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Der Plusmacher

Siehst du einen Mann behend in seinem Geschäft, der wird vor den Königen stehen und wird nicht stehen vor den Unedlen. Ein König, der die Armen treulich richtet, des Thron wird ewig bestehen.

Die Bibel

In allen Erlassen aus den letzten Regierungsjahren König Friedrichs I. war Friedrich Wilhelms Ernst und Eifer zu spüren. Der Vater begann sich dem Sohne zu fügen; langsam schwand er hin.

Nach der Beisetzung des Enkels, die trotz aller Vorbereitungen nun plötzlich lückenhaft und übereilt schien, war Graf Dohna zu ihm gekommen, außerhalb jeder Audienz, und hatte zu ihm vom Kronprinzen geredet wie in der Knabenzeit des Thronfolgers – Dohna, der vor der Aufgabe, den ungeratenen Sohn König Friedrichs I. und Königin Sophie Charlottes zu erziehen, einst fliehen wollte und endlich seinen Kohl zu bauen und zu sparen begehrte. Er allein kannte die Leiden des Knaben; oft hatte er den Widerspenstigen, der für den Prunk empfänglich gemacht werden sollte, aufs tiefste bedauert; das Silberservice des kleinen Prinzen war so schlecht gewesen, daß Graf Dohna häufig mit dem eigenen hatte aushelfen müssen; der Kurprinz, als er Kronprinz wurde, verfügte nur über zwölf Hemden und sechs Nachthemden; das meiste davon war schlecht. Achtundzwanzigmal in einem Monat mußte der Thronfolger mit dem König zur Komödie gehen und die Stunden vor dem Theaterbesuch mit Tanzunterricht hinbringen. Da hatte der Knabe aufbegehrt: »Euer Tanz lehrt mich nicht regieren!« Denn bei allen Dingen, die er trieb, wollte er einsehen, wozu es geschah.

Er hatte sich dagegen aufgelehnt, daß sein Lehrer Rebeur, der ihm den Lebenslehrsatz einprägte und vorlebte »Tugend adelt den Menschen« von seinem Tische ausgeschlossen blieb. »Ihr seid ein wahrer Edelmann«, rief das königliche Kind, »wie kommt es dann, daß Ihr nicht an meiner Tafel speisen dürft?« Und er versprach dem Lehrer – den er im Überschwange seiner Leidenschaften schlug und küßte – Haus und Garten zum Trost, obwohl ihm der Ahner und Träumer Rebeur für einen Schulfuchser zu reinlich war.

Aber das schöne Wort von Adel und Tugend hatte den Prinzen noch nicht mit seinem ganzen Herzen begeistert. Da war noch ein anderes Wort, das ihm zum Lieblingsspruch wurde: Deum time – Fürchte Gott! Und fortan verlangte er nie mehr den Teufel zu sehen. Er hatte immer wieder den Anblick des Satans zu erzwingen getrachtet, bis man endlich einen alten, bösen Raben die zarten Wangen und Hände des Knaben zerhacken ließ. Jenes als lügnerisch verschriene, zornige, ja oft rasend scheinende Kind, das angesichts aller Schuld und allen Übels im Reiche des Vaters aufschrie: »Unser Herr Gott ist ein Teufel! Ich will Gott quälen; ich will katholisch werden!« hielt dennoch streng darauf, daß Gefolge und Dienerschaft allmorgendlich bei ihm zur Hausandacht erschienen. Und hatte der Knabe Friedrich Wilhelm Gäste bei sich, so pflegte er das Gespräch gern immer wieder auf religiöse Dinge zu bringen. In seinen sehr sorgfältigen Tuschereien aber malte der verwahrloste kleine Bursche mit den übergroßen, ernsten, blauen Augen und dem stets leicht träumerisch geschürzten Mund einen Altar, auf dem Bibel und Gesetzbuch aufgeschlagen lagen. –

Daran gemahnte Graf Dohna vor dem König. Es waren offene und kühne Worte gewesen, die den alten, nüchternen, gleichmäßigen, in jedem guten Dienste treuen Grafen wieder jünger scheinen ließen. König Friedrich reichte ihm lange die Hand. »Wollte Gott, daß alle, die sich mir nähern, so herzlich mit mir sprächen; allein das ist das Los der Fürsten, die Wahrheit nur durch die trüben Nebel der Verstellung und Kabale zu erblicken.«

Der Kronprinz dankte dem alten Erzieher sehr bewegt. Er habe ihm das Leben gerettet; denn Vater und Sohn zugleich zu verlieren, das vermöchte er nicht zu ertragen. Ohne die Versöhnung mit dem Vater wäre er in tödliche Schwermut verfallen; in all der Wirrnis und dem Elend brauche er aber Taten, Taten, die der König ihm aufgab.

König Friedrich beriet sich kaum mit seinem Sohn; er erteilte ihm einfach Vollmachten. Die Korrespondenten der auswärtigen Höfe hatten aus Berlin zu melden, daß die »Intrigen und herrschenden Fraktiones bei Hofe seit einiger Zeit gänzlich ruhten, indem des Kronprinzen Kredit und Autorität jeden zwischen Furcht und Hoffnung hielte und alle insgesamt obligiere, in ihren Demarchen große Vorsicht zu gebrauchen.«

Den Kronprinzen dagegen kam das Lachen an, wie die Blackschisser konfus wurden, als wenn das ganze Land schon verloren wäre.

Denn König Friedrich ging auf eine weite Reise und Heß dem Sohne das Land.

Es war nur eine armselige Macht, die König Friedrich seinem Sohn verleihen konnte; vor den großen Mächten blieb sie ein Spott. Er überließ ihm die armselige Zahl und das unnennbare Elend von zweieinhalb Millionen Menschen; er übergab ihm ein zerfetztes Länderbündel, benachbart dem unermeßlichen Rußland; gelegen neben dem französischen Reich, das von den Pyrenäen bis an den Oberrhein, von dem Mittelmeer bis an den Ozean reichte; gestellt neben das unerschöpflich scheinende Österreich: groß in Deutschland, dem Orient und Italien; und unvergleichbar mit dem reichen England, dem die See gehörte mit allen umfassenden Ansprüchen des großen Inselreiches.

Des Schwedenkönigs Karl XII. geschlagenes Heer zog, von der Pest gefolgt, durch brandenburgisches Land. Berlins Protest blieb ohnmächtig. Sachsen, Polen und Russen rückten gegen Oder und Uckermark vor – Brandenburgs Truppen lagen im Spanischen Kriege der Habsburgischen Hausmacht. Der Thronfolger hatte nur zwei Reiterregimenter und ein Bataillon Fußvolk zur Verfügung und mußte zuschauen, während sich fremde Heere zwölf Meilen von Berlin auf märkischem Boden bekriegten. Nichts blieb ihm als die Klage vor dem Fürsten Anhalt-Dessau: »Wir sitzen still; geht mir sehr nahe. Keine Regimenter im Lande, kein Pulver und kein Gold; und das Schlimmste, man muß sie wie rohe Eier traktieren. Die hiesigen Blackschisser, die sagen, mit der Feder wollten sie dem König Land und Leute schaffen!«

Er hatte genug, übergenug gelitten unter den Verträgen König Friedrichs und der drei Minister. Noch konnte ihm der König das so neu erst geschenkte Vertrauen mit jedem Tage wieder entziehen. Es galt, so grundlegende Veränderungen im Staatsgetriebe vorzunehmen, daß keine Sinnesänderung des Königs noch eine wesentliche Umwandlung zu bewirken vermochte.

So löschte Friedrich Wilhelm in der Zeit, da sein Vater ihn fürchtete und um Versöhnung warb, das Dreifache Weh aus. Mit dem Grafen Wartensleben durfte er noch am mildesten verfahren; dessen Hauptschuld war gewesen, dem Treiben der beiden anderen Minister nicht Einhalt geboten zu haben. Graf Wartenberg vermochte aus dem Anfang seiner Amtszeit tatsächlich Verdienste nachzuweisen; Friedrich Wilhelm billigte ihm eine Pension zu; er war bereit, sie ihm ins Ausland zu überweisen. Gräfin Wartenberg, die Gastwirtstochter, lächelte über solche Gerechtigkeit des Kronprinzen; sie nahm allein für fünfhunderttausend Taler Diamanten mit über die Grenze, Diamanten, aus Brandenburgs armem Sande gewonnen. Ihr übriger Besitz belief sich auf Millionen; doch erkannte der Kronprinz ihn als ihr unantastbares Eigentum an. Nur Schloß Monbijou fiel an den König zurück; der machte es der Frau Schwiegertochter, der trauernden, jungen Mutter zum Geschenk. Reichsgraf Wittgenstein wurde verhaftet und in die Feste Spandau überführt. Sämtliche Reichsgrafen protestierten. Sie fühlten sich in dem Urteil, nicht in Wittgensteins vorangegangenem Tun beleidigt. Der Reichsgraf deckte seine Veruntreuungen; er mußte die Staaten des Königs verlassen.

In das Untersuchungskomitee, das der Kronprinz eingesetzt hatte, war der Obermundschenk von Grumbkow berufen: über die schwierigsten und undurchsichtigsten Vorgänge zeigte er sich vorzüglich unterrichtet. Zum Kabinettssekretär des Komitees hatte der Kronprinz seinen neuen Regimentsschreiber Creutz beordert.

Graf Dohna wurde zum Premierminister ernannt. Im Staatsrat fand der Redliche nur Kreaturen des Dreifachen Wehs vor. Der Kronprinz beschloß, den ganzen Staatsrat aufzulösen. Aber dieser Schritt, der das ganze Fundament der preußischen Staatsverfassung veränderte, mußte mit Umsicht vorbereitet werden.

Inzwischen erging an sämtliche Regierungen des Landes ein Reskript, über den wahren Zustand des Landes zu berichten, dabei nicht das geringste zu verhehlen und die Meldungen unmittelbar zu Händen des Königs einzusenden. Meist verständigten sich die Berichterstatter untereinander, denn noch fand der Kronprinz keine Zeit, ihre Meldungen nachzuprüfen.

Leopold von Anhalt-Dessau schlug er zum Generalfeldmarschall vor.

In heimlichen Zusammenkünften mit den Gestürzten und Bedrohten klagte König Friedrich, er werde seiner alten Diener beraubt und wisse nicht, wem er sich noch zu vertrauen habe. Es wurde still um ihn. Ilgen, der unsäglich geduldige, einsichtige, tätige Leiter der auswärtigen Politik, und der Oberhofmarschall standen schon längst bei dem Neuen; Ilgen vor allem, nicht weil er zurückgesetzt war, sondern wie er sich klar eingestand, aus Voraussicht.

 

In diesen Tagen des Wechsels und der Wandlung, des Sturzes und Aufstiegs unternahm der Schreiber Creutz einen Selbstmordversuch. Doch zog man ihn noch lebend aus der Spree.

Der Kronprinz ließ ihn zu sich kommen. Creutz weilte schon lange in dem Kabinett, aber die Hoheit wandte sich ihm immer noch nicht zu. Der Kronprinz stand, dem Zimmer den Rücken zukehrend, am Fenster. So redete er mit Creutz.

»Glaubt Er, daß es der Ehre meines Regiments gar so förderlich ist, wenn ein neuer Schreiber kopfüber ins Wasser geht? So, so. Er will nicht mehr Regimentsschreiber sein? Er hat sich auf dem geraten scheinenden Wege um einen Posten beworben, und das Schreiben ist abschlägig beschieden worden? Es kann demnach nicht in meine Hände gelangt sein? Nun, noch gehen alle Gesuche an Seine Majestät den König. Der allein erteilt Gnaden, der allein vergibt Ämter. Der Posten, um den Er eingekommen ist, Creutz, ist auch heute dem König noch nicht verfügbar. Fünfzehn Taler mehr pro Monat liegen nicht auf der Gasse.«

Creutz nahm all seine Klugheit zusammen, und die war größer als alle Leidenschaft seines Ehrgeizes. Er schwieg, doch in Bescheidenheit und ohne Trotz. Es genüge ihm, sagte er dann, als der Kronprinz ihn entließ, wenn er das Bewußtsein mitnehmen dürfe, Seiner Hoheit gnädige Gesinnung nicht verloren zu haben.

 

Er hatte zu lange gehungert. Das Elend ließ ihn nicht los. Die schmalen Bissen eines Regimentsschreibers konnten diesen Hunger nicht mehr stillen. Was half es, daß er glücklich gewesen war über seinen neuen, sauberen Rock? War er nicht ein Günstling des Kronprinzen? Spürte nicht jeder: jetzt kommt der Neue zur Macht? Aber wen trug er mit sich empor? Die großen Herren, wieder nur die großen: den Fürsten, den Grafen, den Junker; den Dessauer, den Dohna und Grumbkow.

Der Kronprinz brauchte zu all seiner Härte ein reines Gewissen. Er bat den König, das verwahrloste Amt verbrecherischer Minister auf die wenigen zu übertragen, die der jungen preußischen Krone aus kurfürstlichen Zeiten her mit Eifer dienten. Für einen Günstling bat er nicht.

Erst als er den Thronfolger als einen mächtigen Herrn am Hofe seines Vaters wiedersah, begriff es Creutz. Der Kronprinz mußte schon sehr mächtig sein, wenn man in preußischen Ämtern mit fünfzehn Talern zu rechnen begann.

Für eine Nacht kehrte Creutz, freien Willens, in das Elend zurück, das ihn nicht losgab. Er blieb eine Nacht unter den verworfenen Mädchen seiner Gasse, unter denen die Ramen einherging wie ein stilles und erstauntes Kind und bei ihm blieb mit wunderlichen Fragen. Da war sein Sinn schon voller Geduld, aber es lag etwas Gefährliches in ihr. Noch mußte er dienen. Er pries den Neuen vor der Gasse. Er pries den kommenden König, der um fünfzehn Taler feilschte. Und die verworfenen Mädchen nachts und ihre Väter und Brüder, denen sie es morgens erzählten, nickten und gaben ihm recht: »Ja, fünfzehn Taler sind viel Geld.«

In diesen Tagen verbreitete sich das Gerücht, der König habe unter dem Einfluß seines Sohnes eine ungeheure Summe für ein Pestlazarett gestiftet. Um der großen Barmherzigkeit willen sollte es den Namen tragen: La Charité.

 

Der Kronprinz speiste mit seiner Gattin. Über den Geschäften war es eine Seltenheit geworden. Die Kronprinzessin war ohne Vorwurf und nur erfüllt von Ehrgeiz und Stolz. Welcher Thronfolger hatte solchen Anteil an den Geschäften des regierenden Herrn wie ihr Gemahl? Zu welcher Geltung erhob er sie dadurch vor der Königin! Wie triumphierten bereits die Damen des kronprinzlichen Hofstaates über die hochmütigen, bäurischen Mecklenburgerinnen der bigotten Königin.

Der Kronprinz sah voll Besorgnis und Liebe, wie seine Frau, zu hohen Leibes, bei der gemeinsamen Tafel immer ein wenig vom Tisch abgerückt saß, rührend und unbeholfen, wenn sie sich stärkte und labte für ihr Kind. Er erschrak vor ihrer Blässe und war zugleich beseligt, weil sie die nahenden Wehen verriet. Was war der Tod zweier Söhne vor der Fruchtbarkeit dieser Frau!

Er wollte die Pest bekämpfen und den Tod: das kleine Leben sollte wachsen, zu jeder Stunde dieser furchtbaren Monate freudig und behütet wachsen. Niemals war größere Sanftheit in dem Ungestümen, als wenn er auf den Leib der mütterlichen Frau sah. Daß sie immer wieder zwiefaches Leben war in all dem Jammer, all dem Sterben, all der Angst!

Er ließ sich die kleine Wilhelmine, die er lange vernachlässigt hatte, bringen und hob das zarte Kind mit bedauernder Geste empor.

»Sie ist anderen Kindern ihres Alters überlegen«, beharrte die Kronprinzessin, als er lachend den Kopf schüttelte, »sie ist der Abgott der Hofdamen. Sie schwatzt den ganzen Tag.«

Wilhelmine war ein Kind, wie geschaffen, präsentiert zu werden. Sie tat sofort, was Mama ihr abzulocken suchte. Sie merkte geradezu, daß man eine kleine Prüfung mit ihr veranstaltete. Alle Scherze rollten wie am Schnürchen ab. Dem Vater war alles neu. Er hielt den schwachen, kleinen, im Brokat verhüllten Körper in zärtlichen und starken Händen; er fühlte das weiche Gesicht ohne eine Scheu des Kindes an seiner Wange. Aber zugleich war es ihm nicht mehr die Tochter, das einzige Kind – das neue hielt er umklammert, den Sohn.

Die Damen unterbrachen ihn wieder mit ihrer Konversation.

Er hatte noch nicht von dem Wunder vernommen. Es fiel ein dichter Schnee in kleinen, festen Flocken, die größere Kälte verkündeten. Im Schloßgarten in Köpenick blühte die alte Agave zum erstenmal mit einer zauberhaften Blüte von mehr denn siebentausend Blütenblättern. Der Kronprinz sah nur in den Schnee hinaus.

Die neuen Häuser der niedergebrannten Stadt Crossen waren noch nicht unter Dach und Fach, der Bau der Charité kaum begonnen. Das Jahr ging zu Ende.

Er verabschiedete sich rasch, neue Tagesbefehle auszugeben. »Die Untertanen sollen nit übern Haufen gehen, gegen Ruin der Untertanen sollen alle guten Anstalten machen.« So begann das erste Edikt, das er aufsetzen ließ im Namen des Vaters.

 

Die Wochenstube der Kronprinzessin war im stillsten Zimmer des ganzen Schlosses eingerichtet worden, über dem Turm der alten Kapelle, wo der alte und der neue Flügel zusammentrafen, hoch über dem abgelegenen zweiten Hof, in dem nur bei den großen Festen die Auffahrt der Gäste stattfand. Dort lag, durch eine Tapetentür von der reichen Büchersammlung der Königin Sophie Charlotte getrennt, das braungetäfelte kleine Bibliothekszimmer der Kronprinzessin Sophie Dorothea; dahin hatte man ihr Baldachinbett und die alte Kurfürstenwiege getragen. Die Brüstung der offenen Galerie des Hofdamenflügels verdunkelte den von Bücherwänden golden-bunten Raum selbst noch in der Mittagstunde; und nun, da ein Schneetreiben eingesetzt hatte, mußten schon sehr zeitig die Kerzen in den Leuchtern der Wandfelder brennen. Das Feuer im Kamin schlug hohe Flammen um die neuen Scheite und warf seinen Schein auf die Bücherwände und die Wiege. Der Kronprinz hob, als letzter von der Freudenbotschaft erreicht, die ganze Wiege auf die Feuereröffnung zu; die Wehmütter kreischten auf; er lachte.

»Ihr müßt ihn gut wärmen. Er hat kühle Hände. Ihr müßt ihm viel Biersuppe geben, das macht stark.«

Drohend und dabei so strahlend ließ er den Knaben den Frauen.

Am Bett der Mutter stand er still. Er knöpfte seinen Rock auf über dem brausenden Herzen und nahm aus den Taschen, was er seit dem Morgen bei sich trug für diese Stunde: die kostbaren Etuis mit dem Schmuck seiner Mutter. Er wagte kaum, die Wöchnerin zu berühren. Er schlang ihr die Ketten nicht um; er legte ihr die Perlenschnüre nur lose um ihr offenes Haar und auf die Brüste voller Milch. Er fügte behutsam die Diamantringe in ihre Hände. Nur ein Armband, strahlender als alles, streifte er fest um ihr Gelenk, den Schlag ihres Pulses zu fühlen, der immer wiederklang in neuen Menschenherzen.

»Sagen Sie selbst dem König den Namen«, bat die Wöchnerin lächelnd und begann, beseligt zu ihm aufblickend, die Ketten um den Hals zu knüpfen und die Ringe an die Finger zu stecken.

Die Hände sind noch krank, dachte der Kronprinz; daß es so schwer ist, Leben zu geben.

Wie niemals, küßte er auch heute nicht ihre Hand. Er küßte den Mund; der war wieder rot und voller Leben.

Die Wehmütter wußten nicht, wohin vor Verlegenheit.

Friedrich I. war zeitig zu Bett gegangen. Er fühlte sich unwohl und fror. Auch hatte er unangenehme Eindrücke gehabt, denn er hatte der Königin einen flüchtigen Besuch abgestattet und war sehr entsetzt, wie maßlos aufgeregt all ihre heiligen Reden waren. Sie bangte sich namenlos vor der Weißen Frau des Hauses Brandenburg.

Zum erstenmal sah Friedrich Wilhelm seinen Vater im Bett. Er saß aufrecht, und das Hemd gab ihn noch mehr preis, als es schon einmal die Generalsuniform getan hatte. Er hatte eine hohe, schiefe Schulter. Sonst war sie von Locken und schön gerafften Falten verdeckt. Mit den knochigen, wächsernen Händen spielte er aufgeregt in den noch immer nicht ergrauten Haarsträhnen. Seine Augen waren trübe. Er blickte vom Sohne hinweg in eine Ecke.

Friedrich Wilhelm verzieh dem Vater viel. Er sah, daß er gelitten hatte.

In Haltung und Blick des Königs war etwas Zweifelndes gekommen. So saß er jetzt oft da: die wächsernen, gekrümmten Finger in den Haarsträhnen; fragend, zweifelnd, tatenlos – doch hinderte er die Taten des anderen nicht mehr. Oft saß er auch an der Wiege des Enkels, der – wie der Großvater sagte – brav schrie und recht fett und frisch war. Hier war etwas wie Vergebung.

»Er soll Friedrich heißen«, hatte der Sohn ihm versprochen, weil die Furcht des Vaters ihn bedrückte. Nun griff Leben in Leben und Name in Name. König Friedrich hütete das neue Leben, wie er, der Tatenlose, es vermochte. Er ließ ihm ein Kleid aus Silberbrokat mit Diamanten besticken, dessen Schleppe sechs Gräfinnen tragen sollten; der König würde ihn unter einem Baldachin erwarten, dessen vier Stangen vier Kammerherren und dessen goldene Quasten vier Ritter des Schwarzen Adlerordens hielten. Dem Knaben war der Titel Prinz von Preußen und Oranien zugedacht, wobei es unklar blieb, was fragwürdiger war, der Besitz Preußens oder die Anwartschaft auf Oranien. Die siebenhundert Trommeln der bisherigen Prinzentaufen aber sollten schweigen.

Auch in den Wochen nach der Taufe blieb König Friedrich an der Wiege.

Nachts, wenn er wach lag, war der König voller Angst – Angst vor der Weißen Frau. Auch die Grimasse solcher Masken muß Gott dulden. Die Gatten, König und Königin, verband nichts als die Furcht. Die Gemahlin wollte bei ihm beten, und er wies sie ab. Da verlangte sie danach, über den Schlafenden ihre bannenden Sprüche zu sagen. Noch wußte außer ihren Mecklenburgerinnen niemand am Hof um ihren Wahnsinn; und die bewachten ihr Geheimnis ängstlich. Sie beobachteten auch das Tun und Treiben des Königs für die Herrin, die fieberkrank zu Bette lag.

Der König war soeben aus seinem Betkabinett gekommen, jenem Raum, der Friedrich Wilhelm unter allen Sälen und Zimmern des Schlosses am verhaßtesten war. In einem wunderlichen kleinen Tempel mit roten, damastenen Tapeten und buntem Fußboden, mit Spiegelschränken und blitzenden Kandelabern, der kleinen Kapelle oder dem Sommerzimmer, das durch eine hohe Laterne sein Licht von oben empfing, pflegte Preußens erster König vor Gott zu knien. Der Vorraum zum Gebetsgemach, ein chinesisches Kabinett mit verwirrendem Wandmosaik voller phantastischer Vögel, trug an der Tür die Tafel, daß der Eintritt in diese Appartements verboten sei, solange der König mit Gott Zwiesprache vor den Spiegelwänden halte. Nach dem Gebet zog sich der König zur Mittagsruhe in ein Stübchen seiner ersten Gattin am Ende eines langen Ganges zurück; dort hatte er durch eine Glastür einen freundlichen Ausblick auf den weinberankten Laubengang, der zu dem Alten Haus der Herzogin, dem Aufenthalt der jetzigen Königin, führte. Noch im Entschlummern gingen seine Blicke immer wieder zu der Tür hin.

Da geschah das Entsetzliche, daß er das Gespenst in ihr erblickte: wirren Haares, weiß, mit lodernden Augen und blutigen Händen, angekündigt von gläsernem Klirren. Sein Herzschlag war wie gelähmt.

Auch als sich das Furchtbare erklärte, blieb jene Mattigkeit und Dumpfheit in der Brust, und seine Knie trugen ihn nicht mehr. Die Ärzte waren um beide sehr bemüht, den König und die Königin. Diese schien gefährdeter. Das Blut war kaum zu stillen und der Schrecken, der sie vor dem Schmerz ihrer Wunden und dem Aufschrei des Königs gepackt hatte, wollte nicht mehr von ihr weichen. Noch wagten die Ärzte es nicht zuzugeben, daß der Wahnsinn offenkundig ausgebrochen war, als sie von ihrem Krankenlager heimlich aufstand, im Hemd, mit nackten Füßen auf die kalte Galerie hinausschlich und in dem Wunsche, über ihm zu beten, der gläsernen Tür nicht mehr achtete, die sie von dem schlafenden König trennte. Manchmal brach aus ihren wirren Worten noch der echte Schmerz über ihr zerronnenes Leben hervor.

Der Kronprinz empörte sich über all die Heimlichkeit um die Kranke. Er wollte ihr Leiden vor alle Öffentlichkeit gebracht wissen, um endlich die dumpfen Gerüchte um die Weiße Frau der Hohenzollern zu zerstreuen. Dem freilich gab er recht, daß der Vater seinen Tod vorausgesehen haben sollte.

Andere glaubten es mit ihm. Die Besorgnis um ihr eigenes Wohl und Wehe gab ihnen klareren Blick. Es war so weit. Der neue Herr würde kommen. Jeder Tag, den der alte König noch lebte, wurde kostbar. Man mußte versuchen, noch rasch Verträge mit der Majestät zu schließen für Renten und Pensionen. Ein letztes Mal mußte es gewagt sein, unter dem Schutze des todkranken Königs das Wirken des Thronfolgers abzuwenden oder aufzuhalten. Die Federn der Schreiber flogen. Die Kurierpferde jagten zum Kaiser und zu den Verbündeten. Alles war Kampf gegen Friedrich Wilhelm. Sie wollten ihm solche Lasten aufbürden, in solche Schwierigkeiten ihn verstricken, daß ihm die Möglichkeit zu freien Taten nicht mehr blieb.

Tagelang teilte die Majestät an die Familie und die hohen Staats- und Hofbeamten Gnaden aus, um ihrem Sterben Glanz zu verleihen. Der Sohn wurde erst am dritten Abend gerufen.

Er hörte die leeren Formeln ohne Rührung. Heute und morgen, glaubte er, würde der Vater noch nicht sterben. Er gab sich vorerst noch ein Schauspiel seines Todes. Als wirklich eine Besserung sich zeigte, ordnete König Friedrich Dankgottesdienste, Trinkereien und Tanzereien an. Friedrich Wilhelm ging zu seinem Grenadierbataillon, das gegenwärtig in Köpenick lag. Doch wurde er sofort zurückgerufen. Dem, der ihn weinen sah und ihn mit großer Rede trösten wollte, hörte er schluchzend zu; dann aber fuhr er ihn an: »Was hast du Hundsfott dich darum zu kümmern, daß ich doch um meinen Vater weine?!«

Nachts arbeitete er mit Creutz. Es war so spät geworden, daß der Kronprinz die Kerzen noch einmal erneuern lassen mußte. Das Schloß und die Höfe lagen schon im tiefen Dunkel der kalten Februarnacht. Mitten im Rechnen sprang Friedrich Wilhelm auf, eilte ans Fenster und starrte in die Finsternis.

»Warum sind alle Kerzen angezündet? Was ist im Schloß?« rief Friedrich Wilhelm, seinem Schreiber unverständlich, denn vor den Fenstern lag die Nacht. Er aber sah strahlende Säle. Der Regimentsschreiber sprach auf ihn ein. Der Kronprinz konnte ihm nicht glauben. Er ließ noch Diener rufen. Die standen nun frierend, übermüdet und töricht an den Fenstern. Nichts war, als tiefe, tiefe Nacht. Dem Prinzen flammte das Schloß vom Schimmer der Leuchter. Die Männer eilten mit ihm die Treppe hinab, durch die Gänge, über den ersten und zweiten Hof, sie stießen sich an Stufen und Pfeilern. Ihm war alles hell. Sie weckten noch manchen im Schloß. Keiner sah brennende Leuchter. Nur die armen Lichte, die sie mit ihren gewölbten Händen vor dem Zugwind schützten, warfen unruhigen Schein.

Im Flügel der königlichen Gemächer kamen ihnen Bediente entgegen. Sie sollten den Thronfolger holen. Die Ärzte waren beim König. Da erkannte auch der Kronprinz, daß es dunkel war ringsum und daß nur ein sehr schwacher Lichtschein aus dem Vorraum der Königszimmer zu ihm drang. Er dachte: Ich will nicht Dinge sehen, die nicht wirklich sind.

Er wollte nicht die Welt der Träume und Gesichte aufgerissen wissen. Die schwerste Wirklichkeit war über ihn hereingebrochen. Er sollte König sein, wenn er die Flucht dieser Gemächer wieder verließ. Und was bei dem Vater in seinem leidenschaftlichen Handel um die Königskrone im alten Herzogtum Preußen nur vermessener Anspruch war, wurde für den Sohn zum unentrinnbaren Auftrag: das Königtum bestand.

Der König regte sich nicht; doch sagten die Ärzte, daß er noch lebe. So ging die Dämmerung hin. Nun steckten sie überall im Schloß wirklich die Leuchter an, in den Bedientenkammern, bei den Kammerherren vom Dienst, beim Oberhofmarschall. Die Lakaien richteten die Vorsäle im Flügel des Königs her; heute noch würden sie sich mit Trauernden füllen.

Unbewegten Gesichtes stand der Kronprinz zu Füßen des Sterbebettes, noch diese Stunde und die nächste. Dann zogen als erste die Ärzte sich zurück. Sie ließen den neuen König allein.

 

Die vom Geblüte und vom Hofe blickten immer wieder auf die goldene Tür. Die Frist der Vorbereitung war nicht kurz bemessen.

Schweigend trat der neue König aus dem Sterbezimmer. Er neigte nur den Kopf zum Gruß und schritt schnell an allen vorüber, dem Arbeitskabinett des verstorbenen Monarchen zu.

Langsam fanden sie wieder empor aus ihren stummen Verneigungen. Der Oberhofmarschall nahm an einem Schreibtisch im Vorzimmer Platz. Seine Herren reichten ihm die angeforderten Listen. Er hatte die Inhaber aller Würden und Ämter des Hofes zu melden, die nun der neuen Bestätigung bedurften. Ein Page eilte lautlos durch die Schar der Wartenden und sprach leise mit dem Hofmarschall. Der folgte ihm sofort.

König Friedrich Wilhelm nahm ihm die Listen ab. Er las sie mit Sorgfalt. Er legte die Blätter einzeln auf den Schreibtisch. Im Stehen tauchte er die Feder ein und zog, Seite um Seite, einen Strich durch die Würden und Namen. Die durchstrichenen Listen reichte er dem Hofmarschall zurück. Der war schweigend entlassen.

Draußen wandten sich ihm alle zu. Er blieb dicht vor der Schwelle stehen. Die Blätter zitterten in seinen Händen. Der Nächststehende nahm sie ihm ab, warf einen Blick darauf und meinte halblaut zu dem Kreis, der ihn umscharte: »Meine Herren – unser gnädigster König ist tot, und unser neuer Herr schickt uns alle zum Teufel!« Das war das erste laute Wort am Hofe der Trauer.

Von den Ministern sprach der König nur den Grafen Dohna. Ihm gab er einige Erklärungen ab. Alle bestehenden Hofämter seines Vaters seien aufgehoben. Er brauche nicht so vielerlei Bedienung. Jedoch solle keiner sich vom Hofe entfernen, bis die Beisetzung vorüber sei. Das Amt des Oberhofmarschalls übrigens werde um der Redlichkeit des derzeitigen Inhabers willen erst mit dessen Tode erlöschen.

Während er so sprach, überflog der König die Papiere, die ihm von den Geheimsekretären seines Vaters vorgelegt wurden. Meist waren sie ihm wertlos. Er zerriß die Seiten, zerknüllte die Bogen; Fetzen und Knäuel häuften sich um ihn.

Etwas übereifrig stellte Dohna ihm die Frage, ob nicht der Fürst von Anhalt-Dessau nach Berlin zu berufen wäre.

König Friedrich Wilhelm sagte: »Nein. Aber schreibt dem Fürsten von Anhalt-Dessau, daß ich der Finanzminister und der Feldmarschall des Königs von Preußen bin. Das wird den König von Preußen aufrecht erhalten.«

Es sollte also keine neuen Günstlinge geben, und Dohna begriff nicht mehr, wie man je an seinem Zögling hatte verzweifeln wollen, ihn unfürstlich hatte nennen können.

Aus den letzten Worten seines jungen Herrn schien ihm aber noch hervorzugehen, daß er nicht mehr gewillt war, die demütigende Einschränkung auf sich zu nehmen, die in seinem Titel lag: »König in Preußen.«

Auch in den Gemächern der Königin wurde fast nur von den erfolgten Entlassungen gesprochen, abgesehen von einigen herkömmlichen Redensarten über den hohen Verstorbenen und mancher mehr oder minder versteckten Huldigung an Preußens neue Herrscherin. Königin Sophie Dorothea saß ein wenig abseits im engsten Kreise ihrer Damen. Sie trug bereits große Trauer, war sehr gnädig und ernst, sprach aber ziemlich lebhaft. Sie wartete darauf, jeden Augenblick zum König gebeten zu werden. Sie hatte einen ihrer Herren zu ihm geschickt, wann ihre Kondolation wohl genehm sei. Doch kam der König selbst. Er war dem Kammerherrn der Gattin sofort gefolgt und hatte alle Schriften liegenlassen.

Die Königin ging der Majestät bis zur Mitte des Zimmers entgegen. Friedrich Wilhelm zog seine Frau an sich und schien bewegt. »Vielleicht wird niemand ehrlicher um meinen Vater trauern als du. Ihr habt euch ausgezeichnet verstanden. Du hast einen Freund verloren, der ungleich mehr für dich tat, als ich vielleicht je zu tun imstande sein werde.«

Die Königin kam nur dazu, Bruchstücke ihrer Anrede zu stammeln. Die sollte feierlich mit »Sire« beginnen. Aber nun hatten die Worte des Gatten alles durchkreuzt. Zudem bereitete er sie darauf vor, daß auch ihr eigener Hofstaat auf das Notwendigste beschränkt werden müsse.

Bereits am Spätnachmittag standen die Personalien der königlichen Hofhaltung fest: ein Hofmarschall; vier Generale, in Uniform, als Kammerherren; einige Kammerjunker zum Dienste der Königin. Die Königin schämte sich im Gedanken an die anderen Höfe.

 

Als man bemerkte, welche Anstalten für die Beisetzung Friedrichs I. getroffen wurden, schöpften Königin und Hof wieder Hoffnung. Der gesalbte Leichnam, in Goldbrokat gekleidet, war im Weißen Saal auf einem Paradebett von rotem, mit Perlen besticktem Samt acht Tage lang zur Schau gestellt. Neben dem Katafalk lagen die Zeichen der königlichen Würde. Die Marmorstatuen von zwölf Kurfürsten, welche den Weg zum Königtum bezeichneten, umstanden das Totenlager. Der ganze Saal war mit violettem Samt ausgeschlagen und verschwenderisch mit Kerzen erleuchtet. Der Sohn gab dem Vater Feste des Todes, wie der sie längst zuvor bestimmte. Nichts fehlte am Prunk und der Schönheit, die Preußens erster König sich zugemessen wähnte. Der neue König selbst erschien in strahlendem Trauermantel zu der Überführung in den Dom. Acht Pagen trugen ihm die Schleppe. Die Schweizergarde leuchtete in ihrem goldenen Schmuck. Die siebenhundert silbernen Trommeln dröhnten, die Trompeter schritten in weißen Federhüten einher. Man begriff nicht, daß der König eine alte Zeit abschloß und daß es eine Wiederkehr solchen Glanzes nie mehr geben würde.

Als der Trauergottesdienst im Dom begann, riß sich der König plötzlich von den Pagen, schlug den langen Mantel um sich, kehrte sich nicht an die entsetzten Blicke, verschwand in dem Gedränge und hockte sich in eine Kirchenbank hinter einen hohen Pfeiler, der das düstere Gewölbe eines halben Jahrtausends über sich trug. Niemand, so groß die Fülle der Menschen auch war, hatte diesen Platz begehrt, weil er den Ausblick auf das Schauspiel nicht freigab. Dort saß nun König Friedrich Wilhelm I. und sah vor sich hin; er hatte nur noch den Wink gegeben, zu beginnen. Sein hoher Podest am Katafalk blieb leer. Die Königin thronte allein bei dem Sarge. Die weiten Falten ihres schwarzen Samtgewandes hüllten neues Leben ein. Der junge König aber dachte an den Sohn, der in der Wiege lag, in der Würde, die eben noch er selbst getragen hatte: Der Kronprinz.

 

Kaum daß der Sarg in der Gruft versenkt war, zog der König seine Trauerkleider aus und legte die Uniform an. Als Oberst seines Regimentes stieg er zu Pferde und stellte sich an die Spitze der Garden, die sich, solange noch die Glocken läuteten, von dem Schloßplatz am Dom zwischen der Breiten- und der Brüderstraße zur Stechbahn bewegten. Er ließ eine dreifache Salve geben, und dreifach klang sie noch weiter bei der goldenen Wachtschar der Schweizer, bei den Grenadieren am Saume des Lustgartens und bei den Kanonen auf den Wällen. Des Königs schönes Pferd trug ihn mit Sicherheit und Anmut durch das Feuer und Gedröhn. Der König ritt in den Kampf seiner Herrschaft, ritt aus zur Eroberung des eigenen Landes, das ihm feind war, in der niedersten Würde, die sein König und Vater ihm ließ: ein Oberst. Er ließ den Hut des Kurfürsten und die Insignien des Reichserzkämmerers daheim und nahm nicht die Krone des Königs; sein Vater war schon vor der Krönung mit Krone und Zepter einhergeschritten.

Man fragte nach dem Beginn der Feierlichkeiten zur Thronbesteigung. Er erklärte, die für ein so großes Fest erforderlichen Summen für nützlichere Zwecke ersparen zu müssen, und sprach lediglich von der Regierungsübernahme, für die zweitausend Taler Unkosten vollauf genug seien. Die Königsberger Krönung seines Vaters hatte sechs Millionen Taler von dem Lande gefordert, und als Friedrich I. sich mit seinem Hofstaat auf die Reise zur Krönung begab, wurden nicht weniger als dreißigtausend Pferde für den Transport der Menschen, Koffer und Reiseeffekten benötigt.

Nur Generalität und Garnison zu Berlin, sechs Bataillone, mußten Friedrich Wilhelm I. am Tage der Beisetzung des Vaters den Treueid schwören. Die Kurmärkische Ritterschaft war zu kurzer Huldigung aufs Schloß befohlen; die Abordnungen der Städte sollten sich auf dem Domplatz versammeln. Die litauischen und clevischen Stände aber durften erst gelegentlich nachfolgen, je nach den Reisen des Königs in seine Provinzen. Denn solche Reisen hatte er vor.

 

Am nächsten Morgen waren zu der ungewöhnlich frühen Stunde von sieben Uhr die Minister zum König beordert. Man rechnete mit einem neuen Strich durch die Liste.

Der König sprach zum erstenmal in längerer Rede; man war auf Schimpfworte gefaßt gewesen und erwartete sein schnarrendes »Ordre parieren – nicht räsonieren«, das schon den alten König zur Verzweiflung brachte, wenn er es den Kronprinzen von den höchsten Räten sagen hörte.

»Nach den Umstellungen der letzten Jahre«, hob König Friedrich Wilhelm ruhig an und blickte jeden von ihnen, die im Halbkreis vor ihm standen, sinnend an, »haben Sie alle dem verstorbenen König, meinem Vater, wohl gedient; ich hoffe, daß Sie auch mir das gleiche tun werden. Ich bestätige jeden von Ihnen in seinem Amte und verspreche Ihnen, daß, wenn Sie mir treu sind, ich Ihnen gegenüber nicht nur als ein guter Herr, sondern als Bruder und Kamerad handeln werde. Es gibt aber einen Punkt, von dem ich Sie benachrichtigen muß: Sie sind an beständige Kabalen gegeneinander gewöhnt; ich will, daß sie unter meiner Regierung aufhören, und versichere Ihnen, daß ich jeden, der eine neue Intrige anfängt, auf eine Weise bestrafen werde, die Sie in Erstaunen setzen wird. Man muß dem Landesherrn mit Leib und Leben, mit Hab und Gut, mit Ehre und Gewissen dienen und alles daransetzen – außer der Seligkeit. Die ist für Gott. Aber alles andere muß mein sein.«

Er legte Dohna und Grumbkow Schwert und Krone, wie er sagte, in die Hände – doch keiner seiner Anhänger kam an die Leitung. Wenn einer hoch in Gunst zu stehen schien, war es Graf Dohna, der ständige Vermittler zwischen Vater und Sohn. Denn noch aus der letzten Zeit des alten Königs und seit dem Sturz der Dreifachen Wehs hieß er Der Tribun des Volkes.

Daß Dohna diesen Namen trug, war weithin Creutzens Werk, obwohl der noch niemals ein gutes Wort von einem großen Herrn gesprochen hatte. Aber seine Klugheit und Wachsamkeit waren jetzt reger denn je. Die Zurücksetzung, die er durch seinen hohen Protektor erfahren hatte, schien alle seine Sinne noch geschärft zu haben. Er machte Dohna groß. Er brachte dem Minister alle Unterlagen, die das Volk betrafen; er machte sich ihm unentbehrlich; und verhandelte der neue Minister mit dem jungen Fürsten, so geschah es nun ein um das andere Mal, daß der Schreiber Creutz hinzugerufen wurde.

So erlebte Creutz jetzt den Triumph, als einziger Geheimschreiber den neuen König auf sein Jagdschloß Wusterhausen, das Kastell der Knabenjahre, begleiten zu dürfen, als sich der Herr sofort nach jenem ersten Empfang des Ministeriums, nur in Begleitung eines Adjutanten, für vier Tage dorthin begab. In so knapper Frist gedachte er Etat und Regierungsplan zu vollenden, die er sechs Wochen hindurch heimlich vorbereitet hatte. Diesmal hätte Creutz keinen Geheimratstitel für sein niederes Amt eintauschen mögen, denn die Begleitung jedes anderen hatte der König mit der barschen Bemerkung abgelehnt, ob denn nicht bekannt sei, daß er von keinem draußen importuniert sein wolle. Und als man den König warnte, daß er sich aller Räte entblöße, hatte er nur geantwortet, seine neuen Rechenkünste halte er höher als alle seine Räte, weil er diese gar nicht nötig habe, wo ihm seine eigenen Schreibtafeln und Ziffern das Fazit in die Hand gäben; und unter menschlichen Handlungen sei dies die einzige, die nicht betrüge, noch betrügen lasse. Ein akkurater Rechenmeister tue ihm viel sicherere Dienste als alle Schreibmeister, wie er denn auch viel eher die letzteren als den ersteren missen wolle.

Auf dieses Wort vom Rechenmeister baute der arme Mann Creutz seine Zukunft. Noch in den durchwachten Nächten in der Giebelkammer mühte er sich, das Warten zu lernen. Manchmal erschien der junge Mann sich schon zu alt dazu vor zu viel Wissen um die Hoffnungslosigkeit.

Aber ausgeruht wie einer, der in florentinischem Prunkbett schlummerte, schrieb er vier Tage hindurch Etat und Regierungsplan nieder, die König Friedrich Wilhelm entwarf. Der Regierungsplan schien ein einziges Rechenexempel. Die Schulden waren endlich samt und sonders aufgerechnet. Danach gab es keinen anderen Weg, als von nun an jedes Jahr zweieinhalb Millionen Taler einzusparen. Mit dem Verbrauch von Siegellack, Papier und Tinte fing es an; dies war die erste Weisung: »Zu den Expeditionen, die im Lande bleiben oder an den Hof gehen, müssen keine feinen, sondern nur gemeine und graue Papiere gebraucht und also das in dem Kammeretat dazu ausgesetzte Quantum bestmöglich menagieret werden. Der Quark ist nicht das schöne Papier wert.«

Nahezu in allem sollte man sich künftig mit der Hälfte des bisher Üblichen begnügen. Der Etat des Hofes aber wurde auf den fünften Teil herabgesetzt. Alle hohen Gehälter wurden rund auf ein Drittel gekürzt, sollten nun aber auch wirklich ausgezahlt werden – wenn nicht jeden Monat, so doch schlimmstenfalls zum Quartal – und nicht mehr nur in abgetretenen Forderungen und Außenständen bestehen. Heraufgesetzt wurden dagegen die Gehälter der untersten Beamten. Dem Staatsrat wurde mitgeteilt, daß er aus Ersparnisgründen aufgelöst sei. Der König mied die harten Worte, die ihm in die Feder kamen. Zwei oder drei Namen dieser durchgestrichenen. Staatsratsliste erhielten den Vermerk: »Ist gut. Bleibt.«

Als König Friedrich Wilhelm sich von seinem Schreibtisch in der Fensternische des Hirschsaals erhob, hatte er für sein erstes Regierungsjahr eine halbe Million Taler eingespart. Allenthalben in den Reichen rings gehörte aller Staatsschatz, dem Herrscher. Der neue Herr in Preußen nahm alle Schulden auf sich und bewilligte sich nur ein kleines Gehalt.

 

In Berlin zitterte man, wie die Rechnung des Königs wohl aufgehen werde. Zwischen Erlaß und Durchführung war keine Zwischenspanne mehr gegeben, sich von dem Entsetzen zu erholen. Wer mehr borgte, als er bezahlen konnte, wurde als Dieb und Fälscher angesehen, seiner Ämter enthoben und für alle Zeiten unfähig erklärt, solche zu bekleiden. Wer sich boshaft benahm durch Üppigkeit, überflüssiges Bauen, übelgeführte Menage, Schädigung von Kaufleuten, ungedeckte Wechsel und dergleichen, sollte durch Pranger, Gefängnis, Festungsarbeit, Landesverweisung, Staupenschläge oder gar Tod durch Strang verurteilt werden.

Das Rangreglement all der Schuldenmacher, das am alten Hofe auf einhundertzweiundvierzig Stufen angewachsen war, verringerte der neue Herr um ein volles Hundert. Vor allem aber hatte er die höchsten Staatsbeamten und die Generale nun über die Hofmarschälle und Kammerherren gesetzt, als gedenke er eine neue Würde seines Hofes aufzurichten, soweit man dies übriggebliebene Gebilde noch Hof zu nennen bereit war.

Die Hoftrompeter und Hoboisten, die jeden Mittag das Schloß mit ihrer Festmusik erfüllten und den glänzenden Herren und Damen aufspielten zu dem schwelgerischen Mahl des alten Königs, waren zum letzten Male im Trauerzug des ersten Königs von Preußen und zum Leichenschmaus der Trauergäste erschienen. Von nun an sollten sie nur noch auf Kasernenhöfen zu dem Exerzitium der Soldaten blasen und die Becken schlagen. Der neue Herr behielt nur einen Hoftrompeter.

Die Schloßwache der hundert Schweizer, die bislang in Samt und Seide, reich mit Gold gestickt, einherstolzierte, war entlassen und wurde wie die prächtigsten Leibgardisten unter die Regimenter König Friedrich Wilhelms gesteckt. Die Schweizer warfen seinen Korporalen ihre weißen Federhüte vor die Füße. Aller Welt klang es wie Hohn in den Ohren, als der König erklärte, er jage niemand von sich; es stehe auch all den Kammerjunkern, Hofherren, Zeremonienmeistern, selbst den Hofpoeten frei, als Offiziere in die neue Armee einzutreten.

Eine königliche Tafel gab es nicht mehr für sie. Die Silbergedecke wanderten aus den Sälen in die Münze, damit Geld aus ihnen geprägt werde. Die kostbaren Weine des Schloßkellers gingen über die Grenze, über die sie kamen, und das für sie ausgeworfene Geld sollte wieder zurückkehren.

Über hundert edle Pferde aus dem Marstall, Karossen und Sänften in unermeßlicher Zahl wurden fremden Fürsten zum Verkauf angeboten. Dabei trafen gerade jetzt dreizehn spanische Hengste, eine Bestellung noch des alten Königs, von siebenhundert Meilen her ein.

Aus den Gärten entfernte man die Statuen. Die ausgeräumten Gebäude, Ställe, Gärten und Parks wurden verpachtet. Die Pächter drängten sich in den Toren, und in den Vorkammern des Schlosses warteten die Juweliere. Denn die diamantenen Agraffen und Schnallen, die Perlenkrone und die Juwelen hatten als letztes das Paradebett des königlichen Leichnams geziert. Alle überflüssigen Schmuckstücke, neu getaxt und registriert, wurden verkauft und die daraus gelösten Summen vom König zur Errichtung neuer Regimenter und zur Bezahlung der väterlichen Schulden verwendet. Es sprach sich herum, daß der neue König viele Juwelen des alten Königs geschmacklos gefaßt fand.

Die wilden Tiere und seltenen Vögel der königlichen Menagerie wurden an König Augustus nach Dresden verkauft, die antiken Statuen am sächsischen und russischen Hofe zu Golde gemacht. Der Fundus des väterlichen Opernhauses in der Breiten Straße gelangte zur Auflösung.

Die Staatsminister bekamen keine Schildwachen mehr vor ihre Häuser.

Der König brach mit der Gepflogenheit, daß nur Fürsten von Geblüt an der königlichen Tafel sitzen durften. Die Tafel der Gräfinnen hörte auf; der Maître de la garderobe verschwand.

Die Tafelbedienung hatten nicht mehr Edelleute, sondern nur noch Pagen und Lakaien; und selbst der Leibmundschenk war nun nicht einmal mehr wie vordem als Lakai, sondern nur wie ein Stall- und Reitknecht gekleidet, ohne Tresse und mit rotem Kragen.

Die Königin übersah geflissentlich die Verwandlung, die mit der Tafel vor sich gegangen war. Zinn war statt Silber gedeckt. Sie übersah auch die Aufmerksamkeit, die der König ihr erweisen ließ: ihr eigener Platz war mit allen edlen Geräten, wie sie einer Fürstin nur irgend zukommen können, bestellt. Von den hausväterlichen Tischreden des Königs, der plötzlich nur noch deutsche Hausgerichte auftragen ließ, fühlte sie sich unangenehm berührt.

»Sie entbehren«, hob er schon beim Vorgericht an, »heute zum Nachtisch die Früchte südlicher Zonen – in wenigen Monaten werden die gleichen Früchte in unseren Gärten reif sein, uns genau so gut munden und nicht den zwanzigsten Teil kosten.«

Der König war mitten in der Durchführung des Wusterhausener Reformplans. Jedes Ereignis des Tages war zu diesem Projekt in Beziehung gesetzt, selbst die Rast und Labsal der Mahlzeiten.

Noch ehe es dunkel wurde, hielt der Hausherr einen Rundgang durch sein Schloß, Schlüters machtvolles Werk, die Schöpfung eines Römers in der Mark Brandenburg. Friedrich Wilhelm gedachte nicht, die oberen Räume des verstorbenen Königs mit all ihrem Gold und Elfenbein zu beziehen, sondern richtete sich im Erdgeschoß ein, das wesentlich einfacher, wenn auch für seine Begriffe noch sehr prächtig, eingerichtet war.

Er durchschritt das ganze Viereck und seine vier Höfe, die ihm siebenhundert Säle und Staatsgemächer umschlossen; er scheute nicht die langen Säulentreppen und die schmalen Wendelstiegen. Bewußt ergriff er von allem Besitz. Er stand im Turmgemach des Grünen Hutes, hielt Umschau in der Gobelingalerie und im Alten Haus der Herzogin und war entsetzt von der Unordnung in den niedrigen, dunklen Domestiken- und Offiziantenbehausungen im Halbstock. Er sprach mit der königlichen Waschfrau und dem Bettzeugmeister, die ihre Wohnung zwischen zwei Portalen hatten. Die Weißzeugkammern aufzusuchen, war ihm nicht minder lohnend als einen Blick in den Pfeilersaal mit seinen ionischen Säulen und in das Speisezimmer der Marschallstafel zu tun, wo goldene Adler Tische und Kamine aus buntem Marmor trugen. Er freute sich am Spiegelglanz der Kassettenfußböden im Cour- und Konzertsaal. Die weiten Hallen ermüdeten ihn nicht; er stand in den für fremde Fürstlichkeiten hergerichteten Appartements im Hause des Großen Kurfürsten, die von Ebenholz und Schildpatt strahlten, und sah aus den Bogenfenstern der Galerie auf den düsteren Hof und die Ufer der Spree. Tief und wie beschattet von den Wolken, stießen die Möwen über dem Fluß am Schlosse regellos stromauf, stromab. Bibliothek und Manuskriptenkammern wurden nicht übergangen; in den fast geleerten Silberkammern dachte er über die Möglichkeiten ihrer neuen Verwendung nach. Hinter dem Komödiensaal öffneten sich ihm wieder unversehens Türen in weite, in allen schweren Farben leuchtende Zimmerfluchten, mit denen nachtschwarze, schmale Alkoven wechselten; die Unzahl der Treppen führte in die Irre, die Fülle der Türen verwirrte – König Friedrich Wilhelm stand erschöpft. Doch hatte er sein Schloß durchwandert.

Es war nicht sein Haus, war eine Wirrnis, zerrissen von zu vielen Willen, war steingewordene Flüchtigkeit der Leidenschaften und Launen und Spielball im Kampfe seiner Erbauer. Eine Stadt war es mit vielen Häusern und Wohnungen. Verfall war es und Übermaß der Pracht in einem, Schutt alter Zeit und Unvollendetes, Friedlosigkeit in der Unruhe fürstlicher Wünsche – zuviel Glanz, zuviel Unrat, zuviel Fremdheit! Ein Geist der Antike hatte einem armen Herrschergeschlechte einen Cäsarenbau, im Norden den größten aller römischen Paläste zu schaffen getrachtet. Die Kraft des ersten »Königs in Preußen« versagte davor. Der zweite König mußte einen Abschluß schaffen, dort, wovon Spinnenweben verhängte Gerüste noch auf den Fortgang des Baues harrten. Das Schloß sollte bewohnbar und verwertbar werden und namentlich menschenwürdige Dienerkammern neben dem Übermaß der Säle erhalten; ganze Zimmerfluchten standen noch unmöbliert.

So endete alle Umschau nur im Rechnen. Creutz zählte dem Herrn im Baubuch Spalte um Spalte auf. Die Berechnung der letzten sieben Jahre lagen dem König und dem Schreiber vor; Monat für Monat hatte das Land sechstausend Taler zum Schloßbau gegeben. Dreihunderttausend Taler waren an Spiegelwände und Brokattapeten, an Marmorportale und Schnitzereien von kostbarstem Zierholz vergeudet. Die Scharlatane und Verschwender waren über das Werk eines Gewaltigen gekommen. Schlüter, der große Römer des Nordens, war an der Weite seiner Ahnungen gescheitert; er war gestürzt, weil er das Gewimmel der Winzigen um sich an König Friedrichs Hof zurückzudrängen suchte; am Hofe König Midas' siegten die Winzigen. Die Launen eines Eosander triumphierten, des Königinnenschützlings, des Mannes von Geschick, der sich in Spielereien und Spiegelfechtereien gefiel. Der Dekorateur der Königsberger Krönung hatte weiterbauen dürfen, was Schlüter begann. Und solch kostbare Kraft wie einen Eosander legte der junge Barbar, der nun in König Midas' Reich regierte, brach!

»Im allgemeinen«, erklärte der König, »handelt es sich bei diesen Herren, die uns nun verlassen wollen, um Ausländer, die den Erfordernissen meines armen Landes fremd bleiben müssen. Wenn Künstler und Tapetenmacher« – und dieser Zusatz klang verächtlich – »weggehen, sie mögen nur hinziehen. Es wird sie eher gereuen als mich.«

Ehe er dahinzog, mußte aber der Chevalier Eosander noch auf eigene Kosten das Trauerportal abbrechen lassen, das er eigenmächtig zu König Friedrichs Beisetzung aufgeführt hatte.

 

Jeder Morgen sah den König jetzt auf einem anderen seiner umliegenden Schlösser, auf dem vasengeschmückten Oranienburg und dem trophäenreichen Friedrichsfelde, auf Schönhausen, Ruhleben, Charlottenburg. Ach, daß der Sand der Mark nichts tragen sollte als Arkaden, Säulen und Kapitale fremder Zonen und vergangener Zeiten, als die wunderlichen und steifen Figuren der Taxushecken ferner Gefilde! Ach, daß die weiten Buchen mit glatten, harten Kugeln sich schmücken mußten, statt ihrer schattenden Kronen! Ach, daß mit blauen Seidentapeten, durchwirkt von goldenen Drachen, die Armut der Schloßherrschaft verhüllt sein sollte! Siebentausend Zentner Silber wurden auch aus diesen Schlössern nach Berlin geschafft als kleiner Beitrag zu der Schuldendeckung. Der Herr sprach sein Nein über seine Schlösser und Gärten.

Nur in Charlottenburg verweilte er. Zögernd stand er an dem goldenen Tor zum Schloß seiner Mutter. Wie eine eigene, weite Landschaft und ein besonderes Reich breiteten sich die Königinnengärten jenseits der kleinen Hügelwellen zwischen dem Lietzensee und der Spree. An jener Böschung des Ufers hatte er die Mutter und ihre Damen bei dem Gartenfest mit seiner Knabenkompanie, verkleidet als Türken, überfallen und zu Schiffe auf der Spree in sein Lager entführt, in bunte und gastliche Zelte, in denen die Knaben die Damen bewirteten. In den Nischen der bilderbedeckten Säle und Konzertzimmer blätterte er in den Büchern der Mutter. Dann und wann fand er an dem Rande mancher Seite ein Datum und Wort, die ihn selbst betrafen, und von den Wänden lächelte er sich überall selber entgegen, bald im Harnisch, bald im Hirtenmantel auf Befehl der Mutter gemalt. Er blieb lange vor der Schatzkammer ihrer Notenschränke, schlug die Partituren auf, summte einige Takte; da war nichts Tänzelndes und nichts Gespreiztes, nur Festlichkeit und süßer Klang und manchmal auch ein frommes Rauschen, manchmal auch der Schlag eines Herzens. Der König nahm die Schlüssel zu den Notenschränken an sich. Es hatte wohl in seiner Knabenzeit nicht zu Unrecht von ihm geheißen, daß er im Flötenspiel so sehr weit fortgeschritten sei; und es traf ihn tief, wenn man ihm seine Flöte nahm. Freilich wollte er auf ihr blasen, was ihm einfiel.

Der König sprach sein Ja über das Schloß und den Garten der Mutter, in den er auch die raren Gewächse all der anderen Lustgärten bringen ließ, die der Auflösung bestimmt waren. Und hier vergaß er es zum erstenmal, darüber zu richten, daß das Schloß mit den drei mächtigen Flügeln und seiner weiten Cour de la reine zu reich angelegt war für den Landsitz der ärmsten deutschen Fürstin und daß es von Eosanders maßlosem Turmbau zu üppig gekrönt war für die Wandelhalle einer philosophierenden Königin, die sehr unphilosophisch Wünsche für Wirklichkeit nahm.

 

Alle sollten sie begreifen, was der neue Herr sich vorgenommen hatte. Die Menschen, die sich nicht Gedanken machen wollten, brauchten grelle Bilder. Sie mußten erfassen, daß das Alte vergangen und alles neu im Werden war und anders wurde; daß der Zauber verflog und nur ein Wunder das Unglücksland zu retten vermochte. Weil er das Wachsende liebte, sollten die starren Bosketts und Rondelle, all die müßigen Irrgärten vergehen, die Wasserkünste der Fontänen versiegen, die Mosaike und Arabesken der Alleen zertreten sein.

Blitzende Silberscheren und farbige Baste genügten nicht mehr, und die zierlichen, geputzten Herrlein aus Paris, die einen Park nur stutzten und frisierten, waren dieses Frühjahr überflüssig. Männer mit Seilen und Sägen hielten frühe Ernte in den Gärten, die noch niemals Frucht getragen hatten. Die mit Fabeltieren und Blumengöttern ausgemalten Gartenwagen fuhren nicht mehr von Brunnenspiel zu Grotte, von Terrasse zu Pavillon. Große, schwere Walzen preßten die Erde ein, der man alles entrissen hatte, was Farbe war, Zierat und Duft. Die Parketts, Zeugnisse hoher Gärtnerkunst, sah man der fremden Blumen beraubt und von breiten Aufschüttungen märkischen Sandes überdeckt. Die Vögel fanden in den Laubengängen keine Stätte mehr, und entsetzt flatterten sie auf aus all der Leere und Kahlheit.

Was sollte nun noch das Ballhaus zwischen geköpften Lorbeerbäumen und vernieteten Fontänen? Der König forderte die Schlüssel ein. Die Brunnen sprangen nicht mehr. Immer schwächer, matter, welker war ihr Strahl und ihr Rauschen geworden. Düster stand der Herr dabei, als die letzten Tropfen ins geleerte Becken fielen. Das kleine Haus, darin das Triebwerk stand, wurde zum Pulvermagazin bestimmt.

Plötzlich war der König voller Leben. Die Kraft, die alle Wasserkünste spielen ließ, durfte er nicht vergeuden. Unermeßliche Summen waren an all die spielerischen Erfindungen verschwendet. König Friedrich Wilhelm ließ die Gärtner stehen. Baumeister und Ingenieure wurden geholt. Der König selber nahm den Zollstock zur Hand – der König, der den Marschallstab nicht führen und durchaus ein Oberst bleiben wollte, weil keiner da war, ihn zu erhöhen, außer ihm selbst.

Wo die Wasserbehälter lägen, die das Röhrennetz der Wasserspiele speisten, fragte er eifrig. Sie zeigten sie dem Herrn am Wehr der Werderschen Mühle. Er ließ die Schritte zählen von der Mühle bis zum Lustgarten, vom Lustgarten zum Schloß, vom Portal zur Empore, vom Erdgeschoß bis zum Dach. Dann entwickelte er seinen Plan. Es sollte sauber werden im Schloß. Der König lachte. Was galten Wasserspiele! Wasser war da zur Reinlichkeit! Die aber fehlte.

Wasser ist Fruchtbarkeit, dachte er einen Augenblick, und es schnitt ihm ins Herz, daß er die Blumen ausrotten, die Bäume fällen, die Hecken zerreißen lassen mußte, statt sie wachsen und grünen zu lassen, von immer rinnendem Wasser beregnet.

Er hielt sofort Konsilium mit den Ingenieuren. Er selber wies die Möglichkeiten; das Wehr an der Werderschen Mühle habe jene Wasserstärke, der Springstrahl der Fontänen diese Höhe. Wenn man ihn nun in dünnen Röhren in den Mauern des Schlosses aufquellen ließ? Eine Wasserleitung tat not! Er beschrieb sofort die Zeichnung, nannte Maße, Zahlen, erwog die Kostenanschläge. Zwei oder drei der Herren Baumeister und Ingenieure verstanden, einige verbargen das Lachen. Der König wollte große, steinerne Becken mit gutem Abfluß für das tägliche Morgenbad. In jedem Stockwerk verlangte er Hähne für die Wasserleitung. Die Waschbecken schienen ihm am meisten zu eilen. Einer unter all den Zögernden sagte: »Ich würde es wagen.« Der Herr erbat den Namen, warf einen Blick auf den Mann. Nun war er fest im Gedächtnis des Königs.

 

Während der lärmenden und schmutzigen Bauarbeiten in dem Großen Residenzschloß entschloß sich die Königin, ihr Lustschloß Monbijou zu beziehen. Ihre beiden Kinder nahm sie mit sich. Die einstigen Gemächer der verbannten Gräfin Wartenberg wurden eiligst für die Bedürfnisse der Königin hergerichtet; wiederholt ließ König Friedrich Wilhelm anfragen, was etwa noch fehle. Doch war alles reichlich vorhanden. Die Königin hatte endlich ihren eigenen, wenn auch kleinen Hof und war deshalb in bester Laune. Das Schloß, ein Bau zu ebener Erde, ein Eosanderscher Lusthof nach italienischer Art mit französischem Garten, schien der Königin reich und schön und für die Repräsentation einer großen Dame wie geschaffen, weil auf die Gesellschaftsräume unendliche Sorgfalt verwendet worden war. Für Personal und Gäste waren reichlich Nebenflügel vorhanden. Die Galerie mit ihren Arkaden und den wie Bambusstäbe zarten Säulen und die kleinen Säle der Hauptfront lagen fast den ganzen Tag in der Sonne, und nahe an dem Gartensaal, vor der steinernen Terrasse, floß die Spree unter breiten Akazien vorüber. Der König freilich teilte nur wenig das Entzücken seiner Gattin darüber, daß der Chevalier Eosander die Schauseite so hatte anmalen lassen, daß sie den Marmor des Mittelmeeres mit dem Lack von China zu verbinden schien, und daß er über eine erdrückende Balustrade mit Vasen und Genien noch eine schelmische Pagode setzte.

Alle Deckengemälde des kleinen Palastes trugen den Namenszug der neuen Königin. Wenn möglich, wirkten sie plastisch, wie beinahe die ganze glatte Architektur von Monbijou perspektivisch bemalt war – eine dem König von Herzen verhaßte Wirkung, welche die Epoche aber grenzenlos bewunderte. In all und jedem zeigte sich eben der König im Widerspruch und Unrecht. Er trübte aber nicht die Freude der jungen Königin an ihrem Gartenschlößchen à la mode, zumal es ein Geschenk seines Vaters an sie gewesen war.

Dabei, und das war ihr willkommen, verhielt es sich gar nicht so, als habe sich die Königin auf einen stillen Sommersitz zurückgezogen. In ihren Empfangsräumen und Gesellschaftszimmern herrschte vielmehr ein ungleich regeres Leben als drüben in dem großen Schloß, von dem Monbijou nur durch den der Vernichtung preisgegebenen Lustgarten getrennt war. Bald fuhr eine Equipage an der Seitenauffahrt von Monbijou vor, bald trug man eine Sänfte bis an die hohe Glastür der Galerie; die Königin hatte zu begrüßen, Konversation zu machen und war glückselig. Sie wollte sich nicht eingestehen, welch armen Landes Königin sie geworden war. Sie spürte es deutlich, wie die Kreise des alten Hofes nur darauf gewartet hatten, daß sie eigenen Hof hielt. Wer Glanz und Weite suchte, würde sich hier um sie scharen! Man bemühte sich, Zutritt bei ihr zu erlangen; man warb um ihre Gunst, um ihr allerlei Anliegen vorzutragen, für die beim König kein Gehör zu finden war. Wenn es nur noch ein anderes Thema gegeben hätte als die engstirnigen, kleinlichen Maßnahmen des Gatten!

Bestieg ein junger König sonst den Thron seines Vaters, so geschah es, daß selbst weither vom Morgenland die Kaufherren kamen mit reich beladenen Karawanen, die bunte, kostbare, golddurchwirkte Tücher mit sich führten, seltene Gewebe, hauchzarte Spitzen und üppige Pelze und Federn, um königliche Ware auszubreiten vor dem neuen Herrn.

Zum neuen König von Preußen hatte ein einziger, schlecht unterrichteter Händler sich verirrt; der bot ihm zwei Löwen und einen Mohren an. Der König empfahl ihm als Käufer für die Löwen den Kurfürsten August von Sachsen, der ihm selbst bereits die väterliche Menagerie abgenommen hatte. Den Mohren behielt er, weil er fand, er gebe einen herrlichen Krieger.

So hatten denn bei dem zweiten König von Preußen statt der fremdländischen Händler nur einfache märkische Wirker und Tuchmacher täglichen Zutritt, und er hielt Rat mit ihnen, als wären sie Ministern oder Kammerherren ebenbürtig. Ein Verbot für die Einfuhr fremder Tuche und für die Ausfuhr einheimischer Wolle war schon ausgesprochen; und um die Mode der Hofkreise zu verhöhnen, trugen die Profosse, die Henker der Regimenter, die prunkende Pracht französisch gekleideter Kavaliere. Frauen, die sich in fremdländischen Kattunkleidern sehen ließen, hatte der König auf offener Straße die Kleider vom Leibe reißen lassen. Die Untertanen sollten nur noch preußische Wolle tragen. Den königlichen Beamten und Lehnsleuten war befohlen, kein anderes als rotes und blaues, im Lande angefertigtes Tuch und lediglich inländische Zeuge, Strümpfe und Hüte für sich und ihre Dienerschaft zu verbrauchen. Die alte Markgräfliche Hofburg in Berlin war bereits in ein Lagerhaus für inländische Stoffe verwandelt. Der König prüfte die Proben des elenden Machwerks, als böte man ihm Kaschmir und Scharlach dar. Der König fragte und trieb die zögernden Antworten ein. Wie läßt die Leinenweberei sich beleben? In welcher Frist kann man Ersatz beschaffen für die auswärtigen Kattune und Baumwollstoffe? Auf welchen Gebieten der Stoffabrikation fehlt es an Facharbeitern? Soll man nicht Werkmeister aus Holland für die Tuch- und Gewebeindustrie als Lehrmeister holen? Muß man nicht Wollkämmer, Tuchscherer, Walker, Presser, Seidensortierer, Wicklerinnen, Blattmacher, Mouliniers, Musterleserinnen, Färber, Appreteure, Webstuhlschlosser, Stuhlaufsetzer aus Lyon, Turin, der Schweiz herrufen? Wie steht es um Berliner Ellen und Archinen, ums Zwirnen und Haspeln und Zupfen, die besten Binsen zum Wollrade, das feinste Baumöl für die Walkmühle?

Nun wieder fragten die anderen, und oft taten sie es töricht; namentlich schienen aber alle ihre Erkundigungen, die offenen und die versteckten, dahin zu zielen, wer denn nun eigentlich der große Kunde all der neuen Manufakturen sei. Der König überstürzte sich in Antworten, Bescheiden, Erklärungen; sein Gesicht war ganz hell.

»Der König von Preußen wird mein Abnehmer für die Tuche sein. Der König von Preußen vergrößert sein Heer. Alle Bedürfnisse der neuen Armee sollen durch inländische Arbeit aus inländischen Stoffen preußischer Tuchmachereien gedeckt werden. Bisher hat lediglich der Aufwand des Hofes, und zwar allein in der Residenz, dem Verkehr und Gewerbe Nahrung gegeben. Fortan soll die Armee dem ganzen Lande den gleichen Dienst in gesünderer Weise leisten. Damit aber nie mehr hergestellt wird, als verbraucht werden kann, ist die gesamte Tuch- und Wollindustrie von nun an unter strenge Kontrolle gestellt – auch darum, daß keiner sich zu Unrecht bereichere.

Noch kann man eure Waren im Ausland billiger und besser haben. Aber wir werden alles tun, das Ausland zu überflügeln. Nur dieser Weg führt euch aus der Armut. Der geldraubende Import aus Frankreich, England und Holland muß ein Ende finden. Wurde nicht bisher aus unserem Land Wolle für ein Schleudergeld exportiert und, modisch verarbeitet, zu Wucherpreisen an uns zurückverkauft? Welcher Wahnsinn! Wollt ihr nicht an der selbständigen Verarbeitung zu wohlhabenden Handwerkern werden? Traut ihr euch nicht mit mir zu, selber gutes Soldatentuch und Landtuch zu weben, der Schwierigkeiten mit der grünen und der roten Farbe Herr zu werden, Spanisches und Londoner Tuch zu fabrizieren, Kirsey, Perpetuel und frisierten Molton, radrillierten Brillanttaft, Drap des Dames und Quinette – alles, was die Damen zur Seligkeit brauchen? Es gilt nur, noch einmal in die Lehre zu gehen! Es gilt nur vor allem für mich, das große Schafsterben für euch zu bekämpfen!«

Hätte nicht der Herr vor ihnen gestanden, manche hätten sich den Kopf gekratzt. Bis dahin hießen ihre Tücher Weinelaken, so viele Tränen der Not waren in ihr Gewebe gefallen. Der König raste noch mit der Feder: »Haben sie den Tuchhandel verdorben, so hole der Deuffel die kovmannschaft« und griff nun dieses eine Gewerbe heraus, um an ihm zu erlernen, wie er in allen anderen sachkundig und leistungsfähig werden könne. Auf diesem einen Gebiete machte er ein Experiment für alle übrigen. Es war an der Zeit. Die Industrie in ganz Deutschland war tief herabgekommen; in der Mark Brandenburg war der Verfall am traurigsten.

»Ein Land ohne Manufaktur ist ein menschlicher Körper ohne Leben, also ein totes Land, das beständig pauvre und elend ist und nicht zum Flor gelangen kann«, beharrte der von allen angezweifelte König auf seiner Meinung, »Manufakturen im Lande sind ein rechtes Bergwerk aller Schätze«. Und er gründete auf eigene Kosten die erste Feinspinnerei für spanische Wolle in Berlin. Auf diese Weise, hieß es, vertat er das Geld, das er den anderen wegnahm.

 

Allgemein prophezeite man, die preußischen Zustände würden sich nur noch dieses Jahr und allenfalls das nächste halten lassen. Es könnte nicht so weitergehen; der Sturm würde, je heftiger er rase, desto eher ausgetobt haben. Am wenigsten glaubte man und sprach es höchst leichtfertig aus, daß in so wüstem Hin- und Herfahren irgendein Plan und Zusammenhang wäre; der junge Herr würde bald genug festsitzen. Aber da niemand den nächsten Schlag vorher wisse, sei es unmöglich, ihn zu parieren.

Die europäische Fama nannte den König einen guten Doktor, der durch seine dauernden Kürzungen die Leute von der Üppigkeit kuriere. Der König, als eine Gräfin es ihm vorlas, bemerkte, es sei ihm lieb, daß er ein so trefflicher Doktor würde. Er wolle bemüht sein, noch bessere Kuren auszuüben.

Gerade die, denen er Wohlstand verhieß, die Handwerker, wurden zu sieben- oder gar achttausend vorstellig, sie könnten statt fünf bis acht Gesellen nur noch einen oder zwei beschäftigen, wenn das vornehme Berlin derart zu verarmen drohe. Der König ließ sofort Ermittlungen anstellen.

Das Gesinde aufgelöster Haushalte der alten Hofkreise saß herrenlos in Schenken umher. Der König mußte die Leute ins Spinnhaus, in seine neuen Fabriken oder die Kasernen bringen lassen. Die Gesindeordnung schreckte Dienstboten und Herrschaften; eine höchste und tiefste Lohnstufe war festgesetzt, Zeugnisse von Geistlichen und bestimmte Kündigungstermine wurden gefordert, Prämien für langjährige Dienste erwogen.

Die Kaufleute der Refugißes schlossen ihre Läden und verkauften ihre Waren stückweise und freihändig, ohne sie noch zu ergänzen. Vierzig französische Handwerkerfamilien machten sich heimlich davon.

Ein großer, vierzehn Tage währender Markt wurde kaum beschickt.

Die Einwohnerzahl Berlins verringerte sich zusehends. Nicht nur die Maler, Architekten und Bildhauer verließen die Residenz.

Einer der Hofnarren des alten Hofes erhängte sich auf dem Heuboden des Marstalls. Gerade die armen Narren und Zwerge aber, die bei seinem Vater in Gold- und Silberstoff gekleidet einherstolzierten, hatte König Friedrich Wilhelm nicht entlassen, bis auf den Zwerg aus Kurland, der jährlich für sechstausend Taler Wachslichte stahl. Auch schickte er des Königs Midas Mohren aus dem Morgenlande nicht hinaus in die Fremde nördlicher Länder.

Präsidenten und Geheimräte, deren sich das alte Regime durch Festungshaft entledigt hatte, wurden jetzt, wie es ausdrücklich hieß, wegen ihrer bekannten Fähigkeit, Treue und Redlichkeit aus dem Gefängnis auf hohe Posten gestellt. Kühnen Bewerbern gab der König kleine Chargen, vor allem aber zunächst einmal die Gelegenheit, das Metier zu lernen.

Der gerechten Verteilung der Geldmittel wegen wurde der Etat der Akademie der Künste auf zweihundert Taler herabgesetzt. Allerdings hatte der König nun auch für die herrschende Richtung kein sonderliches Wohlwollen. Er liebte nicht Maler, die zugleich Ballettänzer und Hoftanzmeister waren. Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften sahen sich eben um jener gerechten Verteilung der Geldmittel willen in der Verlegenheit, ihre Ämter niederzulegen, den Aufenthalt künftig in fremden Staaten zu suchen oder, was am häufigsten geschah, von nun an zurückgezogen und unbekannt zu leben. Die mit so großer wissenschaftlicher Spannung erwartete Begegnung des Jupiter mit dem Saturn sollte angeblich schuld daran sein. Der König hatte nur zu gut verstanden, warum die müßiggängerischen Sterngucker gar so viel Aufhebens machten von der erwarteten Opposition des Jupiter und Saturn! Er verstand es ohne astronomische und astrologische Kommentare, wer mit Jupiter, dem guten und gerechten, und Saturn, dem tückischen und unheilbringenden, gemeint war. Die Räume des Observatoriums wurden durch Anschlag zum Vermieten ausgeboten.

Die Brüder des verstorbenen Königs, die Herren Markgrafen, sah man nur noch als ein Häuflein ängstlicher, verschüchterter und verschuldeter alter Männlein.

Des Lamentierens und des Klagens war kein Ende. Selbst jene, die den Abschied begehrten, jammerten; sie wollten Dienst in Nachbarländern suchen. Aber manchen gab der Herr nicht frei, weil jener vielleicht ein Archiv und dieser einen Landesbezirk mit einiger Gründlichkeit kannte. Andere wieder sollten ihr Geld im Lande verzehren, weil man es ja auch hier erworben habe. So ging, dies schrieben die Gazetten, ein jeder sehr piano. Der ist ärger als Karl XII. von Schweden und Zar Peter, stöhnten viele.

Am Osterfest predigte der Hofprediger Henrich, es würden sich wohl wenige unter seinen Zuhörern an diesem Feste zu erfreuen haben, weil den meisten das Brot genommen wäre. Selbst der Fortbestand der Gotteshäuser wäre ungewiß, und wer könnte wissen, ob nicht sogar der Dom noch zu einem anderen, gewinnbringenderen Gebäude würde verwendet werden. Predigttexte wurden versehentlich und zufällig verwechselt, so in einer Predigt, die mit der Klage über den Tod des guten, alten Königs begann, Daniel 2, Vers 20 und 21 – was als leicht möglich galt – mit den entsprechenden Versen in Daniel 11; und dort hieß es: »An seiner Statt wird ein Ungeachteter aufkommen, welchem die Ehre des Königreichs nicht zugedacht war; der wird einen Schergen sein herrliches Reich durchziehen lassen; aber nach wenig Tagen wird er zerbrochen werden.« Auch die Verse untereinander waren also noch ein wenig verwechselt, was ebenfalls leicht möglich sein sollte. Dennoch mußte der Pastor für sechs Monate nach der Feste Spandau gehen, in größerer Ruhe den Text für seine nächste Predigt auswählen zu können.

An dem dritten Feiertagsmorgen – den Beamten war verboten, den dritten Tag der hohen Feste und die sogenannten Bummelfeste noch zu begehen – hingen Schilder aus den Fenstern des Schlosses: »Dieses Schloß ist zu vermieten und diese Residenz Berlin zu verkaufen.«

Die Zeitungen berichteten es und fanden ungeheuren Absatz. Der König verbot die Journale; er liebe theoretische und kritische Auseinandersetzungen nicht.

Daß er in aller Munde Der Plusmacher hieß, vermochte er nicht zu verhindern. Da half ihm keines seiner neuen Gebote, von denen er gesagt hatte: »Edikte müssen Edikte bleiben, ohne alles und ferneres Räsonieren. Dieses ist die Meinung.«

 

Die Gesandten der fremden Staaten waren sich in einem ungewöhnlichen Maße einig. Sämtlich fanden sie, daß ihre schwierigen Missionen außerordentlich erleichtert würden, wenn dieser eigenartige und heftige junge Herr sich derart in Bagatellen verzettele und seinem Feuereifer mit Lappalien genüge. Der junge Herr schien die Bedeutung der diplomatischen Vertretung unter den Ländern nicht zu erkennen. Die auswärtigen Gesandtschaften wurden eingeschränkt, die Residentenposten in den kleinen Ländern völlig eingezogen. Für den Plusmacher schien es nur den einen Gesichtspunkt der Sparsamkeit zu geben. Die fremden Herren wollten erfahren, ob dem auch ganz gewiß so wäre; und so wurden sämtliche Minister und Geheimräte, die im Amt belassen worden waren, allabendlich in einen der Gesandtschaftspaläste eingeladen. Auch waren beruhigenderweise gerade in dem Departement der auswärtigen Affären die wenigsten Veränderungen vorgenommen worden, als begnüge sich der junge König, er, der Neuerer, damit, daß er hier bereits drei seiner Anhänger aus seiner Kronprinzenzeit walten wußte. Wahrscheinlich aber war, daß er keinerlei Erschütterungen in Preußens Beziehungen zu dem Auslande wünschte und also eine tiefe Einsicht in die Ohnmacht seines Landes zeigte.

Dem widersprach, daß er plötzlich den Befehl ausgab, die Minister dürften nur noch auf bestimmte Weisung mit den fremden Gesandten verhandeln; und den Geheimräten war mit einem Schlage nicht einmal mehr erlaubt, sich selbst auf Assemblees mit den Gesandten überhaupt auch nur in vertrauliche Gespräche einzulassen.

Überdies erhielt man Kenntnis davon, daß der neue Herr alle Militär- und Regierungsschreiben eigenhändig aufbrach. Er wollte es lernen, diplomatische Schriftsätze zu lesen und Diplomatenreden anzuhören. Er haßte beide; er wollte, er wäre dieser Teufelsgeschichten frei, weil sie ihn von den Dingen abzögen, die ihm nützlicher seien, gestand er. Aber er begann, die Teufelsgeschichten wohl zu verstehen. Niemand wußte es ganz, wie eingehend er sich mit den auswärtigen Affären befaßte, wie selbständig in seinen Entschlüssen er vorging, auch wenn er sich immer wieder sehr sorgsam mit seinen Ministern beriet und namentlich den alten Ilgen hörte, der nun schon dem dritten Brandenburger diente; Ilgen, der zu einer so vollkommenen Kenntnis aller Beziehungen und Interessen des Staates und der Dynastie gelangte, daß er in ihnen zu Hause war wie in seinem Eigentum.

Die eigenen und die fremden Minister aber lasen mit Befremden die Bedingungen, die der König für alle mit ihm zu führenden Verhandlungen stellte; er wollte deutsch von deutschen Dingen reden: »Ich bin ein Deutscher. Ergo will ich meine Sprache schreiben wie der Zar die seine.« Immerhin verhieß er, daß in seine deutschen Briefe, sein Entgegenkommen zu beweisen, noch ein lateinischer eingeschlossen sein werde, »von Deutsch in Lateins übersetzet«.

Die Herren Gesandten von Österreich, den Generalstaaten der Niederlande und von Großbritannien gedachten den Unerfahrenen, als den er sich selbst ausgab, mit ihren neu erhaltenen Instruktionen zu überschütten. Wie diese aber auch umschrieben waren: sie wollten nur den Krieg gegen Frankreich.

Der große Alte von Frankreich, der greise Sonnenkönig, schien müde geworden nach zweiundsiebzig Jahren seines Königtumes.

Der junge Kaiser wollte vor dem alten König Spaniens Thron für die eigene Hausmacht behaupten, zum mindesten für Habsburg spanische Provinzen retten. Der Krieg durfte noch immer nicht enden.

Der junge Kaiser trat den Kurfürsten des Reiches hochfahrend entgegen in dem Glanz des uralten Stammes und seines Anspruches. Der Kurfürst von Brandenburg ließ sich nicht durch große Versprechungen und kleine Belohnungen verlocken. Mit Worten, aus denen der herrische Befehl der Jahrhunderte widerklang, verlangte der junge Kaiser vom jungen Kurfürsten von Brandenburg Entscheidung zum Gehorsam. Der junge Herr im armen Lande gab ihm eine harte Antwort. Er sah das Reich vergessen; er sah die Notwendigkeit nicht, daß der müde, junge Kaiser der Herr sein müsse einer sehr weiten und sehr kranken Welt, die er nicht mehr zu behaupten vermochte. Er sah Notwendigkeiten, die ihn härter bedrängten. Der junge Habsburger hielt seinen müden Blick gebannt aufs Alte. Der junge Hohenzoller hob den schweren, hellen Blick zum Neuen. Er hatte in alten Registern die Namen verschollener Ortschaften gefunden, von denen ihm Vater, Räte und Minister niemals sprachen. Noch war der Dreißigjährige Krieg in seinem Lande nicht verwunden – der Spanische und der Nordische Krieg aber drohten sich bis zu einem Menschenalter hinzuziehen, ach, vielleicht noch alle seine Königszeit zu überschatten!

Das Cito! Cito!, das der König unter alle seine neuen Edikte noch vor den Namenszug setzte, brannte ihm im Herzen. Der Krieg mußte ein Ende finden, der Krieg, in dem er die Fürsten gegen ihre Völker streiten, sie vernichten sah. Er aber hatte noch sein eigenes Land zu erobern. Er nahm den Kampf mit Brandenburg-Preußen und Europa zur gleichen Zeit auf.

Der Kaiser bat, versprach, drohte, bereitete Schwierigkeiten, schuf Hindernisse, stellte den Kurfürsten von Brandenburg bloß und schmeichelte dem König in Preußen oder umgekehrt, verwirrte angestrebte Klärungen und suchte ihn mit allen Mitteln in den Krieg zu reißen.

Der neue Herr in Preußen, der Erbe der alten Mark Brandenburg, blieb fest, und sollte er darüber alles verlieren. Als König von Preußen sei er im Frieden mit Frankreich; als Stand des Reiches werde er sich seinen Pflichten nicht entziehen. Mit dem Zorn des Kaisers müsse er es darauf ankommen lassen. Es sei ihm dabei einerlei, ob er Käse und Brot oder Lerchen und teure Ortolanen äße. Doch kujonieren lasse er sich nicht. Wer das versuchen wolle, müsse haut à la main spielen. Aber wie jetzt der Kaiser wolle, ginge fürwahr nicht. Die Würfel lägen noch auf dem Tisch.

Aus dem Zerfall des Reiches und einer alten Welt begehrte er ein eigenes starkes Land zu retten.

Solche Sprache vor Diplomaten war neu. Sie schuf eine arge Ratlosigkeit; Offenheiten war man nicht gewachsen. Man beriet, was sich dahinter wohl verbergen könnte.

Noch standen die Kurierpferde in Berlin und Wien gesattelt, da waren die Würfel gefallen. Des greisen Sonnenkönigs Enkel war Herrscher über Spanien. Das Weltreich des Kaisers wurde zum Traumgebilde, fern aller Tat. Aber auch der Keim entsetzlicher Kriege – Kriege des Zerfalls, nicht des Entstehens – starb im Werden. Nach vielen verlorenen Schlachten ging Frankreich mit glänzenden diplomatischen Erfolgen aus dem zähen Kriege hervor. Aber war es, fragte der Neuling in der Weltdiplomatie, Herr Friedrich Wilhelm von Brandenburg, ein Gewinn für Frankreich, daß fortan ein bourbonischer Prinz Spanien und Indien beherrschte? Länder und Völker waren erschöpft.

Zu Utrecht erhielt das Reich seinen Frieden.

Es war der fünfzigste Tag der Regierung König Friedrich Wilhelms I., an dem der alte Ilgen den Vertrag für ihn ratifizierte. Ein Uhr mittags unterzeichneten England und Frankreich, um vier Savoyen, um sieben die Portugiesen, um acht die Holländer, um zehn die Preußen, »weil sie mit Fleiß nicht gern die ersten sein wollten, damit es nicht bei den Kaiserlichen das Ansehen gewinne, als ob sie dazu ein so großes Empressement gehabt«.

Aber, sein glühendes Cito! Cito! im Herzen, hatte der junge Preußenkönig ein großes Empressement, dem unglücklichen Erdteil den Frieden zu geben.

Europa lächelte über die Friedensbedingungen, die der junge Barbar in Brandenburg für seinen Anteil ausmachte. Er nahm Geldern und nannte sich seinen Herzog. Er gab Oranien, doch behielt er sich Titel und Erbanspruch. Auch ließen Frankreich und Spanien von nun an die preußische Königswürde des Kurfürsten von Brandenburg als anerkannt gelten. Ein Friede schien es, wie auch König Friedrich ihn geschlossen hätte – ein Handel um Würden, Titel und Ansprüche.

Prinz Eugen, beim Kaiser stehend und über die Karten gebeugt, lächelte nicht. Habsburgs alter Diener war in Sorge.

»Der Brandenburger gibt die Parks und Schlösser von Oranien, weil er sie, umklammert von französischem Land, im Kriegsfall niemals halten könne. Er nimmt sich Geldern, weil es nahe vor seinen Grenzen liegt, ihm fruchtbare Ländereien und ein halbes Hunderttausend Menschen bringt. Er beginnt, Menschen zu sammeln; er ist wie besessen von seinen menschenleeren, zerrissenen Ländern. Der Kurfürst von Brandenburg wird uns nie mehr Truppen stellen als ein kleines Pflichtheer.«

»Es sei denn«, sprach gelassen der Kaiser zu seinem Wächter und Mahner, dem heldischen Zwerg, »das Reich und nicht Habsburg wäre jemals bedroht.«

Denn vom Reiche sollte der junge, wilde Herr der Mark Brandenburg altmodische und zuverlässige Ansichten haben, wie sie unter den Kurfürsten sonst nicht mehr im Schwange waren.

Auch Friedrich Wilhelm saß über die Karten gebeugt. Doch suchte er nicht Wien, Paris, Madrid, die nun in aller Munde waren. Sein Stift umzog den Osten und Norden. Die Stirn des jungen Königs war umwölkt: Fern war er Spaniens heißer Sonne. Seine Not kam ihm von Eis und Sumpf.

Die Farben, Umrisse, Linien, Namen, Zahlen der Atlanten lebten ihm auf als Gefahr. Er sah die Länder des Nordens leiden an den alten Kriegen und das Ostreich der Wälder, Ströme und Steppen, Zar Peters gewaltiges Land, nach der Zukunft drängen, die eine alte Welt verwandeln sollte. Auch der Nordische Krieg war beendet – nur befriedet war er nicht. Noch lebte Schwedens großer König, wenn auch ein Gefangener, fern den nördlichen Meeren, am Bosporus.

Was wollte es bedeuten, daß die Verbündeten die Krone Schwedens in Besitz genommen hatten. Der Mann, dem sie gehörte, lebte noch und blieb ein König, und immer wieder, wo man seinen Namen nannte, klirrte Waffenlärm. Brach der Krieg noch einmal aus – so mußte er dahinstürmen über Friedrich Wilhelms Land. Der Brandenburger tat dem Schwedenkönig hohe Ehre an. Er hielt auch den Gefangenen noch für groß und gefährlich, Brandenburg und das Reich von ihm bedroht. Der junge König sah sich eingekreist von verschleppten Kriegen und ähnlichen Verraten, wie sie den Großen seines Geschlechtes vom Sterbebette des herrlichen Sohnes in Straßburg in die Sümpfe von Fehrbellin, von den Sümpfen des Havellandes in das Eis und den alles begrabenden Schnee des Ostens jagten. Das Antlitz des Großen Kurfürsten, des Siegenden, Leidenden und Betrogenen sah den Enkel an aus den Atlanten, näher als ihm je das Angesicht seines Vaters war.

Heute war der Zar der Sieger über Schweden.

Aber noch lebte König Karl XII.

Auf den Schlachtfeldern des Brandenburgers konnten sie noch einmal einander begegnen.

Es mußte ein Ende sein, auch mit diesem Kriege. Niemand, außer dem Dessauer, der noch immer seines Rufes nach Berlin harrte und das bloße Wort eines jungen Mannes für Siegel, Stempel und Verträge nahm, wollte verstehen, warum der sparsame König nach dem Spanischen Frieden sein Heer nicht verringerte. Er schien doch plötzlich schwach und friedfertig! Was sollten ihm die freigewordenen Regimenter!

»Es muß«, erklärte der König, »vielmehr bis Jahresende auf fünfzig Bataillone und sechzig Schwadronen gebracht werden.«

Sechstausend Mann wurden auch wirklich noch aufgestellt.

Des greisen Sonnenkönigs gedachte ihr Kriegsherr kaum noch.

Und Spanien war ihm nur ein ferner Klang.

 

Über all der Sorge und dem Eifer war es geschehen, daß die Geburt eines Kindes ihn nicht tief bewegte. Die zweite Tochter war geboren, die junge Mutter war gesund, der Taufgäste wurden nicht wenig, der Name Charlotte Albertine ward ohne Zaudern gewählt – all dies erschien ihm mit einem Male durchaus nur als Frauensache. Er sah die Seinen nur selten, und ein längerer Besuch bei der Königin war etwas Besonderes geworden.

Noch immer bewohnte sie Monbijou; gelegentlich lud er sich bei ihr zur Tafel. Seine Bitte, in kleinem Kreise mit ihr speisen zu dürfen, schien dann allerdings meist unerfüllbar. Immer empfing ihn die Gattin in größerer Umgebung, und das Gespräch bewegte sich daher bei Tische nur um recht allgemeine Dinge. Kaum daß der Nachtisch abgetragen war, bat der König, die Kinder sehen zu können.

Die Königin entschuldigte sich, sie seien zu so später Stunde nicht mehr angekleidet, da der König ihr in dieser Hinsicht keinen Befehl habe zukommen lassen.

Der König versicherte, das mache nichts. Er sehe die Kleinen gern in ihren Bettchen.

An Friedrichs Wiege lachte er. »Oho, das kleine Tier bekommt ein zu starkes Gebiß. Wir werden das kleine Tier abschaffen müssen. Sonst erbeißt es die anderen.«

Wilhelmine stammelte schlaftrunken auf Geheiß der Mutter ein paar Begrüßungsworte, die dem König im Munde einer Fünfjährigen possierlich vorkamen; doch fand er seine Älteste sehr blaß.

An Charlottes Albertines Wiege wurde er nachdenklich, wie ihm dieses sein fünftes Kind so fremd blieb, weil ihn die Angelegenheiten des Landes so sehr beschäftigten. Das Kleine wuchs, und er sah es nicht. Es schrie, und er hörte es nicht. Es trank und aß, und nie war er zugegen. Er fragte nach der kleinen Tochter, wie man sich nach eines fremden Mannes Kind erkundigt. Die Königin wußte dem Vater von seiner Tochter nichts zu erzählen, als daß die Prinzessin manchmal etwas Hoheitsvolles an sich hätte. Darüber mußte der junge Vater laut lachen. Doch schritten sie jetzt schon durch die Galerie zum Mittelflügel zurück, und er störte die drei Kleinen nicht. Er öffnete die Tür zum Garten. Ein abendlicher Gang mit der Gattin durch den schmalen Park zwischen Fluß und Schlößchen schien ihm verlockend. Vor der Säulenfassade des Ufers am offenen Lusthaus blieb der König stehen. Zwischen glatten, schön geschwungenen Mauern floß die Spree leise, eilig und dunkel. Der König wies auf das Wasser. »So ist sie zu bändigen. So kann die Spree nützen. Ich werde sie im ganzen Stadtbereich mit Mauern einfassen.«

»Ich habe bemerkt, daß Sie die Spree für Ihre Hauptstadt benötigen« – Königin Sophie Dorothea lächelte, doch ohne Güte –, »es kommen jetzt viele Lastkähne den Fluß herauf. Die Schiffer sind sehr laut.«

Der König nahm es dankbar auf, daß die Gattin verfolgte, was er tat. Jede ihrer Äußerungen bot ihm die Möglichkeit eines freundlichen Irrtums.

Die Königin sprach die Hoffnung auf baldige Beendigung der lästigen Bauten aus. Über diesen ihren Wunsch war Friedrich Wilhelm glücklich. Er wollte seine Frau bald wieder bei sich haben.

Diesen Abend fand er keine Trennung: einmal kein Rechnen, einmal kein lärmendes Handwerk, einmal kein schwieriger Vertrag! Gar nichts war auf der Welt als nur das kleine, lichte Schloß und sein Spätsommergarten, von schlanken Kandelabern durchleuchtet. Er hatte die Kinder wiedergesehen und wünschte den Park der Gattin heiteren Lärmens voll von der Fülle fröhlicher Söhne und zärtlicher Töchter. Einen Blick nur in den Garten der Frau zu tun – es würde ihm die schönste Rast und tiefste Ruhe bedeuten! Es sollte ihm kein Kind mehr so verloren gehen, wie ihm das zweite Töchterchen fremd blieb bis in diese Stunde. Er wußte nicht, daß er zu dieser Stunde schon das ganze Leben dieses Menschenkindes betrauerte. Er dachte neues Leben, indes der Tod zum dritten Male eines seiner Kinder verlangte, als sei dieses harte Land kein Hüter jungen Lebens.

Jedes seiner Worte, das er auf dem abendlichen Weg durch ihre Gärten mit seiner Frau sprach, war Hoffnung und Dankbarkeit. Eine Freude kam über ihn, die er noch gar nicht kannte. Seine Frau war ganz allein bei ihm; seine Frau zeigte Anteilnahme an all seinen Geschäften; auch trug sie den Schmuck seiner Mutter. Er sah es schon den ganzen Abend. Er ahnte nicht, daß sie es tat, ihn davon abzulenken, daß sie seine Gabe, die ersten Tüchlein seiner neuen Gespinste, verschmähte und seiner Bitte nicht entsprechen konnte, seine preußischen Tuche zu tragen – sie, deren gesamter Toilettenfundus zur Heirat mitten im Kriege mit Frankreich zur großen Genugtuung des Sonnenkönigs in Paris bestellt worden war. Sie sprach vom kostbaren Schmuck seiner Mutter, und wie alles andere erst zu Glanz und Schönheit kommen müsse. Er hörte sie von seinen Angelegenheiten reden, und zum ersten Male begann er die Nähe eines sehr vertrauten Menschen zu spüren; und es schien ihm mild, aus so unendlich wohltuender Nähe und Wärme leise Worte, nur für ihn und sie bestimmt, in die Weite des Abends und der versunkenen Welt zu sprechen. Die Hoffnung erwachte in ihm, in Monbijou vermöchte ihm ein freundliches Eiland im aufgewühlten Ozeane seines jungen Königsdaseins zu erstehen.

 

Die Königin blieb bis tief in den Herbst in ihrem Monbijou. Der Bau riß noch immer die Treppenhäuser des Großen Residenzschlosses auf. Es war kalt auf ihrem Sommersitz geworden. Dunkel und langgestreckt duckte sich das Schloß unter kahle Bäume. Der Fluß stand im Eis. Und dennoch überkam sie ein Grauen vor der Rückkehr in das Hauptpalais, auch wenn sie dort kein Hämmern mehr stören sollte. Aber im Alten Haus der Herzogin, dem Flügel an der Spree, irrte die wahnsinnige Königinwitwe umher, lachte, sang mit geschlossenen Augen stundenlang oder weinte in tiefem Jammer, putzte sich dauernd mit anderen Kleidern und redete wirr; auch klagte sie laut, sie würde mißhandelt.

Der König, sehr von ihrem Jammer angerührt und auf alles Elend gelenkt, das dem der jungen Königinwitwe glich, ging an die Begründung eines »Hauses für melancholische und rasende Leute«, das er unter ärztliche Aufsicht zu stellen plante.

Der Mecklenburger Hof war außer sich, als er von dem Vorhaben des Königs im Zusammenhang mit dem Leiden der jungen Königinwitwe hörte, verlangte ihre Rückkehr nach Schwerin, focht aber zuvor noch einen heftigen Kampf um die der Gattin Friedrichs I. überlassenen Juwelen des Hauses Brandenburg aus.

Als die Mecklenburger die Unglückliche holen kamen, wehrte sie sich verzweifelt. Sie müßte bleiben, die Weiße Frau zu erwarten. Das jagte Königin Sophie Dorothea den schrecklichsten Schauder ein; denn sie wußte allmählich, daß an ihrem jüngsten Kinde Furchtbares versehen worden war, und wollte den entsetzlichen Ausgang noch leugnen, alle Schuld weit von sich weisen und das Unabwendbare beschwören. Sie konnte nicht ertragen, von der Weißen Frau des Hauses Brandenburg zu hören.

Bis der König, der unablässig rechnete, reiste, ritt und exerzierte, wieder nach den Kindern fragte, haben sie es ihm verheimlicht, daß das Mädchen Charlotte Albertine im Hinschwinden war, verzehrt von skurrilen und geheimen Kuren, die ohne Wissen des Königs angewendet wurden, das kurze rechte Bein des Kindes zu strecken. Der König hatte von solchem Gebrechen gar nichts gewußt.

Niemand durfte dann Charlotte Albertines Leiche sehen. Sie wurde beigesetzt in der tiefsten Stille der Nacht, nur von weißen Fackeln geleitet, ohne ein Geläut der Glocken. Der König, der sich schwerer Versäumnis anklagte, willigte in alles. Da er nicht prüfte und nicht Anklage erhob, waren die Königin und ihre Vertrauten schon völlig befreit.

Am Sarge wurde dem König als ein Trost gesagt, daß in den späten Herbsttagen von Monbijou das neue Kind dem künftigen Sommer schon entgegenwachse.

Die Königin war nicht gebrochen. Es lebte ja der Sohn. Ein neues Kind war nahe. »Sie werden einen Sohn haben«, tröstete die Königin. »Eine Tochter«, beharrte schwermütig der junge König. Denn gebeugt von der Versäumnis an dem Kinde Charlotte Albertine erbat er sich, wie ein Zeichen der Vergebung, eine Tochter von der geliebten Frau, die den Tod nicht anders verkündete, als daß sie Leben verhieß; die gelassen vom Sarge des einen Kindes hinwegschritt und die Wiege des anderen bereitete.

Friedrich Wilhelm liebte sie stärker und stärker von Geburt zu Geburt, und jedes Kind war eine tiefe Spur in seinem Herzen und eine heiße Aufwallung in der Liebe zu seiner Frau. Denn er war ein König ohne Volk. Die Königin aber sah nur die abstoßende Härte und Nüchternheit seines Lebens.

Am Morgen goß der Fünfundzwanzigjährige, dessen Haut noch immer knabenhaft zart war und dem das kurze, braune Gelock weich und gelöst um die Stirn lag, an dem mächtigen neuen Steinzuber das kalte Brunnenwasser über Leib, Gesicht und Hände, ganz in die Kühle des Tages sich tauchend. Er nahm das reine Hemd – wie es geschneidert zu werden pflegte nach seinem eigenen Entwurf, ganz ohne die üblichen Spitzen und Rüschen – und ließ sich die blanke Uniform reichen, von der er für jeden Tag eine besondere besaß, damit die des Vortages gereinigt werden könne, obwohl es kaum jemals etwas an ihr zu putzen gab.

Ehe um vier Uhr die Kammerdiener eintraten, ihn anzukleiden und ihm die braunen Locken zum adretten Zopf zu drehen, las der König schon in seinem Andachtsbuch; und eigentümlich scheu wachte er darüber, daß niemand seine Zeichen in den frommen Schriften nachsah. Sein Erster Diener, der nachgelesen und darüber gesprochen hatte, wurde nach Spandau gesteckt. Noch während der Toilette empfing nun der Herr, hastig seinen Morgenkaffee dabei trinkend, die Kabinettsräte, überprüfte und unterschrieb die ausgefertigten Resolutionen des Vortages vom Küchenzettel bis zur Reinschrift des neuesten Gesetzentwurfes und tat den letzten Federzug, wenn der letzte Knopf seiner Stiefeletten geschlossen wurde. Das Jahr, den Tag, die Stunde hielt er fest in Händen. Um zehn Uhr trat er hinaus auf den Exerzierplatz, der noch vor gar kurzer Zeit Lustgarten, Königsspiel, Wasserkunst und Zauberlabyrinth gewesen war. Der Herr hielt Besprechung mit den Generalen und Stabsoffizieren, gab die Parole aus – wobei Gouverneur und Kommandant von Berlin nebst dem Stabsoffizieren, die vom Tage waren, gegenwärtig sein mußten – und erteilte sämtliche Befehle für die Garnison. Aber auch den Gesandten und etwaigem Reisenden, die ihn zu sprechen wünschten, wurde hier Audienz gewährt.

Die Reihen seiner Grenadiere standen vor ihm in der neuen blauem Montur aus den Tuchmanufakturen des Königs von Preußen und warteten auf des Obersten Friedrich Wilhelm von Hohenzollern Kommando. Noch trat er nicht vor die Front. Am Portal hatte Creutz ihn erwartet, sauber und schlank wie der König, rege wie er und voller Drang und Eifer, zu handeln. Umschweife und Verschweigen waren ihm vom Herrn verboten. Ohne Verbrämung und Vorbehalt mußte er sagen, was er sah. Das war der Wille des Königs. Dem war, was er heute erfuhr, nur noch die Bestätigung. Graf Dohna, der redliche und treue, war fehl im neuen Amt. Er wurde zum unermüdlichen Anwalt des armen, leidenden Volkes, niemals aber vermochte er der Richter zu werden der faulen, der bösen, der törichten Menge. Er kam vom Schloß, nicht aus der Gasse. Die Schlechten nutzten ihn aus. Creutzens Zahlen sprachen ein hartes Urteil über den Volkstribun, den Pöbel und den knappen Vorrat an neugeprägtem Silber. Auch fügte Creutz noch ungefragt den Rat hinzu, der König möge die verlassenen Güter der räuberischen Quitzows an sich nehmen. Der König fuhr ihn hart an. Noch leben rechtmäßige Erben der Quitzows. Überdies aber habe er Creutz nur beauftragt, alle seine Beobachtungen mitzuteilen, die die Sache des Volkes beträfen; niemals jedoch habe er ihn nach den Angelegenheiten des Adels gefragt. Den kenne wohl er selbst doch besser.

Creutz ging, in Blick und Geste noch der immer Wartende. Noch gab der König ihm nicht Amt und Rang und Namen, sondern nur den Dienst. Aber die Gewißheit nahm der Schreiber mit sich, daß Graf Dohna fallen würde, sanft fallen zwar, jedoch ihm selbst nicht mehr im Wege sein. Einer der großen Herren war dann abgetan, und er begann, auch wenn ihn der König selbst noch nicht zu sich hob, dem Gebieter um eine Stufe näher zu rücken. Vor allem aber mußte sich nun zeigen, daß Dohnas Geschäfte unverändert weiterliefen, auch wenn er selber schied: Creutz hatte sich die Kenntnis jeder Akte, jeder Ziffer angeeignet.

Der König schritt, längst schon dem neuen Dienste zugewandt, den Block der Grenadiere ab. Kümmerlich klein fand er das Karree angesichts der Weite des Planes. Als Kriegsherr war er noch ein schwacher Mann, und das Ziel lag noch sehr weit. Wie sollte er je in all der Wirrnis Europas das Zünglein an der Waage werden und der Hüter des Friedens sein nicht aus Schwäche, sondern Stärke?

Fast ohne Anteilnahme gab er die Kommandos, hielt er die Übungen. Er sah in die Augen seiner Soldaten. Vieler Blicke waren dunkel glühend, denn sie hatten südlichere Sonne getrunken als das bleiche Licht der Mark Brandenburg. Fremde Blicke waren es, oft voll der Feindseligkeit des Söldners gegen den Käufer und Herrn. Noch im Exerzitium selbst lag Widerstreben, und den preußischen Rock trugen die meisten als ein lästiges und aufgezwungenes Kleid. Manche lauschten mühsam, das Kommando seiner fremden Zunge zu verstehen.

Dies war nicht das Heer des Königs von Preußen! Der Söldnerhaufe des armen Kurfürsten von Brandenburg war es, und in seinen besten Reihen das einstige Spielzeug eines Prinzen!

Mit Ungeduld hielt er die Zeit des Exerzierens ein. Noch an diesem Tage schickte er die Werber aus. Sie sollten möglichst innerhalb der eigenen Grenzen werben. Aber dann sah er die Trostlosigkeit ein, die ihm bei der Ausführung solchen Befehles zur großen Schande werden mußte. Er war ein König ohne Volk. Er mußte sich fremdes, junges, oft verzweifeltes Blut erschachern. Er mußte Menschen kaufen. Sie wuchsen ihm nicht zu aus seiner Erde.

Die Briefe nach Dessau häuften sich. Bedenken füllten sie aus. Der Fürst verstand den König wohl. Noch war seine Stunde nicht da. Noch konnte der Generalissimus des Königs von Preußen der Wirt seiner eigenen Herrschaft sein. Gerade als Ökonome aber schrieben sie einander, daß erst die Wirtschaftsprogramme fertig daliegen müßten, ehe das Exerzierreglement entworfen werden könne. Der junge König verdammte sich selbst zu der harten Probe, als Rechenmeister am Schreibtisch, als Händler, Baumeister und Gutsherr das Heer vorzubereiten. Es gab keinen anderen Weg. Sein Vater, sein Großvater, alle seine Vorfahren hatten Subsidien vom Ausland bezogen und für ihre Landeskinder und für Söldner, die sie selbst erst warben und in fremde Dienste weitergaben, Geld in jeder Prägung angenommen: Louisdors, Guineen, Gulden. Herr Friedrich Wilhelm aber setzte seine Ehre darein, seine Ausgaben nur mit selbst wohl und rechtmäßig verdientem Gelde zu bestreiten.

Bitter empfand er den Zwang, das schwer erworbene Kapital für die Werbung auswerfen zu müssen und gar genötigt zu sein, sich grimmige Scherze zu erdenken, um im Menschenhandel nun auch einigen Erfolg zu erzielen.

Er gab sich wie der anderen, angeseheneren Fürsten einer und bestellte, obwohl noch alle Welt über die Plünderung seiner Gärten und Schlösser schrie, »Statuen« durch seine Gesandten und gute Freunde, die ungenannt blieben. »Die Statue ist mir richtig gesandt und gefällt mir die Fasson und Arbeit«, schrieb der König seinem Londoner Residenten. »Ihr werdet besorgt sein, noch einige zu verschaffen. Sie müssen aber so gut gemacht und von einem guten Meister sein. Dem Bankier Splittgerber habe ich befohlen, Euch einhundertzweiundneunzig Pfund zu übermachen.«

Solche Summe kam den armen Tuchfabrikanten Friedrich Wilhelm von Hohenzollern sehr hart an. So teuer war für den Plusmacher in seinem menschenarmen Lande ein starker und gesunder junger Mann. –

Die geringen Mittel, die der König seinen Werbern hatte zur Verfügung stellen können, bewirkten keine Wunder. Der neue Werbestreifzug war arm an Ertrag. Dabei wollte der König, daß es seinen Söldnern gut gehe. Wie sollte sonst der harte Dienst ihren störrischen Willen gewinnen? Wußte denn einer, warum und wofür er den Sold von einem fremden Fürsten nahm?

Selbst für die kleine Menge der Geworbenen reichten die Kasernen nicht aus; ihre Anzahl war zu gering, der Zustand zu schlecht. Der König wünschte die neuen Soldaten in Bürgerquartiere zu geben, in jedes Bürgerhaus einen Mann. Der Magistrat von Berlin, noch von dem Verbot des großen Rathausbaues und der Rüge, die daraus sprach, schwer getroffen, schichtete dem König Dokument auf Dokument und Freibrief auf Freibrief, bis endlich der Buchstabe siegte. Der Magistrat von Berlin hatte den Kampf gegen den neuen Landesherrn nun offen aufgenommen und gedachte damit ein Zeichen zu geben. Der König prüfte die Materialien, die man ihm beibrachte, mit Sorgfalt. Jawohl, bekannte er, die Räte seien im Recht und kein Bürgerhaus zu Berlin habe, auf Grund der vom alten König erteilten Privilegien, die Verpflichtung, Soldaten des Königs aufzunehmen. Um so deutlicher erkannte der Herr, daß man ihm in der Hauptstadt Fehde ansagte und nun wohl bald allenthalben die Sache der Städtefreiheit mit ihm auszufechten beginnen würde. Er dachte nicht, das Recht der Freihäuser zu beugen; aber er war nicht mehr gewillt, Berlin noch weiterhin zur Residenz zu wählen.

 

Unverzüglich begab sich der Herr auf die Reise. Das Ziel stand sofort für ihn fest: Brandenburg.

Hier war der Kern und Keim seines Landes, hier lag die Gabe des Kaisers beschlossen, die er vor dreihundert Jahren dem Ahnherrn Friedrich von Hohenzollern, Nürnbergs Burggrafen, verlieh. In Brandenburg war dem fränkischen Vorfahren die Mark zum Geschenk und zum Geschick geworden. Dreimal hatte das Geschlecht des Königs den unerträglich schweren Kampf von neuem und immer wieder mit gleicher Zähigkeit aufnehmen müssen.

Über sumpfigen Seen, sandiger Ebene und öden, düsteren Kiefernwaldungen, in die nur einmal im Jahr gelbes Ginstergesträuch ein helleres Licht gab, ragte die Burg Herrn Friedrichs von Hohenzollern, des Burggrafen von Nürnberg. Als der Kaiser ihm zum Dank für seine Treue ein Land im Norden des Reiches zusprach und ihn mit der Mark Brandenburg belehnte, zog der Hohenzoller aus dem Süden des Reiches nordwärts, nur, damit er wieder von Seen, Sand und Sumpf und Kieferngehölzen Besitz ergreife und den Befehl empfange, eine tote Erde fruchtbar zu machen. Was anders aber war das Land, das endlich dem Reiche der Hohenzollern seinen königlichen Namen auferlegte; was anders barg das arme Preußen im Osten droben als Kiefernwälder, schwermutsvolle Seen und Sümpfe, sandige Ufer? Franken, die Mark Brandenburg und Preußen waren das eine, gleiche Geschick und Gebot, das eines ganzen Geschlechtes zu seiner Meisterung und Bewältigung bedurfte.

Die acht Meilen nach Brandenburg reiste der Herr in kürzester Zeit. Fast bäumten sich die Pferde auf, als man sie am Kurfürstenhause zu Brandenburg zum Halten zurückriß. Vom Kurfürstenhause aus wollte der Herr nun Boten an die Glieder des Magistrates senden und den Rat der Stadt einberufen. Die wenigen Schritte bis zum Rathaus gedachte er zu Fuße zu tun und noch in der Stunde der Ankunft vor das Stadtkollegium zu treten, um ihm mitzuteilen, daß er von diesem Tage an Brandenburg zu seiner Hauptstadt zu wählen gedenke.

Es war um Mittag. Alle Glocken läuteten die hohe Stunde ein. Als der Herr nach drei Tagen von Brandenburg abreiste, war das Wort zum Rat noch immer nicht gesprochen.

Es war um den Feierabend. Alle Glocken läuteten die stille Stunde ein. Der König war sinnend und schweigsam.

Was war dem Herrn zu Brandenburg geschehen?

 

Gott vertrieb ihn aus Brandenburg. In Brandenburg erschloß sich dem zweiten »König in Preußen« Gottes Befehl, der an die Hohenzollern erging; in Brandenburg traf ihn das harte Gebot in seiner ganzen Schwere; in Brandenburg begannen der Sand und die Steine im Bilde zu ihm zu reden – zu ihm, von dem man glaubte, er begriffe nur die Zahl. Sieben Türme ragten über der Stadt: der Dom und – nicht geringer als er – Sankt Pauli, Sankt Johannes, Sankt Gotthard und Sankt Katharinen, Sankt Franziskus und Sankt Nicolai. Dunkel standen die Türme und groß, steil und schwer, zerklüftet und doch miteinander strebend, als wären sie Zeichen für die Gebete der Verzweiflung, die aus dem armen Sand der Mark zum Himmel stiegen, der auch alle Blüte und Fülle dieser Erde überwölbt. Selbst der steinerne Zierat der sieben brandenburgischen Kirchen war noch von Düsterkeit und Schwermut umwoben und schlang sich manchmal wie ein schwarzes Gespinst um die Tore der Kirchen. Zu Blumen war der Stein gebildet; Blumen und Blätter, Walnußgesträuch und Eichenlaubranken waren aus dem spröden, glühenden Backstein gebrochen und mühsam erkämpft von Menschenhänden, die ihrer Müdigkeit nicht mehr achteten. Es war, als wollten in dieser harten, ernsten Stadt Blumen aus weicherem Grunde nicht erblühen, als könnten sie nur aus dem Stein, von Betenden, errungen werden.

Erlag Herr Friedrich Wilhelm, die erste Stunde als König in Brandenburg weilend, der Macht solchen Bildes? Lange hatte er im Kreuzgang von Sankt Johannes gestanden. Dort wucherte das Gras zwischen frommem Gestein: ein Garten Gottes in all der Armut der Mark.

Im Kreuzgang breitete der Kruzifixus die durchgrabenen Hände in immerwährendem Schmerze vor die dunklen Klostermauern. Von solchem Anblick vermochte der Herr sich nicht zu lösen. Die Predigt der steinernen Bilder hatte begonnen, und es gab kein Entrinnen. Denn es war ihm an diesem Tag noch ein zweites Steinbild begegnet: der Roland, der nahe dem Kurfürstenhause stand. Der war herrischer, mächtiger und gewaltiger als der Heiland. Aber stand der steinerne Held nicht gar einsam und verloren, von den sieben dunklen, steilen Türmen überschattet und umwogt von ihrem Geläut, das in dieser Gottesstadt nicht enden wollte?

Die Wachttürme der Stadt, die Hüter der Wälle über der Havel, wurden wie zur Wehr gegen Gott, der ein zu hartes Schicksal auferlegte. Die Heiligenbilder vergangener römischer Zeit lehnten ohne Prunk und Glanz und Wunderkraft in den Gewölben der Pfeiler. Eines hielt ein Schwert zwischen Gott und die Stadt. Das sah der Herr; was brauchte er zu denken, er, der dem Grübeln gram war aus der Tiefe seiner Schwermut heraus. Er sah.

Niemals, prägten die Bilder es dem schauenden König ein, würde eine Kraft, die jäh das Neue wagte, von dieser Stadt in sein Land ausgehen. Über Brandenburg war Gottes Last zu groß, und selbst der helle Fluß am Saume der Stadt war nur wie die Spur der Tränen, die das Angesicht des Leidenden überströmen. Er aber sollte handeln.

Gottes Schwere war hereingebrochen über Brandenburg. Des Himmels ernstestes Tor war geöffnet über der Stadt und der Mark, aufzunehmen die Gebete der Not und das Weihrauchopfer des Sandes und auszusenden das dem Menschen unerträglich dünkende Geschick, das Gott seinen auserwählten Knechten auferlegen muß.

Fast klang es wie ein Hohn, daß unter dem Grundstein der größten, der ältesten Kirche des Landes, der Kreuzkuppelkirche am Harlungerberge vor den Toren der Stadt, Pilgerschätze aus dem Morgenland vergraben sein sollten, um die nur Rom und nicht der Brandenburger Hohenzoller wüßte. Und alle zehn Jahre kamen Mönche von Rom her in die Mark Brandenburg, die geheimen Zeichen zu prüfen, an denen sie erkannten, daß das Gold und die Edelsteine noch unversehrt unter der Kirche auf dem Harlungerberge lagen.

Der junge König ließ die alte Kirche niederbrechen. So arm war die Mark Brandenburg. So hart mußte der Plusmacher in ihr werden. Oder geschah es aus anderem Antrieb? Mußte er auch diese Lüge zerstören, Brandenburg sei auf einen anderen Grund gegründet als den des Gebetes? War er so erbarmungslos gegen sich und sein Land? Tat er auch dies, daß er die alte, alte Kirche zerstörte, geschmäht und verdammt von aller Geistlichkeit, In Majorem Dei Gloriam, zur höheren Ehre Gottes? Bekannte er, indem er floh und zerstörte?

 

Der lichte, hohe, reichgeschmückte Giebel des Kurfürstenhauses trat in die Dämmerung zurück. Der steinerne Roland sank in das graue Gewölk der Ebene und der Havelufer. Der Herr fuhr gen Berlin.

Wenige Meilen vor der Stadt ließ er den Wagen halten. Er kam zurück, von Gott besiegt. Aber weil er gesetzt war zum König, durfte er sich nicht dem Rate seiner Hauptstadt beugen. Das nächste Schloß der Väter, das er nahe am Wege fand, sollte die Mitte seiner neuen Residenzstadt werden. Er wollte sie gründen, und sei es hier auf Sand und Sumpf und im sterbenden Jahr.

Der Herr hielt in Potsdam.

Der Fischerflecken lag ihm am Wege. Er fand den Anfang einer Stadt, die einer begonnen und wieder hingeworfen hatte, so wenig lohnte der Plan, so wenig lockte jenes Unterfangen. Ja, Potsdam war gar einmal für vierhundert Schock böhmischer Groschen verpfändet gewesen. Inmitten der Hütten verbarg sich ein Schloß, in all der Öde ein verzärtelter Park, und vor den Stufen am Ufer wiegte ein reiches Schiff auf der Havel. Der Herr nahm von allem Besitz, auch von dem Sumpf und dem Sand. Tiefste Beugung vor Gott und höchster Trotz vor den Menschen waren in einem über ihn gekommen.

Der Herr umschritt den neuen Bezirk. Am Schlosse nahm ihn die holländische Einfachheit gefangen; auch vierzig Jahre hindurch geführte Versuche, das ländliche Haus mit reichen Portalen und zierlichen Säulenkolonnaden zu schmücken, hatten sie nicht zu zerstören vermocht. Von der Mutter der Oranierin, der Frau Schwiegermutter des Großen Kurfürsten, war es erbaut; die klar geschnittenen Flügel verrieten noch das Vorbild eines Gutshofes mit Holzkammern und Bäckerei; hier war nur instand zu setzen und wenig zu verändern. Nur die gekünstelte Pracht des später angepflanzten Gartens verlangte nach Vernichtung. Denn zerfallen und kümmerlich mahnten die nahen Fischerhütten zwischen den Armen des Flusses und der Seen zur Versöhnung solchen Gegensatzes. Sie harrten des Retters, der sie seinem Blick nicht durch grünende Ehrenpforten und kostbare Gewächse südlicher Länder verbarg. Tausend oder zweitausend Menschen mochten hier ihre tägliche Not voreinander tragen oder vor die einzigen Reichen, die Garnherren und Ratsherren, freilich vergeblich, auf das Stadthaus bringen.

Sofort bezog der Herr das Schloß. Auch König Friedrich hatte hier einmal übernachtet, daher beleuchteten die Kerzen viel goldenes Zierwerk und brachen ihr Licht in der Fülle der Spiegel. Der junge Herr beschloß, auch hier dem falschen Glanz ein Ende zu bereiten, ja, hier, wo er verbleiben wollte, noch gründlicher und unversöhnlicher denn irgend sonst den Willen zum Ernst und zur Strenge zu bekunden. Die müßigen Dinge – farbige, golddurchwirkte, rote Ledertapeten mit leuchtenden Ranken und Sessel mit pfirsichblütenfarbenem Atlas und Silber aus dem Marmorsaal, dem Roten Saal und der Marschälle Tafelgemach sollten fürs erste für Fürstenbesuche ins Berliner Schloß gebracht werden. Zu Potsdam gedachte er sich nach Landhausart einzurichten: ohne Marmor, ohne Seide, gewebte Tapeten und Goldmalerei, und all die großen, prahlerischen Schlachtengemälde wurden in einem einzigen Saale gesammelt.

Schon am nächsten Morgen wurden Arbeitsleute gedungen, die Schätze wegzuschaffen und den Lustgarten zwischen Schloß und Ufer einzuebnen. Der wunderliche König war am Werk, der, zur Regierung gelangt, sich nicht neue Schlösser erbaute, sondern sogar die vorhandenen verschloß, wenn er fand, sie seien angesichts des Elends ohne Recht und Sinn. Sich selber aber wählte er das ärmste und fand nötig, ihm auch noch den letzten Schmuck zu rauben.

Selbst die bewunderte Orangerie wurde fortgeschafft, ihre Säulengänge wurden zugemauert und zum königlichen Reitstall bestimmt.

Für sich selbst hatte der Herr einige kleine Zimmer im Flügel an der einstigen Orangerie, neben der Fahnenkammer mit den Feldzeichen gewählt: einen Empfangsraum, ein Arbeitszimmer und ein Schlafkabinett nebst Garderobe. Die Wände wurden nur weiß übertüncht, aber die Fenster erhielten besonders große Gläser nach dem geplanten Exerzierplatz hinaus. Die Schlafkammer des Königs hatte einen eigenen Ausgang zu einer kleinen Treppe. An deren Brüstung stand er jetzt fast jeden Morgen und sah nach den Wolken und den Gerüsten, ob noch ein gutes, starkes Werk entstehen könne in dem späten Jahr.

Die Arbeiter rissen trotz des schlechten Wetters noch weiter den Lustgarten auf, schleppten die schweren Karren hinweg und stampften das umstochene, lehmige Erdreich fest. Wo Sand war, wühlte der Regen nun Rinnsal um Rinnsal. Die Havel lag im Nebel; alles war sehr trübe; und nur weil der Spätherbst nahte, war es milde verhüllt, daß der König alle Blumen rodete und daß das Laub gefällter Bäume, wie zu hohen Totenhügeln geschichtet, vermoderte. Der Regen rauschte so dicht, daß man kaum noch die Fischerhütten an den Ufern sah.

Nur eines blieb Glanz und Verklärung in all dieser Trübsal: König Midas' herrliche Liburnika, strahlend noch in den Nebeln des herbstlichen Flusses und golden sich spiegelnd im dunstigen Wasser. Golden war die Königsgaleere und sehr reich gemalt, von edelstem Holze und Elfenbein wie Salomos Schiffe, welche drei Jahre die Meere durchfuhren und Gold und Silber und Elfenbein brachten und Affen und Pfauen.

Unbewegt lag das Schiff in Nebel und Regen; seine Segel, hieß es, würden nur manchmal zum Lüften gesetzt. Das klang dem König wunderlich, daß sich die Segel niemals schwellten zur Fahrt und das Schiff nur wie ein Gleichnis war und keine Wirklichkeit. Die leeren Maste waren nur wie zarte, goldene Striche im Gewölk. Aber der Rumpf des Schiffes war verfault und morsch. War König Friedrichs Liburnika nur ein gespenstisches Zeichen der Vergangenheit mit all ihrem trügerischen, tötenden Golde?

Baren Hauptes stand der Herr im Regen, als harre er des Anbruchs einer neuen Zeit; als sei die Neubegründung dieser Stadt wie der Abschluß eines Paktes mit Gott, vor dem er aus Brandenburg geflohen war.

Schon wußte König Friedrich Wilhelm die erste Truppe auf Potsdams neue Tore, die vorerst nur als Sockel standen, zumarschieren. Wo einst die zarten Gitterwerke den Lustgarten milde umhegten, ragte nun ein häßlicher Palisadenzaun auf, dessen Einfahrt rechts und links von Kanonen und Wachthäuschen besetzt war. Eine Stadtmauer erstand, dereinst die Grenadiere wachsam zu umschließen, denn die Söldner desertierten gar zu leicht, auch in der Nähe des Königs oder gerade um der Nähe willen. Vom Zug der Langen Brücke führte der Herr einen verpalisadierten Damm vor die werdende Stadt hinaus, über die Strominseln hinweg, sie miteinander zu verbinden und eine feste Zufahrt- und Anmarschstraße zu schaffen.

Diesen Morgen waren seine einstigen Kronprinzengrenadiere von Wusterhausen und Köpenick nach Potsdam aufgebrochen, die übrigen neueren Regimenter unterwegs nach Brandenburg und Havelberg, von wo er sie später nach Potsdam holen wollte; denn er gedachte Potsdam zur Geburtsstadt des künftigen Heeres zu machen. Es war eine große Wanderung von Soldaten im Land.

Heute wollte sich der Herr nun auch wieder auf die Fahrt begeben. Er wartete nur, daß der Regen verrauschte, dann ließ er den Wagen bestellen. Eilig fuhr er in die alte Residenz zurück, die Übersiedlung in die neue vorzunehmen. Reger denn je hielt er Ausschau über die Ebene und ihre Wasser, noch einmal die Größe des Wagnisses zu überprüfen. Erinnerung an die holländische Jugendfahrt kam ihm. Hollands Reinlichkeit und Ordnung hoffte er über die Öde zu breiten und all ihre Wirrnis zu glätten.

Da schimmerte ein See. Da leuchtete ein hügelan steigender Wald über dem jenseitigen Ufer der Havel auf. Der König löschte die harten Worte aus seinem Herzen: Öde und Wirrnis. Wie ein Zeichen der Versöhnung war es ihm, daß die harte Landschaft sich lieblich verklärte.

Es war schon ausgesprengt von Dorf zu Dorf zur Hauptstadt hin, daß der Grollende nun wiederkäme. Als er einfuhr, um Abschied zu nehmen, wurde es ein wunderlicher Einzug. Er, der sich bei der Thronbesteigung jede Huldigung verbeten hatte, erfuhr den seltsamsten Triumph, der sich wohl je im Leben eines Herrschers ereignete.

Die Götter der Antike jubelten ihm zu, die Helden Griechenlands und die Vestalinnen der Heiligen Hügel Roms umdrängten seinen Wagen.

Der König fuhr vom Brandenburger Tor die sechsfache Allee von Linden entlang dem Großen Residenzschloß zu. Dort standen sie zu beiden Seiten der Allee unter den entlaubten Bäumen, gedrängt noch sogar auf dem majestätischen Forum um die Brücke, das Schloß und das Zeughaus in seinem leidensvollen, leidenschaftlichen Schmuck von Trophäenbündeln, Helmen, Kriegerköpfen, Römern und Landsknechten, bärtigen und blutigen Gesichtern. Dort harrten sie seiner und winkten und grüßten: Minerva und Hermes, Juno und Zeus, Achill und Athene in wehender Toga und faltigem Chiton, auf Hirtenstäbe und Lanzen sich stützend.

Denn die Götter Roms und die Helden von Hellas waren alt und siech. Bettler waren sie, Verlorene aus den schmutzigen Gassen, kürzlich erst vom Herrn aus dem aufgelösten Fundus von König Friedrichs Großer Oper beschenkt. Sie grüßten König Midas' Sohn, den jungen, der ihrem Elend eine ungeahnte Hoffnung wurde, sie beschenkte und kleidete und, indem er ihre Armut schmückte mit dem Linnen der Götter und den Fellen olympischer Hirten, furchtbares Gericht sprach über allen Zauber, alle Lüge, mit dem man vor dem alten König ihre Not verborgen hatte.

Er möge sie nicht verlassen, riefen sie ihm zu. Der Herr hielt an und sprach freundlich zu den siechen Göttern. Er gehe zwar nun von Berlin fort, doch ihr Jammer sei bei ihm, wohin er sich auch wende. Da wichen sie dankend zurück in ihre dunklen Straßen, Gassen und Höfe: Apollon und Mars. Adonis und Ceres, Luna und Morpheus. Die Götter schlurften durch die Stadt, auf Lanzen gestützt, an Hirtenstäbe sich klammernd, und redeten von großer Hoffnung; nun war einer da, der über sie wachte, daß ihre späten Erdentage nicht mehr von Verängstigung in Erschöpfung verrannen.

 

In den Stunden seines Abschiedes von Berlin trafen zwei Boten des Todes bei dem König ein. Die alte Kurfürstin von Hannover, die gemeinsame Großmutter des Königspaares, war gestorben, nachdem sie bis in ihr vierundachtzigstes Jahr darauf geharrt hatte, als Enkelin Jakobs I. die Krone der letzten erbberechtigten Stuart zu erhalten.

Die Thronfolge trat in Kraft. Der Kurfürst von Hannover, der Vater der preußischen Königin, der Oheim und Schwiegervater des Königs von Preußen, war in den Herbststürmen der Nordsee schon auf der Reise nach dem Inselreich, die Kronen Englands, Schottlands und Irlands entgegenzunehmen und den bedeutendsten Thron der protestantischen Christenheit zu besteigen. Der Kurprinz von Hannover, der Bruder der preußischen Königin, und seine Gattin von Brandenburg-Ansbach führten bereits den neuen Titel des Prinzen und der Prinzessin von Wales.

Aber auch eine Botschaft des Lebens hielt König Friedrich Wilhelm noch einmal in der alten Residenz zurück. Die Königin hatte in Monbijou eine Tochter geboren.

In Königin Sophie Dorothea verblaßte die Freude neuer Mutterschaft vor dem alles in Schatten stellenden Stolz, zur Tochter des Königs von England geworden zu sein und solche Botschaft zu einem Zeitpunkt zu empfangen, zu dem sie selbst schon unter die Königinnen erhoben war. All die Ärmlichkeit Preußens, die sie sonst erbitterte, war vergessen.

In solchen Gefühlen liebte sie auch den Gatten; durch ihn war sie zur Königin geworden, zur Mutter des künftigen Königs und vielleicht sehr vieler Königinnen. Sie zählte die Kronen Europas.

»Es ist schön, viele Kinder zu haben«, sagte sie schimmernden Blickes zum König. Da küßte er seine Frau, wie er sie noch niemals umarmte, in einem durchglüht von der Woge der Fruchtbarkeit und der Lobpreisung Gottes. Im tiefsten Grunde, in der Seele, war es schon um diese Stunde, daß er sein nächstes Kind zeugte. Denn die Seele ist noch stärker als der Trieb, und Kinder werden aus dem Lobgesang der Schöpfung. Auch werden die Väter an Gott und nicht an der Frau.

Der König bat die Wöchnerin, ihm bald in seine neue Stadt zu folgen; noch könne er ihr es nicht zumuten; das Notwendigste müsse er erst für sie herrichten lassen. Seltsamerweise fügte er aber auch noch hinzu, ob sie ihn denn wohl auch in ein Feldlager begleiten würde, das noch kärglicher wäre als die neue Residenz.

Die Königin, die sich am Anfang unendlichen Aufstieges fühlte und sich unter den gekrönten Häuptern Europas Rat halten sah im Purpurzelte des fahnenumflatterten Lagers, lächelte beseligt.

»Ja, Majestät« – sie hauchte es, weil ihr Herz so gewaltig zu hämmern begann – »auch in den Krieg.«

Der König sah nur das Lächeln. Der König hörte nur das verhauchende Ja.

Selbst in das Lager wollte ihn die Frau begleiten, eine Göttin der Fruchtbarkeit unter den Kriegern!

Und der Krieg war nahe, so nahe wie der Winter; so nahe wie König Karl von Schweden war.

Es war ihm wie ein feierlicher Abschied, als sich der König von Preußen nach seinem neuen Potsdam begab. Nun grüßten ihn schon von ferne die Gerüste der werdenden Stadt wie die Maste eines großen Hafens. Auf der Havel wiegte das goldene Schiff.


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