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Elfter Abend.

Ben Hafi erschien auf den Glockenschlag, und begann:

Abdallah, Herr der Gläubigen, erwachte aus der unaussprechlichen Angst, in die ihn der Geist versetzt hatte, an dem Ufer des Meers, unter der Sorge eines Fischers, der, als er die Augen öffnete, seine Rückkehr in das Leben mit einem treuherzigen und freudigen Lächeln begrüßte.

Noch wußte er nicht, was mit ihm vorgegangen war, wie er hierher gekommen sei; aber als er den Himmel wieder in seinem Glanze erblickte und das wogigte Meer und die grünende Erde übersah, und ihn die ganze Schöpfung in ihrem ursprünglichen, stillen und erhabenen Schmucke zu bewillkommen schien, goß sich sanfte Gluth des Lebens in sein Herz, strahlte aus seinen Augen in des Fischers Nasers Augen, der mit ruhiger Zufriedenheit den Bewegungen seiner Seele zusah.

Abdallah fragte ihn in dem mildesten, dankbarsten Tone: »Wo bin ich? Wie bin ich hierher gekommen?«

Der Fischer antwortete:

»Er habe hier in der Nähe sein Netz ausgeworfen, ihn auf der Klippe mit einem Menschen von sonderbarer Art, Gestalt und Kleidung gesehen und darauf bemerkt, wie er von der Klippe taumelnd ins Meer gefallen sei. Er habe sein Netz fahren lassen, sei in das Meer gesprungen, habe ihn gerettet und an das Ufer gebracht, wo er ihn nun mit großer Freude wieder leben sehe!«

Abdallah dankte seinem Retter mit der tiefsten Rührung und setzte seufzend hinzu:

»Guter, mein Dank ist Alles, was ich dir dafür geben kann, daß du dein Leben um meinetwillen gewagt hast.«

Naser, der Fischer, erwiederte:

»Und was wolltest du mir wohl noch mehr geben? Ist doch schon dies zuviel. Sieh, das Schicksal meinte es mit uns Beiden gut, wie ich nun gewahr werde. Ich habe heute, wie es mir vorkommt, den reichsten Fang meines Lebens gethan. Mein Netz ist so voll, daß ich mich lange vergebens bemühte, es an den Strand zu ziehen. Ich mußte mir erst in dir einen Gehülfen an das Ufer tragen, das mir viel leichter war. Gefällt dir es nun, so hilfst du mir meinen Gewinn in Sicherheit bringen, wofür ich dir herzlich gern einen Theil zum Lohne überlassen will.«

Die Worte, der Ton, mit dem sie gesprochen wurden, die treuen Gebärden, welche sie begleiteten, träufelten wie Balsam in Abdallahs Wunden. Er drückte des Fischers Hand und sagte:

Du hast dir ein Recht auf mein Leben erworben, gebiete mir, und traust du mir, so gewähre Dem, der keine Stätte der Ruhe auf Erden hat, Gastfreundschaft. Gerne will ich dir alle die Dienste leisten, deren ich fähig bin und die du mich lehren wirst; aber du wirst einen ungeschickten Gehülfen in mir finden, einen willigen und eifrigen gewiß.

Der Fischer Naser. Bedarf es doch nicht mehr.

Er führte Abdallah nach der Stelle, wo er sein Netz ausgeworfen hatte, theilte sein Frühstück mit ihm und lehrte ihn dann die Handgriffe des Zugs. Abdallah arbeitete aus allen Kräften, der Zug war reich, sie füllten die Barke, ruderten den Kahn, an den sie befestigt war, dem Ufer hin nach der Stadt Meliopour und landeten bei einer geräumigen und reinlichen Hütte.

Auf einen Schrei des Fischers, der das Glück seines heutigen Tags bezeichnete, sah seine Tochter aus dem Fenster und sang ihm eine Strophe des Willkomms und der Freude über das angekündigte Glück entgegen. Die untergehende Sonne vergoldete die wogende, in der Ferne schon dämmernde Fluth, und ihr Widerschein glänzte in dem zartesten Rosenschleier auf dem freudigen Gesichte des Mädchens. – Abdallahs Herz strahlte in diesem Glanze, welcher die bald in Finsterniß sinkende Schöpfung vor ihrer Verhüllung so schön und feierlich erleuchtete. – Das Mädchen verhüllte sich, kam mit der alten Amme aus dem Hause, und Alle legten Hand an, den begrüßten und bewunderten Schatz nach den frischen Behältern ins Innere des Hofes zu bringen.

Nach geendigter Arbeit führte der Fischer Abdallah in die Hütte und stellte ihn seiner Tochter und der Amme als einen Gastfreund vor, erzählte, welchen Dienst er ihm beim Zuge des Netzes geleistet hätte, und wie es ihm ohne seinen Beistand unmöglich würde gewesen sein, den reichen Fang nach Hause zu bringen.

Abdallah verwies ihm freundlich das Gesagte und erzählte mit Wärme, wie ihn der Vater, mit Gefahr seines Lebens, vom Tode gerettet hätte.

Das Mädchen sagte: »Und doch hat der Vater recht. Was er für dich gethan hat, mußte er wohl thun, es war nur Pflicht; aber Das, was du für ihn gethan hast, war Gefälligkeit von dir.«

Abdallah erstaunte über diese Worte und bat das Mädchen, sich zu erklären. Sie sprach:

»Weil du mir nach deiner Sprache und deiner Art kein Mann zu sein scheinst, der zu solchen Geschäften geboren ist und darum gewiß etwas gethan hast, das dich viel kosten mußte. Denn entweder mußtest du dich dadurch erniedrigt fühlen, oder dich deines Unglücks dabei recht tief erinnern.«

Der Fischer sah nun Abdallah aufmerksam an und entdeckte erst jetzt, was des Mädchens Auge auf den ersten Blick wahrnahm. Mit einiger Verlegenheit fragte er Abdallah, wer er sei, und bat ihn, ohne seine Antwort abzuwarten, um Vergebung, wenn er sich nicht so gegen ihn betragen hätte, wie er wohl nach Dem, was er jetzt merkte, hätte thun müssen. Die Worte des Mädchens und des Alten schmerzten Abdallah. Er sprach:

»Freund, ich bin ein Unglücklicher! Ein schuldloser Unglücklicher, wenn Der sich schuldlos nennen kann, der es wagt, das Schicksal zu versuchen. Sieh, ich habe keine Ruhe, keine Stätte auf Erden, mein Haupt niederzulegen, ich suchte sie bei dir, und doch – wäre ich dir nicht so verpflichtet, wie ich es bin, deine Worte und deine Entschuldigungen würden mich von deiner Schwelle treiben, bevor ich an deinem Tische das Brod der Gastfreundschaft genossen hätte.«

Das Mädchen eilte schnell nach dem Tische, brach das Brod, füllte einen Becher mit Wasser und reichte ihm beides mit furchtsamer Freundlichkeit dar.

Abdallah nahm es aus ihren Händen und sagte gerührt: »Ich nehme das Brod und den Trank des Freundschaftsbundes aus deinen Händen!«

Und als er das Brod und das Wasser genossen hatte, fuhr er fort:

»Frage nicht, wer ich bin. Nimm meine Dienste an, und haben wir uns wechselseitig geprüft, so sollst du vernehmen, wem du das Gastrecht so freundlich verliehen hast.«

Das Mädchen sagte schüchtern:

»Wir werden deines Geheimnisses achten – doch meinen Vater nennt man Naser – die Amme Fatme, und mich Selahmeh –«

Abdallah. Nenne mich Hafi – denn so heiße ich.

Khalife. Hafi! Hafi! Ben Hafi und Hafi! Führt dies nicht zu etwas?

Ben Hafi. Vielleicht, Herr!

Die Amme Fatme trug die Abendmahlzeit auf, und nach dem Essen sprach Selahmeh:

»Sieh, Gast, jeden Abend singe ich meinem Vater eines meiner Lieder. Hat er einen guten Fang gethan, so besinge ich das Glück des Fischers, kommt er unbelohnt zurück, so singe ich ihm das Lied der Hoffnung: aber heute singe ich zuerst das Lied des Willkomms dem neuen Gaste, wie es bei uns gewöhnlich ist.

Während der Lieder des Mädchens fühlte Abdallah den Stachel seines Kummers nicht. Nach einem glücklichen Abend ging er in das Kämmerchen, das ihm der Fischer Naser in dem Hofe anwies, und als ihn dieser verließ, und er den gestirnten Himmel über sich sah, rief er:

»Furchtbarer Verfolger! laß ab von mir, und ich bin gerettet. Noch fühle ich schaudernd den Schrecken, den du in meine Seele geschleudert hast; aber unter dieser erhabenen Decke, die du mir verfinstert hast und die ich nun in ihrem Glanze wieder sehe, will ich die Kraft sammeln, allen Schrecken zu besiegen. Mein Bewußtsein soll erwachen unter dem Erkennen meiner Thorheit. Vielleicht gewährt mir das Schicksal noch eine gute That, und will es, daß ich noch schrecklicher büßen soll, so gehe ich willig ihm entgegen. O mein unglückliches Vaterland, nur bei deinem Andenken verlöscht alle meine Hoffnung!«

Morgens ging Abdallah mit Naser auf den Markt, um den Fang des vorigen Tags zu verkaufen. Nach einigen Tagen fragte er diesen:

»Willst du mich für den nöthigen Unterhalt des Lebens zu deinem Gehülfen annehmen, so sage es nun frei heraus. Meinen guten Willen und Eifer hast du gesehen, sie werden nicht erkalten.«

Naser antwortete: »Hafi, wir Armen sagen: je mehr der Kinder, je mehr der Arme und je reicher der Vater. Ich habe keinen Sohn; willst du der meine sein?«

Der Bund der Vereinigung ward zwischen den beiden schnell und leicht geschlossen, da Treue, Güte des Herzens, wechselseitiges Bedürfnis und Armuth den Grund des Vertrags ausmachten.

Abdallah würde nun ganz glücklich gewesen sein, wären die Erinnerung des Elends seines Vaterlandes und die Furcht vor seinem schrecklichen Verfolger nicht seine unablässigen Begleiter gewesen. Seine Stirne verfinsterte sich, sein Herz füllte sich mit Wehmuth, und nur selten gelang es der muntern Selahmeh, durch Gesang und Erzählungen, ihren traurigen Bruder, wie sie ihn dann nannte, aufzuheitern. Das Geschäfte des Erwerbes ging indessen so glücklich von statten, daß Naser eines Abends sagte:

»Der Segen ist mit Hafi in unser Haus gekommen.«

Dieser Glaube des Fischers erweckte die angenehmste Empfindung in dem Herzen Abdallahs, denn er sah sich bis auf diesen Augenblick, nach allem Geschehenen, als ein Wesen an, das das Schicksal verdammt hatte, überall Unglück zu erfahren, oder zu veranlassen.

So lebte er nun viele Monate, als Naser, durch eine Verkältung, die er sich durch einen nächtlichen Schlaf am Ufer des Meeres zuzog, erkrankte und sich von seinem Lager nicht mehr erhob. Eine unheilbare Lähmung lag auf seinen Gliedern. Abdallah tröstete ihn in seinen Leiden, übernahm die Nahrungssorge nun allein und wandte jeden ersparten Augenblick an, ihm zu dienen, ihn mit Hoffnung und Zusprache aufzumuntern und die Pflege mit der treuen Tochter zu theilen. Täglich trug er den Lahmen auf dem Rücken nach einem mit Bäumen besetzten Platze vor der Stadt, daß er da des Schattens, des Gesangs der Vogel, der Kühle und der frischen Luft genösse. Die Nachbarn, die den Fremdling mit seiner Last vorübergehen sahen, priesen, gerührt von Abdallahs Treue, Liebe und Fleiße, Naser glücklich und stellten Abdallah ihren Söhnen als ein Muster der kindlichen Ergebenheit vor. So ward Abdallah bald der Gegenstand der Achtung, Liebe und Bewundrung aller der Menschen, die von dem Schweiße ihres Angesichts leben und die Den nur für den Besten, Weisesten und Glücklichsten halten, der die Pflichten erfüllet, welche das Herz uns lohnt. Oft hörte Abdallah sein Lob mit eigenen Ohren, und es war ihm so wenig von dem Günstlinge eines Sultans und dem Großvizir zurückgeblieben, daß ihn dieses Lob mehr ergötzte, als ihn einst der Beifall und die Bewunderung des Hofes von Giuzurat über Thaten ergötzt hatte, die ihm jetzt so zweideutig schienen.

Als er eines Tages nach der Arbeit Naser an den gewöhnlichen Ort der Erfrischung getragen und ihm da einen weichen Sitz zurecht gemacht hatte, sah dieser, von der kühlenden Luft des Meeres erquickt, Abdallah gerührt an und sprach:

»Freund, was wäre der arme Naser nun ohne dich? Ein elender Krüppel, der mit seinem einzigen guten Kinde Hungers sterben, oder von dem Mitleiden der Armen kümmerlich und schmählich leben müßte. Ach, wohl war dies der glücklichste und reichste Zug, den ich mein Lebenlang aus dem Meere gethan habe, da ich dich auffischte. Das Schicksal sandte mich jenen Morgen dahin und verordnete Alles so, daß ich einen Retter für die Zeit finden sollte, in welcher mich seine schwersten Schläge treffen würden. Ich fühle sie nun nicht, beklage mich auch nicht; denn Das, was du für mich thust, macht mir oft sogar mein Leiden angenehm. Nur dies, daß du allein, für Zwei – für Drei arbeiten mußt, ist eine schwere Last für mich.«

Abdallah sprach ihm Muth zu, erinnerte ihn an seine Schuld, aber Naser antwortete:

»Könnte ich mich auch hierüber trösten, so bleibt mir doch eine Sorge, und diese werde ich wohl mit in das Grab nehmen müssen.«

Abdallah. Das wirst du nicht, wenn du nicht vergißt, daß du einen Freund und Sohn hast.

Naser. Einen Sohn! Ach, Hafi, wärst du meines Standes, ich würde dir längst meine Sorge anvertraut haben; aber du bist nicht meines Standes, du bist zu uns heruntergestiegen, wie meine Tochter sagt, theilst jetzt Armuth und Erniedrigung mit uns; doch das Glück und die Gerechtigkeit lassen einen Mann, wie du bist, nicht immer im Elende, sagt meine Tochter, und darum kannst du dich nicht mit uns auf das Leben verbinden. Ich meinte, es könnte doch wohl sein; aber meine Tochter bewies mir das Gegentheil zu klar; und darum muß ich meine Sorge mit mir in das Grab nehmen.

Abdallah. Mein Bund mit dir war auf das Leben, von dem Augenblicke an, da du es errettet hast, da ich aus deiner Tochter Hand das Brod und Wasser empfing und du dem Unbekannten trautest, ihn als Gastfreund, darauf als Sohn aufnahmst.

Naser. Ich forsche gar nicht, wer du bist, und wenn auch das neugierige Mädchen und die noch neugierigere Amme in mich dringen, so antworte ich ihnen: »Was kümmert uns Das, was er war! Ist er nicht ein guter Mensch, muß er nicht einer der Besten sein, da er an mir thut, was Söhne so selten an ihren Eltern thun?« und darum, Hafi, darum wollte ich dir gerne den einzigen und kostbarsten Schatz geben, den ich besitze, und dann ruhig einschlummern, wann der Engel des Todes vor mein Angesicht tritt, mich abzurufen.

Abdallah. Ist dieses deine einzige Sorge, so gib sie auf. Ich nehme den kostbaren Schatz an, dem ich mehr schuldig bin, als du glaubst. Ist es nicht deine Tochter?

Naser. So trage mich schnell nach Hause, der Wind würde mich nun doch nicht mehr kühlen.

Selahmeh stand auf der Schwelle und wunderte sich, daß der Vater heute so geschwind zurückkam. Der Vater sagte ihr, was geschehen war, das Mädchen erröthete, wie an jenem ersten Abend, da der Rosenschleier der Abenddämmerung ihr Angesicht erleuchtete. Abdallah legte sein Versprechen in ihre sanft bebende Hand. In dem nämlichen Augenblick erinnerte er sich seines furchtbaren Verfolgers, und Entzücken glänzte in seinen Augen, da er den Schrecklichen nicht wahrnahm.

Großvizir. Warum sollte er ihm auch jetzt erscheinen, da er den dümmsten Streich macht und des Geistes Absicht zu sein scheint, daß er das Maß seiner Thorheit recht anfülle.

Der Mensch ist unheilbar! Wahrlich ein schöner Glückwechsel für den Vizir des Sultans von Giuzurat, und die Erfindung macht dem Erzähler Ehre.

Ben Hafi. Dieses beiseite gesetzt, Vizir, so entschloß sich Abdallah hierzu, weil er des Glückes Wechsel müde war und anders über Glück zu denken scheint, als du!

Khalife. Vizir! Unterbrich Ben Hafi nicht. Ich habe schon lange vergessen, daß der Mann Vizir war, und dachte nur, er sei ein guter Mensch. Bloß darum fürchtete ich jeden Augenblick, der finstre Geist würde wiederum auftreten und ihm sein Glück verderben, das, so arm er auch ist, doch immer Glück ist und vielleicht ein glücklicheres Glück, als das meine und das deine.

Ich sehe nun wohl, wo Ben Hafi hinaus will, und leicht kann es noch geschehen, daß du eine Reise zu diesem armen Fischer machen mußt.

Fahre fort, Ben Hafi, ob ich gleich weiß, was du erzählen willst, so will ich mir es doch von dir erzählen lassen, weil dir's Vergnügen macht und ich noch mehr daran glauben werde.

Scheue dich übrigens nicht; bringe Fischer, Krüppel, Arme und Waisen in dein Märchen, sie sind mir alle willkommen, und wenn ich dabei über etwas klage, so ist es nur darüber, daß ich sie nicht alle zufrieden, gesund und glücklich machen kann. Gott ist ihr Vater, und er hat den Khalifen um ihretwillen zu seinem Stellvertreter auf Erden gesetzt.

Ben Hafi. Gott höret dich!

Khalife. Und sieht in mein Herz, sieht, daß meine Lippen Wahrheit reden. Er weiß, sieht und hört Alles, ihm ist Alles bekannt. Euer Gott ist ein Gott, außer ihm ist keiner; er ist barmherzig, gütig, groß und mächtig. In der Schöpfung des Himmels und der Erde, in dem Wechsel der Nacht mit dem Tage, in dem Schiffe, das über die Fluthen des Meers dahinfährt zum Nutzen der Menschen, in dem Regen, den er vom Himmel sendet, die trockne Erde zu erquicken, und in der Veränderung des Windes und in den Wolken, die gezwungen sind, zwischen dem Himmel und der Erde ohne Lohn zu dienen, sieht der Verständige hohe Zeichen seiner Güte und Barmherzigkeit. Gläubige! Vergeßt nicht, daß er die erhaltenden Engel, die Liebe und das Mitleiden zwischen die Menschen gestellt hat;« dieses ist eines seiner höchsten Zeichen!

Ben Hafi. Um Mitternacht setzte sich Abdallah heitern Muths in seinen Kahn, ruderte an dem Strande des Meers hin, hoffte auf einen glücklichen Fang, um von dessen Ertrag seine Hochzeit zu besorgen. Er fuhr gegen die Klippe, und als er sein Netz ausgeworfen, seinen Kahn und seine Barke hinter dem Gesträuche befestigt hatte, stieg er zum ersten Mal ohne Schauder auf den Felsen, auf welchem er die Todesangst erlitten hatte. Hier wollte er den Aufgang der Sonne abwarten.

Das Rudern hatte ihn ermüdet, die sich erhebenden Morgenwinde bliesen scharf und schneidend. Um sich vor ihnen zu schützen, lagerte er sich in der engen Kluft des Felsens, aus welcher die junge Cypresse, an der er sich einst bebend hielt, hervordrang. Er entschlief und träumte so leicht, wie die Winde, die in der Cypresse über seinem Haupte säuselten und seine Stirne umspielten.

Bald weckten ihn Stimmen tief im Felsen unter ihm Redender auf. Er lauschte und vernahm Berathschlagungen über die Ausführung einer Verschwörung gegen den Sultan von Karnatek, deren Mittel, Ausbrechung und Zweck bestimmt wurden. Aus dem Reden und Tone vermerkte er, daß die Sprechenden Leute von Wichtigkeit und selbst vom Hofe des Sultans waren. Jeder beklagte sich über die Strenge und den Geiz des Sultans, über sein Hervorziehen geringer Leute, und Jeder suchte das schwarze Unternehmen mit der Farbe der Gerechtigkeit zu schmücken. Besonders hörte er den Sohn des Sultans von Jedem beklagen, den der Geiz und die Eifersucht des Vaters, nach ihrer Meinung, in der schimpflichsten Erniedrigung und Beschränktheit hielte, und der sich von dieser Sklaverei nicht anders, als durch den Sturz des Mannes, der sich so wenig gegen ihn als Vater bezeigte, befreien könnte. Jeder schloß, die Ausführung dieses Unternehmens sei die schönste That, da sie dem jungen, kraftvollen und großmüthigen Prinzen den Weg öffnete, durch seine Tugenden und große Eigenschaften die Karnateker zu beglücken und dem ganzen Lande wiederum zu seiner vorigen Blüthe zu verhelfen. Zuletzt sprach eine sanfte, mehr klagende, als Empörung hauchende Stimme, die endlich bis zum Ton des Bittens heruntersank, aber Abdallah konnte den Sinn der Worte nicht durch den Felsen vernehmen.

Die Verschwörer beeidigten ihr Vorhaben, die Sonne glitt über das Meer herauf, und Abdallah hörte die Redenden sich in dem Felsen bewegen. Leise hob er das Haupt über dem Felsen empor und sah sie, vierzehn an der Zahl, sich auf Pferde werfen, welche Sklaven in weiter Entfernung hielten.

Als Abdallah sie nun aus den Augen verloren, stieg er von der Klippe herab, umging sie und entdeckte endlich eine Oeffnung, die in eine geräumige Höhle führte. Ueber Das, was er gehört hatte, stand er lange in bangem Erstaunen da. Er wußte von dem Sultan weiter nichts, als was das Volk von ihm erzählte. Dieses pries einmüthig seine Strenge, Enthaltsamkeit und Gerechtigkeit und konnte nach Abdallahs Meinung nichts Besseres von ihm sagen, als daß er, streng gegen sich selbst, Andern keinen Fehler nachsehe und kein Verbrechen ungestraft lasse, der Fehlende oder Verbrecher möge ein Rath seines Divans, ein Großer seines Hofs, oder ein armer Lastträger sein. Um so mehr fühlte Abdallah die ihm obliegende Pflicht, diese Verschwörung dem Sultan zu entdecken; aber ein kalter Schauder überfiel ihn bei dem Gedanken, daß er sich dadurch abermals in das gefährliche Wesen der Herrscher der Menschen und ihrer Diener mischen und seine kaum errungene Ruhe, sein noch nicht mit Sicherheit genossenes Glück aufs Spiel setzen müßte. Noch größer ward seine Verlegenheit, da er bedachte, wie wenig ihn sein jetziger Stand und seine jetzige Lage zu einer solchen Entdeckung geschickt machte, und wie es Leuten von der Bedeutung und Wichtigkeit der Verschwornen leicht sein würde, bei dem geringsten Argwohn entweder seine Entdeckung zu unterdrücken, zur Fabel zu machen, oder ihn aus der Welt zu schaffen, bevor er bis zu dem Sultan gelangen könnte.

Plötzlich hörte er das sausende Geräusche des Gewands des Geistes; er stand in derselben Sekunde vor ihm, und die Sonne, die durch den Riß des Felsen fiel, erleuchtete sein kaltes, ernstes, furchtbar erhabenes Angesicht.

Ein tiefes Aechzen entriß sich der Brust Abdallahs, und alle seine Hoffnungen, seine Wünsche, sein Glück schienen sich in diesem Augenblick von seinem Herzen zu lösen.

Der Geist sprach in seinem festen, zermalmenden Tone:

»Abdallah! Vor Kurzem stand über diesem Felsen dein Sklave, der Sklave der Nothwendigkeit, deines und seines Meisters, vor dir. Du entflohst mir und hofftest, das ungeheure Meer sollte dich vor mir schützen. Das ungeheure Meer durfte dich nicht aufnehmen, es stieß dich aus, warf dich den Menschen zu, und nun stehe ich abermals vor dir, unter demselben Felsen. Und stiegst du auch durch diese Höhle zu dem Mittelpunkt der Erde, ich müßte dir folgen, bis der Zwang zwischen mir und dir von dem Mächtigern gelöst ist.

Ich sah so kalt in deinen Tod, wie ich in dein Erwachen am Strande blickte: doch dieses ahnete ich nicht und glaubte mich von deinem Joche befreit; aber aus deiner Rettung merke ich, daß das tiefsinnende und fernsehende Schicksal das Blatt aufgeschlagen hat, dessen Inhalt mir verborgen ist, weil ihn dein eignes Herz bestimmen soll.

Darum warne ich dich nicht über die That, die sich jetzt unruhig in deinem Busen wälzt.

Sieh hin zu deinen Füßen und nimm diesen vor dir liegenden Siegelring auf. Einst werden die Menschen sagen, der Zufall habe ihn von dem Finger des Besitzers gestreift; vielleicht denkst du es selbst: denn so nennt ihr die Begebenheiten, deren verborgene Ursache ihr nicht faßt. Nach eurem Sinn entscheidet ja wohl auch der Fall eines Ringes von dem Finger eines eures Gleichen über das gegenwärtige und künftige Glück eines Landes, das Millionen Lebender trägt und nährt. Verwahre den Ring wohl und schalte über die reifenden Ereignisse nach freiem Sinne. Nochmals blüht dein Glück, und Abdallah kann erhalten, was er verloren hat, Größe, Glück und Macht!«

Abdallah. Bewahre mich vor ihnen und gib mir Ruhe und Weisheit.

Geist. Ich gebe und nehme dir nichts, und du bist für mich in Macht, Größe, Glück, Reichthum, Armuth, Elend und Erniedrigung ein Wesen, das mich weder erfreuen noch betrüben kann.

Der Geist verschwand. Abdallah wickelte den Siegelring fest in einen Zipfel seines Gürtels und ging beklommen an die Arbeit, ruderte in düstrer Stimmung heim, und weder die Freude des Vaters noch die Munterkeit der Tochter konnten ihn jetzt aufheitern. Die Erscheinung des Geistes hatte seine Lebensgeister so durchbebt, daß ihm selbst der Sinn seiner Worte dunkel blieb.

Als er am folgenden Nachmittag den lahmen Naser über den Markt nach Hause trug, hörte er den Herold des Sultans ausrufen:

»Der Sohn des Sultans habe seinen Siegelring auf der Jagd verloren und verspreche dem Ueberbringer desselben zweihundert Derhem, nebst einem Feierkleide.«

Der Herold beschrieb den Ring, und als Abdallah an der Beschreibung den in seinem Gürtel verborgenen erkannte, lief kalter Frost seinen Rücken herunter. Er bebte, und der lahme Naser wankte auf dem Bebenden. Die schwankende Bewegung Nasers brachte Abdallah zu sich, er trug ihn heim, der Abend verfloß ihm traurig, und die Nacht brachte er in ängstlichem Nachsinnen zu, durch welches Mittel er Wohl sicher das gefährliche Geheimniß an den Sultan bringen möchte. Auf jeder Seite war Gefahr, und er konnte zu keinem festen Entschluß kommen.

Morgens begab er sich in die Moschee, da es der Ruhetag der Gläubigen war. Er sah den Sultan mit seinem jungen, blühenden Sohne durch die Vorhalle schreiten, und sein Geheimniß drückte ihn noch schwerer bei ihrem Anblick.

Der Gottesdienst ging an, und auf einmal rief eine Stimme von der Erhöhung:

»Gläubige! Der Khatib (Redner) hat eine Leiche im Hause, und darf heute nicht zu euch reden. Wer von euch fühlt den Beruf, seine Stelle zu vertreten und zu dem Volke zu sprechen!«

Kaum vernahm Abdallah diese Worte, so sah er Licht. Begeistert drang er durch das Volk, stieg auf die Erhöhung, blickte über die Versammlung hin und hielt eine Rede voll Weisheit, Erfahrung und Gefühl, über die Pflichten des Volks gegen seine Regenten, der Regenten gegen das Volk. Darauf betete er für das Leben des Sultans, zeigte im Gebete die Verschwörung im kühnen, prophetischen Tone an und forderte das versammelte Volk auf, ihren gerechten, von Verräthern bedrohten Herrn zu schützen.

Das Volk und der Sultan, sammt seinem Hofe, hörten Abdallahs Rede mit Erstaunen an. Da er aber das Gebet hersagte und grade auf den Sultan hinsah, indem er von der Verschwörung redete, blickte die ganze Versammlung mit ihm auf den bestürzten Sultan. Der Sultan faßte sich schnell und ließ Abdallah durch einen Vertrauten, der seinen Wink verstand, nach dem Palaste rufen.

Abdallah gehorchte mit freudigem Herzen. Als ihn der Sultan erblicke, fragte er ihn mit strenger Miene:

»Mensch, was berechtigt dich zu diesen kühnen und gefährlichen Aeußerungen vor den Ohren meines Volks?«

Abdallah. Die Wahrheit, Herr, dein und deines Volkes Heil. Doch lasse, bevor ich dir mein Geheimniß eröffne, schnell deinen Sohn von einigen deiner Getreusten beobachten; deine Feinde sind seine noch weit gefährlicheren Feinde. Irre dich nicht an meinem Stande, auch der Kleine kann oft dem Großen nützlich werden. Ich habe nichts als mein Leben, mit diesem steh' ich dir für Das, was ich von dir fordere und was ich dir sagen werde.

Der Sultan gab einem seiner Vertrauten diesen Auftrag, und Abdallah erzählte ihm darauf, mit allen Umständen, was er gehört und gesehen hatte.

Sultan.. Sei behutsam, denke, vor wem du stehst, und wen deine Anklage treffen kann. So wahrscheinlich auch Das ist, was du mir da erzählest, so macht mich gleichwohl meine Erfahrung an den Menschen zweifelhaft. Du bist nicht der Erste, der mir durch Vorspieglung ähnlicher Geschichten eine Belohnung abzulocken suchte; aber Mancher empfing dafür, was die gefährliche List verdient.

Abdallah. Ich weiß, Herr, welcher Gefahr ich mich aussetze, und hätte ich der Gefahr mehr geachtet, als der Pflicht, so stände ich nicht vor dir; dich weckten dann die Verschwörer aus deiner Sicherheit, nicht ich!

Gib mir den gedrohten Lohn, wenn ich ihn verdiene, doch vorher prüfe! Auf Das, was du sonst noch Belohnung nennst, thue ich Verzicht.

Sultan. Kannst du einen der Verschworenen nennen?

Abdallah. Wie sollt' ich, ein armer Fischer, ein Fremdling in deinem Lande, die Großen deines Hofes an ihrer Stimme oder in der Entfernung kennen? Unter Herrschern, die dir gleichen, Herr, fühlt selten unser Einer ihr Dasein: denn wenn sie sich durch böse Thaten keinen Namen machen können, so bleiben sie uns zu unserm Glücke unbekannt.

Sultan.. Du bist ein sonderbarer Fischer!

Abdallah. Jeder Stand trägt Menschen sondrer Art. – Gefällt es dir, so will ich dir ein Mittel sagen, die Verschwornen noch heute – noch vor Untergang der Sonne – in zwei kurzen Stunden zu erkennen. Findest du mich als Lügner, so bin ich in deiner Gewalt; rechtfertigt mich der Ausgang, so entlaß ich dich des Danks und Lohns im Voraus.

Sultan.. Deine Worte und deine Mienen, so sehr sie auch mit deinem Aeußern abstechen – ich meine mit deinem Gewande – sind von einem Geiste beseelt, der Zutrauen einflößt. – Rede! welches Mittel soll diese Entdeckung bewirken?

Abdallah. Laß diesen Augenblick deine Großen und Räthe durch einen Herold zum Divan versammeln; in allen Straßen der Stadt laut ausrufen, du bedürftest schleunigst ihres Raths über die Entdeckung einer gefährlichen Verschwörung gegen dich. Keiner der Verschworenen wird erscheinen, jeder von ihnen wird sich auf die Flucht begeben, und diese, Herr – doch, was sinnest du nach?

Sultan.. Rede – ich erstaune – über dich – über Das, was ich höre.

Abdallah. Ich wette, das Gerücht von meinem heutigen Gebete in der Moschee hat sie alle schon im Voraus in Schrecken versetzt. Darum verkündigte ich an heiliger Stätte laut, was ich nicht anders vor dich zu bringen wußte. Denn entweder hättest du mich abgewiesen, oder das Schlimmste für dich wäre mir begegnet.

Sultan.. Weise, fest und klug gedacht ist Alles, was du gethan hast, was du mir nun rächst: doch noch Eins – wie viel zähltest du ihrer?

Abdallah. Vierzehn habe ich gezählt, wie gesagt, und erscheint der Vierzehnte nicht, so ist es Der, welcher sich für sicher hält und es doch am wenigsten ist. Mache indessen nur diese Probe und lasse mich bis dahin bewachen.

Alles Dieses geschah. Der Herold rief den Divan nach Abdallahs Anweisung zusammen: dreizehn Große fehlten, und als man Boten nach ihnen sandte, erfuhr man, daß sie vor einigen Stunden entflohen waren. Der Sultan theilte dem Divan die Verschwörung mit, klagte die Flüchtigen an, entfernte sich und ließ Abdallah rufen.

Zu Diesem sprach er:

»Du hast die Wahrheit gesagt, und der Lohn meines Retters soll dir werden. Doch sieh, der Vierzehnte ist nicht entflohen, und vielleicht ist eben dieser der Gefährlichste von allen.«

Abdallah. Dieses wird von dir abhängen, und darum, weil du selbst so Vieles dabei thun kannst, wage ich, dir ein Geheimnis, zu offenbaren, das dein Herz durchbohren wird. In diesem Siegelring erkennst du ihn.

Er überreichte dem Sultan den Ring, erzählte ihm, wo er ihn gefunden, wie er ihn durch die Beschreibung des Herolds auf dem Markte erkannt hätte.

Der Sultan erblaßte und sagte mit bebender Stimme:

»Mein Sohn! mein eigner Sohn!«

Abdallah. Ja, dein Sohn; ich fühle mit dir deinen tiefen Schmerz.

Sultan.. Er unter Verschworenen gegen mich! Was that ich ihm? Was konnte ihn zu einem so schwarzen Unternehmen bewegen?

Abdallah. Darf ich dir sagen, was ich vernommen habe?

Sultan.. Rede, ich will dich anhören, bevor ich ihn verwerfe und als Richter sein Urtheil spreche. Wüßtest du, wie ich ihn liebe, was ich Alles für ihn gethan habe! –

Abdallah. Und doch hast du nicht Alles für ihn gethan – ich meine für den jungen, leidenschaftlichen Mann in seiner Lage. Deine Strenge, deine Gerechtigkeit, deine Enthaltsamkeit, wofür dein Volk dich segnet, machten die Flüchtigen zu Verschwornen gegen dich, deinen Sohn gesellte ihnen deine vielleicht kluge, doch zu weit getriebene Sparsamkeit zu. Du wolltest ihn früh gewöhnen, mit Dem hauszuhalten, was das Volk ihm anvertraut: aber auch dieses hat seine Grenzen, denn leicht artet Sparsamkeit in Geiz aus. Verzeih, wenn ich dir eine Wahrheit sage, die ich aus dem Munde dieser Männer hörte, die ihn dadurch zum Werkzeuge deines Sturzes zu machen strebten, um in ihm einen von ihnen abhängigen Sklaven auf den Thron zu setzen.

Konnte dein Sohn etwas anders werden, wenn er durch Hülfe Verschworener den Thron bestieg?

Sultan.. Es ist so wahr als schrecklich! aber warum nanntest du ihn nicht gleich?

Abdallah. Herr, sollte dein Volk in deinem Sohne, in seinem künftigen Herrscher einen Verschwornen gegen dich erkennen und es nie vergessen? Sollte sich die schreckliche Geschichte bis auf die spätesten Nachkommen deines Geschlechts fortpflanzen? Hätte ich dir ihn vor der Versammlung des Divans genannt, du würdest ihn als Richter vorgefordert, ihm die Namen der Verschwornen angedrungen haben, und dann mußte seinem Bekenntnisse die Strafe des Verbrechens folgen. Dieses wollte ich dir ersparen und dir einen Sohn erhalten.

Konntest du ihm dann verzeihen, in ihm ferner einen Sohn, er in dir einen Vater erblicken? Nun ist sein und dein Schicksal noch in deiner Gewalt, und du kannst als Vater oder Richter handeln. Dieses Geheimniß verschwieg ich dir, damit seine dir nur bekannten bösen Rathgeber entfliehen möchten, dein Sohn vor den Augen deiner Hofleute und deines Volkes unverdächtig bliebe und du ihn durch Verzeihung, durch weise Ermahnungen, durch Enthüllung der schändlichen, für ihn so gefährlichen Absichten der Verschwornen der Pflicht wieder zuführen möchtest. Ich vernahm den sanften, nur klagenden Ton seiner Stimme durch den Felsen, und diese Stimme kann nicht aus einem harten Herzen kommen.

Sieh, Herr, mit diesem Siegelring übergab ich dir das Mittel, ihn zu erproben, ihn nach deiner fernern Erfahrung als Vater oder Richter zu behandeln.

Doch bemerke, daß allzu sparsame Väter oft ihre Söhne zur Undankbarkeit reizen und noch öfter verschwenderische Erben in ihnen hinterlassen.

Ich setzte mich als Vater an deine Stelle, fühlte als Vater für dich, und darum handelte ich, wie ich gehandelt habe.

Sultan.. Deine Entdeckung fuhr wie ein Dolch durch meine Seele. Doch früher hätte sie mich getödtet, da der Vater über den Sohn das Todesurtheil sprechen mußte. So hast du mein und sein Leben gerettet, und ich will suchen, den Verirrten zur Selbsterkenntniß zu bringen.

Aber wer bist du? Was habe ich in dir, was soll ich in dir haben? Deine Weisheit, deine Erfahrung an den Menschen, deine geprüfte Klugheit setzen mich bei jedem Worte, bei jeder Miene, jedem der Blicke, die sie begleiten, immer mehr in Erstaunen. Wie soll ich dieses mit deinem Stand ausgleichen?

Abdallah. Ich bin ein armer Fischer.

Sultan.. Bist du es jetzt, so warst du es doch nicht immer.

Abdallah. Dies ist mein Geheimniß, Herr, dessen Entdeckung dir nicht nützen kann und das ich mir zum Lohne vorbehalten muß.

Sultan.. Du wirst die Zeichen meines Danks nicht abweisen, wirst nicht so hart gegen mich sein und mir die schwere Last einer solchen Wohlthat auf dem Herzen lassen!

Ich bedarf eines Mannes, wie du bist, mein Sohn bedarf seiner, wie du siehst, noch mehr. Ein Wort von mir erhebt dich zu ihm und mir. In dir habe ich zwei seltne Dinge vereint gefunden, Verdienst und Bescheidenheit, und ich kann dir geben, was nur deinem Aeußern fehlt, was dein Innres wirksamer machen kann.

Ich gebe dir eine Stelle an meinem Hofe – Reichthum und die schönste Jungfrau meines Harems.

Abdallah. Du beliebtest mich weise zu nennen; würde ich diesen Namen länger verdienen, wenn ich einen Schauplatz beträte, auf welchem sich Dinge ereignen, wie ich dir heute mittheilen mußte?

Vergib mir, Herr, ich habe mich mit der Tochter meines Gastfreundes und Wohlthäters verlobt, und die Hütte, die wir bewohnen, ist viel zu klein, ein Weib deines Harems zu beherbergen. Das Glück, das du mir anbietest, habe ich versucht und begebe mich nicht zum zweiten Mal in die Gefahr, daran zu scheitern. Ich bin ein Fischer und bleibe es.

Sultan.. Und was kann, was soll ich für dich thun?

Abdallah. Mich vergessen, und kannst du dies so geschwind nicht, dich meiner bis dahin nicht laut erinnern.

Sultan.. Bei Gott, du bist weiser, als wir alle, und beweisest mit jedem deiner Worte tiefe Erfahrung. Sei glücklich auf deine Weise, doch sei nicht so eigennützig glücklich, laß auch mich es dadurch werden, daß du meinen Dank nicht ganz verschmähst.

Laß mich nur etwas für dich thun! Bin ich dir nicht die Belohnung schuldig, die der Herold dem Finder dieses unglücklichen Rings versprach?

Abdallah. Du gibst sie mir, wenn du mich jetzt schnell entlassest; ich muß eilen, meinen Vater und seine Tochter über meine lange Abwesenheit zu beruhigen. Auch naht schon die Stunde, zu welcher ich gewohnt bin, den Lahmen in die erquickende Luft zu tragen.

Sultan.. Der Glücklichste in meinem Lande bist du, denn du bist der Weiseste. Geh größer von mir weg, als ich je auf meinem Throne saß.

Wenn du meiner bedarfst – wenn ich deiner bedarf – wie soll ich dich nennen, wo dich suchen lassen?

Abdallah. Ich heiße Hafi, wohne in der Hütte des Fischers Naser, am Strande des Meers.

Sultan.. Hafi, auch in mir hast du einen Vater! – Und nichts? Nichts willst du von deinem Vater?

Abdallah. Einen Druck der Hand, die das Schwert der Gerechtigkeit so feste hält – und Milde für den nur verirrten Jüngling, deinen Sohn!

Sultan.. Ich schließe dich in meine Arme, umfasse einen edlen, uneigennützigen Mann, ein Glück, das uns so selten, den Wenigsten – ja fast Keinem von uns wird.

Großvizir. Dein Abdallah ist ganz wahnsinnig, und dieses ist noch das Mildeste, was man von ihm sagen kann.

Khalife. Dies kann wohl sein, Vizir; aber es ist etwas so Schönes und Weises in seinem Wahnsinn, daß ich wohl wünschte, dich und Andere deines Gleichen zu Zeiten in diesem Wahnsinn rasen zu sehen.

Ihr seid freilich alle zusammen gar vernünftige Leute und haltet das Herz, das Gott dem Menschen gegeben hat, für das überflüssigste Ding, und fühltet ihr sein Dasein nicht durch eure unersättlichen Begierden, die euch immer foltern, je mehr ihr empfangt, ihr würdet kaum ahnen, daß ihr: so etwas unter eurer Brust tragt.

Mache dich indessen immer zu der Reise fertig, denn auch ich will, bevor ich Wandere, einen Mann wie diesen da umarmen; bisher ist mir, wie du wohl weißt, dieses Glück noch nicht geworden.

An meinem Hofe soll er leben.

Großvizir. Du hörtest ja, Herr, daß der Stolze dem Sultan Alles, sogar dieses abschlug.

Khalife. Vizir, das kann wohl sein; aber ich bin der Khalife, er der Mann für mich, ich der Mann für ihn, und wenn er dies recht einsehen, empfinden und begreifen wird, so müßte ich mich sehr in ihm irren, schlüge er es mir ab. Demnach mache dich nur immer zu der Reise fertig.

Ben Hafi. Abdallah eilte nach Hause und erfreute die ängstlich auf ihn Wartenden durch seine Gegenwart. Er erzählte ihnen die Ursache seines Außenbleibens, sie priesen ihn glücklich, daß er dem Sultan diesen Dienst erweisen konnte, und weder der Vater noch die Tochter fragte, ob der Sultan ihn belohnt hätte.

Abdallah genoß seines Glücks den Tag über, bestimmte seine Hochzeit auf den folgenden, und als er sich Abends in seine Kammer begab, trat der finstre, kalte Geist vor ihn und sprach:

»Da du mich einstens riefest, dachte ich einen kühnen, großen, unternehmenden Mann in dir zu sehen; es ging mir wie Jedem, der einem Menschen näher tritt, dessen Namen das Gerücht verherrlicht. Es sei! Klein oder groß, feig oder unternehmend, glücklich oder elend, bist du nicht mehr, nicht weniger für mich.

»Du hast nun dein Schicksal aus deinem eignen Herzen entschieden, ich trenne mich auf Befehl meines mächtigen Meisters von dir, schwinge mich in den düstern Nebel meines Eilands, wo ich weder das Lachen noch das Weinen der Thoren höre, die nur leben, um verkehrt zu handeln, und dann zu verwelken.

»Ob du in meiner Gesellschaft etwas gelernt hast, weiß ich nicht, auch kümmert es mich nicht. Ich zeigte dir die Wahrheit, du konntest sie nicht ertragen und seufztest bald nach Täuschung, wie du einstens nach Wahrheit seufztest. Um Das zu werden, was du geworden bist, bedurftest du meiner nicht. Doch was liegt mir daran, was aus dir geworden ist, was aus dir werden wird. Ein Mächtiger trieb mich zu dir, der Unwiderstehliche zieht mich weg.«

Abdallah. Seligster Augenblick meines Lebens – einmal kann ich ohne Schauder in dein wunderbar schönes, furchtbar erhabenes Angesicht blicken! Sage mir nur Eins – und ich will dir danken – mein Herz wird dir zulächeln können – mein Vaterland? –

Geist. So vernimm meine letzten Worte und danke nicht.

Das blutige, herrschsüchtige Spiel des Verraths läuft in Giuzurat zu Ende; schon streckt das Schicksal seinen den Erdball umfassenden Arm aus und greift nach den Schuldigen, das Vergeltungsrecht auszuüben; der Sultan ist und wird sein, was die Meisten seines Gleichen sind.

Hierauf berührte der Geist Abdallahs Stirne und verschwand.

Abdallah entschlief und hatte ein Gesicht.

Er stand in dem erhabenen Gezelte, über den Höhen des Kaukasus, sah die Versammlung der Geister und Genien, vernahm den Sinn der wichtigen Geheimnisse.

Der oberste Genius deutete auf die luftige Wand, und Abdallah erblickte im sanften Schimmer der Morgenröthe die edeln Thaten der Heroen der Tugend. Die Bilder der seinigen erglühten, und der Dienst, den er dem lahmen Naser täglich erwies, schimmerte vor allen hervor.

Der oberste Genius rief mit einer Stimme, die in die Seele Abdallahs wie ein reiner, harmonischer und erhabener Gedanke floß:

»Dein Herz hat die Blüthe des Lebens, welche der kalte Verstand vertrocknen wollte, wiederum belebt. Die schöne Blüthe wird nun reifen zur Frucht, in einsamen, stillen Thaten des menschlichen Lebens. Das Herz erschaffe die That, der Verstand überlege und rathe, Güte und Weisheit umschließen beide, dann geht der Sterbliche sichern und festen Tritts einher, das übrige ist des Schicksals!«

Abdallah erwachte; der rosenfarbene Duft des Gesichts umschwebte seine Stirne, und die Stimme des Genius tönte sanft fort in seiner Seele. Sein Herz und sein Verstand flößen, in der Harmonie der schönen Gemälde des Gezelts und der melodischen Töne, zur Vereinigung. Die Natur zog vor seinen Augen wiederum ihr liebliches Gewand an, er sah sich und die Welt in dem rosenfarbenen Schimmer seines erhabenen Gesichts, und die widrigen, düstern Laute seines Herzens verhallten vor dem Klange der Stimme des Genius.

Khalife. Das düstre, frostige Wesen hat ihn verlassen. – Ich sage dir, Vizir, mache dich zur Reise fertig.

Großvizir. Dein Wille, 0 Herr, geschehe!

Ben Hafi. Der Sultan ließ Abdallah noch einmal rufen und sagte ihm:

»Diesen Ring, Hafi, will ich meinem Sohne auf meinem Todbette erst geben und ihm dann sagen, wie, wann und wo man ihn gefunden hat, zu welcher Stunde ich ihn erhalten habe. Er soll in meiner Familie forterben und jeder Erbe dieses Thrones ihn tragen. Diesen Entschluß verdanke ich dir und deiner Weisheit.

»Nun höre mich weiter an und entscheide zwischen mir und dir.

»Du hast mir deine Tugend so fühlbar und achtungswerth gemacht, daß ich ganz wohl begreife, du könntest allein durch sie glücklich sein. Doch bedenke, ob in diesem Falle deine Tugend nicht allzuviel auf die Kosten der meinigen, vielleicht der Tugend selbst, glänzen würde. Dir kann es genügen, von mir unbelohnt zu bleiben: aber kann es mir genügen? Wird nicht Jeder meines Volks, das den Beweggrund deines Weigerns nicht weiß und, wüßte es ihn, ihn kaum fassen würde, mich des schwärzesten Undanks gegen dich anklagen? Brauche ich dir zu sagen, was dieser so gerechte Vorwurf für Folgen für mich haben kann, haben muß? Wer wird dem Manne ferner, mit einiger Gefahr, einen Dienst erweisen wollen, der einen solchen unbelohnt läßt? Wird es mir nicht alle Achtung rauben? und doch sind Achtung und Liebe meines Volks die Reichthümer, nach denen allein ich geize. Willst du mich ärmer an meinen wahren Schätzen machen? Die Stadt ist voll von Dem, was du für mich gethan hast. Das Gerücht wird von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorfe, bis in die entfernteste, einsamste Hütte laufen, und Jeder wird hinzusetzen: der arme Fischer errettete des Sultans Leben, und der geizige Sultan ließ den Fischer arm.

»Darum nimm von mir, was mehr Schein, als Werth hat, weil du so reich nicht werden willst, als ich dich gern machen möchte.

»Auf jenem Platze, wohin du deinen lahmen Vater zu tragen pflegest, steht ein bequemes Haus, das Pappelwäldchen ganz nah dabei. Einige Hufen Landes und Garten drum herum. Nimm dies und Leute, die dir das Land bebauen, und du bleibst mein Freund und beweist mir's nun, da du mich vor dem Vorwurf des Undanks schützest.«

Abdallah. Deine Gründe sind billig und gerecht, ich gehorche.

Sultan.. So halte deine Hochzeit dort, es ist schon dazu eingerichtet.

Abdallah trug Naser in die neue Wohnung, die Braut ward Abends dahin abgeholt, und kaum ein Jahr darauf legte mich, den armen Ben Hafi, die blühende Mutter, als Sohn der Liebe, in die Arme des glücklichen, weisen Abdallah.

Khalife. Ben Hafi, ob ich dies gleich erwartete, so hast du mich doch überrascht. Was? dieser Abdallah, dessen Geschichte du erzähltest, war dein Vater? Nun, um so wahrer muß dein Märchen sein. Beim erhabenen Propheten! es freut mich herzlich, daß du der Sohn eines solchen Mannes bist, und kann ich den Vater auch nicht haben, so hab' ich doch nun den Sohn gewiß.

Großvizir. Ich dachte es wohl, daß so etwas am Ende herauskommen würde, und das aus gewissen Ursachen. Wahrlich, es ist so fein, als grob. – Man hörte Ben Hafi doch immer an, daß ein solcher Mann sein Vater war.

Khalife. Vizir, hätte es Gott gewollt, er könnte der Sohn eines Khalifen sein!

Ben Hafi. Herr der Gläubigen, dein Vizir spricht nur darum so, weil ich von dem Geiste des Hauptschmuckes nichts an mir habe, den einst mein Vater trug.

Khalife. Um so besser! Um so besser – Friede sei mit dir, euch und allen Menschen!


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