Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einleitung

nach Ben Hafi's Handschrift und der Tradition.

Der Großvizir berührte alle Saiten des Herzens des Khalifen, versuchte alle Schleichwege zu seinem Geiste, um den armen, weisen Narren Ben Hafi zu stürzen. Da er nun diese Saiten gestimmt und alle die Schleichwege selbst gegraben hatte, so glaubte er das sicherste Spiel zu spielen; gleichwohl betrog er sich. Ein Beweis, daß Erhabenheit des Geistes und Güte des Herzens solche himmlische und unzerstörbare Geschenke sind, daß selbst die abgefeimtesten Hofleute sie zwar niederdrücken und irre leiten, aber nie ganz ersticken können. Darum glaube ich, der Herausgeber dieses Buchs, daß der Sieg eines Monarchen über die listigen Verführungen, die gefährlichen Anfechtungen, die blendenden Vorspieglungen, die leidenschaftlichen Reizungen zum Mißbrauch der Gewalt, zur Befriedigung der Begierden, womit ihn seine Großen und Höflinge von der Wiege an empfangen und durch das ganze Leben bis zum Grabe begleiten, wenn auch nur halb, wenn auch nur zum Theil erfochten, doch immer noch der schönste Triumph der Menschheit über das Böse ist. Rasche Tadler, gutmeinende Träumer, kühne Vernünftler, anmaßende Weisen sollten bedenken, daß der Khalife hier mehr gethan hat, als vielleicht Mancher von ihnen in seiner Lage würde gethan haben, oder zu thun fähig sein.

Er antwortete gutmüthig: »Was hat dir der Mann gethan? Wem an meinem Hofe, in meinem Lande hat er geschadet?«

Der Großvizir meinte: »Der Mann sei einmal gefährlich, dies erkenne Jedermann, und wenn er bisher nichts Böses gethan hätte, so geschehe es bloß darum, um das Böse in Zukunft mit größerer Sicherheit zu thun. Seine Pflicht sei, dem Bösen, das dieser Gefährliche gewiß thun würde, zuvorzukommen, den Khalifen davor zu warnen, und sollte er sich auch der Gefahr aussetzen, seinem erhabenen und großmüthigen Herrn zu mißfallen.«

Der Khalife erwiderte: »Gott weiß es allein, was er thun wird, was er thun soll und muß; er kennt Ben Hafi's, dein und mein Herz, und der Engel, der unsere Gedanken und Thaten aufzeichnet, zeichnet sie auf, wie wir sie denken und thun, nicht wie wir sie aussprechen und mit dem Schleier der Heuchelei verhüllen.

»Ein gewisser Tag wird kommen, und Gott wird Alle zum Leben auferwecken und ihnen Alles erklären, was sie gethan und gedacht haben. Er hält genaue Rechnung darüber; aber sie haben es vergessen. Gott ist Zeuge über alle Dinge. Weißt du nicht, daß ihm Alles bekannt ist, in dem Himmel und auf der Erde? Es gibt keine geheime Unterredung zwischen Drei, oder er ist der Vierte; keine zwischen Vieren, oder er ist der Fünfte; keine zwischen mehreren oder wenigern als diese, oder er ist mit ihnen, wo sie auch immer sein mögen.« Aus dem Koran, wie alle die folgenden, auf diese Weise gedruckten Stellen

»So richtet ihn nun Gott, wie mich und dich, nach seinem Wirken und Denken, nicht nach seinem Urtheil. Mir scheint Ben Hafi ein ganz guter Mensch zu sein, und ich lese in seinen Blicken, auf seiner Stirne, daß er es ehrlich mit mir meint, und glaube darum seinen Blicken, seiner Stirne, weil er so wenig von seiner Treue spricht. Auch hat er mir bisher noch nicht geschmeichelt, er muß also mir und sich doch trauen. Und sage mir, Vizir, warum sollte es Ben Hafi nicht ehrlich mit mir meinen? Könnte er durch Falschheit wohl mehr gewinnen? Ich begreife wenig: aber von allen den dunkeln und geheimnißvollen Dingen ist mir das allerunbegreiflichste, daß der Mensch treulos und falsch sein mag, da er durch Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit viel leichter zu seinen Zwecken kommen müßte und mit seinen Zwecken der Menschen Herzen zugleich gewänne.«

Großvizir. Aber wenn nun seine Zwecke selbst nicht ehrlich sind?

Khalife. Mißgönnst du ihm dann den Gewinnst desselben, Vizir?

Großvizir. Nicht ich! doch die Erfahrung lehrt uns leider, daß der Böse ohne Reue verschlingt, was er durch Trug erwirbt, der von ihm Betrognen lacht und auf neue Ränke sinnt.

Khalife. Bis er sich selbst in dem Netze seiner Ränke fängt. Vizir! Wenn die Erde durch Erbeben erschüttert werden wird, und sie ihre Lasten auswerfen wird und ein Mann rufen wird: was schmerzt sie doch? An diesem Tage soll die Erde Neuigkeiten verkündigen, denn der Herr wird sie begeistern. An diesem Tage werden die Menschen hervorgehen nach verschiedner Ordnung: und wer Gutes gethan hat, nach dem Gewichte einer Ameise, der soll dasselbe wieder sehen: und wer Böses gethan hat, nach dem Gewichte einer Ameise, der soll dasselbe wieder sehen.«

»Ben Hafi gleicht dem letztern nicht. Mein treuer, tauber Masul liebt ihn, und Derjenige, den mein treuer Masul liebt, der muß, beim erhabenen Propheten, ein ehrlicher Mann sein; denn meinem treuen Masul sitzet der Geist der Wahrheit in dem Herzen und der Geist der Erfahrung in den Augen, und darum kann er des Gehörs entbehren. Gott nahm ihm hier und legte ihm dort zu. Er erräth den Menschen an den Blicken, den uns unsichtbaren Bewegungen der Lippen, dem leisen Spiele der Gedanken um den Mund, entziffert jedes Fältchen der Stirne, jedes Senken und Erheben der Augenbraunen und sieht mit seiner Seele des Menschen Seele durch das Fleisch, so weit es Gott dem Sterblichen erlaubt. Hast du nicht selbst bemerkt, wie richtig und genau er Ben Hafi's Märchen verstanden hat?

Hätte ich nur immer dem Rathe meines treuen Masuls gefolgt, so wäre nun Vieles anders! Der edle Abdallah, mein Bruder, lebte an meinem Hofe, und ich hätte einen Freund in ihm. Nur Masul sprach für ihn; aber ich hörte die Stimme des Treuen nicht; der Glanz, die Sorge der neuen Würde, das Geräusche der lärmenden Feste und, mehr als Dieses alles, die glatten, gesprächigen Zungen seiner listigen Feinde hatten mein Gehör betäubt und mein Herz durch Furcht verhärtet.«

Großvizir. Der edle Abdallah! Er, der nach dem Thron und Leben seines Herrn und großmüthigen Bruders strebte!

Khalife. So sagtet ihr: vielleicht that er's auch, wenigstens gebiete ich oft dadurch der Rührung meines Herzens für ihn; aber wenn ich wiederum gedenke, welch ein liebender Bruder, welch ein muntrer, aufrichtiger, geistreicher Gefährte er mir während des Lebens unsers Vaters war, und wie ich ihn, von dem Augenblick, da ich den Thron bestieg, durch allzu viele Kälte, die ihr Klugheit nanntet, von mir entfernte, ihn endlich gar verdammte, ohne ihn zu hören, so wünsche ich, er wäre an meiner Stelle auf den Thron der Khalifen gestiegen. Ich hätte dabei gewonnen, für diese und jene Welt, und, Großvizir, bei dem Glanze des Ewigen! Abdallah hätte seinen Bruder nicht ungehört verdammt, denn er war so stark, als er weise und gut war.

Großvizir. Herr, wer verdammte ihn? Sprach er sich nicht selbst das Urtheil durch seine Flucht?

Khalife. Du hast Balsam für jede meiner Wunden, Linderung für jeden Stich durch mein Herz, dies habe ich längst erfahren; doch deine Heilart gelingt nicht ganz, die Narben bleiben, und jede kleine Erschütterung reißt die Wunde wieder auf.

Großvizir. Deine allzu große Güte, deine zu sanfte Milde waren immer die Plagen deines Herzens, und selbst die traurige Erfahrung, welche du täglich machst, wie wenig ihrer die Menschen werth sind, wie selten sie ihnen entsprechen –

Khalife. Und wenn sie die Menschen so ganz verdienten, was thäte ich wohl, das des Redens werth wäre? Der Thron der Khalifen wäre mir ein ganz bequemer Sitz, wenn ich nur so gut sein dürfte, als ich es gerne wäre; doch ihr polstert ihn mir mit Dornen, denn ihr beweist mir ohne Unterlaß, man müßte hart und streng sein, und da ihr mir die Härte und Strenge immer zur Pflicht zu machen wißt, was bleibt mir übrig, als es eurem eigenen Gewissen zu überlassen? So dachte ich auch, da mein Bruder fliehen mußte!

Großvizir. Leider ist es nun nicht anders, und Alles kommt von dem in den Menschen eingewurzelten Bösen her, und darum muß man sie mit einem eisernen Scepter regieren und zum Guten peitschen.

Dein Bruder floh, weil er kein Zutrauen mehr in sich fühlte, vor dich zu treten!

Khalife. Er hatte keins zu mir, und darum floh er. Er mußte fliehen, vor seinem Bruder fliehen, um sein Leben zu erretten, um seinem Bruder vielleicht ein Verbrechen zu ersparen. Wo mag er sein? In welcher elenden Hütte dürftig schmachten, während ich im Ueberfluß hier sitze und Asiens Schätze ausspende? Vielleicht steht er längst als Ankläger gegen mich vor Gott und mein Vater zu seiner Seite. Er ist gerecht! Besser, ich hätte erlitten, was er erlitten hat; denn dem unschuldig Verfolgten öffnen sich vor allen die blühenden Gärten des Propheten, und der höchste Sitz ist sein ewiges Lager.

Der Großvizir hatte dieses so oft gehört und umsonst bestritten, daß er endlich die weise Regel wählte, den Khalifen über diesen Gegenstand so lange ohne allen Widerspruch reden zu lassen, als er es für gut hielt. Das Aeußerste, was er sich hierbei merken ließ, war ein kaltes, bedauerndes Mienenspiel, ein stiller Seufzer, von einem frommen Blick zum Himmel begleitet, wodurch er dem Khalifen bedeuten wollte, es sei traurig, daß Abdallah so vieler Zärtlichkeit nicht würdiger gewesen sei, und daß man Alles, was er und seine Gehülfen dabei gethan hätten, als ein Opfer der Nothwendigkeit ansehen müßte.

Der Khalife fuhr fort: »Nun muß ich einen Freund in Jedem suchen, zu dem mein Herz mich hinzieht; warum ich keinen Freund an meinem Hofe suchen kann und soll, dies weißt du am besten. Du hast mir erwiesen, und meine Erfahrung hat mich davon überzeugt, daß Jeder den Khalifen nur um der Macht und der Vortheile willen liebt, die er ertheilen kann. Ich kann es nicht ändern und muß es geschehen lassen; Alles, was ich dabei denke, ist: mögen sie diese Macht zum Besten meines Volks gebrauchen und nicht vergessen, daß der Diener, dem der Herr vertraut, der gleich ihm doch nur ein Mensch ist, zwiefach strafbar vor Gott und Menschen wird, wenn er diese Macht mißbraucht.«

Auch dieses war dem Großvizir nichts Neues; er wußte ja wohl, daß, wenn er dem Khalifen eine Sache durch öfteres Anliegen und Wiederholen recht schwer und lästig machte, er es am Ende noch für Gewinn halten mußte, sich der Bürde durch Bewilligung Dessen, was man ihm so gewaltsam abdrang, zu entledigen. Dabei schonte ihn freilich der Großvizir in so weit, daß der Herr der Gläubigen entweder glauben mußte, er habe ohne allen Zwang aus eignem Willen gehandelt, oder der Tugend und Güte seines Herzens ein Opfer dargebracht. In diesem Sinne fuhr er einige Tage fort, an dem Khalifen zu nagen und zu quälen; aber trotz aller seiner List, seiner feinen Wendungen und versteckten Drohungen, scheiterte er hier zum erstenmal. Selbst die Langeweile, die er ihm damit verursachte (das fürchterlichste Uebel für den Khalifen), beförderte diesmal seine Absicht nicht. Er fragte ihn mit ganz ungewöhnlichem Ernste:

»Fürchtest du den armen, guten Narren?«

Der Großvizir lächelte verächtlich.

Khalife. Nun, wenn du ihn nicht fürchtest, was macht dich zu seinem Feinde?

Großvizir. Muß ich darum der Feind eines Mannes sein, weil ich ihn erkenne, wie er ist, und mich seine listigen Absichten nicht verblenden. Mir kann er nicht gefährlich werden; wodurch vermöchte er's?

Gib ihm Gold, so schwer er selber ist, ich wünsche es ihm; aber in dem Augenblick, da ich dieses wünsche, muß ich dir sagen, der Mann taugt an dem Hofe des Khalifen zu nichts, taugt in Bagdad zu nichts, taugt in deinem ganzen Lande zu nichts. Er hält nichts von der Ordnung, nichts von meinem durch die Erfahrung bewährten Spruche. Seine nur ihm eigne Verwegenheit, dir gewisse Dinge ins Angesicht zu sagen, die nie einer deiner Unterthanen zu denken wagte – Gedanken laut werden zu lassen, die, wenn sie in den Köpfen deiner treuen Unterthanen erwachten, deinen festen Thron, dein und ihr Glück erschüttern könnten. –

Khalife. Davon weiß ich nichts, und was kümmert es mich, was er von den Bösen und von den Thoren spricht? In mir erweckt er Gedanken, mit denen ich ganz zufrieden bin, die ich wohl in jüngern kräftigem Jahren und zu bessern Zeiten selbst gedacht habe. Du weißt, warum diese Gedanken nicht zu Thaten reiften. Auch fürchte ich für mich und für mein Volk gar nichts von diesem Manne; denn der Khalife, der so fürchtete, wie du zu fürchten scheinst, müßte des Bösen viel gethan haben, oder zu thun noch Willens sein, und das Volk müßte noch thörichter und böser sein, als du es mir zu malen ohne Unterlaß beflissen bist.

Ben Hafi soll heute anfangen, seine mir versprochenen Wanderungen zu erzählen, und ich lade dich dazu ein.

Großvizir. Verzeih mir, Herr, die einzig kühne Frage: Was hast du an dem Menschen? Was glaubst du an ihm zu haben?

Khalife. Was ich an ihm habe? Wenn ich Alles wüßte, was ich an ihm hätte, so könnte es mich vielleicht der Freude des Suchens, vielleicht gar des Gewinnstes des Funds verlustig machen. Der Taucher muß nicht wissen, auf welcher Stelle die edelste Perle in dem Grunde des Meers verborgen liegt, sonst läßt er die minder edlen liegen, und dies wäre doch Verlust für ihn, da viele minder edlen selbst den Werth der reinsten und größten aufwiegen können. So sagt ein weiser Ausleger des Korans, indem er von der Menschenliebe spricht und uns damit eine kluge Warnung gibt.

Ich will nicht wissen, was ich Alles an Ben Hafi habe, damit ich länger etwas an ihm haben mag.

Großvizir. Nachfolger des Propheten, dein Gleichniß ist schön; aber ich verstehe es nicht.

Khalife. Du verstehst es nicht, weil du in dem Menschen keine Schätze suchst.

Großvizir. Und das darum, Herr, weil keiner deiner Diener die Zeit erübrigen kann, sich vergebens zu bemühen.


 << zurück weiter >>