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Mijnheer van Hoenslardyck

Aber der König freut sich in Gott.

Die Bibel

Ganz im Anfang seiner Regierung hatte der König einmal zu seinem Rechenmeister Creutz gesagt: »Wenn alle Schulden bezahlt sind und wenn ich noch zwei Millionen Taler zusammengespart habe, soll ein anderes Leben im Lande beginnen; dann will ich nicht mehr so stark sammeln, sondern splendide Staat halten.«

Und den armen Mann Creutz, als er zu einem der Reichsten im Lande Preußen wurde, hatte es lebhaft beschäftigt, was sich der andere Plusmacher wohl unter splendidem Staathalten vorstellen mochte. In den Kellern des Berliner Schlosses lag nun das Gold in Tonnen aufgestapelt. Da die Kassenbeamten das Neujahrs- und Dreikönigsfest damit hinbringen mußten, die Ersparnisse für den Staatsschatz aufzurechnen, während der Vorschlag einer Silbersteuer bei Strafe abgelehnt wurde, konnte man nur annehmen, daß nun der Zeitpunkt gekommen wäre, zu dem das andere Leben im Lande beginnen sollte.

Doch meinten jetzt die Zeitungen – die »Geschriebenen« für die fremden Fürstlichkeiten: »Wie das Geld, das sich in den Schatzkammern anhäuft, nun endlich wieder unter die Leute kommen soll, kann man nicht absehen.« Zunächst wies der König einen Betrag von hunderttausend Talern zur Bestreitung verzettelter Einzelforderungen an. »All dieser extraordinären Flikflakausgaben«, schrieb der Herr dazu, »sind Wir müde als einer, der sie mit Löffeln gefressen hat.«

Sodann gab er für zwölftausend Taler Kronleuchter, Tische, Guéridons und anderes Gerät aus schwerem Silber in Auftrag, obendrein aber gar noch ein silbernes Chor für den Rittersaal. Die Silberkammern wurden erweitert.

Dies alles freilich, meinte Monbijou vor seiner Herrin, samt dem Goldenen Kabinett für sie selbst, sei nur eine neue Art stabiler Kapitalsanlage; es sei doch auffallend, daß sich unter den Erwerbungen nichts von ihren geliebten Porzellanen befinde. Man werde des Königs neuen Schatz bewundern müssen, danach jedoch ins Nichts zurücksinken, und wenn die Laune Seiner Majestät befriedigt sei, die Kosten nachträglich aufzubringen und »alle mögliche Menage zu observieren haben«. Der König begann jedoch sehr schöne Geschenke zu machen; denn um das Christfest hatte er ja noch krank und einsam in Potsdam geweilt und zum Anbruch des Heiligen Abends nur eine Rundfahrt durch seine liebe Stadt unternommen und die Kranken und Alten bedacht. Bei dem Leibarzt fing das neue Schenken an, das nicht mehr nur die Armut suchte. Der Medikus bekam einen kostbaren Schlafrock, eine elegante Pelzmütze und einen Stock mit einem goldenen Knopf, weil er nachts oft sehr rasch zum Herrn gerufen wurde, so daß er das Vorrecht haben mußte, im Nachthabit zu erscheinen.

Bis dahin hatte König Friedrich Wilhelm immer nur nach der großen Jahresrevue seine reichen Gaben an Offiziere und Mannschaft verteilt. Jetzt erhielten, ohne daß eine Heerschau stattfand, Generale silberne Tafelservice und einer ein Marmorbad, Obersten und Majore ganze Amtshauptmannschaften und der neue Creutz zur gleichen Zeit ein Palais. –

Da war er nun: der neue Creutz. Und solcher Name war mehr denn sein Titel und zum Adel erhobener Name: Geheimer Finanzrat von Eckart. Als Knabe Pickelhering eines Wunderdoktors und Branntweinbrenners; vor einem Jahrzehnt noch Waldläufer bei den Köhlern im Baireuthischen; vor einem Jahre ein Fasanenwärter und Kapaunenmäster im Braunschweigischen; vor einem Quartal der Erfinder eines neuen Heizverfahrens, Ofendoktor und Kaminrat, stand er nun davor, der Besitzer eines Stadtpalastes zu werden. Der Herr blieb, der er immer war: er hielt die Alten und forschte nach den Neuen allein nach den Erfordernissen ›Des Königs von Preußen‹ und wie sehr auch König Ragotin unter denen litt, die er hielt und die er rief; und hatte sich doch immer gewünscht, unter Freunden regieren zu dürfen. Aber niemand als die, welche es traf, ahnten es wohl ganz, wie hart er den Dünkel der Neuen bedrohte, auch wenn er sie mit Palästen beschenkte. –

Ins Stadtpalais des Kronprinzenpaares endlich trugen trotz der Abwesenheit der jungen Herrschaften zehn Lakaien eine reiche Bescherung für die Frau Tochter: ein Kabinett mit Türen von Spiegelglas, silbernen Tischen, Steh- und Wandleuchtern, Teekessel, Glutpfanne und vielerlei Silberwerk. Und wie man raunte, sollte das Kabinett auch noch mit »précieusen Galanterien« ganz angefüllt gewesen sein. Da waren aber auch noch zwei Blumentöpfe von massivem Golde für natürliche Blumen, die der Gärtner der Königin in Monbijou züchten mußte, weil die Frau Tochter eine gar so große Blumenfreundin war.

Als diese schönen Dinge in den Räumen der Gemahlin eintrafen, weilte der Kronprinz bei seinem Regimente in Ruppin, noch immer gequält von der einen Frage, ob dies sein Leben sein solle: Wusterhausen – Küstrin. – Der Thron ›Des Königs von Preußen‹?! –

Da teilte man ihm mit, der König habe vor wenigen Tagen ein Geschenk für ihn bestimmt; er möge es von Ruppin aus suchen gehen. Es liege in der Gegend. Eine artige, entzückende Eremitage sei es, nahe seiner Garnison, ein altes Schloß in weiten Gärten am See, das er sich herrichten solle: Rheinsberg. Und der Herr Vater ließ ihm durch die Frau Tochter sagen, es würde ihn freuen, wenn sie dort manchmal mit den Geschwistern, den hohenzollerischen und den braunschweigerischen, recht hübsche Feste feierten. Der Herr Vater hatte auch für ihre Brüder und Schwestern schon eine ganze Zimmerflucht im Großen Schloß eingerichtet und die Braunschweigischen Kammern benannt. Die fünfhundert Freihäuser aber, die einst dem Herrn so hartnäckig die Aufnahme seiner neuen Soldaten verweigerten, mußten nun. wenn so viele fremde Herrschaften nach Berlin kamen, deren Gefolge in Logis nehmen. Das war dann eine heitere Einquartierung. Und endlich verstand man nun auch, warum gar so viele Schwäne auf Spree und Havel ausgesetzt wurden. Die königlichen Bettenkammern brauchten neue Schwanendaunen in Hülle und Fülle!

Die Damen des Hofes und der Stadt wurden mit radrilliertem Brillanttaft und Drap des Dames bedacht, denn vom Heiligedreikönigsfeste ab erlebte Berlin unter dem bigotten Pastorenkönig, dem rauhen roi sergeant, dem geizigen Plusmacher, den ersten Karneval. Mit der großen Schlittenfahrt begann es. Voran fuhren vierspännige Schlitten mit den Hoboisten des Artilleriekorps und Janitscharen in Turban und Pelz mit kleinen blitzenden Becken und langen Trompeten. Die sollten unablässig blasen, hatte König Friedrich Wilhelm bestimmt. Sein eigener Schlitten folgte mit der Königin: sechsspännig – auch das ereignete sich zum ersten Male – ganz golden bemalt und mit dem silbernen Ordensstern des Schwarzen Adler-Ordens verziert. Die Pferde waren mit kostbaren Tigerfellen behängt, die noch von der Krönung König Friedrichs herstammten. Der Oberhofstallmeister von Schwerin kutschierte diesen Schlitten persönlich. Auch die Prinzessinnen vom Geblüte, die nach der Königin den Zug eröffneten, saßen in ihren weißen Pelzen oder Petersburger Zobelmänteln in sechsspännigen Schlitten, denen sich sechzig vierspännige anschlossen mit den Damen und Herren des Hofes, den Generalen, Stabsoffizieren und Ministern. In den Straßen, die der Schlittentroß mit seiner fröhlichen Musik und seinem Schellenlärm durchbrauste, hatten die Händler besondere Auslagen herangeschafft. Im Ephraimschen Palais war man gar zu einem orientalischen Basar eingeladen. Und vom Einbruch der Dämmerung an waren für die Rückkehr der Herrschaften die vornehmen Arkadenfolgen an den stattlichen Nehringschen Kaufladenblöcken auf dem Mühlendamm und an der Schloßfreiheit fast zu verschwenderisch illuminiert. Die neue Geselligkeit gab ja den Schneidern, Konditoren, Wachsziehern, Perückenmachern – allen, die bisher im Lande Preußen zu kurz gekommen waren – so reichlichen Verdienst; und seit der König auf dem Heiligen See bei Sakrow eine Eisbahn fegen ließ, profitierten nicht zuletzt auch die neuen Holzschlittschuhhändler. Der König aber ließ sich in seiner neuen Sänfte von den stärksten seiner Riesen durch die erleuchteten Straßen dem Schlittenzug entgegentragen. Und statt des Muffers trug er erstmalig eine kleine Perücke aus gutem, schneeweißem Material und sehr elegant.

Er sah zweifelsohne wieder munterer aus; er hatte ohne Frage wieder frischere Farben, und die kleine, weiße Perücke half es verbergen, wie sehr er vor der Zeit gealtert war. Aber obgleich das wunde Bein noch immer geschwollen war und er sogar wieder ärger lahmte, die Nächte zudem sehr unruhig waren, weil er an quälenden Blutwallungen litt, bestand er dennoch darauf, daß die Königin nun Cour hielt, auch wenn er in Berlin weilte: in ihren Prunkräumen über dem Schloßplatz und nicht mehr heimlich in Monbijou sollte es geschehen, indes er selbst in allernächster Nähe war und sich vom Feste berichten ließ. »Freilich«, sagte er, »die Cour ist mein Wesen nicht.« Aber er erkundigte sich ausdrücklich, wie der Königin die neuen blauen Pagenlivreen mit den goldenen Schleifen gefielen.

Weil aber die Cour nun sein Wesen nicht war, beging der Herr die ersten festlichen Zeiten seiner Hauptstadt auf seine besondere, ihm allein eigene Weise. Er kam in die Häuser der Seinen. Er wollte sie als König, sie sollten ihn als Offizier bewirten. Jeder sollte sein Haus so führen, nicht besser und nicht schlechter, wie es ihm von Gott gegeben war. Allen Tafelluxus verbot der König von vornherein. Und als er hörte, daß einige Häuser in Erwartung seines Besuches ihr Personal vermehrten und neue Livreen bestellten, untersagte er es streng, »die Livreen ihrer Leute mit Gold oder Silber chamarieren zu lassen«. Aber er selbst umgab sich nun mit drei Pagen und. brauchte fünf Kammerdiener und fünf Kammerlakaien; und für diese war von vornherein so gut gesorgt wie für des Königs Grenadiere. Sonst aber, wo es nicht Verschwendung und Hoffart war, wollte es der König vor Augen haben, was mit dem guten Gelde geschah, das er nun, da er wohlhabend geworden war, seinen Bewährten zu verdienen gab. Von einem ersparten Jahresgehalt konnte sich jetzt einer ein schönes Haus bauen: er mußte es auch wohl. Für das arme Volk aber waren Kleidung, Wohnung, Lebensmittel spottbillig geworden. Sichtlich werde es, so hieß es allgemein, in König Friedrich Wilhelms Heer und Staat wie in der Römischen Kirche gehalten: Askese in den unteren Rangstufen; Ehren und Güter für die hohen!

So kam der König, nun zum erstenmal feiernd, zu den Beneckendorff, Kleist, Glasenapp, Linger, Borcke und Sydow. Aber keinesfalls nahm er damit am Tische von Günstlingen Platz; er ehrte das Verdienst und beugte sich nicht dem Einfluß!

Er trat auch nicht, Beglücker aus einer Laune heraus, in die niederen Hütten seiner Untertanen. Er wollte der erste aller Hausväter im Lande Brandenburg und Preußen sein und am liebsten auch an jedes Hauses Tisch einmal gespeist haben. Auch wenn er sich bei einem Untertan zum Gastmahl niedersetzte, war es ein Bild.

Nur ganz im Anfang waren es noch Abendgesellschaften allein unter den Herren gewesen. Sehr bald wollte der König aber teilhaben an den Festen ihrer Häuser; und so, wie er auch die vornehmen Bürger Berlins zur Hochzeit seiner ältesten Tochter lud, kam er nun in die Häuser seiner Offiziere namentlich zu den Hochzeiten ihrer Kinder. Da wurden die Braut und die Brautmutter vom König selbst zu Tische geführt, und gegen beide Damen pflegte er ganz besonders höflich zu sein. Drei bis vier Stunden blieb er bei solch hochzeitlichem Mahl. Einmal fand er nun neben dem Bräutigam einen unverheirateten Bruder, neben der Braut deren junge, verwitwete Schwester – und machte aus der Hochzeit zur höchsten Überraschung der Gastgeber und der Gäste eine Doppelhochzeit! Hatte er sich nun so ganz besonders wohlgefühlt, so kam er auch des Abends nochmals wieder, dem Tanze zuzusehen.

Und heute fühlte er sich wohl.

Der kleinste Sohn des Hausherrn, an dessen Tafel der König diesmal speiste, hatte ihm mit einer kurzen, artigen Rede zu »Dero wiedererlangter Gesundheit« gratuliert. Das hatte der Herr gar gnädig aufgenommen. Sofort entschloß er sich, die fünf- bis vierzehnjährigen Kinder aller Häuser, die er schon besuchte, bei Hofe an einer großen Tafel zu traktieren, die mit irdenen und hölzernen Schüsseln, Tellern und Löffeln gedeckt sein sollte. Eine Bauernwirtschaft, ja, eine Bauernhochzeit sollte es werden; die kleinen Gäste mochten teils als Bauern aus aller Welt, teils als Salzburger gekleidet erscheinen oder aber als Soldaten. Ferdinand, sein Jüngster, würde als Husarenkapitän à la tête der frohen Runde sein; und es verlautete schon im einzelnen, welche Knaben bei dieser Gelegenheit zum Kornett, Fähnrich und Unteroffizier ernannt werden sollten. Der König wollte ihnen auch wirklich monatlich das halbe Traktament auszahlen, bis sie zu den Jahren gelangten, daß sie ihre militärische Funktion verrichten und ihre volle Löhnung beziehen konnten. So gab er bekannt.

Ulrike, die silberblonde, kriegerische, einst des Königs wilde Trommlerin und kühne Armbrustschützin, mußte häuslich dafür Sorge tragen, daß die Prinzessinnenappartements für die große Kinderwirtschaft recht hübsch hergerichtet würden. Sie schienen dem König für allerlei lustige Ausschmückung besonders geeignet; denn Anna Amalias Zimmer an dem offenen Gang über dem inneren Schloßhof waren flach und niedrig, da im Halbstock darüber mehrere Bedientenkammern lagen; Ulrike aber hatte nahezu zwei kleine Säle inne. Sie, die nicht lachte, bat um Dispens von der Feier. Aber der Vater ließ ihr erklären, sie habe ihren Dienst zu tun wie der kleine Bruder als Husarenkapitän. Der fuhr sogar in Montur zu seinem Regimentschef Beneckendorff, dessen Söhne selber einzuladen.

Anna Amalia, obwohl mit allen in Zank lebend, komponierte ländliche Tänze fürs Fest. Die Bauernhochzeit, die Tafel, die Spiele galten ihr wenig. Ihr eigenes Fest war jetzt, als sie – maßlos reizbar gegen jede Störung durch die Geschwister – mit Feder, Tinte und Notenblatt am Cembalo hockte und, verbissen und selig zugleich, dreizehnjährig ihr Opus I in einem strengen, alten Stil niederzuschreiben begann. Dann spielte sie es erbarmungslos mehrere Stunden hintereinander, obwohl Ulrike die Zimmer neben ihr bewohnte und die Musik darüber zu hassen begann. Aber es war Musik geworden von einer guten, herben Art.

 

Über dem ersten großen Fest der Kinder hatte sich des Königs Herz weit auf getan. Er, der rastlose Arbeiter und Sparer, erdachte sich neue Arten der Feier und Geselligkeit, die immer breitere Kreise vom Hofe her ergriffen; und die steifen, zeremoniellen Assemblees der Fürstlichkeiten vom Geblüte waren darüber zu etwas völlig neuem geworden. Der Herr hatte die eingehendsten Anweisungen dafür ausgegeben, wie es damit zu halten sei und was er sich darunter vorstelle. Bei seinen Offizieren hatte er für den neuen Gedanken zu werben begonnen. Es dürfe für keinen Schimpf gerechnet werden, wenn ein Offizier dem anderen ein Glas Bier vorsetze, sondern es solle ebensogut angenommen werden, als wenn Wein gereicht würde: umso weniger werde es dem einzelnen eine Last sein, das Haus voller Gäste zu sehen – nämlich allen denen, die ›Der König von Preußen‹ zusammengeführt wissen wollte!

Nun ging es um die Fragen des Anzugs. Die Offiziere sollten jederzeit Uniform tragen, auch in Gesellschaft, lautete die königliche Antwort. Der König wollte durchaus nicht, daß ein samtener oder seidener Prachtrock, von diesem oder jenem Schneider mehr oder minder phantastisch mit Goldschnur und Arabesken benäht, mehr bedeuten dürfe als seine blaue Montur. Die sollte Ehrenrock und Festkleid sein. Darum hatte er so streng über die Sitten und Gepflogenheiten ihrer Träger gewacht, nun schon weit über zwanzig Jahre lang; bald war es ein Vierteljahrhundert. Darum hatte er ja die Konduitenliste geführt, in der die Fehler und Tugenden, die Vorzüge und Mängel der Offiziere ›Des Königs von Preußen‹ so genau verbucht waren. Darum hatte er auch stets so dringlich nach ihrer geistlichen Gesinnung gefragt; darum endlich selbst die Häuser der Offiziere bezeichnet, in denen er aus- und eingehen wollte.

Zweimal die Woche, im Winter, fanden nun die Assemblees statt, von fünf bis neun Uhr. Die großen Häuser machten unter sich die Reihe aus. Zum Kennzeichen ließ man den Eingang von außen mit Fackeln beleuchten: das war in den dunklen Winternächten Sehr festlich. Auch hatte der König zweitausend neue Laternen aufstellen lassen, für deren Unterhaltung in den dunklen Monaten er dreitausend Taler hinterlegte.

Obwohl sein rechtes Ohr ganz taub blieb, was die Konversation sehr erschwerte, erschien der Herr zu jeder Assemblee so pünktlich wie zum Dienst. Auch dieses Neue, das er rasch entfaltet wissen wollte, nahm er ernst wie seine harte Arbeit. Es war noch so ungewohnt, ihn namentlich bei den Damen zu sehen. Die erste, die er angesprochen hatte, war derart erschrocken, daß sie ihren Fächer fallen ließ. Der König, so schwer es ihn auch ankam, hob ihn ihr auf. Das brachte eine solche Verwirrung mit sich, daß der Herr allen Ernstes erklären lassen mußte: »Ich will nicht hoffen, daß die Frauen glauben, ich sei in sie verliebt! Wollen die Frauen denn lieber, daß ich ihnen rauh begegnen soll?«

Aber allmählich gewöhnte man sich daran, daß er gerade den Damen »obligieret war«, wenn sie seine Assemblees besuchten, und daß er sich besonders bei ihnen bedankte. Ja, jeder einzelnen bewies er persönlich seinen Respekt, wie er es nannte, und widmete ihr eine verbindliche Anrede – allerdings, nachdem er vorher sehr genau die von ihm angeforderte Gästeliste geprüft hatte.

Bei der Ankunft und zum Abschied machte er allen Tischen und umherstehenden Gruppen seine Verbeugung. Jedoch durfte niemand, wenn der Herr durch die gastlichen Räume ging, die Spielpartie oder auch nur die Unterhaltung abbrechen. Und unversehens begann man sich im Rahmen dieser neuen Geselligkeitsform, die gegen das allgemeine, zweifelnde Lächeln vom König beharrlich durchgesetzt worden war, ganz vortrefflich zu amüsieren. Ja, die Assemblees schienen der Hof- und Stadtgesellschaft etwas ganz Unentbehrliches zu werden.

Selbst die Fremden, die verwöhnter waren als die Preußen im alten Sparta-Berlin, sie, auf deren Anwesenheit der König größten Wert legte, bemerkten unaufgefordert, es sei alles sehr nobel und ganz erstaunlich behaglich, ganz anders, wie man es sich draußen vom Leben des Berliner Hofes erzähle. Gewiß, sehr wohlhabend war Berlin, gemessen an dem Glanz der anderen großen Residenzen, noch immer nicht. Der reiche Adel wie in Paris und London fehlte, und der König mußte die Seinen erst wohlhabend machen.

Aber selbst ein so weitgereister, so verwöhnter Herr wie der Frankfurter Freiherr von Loen konnte nicht umhin, zu versichern, daß die Lebensart in Berlin ihm besser gefalle als an irgendeinem Ort in der Welt. Er fand, man könne mit Recht den preußischen Hof die Schule der Höflichkeit nennen, die Hohe Schule der Ordnung und Haushaltungskunst, wo Große und Kleine sich nach dem Exempel ihres Oberhauptes richteten; wo die Zucht und Ehrbarkeit des Hofes auch die anderen nach ihrem Beispiel lenke und – in einer letzten Auswirkung – Beamte im Umgang mit dem Publikum beim ersten Schimpfwort gar mit zehn Talern Strafe, beim zweiten aber mit Kassation bestraft würden. So strikt waren Anstand und Artigkeit geboten. Ja, es schien dem Freiherrn aus Frankfurt in Berlin eine solche durchgängige Leutseligkeit und solch angenehmes Wesen zu herrschen, daß man öfters den Unterschied der Stände vergessen konnte, wenn einem nicht zuweilen ein Ordensband oder ein prächtiges Gebäude in die Augen fiel und solchen Abstand noch einmal bemerkbar machte. Hier sei die wahre Höflichkeit und Ungezwungenheit, pries er; leicht, angenehm und natürlich. Es sei also möglich, daß man ein großer König sein könne, ohne die Majestät in dem äußerlichen Pomp und in einem langen Schweif buntfarbiger, mit Gold und Silber beschlagener Kreaturen zu suchen. Die Zucht mache Leute, und die preußische sei herrlich.

Dabei waren Freiheiten und Auflockerungen gestattet, wie man sie sonst nirgends kannte; denn in allem, was Geselligkeit hieß, war der Herr vor allem ein Feind aller vornehm sein wollenden Langeweile.

Eckenberg, wohlbekannt aus Doktor Eisenbarts und Polterhansen Bleusets großen Tagen, der Starke Mann, der einst den Bruder Friedrich Wilhelm und den Bruder Peter mit seinen Kraftkunststückchen unterhielt, war, von all den festlichen Gerüchten gelockt, nun doch noch einmal nach dem alten Sparta gekommen und hatte sich eine Assemblee-Erlaubnis erwirkt, da der König von dem vorgeschlagenen Handel in Remontepferden wenig wissen wollte und auch keine Kraftproben mehr zu sehen begehrte. So war nun Eckenberg der Entrepreneur für alle die, welche nur über beschränkte Räumlichkeiten verfügten. Für jeden Dienstag und Freitag erhielt er die Konzession, im Fürstenhause in der Kurstraße eine Assemblee zu veranstalten. Auch Eckenberg – wie einst der arme Mann Creutz – war einer von den unbezähmbar Aufstiegslustigen, die von dem Erfindungsgeiste des Königs mitgerissen wurden. Darüber ward er ein so reicher Mann, daß er sich nur noch in prunkvoller Sänfte von seinem noblen Eckhause an der Zimmer- und Charlottenstraße zum Fürstenhause, der Stätte seines neuen Wirkens, tragen ließ – dauernd verfolgt von seinen Gläubigern.

Für die Assemblees mußte Eckenberg Heizungsholz, Spieltische und zwei Korps Hoboisten »furnieren«. Kaffee, Tee, Schokolade und Limonade wurden gegen Beträge verabfolgt, die genau nach dem Einkommen gestaffelt waren. Kapitäne und Subalternoffiziere wurden von ihrem König freigehalten. Der Herr zeigte sich ganz regelmäßig, und zwar in der Begleitung seiner beiden jungen unverheirateten Töchter, um die Eckenbergschen Assemblees dadurch auch für die Damen hoffähig zu machen. Die Königin blieb diesen Veranstaltungen fern. Der König aber wünschte stets recht viel verdiente Leute vorgestellt zu bekommen, die er zu seinem Leidwesen noch nicht hatte kennenlernen können.

Die Assemblees im Fürstenhause waren ungemein beliebt durch Musik, kleine Szenen, Jongleur- und Eskamoteurkunststücke; auch war das Fürstenhaus dann immer von der Bodenluke bis zum letzten Kellerfenster illuminiert. Zum Tanze wurden englische Handschuhe verteilt. Der Tanz begann überhaupt eine große Rolle zu spielen, da der König die Erlaubnis erteilt hatte, den Kreis der üblichen Tänze um einige neue zu erweitern; so gab es in Berlin zur Allemande nun doch schon Polonaise, Francaise und Anglaise. Auch alles, was nicht Glücksspiel war, wurde vom König gestattet: so auch Pikett und Tricktrack. Manchmal setzte sich auch der König mit dem General von Flanß, der so treffliche plattdeutsche Geschichten zu erzählen wußte, zu einer Partie Toccadille nieder, einem hübschen Brettspiel mit Würfeln.

Aber der Herr war gar sehr darauf bedacht, daß nun nicht etwa im Fürstenhause seinem neuen Volkstheater ein Nebenbuhler erstünde und Eckenberg sich wieder an seine alten Athleten- und Taschenspielerkünste verlöre. Denn König Friedrich Wilhelm hatte nun ein Theater! Und wie stets, wenn der Herr etwas Neues ins Leben rief, durfte es für alle nur dies eine geben. Berlin sollte hinter den anderen Residenzen nicht mehr zurückstehen, und da ging es allerdings nicht ohne Hoftheater ab. Doch bestand er darauf, sein neues Theaterbudget müsse für etwas ganz Neues und Sinnvolles und Entwicklungsfähiges eingesetzt werden. Und das sah er in einem Deutschen Theater, dem ersten, das ein deutscher Fürstenhof besaß, durchaus. Er wollte versuchen, ob sich da nicht etwas anbahnen ließe, das den Wünschen des Hofes entgegenkam und zugleich alle möglichen guten und freundlichen Einflüsse auf das Volk zu gewinnen vermochte.

Nur Eckenberg, der Herr der Seiltänzer und Spatenschläger, hatte solchem kühnen Plane zu folgen gewußt. Die Ereignisse überstürzten sich. Graf Dönhoff wurde zum Kommissar für das ganze, erst neu zu schaffende Ressort bestellt; die sechsundzwanzig Seiltänzer des Starken Mannes standen mit einem Male am Ende ihrer jahrelangen Wanderfahrten und waren nun gar zu einer Art Königlicht Preußischer Rekreationsbeamter geworden. Der Starke Mann zog als Hofkomödiant in das alte, vergessene Theater ein, das noch von König Friedrichs Zeiten her über dem Königlichen Reitstall in der Breiten Straße unter den mit Holzbasreliefs verzierten Giebeln untergebracht war. Von einer Woche zur anderen wurde »Doktor Fausts Höllenfahrt« und »Die artige Grundsuppe der Welt« einstudiert und reichlich mit des Starken Mannes Kraftkunststücken durchsetzt. Aber die Anschauungen und Absichten des Königs siegten: das »Innocente« blieb im Vordergrund. So ließ sich auch Graf Dönhoff bewegen, in seinem sonderbaren Amte zu verharren; denn auch als Theaterdirektor blieb der Generaldirektor von Preußen der große Erzieher seines Volkes und verhandelte mit seinen Hallenser Fakultäten neuerdings darüber, ob für sein Preußen Hans Sachs nicht besser sei denn Homer! Auch hier wollte er Neues, Eigenes, Preußisches schaffen, als ginge es um Dreilaufbockflinten oder Kattun. Er wollte sein Volk fortan ohne Düsterkeit erziehen; und sowohl was den Hof wie die Schenken anging, war nun eine heimliche Hoffnung in ihm, es möchte durch das Theater besser werden mit dem Kartenspielen.

In aller Stille und Eile hatte er engagiert, geprüft, Lizenzen erteilt, zensuriert und vorbereitet, den Spielplan mit Komödianten und Pastoren festgelegt. Die holprigen Verse, das Bramarbasieren und Rumoren auf der kläglichen Bühne – denn der gute Fundus aus des alten Königs Zeiten war ja an Bettler verschenkt – störten ihn vorerst noch sehr. Wegen einer anstößigen Stelle in einem politisch-aktuellen englischen Marionettenzwischenspiel verließ er das Theater demonstrativ, so sehr er doch gerade die Holzpuppen als Komödianten liebte, und wies Eckenberg an größere und lohnendere Aufgaben. Und wirklich brachte es der Herr in seinem Theater nun auf drei ernsthafte Dramen: »Thomas Morus«, »Pygmalion« und »Titus Manlius« – Werke einer preußisch verstandenen Antike. Der Hof mußte zu jedem dieser neuen Stücke erscheinen, aber meist unterhielt man sich von Loge zu Loge, ohne des Neuen zu achten, das auf der Bühne geschah.

In jedem Falle aber war die Auffahrt vor dem Stallplatztheater sehr prächtig. Man bemerkte »carosses, chaises, calèches ou caricles; dames, grisettes et servantes«.

Der König meinte, vom März an möchte man wohl einen Wagenkorso wie in Potsdam nach dem sonntäglichen Kirchgang auch in Berlin halten, etwa auf der Promenade in der Neustadt; und hundert Taler wären keine zu geringe Pön, wenn sich da einer ausschlösse!

Für die Fremden aber, die ohne eigene Kutschen in Berlin weilten, hatte der Herr noch eine Neuerung übernommen, von der er aus der Kaiserstadt hörte: die Fiaker. Zwölf der neuen, hübschen Wagen stiftete er selbst. Sie wurden sehr beliebt, und zwischen dem Reitbahntheater und den großen Gasthöfen der Hauptstadt entwickelte sich allabendlich ein reges Leben, wenn die Vorstellungen endeten, die meist schon am späten Nachmittag begonnen hatten. Vor allem fuhr man zum »König von Portugal« oder zu dem schönen Nicolaischen Gasthof, der vordem als der Kochsche berühmt war. Dort sah man auch manchmal den König. Stets sprach er dann mit Wirt und Wirtin Nicolai, bevor er sich in einem Kreis von Herren mit einer Zeitung niedersetzte. Und daß die Wirtin zu Zar Peters Berliner Zeiten die Tochter des Charlottenburger Kastellans und dem Herrn sehr lieb gewesen war, wußte kaum noch jemand.

Die Zeitungen, an denen die Universitäten rege mitarbeiteten, meldeten allerdings nicht immer unbedingt nur Gutes über sein Theater. Wieder von Frankfurt ausgehend, setzte eine lebhafte Opposition gegen das Überhandnehmen des Komödienspieles in Preußen ein. Der Professoren-König antwortete nur mit einer Gegenfrage: »Werden nit in Utrecht und Leyden sogar Tänzer auf Kirmessen seyn, indessen seyn diese Universitäten die besten von der Welt?«

Er suchte Berlin sehr glücklich zu machen. Er hatte ja Potsdam immer offensichtlich bevorzugt. Nun plante der Herr für den Berliner Sommer schöne öffentliche Kaffeegärten am Kurfürstendamm zum Jagdschloß Grunewald hin und in der Schäferei am Wedding oder bei den Landhäusern der französischen Seidenbauer im Moabiterland. Und die Gartenhäuschen an den beiden Linden- und Weidenalleen vor dem Potsdamer Tore wollte er zu Brunnenkuren vermieten. Von Lützow aus gedachte er auch Treckschuitenfahrten, bei denen nach holländischer Weise die Pferde vom Ufer aus die langen Kähne zogen, nach Lietzenburg bis zum Charlottenburger Schlosse einzurichten, am hübschen Vorwerk Wilmersdorf vorüber. Alles das war völlig neu. Alles das kam von der Freundlichkeit des einen dicken, kleinen Mannes mit dem strahlenden reinen Gesicht und in der blanken, blauen Uniform her. Mitten im Winter schon verhieß er all die sommerliche Lust! Der König war ungeheuer gesellig geworden, so wie er auch nur ungeheuer fleißig, ungeheuer erschöpft und ungeheuer zornig, ungeheuer gütig, ungeheuer zuversichtlich und ungeheuer traurig zu sein vermochte. – »Leben und leben lassen!« Das war eine seiner Lieblingsredensarten geworden; aber er sprach sie seltsam langsam und bedacht, als erfülle sie ein feierlicher, schwerer Sinn.

Und darum lagen, wenn er mit artigen Verbeugungen durch die lichten und belebten Räume schritt, doch immer noch die dunklen Schatten um die übergroßen Augen; und auf den Assemblees zog er sich immer früher mit einer kleinen Runde der Vertrautesten in ein abgelegenes Zimmer zur Tabagie zurück. Auch pflegte er nur bis Punkt elf Uhr zu bleiben und trank immer weniger; den ganzen Abend zwei Flaschen Bier – denn Wein war ihm jetzt untersagt – und zwei Karaffen Wasser.

Im Kreise der Zecher nahm er gerade ein Glas Wasser in die Hand, als er im Gespräch die Frage aufwarf, wer nun, da alles jetzt so vergnügt um ihn wäre, in seinem Lande wohl am glücklichsten sei?

Er hat keine Schicksalsfrage daraus gemacht wie die weisen Herrscher im Märchen. Er gab selbst die Antwort.

»Wer weit von mir an einer Grenze etwas zu befehlen, sonst aber nur wenig mit mir zu tun hat, mich immer erst nach drei Jahren, wenn meine Reise mich wieder in seinen Bezirk führt, einmal zu sehen bekommt und es mit gutem Gewissen kann!«

Er hielt das Wasserglas noch in der Hand. Er sah auf die Uhr. Gleich war es elf.

»Ach, meine Herren«, schloß er, tiefer Atem holend, vor dem Aufbrach, »daß es in unseren Residenzen ein wenig heiterer geworden ist, darf uns nicht täuschen. Es bleibt hart im Lande Preußen. Und wenn ich nicht der Erste im Lande wäre, so würde ich mich lieber fort in eine Republik begeben als dableiben.«

Zum ersten Male war es ausgesprochen; und mit besonderem Nachdruck auf dem Worte Republik. Doch schwieg er nun erschreckt.

Der Herr schien, je geselliger er wurde, die schweren Dinge nur noch mit sich selbst auszumachen. Daß er sich nun mit einem solchen Wort beinahe verraten zu haben glaubte – es war belanglos. Sie konnten alle nicht ahnen, was dahinter stand. Sie vermochten nicht zu ermessen, daß die Feste, die er gab, Feiern seines Abschiedes waren.

 

Auch als der Sommer, dessen Freuden er soweit zuvor schon pries, ins Land kam, schwieg der König noch immer von dem, was ihn am meisten bewegte. Er schwieg auch nach der Rückkehr von der großen Reise. Daß er einen Kuraufenthalt in Aachen verheimlichte, berührte nicht die Tiefen seines Wesens. Aber er war auch nach Holland gereist, allein, inkognito, in französischem Anzug und lediglich Monsieur angeredet.

Erst als das Lebensjahr beendet war und er schon zum Malplaquetfest der Generale und der Jäger auf dem Jagdschloß weilte, begann der König davon zu sprechen.

Er war mit dem Professor Morgenstern nach Machnow hinübergeritten. Der stand ihm jetzt von all den einstigen »Gundlings« am nächsten: nicht nur, weil er als Gelehrter ritt und jagte; nicht nur, weil er zu ihm nach Potsdam gekommen und nicht zur Zarin nach Moskau gegangen war; und endlich auch nicht deshalb, weil er als Leipziger Magister sein Kolleg in der Art der Potsdamer Tabagie gehalten hatte.

Der König pflegte von dem kleinen, bärenstarken Mann zu sagen: »Gundling war ein gelehrter Mann, aber er ist mit dem Morgenstern nicht zu vergleichen; und daß ihr es wißt, ich habe ihn in vollem Ernst zum Vizekanzler aller meiner Universitäten gemacht.«

Lange war der König schweigend vor dem Professor hergeritten. Der sah, daß dieses Königs Zeiten anders zählten als anderer Menschen Jahre. Der da vor dem Professor ritt, war nicht am Ende der Vierzigerjahre, wie die Kalender es berichteten: der war ein Siebzigjähriger, erschöpft von zu vielen Taten und Leiden. Die Schwüle des Tages nahm ihn sehr mit. Die Ernte war eingebracht, aber das Land lag noch überreif. Die Endgültigkeit, die Klarheit herbstlichen Verzichtes war noch nicht angebrochen. Die frühe Dämmerung verwies noch nicht aufs Haus. Sie war voller Schwüle und machte die Menschen unruhevoll. Schwer war dem König, ein altes Lebensjahr zu beschließen, ein neues zu beginnen. Darum ritt der Herr in den Abend. Er begann von einem heiteren Abenteuer in einem holländischen Grenzgasthof zu erzählen. Es sollte leichthin geredet sein, als wäre es ihm bei dem schweigsamen Ritt gerade erst wieder eingefallen. Aber sofort klang es so schwer, als er es aussprach: Holland!

Und der Professor spürte, wie hart es König Friedrich Wilhelm ankam, was da noch folgte. Aber nun war es gesagt. Er wollte abdanken und nach Holland gehen. Er hatte ein Haus in Hoenslardyck gekauft.

Die ganze Reise war nichts als eine Erkundigungsfahrt gewesen und hatte nur den Zweck gehabt, sich umzusehen, wie man sich in Holland zu seiner Privatperson stelle und ob er eine gewisse Popularität würde erlangen können. Er habe ein holländisches Herz von Jugend auf und Holland immer um seiner Weisheit und Freiheit willen bewundert, sprach der König. Und immer habe man ihm zu Wilhelms III. von Oranien Zeiten geschmeichelt, er könne noch einmal zum Statthalter gewählt werden.

Er wollte ja noch wirken, solange ihm noch Kräfte blieben. Er wollte ja noch Felder bebauen, Provinzen verwalten, Wirtschaftsbücher führen, Regimenter exerzieren – aber als einer, der mit Ehren gehen durfte, wenn er vor Müdigkeit und Schmerzen zusammenbrach –!

Er hielt es nicht mehr aus, den Dienst zu tun im Angesicht ›Des Königs von Preußen‹, der kein Erbarmen über Müdigkeit und Schmerzen kannte. Er vermochte nicht mehr zu ertragen, was aus der Qual, der Überreiztheit immer wieder folgte: der Zorn, das Mißtrauen, die ohnmächtige Verzweiflung! Darüber würde er seine Seele verlieren!

»Ich wollte zwei Millionen Taler geben in zehn Jahren Zeit« – so völlig durchlebte er auch schon wieder diese Möglichkeit –, »wenn ich nicht König wäre. Nichts als embarras. Ich wünschte nichts mehr in der Welt, als in auswärtigen Landen weit von meinem Lande einen hübschen, einsamen Ort aufzusuchen, wo ich in der Stille leben kann. Denn in dieser Welt bin ich zu nichts mehr nütze. Dann wollte ich ein philosophisch' Leben führen. Ja, wenn ich noch vierzig oder fünfzig Jahre zu leben hätte und für mein Heil sorgen könnte. – Aber als König sehe ich keinen Weg. –«

Es brach aus ihm hervor, so wie er noch niemals ein Geständnis getan hatte. Er sprach nicht zu dem Lustigen Rat, der »im Ernste« der Vizekanzler aller seiner Universitäten wurde. Er klagte es dem Wald und dem Abend. Längst, längst dachte er daran, abzudanken, wegzugehen, sehr weit fort – nach Verona. Aber das war fremd, viel zu fremd.

Ach, warum konnte es nicht sein altes Wusterhausen sein?! Warum durfte er nicht dort mit zehntausend Talern Rente leben, das Gut bewirtschaften, zu Gott beten? Aber da war Berlin und Potsdam viel zu nahe. –

Dann hatte er die Herrschaft Cossenblath gekauft; nein, nicht wie er vorgab, für den zweiten Sohn. – Für sich selber wollte er ein Gut an der Grenze des Landes, ein paar Äcker, ein wenig Jagd für die Gäste, einige Stuben für die Familie, die Tabagie. – Schon hatte er manchmal heimlich dort gemalt. – Schon waren auf die weißen Türen des ländlichen Schlosses in goldener Schrift die Namen der Kinder geschrieben, die in den lichten Stuben hinter jenen schmalen Türen wohnen sollten. – Aber auf Cossenblath konnte ihm Ruhe nicht beschieden sein. Der Dresdener Hof war gar zu dicht benachbart. Man würde ihn unablässig belauern; Berlin und Dresden würden über Cossenblath hinweg miteinander über ihn korrespondieren.

Er hatte ein holländisches Herz von Jugend auf. Er wiederholte die erste Reise seiner Jugend und kaufte das Haus in Hoenslardyck.

 

An einer Lichtung stiegen sie vom Pferde. Dort, als wäre die Wiese ein ganzes Land, beschrieb der Herr die Lage Hoenslardycks, den Weg, den er nehmen, und die Stunde, da er Einzug halten würde.

Sobald die Zeit wiederkäme, in Wesel die Dreijahresrevue abzunehmen, sollte vorher der Befehl an seinen Gesandten nach dem Haag ergehen, den heute schon eingeschickten, aber noch versiegelten Anschlag für die Renovation des Alten Hofes im Haag – der sollte die Winterwohnung werden – und des Hauses in Hoenslardyck ausführen zu lassen. Nach der Revue wollte er dann vor die Front hintreten, die Abdankung aussprechen und Besitz und Regierung an seinen Sohn zedieren. Für das, was er dem Staat geleistet hatte, begehrte er eine Rente und vom ersparten Vermögen, das er der Krone beließ, bestimmte Zinsen als Apanage für die Gattin und die noch unversorgten Kinder.

Nach der Unterschrift der Interessenten hätten sich alle anwesenden Generale und Stabsoffiziere als Zeugen zu unterschreiben. Bei Anbruch des Tages würde aber indessen schon alles, was er mitzugehen und mitzunehmen bestimmt hatte, auf dem Weg nach Holland sein, damit nichts und niemand angehalten werden könne. Alsdann würde er ohne jegliche Begleitung in seinem Jagdwagen der Avantgarde nacheilen.

Von Nymwegen aus, über Rotterdam und Delft, nach dem Haag gedachte er auf Jachten zu fahren, unterwegs in Gärten auf dem Lande offene Tafel unter großen Bäumen zu halten und mit vielen Menschen aus der Gegend zu sprechen; denn der gelehrte König war nun der holländischen Sprache wieder ziemlich mächtig.

Ein Schaffner sollte vorausgehen und alles das bestellen, dingen und bezahlen und sodann im Haag auf dem mit steinernen Platten ausgelegten Vorhof des Alten Hauses zwei lange Tische bereithalten für alle, die ihn bewillkommnen kämen.

Und hier würde er sich umkleiden und solche neue Art der Kleidung beibehalten, nämlich einen braunen Tuchrock und braune Pantalons, schwarzseidene lange Strümpfe und einen großen, runden, dunklen Hut – alles genau ebenso, wie er es einst als Knabe im Holland Wilhelms III. sah. In solchem Habit würde er die nötigen Besuche abstatten, danach sogleich das Haus in Hoenslardyck beziehen, um dort die Gegenbesucher bewirten zu können. Die drei Söhne August Wilhelm, Heinrich, Ferdinand sollten mit kleiner, standesgemäßer Hofhaltung in Hollands drei Universitätsstädten wohnen: in Leiden, Utrecht, Harterwyck. Sie hatten aber auch in die Provinzen zu reisen und späterhin Anerbieten für eine Stellung weder zu suchen noch abzulehnen. Kriegen würden sie als Freiwillige beiwohnen. Die Töchter Ulrike und Anna Amalia, wenn sie in erwachsene Jahre kämen, sollten dem Vater die Wirtschaft und die Kassenbücher führen, entweder in besonderen Ressorts oder in Abwechslung. Sie mußten auch lernen, ihr eigenes Geld selbständig anzulegen: in Renten, Lotterien und Fischerflottillenanteilen, weil nach des Königs Erfahrung das Vertrauen in Geldsachen bei den Holländern eine große Rolle spielte.

Der Königin und ihren Töchtern zur Unterhaltung würde jeder Gast auf Hoenslardyck zum mindesten mit seiner Frau eingeladen werden, und an Gärten, Spiel, Musik und Abendtafel sollte es nicht fehlen.

Damit es nun aber auch dem König selbst an Gesellschaft nicht mangle, mochte der Schaffner für den Fall, daß nicht genügend Gäste ungebeten herbeikämen, solche Männer aufsuchen und heranbringen, die viel gesehen und erfahren hätten oder sonst viel und gut zu reden wüßten; und zu solchem Behuf würden auf Hoenslardyck Treckschuiten, Gespanne und Reitpferde gehalten werden. Nach dem Haag würde man reisen, so oft es nötig schien; und der ständige Winteraufenthalt würde ebenfalls im Haag sein. Einmal im Jahre gedachte der Herr auch eine Zirkularreise zu jedem Prinzen und mit diesen zusammen durch die Provinzen zu seinen Gütern vorzunehmen, die er indes gekauft haben würde. Dem Prinzen von Oranien plante er reichliche Kredite zu geben und sich dafür von ihm den Rang eines Generals der Infanterie verleihen zu lassen. Weiter würde er seine Wünsche aber nicht steigern. Freilich, zahlreicher alter Hofstaat, Diplomatie und Kaufmannschaft, würdige Männer aus dem Haag, hätten schon mit ihm verhandelt, ob er sich wohl den Rang und Posten eines Generalstatthalters und Generalkapitäns der Union Hollands und der Niederlande würde antragen lassen. –

»Das, Professor Morgenstern, ist bereits diskutiert. Und ich werde ein wahrhafter Republikaner sein, der die Gesetze der Generalstaaten respektiert. Er soll nicht lächeln, Professor Morgenstern: ich werde ein Republikaner sein. Ich bin zu lange König gewesen. Nun will ich Statthalter sein. Ich glaube nicht umsonst so viele Jahre hindurch mit allem Eifer die Verfassungen der Nachbarländer studiert zu haben. Ich werde einer Republik Dienste zu leisten vermögen. Auch Wilhelm III. hat in England nicht geherrscht, wie er in Holland regierte. Das würde ich genauso halten, wenn ich Statthalter der Niederlande wäre und nicht mehr König von Preußen. Er soll nicht lächeln, Professor.«

Manchmal war der Blick des Herrn mehr voller Hochmuts als voller Schwermut, – Aber Professor Morgenstern lächelte nicht. Er war bleich. »Was war der letzte Anlaß zu solchem Entschluß Euer Majestät, wenn ich es wissen darf?« fragte er nahezu bedrückt.

»Der letzte –«, sprach der König zögernd, als frage er sich selbst, »der letzte –. Mein Sohn hat einen Hof; den habe ich ihm geschenkt; dort weiß ich ihn gern. Aber sie säen Zwietracht und Verdacht zwischen seinen Hof und meinen Hof. Ich habe keinen Anlaß zum Verdacht; von Rheinsberg gehen keine Briefe in die Welt; es kommen keine fremden Gesandten auf das Schloß meines Sohnes. Ich schüttle die Verleumder ab – bis sie wieder an meinem Bette bei mir stehen, wenn ich so unsäglich leide. Und ich werde wieder leiden, mehr und mehr, und den Verleumdern immer wieder Glauben schenken. Ich muß gehen, Professor.«

»Ich werde schweigen, Majestät«, stammelte der Professor; er band die Pferde vom Baume, »im Walde wird es dunkel. Wir müssen zum Schloß.«

Der Abend kam frühe, und die Kiefern der Ebene machten ihn dunkler, als Abende in einer linderen Landschaft sind. Der Professor sah auch in der Dämmerung, daß der König lächelte.

»Er braucht nicht zu schweigen, Professor Morgenstern – Er soll gar nicht schweigen.«

»Ich werde schweigen«, rief sein letzter Lustiger Rat dem Herrn entgegen, »um meinetwillen und um aller Untertanen willen schweigen. Ein Land muß aus den Fugen geraten, wenn der König geht vor der Zeit. Das Leben eines Königs ist die Stunde eines Landes, wie Gott sie zählt. Und die Lebenszeit eines Königs bleibt zum mindesten das auferlegte Geschick eines Landes; niemals darf eines künftigen Königs Zeit vorausgenommen werden!«

Er brach ab. Denn König Friedrich Wilhelm hatte seinen Obristen-Eckenhut vors Gesicht gepreßt, als verberge er es ganz im weichen, großen, dunklen Mijnheernhut. »Wohl dem«, stöhnte König Friedrich Wilhelm zwischen seinen Fäusten, »wohl dem, der am ersten stirbt und zu Gott kommt. Denn auf der Welt ist weiter nichts als Torheit. Ich begreife nichts mehr in der Welt. Gott gebe bald ein seliges Ende, daß all den Schelmereien ein Ende gemacht sei. Es ist nicht länger auszuhalten.«

 

Auf der Wende vom Spätsommer zum Frühherbst war das Kronprinzenpaar voraus nach Rheinsberg gegangen, den König und die Königin dort zu empfangen und erstmalig zu bewirten. Drei Tage waren für den Besuch in Aussicht genommen. Anfang oder Mitte September gedachten die königlichen Eltern zu kommen. Vogelschießen, Fischfang und Jagd waren vorgesehen, und alles sollte möglichst auf die Wünsche des Königs abgestimmt sein. Der Königin wollte man kleine Spielzirkel arrangieren und namentlich ihr Zimmer recht luxuriös ausstatten. Obwohl der König von der zwölf Meilen langen Fahrt ungewöhnlich angestrengt war, ließ er sich doch alles, was nun überhaupt nur noch zu sehen war, sogleich am Abend seiner Ankunft zeigen; so freudig war er überrascht, welche völlige Veränderung mit dem verfallenen Schloß, den verwilderten Gärten und dem armseligen Fischerflecken am Grienericksee vor sich gegangen war. Allüberall hielt König Friedrich Wilhelm Umschau. Ach, dies also war der zweite Turm, der Klingenberg? Ausgezeichnet, ausgezeichnet, welches Ebenmaß sich nun ergab! Und der Turm fand wirklich Verwendung? Ein Observatorium kam unter sein Dach? Und ins mittlere Stockwerk ein Rundsaal für physikalische Instrumente; dazwischen eine kleine Druckerei? Ein außerordentlich bemerkenswerter Turm! So ging es mit Fragen und staunenden, anerkennenden Rufen.

Der Kronprinz besorgte wohl, es möchte da und dort in Musikzimmer, Bibliothek und Billardsaal ein wenig mehr an Monbijou, denn an Potsdam oder gar Wusterhausen gemahnen; aber der König wünschte gerade den gelben Marmorsaal mit den beiden mit Kupfergold beschlagenen Kaminen zu bewundern, durch dessen hohe Glastüren zu beiden Seiten man auf die große Allee im Park und den Schloßhof mit seinen weißen Kavaliershäusern sah. Im Marmorsaal nun traf König Friedrich Wilhelm auf die ständigen Gäste des Sohnes. Den Meister Pesne erwartete er als ersten zu sehen; denn ihn hatte er an Rheinsberg entliehen, sowohl um dem Sohne wie auch dem alten Künstler eine Freude zu bereiten. Der König trug es Pesne nicht nach, daß er trotz aller seiner behäbigen Liebenswürdigkeit die Gemälde seines Herrn zu sehen vermied, damit er sich nicht äußern müsse. Der König rechnete es ihm auch nicht gar zu schwer an, daß Pesne, seit er ihn nach England entsandte und von diesem Zeitpunkt an zum Maler so vieler gekrönter Häupter machte, über der Fülle seiner nun einlaufenden Aufträge sich um die Gediegenheit des einzelnen Bildes nicht mehr sehr bemühte. Auch schadeten ihm Wiederholungen und Atelierbilder seiner malenden Familie unter seinem Namen. Doch auch diesen Alten hatte der König aufs gnädigste bei sich behalten, weil Pesnes beschwingte Hand ihm ja im Laufe der schweren Jahre die Gattin, die Kinder immer wieder so leicht, so heiter, so behütet malte und ihn dennoch nicht betrog: in allen ihren Augen lag der große Ernst. Und seit Jahr und Tag hatte nun der Herr auf jedem Schloß, das er bewohnte, ein Zimmer allein für Pesnes Gemälde von den Seinen bestimmt: das blühende und strahlende Gegenstück zu seiner »Totenkammer« mit den Bildern der verstorbenen Generale. So fand der König seinen alten Maler, der alles besaß, was der Herr der eigenen Hand versagt glaubte, wohl gern unter den Gästen von Schloß Rheinsberg wieder. Allen voran schritt aber nun eine würdige Greisin, und obwohl sie den König ungemein gewandt begrüßte, standen ihr die Tränen in den Augen, als der Herr nun ihre beiden Hände fest und immer fester umpackte, bis er sie endlich nur freiließ, um seine alte Montbail ganz in die Arme zu schließen. Was sie denn nur anfange, fragte er, seit sie keine Friedrich Wilhelms und Friedrichs mehr erziehe? Und die alte Hugenottin, die Preußens Könige das Beste lehrte: beten, niemals aber, bis in ihr hohes Alter, Deutsch lernte, stammelte lachend und weinend, sie mache französische Gedichte – und manchmal auch recht ausgelassene Witze. So sehr habe Rheinsberg es ihr angetan!

Die Herren aber, die ihr folgten: keine petits-maîtres, wahrhaftig! Welch angenehme Überraschung: auch der Herr von Senning, Major im Ingenieurkorps, Friedrichs alter Mathematiklehrer, hatte Wohnung und Unterhalt auf Rheinsberg gefunden, wie die Majorsrente sie ihm wohl nicht gewähren konnte. Der hatte es verdient; denn im flandrischen Kriege war ihm der rechte Schenkel zerschmettert, und er stapfte mit dem Holzbein durch die gläsernen und goldenen Säle von Rheinsberg. Und siehe da: der Chevalier de Chazot zählte zu der Kolonie vom Remusberg, an die Voltaire, der Dichter seines Landes, regelmäßig Hirtenbriefe schreiben mußte! Der Chevalier de Chazot! Es bedurfte keiner Vorstellung. Majestät entsannen sich sogleich: der Chevalier, ein junger Edelmann aus der Normandie, war einer von jenen französischen Offizieren, die während des Rheinkrieges in die Dienste des roi Sergeant übertraten, weil es ihnen im eigenen Lager nicht behagte, daß nun zum Kriegskostüm rote Absätze Mode geworden waren.

Offiziere vom kronprinzlichen Regiment fanden sich zur Begrüßung ihres höchsten Herrn ein, Leutnants und Kapitäne, die ihren Chef von Ruppin auf seinen Landsitz zu begleiten pflegten – junge Offiziere, deren Väter zu der engsten Umgebung des Königs gehörten; ein Kleist, ein Rathenow und Schenkendorff, ja ein Buddenbrock, dessen Vater doch einst den gefangenen Oberst Fritz von Wesel nach Berlin zu eskortierten hatte. Hinter den jungen Militärs trat der alte, berühmte La Croze hervor. Wilhelmines Lehrer, das Repetitorium aller Gelehrsamkeit, das Magazin sämtlicher Wissenschaften, das wandelnde Lexikon zwanzig lebender und toter Sprachen, die Quintessenz aller Historie und einer Menge kleiner Geschichten, von denen seinem wunderbaren Gedächtnis nicht ein einziger Umstand entfiel – ein entlaufener Mönch, der immer etwas Klösterliches an sich behalten hatte und Anekdoten nur im Psalmenstil von sich gab. Der König unterhielt sich auffallend lange mit ihm, und zwar von der Frau Kronprinzessin; denn La Croze war für die Frau Tochter herberufen. Er vervollkommnete das Französisch der geschmähten Bauernprinzeß; er lieh ihr bei besonderer Lektüre seinen Beistand, namentlich bei den Lieblingsautoren ihres Gatten. Der König ließ nicht ab, sich nach den Studien der Frau Tochter zu erkundigen. So, so, in Cicero, Marc Aurel, Antonius Philosophus und Epiktet sei sie besonders belesen? Alles, was er einst an Sohn und Tochter so verdammte, weil es für den »großen Hof« in London und in Feindschaft gegen ihn selbst geschah, nahm er an der Schwiegertochter nun mit Freuden wahr. Denn es geschah in der Liebe zu seinem Sohn, in dem Gehorsam gegen ihn selbst und in der Vorbereitung auf das Amt der Königin von Preußen. Längst wußte er in allen Einzelheiten, daß Elisabeth Christine in den Formen des höfischen Lebens, in den Wissenschaften, in Tanz und Toilettenfragen eine stille, emsige Schülerin war. Und weil sie dem Sohne zuliebe eine ihm und ihr nur wenig genehme Mode mitmachte, schenkte ihr der Herr Vater gar eine Tabaksdose, zu ihrem schönsten Kleide passend ausgewählt. Er allein übersah auch nicht, was von den anderen unbemerkt blieb: daß sie nur darum wie ein gelehriges, fügsames Mädchen war, weil sie sehr frühe zu den Frauen zählte, die groß und reif zu lieben wissen und nur groß zu lieben vermögen.

Der König blickte im Gespräch, bei der Tafel, während des Tanzes und beim Spiel unablässig auf die Kronprinzessin. Keine der Damen war eleganter als sie in ihrem pfirsichfarbenen Samtkleid. Zu seinem Stolz und seiner Freude trug sie auch ihm zu Ehren seine kostbaren Geschenke, den kleinen Sancy, den dritten unter den berühmten Edelsteinen der Erde, den sie einst nur voller Beschämung und unter Tränen empfing. Auch hatte sie jenen Ring von vierundzwanzigtausend Talern Wert aus dem Juwelenschatze seiner Frau Mutter angesteckt, von dem er noch immer das eine und das andere seltene Stück verborgen hielt, das er besonders liebte: einen Ring, den die preußischen Königskinder zum erstenmal an der Hand der Bauernprinzeß und künftigen Königin von Preußen erblickten.

Keine der Damen auf Rheinsberg schien dem König gewandter und vor allem aufmerksamer im Gespräch als die liebe Frau Tochter. Auch tanzte sie nun sehr schön. Dabei band sie sich aber nicht mehr eng an die Regeln, die sie einst so mühsam erlernte. Und auch in ihrer Kleidung schien sie sich kleine, reizvolle Freiheiten zu gestatten; doch waren es nicht mehr die Nachlässigkeiten von einst!

Am meisten erstaunte der König darüber, daß gerade zwischen seiner Frau und seiner Schwiegertochter die lebhafteste und liebenswürdigste Unterhaltung gepflogen wurde. Das war über alles Erwarten. Sie sprachen von Monbijou, und die Kronprinzessin bemerkte unbefangen, daß Rheinsberg niemals Monbijou erreichen könne; sie verglich der Königin die Einzelheiten; sie kannte Monbijou wie niemand sonst. Die anderen priesen immer nur die Uhrensammlung der Königin; die war ja nun auch freilich auf ein halbes Hunderttausend kostbarer Exemplare angewachsen, jedes Stück fünfhundert Taler wert und alle mit Brillantzierat auf Jaspis, Lapislazuli, Kristall, Karneol und Onyx – und zählten alle doch nur vergeblich hingebrachte Stunden. –

Die Zahl der Dosen und Kästchen und Goldpulverschachteln rundete sich zum dritten Hundert, die Fächer nicht gerechnet, von denen die Königin zu jeder Robe mehrere besaß. Ihre Muscheln füllten schon zwei Spinde und sechs Kommoden. Glanz, Buntheit, Spiel umgaben die hohe Frau. Aber die Kronprinzeß fand anderes noch viel schöner; denn bei der Königin waren ja die vier Kronen aufgestellt, die ihre Töchter bei den Trauungen getragen hatten – freilich als die erste und die letzte Krone ihres in den Augen der Mutter entwürdigten Lebens. –

Aber da nahm Elisabeth Christine einen Schatten in den immer noch so leuchtenden Augen der Frau Schwiegermutter wahr und begeisterte sich an anderen Schätzen Monbijous.

Die Herrin Monbijous lebte nur noch zwischen ihren Sammlungen, Geschenken und Briefen. Sie wollte nicht darüber grübeln, daß diese Briefe nichts mehr hatten als die Ferne ihrer Herkunft und den hohen Namen ihres Absenders. Daß sie weiter regelmäßig Appartement hielt, spielte kaum noch eine Rolle. Man war ja nicht mehr nur auf Monbijou gesellig. Im Grunde lebte sie mit den Töchtern Anna Amalia und Ulrike völlig einsam, und diese wiederum lebten ganz getrennt von ihr, wie denn auch nicht einmal mehr die Prinzessinnen vom Geblüte, die Damen der alten markgräflichen Familien, zu ihr kamen. Nachmittags ließ sie sich in ihrem Goldenen Kabinett vorlesen und machte dabei Knötchenhandarbeiten. Bis gegen neun Uhr abends spielte sie mit zwei ihrer Damen ihr altes L'hombre. Um neun Uhr setzte man sich zur Tafel, für drei oder vier Stunden. Nach der Tafel nahm man den Kaffee in ihrem Zimmer, wie jeden Tag seit mehr als fünfundzwanzig Jahren. Dann begaben sich alle hinweg, die diensttuende Hofdame ausgenommen. Dieses Leben war so regelmäßig wie ein Notenpapier Anna Amaliens. Nun aber, in Rheinsberg, ward Monbijou in ein neues Licht getaucht. Die Bewunderung der Kronprinzeß tat Königin Sophie Dorothea überaus wohl; aber sie vermochte nicht den tiefsten Grund all solchen Staunens und Rühmens zu erkennen und konnte nicht ermessen, daß mehr als kindliche Neugier die einstige Bauernprinzeß nach Monbijou zog, und daß Elisabeth Christine aus all den nichtigen Kostbarkeiten, die am preußischen Hofe die Königin als einzige umgaben, lediglich spürte, wie sehr die Königin von ihrem Gemahl geliebt worden war und wie er ›Dem König von Preußen‹ Ehre antat in dem Glanz, mit dem er gerade sie, die Fürstin aus so großem Hause, auszeichnete – auch dann noch, als keine Königin, keine Gattin, keine Mutter mehr zu leben schien und nur noch der Vater war, nur noch der Sohn. – Die Kronprinzessin sah und fand in Monbijou nur den König. Das hatte noch niemand getan. Das war noch niemals geschehen. Wie sollte da die Welfin es ahnen. Wie sollte da Frau Sophie Dorothea den eigentlichen Sinn der Worte verstehen: »Niemals wird Rheinsberg mit Monbijou vergleichbar sein.« Sie war gönnerhaft zu ihrer kleinen Schwiegertochter. So viel Gutes hatte sich keiner, von dem Verhältnis zwischen Königin und Kronprinzeß zu versprechen gewagt. Im Benehmen Ihrer Majestät war nichts von Politik, geschweige denn Feindseligkeit. Die Bauernprinzeß war ihr niemals eine ebenbürtige Rivalin; und nur, weil sie am Tage vor ihrer Hochzeit auf Salzdahlum nach dem Willen der Höfe von London und Wien Prinzessin von Wales hatte werden sollen, wurde sie überhaupt in dem Kreis von Monbijou beachtet. Was sie die Einfalt an ihr nannten, war, daß alles, was sie tat, aus unverfälschter und unbegrenzter Liebe geschah, die nur das eine suchte und den einen, den zu lieben auch ein Amt war, verliehen von ›Dem König von Preußen‹.

 

Über zweierlei sah König Friedrich Wilhelm schon an dem ersten Rheinsberger Tage klar: Lüge war, was den holländischen Gazetten heimlich aus Preußen berichtet wurde und durch die fremden Journale wieder nach Preußen gedrungen war, nämlich die Kronprinzeß habe »einen Anfall von einer schwindsüchtigen Krankheit«. Der Rheinsberger Hofarzt, einst ein Theologe von Ruf, hatte ihn völlig beruhigt. Elisabeth Christine war nur schmaler, edler, beschwingter geworden und – was den König nun sehr rührte – in ihrer jungen Ehe noch ein ganzes Stück gewachsen. Das war die eine Gewißheit. Die andere war: die Königin hatte zu frühe »im geheimen« kostbares doppeltes Kinderzeug machen lassen, für Knabe und Mädchen, so daß niemand mehr an der Schwangerschaft der Kronprinzessin zweifeln konnte und der glückliche König schon mit dem öffentlichen Kirchengebet beginnen lassen wollte. Am Morgen, als sie mit ihm durch die Gärten ging, hatte er der Frau Tochter davon zu sprechen begonnen. Zu allem, was sie in Rheinsberg unternahm, hatte er ihr Glück gewünscht und diesem Wunsch in seinem artigen Französisch, das er gerade ihr gegenüber sehr bedacht wählte, hinzugefügt: »Et je vous souhaite des longues années et en quelques mois un gros et brave garçon!«

Aber da war eine so tiefe Unruhe und Bangigkeit in den weiten, grauen Augen der Frau Tochter gewesen, daß er schwieg. Er hörte aus ihren Worten die Angst um den Geliebten. Sie stammelte, daß es nur die Fügung des Himmels sei, wenn ihrer Ehe nun im fünften Jahre noch kein Kind beschert sei.

Solche Trauer hatte der Herr noch nie in einem Frauenblicke gesehen. Elisabeth Christine war doch kein Kind seines Blutes. – Sie hatte doch keinen Herbst auf Wusterhausen miterlebt. – Trauerte die junge Fürstin mit ihm um das Geschlecht? Der Herr Vater tröstete sie. Er sprach von seinen toten Söhnen; und wie dann Fritz geboren wurde und ihm blieb, der Sohn nach ihm aber wieder starb. Und er erzählte immer weiter, immer weiter – alles das, wovon er noch niemals hatte sprechen mögen: wie er dann auch alle die lebend gebliebenen Kinder verlor; wie alle ihm abgewandt waren, zum mindesten durch die Furcht, die man ihnen vor ihm eingeflößt hatte. – Und wie dann sie gekommen sei, die liebe Frau Tochter, ein großes Glück, eine freundliche Wärme und Heilung für sein verwundetes Herz.

Er sagte es nicht, um zu klagen. Er redete zum erstenmal von sich selbst – nur, um Elisabeth Christine zu loben! Dann lenkte er rasch ab. Er danke es ihr, daß sie immer wieder eines von seinen Kindern zu dem ältesten Bruder nach Rheinsberg einlade, weil doch lange Zeit hindurch, nach seiner Rückkehr aus Küstrin, eine gewisse Befangenheit der jüngeren Geschwister gegenüber Friedrich nicht gewichen sei. Ohne Gäste möchte es ihr hier wohl auch manchmal zu einsam sein; sie würde vielleicht doch einmal Rheinsbergs überdrüssig werden. Aber da sagte sie es wieder ohne Grübeln, ohne Scheu in aller ihrer Süße, Rheinsberg könne sie immer nur lieben, weil sie hier mit dem Teuersten auf der Welt zusammenlebe. Langeweile sei ihr ausgeschlossen, da ihr allein die Gesellschaft des Kronprinzen genüge; nicht ein Gast, nicht einmal der Hof sei ihr nötig. Und dann besitze sie doch all die schönen Dinge, die sie der Güte des Königs verdanke: die Farben zum Malen, mit denen sie gerade für die Königin einen »Knaben mit Flöte« begonnen habe; die neue Büchse, mit der sie fleißig übe; die Gärten, die sie anlegen dürfe. Gleich führte sie den Herrn Vater hierhin und dorthin. Schöne, klare, große Blumen, sorgsam behütet, leuchteten unterhalb eines lichten Säulenganges von attischer Anmut am Ufer des Sees. Der leichte Nebel über dem Schilf war lind und ohne Kühle. Auf dem klaren, zitternden Wasser lagen am Steg die beiden schönen Lustschiffchen, von dem jungen Schloßherrn für solche Gäste erbaut, die an einer Wasserfahrt auf seinem See Vergnügen fanden und dann im Walde Bubero am jenseitigen Ufer sich ergehen wollten.

Die Gärten, die sich längs des Sees erstreckten, hätten aber ihre Vollkommenheit noch nicht erreicht; sie wären erst seit gar zu kurzem angelegt und weithin noch Entwurf. Das sagte die Frau Tochter dem Herrn Vater gleich zur Erklärung; denn im milden Herbste ward das Erdreich für den künftigen Frühlingsglanz bestellt. Aber der Kronprinz meine, fügte sie hinzu, der Plan und Grundriß seien groß und schön und nach einem neuen Geschmack.

Frau Elisabeth Christine wies dem König das Begonnene: einen Obelisken, nach ägyptischer Art mit hieroglyphischen Figuren besetzt als Abschluß einer Allee; die Kabinette im Grünen und die mathematischen Vorarbeiten auf einem planierten Stück Erdboden, das im nächsten Jahre als Irrgarten angelegt werden sollte; seine labyrinthischen Pfade würden zu einem in der Mitte gedachten Tempel führen. Remusberg, San Ildefonso, Sanssouci gedachten sie das vollendete Rheinsberg zu nennen. Der König wußte: die Herrlichkeit der Gärten, die seine Frau Tochter ihm beschrieb und pries, war ebensowenig nach ihrem wie seinem eigenen Geschmack; er war ja mit ihr durch seinen Küchengarten Marly gewandelt. Aber er hörte ihr mit Freundlichkeit zu. Er sah den Strom der Liebe, der die Gärten ihrer Seele fruchtbar machte. Er fühlte die Wärme ihres Dankes, daß er ihr Rheinsberg gab, damit sie es bilden könne ganz nach dem Wunsche des Einen. So mochten doch Tempel sein, Irrgärten, Bacchanten bei Weinstöcken und Satyren unter Zypressen; so mochten sie doch! Der Garten von Rheinsberg würde dennoch nie zum Zauberland der Venus werden und sich immer nur zum lieblichen Gefilde des sanftesten Herzens entfalten! Kündete nicht jedes ihrer Worte davon? Rheinsberg enthüllte sich ihm in den Reden der Frau Tochter immer mehr als ein Haus der ernsten Studien, der stillen Abendmusiken in streng begrenztem Kreise, der Gastlichkeit und der vertrauten Nähe. Und der junge Prinz, der bis dahin immer nur in den weiten Reichen zu leben vermochte, suchte hier die Enge und Begrenzung, das Beharren und die Bescheidung. Zuviel Schmerz, zuviel Schmach war auszulöschen. Zu mühsam war der Weg zu den Menschen zurück – zu zart die Verwundbarkeit des Fürsten, der vor aller Welt soviel Leiden, soviel Schande trug!

Vom Morgen bis zum Abend begegnete dem König auf allen seinen Wegen in Rheinsberg immer wieder ein »Hoenslardyck« seines Sohnes! Und aus tiefstem Herzen leistete er den völligen Verzicht auf seinen Traum, damit es noch erhalten bliebe, das Haus der ernsten Studien, der Gastlichkeit und der vertrauten, bergenden Nähe: das Haus, in dem der junge Fürst, die junge Fürstin sich auf ihr Amt bereiteten, ein Amt von grenzenloser Weite und Schwere. Der Vater gönnte dem Sohn vor dem Antritt seiner Königsherrschaft die freundliche Flucht, die er sich selbst nach einem Vierteljahrhundert seines Herrscheramtes versagte, einem Vierteljahrhundert, das ihn die Worte sprechen lehrte: »Ein König muß mehr leiden können als andere Menschen. –«

Rheinsberg mußte noch sein; und darum mußte Hoenslardyck versinken. Rheinsberg schien noch ein kaum begonnenes Bild; noch waren Rheinsbergs Gärten nur Entwurf, und die herbstliche Erde wurde erst fürs kommende Frühjahr bestellt. – Hoenslardyck aber war im Bilde völlig durchlebt, bis hin zu den Vespern unter den Bäumen im alten Hof und zu den Gastmahlsgesprächen, zu denen der Schaffner kluge und erfahrene Leute aus der ganzen Gegend an die Tische unter mächtigen Bäumen holte.

Gedanken verwundeten, Worte verwirrten den König; aber die Bilder waren still und klar und stark. Er hatte bis in diese Stunde in den Bildern eines Königsspiegels gesprochen, gehandelt und gelitten.

Zwei Schatten wanderten mit dem Könige, der kein Mijnheer werden durfte, durch das Schloß und die Gärten vom Remusberg: Katte und ›Der König von Preußen‹.

Aber über den Schatten schwebte nun ein lichter Schein.

Hatte die Frau Tochter von den Studien des Sohnes doch gesagt, sie selber habe aus seinem Munde die Worte vernommen: »Ich gestehe zu, daß man das Edelste, das Erhabenste und Herrlichste zusammenhäufen muß, um einen, obgleich nur sehr unvollkommenen Begriff von dem Schöpfer, diesem ewigen, allmächtigen Wesen zu bekommen. Indes will ich mich lieber in die Abgründe seiner Unermeßlichkeit verlieren als auf Kenntnis von ihm und auf jede intellektuelle Idee, die ich mir von ihm machen kann, zu verzichten.«

Sinnend durchschritt Mijnheer van Hoenslardyck die Gärten von San Ildefonso. Sinnend – oder vielleicht in dem Gebet, Gott möge sich dem Sohn, der auf die »intellektuelle Idee von ihm« nicht mehr verzichten konnte, offenbaren als Gott-Vater im Gott-Sohn, weil »in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr sei, zur Ehre Gottes, des Vaters«.

 

Und auch am nächsten Tage keine Jagd, kein Vogelschießen, kein Fischfang, keine Besichtigung der mächtigen Eichen am Zechliner Vorwerk! Auch wohnte der Herr Vater nicht der Fütterung der jungen Lämmer bei, die man sich als besonders zarten Braten für ihn dachte, und ebensowenig ließ er sich die eigens für ihn gemästeten Poularden zeigen. Das Programm war umgestoßen. Lediglich, daß er sich die Rheinsberger Baurechnungen, die den kronprinzlichen Etat zu überschreiten drohten, zur sofortigen Begleichung vorlegen ließ.

Danach besichtigte der König die Gemäldegalerie. Der Baron von Knobelsdorff mußte ihm erklären. Der König war zufrieden mit dem Baumeister und Maler seines Sohnes. Er fand keinen Italiener oder Franzosen, wie er es wohl für möglich gehalten hatte; ja, es war überflüssig, daß er Pesne an Rheinsberg abtrat, denn die Frau Tochter malte gar getreu in Pinselführung, Tönung und Format – allein in der Art des Herrn »Friedrich« Wilhelm, wie seinen Bildern als Meistername eingetragen war! Der Sohn aber hatte sich einen Junker aus der Mark zum Künstler seines Hofes herangezogen, ihn in fremde Lande geschickt und dann gänzlich zu sich geholt: einen ernsthaften Mann, derb, groß und gesund. Schweigsamkeit und finsteres Grübeln lagen ihm näher als alles schwärmerische Kunstgeschwätz. »Le gros Knobelsdorff« hatte nichts Höfisches. Beinahe fehlte die Artigkeit. Der König übersah es. Es war ihm lieber so um Rheinsbergs willen. Der Herr sprach sehr fachmännisch von der Brabanter Schule. Er persönlich neige nun einmal ungleich mehr zu den Niederländern als zu den Italienern. Er lasse sich jetzt regelmäßig von seinem Gesandten im Haag über den Kunstmarkt in Holland berichten. Gerade vor der Abreise nach Rheinsberg habe er Order erteilt, siebenundvierzig im Katalog von ihm angemerkte Gemälde aus der Sammlung des verstorbenen Bürgermeisters van Hüls im Haag zu besehen und zu prüfen, Stücke von holländischem goût, auch solche, die etwas Spekulatives hätten; denn in seinem jetzigen Zustand machten ihm dergleichen Piecen doch einiges Vergnügen. Es brauchten nicht die teuersten und begehrtesten Bilder zu sein, wenn sie nur recht gut wären.

Das Wort von seinem jetzigen Zustand war das einzige, was König Friedrich Wilhelm auf Rheinsberg über seine Leiden verriet. Er ging auch gleich darüber hinweg und sprach mit einem gewissen Stolz von seinen Holbeins, Cranachs und Correggios, die sich in seinen Sammlungen befänden. Fachleute von Rang hätten ihm versichert, abgesehen von ein paar Kopien bestehe seine Galerie gewiß aus so schönen, auserlesenen und kostbaren Gemälden, als ein großer Herr in der Welt nur haben könne. Auch lasse er jetzt für die Bilder Vorhänge zum Schutz vor der Sonne machen, und das rate er dem Kronprinzen auch an.

Der junge Hausherr von Rheinsberg trat während der Besichtigung seiner kleinen Galerie zu dem König und dem Maler; er bat den Vater, sich von Knobelsdorff für die Galerie porträtieren zu lassen. Der König sagte es zu; Der Wunsch des Sohnes, erstmalig vor dem alten Bildermacher und Bilderschenker ausgesprochen, schien ihn zu bewegen. Unvermittelt wandte er sich den Bücherschränken zu, in denen er zu seiner Freude viel Wolff und auch Montaigne vertreten fand, den er um eines solchen Wortes willen schätzte: »Wer einem anderen nicht sein Wort hält, ist untreu gegen sich selbst.«

Der Kronprinz flüsterte, als der Vater aufbrach, seinen liebsten Gästen zu: »Der König ist sehr gnädig, milde, entgegenkommend und gerecht geworden. Er hat von den Wissenschaften und Künsten als von lobenswerten Dingen gesprochen, und ich bin über das, was ich gesehen und gehört habe, sehr erfreut und begeistert. Alles, was ich Löbliches sehe, gibt mir innere Genugtuung, die ich kaum verbergen kann. Ich fühle meine Empfindungen kindlicher Liebe sich verdoppeln, da ich so vernünftige und gerechte Ansichten bei dem Urheber meiner Tage sehe.«

Der König aber dachte nach der Heimkehr vor allem daran, daß Friedrich ihn für seine Galerie gemalt haben wollte.

Dann malte er sich selbst: in einem von ihm erdachten priesterlichen Anzug, schwarz mit hohem, weißem Kragen, weißen Stulpen; ein Brustbild, die schlanke, starke Rechte aufs Herz gelegt, den Blick mehr leidend als herrschend, den Mund sehr schmal zusammengepreßt.

Er malte auch die Königin: in einem Nonnenschleier, doch offenem, tiefbraunem Haar und ohne eine Falte des Alters.

Jedoch sagte er es nicht, daß er und sie es seien, die er da malte. Auch gedachte er nicht, die Bilder seinem Sohn zu schicken und ebensowenig, sie etwa Knobelsdorff oder Pesne zu zeigen. Seine Bilder waren von zu anderer Art, zu fremd, zu willkürlich, zu ungefüge. Niemand bekam sie zu sehen. Bei ihm selbst aber trugen die beiden neuen Gemälde den Namen: Mijnheer und Mijnfrouw van Hoenslardyck.

Und ein großer Verzicht und ein großes Geschenk waren in ihnen beschlossen, obwohl er sie für sich allein behielt.

Hoenslardyck mußte versinken, und Rheinsberg durfte bestehen.

 

Welche Reise war weiter gewesen? Hoenslardyck oder Rheinsberg? Die Reiche der Seele kennen andere Maße als Atlas und Globus. Der Herr war heimgekehrt von weiter, weiter Fahrt. Und es schien, als wolle er diesmal sehr lange in seiner Hauptstadt verweilen; überraschend setzte noch einmal ein »starker Bau« ein, stärker, als dadurch bedingt war, daß das halbe Hunderttausend Menschen dieser Stadt um dreißigtausend angewachsen war! Alljährlich sollte nun der Berliner Magistrat dem König zweihundert Häuser bauen. Und aus jedem Hause der Altstadt, in dem vier Familien zur Miete saßen, sollte eine in der neuen Friedrichstadt Wohnung nehmen, ohne daß es sie auch nur einen Taler höheren Mietsaufwandes kostete.

Unausgesetzt verschönerte der König jetzt Berlin, Preußens erste Königsstadt, mit der er einst als junger Herr in Fehde lag und die er gar im Zorn verlassen hatte. Dem Generaldirektorium wurde verordnet, »vor allem auf Anbau und Vergrößerung Unserer Stadt Berlin mit allem ersinnlichen Fleiß bedacht zu sein, und müssen sie das Werk unverzüglich angreifen«.

Für Zivilbauten wollte der Herr nun denselben Betrag angewandt wissen wie für Festungsbauten, nämlich zweiundeinehalbe Million Taler. Und dennoch wurden noch fünfzig der höchsten und reichsten Beamten auf eine Liste gebracht. Die mußten seinen Plan verwirklichen helfen. So galt also immer noch sein altes Wort: »Der Kerl hat Geld! Der Kerl muß bauen!« Die er reich gemacht hatte, sollten ihm die Stadt des fürstlichen Geschlechtes für ihre eigenen Nachkommen weiten und schmücken. Verurteilte suchten jetzt gar durch Bauversprechen von der Strafe freizukommen, so viel schien dem Herrn am neuen Bau zu liegen! Jedes Gewerk in Berlin hatte in des Königs neuem Stadtteil ein Haus zu errichten; jede Behörde desgleichen.

Nur einer war vom Bauen ausgenommen: der Dessauer. Der baute ihm ein Schloß in Norkütten und Bubainen – und das war mehr und war ein Gleichnis wie keiner der Paläste sonst! Es hatte einen tiefen Sinn gehabt, daß die Kiefernwälder der Mark in einzelnen Föhren um Dessau begannen. –

Die alten Festungswälle Berlins wurden geschleift; die Tore, die der Fülle der Menschen und Wagen nicht mehr den rechten Dienst zu leisten vermochten, wurden umgelegt. Die hölzernen Kram- und Trödelläden an der Spittel- und der Schinkenbrücke verschwanden. Alle wohlhabenden Hausbesitzer mußten ihre Häuser sonnengelb abputzen lassen. Der neue preußische Anstrich wurde noch immer sehr bestaunt! Es war, als schiene die Sonne nun den ganzen Tag!

Der Pariser und der Leipziger Platz, deren Vollendung wohl in alledem gefeiert werden sollte, waren des Königs eigener baulicher Gedanke gewesen. Es hatte ihm nicht genügt, des Vaters Friedrichstadt zu verdoppeln und alles, was Preußens erster König begann und unausgeführt ließ, zum Abschluß zu bringen. Er verstand den inneren Plan, der dieser Stadt von ihren Fürsten, seinen Vätern, gegeben war, und daß sich ihre Größe nicht erschöpfen durfte in Bauten des Hofes und seiner Umgebung.

Damals, als er die Absicht aufgab und den Wunsch bezwang, die obersten Behörden, mit dem Fürsten von Anhalt-Dessau an der Spitze, nach Potsdam zu verlegen, war die Entscheidung gefallen, der Stadt seiner Dynastie, der Stadt der Macht und Würde, der Regierung und der Repräsentation und in ihr ›Dem König von Preußen‹ Ehre zu erweisen. Aus Rheinsberg zurückgekehrt, ließ der Herr sein schon seit anderthalb Jahrzehnten aufgenommenes Werk beschleunigen. Inmitten der herrlichen Spiegelbergschen und Kniphausenschen Nelkengärten und Kastanienplantagen bis hin zu der Prachtallee Unter den Linden war eine neue Königsstadt entstanden, die Wilhelmstraße und der Wilhelmsplatz. Im Namen klang der alte Wunsch noch einmal auf, Potsdam nach ihm selber Wilhelmsstadt zu nennen. Aber erst, als er sich – handelnd, nicht denkend; schauend, nicht grübelnd – dem Gebote des Geschlechtes unterwarf und Berlin den Vorrang gab, gewährte sich der Herr die Ehrung solcher Namensgebung. Häuser mit reichen, vornehmen Schauseiten und großen, offenen Auffahrten, für festliche Empfänge berechnet, waren die Zierde der Wilhelmsstadt: Ministerpaläste, Kollegienhäuser und Regierungsgebäude, auf deren Entstehung der Herr von den ersten Zeichnungen und dem Abstecken der Baustellen an den unmittelbarsten Einfluß genommen hatte.

Manchmal wollte es den König dünken, als gewinne jetzt der eine und der andere Gefallen an dem, was im Anfang nur er allein schön, gediegen und für Preußen erschwinglich und angebracht fand. Dieses und jenes Zeichen deutete darauf hin, daß sein Geschmack sich durchzusetzen begann. Denn es war, von den meisten unbemerkt, obwohl in ihnen vollzogen, ein großer Umschwung eingetreten in der einstigen Begeisterung für Eosanders Vergoldungssucht und Farbenrausch, für seine Verspieltheit, Aufdringlichkeit und Unehrlichkeit und selbst für Schlüters cäsarische Weite. Nur das Festliche und Ernste, das ohne erborgten Schein war, wollte noch die rechte Geltung finden. Man täuschte nicht mehr vor; man begann die Materialien als das zu verwenden, was sie waren. Man triumphierte und krönte nicht mehr verschwenderisch mit Kartuschen und Trophäen, wo es nur zu halten und zu tragen galt. Auch Friese, Säulen und Arkaden mußten für die eigene Erde neu begriffen werden. Mehr und mehr sollte dem Herrn etwas Eigenes, Preußisches erstehen, losgelöst vom alten französischen Vorbild, losgelöst aber auch von der holländischen Schule, jedoch erwachsen aus jeder würdigen Überlieferung, die etwas seinem Lande Zugehöriges zu werden vermochte aus den Steinen, dem Lehm, dem Sand, dem Holz, dem Himmel und der Erde seiner Mark Brandenburg.

Vielleicht trug nun ein Haus einen Helmfries als neuen Dekor; und klargeschnittenen Wandfeldern zwischen schlanken, steilen Pflastern war das ernste Relief eines Waffenbündels eingemeißelt: Lanze und Pfeil, aber auch herbstliche Früchte. Ein Hauch von Weite, Kühle und Reinheit umwehte und erfüllte alles, was der König, alternd weit vor der Zeit, nun noch schuf. Ein Schein von schwerem, bleichem Silber lag über dem Schlosse des Königs und über den Sälen seiner Reichen. Verschwenderisch war der König allein in der Fülle der Spiegel, die zu dem fahlen Silberglanz der Innenbauten wundersam abgestimmt waren. Die Spiegel erhöhten, beglänzten, vermehrten – ohne Schein und ohne Lüge und aus größeren Tief en her, denn vortäuschende Malereien einen Reichtum zu erlügen vermochten. Der Fürst, der die Spielereien und Vorspielungen im Geschmack seiner Epoche derart haßte, zeigte ein immer ergriffeneres Verständnis für alles Widerspiel und alle Spiegelung in Gleichnis und Bild. All sein leidenschaftliches Philosophieren zu der Zeit, da er nur noch wie ein Rector magnificus der Alma mater militaris zu Potsdam gewesen war, mußte letztlich doch wieder nur in den Glauben münden, und alle Logik erkannte doch nur immer wieder das Bild.

Jenes Königswerk aber, das mit den Webereien begonnen hatte, die einst gutbezahltes blaues Königstuch in dichten Ballen liefern sollten anstatt der Weinelaken, von Tränen der Not bedeckt, gipfelte in ungemein betriebsamen und äußerst einträglichen Spiegelglasfabriken, wälderverzehrenden Glashütten für Ziergläser zu Gastgeschenken, märkischen Tapetenwerkstätten und soliden Gold- und Silbermanufakturen. Und der Landedelmann, der auf dem alten Jagdkastell von Wusterhausen im Türkischen Zelte unter den Linden des Schloßhofes ein jagdliches Mahl hielt; der Oberst, der in seiner Garnisonsstadt, unter Landkarten und bei Zeitungen diskutierend, ein einfaches kaltes Abendbrot einnahm, tafelte nun in Berlin am liebsten in dem feierlichen, strahlenden Pfeilersaal der vierundzwanzig ionischen Säulen, der hochgewölbt und sehr kühl war und in dem er ehedem in seinem Königsschlosse nur an sehr heißen Tagen zu speisen pflegte.

Angesichts solcher Wandlungen begann sich der Kronprinz in Rheinsberg seltsame, ungewohnte Gedanken über die Königsstadt Berlin zu machen, die mit so viel Glanz beschenkt ward, als gelte es, in sehr später Stunde sehr viel Versäumtes nachzuholen. »Man darf darauf gefaßt sein«, meinte er, »daß eines Tages hier die Künste in den Palästen und vornehmen Häusern wohnen. Berlin namentlich birgt, wenn ich mich so ausdrücken darf, den Funken aller Künste. Überall sieht man das Genie leuchten.« –

So galt dem Herrn nur noch Berlin? So schuf er nun nur noch eine prächtige Stadt für den Hof? Am meisten befremdete, daß er sich im Bau von Berlin immer mehr von der holländischen Schule entfernte und daß er Potsdam an all dem Prunk nicht teilhaben ließ. Seine Stadt hatte nur noch – an einer schönen, schattigen Allee; denn die Bäume waren voll und hoch geworden – ein Jägertor erhalten mit steinernen Hirschen und Hunden, dem Schmuck, den er einmal an Stelle des antikischen am liebsten gesehen hatte. Waren die Wünsche des Plusmachers nun befriedigt, da der arme Fischerflecken Potsdam von einst gar eine Mammonstraße besaß, in der die Bankiers sich niedergelassen hatten mit reichen Häusern inmitten üppiger Gärten?

Aber da berief der Herr die Baukapitäne von Potsdam nach Berlin und legte ihnen Entwürfe für die nochmalige Erweiterung der Stadt vor, für die er vordem erflehte, »Gott möge sie mit seinem väterlichen Segen überschütten und in beständigem Flor und Aufnahme bis an das Ende der Welt erhalten«. Und unberechenbar und überraschend wie eh und je, baute nun der Herr altholländisch im neuen Potsdam und neupreußisch im alten Berlin. Baumeister und Bauhandwerker wurden eigens wieder aus Holland hergeholt. Und Hoenslardyck, das Bild des Alterssitzes, den er sich versagte, begann in engen Grenzen, eben so weit, als das Bild sie verlangte, um diese Zeit in Potsdam zu erstehen. Die Reihe holländischer Häuser am Kanal war dem König nur ein Teil seiner Völkerstadt. Sie war noch nicht sein Hoenslardyck, das letzte Bild, das er sich in seiner lieben Stadt noch ersehnte. Und eben: das schönste von all dem neuen, starken Bau sollte dies sein Hoenslardyck in Potsdam sein. Der Sumpf des Widam war trockengelegt, das Bassin ausgemauert, eine Insel in der Mitte aufgeschüttet und bereits bepflanzt. Von der Insel her grüßte die kleine Gloriette, ein holländisches Lusthäuschen zum Kaffeetrinken, die freundlichste aller Bauhütten. Am Ufer lag ein schmuckes Boot schon heute bereit. Der Bauherr gedachte manchmal zur Insel hinüberzufahren, um ihre sprossenden, kleinen Hänge zu gehen und Umschau zu halten. Ringsum, im Karree, würden die roten Backsteinhäuser stehen mit dem Muschelgiebel und den blanken, breiten, von schmalen, weißen Leisten klar und heiter kassettierten Fenstern. So malte Mijnheer es sich aus. Die dünnen Stämmchen am stützenden Pfahl würden einmal als schattige Bäume rauschen, wie mancher Baum im Garten Marly heute schon. Ein grüner, stiller Weg sollte zwischen dem Bassin und den Häusern entlangführen; Kinder würden in den sauberen, schön gekachelten Hausfluren oder bei den Laternen an den Ufermauern Mijnheer und Mijnfrouw spielen.

Nur würde dies alles ihm nicht mehr gehören. –

Das Leben war zu schwer, zu jäh, zu rasch. Nichts blieb dem Lebendigen als das Begnügen mit dem Bilde. Wohl dem jungen Fürsten, der ein Rheinsberg hatte! Um einen König gab es keine Muße, keine Stille mehr – auch jene flüchtige Täuschung der Schuldlosigkeit nicht, die anderen Menschen manchmal für eine kleine Zeit gewährt sein mochte. –

Ein König mußte mehr leiden können als andere Menschen. Er mußte es auch ertragen, entgegen allem Willen und Begehren, schwerer zu sündigen. Und wo er leichtfertig sündigte, wurde er Beispiel für viele, und seine Sünde wuchs ins Unermeßliche. –

Der Vater hatte dem Sohne sein Rheinsberg gegeben.

Als letztes bereitete er ihm Hoenslardyck, das er sich selbst versagte.

Die Städte waren ihm beglänzt von der Gewalt der Bilder, die durch seine Seele fluteten und, weil sie vollkommen waren, der deutenden Worte und klärenden Gedanken nicht bedurften, sondern allein, wie alles Irdische, die Bestätigung durch das Himmlische verlangten. Die Bilder strömten dem König im Blute und wurden, weil die Macht des Herrschers auch noch in dem Leidenden war, Wirklichkeit im Stein. So wahr er König war, forderte er Berlin. So wahr er Christ war, beschied er sich mit Potsdam. Berlin war Gedanke der Macht; Potsdam blieb Erflehen des Segens. Berlin war Gesetz, das über ihm wirkte, und Erbe, das er verwaltete; Potsdam ein Vermächtnis, das er hinterließ. Berlin war Form, der er sich fügte; Potsdam die Schöpfung, die er als ein Gleichnis setzte. Berlin war die Stadt des Fürstengeschlechtes; Potsdam des Mannes Friedrich Wilhelm frommes Bild.

In tormentis et in jubilo pinxit.

Und aus den Wolken, die über den beiden Städten hinzogen, glänzten die Zinnen der ewigen Stadt, von der gesagt ist: »Stadt meines Gottes, die vom Himmel herniederkommt von meinem Gott!«

 

Über den Häusern der beiden Städte, die vergehen mußten, baute der Herr das unsichtbare Gotteshaus, das bleibt: die Kirche.

Für die Königsstädte wie für die abgelegensten Dörfer galt der Befehl: die Kirchen sollten »gebaut werden, daß man sie von weitem sehen und kennen kann«.

Auch in Berlin war die Fülle der Kirchen gewachsen. Zwölf waren es gewesen, als der neue, harte, arme König kam. Nun war das Viertelhundert voll, und der König hatte darüber gewacht, daß es gute Predigtkirchen wären, rund um die Kanzel der Verkündigung und Lehre gebaut. Ja, noch die Predigergärten ließ der Herr mit Tulpenbeeten bepflanzen. In je zwei Kirchen zu Berlin und Potsdam war abwechselnd lutherischer und reformierter Gottesdienst abzuhalten. Und in der Wahl der Prediger aus den gespaltenen Bekenntnissen suchte der König, der Oberste Bischof des Landes, den Bund der Evangelisten, die nicht Calvinisten und nicht Lutheraner waren, sondern »Stille im Lande«.

Er baute die Kirchen und schuf dem Geiste Raum, der in ihnen walten sollte. Der Heilige Geist zwar weht, wo er will. Aber die Tempelreinigung war gewährt und aufgetragen. So erging an die Geistlichen der beiden evangelischen Konfessionen das strenge Verbot, noch weiter gegeneinander zu predigen. Es durfte nicht mehr weiter so bleiben wie in aller seiner Königszeit zuvor, daß ein Geschlecht von Pastoren regierte, das von dem Gnadenbedürfnis einer schmerz- und schuldbeladenen Menschheit nicht wußte und die Leere und Verlorenheit im Volk nicht sah!

Für die Verkündigung des Gotteswortes in seinem Lande verbat er sich die »hohen, oratorischen Redensarten und künstlichen, allegorischen und verblümten Worte, die kein tätiges Christentum befördern und ohne Kraft sind«. Das galt allen Predigern, »welche noch nicht das vierzigste Jahr passiert haben. Die älteren, die ihre Gewohnheit schwerlich noch ändern werden, soll man gewähren lassen«.

Bis in den Dienst an der einzelnen Predigt löste der König von Preußen das Versprechen ein, das einst in Worten ausgesprochen lag, wie er sie an den Rand eines Hinweises setzte, »daß der Gottesdienst die Hauptsäule eines wohleingerichteten Regimentes ist«.

»Freillig müssen mehr Kirchen und Prediger sein«, hatte der König danebengeschrieben.

Wo der große Befehler verstummen mußte, mahnte der gehorsame Beter. Zu den Einweihungsfeiern seiner neuen Kirchen erschien der Bischof von Preußen selbst und brachte zwei Silberkelche mit Patenen, Kanne und Oblatenbüchse, die beiden Bekenntnissen für die heilige Handlung dienen sollten. Die reformierten Pastoren hatten die lutherischen, die lutherischen wiederum die reformierten einzuführen, und beiden Feiern wohnte er bei.

Wenn er von solchem Gottesdienst kam, machte der König oft noch vor dem Gerüst des neuen Turmbaues von Sankt Peter halt: hoch wuchs es über alle vollendeten Türme hinaus, dem Himmel entgegen. Und vergessen war bei allem Volk der Königsstadt, daß der Blitz den Turm zerschmetterte, als der König mit dem Sohn auf jene Reise ging, auf der die Prinzenflucht geschah! Aber der Herr war dessen eingedenk.

Die Vollendung solch gewaltigen Bauwerkes, das alle Türme Europas überragen sollte, glaubte er nicht mehr zu erleben. Die ersten Konstruktionen hatten versagt, und der König ließ neue errechnen, mit großer Geduld für eine weite Zeit die Bilder und Zeichen des Glaubens bedenkend, wo Lehre, Zeugnis und Verkündigung versagten.

Sie meinten alle, daß er etwas kühn von seiner Gesundheit dächte; es würde wohl trotz all des mächtigen Auftriebes nicht mehr viel mit ihm und seinen Städten werden. Sie verstanden alle nicht den Sinn und das Sinnbild: Die Vollendung des Begonnenen in der Stadt der Macht und Würde, in der er vornehmlich die Erde und den irdischen Auftrag meinte; den immer wieder erneuerten Versuch des ungeheuerlichen Turmbaues, der über seine Zeit hinaus noch in den Himmel wachsen sollte in Erwartung der Gnade, die über dem Willen ist, und als Mahnung für die, welche nach ihm kommen sollten; endlich auch das Hoenslardyck in Potsdam, die letzte Erweiterung seines Gottesstaates und seiner Völkerstadt: Erweiterung, die das Wirkliche schon nicht mehr meinte und in Traum verwehte und in Elegie verhauchte – obwohl das Instrument der müden Königsklage Steine und Baumstämme waren, rastlos gehämmert und dröhnend gefügt! So groß war die Gewalt des Lebendigen in ihm!

 

Als der Herr nach Potsdam kam, die Stadt das drittemal zu erweitern, war es noch einmal wie ein Fest. So ungeheure Bewegung erfüllte noch einmal die Stadt! Der König hatte das dritte und letzte Bataillon seines Riesenregimentes von Brandenburg nach Potsdam übernommen, und siebzig der Schönsten, Heldenhaftesten unter den zweieinhalbtausend Göttersöhnen mußten nach dem Einzug vor den Altar der Soldatenkirche treten, wo die Bräute mit dem Brautschatz ihres Königs ihrer Freier harrten. Noch einmal war Potsdam in die Stadt des hochzeitlichen Überschwanges verwandelt – bevor die männlichste und strengste aller kriegerischen Feiern begann! Der Oberst, der ein Mijnheer hatte werden wollen, war wieder in die Soldatenstadt eingekehrt. Unablässig wechselten die Lichter des Vorfrühlingstages, an dem er kam. – Weiches, dichtes Schneegestöber jagte über die Stadt hin, und wenn die zerrissenen Wolken verwehten, von einer starken Sonne durchbrochen, trat der Himmel licht und blau hervor, über alle Maßen leuchtend! Über der tiefen Stille schwebte erster Vogelgesang auf, bis wieder jähe, graue Schatten niedersanken und der Sturm in fauchenden Stößen über die Havelwälder heranbrauste. Aber den ganzen Tag hindurch glänzten die Stämme und die noch knospenlosen Äste von innerer Feuchtigkeit, dem Lebenswasser, das aus ihren Wurzeln warm emporquoll.

Für diesen Tag hatte König Friedrich Wilhelm befohlen, dem Regiment, das nun endlich von Brandenburg und Havelberg her in Potsdam vereint war, solle kompanienweise zur Ader gelassen werden. Er selber trat als erster vor die Reihen, entblößte den Arm und ließ sich vor den Kriegern allen die Ader schlagen, im Schneegestöber unter freiem Himmel und so feierlich, als stieße nicht der Arzt, sondern der Priester das Messer in seine Adern.

Alles war Bild, und dies war das Bild eines Opfers und Bundes; weil es unter freiem Himmel und nach einem Kriege ohne Tote dargebracht wurde, meinte es im Letzten wieder Gottes Reich noch mehr als das Land seiner Erde.

An dem gleichen Tage ging der König mit dem Kronprinzen gemeinsam zum Abendmahl, zum erstenmal seit acht Jahren. Nur zu dem Gang zum Tische des Herrn hatte er Friedrich von Rheinsberg herüberkommen lassen, um sich danach auch gleich wieder von ihm zu trennen. Es hatte noch dieses einen, größten Bildes bedurft, daß er mit dem Sohn allein das Abendmahl nahm, den Anblick des Gottes von Geldern in einem Herzen, das nicht mehr wund war bis in den Tod.

Seit er aus Rheinsberg gekommen war, hatte der Vater sich mit dem Gedanken an die gemeinsame Kommunikation mit dem Sohne getragen. Sie waren sich ja erst als Wirte und Soldaten – und beim Betrachten der kleinen Bildergalerie von Rheinsberg begegnet. –

Friedrich entsann sich jenes Morgens in dem Hirschsaal von Wusterhausen, an dem der Pastor Freylinghausen ihm vor den Jagdgefährten seinen Glauben abhören mußte und der Vater den Grafen Seckendorff an beiden Armen packte und, bis ins Innerste erregt, fragte: »Es ist eine hohe Speise, doch mit dem Munde empfangt Ihr sie nicht! Herr General, ich frage Ihn, ob Er nicht mit Furcht und Zittern zum Abendmahl geht?« Und dennoch schritt der Sohn mit dem Vater zum Tische des Herrn. Denn sie waren sich ja nur als Wirte und Soldaten – und vor einer Wand mit Bildern begegnet; und nun war er bereit, den Vater zu suchen: seit Jahren bereit.

In der Abendmahlsfeier aber leuchtete noch einmal das Blutsopfer der Krieger auf; denn der König ließ den Waffenspruch des Neuen Testamentes verlesen, in dem sein Heer zur Streitmacht eines anderen Reiches wurde und sich vollendete: »Ziehet an den Harnisch Gottes, daß ihr bestehen könnet gegen die listigen Anläufe des Teufels. Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel. Um deswillen ergreifet den Harnisch Gottes, auf daß ihr an dem bösen Tage Widerstand tun und alles wohl ausrichten und das Feld behalten möget. So stehet nun, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit und angezogen mit dem Panzer der Gerechtigkeit und an den Beinen gestiefelt, als fertig, zu treiben das Evangelium des Friedens. Vor allen Dingen aber ergreifet den Schild des Glaubens, mit welchem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösewichtes; und nehmet den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.«

Als sie aus der Soldatenkirche traten, war es um die Stunde, zu der sie in der neuen Kirche, die der König dem anderen Glauben baute – weil Gott ja zweierlei christlichen Glauben zuließ, sein heiliges Geheimnis zu verbergen –, Messe hielten. Der König hatte der Kirche das Bild des heiligen Dominikus und silbernes Gerät geschenkt und brachte nun die dritte Gabe: Rosenkränze, die wie eine Garbe seine Arme füllten. Der Ketzerkönig stellte sich ins Kirchtor und teilte Rosenkränze an die Grenadiere aus, die zu ihren lieben Heiligen beten kamen. Aber da die Grenadiere nun, den Rosenkranz empfangend, dem frommen König gar zu irdische Wünsche zuflüsterten, trat der Pater Bruns – ein Mann, so groß wie des Soldatenkönigs Götterhelden; so klug, wie des Professorenkönigs helläugigste Gelehrte; so unverdorben wie des Waisenkönigs seligste Kinder der Seligkeit – dem Herrscher zur Seite, nahm ihm die schönen, edelgeschnittenen Ketten der Rosenkränze ab und waltete des gütigen Amtes.

Es war eine gute, eine ernste Freundschaft zwischen dem Pater und dem Monarchen; und niemand konnte sie sich ganz erklären. Vielleicht war sie, weil der Pater dem König einst ein großes Komplott aufdeckte, ohne auch nur den Namen eines seiner Beichtkinder zu verraten; er tat es, indem er einfach die Vollmacht erbat, die Post aller Grenadiere, die in fremder Sprache schrieben, überwachen zu dürfen. Es war zu König Ragotins bittersten Zeiten gewesen. –

Vielleicht war die Freundschaft des Priesters mit dem König aber auch allein darin begründet, daß einer die Frömmigkeit des anderen in ihrer ganzen Tiefe ahnte und daß sie nun gemeinsam bauten an der Gottesstadt in der Mark Brandenburg, auf daß Friede würde zwischen Rom und Wittenberg und Potsdam, weil der Friede zwischen Wien, Madrid, London, Warschau, Paris und Berlin für keine Erdenzeit mehr erreichbar schien.

Der Pater war ein Dominikaner, und der König förderte, wo er nur konnte, die missionarische Tätigkeit seines Ordens unter seinen Grenadieren, damit jeder von ihnen die rechte und getreue Unterweisung in dem Glauben seiner Väter erhalten könne. Dem Pater Bruns war die Generalfürsorge für alle katholischen Soldaten anvertraut; er hatte dafür zu sorgen, daß katholische Geistliche die Garnisonen des Königs bereisten, um wenigstens monatlich einmal die Katholiken in seinen Regimentern zum Gottesdienst zu versammeln. Der Pater mußte sich bemühen, alle Sprachen soweit zu erlernen, daß es ihm möglich war, Franzosen, Italienern, Spaniern, Portugiesen, Ungarn, Slawen, Kroaten, Polen, Böhmen, aber auch getauften Afrikanern und Asiaten in der Beichte beizustehen. In den Gemächern des Königs hatte er ungehinderten Zugang.

In der Bibliothek Corsini zu Rom lag ein Manuskript, aus den Berichten gezogen, die bei dem Nuntius in Köln eingegangen waren. Das rühmte die Gewissensfreiheit in Brandenburg unter einem Titel, der auch jetzt noch nicht von einem König von Preußen wissen wollte: »Relatione delle mizzione negli stato del marchese di Brandenburg –«

»Mein Pater, ich empfehle Ihm meine Person wie einem Vater«, hatte der König einmal zu dem Priester gesagt und der Stunde gedacht, da eines Paters Wort den Gottesstaat, die Völkerstadt des Marchese di Brandenburg vor Brand und Aufruhr bewahrte.

 

Seit er im Kirchtor stand, war sein Leib wieder mit all seinen schweren Leiden geschlagen. Aber obgleich er wieder in den Krücken hing, sollte auch das Irdische für den Büßerkönig noch einmal voller Freude sein. Wenn die gichtigen Hände selbst zum Malen gar zu sehr schmerzten, kroch er an seinen Krücken nach der Tafel in den Oranischen Saal, der dem Prunkraum im urgroßmütterlichen Hujs ten Bosch bei Den Haag gar so sehr glich. Auf der Fahrt nach Hoenslardyck hatte es der Herr ja nun selber gesehen.

Im Oranischen Saal probten sie zweimal in der Woche die Musik zur Assemblee. Der König hatte jetzt ein großes Orchester und lud die Offiziere häufig zu Konzerten. Kriegstrompeten und Geigen spielten ihm zu platonischen Gastmahlen auf. Seit er das kleine Abschiedskonzert auf Rheinsberg hörte, hatte er beschlossen, sich Musik, diese große Linderung für seine Leiden, noch zu gönnen. Denn milde, freundlich und besänftigend war noch einmal alles aufgeklungen, das ihm am Hof der Mutter jemals freundlich dünkte. Er hatte ja bis heute die Schlüssel zu ihrem Notenschrank selber verwahrt.

Sydow, der Kapellmeister des Waisenhauses, mußte bei ihm konzertieren; er lehrte nicht mehr nur die Kinder der Seligkeit Choräle singen. Auch wurde jetzt immer häufiger das Musikkorps der drei Bataillone der Riesengarde hinzugezogen; und das hatte einen noch vorzüglicheren Dirigenten, den baumlangen Pepusch, den sie in Oxford zum Ehrendoktor gemacht hatten. Es war ein mächtiges Orchester und kam den König recht billig. Aber da es noch an vollendeten Solisten fehlte, machte der König gelegentlich eine Anleihe am Hofe seines Sohnes und ließ die Rheinsberger Musikanten zu seinen Potsdamer Konzerten herüberkommen. Da gab der König nun selber die Noten aus, die italienischen der Mutter oder die englischen, die ihm – wie die Bettleroper – der lange Doktor Pepusch aus Oxford mitgebracht hatte. Aber kein Gabrielle, kein Scarlatti war ihm wie Händel. Der Gesang der Psalmen und Händels heroische Musiken begannen ihn tiefer und tiefer zu erschüttern. Überall lauschte er dem Lobgesang Gottes nach.

Er hatte Händels Musiken schon einmal vernommen: auf der Insel Cythere, als Meister Händels Harfenklänge noch die Feste des Römers Augustus verklärten. Damals hatte er den Bruder Augustus um seinen großen Flötenspieler Quantz für Friedrich gebeten. – Nun zogen die Bilder vorüber, die Klänge trugen sie; sie schwebten wie die Wolken übers Meer – die Bahn, die auch der Segler zog, der Händel mit seiner Harfe von der Insel Cythere ins Inselreich zur Königin von England brachte. –

Jetzt war es ja milde, an die einst geliebte Königin des Inselreiches zu denken, deren Gemahl die drei Kronen trug, die einst ihm selbst zugedacht waren. Warum es milde war? Er selber hatte nun die Ehen der englischen Königskinder gestiftet, als müsse er auch in England dieses Werk durchaus zum Abschluß bringen, weil er in seine Anfänge zu tief verstrickt gewesen war. Alles Begonnene mußte er zu Ende führen! Und so hatte er die englische Königstochter zur Prinzessin von Oranien und die Prinzessin von Sachsen-Gotha zur Princess of Wales gemacht! Ja, er hatte das junge oranische Paar – den einstigen Partner in all den bitteren Erbschaftsstreitigkeiten und die Königstochter, um derentwillen sein Heer und Haus durchaus den »Krebsgang« hatten gehen sollen – auf seiner holländischen Reise auf Schloß Loo besucht. Seht, das waren nun die Menschen, vor denen sich die Briefe und Traktate aufschichteten, daß man sie niemals erblicken durfte. »Fiekchen«, hatte der König unlängst einmal gescherzt, »wenn ich einmal Witwer werde, so heirate ich wieder, und zwar in der Familie – deines Bruders Tochter. Denn sie hat gar nichts vom Vater, ist auch nicht hübsch, doch hat sie von der Mutter das einnehmende Wesen.« Sie müßte sich dann für ihn scheiden lassen –; so konnte er spaßen: er, mit den tiefen Malen des Todes gezeichnet, würde nicht Witwer sein.

Der König hörte Händels Wasser- und Feuermusiken, die er der seligen Frau Königin von England zu ihren Wasserfahrten auf der Themse und zu dem Feuerwerk am Ufer schrieb: für die wenigen Stunden, in denen sie ihres Leides vergaß. Aber auch des Meisters große Trauerode auf den Tod der Königin von England rauschte vor dem König auf. Eine Arie, »Otto und Theophanu« entnommen, ließ der Herr sich immer wieder spielen: »Gott, gib mir meinen Sohn!« Die redete die Sprache seiner glühenden und wogenden Seele. In ihren Worten, ihren Melodien klagte all das selbst durchlittene Leid, und alle seine Liebe zu Händel hatte in ihr wohl den Ursprung. Aber wenn er diese Arie hörte, war er gern allein.

Manchmal ließ er sich jetzt abends überhaupt nur für sich selber spielen und hörte Hunderte von Malen dieselben Lieblingsweisen. Er wollte durch keinerlei Begleiter, keinerlei Anrede gestört sein. Die Musiker standen mit ihren Pulten und Lichtern am Ende des Saales – in Berlin auf einem hohen, silbernen Chor, den sich der König für seine Bläser, Geiger und Harfenisten erdachte –; am anderen Ende des Saales saß der König ganz allein im Dunkeln, regungslos, zwei Stunden lang, in einem hohen Armstuhl. Meist schien er tief zu schlafen. Da wagten seine Dirigenten manchmal einen Sprung in ihrer Partitur; aber da erhob sich der Stock des Königs – die Kerzen von den Notenpulten warfen seinen Schatten groß und vielfach auf die Wand – und der König begann die ausgelassenen Stellen zu singen: kräftig, sicher und hell und gar nicht wie ein Kranker; und sprach doch stets so rauh und leise und oft so gequält. –

Manchmal wieder – namentlich wenn er des Tages zu den Proben kam – schien er gar nicht zuzuhören.

Und wenn sie Lœillet und Ariosti spielten, las er gern in Briefen: den wenigen, die ihn erfreuen wollten. Und nun war gar einer eingetroffen, der ein freundliches Geheimnis umschloß: sein Spizerle, Philippine Charlotte Sanssouci, dankte ihm für Opern, die er ihr nach Braunschweig schickte; dafür sandte sie ihm Porporas »Didone« und verglich ihm den Stil dieser Oper mit Händel. Die Fagottarie lag gesondert, »da mein lieber Papa doch die Adagios so sehr liebt«. Er liebte sie – wie Friedrich sie liebte. Da waren nun aber auch noch die verräterischen Zeilen beigefügt, sie bedaure unendlich, daß, wenn sie ihre Lieder und Arietten singe, sie ihr lieber Papa nun nicht mehr auf der Flöte begleite; und sie glaube, daß die Musik, wenn sie es noch jemals wiederholen könnten, noch einmal so schön für sie wäre.

Seinem einzigen Kinde, das ihm immer wieder leicht und lind gewesen war, hatte er heimlich Flöte gespielt, wenn es seine kleinen Lieder sang! Wann war es geschehen? Wenn die anderen in Monbijou die Gesandten der fremden Höfe empfingen? Wenn Frau und Sohn in ihren Zimmern Briefe schrieben, die den Gatten und Vater an England preisgaben? Wann?

Lächelnd bedachte der Herr sein freundliches Geheimnis. Alles Wunde, das einst über diesen Stunden lag, auch über diesen, war vernarbt. Aus seiner zarten, »dullen Lotte« Zeilen umwoben ihn Glück und Güte mit sanfter Wärme. Sie, die das an Höfen noch nicht dagewesene Wunder vollbracht hatte, heiter neben einer Herzogin und einer Frau Herzogin-Großmama zu residieren – die zudem noch die Mutter der Kaiserin war – und es »reizend, sauber und behaglich fand«, in einem kleinen Haus am Wolfenbüttler Kornmarkt zu wohnen, war jung und soviel früher als die älteren Schwestern regierende Fürstin geworden. Und die gnädige Frau Herzogin Sanssouci versprach dem Vater König, mit dem geliebten Manne sehr gut hauszuhalten und keine Schulden zu machen.

Auch ihre Freuden brauchten keinen fürstlichen Etat. Da war allenfalls eine Reise nach Rheinsberg, dessen liebster Gast sie war: Petite Colombe und Petite Arne. »Ich unterhalte mich ausgezeichnet und tue alles, was ich will«, schrieb Sanssouci, »und verfertige nun auch so schöne Porträts, wie sie mein lieber Papa zu malen weiß.« Und sie schickte dem Papa, weil er nun nicht mehr soviel rauchen durfte, eine kleine Pfeife, die ihm nicht schaden werde.

Und in hundert Freundlichkeiten, mit denen sie den Vater überschüttete, weil sie, sie allein, den tiefen Sinn und Plan seiner Tochterheiraten mit selig-liebendem Herzen begriff, verbarg sie ihm den tiefen Kummer um die schwache Gesundheit ihres kleinen Görge. Der kranke Vater sollte nicht erfahren, daß er nach dem Ansbacher Enkelsohn nun auch den Braunschweigischen verlieren und das glückliche Braunschweig nur zu bald Trauer um seinen Erbprinzen tragen würde.

Über solchen Briefen, seinem Texte zur Musik, schien der König dann trotz aller seiner Schmerzen sehr glücklich. Er weilte wohl in noch weiteren Fernen als in den Gärten und dem stillen Haus von Hoenslardyck.

 

Man begann jetzt allgemein von einer großen Versöhnlichkeit des Königs zu sprechen. Sie enthüllte sich auch noch darin, daß der Herr für Grumbkows hinterlassene vernachlässigte Familie und Dienerschaft sorgte, obwohl ihm ungeheuerliche Umtriebe des Greises noch aus dessen letzten Lebensmonaten bekanntgeworden waren. Der Herr erwähnte seiner nicht mehr. Auch besetzte er Grumbkows Posten nicht. In solchem Beschluß lag die tiefste Bitterkeit des Königs ausgesprochen; in solcher Entscheidung war aber auch die Größe Grumbkows unüberbietbar anerkannt. Hart war der Strich, den der König unter dieses Leben zog.

Grumbkows Zeiteinteilung ließ der Herr von dem Kammerdiener des Ministers aufzeichnen und legte diesen Tagesplan seinen Ministern zur weisen Nachahmung vor. Aber ein Kuvert mit geheimen Ratschlägen, das Grumbkow ihm hinterließ, legte er uneröffnet beiseite, so wie er einst den Umschlag mit dem in London gegen Grumbkow gesammelten Material auf dem Kaminsims ablegte – für immer.

Einmal jedoch sah der Herr sich jetzt in seinem Kreise lächelnd um und sprach: »Wenn nun alles fortgeht wie bisher, wird dann die Welt dabei bleiben, daß alles durch Grumbkows Hände gegangen ist, oder wird sie glauben, der Mann, der alles getan hat, sei doch noch am Leben?«

Und die Welt begann es zu glauben: eine so eigentümliche Festigkeit und Bestimmtheit, wie man sie früher an dem gehetzten, zerquälten König noch nicht wahrnahm, lag in der versöhnlichen, artigen Haltung des Alternden. Gesandten ließ der König jetzt »fest, aber sehr obligeant antworten«; und Diplomaten, die mit verletzenden Argumenten bei ihm verstoßen hatten, entließ er mit der huldvollen Anregung, sie möchten über ihre Anträge ein Memorial einreichen. Kündigten sie ihm aber eine nochmalige Aussprache an, so erklärte er ihnen, fern von aller Politik, wie gern er allein sei. Für Ratschläge, die fremde Herren ihm zu übermitteln suchten, dankte er nur noch mit einem Kompliment.

Seinen Residenten in London berief er ab; wenn er in England unbeliebt sei, so sei er auch unnütz daselbst und müsse durch einen anderen ersetzt werden. Allgemein mußte man die Feinheit und Gemessenheit, der preußischen Antworten würdigen. Man kenne jetzt die neue Sprache schon und wisse, daß der Berliner Hof vollkommen die Kunst besitze, wohl zu reden und zu schreiben. Früher hatte König Friedrich Wilhelm mißliebige Diplomaten binnen zehn Stunden ausgewiesen. –

Suchte man den Herrn für neue Projekte zu erwärmen – etwa als ein schwedischer Diplomat nun als letztes, einziges, noch nicht angewandtes Arkanum ein türkisch-preußisches Bündnis vorschlug! – sagte er nur: »Europa zu regulieren und balancieren, wie England tut, kommt mir nicht zu. Dazu bin ich zu klein. Meine Maxime ist, niemand zu verletzen, aber mir auch nicht auf die Füße treten zu lassen. Dazu bin ich zu alt, um mich zum Hundsfott machen zu lassen.«

Von »proportionierten Convenienzen, Dedommagements und anderen Chipoterien«, wie Hof von Hof sie forderte, wollte er nicht mehr wissen.

Waren aber Verhandlungen unumgänglich, so bestand er darauf: »Es muß so deutlich und förmlich gesetzt werden, als es eine Feder deutsch geben kann. In Hoffnung lebe ich nicht.«

Unmittelbar und allein verhandelte er nicht mehr mit den Gesandten. Bei den entscheidenden Besprechungen hatte er seine Minister, meist zu viert, um einen Tisch und bildete bei ihrer Wahl sehr bedacht zwei Parteien. Einer der Minister hatte immer eine Feder in der Hand zu halten, und außerdem nahm noch ein Sekretär die geringsten Äußerungen sofort zu Protokoll. Auch die eigenen Minister, die dem König opponierten, mußten jetzt immer wieder erklären: »Wir müssen nach unserer Pflicht und unserem Gewissen nun gern bekennen, daß uns nie etwas Solideres, noch auf so festen Gründen Beruhendes in einer so wichtigen Sache vorgekommen.«

Begegneten dem Herrn aber noch einmal gewisse Übelstände, wie sie König Ragotin einst auf der Diebsburg am Styx widerfuhren, so schrieb er nur an den Rand solcher Ministerberichte: »Ihr liebt die Louisdors zu sehr.«

Der heftigen Bewegung, welche die östliche und westliche Politik Europas in diesen Spätsommermonaten hin und her warf, hielt sich der König völlig fern. Er überreichte nur einen Entwurf zu einer allgemeinen Pazifikation, in dem er für sein eigenes Land die denkbar bescheidensten Bedingungen stellte und die Situation des Reichs und jedes europäischen Landes aufs sorgsamste durchdachte. Er schrieb mit dem herzlichen Eifer eines alten Reichsfürsten; aber die Welt ging über den Befriedungsplan, den der Kriegsherr des begehrtesten Heeres vorlegte, hochmütig hinweg. Da wollte er bei den Schauspielen, die nun vor Europa sich abspielen sollten, fortan »ein Zuschauer bleiben, der vorerst mehr dabei zu gewinnen hätte als die Akteurs«. Sein neues Theater hatte ihn eine neue Sprache gelehrt.

Der König kehrte sich ab. Und noch vor der gewohnten Zeit gedachte er Berlin und Potsdam zu verlassen, diesmal aber, ohne noch Minister auf sein altes Jagdschloß zu bitten. Die, mit denen der König nun aufbrach, waren die gleichen, mit denen er einst, für immer, nach Hoenslardyck zu reisen gedachte: die Königin; Ulrike und Anna Amalia, die Töchter, die ihm noch geblieben waren; August Wilhelm, Heinrich und Ferdinand, die jungen Söhne.

 

Den wenigen Jagden seiner Offiziere beizuwohnen, war dem Herrn nicht mehr möglich. In der Tabagie trank und rauchte er nicht mehr mit. Bald fuhr er auch nicht einmal mehr den Jägern nach – sondern saß – indes eine Rampe für seinen Rollstuhl gemauert wurde – ganz still in der Fensternische im Hirschsaal und diktierte dem Kabinettssekretär. Er sorgte für die Kinder. Er zog die große Bilanz. Er verteilte das Ersparte. Er bestellte das Haus und den Staat. Der da saß im braunen Bürgerrock und mit gichtigen Händen die Schriftstücke und Rechnungsbelege sortierte, indes er durch tiefes, schweres Atemholen die Schmerzensseufzer zu unterdrücken suchte, war ein reicher, reicher Mann: reich an Mühlen, Gärten, Waffen, Magazinen, Silber, Gold und Menschen. Allmonatlich, seit der Begleichung aller väterlichen Schulden, hatte er zweihunderttausend Taler gespart. Der König ließ sein Silber wiegen und zählen; er bewertete seine Erde. Alle Quellen seiner Haupteinnahmen bezeichnete er im einzelnen. Und nun errichtete der Herr auf Wusterhausen eine prinzliche Gesamtkammer, in der er das Einkommen aus den Gütern und Herrschaften deponierte, die er für die jüngeren Söhne kaufte. Bereits bevor er für den Herbst nach Wusterhausen ging, hatte er im Berliner Residenzschloß zwischen der Generalfinanz- und der Generalkriegskasse einen neuen Tresor für die drei jungen Prinzen eingerichtet, und es wurden an dem Tage vor der Abfahrt im Beisein des Kronprinzen sechshunderttausend Taler eingelegt. Und wie der Herr des öfteren erklärt hat, »ist dazu kein Groschen vom Vermögen des Staates gekommen, sondern alles von dem Gelde nach und nach angeschafft worden, was nach anderer Höfe Herkommen und Sitte jedem zur Unterhaltung eines eigenen Hofstaates gebührt, er aber erspart und an Güter angewendet und selbige dagegen wie Subalternoffiziere erzogen hätte«. Auch mußte jeder der Söhne obendrein noch ein Handwerk erlernen, um sich bei jeder Wendung ihres Lebens selbst erhalten und in jedem Falle das Leben ihres Volkes recht verstehen zu können.

Da aber keiner der Prinzen, außer dem kleinsten, sonderliches Interesse an Pferden zeigte, ordnete der König ziemlich überraschend an, daß sein ganzer Reitstall, »der geringste Klepper nicht ausgenommen, versilbert werden solle«.

Der Entschluß mochte ihm wohl nicht ganz leicht geworden sein, denn vor dem Aufbruch nach Wusterhausen hatte er nach dem Exerzieren jeden Tag den Marstall besucht, der zwar nicht mehr den Überfluß von früher, aus des Königs Midas Zeiten, aufwies, aber doch eine stattliche Anzahl von edelsten Reitpferden, dreihundert englische Pferde und mehrere Züge Postpferde enthielt.

Die Hunde mußte sich der Dessauer holen lassen, denn der König meinte, auf dieser Welt werde er nun nicht mehr jagen. Im Schloßhof von Wusterhausen hallte kein Hundegebell mehr! Nur Perdo, Verfilgo und Pimpone, die drei alten, umwedelten den kranken Herrn.

 

Noch an jedem Tage hielt Mijnheer auf Wusterhausen seinen Rundgang durch Ställe, Kammern, Keller und Küche. Noch immer wollte niemand begreifen, daß der Herr auch in Küche und Keller und Kammer die Bilder blühenden Lebens erblickte und daß es nicht die Augen eines lächerlichen Töpfeguckers waren, die allmorgendlich auch den geringsten Besitz mit einem hellen, warmen Blick umschlossen. Nach wie vor wählte der Herr die Speisen aus einer Vorschlagsliste aus, bestimmte die Köche, die sie ihm bereiten sollten, und erteilte selber Ratschläge. Täglich ließ er sich die Küchenrechnung vom Vortage und den Küchenzettel des laufenden Tages, acht Speisen umfassend, vorlegen. Teure Gerichte strich er aus wie eh und je. Doch blieben die »aparten Schüßlein und etwas Gebackenes« für die Königin und seine beiden Töchter, wie überhaupt die Abendtafel für die Königin, ihre Damen und die Kinder immer mit »lauter niedlichen und auserlesenen Gerichten«, wie Taubenpastete, aufwarten sollte; »auch kann die Königin des Mittags wohl eine halbe Bouteille Sekt, doch nur für sich und ihre Kinder haben«. Der Herr aß abends meist nichts. Es mußte aber bei Gattin und Kindern immer ein Gedeck für ihn freigehalten werden. Für sich selbst wollte er bei Tische vor allem keine Aufläufe mit »Wind«, besonders gern aber Spreekarpfen mit Kirschmus. Laufende Geschenke, die er für die Tafel erhielt, wie Fische und Austern und Kaviar, frischen Spargel aus den Treibhäusern des Dessauers, Elblachse vom Freunde oder ein besonderes Mastvieh, wurden in den Küchenetat mit einkalkuliert, ebenso geschenkte Schlachtschüsseln von »besonders reinlichen Leuten«.

Für seinen Weinkeller gab Mijnheer bedeutende Summen aus. Seit er dem Hofe Feste gab, mußte ein Kellermeister im Reiche umherreisen und Einkäufe machen an altem Rheinwein, Ungarwein und Pontak. Die guten Jahre und Gewächse kannte Mijnheer genau. Champagner war »Wind« und »Schaum« und wurde für den persönlichen Bedarf nur wenig geachtet.

Als Mijnheer nun wieder einmal Wein- und Speisekarte aufgesetzt hatte, saß er einige Zeitlang in Gedanken versunken, aus denen er plötzlich mit der Frage auffuhr: »Sophie, was kostet die Mandel Eier?«

Die Königin hatte keine Ahnung. Der König machte ihr bange, wie sie wohl nach seinem Tode ihr großes Vermögen zusammenhalten wolle, wo sie sich um gar nichts kümmere; denn der freie Gebrauch aller ihre Erbschaften, die er ihr zum Teil erkämpfen mußte, blieb ihr überlassen. Und mit diesen ihren Erbschaften hatte er für sie ungemein glücklich operiert, ganz zu schweigen von der Sicherung ihres Etats als Königinwitwe. Dies alles erörterte er mit ihr, um endlich – für einen Augenblick, in dem der Lebensüberschwang und die Ungebrochenheit der Königin ihren Höhepunkt erreichten – die Bitte an sie zu richten, daß, wenn sie noch einmal heirate, sie ihren zweiten Gatten nicht unter dem Stande wähle: nämlich nicht unter einem Obersten.

Es war die wunderlichste Abrechnung, die der alte Rechenmeister je gehalten hatte. Die Königin war von diesen Worten mehr getroffen als von der aller Welt geklagten Grausamkeit, daß der König aus dem Rheinkrieg mit dem Sarge für sich und für sie selbst heimgekehrt war.

 

So wie es stets gewesen war, hatte auch diesmal die Gattin nur schweren Herzens den Herrn nach Wusterhausen begleitet. Obwohl das neue Berlin ihren Beifall nicht fand und ihr altes Monbijou so still geworden war, hatte sie mit müdem Blicke aufgesehen, als sie ihre Reisekutsche vorfahren hörte. Noch einmal, als flehe sie um die letzten Augenblicke in ihrem Schlosse von Gold und Porzellan, besprengte sie mit eigener Hand ihre kostbaren Ziergewächse mit der goldenen Gießkanne, die ihr der König einst zum Weihnachtsfest schenkte, und fütterte ihren lieben, alten, bunten, immer voller aufgeplusterten Papagei, der aus vergangenen Zeiten von Monbijou noch immer seine englischen Brocken schwatzte: »Queen? Prince of Wales, Princess of Wales! How beautiful Your Majesty, letters from England!« – all die Worte, die einst jahrelang sein goldenes Bauer umschwirrten und auf menschlichen Lippen schon lange erstarben.

Sie, die dem Unköniglichen verfiel, in Herrschsucht zu handeln und in Hochmut zu fühlen, hatte das Geschlecht sowenig verstanden wie den Thron, das eigene Frauengeschick sowenig wie ihr Los als Fürstin, den Sohn nicht besser als den Gatten. Sie lebte von den Worten, die man ihr vom Kronprinzen hinterbrachte, er wolle sie mit Ehrenbezeigungen sättigen; sie solle einmal alle erdenkliche Achtung genießen. Und es blieb ihr erspart, zu erfahren, daß er danach noch sagte: »Allein in die Geschäfte darf sie sich nicht mengen; und tut sie es, so wird sie ihren Mann finden.«

Die Königin begriff nicht das Gericht, das ohne Kläger und Richter über sie verhängt war. Schon lange hatte während ihrer Anwesenheit auf Wusterhausen kein geheimer Rat mehr stattfinden dürfen. Und wenn der Hof sich nun auf dem Jagdschloß des Königs aufhielt, war es für andere Gäste nur noch erlaubt, höchstens zwei Stunden auf Wusterhausen zu bleiben.

Sollte nicht aber der Schaffner von Hoenslardyck viele Leute, die gut und viel zu reden wüßten, von weither bringen?!

Der König redete die Gattin jetzt oft mit ihrem Titel und nicht mehr mit dem Namen Fiekchen an. Daß er das Du vermied, war ihr nur angenehm. Sie liebte solche Vertraulichkeit, selbst vor der engsten Umgebung, auch nach einer mehr als dreißigjährigen Ehe nicht.

Weil sie von König und Kronprinz in ihren politischen Neigungen, die ihr ein und alles waren, nicht mehr beachtet und von den einstigen Verbündeten verschmäht wurde, fuhr ihr in dem kleinen Kreise von Wusterhausen manchmal der eine und der andere respektlos über den Mund; ah, sie hatte ihre Mitverschworenen gar zu oft zur Verzweiflung gebracht, wenn sie in ihrer großen Ungeduld ihre Geständnisse und Vertraulichkeiten immer zur falschen Zeit und am falschen Orte anbrachte! Es war wie zu Seckendorffs und Grumbkows Zeiten. Aber genau wie damals erinnerte der König, wenn man sich über die Gemahlin hinweg unterhielt, dann immer etwas schnarrend und näselnd: »Meine Frau bemerkte soeben ...« Oder als eine Hofdame etwas ungezogen von ihr redete, lehnte sich der König in seinen Armstuhl zurück und sagte mit einem Blick, der jene Delinquentin erstarren ließ: »Die Frau spricht ja von meiner Frau, als ob es ein Lappen wäre.«

Ehedem, wenn die Gattin, Seckendorff und Grumbkow sich erbittert stritten, war der Herr vom Tische aufgestanden. Heute suchte er solch peinliche Augenblicke durch besondere Artigkeiten der Gattin gegenüber zu überwinden. Dazwischen, weil er ja so fein denken gelernt hatte, grübelte er über der Erwägung, ob nicht vielleicht die Liebe der Gatten untereinander mehr bedeute als die Liebe der Eltern zum Kinde. Vielleicht mochte es bei dem »Privatmann« so sein – nicht aber bei einem König und seinem Sohn. –

Er stand am Ende seiner Ehe: er, der fast noch lieber, als er neue Ehen stiftete, zerstörte Ehen heilte, ganz gleich, ob es sich um die schmählich hintergangene Frau Herzogin von Württemberg oder die schuldig verstoßene Frau des Geheimrats von Katsch handeln mochte. Ja, auch in alle Bürgerhäuser, in denen er – als er noch seinen Rundgang halten konnte – Streit und Zank hörte, war er getreten und hatte gerichtet, geschlichtet und versöhnt.

Wenn der König seinen Mittagsschlaf hielt, saß die Königin noch manchmal bei ihm. Und weil sie sehr stark geworden war, hatte man ihr neue Stühle bauen müssen mit besonders weitgeschwungenen Lehnen; die Herrin begründete es mit einem Rheumatismus, den sie sich im kühlen Jagdschloß holte. Wenn sie dann auf den Schlafenden in seinem hohen Armstuhl sah, lag in dem schweren Blick der starken, klaren Augen, die nicht altern wollten, ein Übermaß an bitterer Erfahrung, um das sie selbst nicht wußte; dann war sie wie das Weib eines Ehebrechers, versunken in die Unverzeihlichkeit seiner Untat. Und einmal, als sie aus des Königs Kammer kam, sagte sie völlig unvermittelt zu der Hofmeisterin: »Ich weiß wohl, daß Rachsucht mein größter Fehler ist und daß ich nie verzeihen kann.«

 

Nun hatte der König den engsten Ring um sein und der Seinen Leben geschlossen. Nun hatte er es zu der Friedlichkeit und Beschränkung geführt, die ihm nach dem Verzicht auf Hoenslardyck allein noch gewährt war. Noch einmal hatte er einen kleinen Kreis seiner Familie in dem Türkischen Zelt unter den welkenden Linden des Schloßhofes um den Tisch, zu Brot und Wein, Honig, Wild und Fisch. Diese enge Runde war ihm geblieben, daß er in ihrem Anblick den Traum und das Bild von Hoenslardyck zu durchleben vermöchte. Hier, wo sie ihm so nahe waren, in dem jagd- und gästelosen Herbst von Wusterhausen, dachte der König viel über die jüngeren Kinder nach. Es genügte ihm nicht, ihre Finanzen zu bestellen. Jede Rechnung und jeder Kauf, die er für sie abschloß; jeder liebende Gedanke, mit dem er Leben und Wesen seiner jungen Kinder noch einmal umfaßte, war ihm ein Abschied. Ehe er für sie zu rechnen begann, vor dem Frühstück, das er allein, und zwar beim Ankleiden einnahm, las er einen Abschnitt in Amadeus Creuzbergs »Täglicher Andacht«. Aber auch noch dann, wenn er die Spalten der Kassenbücher durchging, sprach Mijnheer doch nur mit Gott, wie er es einst vom Leben auf Wusterhausen ersehnte, und hörte auch in den Zahlen und Werten allein seine Stimme. Unter den Kontofolianten lag die Bibel aufgeschlagen; aufgeschlagen an der Stelle: »Die Zeit ist kurz. Weiter ist das die Meinung: Die da Weiber haben, daß sie seien, als hätten sie keine; und die da weinen, als weinten sie nicht; und die sich freuen, als freuten sie sich nicht; und die kaufen, als besäßen sie es nicht; und die diese Welt gebrauchen, daß sie dieselbe nicht mißbrauchen; denn das Wesen dieser Welt vergeht.«

Der König ging nicht nach Verona. Er bezog auch nicht das Haus, das in Hoenslardyck und im Haag schon für ihn angekauft war. Er hielt sich an Berlin, Potsdam und Wusterhausen gebunden. Er dankte nicht ab. Er löste sich aus Liebe und Besitz und waltete des Amtes und Dienstes – getragen von der Hoffnung: Die Zeit ist kurz. –

Zwei seiner Vorfahren hatten abgedankt: der eine, Kurfürst Friedrich II. hatte lange und gut regiert; und floh dann doch.

Die Liebe konnte dem König nicht den Sinn des Lebens bedeuten. Aber sie durfte ihm auch nicht einmal zu der Zuflucht vor aller Sinnlosigkeit werden, wie es manchen Menschen, doch nur selten einem Fürsten vergönnt ist.

Er löste sich aus der Liebe. Aber die er liebte, waren ihm schon abgewandt und kehrten sich, ohne es zu wissen und zu wollen, dem Kommenden zu, von dem alle Welt nur noch sprach. Der Brauch der Höfe war zu stark. Die Erschütterungen, die zwischen dem König und dem ältesten Sohn sich abgespielt hatten, bebten immer noch nach. Unter ihrem Eindruck – darin betrog der Vater sich nicht und war scharfsichtig und hellhörig – gab es mit den jüngeren Kindern niemals ein Zerwürfnis. Dessen freute sich der König nicht. Etwas daran lähmte ihn. Die Beziehung zu all seinen jüngeren Kindern war davon entstellt, entwertet, verwirrt. Es war wie eine späte, unabwendbare Strafe. Die Menschen vergaben und vergaßen nicht, wie Gott vergab und vergaß. Sie berichteten seinen jüngeren Kindern alles vergangene Unheil. Litt er aber nicht schon darunter, daß er dem harten, bitteren Geschick nicht zu entgehen vermochte, alle Gedanken seines zermarterten Hirnes und alle Sehnsucht seines wunden Herzens nur auf den einen, Erstgeborenen zu richten? Mehr als sieben Jahre lang hatte er, nach Gericht und Gnade über Friedrich, seiner anderen Kinder sich freuen wollen. Aber immer wieder dem alten Banne verfallend, kam er nur dazu, die Brüder einander ein wenig zu nähern in vielen sorgsam bedachten Äußerlichkeiten. Auch zwischen ihnen stand der Schatten. Der zweite Prinz wußte zuviel von dem Thronfolger, und selbst seine warme, tiefe Ergebenheit gegen den ältesten Bruder mußte im geheimen noch dessen Argwohn gegen ein demütigendes Mitleid erwecken. August Wilhelm hatte König werden sollen »an jenes Statt«. Der Vater aber hatte den Zarten, den Liebsten, den Überschwenglichsten in aller Güte und Wärme seines Herzens, hatte seinen Hulla verloren. Er hatte den Siebzehnjährigen der zweiten Bevernschen Prinzeß, der Schwester der lieben Frau Tochter, zugesprochen: beglückt von der Freundschaft mit Braunschweig, von der so viele heißersehnte Rechtfertigung kam, Rechtfertigung von Ansbach und Baireuth und Schwedt.

Jeder Zwang aber war angetan, August Wilhelm zu zerbrechen. Er fügte sich dem Vater – aber der König nahm unendlich bitter wahr, wie er sich fügte und daß er nur deshalb nicht kämpfte, weil er das Ende des Vaters zu nahe sah. Er schonte ihn und wurde so durch seine Zartheit, seine Sanftheit, von der sein Vater einst jahrelang lebte als dem einzigen Glück seines Herzens, grausamer als Friedrich je war. Er trug den Kampf, den ersten, der ihm auferlegt war, mit dem Bruder, dem kommenden König aus. Friedrichs Haltung und Meinung blieben dem Vater unbekannt. Er war zu verwundet, um zu fragen, was zwischen den Söhnen geschah. Der sanfte Hulla aber stand vor dem Schwersten, das er bisher erlebte: der kommende König, der bewunderte, geliebte, umworbene, bemitleidete, gefürchtete Bruder gab immer nur den kühlen Rat, August Wilhelm müsse sich fügen. Diese Heirat müsse sein wie seine eigene. Die Verbindung mit Braunschweig legitimiere eine im übrigen gescheiterte Heiratspolitik des Königs. Solche Worte vermochte der Braungelockte, Großäugige, Schmalwangige nicht zu ertragen. Sein junges Leben begann sich mit Trauer zu umhüllen; seine Zartheit war der wachsenden, unabwendbaren Wehmut nicht gewachsen – und schwelgte dennoch in ihr!

Kein Lob, das die Umwelt dem jungen Prinzen versagte; aber es war das Lob, wie man es für einen verwöhnten, schönen Knaben bereit hatte. Sie nannten ihn glänzend begabt, bezwingend liebenswürdig, ungemein bescheiden; sie bewunderten seine noch immer knabenhafte Schönheit, die vollendete Verfeinerung seines Anstandes, die angeborene Würde, den jugendlichen Zauber, die zärtliche Heiterkeit in unbelasteten Stunden und seine edle und anmutige Weise, das Leben zu genießen. Zudem fand man ihn trotz seines Hanges zu Klage und Eifersucht voller Zuvorkommenheit und Sanftmut und besonders der rührendsten Aufmerksamkeiten fähig. Man pries die Andacht und Frömmigkeit, mit der er den Vater weit mehr als hundertmal im Jahr in den Gottesdienst begleitete, und rühmte die stürmische Begeisterung, mit der er sich den modernen Philosophen von Rheinsberg erschloß. Noch seine Unvorsichtigkeit und seine Unfähigkeit, seine Gefühle vor der Welt zu verbergen, schienen den Reiz dieses antiken Epheben zu erhöhen. Man entzückte sich an seiner Liebe zu Frankreich und nahm seinen Haß gegen Österreich und England als knabenhafte Unart.

Der Vater verschwieg diesem Sohn, daß er einst – in einer für die Königin großen Stunde – mit der Anwartschaft auf Polens Krone belastet werden sollte. In der Angst, durch Stanislaus Leszczynski die Armee des roi Sergeant an Bourbon zu verlieren, hatten die frankreichfeindlichen Mächte auch solchen Vorschlag gemacht. Aber der König von Preußen war der Meinung geblieben, in einem jeden Lande in der Lage Polens müsse dieses Landes eingesessener, bester und ältester Fürst der König sein, kein Fremder. Wieweit sein sanfter Hulla zum Träger einer fremden Krone tauge, erörterte er mit niemand.

Der Vater hat wenig von ihm gefordert. Es war, als danke er ihm zeitlebens dafür, daß er ihn hatte lieben dürfen, wie jedem Manne erlaubt ist, seinen Sohn zu lieben, und daß ihre Liebe enthoben war dem Gesetz ›Des Königs von Preußen‹. Und der Vater war doppelt milde zu ihm, weil der Zarte immer von neuem über Brustschmerzen klagte. Der König begnügte sich damit, daß August Wilhelm Umsicht im Militärisch-Theoretischen zeigte und daß in seiner Bibliothek viel mathematische und kriegswissenschaftliche Werke sich fanden. Die Bibliothek des Prinzen war vorzüglich; an ihrer Ordnung lag ihm viel.

Das einstige Kronprinzenregiment war ihm als Regiment »Prinz Wilhelm zu Pferde« geblieben. Zum Regimentschef bildete der König ihn heran, wie ein Oberst einen Pagen für die Armee erzog – ohne Härte des obersten Kriegsherrn. In diesem Jahre, im Mai, hatte der König zum erstenmal bei Oberstleutnant August Wilhelm von Hohenzollern Revue gehalten, nachher auch bei ihm gespeist, ihm jedoch kein Tafelgeschenk gemacht und ihn nicht, wie den Bruder, geküßt. Aber nun im Herbst vermachte er ihm Amt und Herrschaft Wusterhausen. In diesem Schloßhof, unter diesen Linden hatte der Knabe auf seinen Knien gesessen, ihn mit beiden Armen umschlungen, jeden Tag nach der Mahlzeit. – Friedrich aber sollte König Ragotins Schloß nicht zum Erbe erhalten.

Der König hat seinen Hulla auch zum Statthalter von Pommern erhoben, ihn in die Ämter eingeführt und dafür vorbereitet, sich die stattlichen Revenuen auch wirklich zu verdienen. Aber der Sanfte, Schwache begriff das Übermaß der Gnade nicht, daß er nur dies zu sein brauchte: der Sohn des Offiziers, des Landjunkers, des Generaldirektors. Er verstand nicht, daß er einmal dazu ausersehen war, der König von Preußen zu werden. Gericht und Gnade seines jungen Lebens gingen unerkannt über ihn hin.

 

Manchmal, nach Tische, lauschte der König nur auf Heinrich. War der Dreizehnjährige das klügste unter seinen Kindern? Welche Verbissenheit, sich zu bilden – weit über den umfangreichen Unterrichtsplan hinaus! Welche Leidenschaft für die Wissenschaften, strenge Musik und alte Malerei! Welche Beobachtungsgabe, welche Überlegtheit, welcher Scharfsinn im Gespräch! Welch kühle Beharrlichkeit, wenn er Kriege mit der Feder entwarf! Aber in nichts, was der Knabe Heinrich tat, leuchtete Freude auf: in allem lag Prüfen und Warten ohne Hoffnung und Lust. Seine Klugheit, sein Eifer, seine Gründlichkeit – alles war ohne jeden Schimmer frischer Jugend. Welk, klein und schmal war der Knabe, und die großen Augen hatten nur das Feuer eines harten Willens. Über seinen strategischen Skizzen aber hatte der Knabe das müde und frühreife Wort gesprochen, das den König aufhorchen ließ und lange bewegte: er erkenne den Krieg nur als grausame Notwendigkeit an, als eine harte Wissenschaft, die Fürstenkinder aber lernen müßten. Hört diese düsteren Worte, dachte der Vater König und stellte sich schwerhöriger, als er war; denn er entsann sich, daß der Knabe Friedrich einmal nicht minder bitter sagte: »Man darf nichts zu sehr lieben.« Heinrichs Worte trafen den Vater ebenso tief. Der Vater hatte nur vermocht, diesen Sohn mit den Lehrern und Ärzten zu umgeben, deren seine besondere Kränklichkeit und besondere Klugheit bedurfte – und bange zu warnen vor der Schärfe seiner Gedanken, die zugleich durchdrangen und verletzten. In einem Hause, dessen Gemächer und Kammern von Mißtrauen überwacht und von Angst erfüllt waren, war der Knabe Heinrich aufgewachsen. Unter vielem bedrohlichen und verwegenen Flüstern zwischen der Mutter, den älteren Geschwistern und den Gästen und unter den zornigen, wunden Schreien des Vaters hatte er seine ersten Bücher in seiner Kammer lesen gelernt. – Seltsam war, wie hart, ja hilflos das Deutsch des klugen Knaben war; außerhalb des Französischen verlor er all seine behende Gewandtheit und beinahe schon überspitzte Ausdrucksfähigkeit.

Der König wußte, daß sein Ältester viel von diesem seinem zweiten Bruder hielt; ja, als wäre der Zarte, der Schwärmer nicht zwischen ihnen, hatte er auch für diesen zweiten Bruder einen Prinzenspiegel geschrieben. Und der Knabe verstand ihn Zeile um Zeile und hielt jetzt noch häufiger denn zuvor den harten, heißen Blick auf den Bruder, der ein König sein würde, geheftet. Auch August Wilhelms werbende, freundliche, zärtliche Reden vermochten ihn dann nicht aus der Versunkenheit zu reißen, die nicht die Versunkenheit des Träumers, sondern des Grüblers war. Worte der Liebe berührten ihn nicht. Und niemand vermochte eine Stunde, einen Umstand, eine Äußerung zu nennen, in denen Heinrich nach dem Vater fragte. Es schien sie nichts, auch kein ursprüngliches, natürliches Gefühl zu verbinden. Daraus zog die Königin gewisse Hoffnungen für Heinrichs welfische Art. Aber der Sohn entwand sich auch ihr. Er liebte ja auch nicht den Bruder: er sah auf den kommenden König – kühl, prüfend, in verhaltenem Leiden.

Der König warb um diesen seinen Sohn, indem er ihm Kupferstiche als Malvorlage aus Paris bestellte. Diesem Sohn in seinem unbestechlichen Wertgefühl, seiner Gründlichkeit und Zweifelsucht ließ er nicht nur den üblichen Zeichenunterricht geben, weil er ja diese Beschäftigung überhaupt für eine sehr nützliche Ausfüllung der Mußestunden seiner Kinder hielt. Er gab genau an, daß die Kupferstiche für Heinrich historische Gegenstände darstellen sollten, gleichviel ob aus der Geschichte, der Bibel oder der Fabel; nur sollten nicht zu viele Personen auf ihnen abgebildet sein; und sie durften nur von den besten Meistern stammen.

 

Dem ältesten Sohn hatte der König den eigenen Gouverneur und die eigene Gouvernante gegeben. Den jüngeren Söhnen teilte er die Erzieher und Lehrer August Wilhelms zu. Es war eine unwandelbare Überzeugung des Königs, daß es ein schweres, hohes Ding sei um die Wahl von Fürstenerziehern; und wenn man sie gefunden und herangebildet habe, so dürfe man sie ohne Zwang nicht wechseln. Und auch das Erbe der Montbail war wieder von einer Hugenottin angetreten worden.

Die eigentliche Ausbildung Ferdinands hatte eben erst begonnen. So spielend wie die schmalen, schlanken Brüder lernte das rundliche Männlein nun doch nicht. Der Unterricht war ihm sogar zuwider. Aber eben er war nun der einzige der Königssöhne mit runden, roten Wangen und kräftigen Schultern; der einzige, der bei den Jägern hockte, wenn sie die Flinten putzten; der bei den Kutschern stand, wenn sie die Pferde striegelten, und wie einst der Vater in dem gleichen Schloßhof ihre rauhen Sitten nachzuahmen suchte. Ferdinand allein scherzte auch mit den Bären und suchte sie zu verkleiden; und was dem Vater am wunderlichsten schien: er spielte Koch in dem nämlichen Türkischen Zelt, in dem er selbst den Gästen das Fischmahl bereitete! Ferdinand war es, der in Potsdam am Fenster stand, wenn die Grenadiere exerzierten; und bei der Jahresrevue begehrte er im Regiment des Bruders mitzumarschieren: Das Kind der Schmerzen unter den Soldaten, die Des Königs Sohn Friedrich führte! Und Friedrich nahm sich seiner sorgsam an. Meist trug Ferdinand eine kleine Husarenuniform, genau der Montur der Regimenter angepaßt, die nach der weißen nun die rote Uniform erhalten hatten. Und wie sicher schoß doch der Husar mit seinen Spielkanonen, die zur Husarenmontur nicht recht paßten, nach der Scheibe! Wie liebte er die Marschmusik! Nur diesem Sohne durfte der Vater aus der eigenen Knabenzeit erzählen, wie die Städte ihm, dem Thronfolger und künftigen Herrn zu gefallen, ihre stattlichsten Mitbürger für seine Knabenmiliz überwiesen.

Wenn er mit dem Vater in der Halbchaise ausfahren durfte, sang der Kleine manchmal, ohne daß der Papa es ihm verwies, unbefangen und falsch vor sich hin. Und dem König – er erzählte dem Sohn wohl doch nicht nur von der Knabenmiliz – wollte es manchmal scheinen, als besitze Ferdinand in der Familie »am meisten Religion«, obwohl ihn doch angeblich nur Jagd und Krieg beschäftigten. –

Wenn die schwachen, schmerzenden Knie den wankenden, gedunsenen Leib des Kolosses noch einmal trugen, hockte sich der König zu diesem Söhnlein auf die Diele, ihm eine regelrechte, streng dessauische Jagd aus seinen Zinnfiguren aufzubauen.

Schwermütig sah der König zu den beiden Generalen auf, die ihn bei seinem jüngsten Kinde auf dem Fußboden spielend fanden.

»Ihr seid auch Väter –« sagte er.

Mit diesem einen Kinde hätte er neu beginnen dürfen; es war nicht mehr gezeichnet von dem, was um seine Geburt auf dem Hause und dem Land gelastet hatte und ihm um des Vaters willen den bitteren Namen gab: Das Kind der Schmerzen. Er hätte beginnen können, wäre die eigene Zeit nicht so weit vorgerückt – und hätte er nicht selbst ersehnen müssen, daß sie ende!

Dem Gedächtnis der Königin schien es entfallen zu sein, daß man dieses letzte, späte Kind vor seiner Geburt Das Kind der Schmerzen nannte, und so nahm sie es nicht wahr, daß gerade dieser Sohn nun das munterste Bürschlein war, das je in der vergessenen Kammer eines jüngsten Prinzen spielte, der doch noch mehr als alle anderen von dem Odium des künftigen Apanagierten belastet war. Sie tat den kleinen Ferdinand so leichthin ab, wie sie eh und je und heute noch die Schwedter Tochter abtat, die ihren Namen trug. Diese ihre beiden Kinder schienen ihr unfürstlicher als die anderen. In Sophie Dorothea Maria fand sie das Holländische, Bürgerliche des Gatten wieder; in Ferdinand entdeckte sie nicht ohne Groll den Korporal und Büchsenspanner.

Oh, auch Ulrica – wie sie Ulrike meist nannte – hatte jene väterliche Leidenschaft für Trommeln und Fanfaren geerbt und wurde wohl deshalb vom kleinen Bruder Ferdinand gar so heftig geliebt. Auch Ulrica hätte ihre ersten zehn Reifröcke für eine Montur und alle Kopfputze der Welt für einen hohen, silberschimmernden Helm hingegeben! Aber in solch kriegerischer Narretei hatte sie doch noch immer den Adel einer Amazonenfürstin bewiesen. Nun, da Ulrica schmaler, schlanker und längst kein Kind mehr war; nun, da ihre Begeisterung für Waffen und Krieger veredelte, ohne sich zu verringern, schien der Mutter alles an ihr auf eine künftige Königin hinzudeuten, und die Krone, die dieser Tochter zugedacht war, würde ihr kein Vater Korporal mehr rauben können! Wie sollte der König noch einen Winter überleben! Die Hoffnungen der Königin wachten noch einmal auf; noch war ein Kind, an das der Traum von neuen Thronen und Kronen sich knüpfen ließ! Die stillen, stillen Stunden dieses Wusterhausener Herbstes, den der König nur über Andachtsbuch und Kassenbuch hinbrachte, waren in dem Zimmer der Königin für flüchtige Stunden wieder von Hoffnung, kampfloser Hoffnung, durchflutet; die Gegnerschaft des Gatten galt nicht mehr. Niemals war die Königin blühender, stärker und ungebrochener gewesen, obwohl die Welt von ihr und um sie schwieg. Voll unbewußten Triumphes schonte sie den hinsiechenden Gegner, so ungeheuerlich im Anspruch der Macht er auch noch immer das Geschick dieser ihrer einzigen, letzten königlichen Tochter in seine unglücksschwangeren Hände zu nehmen suchte. Denn es war noch einmal eine wunderschöne Heirat übers Kreuz geplant gewesen, und zwar zwischen Ulrica und dem Erbprinzen von Hessen-Darmstadt und Kronprinzen von Dänemark einerseits und August Wilhelm und der hessisch-dänischen Prinzessin andrerseits. Aber der König hatte bezüglich des vorgeschlagenen Schwiegersohnes nur erklärt, daß man am Berliner Hofe ohnehin schon arme Schwiegersöhne in genügender Anzahl besitze; und über die ihm angetragene Schwiegertochter fand er nur das bittere Wort, er möchte keine Zwergin in seinem Hause. Projekte erörterte er mit der Königin nicht mehr. Er schwieg vor ihr auch von dem Unglück der Baireuther, der Ansbacher und der Schwedter Tochter und von dem Glück Frau Sanssoucis in Braunschweig.

Es war aus jeder Handlung, jeder flüchtigen Redewendung offensichtlich, daß er mit dem Gedanken an die Ehen seiner beiden jüngsten Töchter keine blühenden, trügerischen Pläne mehr zu verbinden vermochte. Ja, hartnäckig, wenn nicht für Außenstehende sogar hartherzig, schien er die Ehelosigkeit der letzten Töchter vorzubereiten, obwohl einmal ein klarer Wille und ein heißer Wunsch der Wahl des Namens Ulrike für sein Kind zugrunde lag. Nach dem Tode seines großen Gegners Karls XII. bat er dessen Schwester zur Patin. Über dem Untergang des Schwedenkönigs und der Feindschaft ihrer Völker sollte der Bund der Zukunft sich erheben, seine Tochter von Geburt an den Namen einer Schwedenkönigin tragen.

Als zu den großen finanziellen und testamentarischen Erledigungen des Königs der Geheime Finanzrat von Eckart auf Wusterhausen erschien – der Kapaunenmäster und Waldhüter, der wie im Märchen der große Schatzkämmerer des Königs geworden war –, schüttelte der König zu allen kühnen Spekulationsplänen des Neuen, die seine Töchter betrafen, beharrlich den Kopf. Nein, nein, meinte er, er wolle die vier Töchter, die nun schon verheiratet und ausgestattet seien, nicht benachteiligen. Er lehne es ab, die jüngeren Töchter reicher zu machen. Er wolle sie so versorgen, als ob sie immer ledig blieben. Und so legte er eine große Summe an, um die spätere Wahl Ulrikes und Anna Amaliens zur Äbtissin und Koadjutorin des Stiftes Quedlinburg zu ermöglichen, obwohl das Gerücht von der außergewöhnlichen Schönheit seiner Tochter Ulrike zu allen Fürstenhöfen Europas gedrungen war und ihr schon den dritten Heiratsantrag eingebracht hatte.

Es war ihm bitter, wenn er die Schönheit der Silberblonden mit den langen, dunklen Wimpern rühmen hörte. Denn auch im neunzehnten Jahre ihres Lebens schien es, als wolle sie das Lachen nicht lernen. Er litt besonders darunter, weil Ulrike ihm das zu werden begann, was dem Freund in Dessau seine Frau Tochter von Anhalt-Bernburg bedeutete, die sterbend den Vater noch einmal vor ihren Fenstern an der Spitze seines Regimentes sehen wollte und die Krieger und die Schlachtmusik im Schloßhof lobte, indes Fürst Leopold unter Weinen und Stöhnen seine Kommandos gab. Denn dem Herrn war zu Ohren gekommen, daß Ulrike vor anderen von ihm als dem »unvergleichlichen König« gesprochen hatte; daß sie Wusterhausen »das liebe, verzauberte Schloß« nannte, vor Zweiflern den Glauben ihres »unwandelbar brandenburgischen Herzens« an die große Zukunft Preußens verteidigte, in allen Streitigkeiten der Familie mit starkem, klarem Gefühl für die Würde seines Hauses schlichtete und vermittelte, die Geschwister nur mit liebevollen Beinamen bedachte und die Mutter mit hundert nichtigen Freundlichkeiten darüber hinwegtäuschte, daß sie ihr innerlich völlig abgewandt war – und ihr Wesen und Geschick begriff.

Der König war aus dem Rheinkrieg heimgekehrt und hatte den Sarg für sich und die Gattin mitgebracht: nie verwand es die Königin. Der König hatte nach der Rückkehr aus Rheinsberg die Gemahlin im Nonnenschleier über vollem, braunem Haar gemalt: nie erfuhr sie es.

Wie seinen Bildern schien aber auch eine starke Macht den Worten innezuwohnen, die er nach Anna Amaliens Geburt einst sprach: »Gestern ist eine auf die Welt gekommen. Ich werde ein Kloster anlegen. Männer kriegen sie nicht alle.« Ulrike und Anna Amalia sollten Äbtissinnen werden: Nonnen im Luthertum, Kirchenfürstinnen – Stiftsfräulein. Und es lag etwas Unheimliches darin, wenn ihnen ihr tägliches Lichtdeputat auf Wusterhausen ausgehändigt wurde: ein Altarlicht für jede Prinzessin. Ach, sollte sich so der heitere und leichthin gesprochene Name Anna Amalias erfüllen: Die heilige Cäcilie?

Einmal nahm der König das Gesicht dieser seiner jüngsten Tochter, seiner »dicken Lilly«, in seine Hände. Es war mit blutigen Narben bedeckt, und um die Augen waren brandige Flecken. So pflege sie oft im Zorn zu tun, so furchtsam sie auch sei, wurde dem König bedeutet, als die Tochter in Schweigen verharrte. Sie wüte mit ihren eigenen Händen gegen ihr Antlitz. Sie gieße sich Säuren ins Gesicht. Sie rase gegen sich, als wolle sie sich selbst zerstören – und sei nach wenigen Augenblicken versunken in alte Kirchenmusik. Bei dem Hofe und der Bevölkerung sei Anna Amalia unbeliebt; sie gelte als hämisch und zänkisch; von den Geschwistern werde sie bald verspottet, bald zurückgestoßen, bald schwärmerisch geliebt. Die Wogen des Meeres wären nicht aufgeregter als ihr Gebaren. Gut und böse, Philosophin, Weltkind und Betschwester – alles das sei sie nach- und nebeneinander; zehnmal in der Woche sei sie zufrieden, zehnmal unzufrieden; und am wohlsten fühle sich die Wetterwendische, wenn alles drunter und drüber ginge. Aber nichts an ihr sei mittelmäßig. Entweder sei sie teuflisch oder himmlisch.

So verklagten und verteidigten die Königin, die Hofmeisterin und Ulrike, die wenigen Frauen des Jagdkastells, die jüngste Königstochter vor dem Vater; und noch einmal hielt er Gericht über eines seiner Kinder – stummes, undurchdringliches Gericht.

Lange hielt der Herr das Gesicht Amaliens zu sich emporgehoben. Ein Paar Augen von hinreißender Schönheit war zu ihm aufgeschlagen. Er sah die frühen, müden Falten ihrer vollen, schweren Wangen, den Schmerz und Zorn, die Aufgewühltheit ihres abgrundtiefen Blickes – und las aus allem nur die Klage gegen sich selbst. Sieben Jahre waren hingegangen, seit er das große Gericht hielt, mehr denn sieben Jahre, die sein Herz so oft, so jäh als die sieben fetten Jahre des biblischen Königs pries. Aber das Gericht über ihn selbst nahm kein Ende.

Auch verstand er nun, warum die Gattin einmal maßlos bitter zu ihm sagte, sie liebe keine Kinder, die zornig, dick und düsteren Gemütes seien. Sie sagte es von jenem Kinde, das der Vater einst mit eigenen Händen vom Schoß der Mutter in das Leben trug.

In dieser Stunde noch wollte er dem wundenbedeckten Mädchen den Orgelspieler, Violoncellisten und Singemeister der Domschule, Hayne, für den Rest des Herbstes hinaus auf die alte Jagdburg kommen und auf einem Kastenwagen ein Klavizimbel mitbringen lassen, für Wusterhausen etwas Ungeheuerliches. Der Herr entsann sich, früher einmal im Vorbeireiten die Übungen im Domschulhause belauscht und etwas Besonderes an ihnen wahrgenommen zu haben: das war Musik gewesen von Amelies herber, strenger, alter Art.

Während er dies bedachte und die Königin in ihren Anklagen fortfahren wollte, geschah es nun, daß er sich mit seiner Taubheit entschuldigte, nicht mehr recht zu verstehen vorgab, seine Krücken an den Lehnstuhl heranzog und nun in den Hirschsaal stapfte. Und jeder Herbst von Wusterhausen zog an seinen völlig versunkenen Blicken vorüber: jeder Herbst, der seine silberblonde Ulrike das Lachen nicht lernen ließ und eines seiner Kinder manchmal »teuflisch« machte. Hört, die jüngste Tochter des Königs von Preußen wird teuflisch und himmlisch genannt! Auf Wusterhausen wird von Engeln und Teufeln geredet! Der Tod muß nahe sein!

Die Königin in ihrem hübschen, heiteren Zimmer mit der »Toilette der Venus«, dem einzigen von solcher Art auf Wusterhausen, hörte das Stapfen des Königs und das Schurren und Ächzen seiner Krücken vom Hirschsaal her. Einen Augenblick war ein Anflug von Gequältheit über ihren Zügen. Dies Scharren, Ächzen, Stapfen war ärger, als einst das Dröhnen der Kugeln an den Fängen der Adler und das Geklirr der Bärenketten gewesen war. Plötzlich entsann sie sich wieder. Doch dieses Mal schwieg sie von ihren Gedanken. Es war keine behende, sanfte Kammerfrau mehr um sie. Zur stündlichen Gesellschaft hatte die Königin nur noch ihre dicke, alte holländische Kaffeekocherin. Und nun hatte der König in seiner alten Lust, Ehen zu stiften, ihr gar noch die Mamsell mit seinem neuen Kastellan, einem Landsmann der Kaffeekocherin und Tulpenzüchterin, verheiratet. Freilich, der Anlaß war zwingend, und die Königin hätte sie sonst entlassen müssen, oder alle Begriffe von Treue und Ehrbarkeit wären ins Wanken geraten. Es war auch so noch entwürdigend genug, daß der König eine solche Sünderin in ihren Diensten halten wollte! Zwei Stunden lang war ihre Kaffeemamsell neulich nicht bei ihr erschienen. Dann rief sie eine Küchenmagd und eine Jägerfrau in ihre Kammer: »Mars Döbels, eck hebbe en Jungen gekregen, dort in de Bette ligt de Banquart!« Und schon hatte Mijnheer van Wusterhausen die Hochzeit bestellt. Noch vor der Taufe fand sie statt.

Doch war sie diesmal vom Herrn als heitere Strafe erdacht? Denn der Bräutigam und Kindsvater, sein holländischer Kastellan, hatte von des Königs selbstgemalten Bildern gesagt, sie wären in der Art des niederländischen Malers Bas Clas, der seine Figuren auf dem Bilde zum besseren Verständnis mit Buchstaben versah und darunter schrieb:

Dat ist gemalen von Bas Clas; a) is de Hund und b) is de Has.

Der Dominikanerpater Bruns war von Potsdam nach Wusterhausen bestellt. Unter allen seinen Priestern jeglichen Glaubens stand er seit Roloffs Tode dem König am nächsten. Doch um des Ärgernisses der schwachen Seelen willen mußten sie häufige Zusammenkünfte meiden. Heute aber sollte der Pater dem Herrn Worte aus der Bibel suchen, wie das Pastor Roloff sie stets wußte: in jeder schweren Stunde seines Lebens fand er Worte in der Heiligen Schrift, die ein Prophet einem König in einer völlig gleichen Stunde sagte, oder die der König der Könige, Christus, den armen Erdenherrschern als Trost im Heiligen Geiste zurückließ. So sprach der König und malte an dem Bilde – eines Kardinals. Und der Dominikanerpater schlug dem Herrn in Luthers Bibel nach und las ihm vom priesterlichen Königtum, »von Jesu Christo, welcher ist der treue Zeuge und Erstgeborene von den Toten und der Fürst der Könige auf Erden! Der uns geliebt hat und gewaschen von den Sünden mit seinem Blut und hat uns zu Königen und Priestern gemacht vor Gott und seinem Vater.«

Dann begann der König gar seltsame Reden, und der Dominikanerpater meinte zunächst, der König wäre nun doch wieder von Schmerzen und Arzneien benommen.

Es ist keine Sünde, hob der König an, daß ein Pater ihm aus Luthers Bibel lese. Es sei auch nicht Sünde, wenn er, an Kaiser und an Königen gescheitert, nun am Ende seines Lebens als der Herr und Oberste Bischof seines Landes einen Bund mit einem Kardinal abschließe. Denn dieser große Kardinal weine bittere Tränen über die Heillosigkeit und den Untergang Europas – und habe doch allein noch die Macht des Gebetes und die Gewalt vollendeter Staatskunst!

So war der erste, der von dem König etwas von dem preußisch-französischen Geheimvertrag erfuhr, der Beichtvater seiner katholischen Grenadiere. Und nun mußte der Pater Bruns dem evangelischen Landesbischof von Preußen erzählen, was er als Priester von dem greisen Kardinal Fleury aus Frankreich hörte.

 

Als Schwerleidender hatte der König von Preußen den schwierigsten und weisesten politischen Vertrag seines Lebens eingeleitet, durchgeführt und abgeschlossen. Immer wieder hatte er an die Welt die bange und doch so stolze Frage gestellt: »Worin habe ich nicht die rechte Prätension?« Über den Antworten hatte er gelernt, Verträge zu entwerfen mit »mehr als sechzig Einschränkungen und Zweideutigkeiten«. Aber dann war ihm der Preis des Seelenheils für solch weise Verträge zu hoch. Und die Leiden seines Weges waren zu schwer gewesen, als daß er ihnen nun durch – Kunststücke zu entrinnen gesucht hätte. –

Er hatte sich von Reich und Kaiser lösen wollen um des »Guten Kampfes der Reformation« willen, als der Anspruch der habsburgischen Universalmonarchie Europa in Kriege ohne Maß und Ende zu stürzen drohte. Er hatte sich von England gerissen um des Heiligen Römischen Reiches willen, als der König von England den Kurfürsten von Hannover und den Kurfürsten von Brandenburg zu Rebellen gegen ihren Kaiser machen wollte.

Er hatte es erlebt, daß seine Armee die Braut war, darum man tanzte. Er hatte aber auch Jahre gekannt, in denen das Heer des roi sergeant vor dem Inquisitionstribunal der europäischen Diplomatie und der katholischen Dynastien zum Ketzer gestempelt wurde, der verbrannt werden mußte. Selbst sein Geld, das er zum Türkenkriege bot, weil es hier um mehr ging als um Habsburg, war verschmäht und von dem bitterarmen Kaiser ausgeschlagen worden, der ihm von nun an »Karl der Besudelte« werden mußte im Angesichte ›Des Kaisers‹. Keine Bitterkeit war Friedrich Wilhelm erspart geblieben, ihm, der die Worte sprach: »Ich gehe nicht ab vom Kaiser oder der Kaiser muß mich mit Füßen fortstoßen.«

Er hatte den herrlichen Plan des Abbé Saint-Pierre zum Handelsobjekt einer reichen und verderbten Kaufmannschaft in schwachen und sinkenden Staaten herabkommen sehen: den Plan zum ewigen Frieden der Christenheit, die Föderation sämtlicher Staaten als völkerrechtliches Tribunal, das alle Differenzen, Ansprüche, Erbstreitigkeiten endgültig entscheiden und die vereinte Macht aller zur Exekution seiner Urteile zur Verfügung haben und alle Kriege zwischen den Staaten, alle Revolutionen in ihrem Innern unmöglich machen sollte. Weise Kongresse sollten die wilden Schlachten ablösen.

Seit diesem Herbste aber lag, den Schlachten mehr vertrauend als den Kongressen, England mit der Krone Spanien, dem Erbfeind, im Kriege und fuhr nach Westindien aus mit siebenundzwanzig Schlachtschiffen nebst zahlreichen Fregatten, Brandern und Transportschiffen: der größten Kriegsflotte, die Britannien jemals hatte auslaufen lassen. Und drei andere englische Flotten kreuzten im Mittelmeer, im Golf von Biskaya und im Stillen Ozean. Auf Herrenhausen und Hannover drängten sich die französischen, spanischen, sardinischen Gesandten. An allen Höfen pochte England an die Tür, um Freunde zu gewinnen und die große Koalition gegen die Bourbonen von Madrid und Paris zustande zu bringen. Europa trieb der gefürchteten Weltkatastrophe zu. In gewaltigem Bündnis sollten noch einmal alle Mächte genau so gruppiert sein wie im Spanischen Erbfolgekrieg, in dessen Wirren und Lähmungen Herr Friedrich Wilhelm seinen Thron bestieg. Alles sollte so sein wie damals – so als wäre das Königsleben des Mijnheer van Hoenslardyck niemals gelebt worden. – Der Hof von London wollte ausgelöscht wissen, was dieses Leben errang. Und an diesem grellen Bilde der Vergeblichkeit litt der König am schwersten.

Nun am Ende aller seiner Wege und Hoffnungen lag noch das Furchtbare vor ihm als eine unentrinnbare Notwendigkeit: daß er den Krieg heraufbeschwören mußte um des Anspruches und Gebotes willen, die Jülisch-Bergische Erbschaft dem Hause Brandenburg zu sichern. Was waren alle Testamente, die er auf Wusterhausen aufsetzte, wenn dieses eine nicht galt? Welches Erbe hinterließ er denn mit all dem Golde, wenn er das Haus um das größte Erbteil betrog?

Da kam einer, der den Erdteil vor dem »Generalkrieg« bewahren wollte wie er; einer, der die Gerechtigkeit des brandenburgischen Anspruchs und die Notwendigkeit seiner Erfüllung erkannte – einer, der noch Macht besaß: der einzige Mächtige neben dem roi Sergeant – ein ungekrönter Greis!

In der Stunde allertiefster Bitterkeit war dem König ein Wort des Kardinals Fleury zu Ohren gekommen, Preußen verdiene wegen seiner guten Ordnung eine ausgezeichnete Rolle in Europa zu spielen, und Frankreich werde gern dazu beitragen.

Ja, in den Sachen der künftigen Kaiserwahl, wenn das Haus Österreich erlosch, hatte Frankreich von der Notwendigkeit gesprochen, die Wahl auf den mächtigsten, wenn auch nicht katholischen Fürsten im Reiche zu lenken. Aber der König gab nur entsetzt zur Antwort, wenn ihm auch von Kaiser und Reich solche Ehren angeboten würden, so wolle er lieber tot sein als Kaiser werden. So hoch stand ihm das Amt des Kaisers, als die größte Möglichkeit seines Geschlechtes nur für einen Augenblick vor ihm erschien. –

Vor solch ungewohnte Sprache gestellt – zudem in einer Zeit, in der er vom Kaiser mit französischen Waffen bedroht wurde –, wollte der König nun nicht Glauben schenken, bis er Wunderzeichen sähe. Aber er sah Wunderzeichen. Die Geschicke Deutschlands, Frankreichs, Europas lagen in der Hand des alten Kardinals Fleury; nur er hielt noch den Ausbruch des allgemeinen Krieges auf. Mit seiner Friedenspolitik übte und gewann Frankreich größeren Einfluß, als es selbst in den Tagen des Sonnenkönigs gehabt hatte.

Oft hatte der greise Kardinal – zum Weinen geneigt, wie der König von Preußen – seine Tränen vergossen, wenn die einen seinen weisen Rat nicht hören, die anderen seiner Zurückhaltung nicht trauen wollten, wieder andere die Einmischung Frankreichs an allen Ecken und Enden zweideutig fanden. Der Kardinal betete und schrieb weiter; betend und schreibend verstand er, alle Fäden der europäischen Politik allmählich in seine Hand zu bringen, als Priester Roms das Land des Allerchristlichsten Königs beherrschend, wo der König von Frankreich versagte. Wie eine Art europäischer Vorsehung schaltete der Kardinal; selbst Richelieus und Mazarins Macht schien vor der sanften Gewalt, die er übte, in den Schatten zu treten.

Er sah, auf der Höhe seiner Weisheit und Stärke angelangt, das Heil Europas in Frankreichs Bunde mit dem König von Preußen.

Der Kardinal von Frankreich wußte, was die Armee, der Schatz und der geordnete Staat des im Herzen gebrochenen und gescheiterten Königs für den Frieden des Erdteils zu bedeuten hatten. Welcher Sieger war in diesem verwirrten Jahrhundert aus seinen Kämpfen so hervorgegangen wie dieser Gescheiterte? Nun mußten die Völker Europas innewerden, wie dieses neu geschaffene, noch nicht anerkannte Preußen – an Größe des Landes der zehnte, an Zahl der Menschen der dreizehnte unter den Staaten des Erdteils – wie dieses Land des Bettelkönigs ohne Krieg und Kriegstaten, ohne Sitz und Stimme im Rat der großen Mächte, eine Geltung erlangte, daß allein im Bunde mit ihm das Gleichgewicht Europas zu halten und dem unabwendbaren Losbrechen ungeheurer Ereignisse zu begegnen war!

»Was Frankreich betrifft«, so schrieb der Bischof von Preußen für den künftigen König nieder, »so fange ich an zu glauben, daß es im Ernst ein Accomodement will.«

Mijnheer, der den braunen Bürgerrock trug, war der klügsten Diplomaten einer geworden, von einer Klugheit, die mit Tränen bezahlt war, wie nur der männlichste Mann sie zu weinen vermag; über die Verlorenheit der Welt: über die ewige Niederlage des Herzens; und über die Unerreichbarkeit und Unerfüllbarkeit, aber auch Unentrinnbarkeit der Vater-Unser-Bitte: »Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden.«

Denn nur um dieses Wortes willen schienen ihm die Könige auf Erden eingesetzt.

Wichtiger noch als der braune Bürgerhabit, den er trug, war jenes priesterliche schwarze Kleid, in dem er sich als Mijnheer malte. –

Die Stunden, die er, rechnend für die jüngeren Kinder, im Hirschsaal von Wusterhausen verbrachte, waren zu oft nur ein Vorwand gewesen. Das geheime Schriftstück, das er für seinen ältesten Sohn in einer Kapsel verschloß: das war das wahre Werk des Herbstes. Und deshalb war er allein nach Wusterhausen gegangen, seine »Hinterlassenschaft« zu ordnen. Mijnheer hatte gelernt, seine Krankheit diplomatisch auszunützen.

Mehr als zwanzig Jahre lang hatte der Hexentanz um die entscheidende europäische Allianz getost! Als nun der Bund geschlossen war, hielten der Bischof von Preußen und der Kardinal von Frankreich, die beiden großen Weinenden über Europa, ihn geheim. Die Welt vermochte ja doch nur die List darin zu sehen und die Gebote nicht zu ahnen, die über diesem schwierigen, politischen Elaborat ernst, groß und über allen Zweifeln unverrückbar standen.

 

War es der greise Kardinal Fleury, an den der König von Preußen dachte, als in diesem Herbst das Bild eines alten Kirchenfürsten auf der Staffelei im Wusterhausener Hirschsaal entstand? War es der Kardinal Fleury auch schon gewesen, als der Herr das Bild der Weisheit malte: einen Greis, über einem Globus grübelnd, und die Erdkugel vom Kreuz überragt?

Blinde Welt, die nach solchem Bild von eines Königs Hand nicht fragte und seine Bilder mit dem Spottverse seines holländischen Schloßkastellans abtat! Und da in diesem Herbst so gar keine Gerüchte von Wusterhausen in die Hauptstadt kamen, belachten sie die neue Narrheit des Königs, daß er, der auf der Welt nur noch ein reiches Erbe auszuteilen hatte, sich nun gar mit der Frage quälte, ob er wohl, wenn er nicht mehr König sein wollte und sich allen Besitzes entäußerte, sein Dasein als Maler zu fristen und – bei fünftägiger Arbeitszeit für jedes Bild – den Tag einen Taler verdienen vermöchte? War dies die geheimste Sehnsucht des Mijnheer: ein Maler zu sein?

Ach, auch Mijnheer van Hoenslardyck war für sein Land noch immer König Ragotin im alten Diebskastell am Styx geblieben! Denn nun hatte der König ja wirklich und wahrhaftig einem Bilderhändler, dem lange Zeit der Zutritt zu der Tabagie gewährt worden, eines seiner Gemälde verkauft! Er hielt eines seiner Bilder den Werken anderer Maler für ebenbürtig! Der Bilder- und Schildereihändler stellte es aus, mit hohem Preise, hundert Talern, ausgezeichnet; aber der hohe Preis galt nur dem Kuriosum.

Da kaufte der König, der sich darum grämte, ob er wohl vom Malen leben könne, sein eigenes Gemälde für hundertundfünfzig Taler zurück. Und seine Scham war so groß, daß er es nicht nach Wusterhausen holen ließ. Doch vernichtete er es nicht.

Es wurde heimlich nach dem Gutshaus Cossenblath gebracht, jener Herrschaft, die der König kaufte, ehe er dem Schaffner gebot, ihm das alte Haus in Hoenslardyck zu erwerben. Dort hing nun das Bild, behütet von dem neuen Kastellan von Cossenblath, Ewersmann; denn der wußte ein Geheimnis wohl zu wahren; mit Lebenden sprach er nicht mehr. Da war das Bild nun vor der Welt verborgen in dem kleinen Herrenhaus der Mark, jenem dürftigen Schlößchen, darin nur ein einziger Zierat war, nämlich in goldenen Lettern die Namen der Königskinder August Wilhelm, Heinrich, Ferdinand, Ulrike und Anna Amalia auf schmale, weiße Türen gemalt – auf Türen, die sich ihnen niemals öffnen sollten, weil Mijnheer ein König blieb.

Hinter den weißen, goldenen Türen des einsamen Schlosses hing das einzige Bild, das der Herr des Verkaufes für würdig erachtet hatte; begonnen als die Kopie eines Spaniers und doch zu etwas völlig Eigenem geworden: der Kopf eines Mannes, dem Bart und Haar noch dunkel waren; doch sein Gesicht war mit allen Runen des Welkens bedeckt und von allen Rissen des Verfalls durchfurcht – und war doch nicht das Antlitz eines Greises! Die Haare lösten sich in Schatten und Gewölk. Die Züge verdämmerten in Lichtlosigkeit. Das Antlitz des Mannes verwehte, war Verflüchtigung und Vergänglichkeit und nicht mehr wie das Angesicht eines Menschen.

In tormentis pinxit.


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