihn oft, die Stürme legten sich in seiner Brust unter ihren weisen, vertraulichen Gesprächen. Sein Bewußtsein konnte nur nach und nach erwachen und seinen Trübsinn aufheitern. Seine ehemalige Erhabenheit im Denken und Empfinden richtete sich wieder an den mächtigen, kraftvollen Gegenständen um ihn her empor. Schon konnte er mit seinem Freunde von seinen überstandnen Leiden wie von einem dunkeln, qualvollen Traume sprechen, aus dem er hier erst erwacht wäre. Er schmeichelte sich bereits, seinem Verfolger entflohen zu sein, als er eines Abends in eben dem Augenblick vor ihm stand, da er sich in diesem seligen Traume wiegte und, von dem Gedanken entzückt, daß dieses schreckliche Wesen die Verbindung mit seinem Freunde ungestört ließ, über die in sanfte Dämmerung sinkenden, erhabenen Gegenstände hinblicke.

Ein Schrei des schmerzvollsten Entsetzens entriß sich der Brust Abdallahs, als er den frostigen, ernsten Geist erblickte. Der Schrei tönte in dem Echo der nahen Felsen wieder.

Der Geist sprach:

»Dein Schrei wirkt auf mich, wie auf diese Felsen, deren Echo dir den Laut zurückgibt, damit du den Ausdruck deines Schmerzes wieder hörest und zwiefach leidest.

Entzückt über die bunten, mannigfaltigen Gegenstände, sitzest du hier, die ein Ding, dich zu täuschen, um dich her ausgebreitet hat, das du Natur nennst, ohne zu wissen, was du unter diesem nichts- und vielsagenden Worte denkest und denken sollst.

Das Lispeln des kühlen Abendwindes küßt deine Wangen, deine Augen erfreuen sich an dem dunkeln Blau des Himmels, an welchem einzelne goldne Sterne hervorschießen, und deine Ohren ergötzen sich an dem melodischen Gesumse des Geschmeißes über deinem träumenden Haupte, das dich gerne in Schlaf sumste, um seinen giftigen Stachel in deine Haut zu drücken, um dein Blut zu trinken.

Ich sehe schon den Sturm, den Hagel und Donner in der Luft, die dich entzückt, sich sammeln, bilden, um dich in der fernen Wüste zu geißeln, wo du keine Höhle finden wirst, dich vor ihrer Wuth zu schützen.

Aechze! Ich, dein gedungener Sklave, muß dich warnen, ich mag wollen oder nicht, und ich sehe dich in eben dem Augenblicke mit neuem Elend kämpfen, in welchem du hier in täuschender Ruhe schwärmst.

Du mußt diesen Ort verlassen – zu dieser Stunde fliehen.«

Abdallah.. Rastloser Zerstörer meines Glücks, vergebens sind nun deine drohenden Weissagungen. Ich erwarte hier den Schlag des Schicksals, hier will ich sterben, umgeben von diesen erhabenen Gegenständen, bedeckt von diesem sich erleuchtenden Himmel, meine Augen gegen ihn empor gehoben, ohne daß ich um Hülfe flehe; denn ich entfliehe dir. Meine letzten Seufzer sollen an diesen Felsen verhallen, und überlebt mich das Gefühl, das einst mein Dasein so wichtig, merkbar, wunderbar, elend und glücklich machte, so wandelt vielleicht mein Geist in diesen Gefilden und umschwebt die Glücklichen, die hier suchen, was ich gefunden habe, was du mir nun raubest.

Geist. Du wirst hier weder verweilen noch hier sterben. Von mir aufgejagt, mußt du den Pfeilen entgegeneilen, die dort dein Herz verwunden sollen.

Abdallah. Was wird mich dazu zwingen?

Geist. Das, was ich dir sagen muß, sagen werde.

Abdallah. Nein!

Geist. Ich sage Ja!

Abdallah. Ich weiß, worauf ich mein Wort gründe; worauf gründest du das deine?

Geist. Auf Das, was dich bis hierher getrieben hat, dem du dich, trotz meiner Warnung, geopfert hast – die Täuschung, ob du ihr gleich einen stolzern, erhabenern Namen beilegst. Verleugne sie hier, was kümmert es mich. Ich diene dir, in welches Gewand du dich auch hüllen magst, bis mich der Ruf des Mächtigern von dir trennt, oder bis dein eigenes Herz dein Schicksal entscheidet.

Abdallah. So soll es hier sein.

Geist. Blicke in mein Angesicht und sage, du könntest wollen.

Höre! Der Sultan vertraute Ebu Amru nach deiner Flucht das Geheimniß deiner Verbindung mit mir. – Ich warnte dich. Von den Folgen schweige ich, weil du leben, neues Elend fühlen sollst und mußt.

Der Großvizir Ebu Amru –

Wie, dieses Wort erschüttert dich? – fiel eins von meinen Lippen, das nicht in Erfüllung ging?

Khalife. Ben Hafi, nun da ich dieses weiß, so fällt mir schwer zu entscheiden, wer am meisten zu beklagen ist, der Sultan oder Abdallah; aber aus gewissen Ursachen bin ich beinahe geneigt zu glauben, der Sultan sei es noch mehr. Großvizir. Ich müßte mich sehr in dem Manne irren, Herr, wenn nicht Alles gut unter seiner Regierung gehen sollte. So viel ich von diesem erhabenen Sultan aufgemerkt habe, so ist Ebu Amru eben der Mann, der ihm fehlte. Auch scheint er es mit meinem Spruche zu halten, und wie kann er wohl anders als gut damit fahren?

Khalife. Werden wir doch hören, wie der Sultan mit ihm fährt.

Ben Hafi. Der Geist fuhr fort:

Ebu Amru der Vizir, der keines Geistes bedarf, wie du, um sich gegen Täuschung zu sichern, konnte dich leicht dem bebenden Sultan als einen der gefährlichsten Verbrecher darstellen und ihm Strafe und Rache an dir zur Nothwendigkeit machen.

So sollst du nun als ein Magus, als ein Hochverräther sterben; als ein Mann, der den Sultan von jeher mit Vorspiegelungen und Gaukeleien verblendet und durch eine übernatürliche Macht alle die Schreckensscenen erzwungen hat, die ihn, seinen Hof und sein Volk erschüttert haben.

In dieser Sekunde sind seine bewaffneten Abgesandten auf dem Wege, um dich von deinem Freunde zu fordern. Dein Leben, sein Leben, das Leben seiner Kinder, das ihm einst von dir ertheilte Glück, hängen von deiner Entschließung ab. Ueberliefert er dich, so werden bis zum Grabe Reue und Verzweiflung seine quälenden Begleiter sein; verbirgt er dich, so fällt er mit Allen, die durch ihn leben, als ein Opfer des Hirngespinstes, das er gleich dir liebkoset. Er wird leugnen – wanken – beben –

Soll die Selbsterhaltung ihn zum Verbrecher machen? Soll er der Nothwendigkeit erliegen, die aus dem Munde der Unmündigen in seinen Ohren ertönt?

Fliehe von hinnen, bevor die Abgesandten ankommen; oder stirb hier und laß das Wehklagen der Waisen deines Freundes dein Leichengesang sein, bis ihm das Schwert ein Ende macht. Ich sehe den Dank in deinen Augen; doch dieses Danks bin ich gewohnt.

Der Geist verschwand, und der Sinn seiner Worte drang schmerzlich in Abdallahs Herz. Die Gedanken drängten sich in seiner Seele:

»Ebu Amru soll das Loos des Todes über mich werfen, und der Sultan will mich als Verbrecher tödten! Er, um deßwillen ich eine Verbindung wagte, die mich mit langsamer Marter tödtet, von welcher nur er den Vortheil ernten sollte, da ich mich lieber aufopferte, als daß ich die Erfüllung der fürchterlichen Weissagung dieses schrecklichen Wesens verstattete. Er treibt mich aus diesem Bezirke, wo ich mich noch einmal des Guten mit Freuden erinnern konnte, das ich ausgeführt habe, so lange er meiner Tugend traute. Von ihm verjagt, verfolgt von diesem frostigen, unglückweissagenden Wesen, wie die Antilope von dem Tiger, soll ich abermals über die Erde hinfliehen! Den einzigen, treuen Menschen, der mir nach meinem Unglück geblieben ist, verlassen! Kein menschliches Herz soll ich mehr mein nennen, Keinem angehören, als Dem, dessen elender Sklave ich bin, der alle meine Kraft zermalmt und alle Quellen des Genusses und des Lebens in mir auftrocknet, mit kaltem Athem den Himmel und die Erde von ihren Reizen entkleidet, die Menschen und alles Geschaffene in Gerippe und Verzerrungen vor meine Seele hin stellt, davon fliegt und wiederkehrt, um die zerschlagenen Wunden tiefer aufzureißen. Sein Alles vertrocknender Athem berührt mein Auge, und mich däucht, die erhabenen Gegenstände um mich her zerfallen vor meinem Blick in die rauhen gestaltlosen Theile, aus denen sie zusammengesetzt sind. So zerfällt Alles vor meinen Augen, und ich wandle umher wie eine Leiche über ein ödes Todtenfeld.«

Er eilte mit seinem Diener nach der Stadt, ließ aufpacken, nahm einen schmerzvollen Abschied von seinem Freunde und zog davon.

Indem er durch Baglana hinzog, seufzte er:

»In diesem Lande sollte mein Bruder Mansur die Mittel finden, seinen Verrath gegen den Mann, der mich verfolgt, auszuführen. Von hier aus sollte er ihn bekriegen, das Vaterland verwüsten, und ich, der ich, um diesem Frevel zuvorzukommen, mein Haus zerrüttet, meines Vaters Tod befördert, mein ganzes Glück und Dasein aufgeopfert habe und die schrecklichste Qual mir zuzog, die je einen Sterblichen getroffen, muß vor dem Manne fliehen, um deßwillen ich Dieses alles that und leide, damit er nicht an mir zum Mörder werde!«

Eine Tagreise von der Grenze des Reichs Giuzurat erblickte er nahe an einem Hügel einen kleinen Haufen von Menschen, die, überfallen von Räubern, sich eben noch mit der äußersten Anstrengung vertheidigten.

Abdallah rief: »O wenn ich um der Rettung eines Menschen willen sterben könnte!«

Er befahl seinen Leuten, die Schwerter zu ziehen und ihm zu folgen. Er trieb sein Pferd an, und als er dahin sprengte, den Hügel zu umreiten, dann unvermuthet hervorzubrechen und den Räubern in den Rücken zu fallen, sah er den Geist neben sich herschweben.

»Rette ihn,« schrie er ihm zu, »damit Der, den du rettest, an dir zum Räuber werde und meine Weissagung erfülle. Es ist Mansur, der Mörder! Mansur, dein Bruder!«

Abdallah antwortete: »Er werde es an mir und befreie mich von dir.«

Heißer trieb er sein Pferd an, brach mit seinem Gefolge hinter dem Hügel hervor, überfiel plötzlich die Räuber und entschied den Streit. Ein Theil der Räuber entfloh, die übrigen wurden gebunden.

Abdallah wollte seinem Bruder nahen; aber von dem Augenblick, da ihn dieser erkannte, erfüllte wilder Groll sein Herz. Mit wüthender Gebärde und drohendem Schwerte gebot er ihm, nicht näher zu treten. Abdallah wollte reden, und noch fürchterlicher drohte Mansur.

Abdallah ließ einige seiner beladenen Thiere vorführen und sagte zu dem Wüthenden:

»Ich theile mit dir, was ich gerettet habe, laß mich in Frieden ziehen!«

Mansur antwortete nicht, und Abdallah entfernte sich. Kaum aber verlor ihn Khaleds Mörder aus dem Gesichte, so erwachten die Rache und die Begierde nach den übrigen Schätzen seines Bruders in seiner Brust. Er theilte seinen Gefährten sein Vorhaben mit, warb die gebundenen Räuber für seine Rotte, zu diesem und großem Zwecken, löste ihre Fesseln, und sie schwuren ihm Treue. Er brach mit ihnen auf, überfiel seinen Bruder in der Wüste und erfüllte die Drohung des Geistes.

Nachdem er ihm Alles genommen hatte, Schätze, Diener und Thiere, rief er ihm zu:

»Reich an erhabener Tugend, bedarfst du des Irdischen nicht. Mich machte deine Tugend zum Verbrecher; laß sehen, was sie nun aus dir macht. Wie du jetzt vor mir stehst, so stand ich da, als ich mein Leben durch die Flucht erretten mußte. Das Glück lächelt mir wieder, und ich will ihm durch mein Schwert, durch diese meine Gefährten hier abdringen und durch Raub ersetzen, was du mir genommen hast. Das Leben lass' ich dir darum, weil ich hoffe, daß seine Qual mich an dir rächen wird!

Abdallah sank nieder und verhüllte stumm sein Haupt in sein Gewand.

Die Sonne goß bald ihr glühendes, sengendes Feuer über die unabsehbare Sandwüste, auf welcher das Auge keinen Busch, keinen Grashalm entdeckte. Abdallah wanderte fort in dem durchglühten, seine Sohlen brennenden Sande, und die einzige Feuchtigkeit, die den heißen, unter seinen Füßen weichenden Boden benetzte, waren die Thränen, die jetzt zu Zeiten in dicken Tropfen aus seinen Augen stürzten.

Bald umzog sich der Himmel – die Winde rasten – Finsterniß deckte die Wüste – die Staubwolken wirbelten über die Fläche hin, die sich wie ein Meer bewegte – der Donner rollte über Abdallahs Haupt, und er fand und sah keine Höhle, sich zu bergen.

Die Wirbel umschlangen ihn und rissen ihn nieder. Er wühlte sich in den Sand, mit dem dumpfen Gefühle, er wühle sein Grab auf. Voll dieses Wunsches, drückte er seine Brust fest gegen den fühllosen Staub, der ihn nun vor allen fernern Schlägen und seinem schrecklichen Verfolger bergen und schützen sollte.

Khalife. Ben Hafi, wenn ich nicht fest überzeugt wäre, Gott würde sich des Mannes um seines guten Willens annehmen und erbarmen, mein Herz würde die Vorstellung seiner Leiden nicht ertragen können.

Gott spricht:

»Ich schwöre bei dem Roth der Wolken nach Sonnenuntergang und bei der Nacht und bei dem Vollmonde – wahrlich, ihr sollt aus einem Zustande in den andern versetzt werden.«

Doch sage mir schnell: ist ihm die Hülfe noch in diesem Leben nah?

Ben Hafi. Sie ist es.

Großvizir. Wie sollte sie nicht, da der gute Ben Hafi noch so lange auf deine Geduld zu rechnen scheint.

Khalife. Er kann es sicher thun, Vizir, und Das darum, weil ich auch in einem Märchen nicht leiden kann, daß man einen Menschen im Elend sitzen lasse, sei er auch ein Bösewicht. Ist er nicht von unserm Fleische, Blut und Gebeine? Hat er nicht ein Herz, ein Gehirn und Fibern, fühlbar, wie wir? Des Erzählers Pflicht ist, ihn besser zu machen, oder es sonst so einzurichten, daß man mit dem Ausgange zufrieden sei. Und der Erzähler, Vizir, der seine Zuhörer durch Täuschung bis zu Qual lockt und sie dann sitzen läßt, muß ein Herz von Stein haben, besonders da der Heilbalsam ihn so wenig kostet und sein Märchen noch obendrein verlängert. Darum sei Friede mit dir und euch!


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