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Erster Abend

Ben Hafi erschien mit dem Glockenschlag, die kleine Gesellschaft hatte sich versammelt und Jeder derselben den ihm angewiesenen Platz eingenommen.

Der Großvizir, ergrimmt, daß es ihm nicht gelungen war, den ihm verhaßten Menschen zu entfernen, und nun noch ergrimmter, daß er seinen Erzählungen von Neuem beiwohnen mußte, sah Ben Hafi sehr liebreich an, wandte sich darauf demüthig gegen den Khalifen und schien mit seinen Blicken um das Wort zu bitten. Der Khalife winkte ihm gütig zu.

Großvizir. Ich schmeichle mir, Nachfolger des Propheten, unser guter Ben Hafi wird die weisen Lehren, welche wir alle hier aus »Mahals Reisen vor der Sündfluth« gezogen haben, durch die Erzählung seiner eigenen Wanderungen, die nach seiner Versicherung weit unterhaltender für den Herrn der Gläubigen sein soll, noch weit mehr ins Licht setzen.

Khalife. Unterhaltend wünsche ich sie; aber was die weisen Lehren betrifft, von welchen du sprichst, da weißt du wahrlich mehr davon als ich. Doch laß nur immer hören; es soll mir lieb sein, wenn du etwas zu deinem Besten daraus genommen hast.

Großvizir. Ich nahm für mich daraus, daß der Mann, welcher über Menschen herrscht, durch und auf Menschen wirken will, Alles mit kaltem Sinne, ohne den mindesten gefährlichen Einfluß des blendenden und verführerischen Enthusiasmus thun müsse, weil nur Das gelingt und dem Ganzen nützt – dem Ganzen, Beherrscher der Kinder des Propheten – was man mit kluger Berechnung der Erfahrung auf die Bosheit, Schlechtigkeit, Selbstigkeit, Unzulänglichkeit der Menschen unternimmt, und alles Das verzerrt und verschoben herauskommt, was man in Begeisterung hoher, eingebildeter Tugend und warmer trüglicher Hoffnung auf die Billigkeit, Gerechtigkeit und Einsicht unserer Zwecke von den Menschen thut.

Daß man demnach den Menschen bloß als ein Thier betrachten muß, das man durch seinen angebornen Instinkt zu Dem zwingt, was ihm nützt, und von dem abhält, was diesen durch Erkünstelung verdorbnen Instinkt irre führen könnte. Zu dem ersten gehören: Arbeit, Fraß, Hervorbringung seines Gleichen, der ganze sinnliche Genuß des Lebens, welcher, man sage und heuchele, was und wie man will, doch immer noch das einzige wirkliche ist, was der Mensch in diesem Leben davon trägt, und wodurch er sich und, so fern er gut und großmüthig sein will, auch Andern gütlich thut. Zum zweiten gehören: Zuschärfen der Vernunft, Aufklärung des Geistes, Zuspitzen des Verstandes und das allzu gefährliche Spiel mit dem Gifte der Wissenschaften, welches Langeweile, Kitzel, Stolz und Vermessenheit erzeugt und erfunden haben.

Dieses nun alles lehrt uns Ben Hafi recht anschaulich und beweiset damit, daß ein Herrscher der Menschen nichts aus warmem täuschendem Gefühl des Herzens, sondern Alles bloß nach kalten Regeln der Vernunft thun müsse, weil er alsdann seines Vortheils immer sicher ist.

Khalife. Und wozu, Vizir, hätte denn Gott dem Herrscher ein Herz gegeben, wie dem Bettler, und die Liebe und das Mitleiden, nach den Worten des Propheten, wie zwei erhaltende schützende Engel zwischen das Menschengeschlecht gestellt?

Großvizir. Der Herrscher hat andere Pflichten, als der Mensch.

Khalife. Dies ist mir leid um Beider willen.

Großvizir. Dieses alles fließt aus unsers ehrlichen Ben Hafis Lehren, wie daraus fließt, daß mein Spruch: man muß die Menschen, wegen des in ihnen eingewurzelten Bösen mit einem eisernen Scepter beherrschen, und zum Guten, das heißt zum Gehorsam peitschen – die erprobteste Wahrheit vor und nach der Sündfluth sei, welches gewiß seine eignen Wanderungen nach der Sündfluth, wie Mahals Reisen vor der Sündfluth, beweisen werden.

Dieses eingewurzelte Böse ist nun der schwarze Flecken oder das berühmte schwarze Korn, welches jeder Sohn Adams, von diesem seinem Urvater her ererbt, in der Mitte des Herzens trägt.

Khalife. Und das der Engel Gabriel aus dem Herzen des Propheten riß, damit er nicht mehr sündigte.

Ben Hafi. Schade, daß wir dieses schwarze Korn nicht auf der Stirne tragen, wenigstens würdest du auf der meinigen, ich auf der deinigen sehen können, wer von uns beiden das größte geerbt hat.

Doch sage mir, wie liegen alle diese Lehren in des starrsinnigen Mahals Reisen?

Großvizir. Nach deines Mahals Berichten waren alle Sultane vor der Sündfluth gar erbärmliche Wichte, nur zum Bösen und Unterdrücken geneigt, das selbst auszuüben sie nicht einmal die Kraft hatten; und die Menschen, mit denen sie dieses schöne Spiel trieben oder treiben ließen, verdienten gar kein beßres Schicksal, weil sie selbst ihre Sultane zu Dem machten, was sie waren, und wenn sie dieselben dazu gemacht hatten, in aller Geduld ertrugen.

Nach Mahals Berichten dienen die Wissenschaften, welche doch die Menschen aufklären sollten, nur dazu, sie schlechter, üppiger, kühner, Gottes und des Glücks der Menschen vergeßner zu machen.

Khalife. Aber, Vizir, was in aller Welt kann doch der arme Ben Hafi dafür, daß er nichts Besseres von diesen Sultanen in seiner Handschrift zu erzählen vorfand? Ist es doch nicht seine Schuld, wenn sie nur böse und thöricht waren? So viel ich ihn kenne, wünscht er sie so gut und weise, als ich sie nebst allen Menschen gerne sehen möchte. Gesetzt nun, ich gliche einem von jenen, und Einer sagte es laut, so würde ich vielleicht darüber ungehalten werden, vielleicht auf eure Vorstellung gar ihn strafen; doch was thäte ich wohl hierbei, als eine bös That mehr, da es doch im Grunde dieser Mensch nicht schlimmer mit mir meinte, als mein eigenes Gewissen, das mir immer zuruft: ich sollte nicht thöricht und böse, sondern weise, klug und gerecht handeln.

Ben Hafi. Goldne Worte! merke sie doch, Großvizir!

Khalife. Was eure Wissenschaften betrifft, so ist der um so strafbarer, wenn er Das zu Gift für sich und Andere macht, was ihm als Gabe zur Weisheit für ihn und Andere gegeben ward. Und wozu braucht sie der Mensch? Vor Gott ist der Gelehrteste und der Unwissendste einer wie der andere; und nur die Erfüllung der Pflichten macht Einen größer als den Andern.

»Der Barmherzige hat seinen Diener den Koran gelehrt. Er hat Menschen geschaffen und sie verschiedne Sprachen gelehrt. Die Sonne und der Mond verrichten ihren Lauf nach fester Ordnung, und die Pflanzen, welche an der Erde kriechen, und die Bäume, welche ihre Wipfel gen Himmel erheben, sind seiner Ordnung unterworfen. Er erhub die Himmel und stellte eine Wage auf der Gerechtigkeit und Billigkeit!«

»Wahrlich, die Muselmanen beiderlei Geschlechts und die wahren Gläubigen beiderlei Geschlechts und die frommen Männer und die frommen Weiber, und die wahrhaften Männer und die wahrhaften Weiber, und die geduldigen Männer und die geduldigen Weiber, und die demüthigen Männer und die demüthigen Weiber, und die Almosen spendenden Männer, und die Almosen spendenden Weiber, und die Männer, welche fasten, und die Weiber, welche fasten, und die keuschen Männer und die keuschen Weiber, und die beiderlei Geschlechts, welche Gottes immer eingedenk sind, für diese hat er Vergebung und Belohnung vorbereitet.«

Ben Hafi. Erlaube mir nun, Herr, deinem Großvizir noch eine Frage zu thun! – Und alles Dieses hörtest du aus Mahals Reisen heraus?

Großvizir. Ich bin zufrieden damit, weil es meinen Spruch beweist und den Herrn der Gläubigen dadurch von meinen Regierungsgrundsätzen immer mehr überzeugt.

Ben Hafi. Das thut es bei dem Glanze seines Thrones und noch mehr bei der menschenfreundlichen Güte seines Herzens nicht! Daß du Dieses alles darin finden konntest, begreife ich gar wohl; du hörtest Mahals Reisen mit deinem Geiste und Herzen, nicht mit dem Geiste und Herzen des Khalifen an. So sieht der Gelbsüchtige selbst die Rose gelb. Du hörtest Mahals Reisen als Großvizir an, als ein Mann von Grundsätzen, die aus deinem Spruche fließen; denn hättest du sie als Mensch gehört, so würdest du höchstens daraus geschlossen haben: der Mensch mißbrauche leider oft, was ihm zu seinem Glück gegeben ist, Religion, Regierung und die Wissenschaften.

Großvizir. Ich hörte es recht gerne.

Ben Hafi. Daß sie die Großen und Hofleute, die Priester und die Denklinge mehr zu diesem Mißbrauch verleiten, als ihre Herrscher, weil ihre Herrscher dabei gewinnen, wenn Religion, Regierung und Wissenschaften den hohen Zweck erfüllen, wozu sie Gott gegeben hat. Du würdest ferner aus Mahals Reisen geschlossen haben, daß die Sultane vor der Sündfluth, ohne genannte Herren, ganz gute Leute gewesen sein würden (es nach der Sündfluth wohl alle wären), weil sie ihren Vortheil dabei gefunden haben würden und noch jetzo fänden; denn der Mensch ist von Natur lieber billig, gut und ruhig, als grausam, hart und unruhig, und der Herrscher erlangt durch Gerechtigkeit und Milde seinen Zweck viel sichrer. Du würdest gesehen haben, daß dies Böse nicht in der Natur der Sultane liegt, denen doch beim erhabenen Propheten das härteste Loos zufiel, welches das Schicksal über einen Sterblichen werfen konnte. –

Großvizir. Und in wem läge es?

Ben Hafi. In Denen, die sie umgeben, in ihren Hofleuten, Großen und Dienern, die ihnen ihren Verstand verdächtig machen und dann beweisen, Das, was ihnen ihr Herz zum Besten der Menschen sagt, sei Thorheit; die Begeisterung fürs Gute und die daraus entspringenden Tugenden seien für den Herrscher gefährlicher Wahnsinn, fruchtloses Bemühen; die Menschen seien sammt und sonders eine bösartige Heerde, nur immer tückisch gegen ihren Hirten gesinnt, er meine es auch noch so gut mit ihr, und darum müsse man sie, nach deinem Spruche, mit einem eisernen Scepter beherrschen und zum Guten, das heißt zum Gehorsam, peitschen.

Sieh, dieses lehren Mahals Reisen. Warum nun die Hofleute, Großen und Staatsbeamten den Sultanen so viel Böses von den Menschen sagen, brauche ich einem Manne nicht vorzuerzählen, der so lange Großvizir gewesen ist.

Khalife. Beim Propheten, Das, was du da sagst, ist wahr, und ich erfuhr es von dem Augenblick, da sie mir sagten, ein Thron erwarte mich. Noch toller ward es, da ich mich endlich darauf setzte. Immer war nur Der der ehrliche Mann, der den Andern bei mir verläumdete, und da diesem Schicksal Keiner von ihnen entging, so magst du leicht erachten, wie mir zu Muthe gewesen ist.

Doch wenn nun einmal die Herrscher selber Menschen sind und ohne Hofleute und Diener weder leben noch bestehen können? –

Soll es mir genügen, daß sie täglich meine Schwelle in Demuth mit ihrer Stirne begrüßen? Werde ich dadurch, was ich sein soll? Bin ich darum ein Riese, weil das Volk das aus meinem Fenster, zur Verehrung der Hofleute, herunterhängende zwanzig Ellen lange Stück schwarzen Sammet den Aermel des Khalifen nennt?

Ach, wohl ist Alles eitel: der Mensch ist böse, dies habe ich erfahren, und hängt es der Rolle an, die wir spielen, daß er es wird, so bald er sich uns naht, so ist es wahrlich das schrecklichste Loos, auf einem Thron zu sitzen. Keinem zu trauen, seine warmen Empfindungen, sein Wohlwollen, seine Liebe und Freundschaft in der Brust zu verschließen und immer zu drohen, immer zu strafen und zu schrecken, für alles Böse angeklagt zu werden, alles Gute sich von fremden Händen entreißen zu lassen, das Gute herzlich zu wollen und es fremden Händen anvertrauen zu müssen –

(Feierlich). Herr, wenn du uns den guten Willen nicht anrechnest, wie soll einst dein Knecht vor dir bestehen!

Ben Hafi. Zum Verdienst rechnet er nur den Willen an, der That geworden ist, sagt ein Ausleger des Buchs. Dieses muß geschehen, oder das noch schwerere – die Besserung Derer, welche die Sultane zur Ausführung ihres Willens brauchen; doch leider rechnet man dieses unter die unmöglichen Dinge.

Khalife. Ben Hafi, Gott ist nichts unmöglich, und wenn er will, so kann er sogar die Hofleute zu ehrlichen aufrichtigen Leuten und die Vizire und Kadi zu gerechten Männern machen.

»Bei dem Gebirge Sinai, bei dem Buche geschrieben auf einer ausgedehnten Rolle, und bei dem besuchten Hause und bei dem erhabenen Dache des Himmels und dem schwellenden Weltmeer, die Strafe des Herrn wird gewiß herunter kommen. An diesem Tage soll der Himmel zusammengefaltet werden wie ein Segel nach der Reise, und die Gebirge vorübergehen.«

Ben Hafi. Wer zweifelt hieran? doch indessen thue jeder Sultan sein Bestes.

Sieh, Großvizir, dieses fließt ungefähr aus Mahals Reisen, es sei dann, daß du die darin versteckte Lehre noch merken wolltest: Derjenige sei der glücklichste, der in stiller unschuldiger Ruhe, fern von den Höfen und der rauschenden Thätigkeit der Menschen, seine Tage hinlebt, ohne zu wissen, wie die Menschen regiert werden, und ohne nachzuforschen, warum Gott vor unsern Augen Dinge geschehen läßt, wie wir täglich geschehen sehen.

Khalife. Da aber die Menschen nun einmal regiert werden müssen, was bleibt uns übrig, als auf dem Posten zu bleiben, auf den das Schicksal uns gestellt hat, und Das zu thun, was wir vermögen? Darin hast du übrigens ganz recht, daß die Sultane der Erde gute Leute sein würden, wenn nur andre Leute nicht ihren Vortheil dabei fänden, daß sie böse wären. Wenn ich über Das, was ich erfahren, gehört und gesehen habe, nur einen Augenblick nachsinne, so begreife ich nicht, wie es zuging, daß ich so gut geblieben bin, da man sich alle Mühe gab, mich mißtrauisch, feig und bös zu machen, und, Ben Hafi, was das Allerschlimmste des Schlimmen ist, da die Menschen unser Einem so viele Ursache geben, über sie böse zu werden. Gewiß muß mir Gott etwas in das Herz gelegt haben, das diesem gefährlichen Gifte immer widerstand; was es ist, das weiß ich nicht; aber mitten im Zorn und Mißmuth regt es sich warm und lebendig in meiner Brust. Bin ich nun nicht besser, so ist es meine Schuld nicht. Uebrigens glaube ich gerne, daß du die Hofleute und die Menschen kennst; aber um sie recht zu kennen, guter Ben Hafi, muß man eine Zeitlang selbst auf einem Thron gesessen haben; da sieht man erst, wie schwer es hält, gut zu bleiben und sie zu lieben. Freilich bin ich nun wohl zufrieden, daß ein Thron mein Sitz ist; ob ich gleich begreife, daß man vor den Augen Gottes und der Menschen eben so würdig, glücklich und gut in einer Hütte sein kann, doch will ich auch damit nicht gesagt haben, daß ich meinen Thron mit einer Hütte vertauschen möchte. Weißt du warum?

Ben Hafi. Ich bin begierig, es zu vernehmen.

Khalife. Weil der Thron der Khalifen doch ein ganz bequemer Sitz ist, wenn man ein gutes Gewissen hat, und weil es vor Gott und den Menschen mehr Verdienst erwirbt, auf dem Throne, als in der Hütte gut, mild und gerecht zu sein. Gewiß wird Gott die Rechtschaffenheit und Tugend nach dem Maße der Schwierigkeiten belohnen, die ihre Ausübung erfordert. Wären wir sonst nicht zu beklagen?

Du weißt nicht, guter Ben Hafi, was die Menschen von uns verlangen und fordern, und glaube mir nur, es ist nichts weniger als Das, was kein Sterblicher erfüllen kann; denn um so zu sein, wie sie von uns wollen, müßten wir eigentlich keine Menschen von ihrer Gattung sein. Nur wir sollen keine Leidenschaften haben, damit sie desto ungehinderter dem Zuge der ihrigen folgen können. Frei sollen wir von Begierden sein, damit sie desto ungestörter ihre Habsucht und Wollust befriedigen mögen. Wir sollen wachen, denken und sorgen, damit sie ruhig und sorgenlos bei ihren Weibern liegen können. Und alles Dieses fordern sie von Männern, die von den Reizen der Wollust, der Macht und Gewalt bei dem Eintritt in das Leben begrüßt werden. Wir sollen kalt und weise an dem reichen Mahl der Genüsse der Erde sitzen und entweder gar nicht zugreifen, oder uns doch mit einem Maße zumessen, das sie für sich selbst zerschlagen.

Gott, gib mir Stärke, Weisheit und Geduld!

Man sage von mir, was man will. Keiner kann mir den Geist der Ordnung, die Güte des Herzens und das unbestechliche Gefühl der Gerechtigkeit absprechen. Ich thue Keinem mit Willen weh, mein Thun und meine Tagezeit ist regelmäßig abgetheilt und geht so sicher und gewiß wie der Lauf der Sonne.

Ben Hafi. Vortrefflich, Herr, wenn deine Bestimmung wäre, um dein Reich herumzulaufen, wie sie um die Erde läuft, und sich die menschlichen Dinge eben so in eine gewisse Ordnung fügen ließen, wie sie Gott der Sonne vorgeschrieben hat.

Khalife. Davon ein ander Mal. Nun sage mir, ohne Rücksicht auf mich und deinen Widersprecher hier: ob es heilsamer für den Menschen ist – du siehst, Ben Hafi, ich sage Mensch und nicht Regent, weil ich denke, es sei doch im Grunde einerlei – ob es besser für den Menschen ist, will ich sagen, den warmen (versteht sich und auch guten) Eingebungen des Herzens im Leben und Wirken zu folgen; oder bloß dem kalten Verstande, der, wie der Vizir sagt, immer weislich den Nutzen voraus berechnet. Auf welcher Seite liegt wohl der größte Gewinn für den Menschen und die Menschen, und durch welches wird er glücklicher?

Antworte mir nicht: durch den rechten Gebrauch der beiden; wer weiß dies nicht? Ich will wissen, was ich nicht weiß, und was mir zu wissen noth thut, weil man immer widerspricht, wenn ich etwas warm und feurig unternehmen will.

Großvizir. Beherrscher der Gläubigen, du hast, mit deiner hohen Erlaubniß, die Frage nicht so gestellt, wie sie der Herr Asiens stellen müßte.

Ben Hafi. Mit der deinigen, Großvizir, der Herr der Gläubigen hat sie menschlich schön gestellt.

Er dachte einen Augenblick nach. Sanfte Begeisterung schwebte auf seiner Stirne, spielte in seinen Augen, und er sprach:

Herr der Gläubigen, ich beginne nun meine Wanderungen, vielleicht, daß im Lauf derselben etwas vorkommt, das auf deine Fragen Bezug hat. Ben Hafi würde zu viel wagen, durch sich selbst zu reden, und das Beispiel eines Mannes mag es jetzt für ihn thun.

Khalife. Wie du willst: doch lieb wär mir's, wenn Genien und Geister in deinen Wanderungen erschienen, vorausgesetzt, es seien keine Lügen.

Ben Hafi. Ueber dem Kaukasus, Beherrscher der Kinder des Apostels, erhebt sich auf Wolkensäulen ein Gezelt, gewebt aus Aether, den Strahlen der Sonne und des Monds, dem Ausfluß der Gestirne, den Düften der Blumen und den Wohlgerüchen der Pflanzen unsrer Erde.

Dieses Gezelt schwebt außer dem dicken Dunstkreis unsrer Erde und ist die Wohnung reiner Genien! die Wohnung der Geister der Edeln, welche einst diese Erde durch ihre Tugend erleuchteten und sich unter den reinen Genien durch schöne Thaten, Aufopferungen für ihre Brüder, selige Sitze erwarben.

Ein Obergenius, mit dem Lichte und der Wahrheit zugleich erschaffen, ist der glückliche Beherrscher dieser Genien und Geister.

Seliges, ruhiges Beschauen ist ihr Genuß. An den ätherischen Wänden des Gezelts (um sinnlich auszudrücken, was die Einbildungskraft geistig sieht) spiegeln sich in Gemälden die schöne Erde, ihre schattigten Haine, ihre wallenden Meere, nebst ihren Gärten, den Inseln, und Das, was die Menschen Schönes mit ihren Händen erschufen und erschaffen. Aber höheres Entzücken gewährt den Geistern Das, was die Menschen durch die moralische Kraft ihres Geistes und Herzens hervorbringen und schaffen; denn an den ätherischen Wänden malen sich die Thaten guter, edler Menschen, von dem Augenblicke an, da sie in ihrer Brust aufkeimen, bis zur Vollendung, in sanft schimmernden Bildern, und verlöschen nur, wenn Schwäche, Furcht, Selbstsucht, Eigennutz und Zweifel über den Werth der Handlungen und Derer, für die sie unternommen wurden, die schöne Begeisterung verfinstern.

Bleibt aber ein Sterblicher dieser schönen Begeisterung bis an sein Ende getreu und verlischt auf dieser Erde, die das Andenken seiner Thaten in der späten Zukunft noch erleuchtet und erwärmt, so erglüht das ganze Gezelt, der Abglanz der feierlich prächtigen Glut strahlt durch unfern dicken Dunstkreis, erleuchtet in zitterndem, sanftem Lichte den Horizont, der Wandrer staunt das erhabene Wunder entzückt an, der unwissende Klügling benennt mit einem nichtssagenden Wort das prächtige Schauspiel, und der Forscher der Natur sinnt vergebens seiner Ursache nach.

Khalife. Ob nun gleich deine Wanderungen wie Märchen anfangen, und deine Märchen wie Geschichte klangen, so gefällt mir gleichwohl der Anfang, und dieses prächtige Gezelt hat meinen ganzen Beifall. Auch möchte ich gerne wissen, ob wohl dein Gezelt erglühen wird, wenn ich einst zu meinen Vätern wandere. Ich befehle euch allen, genau darauf zu achten. Seit meiner Regierung erinnere ich mich nicht, dieses schöne Schauspiel am Himmel gesehen zu haben, und vermuthlich kommt dieses daher, daß meine Großen nichts an die Wände dieses Gezelts gemalt haben, oder daß sich die Bilder ihrer Thaten aus gewissen Ursachen nicht daran erhalten konnten.

Großvizir. Mit Erlaubniß des Herrn der Gläubigen möchte ich wohl fragen, ob sich die bösen Thaten der Menschen auch an diesen ätherischen Wänden zeigen?

Ben Hafi. Würde ich alsdann die Bewohner dieses Gezelts glücklich und selig genannt haben?

Khalife. Ach leider! Und ich glaube, selbst das unendliche Gewölbe des Himmels würde zu klein sein, wenn sich Alles darauf abspiegeln sollte, was die Menschen Böses und Thörichtes thun. Doch möchte ich gar zu gerne nur ein einziges Mal in dieses wunderbare Gezelt blicken, um zu sehen, ob sich denn gar nichts von den Thaten meiner Großen und Staatsbeamten dort findet. Glaubst du, Vizir, daß ich einige deiner Thaten abgebildet sehen würde?

Der Großvizir lächelte, und der Khalife fuhr fort:

Ich will es hoffen, will hoffen, deine Frage an Ben Hafi entsprang mehr aus der Neugierde, als Regung des Gewissens. – Indessen, Ben Hafi, sehe ich gar nicht ein, was dieses Gezelt, so schön es immer ist, mit deinen Wanderungen gemein hat; wenigstens fängst du sie von den Wolken an.

Ben Hafi. Und werde geschwinder, als es mir lieb ist, auf die Erde zurückkehren.

Khalife. Nu kannst es mit deinen Wanderungen machen, wie du willst, und sind sie unterhaltend, so gebe ich dir nicht nur die Erde, sondern obendrein alle Gestirne, Sonne und Mond nicht ausgenommen, zum Schauplatz.

Ben Hafi. Du gibst nie wenig, und ich danke dir.

Das Abendroth glühte durch die Wolkensäulen, vergoldete den Boden des Gezelts und erleuchtete mit seinem rosenfarbnen Abglanze die Bilder der Wände. Bald erfüllte Dämmerung das Gezelt, und durch die Dämmerung spielte von den feinen Sonnen und Gestirnen ein Licht, wie es nie das Auge der Sterblichen erblickt hat. Nur Der, dem ein Strahl der Wahrheit in die Seele geblitzt hat, vermag es, dieses Licht zu ahnen.

Die Genien und Geister genossen stilles Entzücken über die schönen Thaten der Menschen, die in dem sanften Lichte schimmerten.

Plötzlich erzitterte leise das luftige, schwebende Gezelt. Eine heulende Stimme erscholl durch den dicken Dunstkreis der Erde herauf.

Die Genien und Geister verhüllten ihr Angesicht, denn in demselben Augenblick färbten sich die Gemälde der Thaten eines der edelsten Sterblichen trübe an den schimmernden Wänden.

Einer der Genien schwebte leise herein und stellte sich traurig vor den Oberherrn. Mit einem Winke gebot ihm dieser, zu reden.

Der Genius sprach:

»Einer der Geister der kalten und düstern Inseln, die bald in dem Dunstkreise schweben, der die Erde umfließt und trägt, bald tief sich tauchen in die unruhige, wirbelnde Luft, der Sterblichen Thun zu beobachten, die sie weder lieben noch hassen, sauste eilends herauf, und schwebend auf der Spitze einer der Wolken, welche unser reines Gezelt tragen, rief mir der finster Ernste zu:

»Abdallah hat mich gerufen, und ich muß seinem Rufe gehorchen, denn er zwingt mich im Namen Salomo's, des Gewaltigen.«

Der oberste Genius. Wir haben seine widrige Stimme vernommen, das reine Gezelt erzitterte, Abdallahs Thaten färbten sich dunkel, und wir verhüllten unser Angesicht aus Schmerz über ihn.

Abdallah, fuhr der Genius fort –

Khalife. Ben Hafi, könntest du dem Manne, den du uns da aufführst, keinen andern Namen geben?

Ben Hafi. Wodurch mißfällt dir dieser schöne Name, Herr?

Khalife. Wenn er mir nur mißfiele! Da er mir aber nicht mißfällt, und doch auch nicht gefällt, so wäre es mir lieb, wenn du mir zu Gefallen diesen Mann anders nenntest. Ich sehe schon voraus, daß ich ihn oft werde hören müssen, und mein Ohr hört ihn nicht allein.

Ben Hafi. Ich kann dir hierin nicht willfahren, so gern ich es auch wollte, und am Ende der Geschichte wirst du mir es vielleicht verzeihen. Trug diesen Namen einer deiner Feinde, so kann es dieser Mann nicht sein, da er nie in Bagdad, noch in einem deiner Länder war.

Khalife. Kann es nicht anders sein, so fahre nur fort: warum soll ich nicht hören können, woran ich ohne Unterlaß denke?

Der Großvizir blickte Ben Hafi voll Ingrimm und Verdruß an; Ben Hafi schien es nicht zu merken und gehorchte dem Befehl des Khalifen.

»Aus den Worten des Geistes der kalten, düstern Inseln,« fuhr der Genius fort, »vernahm ich folgendes:

›Abdallah, der bisher so gerade, kühn und stark auf dem schlüpfrigen, steilen, engen Pfade der Tugend einherging, Abdallah, der Freund, Günstling und Großvizir des Sultans von Giuzurat in dem reichen, schönen Indostan, ist verwundet von der Bosheit, der Falschheit und dem Truge der Menschen, mit denen er lebt, für die er lebt und arbeitet. Aus seiner Seele ist der Gedanke, die Stütze der hohen Tugend, verschwunden: daß der Edle der Tugend um so mehr anhängen muß, als seine Brüder sich von ihr entfernen, weil nur die Edeln durch ihr Wirken und ihr Beispiel das Band wiederum befestigen, welches das Menschengeschlecht zum moralischen Zwecke verbindet. – Er, der diese Wahrheit bisher für seine einzige Leiterin erhielt, jede gute That nur darum unternahm, weil sein Herz ihm sagte, daß sie gut sei, will nun seiner Thaten Ursprung und Folgen bloß nach dem kalten, sparsamen, vor und hinter sich blickenden Verstande abwägen. Maß, Regel und Gewicht sollen über die Wärme seines Herzens bestimmen, und er fühlt in seinem Wahne nicht, daß sie ihm Das sein werden, was der Frost der Blüthe ist. Er betrog sich in seinen Freunden und Dienern, einige Mal in seinem Herrn: Mißbehagen und Zweifel zernagten seine Kraft, und er erlag der Probe, die der Mann bestehen muß, der für die Menschen und mit den Menschen wirken soll und muß. Einer der Wäger und Forscher der Kräfte des Menschen, welche die ihnen verliehenen weder zu ihrem, noch anderer Besten zu nutzen wissen oder benutzen wollen, spannte seinen Geist auf die dunkeln Geheimnisse, die den Menschen umgeben müssen, wenn sein Wirken ihm verdienstlich werden und er selbständig bleiben soll. Von ihm unterrichtet erfuhr er, daß der Sterbliche sich die Geister jener kalten, düstern Inseln unterwerfen könnte, und von ihm lernte er die gewaltigen Worte, eines dieser Wesen in seinen Dienst zu zwingen.

»So eben beschwor ihn der edle Thor, ihm zu erscheinen und ihn zu warnen, wenn der Enthusiasmus der Tugend, Freundschaft und Liebe ihn hinrissen. Ihn zu warnen vor der Falschheit, der Heuchelei und dem Betrug seiner Brüder, den Schein von der Wahrheit zu trennen, vor seinen Augen das Herz der Sterblichen zu zerspalten, ihn in ihr Innerstes blicken zu lassen, ihm die Folgen seiner und ihrer Thaten im Voraus zu zeigen und Alles vor seinen Sinnen wegzuhauchen, wodurch und womit die Täuschung die Sterblichen blendet und irre führt! In dem Augenblick, da ihm das gefährliche Werk gelungen war, schwang sich der Geist herauf, den er gerufen hatte.«

Oberster Genius. Abdallah sollte einer der unsern werden, und oft sagte ich euch, er wird einer der unsern werden. Nun hüllt schon trüber Nebel die Bilder seiner Thaten ein, und schwer wird er diesen Kampf mit seinem Geiste und Herzen, mit dem Geiste und Herzen seiner Brüder bestehen. Mit Recht nennst du ihn einen edeln Thoren, denn ihn verblendet der Schimmer eines erhabenen Gedankens. Er wähnt, wenn die Täuschung vor seinen Sinnen verschwände und er die Herzen seiner Brüder geöffnet sähe, so würde die Wahrheit seine Führerin allein sein, und er würde mit unbestochenem Verstande berechnen können, was aus seinem Wirken erfolge. Er will Herr des Guten werden und die Früchte seiner Tugend sichern. Dieser Wunsch konnte nur in seinem Herzen entstehen, und wir müssen ihn in dem Augenblick bewundern, in welchem wir ihn bedauern. So laßt ihn nun diese traurige Erfahrung machen und seinen Brüdern zum Beispiel werden.

Der Sterbliche, welcher durch die kalte Vernunft die Wärme seines Heizens auslöscht, seinen Kräften und seiner Selbstständigkeit nicht mehr vertraut, wagt mit dem schönsten Genuß des Lebens seinen eigenen Werth.

Wir wissen es, und er war so lange als uns seine Thaten ergötzten, überzeugt, daß nur allein dieses edle Feuer der Schöpfer schöner, großer, uneigennütziger Thaten ist und wird; daß nur von ihm belebt der Mensch kühn und groß handelt und in der Ausführung seiner edeln Zwecke sich selbst vergißt. Daß er nur von ihm begeistert sich für Tugend und Vaterland aufopfert, seine Brüder glücklich macht, durch sein Thun und Beispiel zu höherer Veredlung bildet und in den von der thierischen Sinnlichkeit unterdrückten Geistern die Verwandtschaft mit dem Erhabenen wiederum erweckt, den wir hier tief schweigend denken.

Als der Erhabene die Stirne des von seiner Hand gebildeten Sterblichen berührte, floß dieses Feuer von seinem geistigen Finger in die Brust des Neugeschaffenen, und er weihte ihn dadurch zu dem hohen Zwecke, da er ihm die Ahnung davon hinterließ. Deutlicher durfte ihm dieses Geheimnis nicht werden, damit das Geschöpf des Erhabenen nicht sklavisches Werkzeug würde.

Dieses Feuer ist es, das die Welt mit Wundern füllt, die wilden, zerstreuten Söhne der Erde zu geselligen, geistigen Wesen bildet und die ätherischen Wände unsres Gezelts ausschmückt.

Verkältete es der erkünstelte Verstand, die Mutter der Selbstsucht und Gleichgültigkeit, so würden bald die schimmernden Bilder hier verlöschen und wir dann nichts mehr sehen, als die farbelose Abspiegelung der beschneiten Gipfel dieses Gebirges, auf dessen Wolkensäulen der Tempel schöner, großer Thaten ruht.

Dieses göttliche Feuer begeisterte einst Abdallah und machte ihn vor allen seinen Brüdern glücklich. Was er nun wird, entziehe ich eurem Blick.

Der Geist jener kalten, düstern Wohnungen erscheine ihm und heiße ihm Namenlos, bis er ihm einen Namen gibt.

Bald wird die schöne Blüthe des Lebens, die nur durch die Wärme des Herzens zur Frucht sich bildet, vor seinem Verstand erstarren – traurig hört ihr mich an – der Gedanke tröste euch: das Elend, welches sich der Sterbliche zubereitet, dient seinen Brüdern zur Warnung. So wollte die ewige Gerechtigkeit, daß weder der Thor noch der Bösewicht ohne Nutzen für seine Brüder leide und falle.

Morgen, Herr der Gläubigen, werde ich dir nun diesen Abdallah und seinen Geist vorführen.

Khalife. Thue es immer, sie sollen mir Beide willkommen sein, und ob ich gleich nicht begreife, was deine Wanderungen mit diesem Geiste da gemein haben, so habe ich doch nichts dawider.

Alles, was ich wünsche, wäre: ein einziger Blick in dieses luftige Gezelt, und wäre ich nicht ein Muselmann (vergib mir Gott, was kann der Mensch bessers sein!), so wünschte ich mir einen solchen Geist; denn da wir leisten sollen, was über des Menschen Kräfte geht, so bedürfen wir vor Allem eines solchen Wesens, um etwas tiefer blicken zu können, als den Sterblichen verliehen ist.

Doch was da ist, das ist, und wer, aus Staube geschaffen, wagt zu sagen, wie es sein soll! Auch glaube ich nicht, daß dein Held da darum besser fahren wird.

Friede sei mit dir und euch!


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