Heinrich von Kleist
Briefe
Heinrich von Kleist

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1807

102. An Ulrike von Kleist

Meine teuerste Ulrike,

Du wirst zwar schon durch Gleißenberg, oder auf welchem Wege es sei, mein Schicksal erfahren haben, ich muß es Dir aber doch selbst schreiben, damit Du mit Genauigkeit und Bestimmtheit davon unterrichtet wirst. Ich werde mit Gauvain und Ehrenberg, auf Befehl des Generals Clarke, nach Joux in Frankreich (über Mainz, Straßburg, und Besançon) transportiert, um daselbst bis zum Frieden aufbewahrt zu werden. Dir den Grund dieser gewaltsamen Maßregel anzugeben, bin ich nicht imstande, auch scheint es, als ob uns nichts zur Last gelegt würde, als bloß der Umstand, daß wir von Königsberg kamen. Ich hatte, mit einem Paß, den ich mir in Cöslin verschafft, und in Damm und Stettin, wo ich zuerst französische Truppen fand, hatte visieren lassen, glücklich Berlin erreicht. Gauvain und ich waren vorangereist, Ehrenberg kam den andern Tag nach, unsre übrige Reisegesellschaft hatte sich von uns getrennt. Wir wollten auch hier unsre Pässe beim Gouvernement unterzeichnen lassen, hier aber machte man uns die sonderbarsten Schwierigkeiten, verhörte uns, verwarf unsre Dimissionen als falsch, und erklärte uns endlich am dritten Tage, daß wir als Kriegsgefangne nach Frankreich transportiert werden würden. Vergebens beriefen wir uns auf unsre Unschuld, und daß eine ganze Menge der angesehensten Männer unsre Aussage bekräftigen könnten; ohne uns anzuhören, wurden wir arretiert, und am andern Morgen schon, durch die Gensdarmerie, nach Wustermark abgeführt. Du kannst Dir unsern Schreck und unsre bösen Aussichten für die Zukunft denken, als wir hier, den gemeinsten Verbrechern gleich, in ein unterirdisches Gefängnis eingesperrt wurden, das wirklich nicht abscheulicher gefunden werden kann. Es gelang uns glücklich, am folgenden Tage, einen der Gensdarmen, die uns begleiteten, von der Ungerechtigkeit, die uns betroffen, zu überzeugen; er mußte seiner Order gehorchen, versicherte aber, daß er uns von Station zu Station empfehlen würde, und wirklich werden wir auch jetzt an den meisten Orten, unter einer Bewachung vor den Zimmern, einquartiert. Kann man sich aber etwas Übereilteres, als diese Maßregel denken? Man vermißt ganz das gute Urteil der Franzosen darin. Vielleicht gibt es nicht drei Menschen in der Welt, die ihnen gleichgültiger sein konnten, als wir, in jenem Augenblick. Die Reise geht, wie ich Dir schon gesagt habe, nach Joux, einem Schloß bei Pontarlier, auf der Straße von Neufchâtel nach Paris. Was uns dort bevorsteht, ist wahrscheinlich in einem verschlossnen Briefe enthalten, der uns begleitet, und schwerlich etwas Besseres, als Staatsgefangenschaft. Ich hoffe immer noch von Tage zu Tage, daß die Versuche, die wir schriftlich beim Gen. Clarke gemacht haben, diesen überall als vortrefflich bekannten Mann von unsrer Unschuld überzeugen werden. Wäre dies nicht, so würde ich mir ewig Vorwürfe machen, die Gelegenheiten, die sich mir täglich und stündlich zur Wiedererlangung meiner Freiheit anbieten, nicht benutzt zu haben. Ob mich gleich jetzt die Zukunft unruhig macht, so bin ich doch derjenige von meinen beiden Reisegefährten, der diese Gewalttat am leichtesten verschmerzen kann; denn wenn nur dort meine Lage einigermaßen erträglich ist, so kann ich daselbst meine literarischen Projekte ebenso gut ausführen, als anderswo. Bekümmre Dich also meinetwegen nicht übermäßig, ich bin gesunder als jemals, und das Leben ist noch reich genug, um zwei oder drei unbequeme Monate aufzuwiegen. Lebe wohl, grüße alles, ich werde Dir bald wieder schreiben, und Briefe von Dir in Joux erwarten.

H. v. Kleist.

Marburg, den 17. Feb. 1807

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103. An den Festungskommandanten de Bureau

A Monsieur Monsieur de Bureau, Commandant du fort de Joux à Pontarlier.

Mon camerade, Msr. d'Ehrenberg, me chargé, de Vous rendre grace, de ce que Vous avès eu la bonté, de lui envoyer le voyage en Italie, d'Archenholz. C'est un compatriote, qu'il retrouve à l'étranger. Je Vous remercie de même, Monsieur, moi et Msr. de Gauvain, du Dictionaire et de la Grammaire française, que Vous avès bien voulu nous prêter; nous en ferons le meilleur usage que possible. J'ai l'honneur de Vous saluer.

Kleist.

Au fort de Joux, 31 Mars, 1807

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104. An Ulrike von Kleist

Chalons sur Marne, den 23. April 1807

Meine teuerste Ulrike,

Wenn Du meinen Brief von ohngefähr dem 8. oder 10. Febr. erhalten hast, so wirst Du wissen, was für eine sonderbare Veranlassung mich, als einen Staatsgefangnen, nach Frankreich gesprengt hat. Ich setze voraus, daß Dir dieser Brief richtig durch Schlotheim zugekommen ist, und so fahre ich fort, Dir von dem Verlauf meiner Schicksale Nachricht zu geben. Nachdem wir noch mehrere Male in die Gefängnisse geworfen worden waren, und an Orten, wo dies nicht geschah, Schritte tun mußten, die fast ebenso peinlich waren als das Gefängnis, kamen wir endlich den 5. März im Fort de Joux an. Nichts kann öder sein, als der Anblick dieses, auf einem nackten Felsen liegenden, Schlosses, das zu keinem andern Zweck, als zur Aufbewahrung der Gefangenen, noch unterhalten wird. Wir mußten aussteigen, und zu Fuße hinauf gehn; das Wetter war entsetzlich, und der Sturm drohte uns, auf diesem schmalen, eisbedeckten Wege, in den Abgrund hinunter zu wehen. Im Elsaß, und auf der Straße weiterhin, ging der Frühling schon auf, wir hatten in Besançon schon Rosen gesehen; doch hier, auf diesem Schlosse an dem nördlichen Abhang des Jura, lag noch drei Fuß hoher Schnee. Man fing damit an, meinen beiden Reisegefährten alles Geld abzunehmen, wobei man mich als Dolmetscher gebrauchte; mir konnte man keins abnehmen, denn ich hatte nichts. Hierauf versicherte man uns, daß wir es recht gut haben würden, und fing damit an, uns, jeden abgesondert, in ein Gewölbe zu führen, das zum Teil in den Felsen gehauen, zum Teil von großen Quadersteinen aufgeführt, ohne Licht und ohne Luft war. Nichts geht über die Beredsamkeit der Franzosen. Gauvain kam in das Gefängnis zu sitzen, in welchem Toussaint l'Ouverture gestorben war; unsre Fenster waren mit dreifachen Gittern versehen, und wie viele Türen hinter uns verschlossen wurden, das weiß ich gar nicht; und doch hießen diese Behältnisse anständige und erträgliche Wohnungen. Wenn man uns Essen brachte, war ein Offizier dabei gegenwärtig, kaum daß man uns, aus Furcht vor staatsgefährlichen Anschlägen, Messer und Gabeln zugestand. Das Sonderbarste war, daß man uns in dieser hülflosen Lage nichts aussetzte; aber da man nicht wußte, ob wir Staatsgefangne oder Kriegsgefangne waren (ein Umstand, den unsre Order zweifelhaft gelassen hatte): auf welchem Fuß sollte man uns bezahlen? Der Franzose stirbt eher, und läßt die ganze Welt umkommen, ehe er gegen seine Gesetze verfährt. Diese Lage war inzwischen zu qualvoll, als daß sie meine beiden Gefährten, die von Natur krankhaft sind, lange hätten aushalten können. Sie verlangten Ärzte, ich schrieb an den Kommandanten, und dieser, der ein edelmütiger Mann schien, und das Mißverständnis, das bei dieser Sache obwalten mußte, schon voraussah, verwandte sich bei dem Gouverneur in Besançon, worauf man uns andere Behältnisse anwies, die wenigstens den Namen der Wohnungen verdienen konnten. Jetzt konnten wir, auf unser Ehrenwort, auf den Wällen spazieren gehen, das Wetter war schön, die Gegend umher romantisch, und da meine Freunde mir, für den Augenblick, aus der Not halfen, und mein Zimmer mir Bequemlichkeiten genug zum Arbeiten anbot, so war ich auch schon wieder vergnügt, und über meiner Lage ziemlich getröstet. Inzwischen hatten wir, gleich bei unsrer Ankunft, unsre Memoriale an den Kriegsminister eingereicht, und die Abschriften davon an den Prinzen August geschickt. Da unsre Arretierung in Berlin in der Tat ein bloßes Mißverständnis war, und uns, wegen unseres Betragens, gar kein bestimmter Vorwurf gemacht werden konnte, so befahl der Kriegsminister, daß wir aus dem Fort entlassen, und, den andern Kriegsgefangnen gleich, nach Chalons sur Marne geschickt werden sollten. Hier sitzen wir nun, mit völliger Freiheit zwar, auf unser Ehrenwort, doch Du kannst denken, in welcher Lage, bei so ungeheuren Kosten, die uns alle diese Reisen verursacht haben, und bei der hartnäckigen Verweigerung des Soldes, den die andern Kriegsgefangnen ziehn. Ich habe von neuem an den Kriegsminister und an den Prinzen August geschrieben, und da es ganz unerhört ist, einen Bürger, der die Waffen im Felde nicht getragen hat, zum Kriegsgefangnen zu machen, so hoffe ich auf meine Befreiung, oder wenigstens auf gänzliche Gleichschätzung mit den übrigen Offizieren. Daß übrigens alle diese Übel mich wenig angreifen, kannst Du von einem Herzen hoffen, das mit größeren und mit den größesten auf das Innigste vertraut ist. Schreibe mir nur, wie es Dir und den Schorinschen geht, denn dies ist der eigentliche Zweck dieses Briefes, da die Kriegsunruhen, die sich bald nach meiner Entfernung aus Pommern dahin zogen, mich mit der lebhaftesten Sorge für Euch erfüllt haben. Lebe wohl und grüße alles, sobald sich mein Schicksal ändert schreib ich Dir wieder, wenn ich nur Deine Adresse weiß.

Dein Heinrich v. Kleist.

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105. An Ulrike von Kleist

Wie frohlocke ich, meine teuerste Ulrike, wenn ich alles denke, was Du mir bist, und welch eine Freundin mir der Himmel an Dir geschenkt hat! Ich höre, daß Du Dich in Berlin aufhältst, um bei dem Gen. Clarke meine Befreiung zu betreiben. Von Tage zu Tage habe ich auf die Erfüllung des Versprechens gewartet, das er Dir und der Kl[eisten] darüber gegeben haben soll, und angestanden, Dir zu schreiben, um Dich nicht zu neuen, allzufrühzeitigen Vorstellungen zu verleiten. Man hätte Dir die Antwort geben können, daß der Befehl darüber noch nicht an den hiesigen Kommandanten angekommen wäre. Doch jetzt, nach einer fast vierwöchentlichen vergeblichen Erwartung, scheint es mir wahrscheinlich, daß gar keiner ausgefertigt worden ist, und daß man Dich, mein vortreffliches Mädchen, bloß mit Vorgespiegelungen abgefertigt hat. Ich weiß sogar aus einer sicheren Quelle, daß der hiesige Kommandant wegen meiner Instruktionen hat, die mit dem guten Willen, mich loszulassen, nicht in der besten Verbindung stehn. Inzwischen ist meine Lage hier, unter Menschen, die von Schmach und Elend niedergedrückt sind, wie Du Dir leicht denken kannst, die widerwärtigste; ob ein Frieden überhaupt sein wird, wissen die Götter; und ich sehne mich in mein Vaterland zurück. Es wäre vielleicht noch ein neuer Versuch bei dem Gen. Clarke zu wagen. Vielleicht, daß er immer noch geglaubt hat, etwas herauszubringen, wo nichts herauszubringen ist, daß er mit diesem Verfahren hat Zeit gewinnen wollen und sich jetzt endlich von der Nutzlosigkeit meiner Gefangenschaft überzeugt hat. Wie gern möchte ich Dir, zu so vielem andern, auch noch diese Befreiung daraus verdanken! Wie willkommen ist mir der Wechsel gewesen, den Du mir durch Schlotheim überschickt hast. Es wird Dir unerhört scheinen, wenn ich Dir versichere, daß ich während der ganzen zwei ersten Monate meiner Gefangenschaft keinen Sol erhalten habe; daß ich von einem Ort zum andern verwiesen worden bin; daß mir auch noch jetzt alle Reklamationen nichts helfen, und kurz, daß ich darum förmlich betrogen worden bin. Der allgemeine Grund war immer der, daß man nicht wüßte, ob man mich als Staatsgefangnen oder Kriegsgefangnen behandeln sollte; und ob ich während dieses Streits verhungerte, oder nicht, war einerlei. Jetzt endlich hat es der hiesige Kommandant durchgesetzt, daß ich das gewöhnliche Traktament der kriegsgefangenen Offiziere von 37 Franken monatlich erhalte. Dies und dein Wechsel schützt mich nun vorderhand vor Not; und wenn jetzt nur bald ein Befehl zu meiner Befreiung ankäme, so würde ich, mit den Indemnitäten, die die reisenden Offiziere erhalten, meine Rückreise noch bestreiten können. Zwar, wenn der Friede nicht bald eintritt, so weiß ich kaum, was ich dort soll. Glück kann, unter diesen Umständen, niemandem blühen; doch mir am wenigsten. Rühle hat ein Manuskript, das mir unter andern Verhältnissen das Dreifache wert gewesen wäre, für 24 Louisdor verkaufen müssen. Ich habe deren noch in diesem Augenblick zwei fertig; doch sie sind die Arbeit eines Jahres, von deren Einkommen ich zwei hätte leben sollen, und nun kaum ein halbes bestreiten kann. Inzwischen bleibt es immer das Vorteilhafteste für mich zurückzukehren, und mich irgendwo in der Nähe des Buchhandels aufzuhalten, wo er am wenigsten daniederliegt. – Doch genug jetzt von mir. Es ist widerwärtig, unter Verhältnissen, wie die bestehenden sind, von seiner eignen Not zu reden. Menschen, von, unsrer Art, sollten immer nur die Welt denken. Was sind dies für Zeiten! Und das Hülfloseste daran ist, daß man nicht einmal davon reden darf. – Schreibe mir bald, daß ich nach Berlin zurückkehren kann. Angern und die Kleisten sind jetzt nicht mehr da; meine ganze Hoffnung beruht auf Dich. Adieu.

Heinrich von Kleist.

Chalons sur Marne, d. 8. Juni 1807

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106. An Marie von Kleist

[Chalons sur Marne, Juni 1807]

Was soll jetzt aus meiner Sache werden, da, wie ich höre, auch U[lrike] Berlin verlassen wird, nachdem A[ngern] es längst verlassen hat? Sie sehen, daß alle Ihre Bemühungen für mich gänzlich überflüssig gewesen sind. Von Tage zu Tage habe ich immer noch, dem Versprechen gemäß, das Ihnen der General Clarke gegeben hat, auf eine Order zu meiner Befreiung gewartet. Doch statt dessen sind ganz andre Verfügungen wegen unsrer angekommen, die mir vielmehr alle Hoffnung dazu benehmen. Welch ein unbegreifliches Mißverständnis muß in dieser Sache obwalten. Wenn sich niemand für mich interessierte, weder Sie, noch U[lrike], noch A[ngern], so bliebe mir noch ein Ausweg übrig. Doch so werde ich mich wohl mit dem Gedanken bekannt machen müssen, bis ans Ende des Kriegs in dieser Gefangenschaft aushalten zu müssen. Und wie lange kann dieser Krieg noch dauern, dieser unglückliche Krieg, den vielleicht gar nicht mal ein Friede beendigen wird! Was sind dies für Zeiten. Sie haben mich immer in der Zurückgezogenheit meiner Lebensart für isoliert von der Welt gehalten, und doch ist vielleicht niemand inniger damit verbunden als ich. Wie trostlos ist die Aussicht, die sich uns eröffnet. Zerstreuung, und nicht mehr Bewußtsein, ist der Zustand, der mir wohl tut. Wo ist der Platz, den man jetzt in der Welt einzunehmen sich bestreben könnte, im Augenblicke, wo alles seinen Platz in verwirrter Bewegung verwechselt? Kann man auch nur den Gedanken wagen, glücklich zu sein, wenn alles in Elend darnieder liegt? Ich arbeite, wie Sie wohl denken können, doch ohne Lust und Liebe zur Sache. Wenn ich die Zeitungen gelesen habe, und jetzt mit meinem Herzen voll Kummer die Feder wieder ergreife, so frage ich mich, wie Hamlet den Schauspieler, was mir Hekuba sei? Ernst [v. Pfuel], schreiben Sie mir, ist nach K[önigsberg] zurückgegangen. Es freut mich, weil es das einzige war, was ihm in dieser Lage übrig blieb, doch unersetzlich ist es, daß wir uns nicht, er und R[ühle], in Dresden haben sprechen können. Der Augenblick war so gemacht, uns in der schönsten Begeisterung zu umarmen: wenn wir noch zwei Menschenalter lebten, kömmt es nicht so wieder. Hier in Chalons lebe ich wieder so einsam wie in K[önigsberg]. Kaum merke ich, daß ich in einem fremden Lande bin, und oft ist es mir ein Traum, 100 Meilen gereiset zu sein, ohne meine Lage verändert zu haben. Es ist hier niemand, dem ich mich anschließen möchte: unter den Franzosen nicht, weil mich ein natürlicher Widerwille schon von ihnen entfernt, der noch durch die Behandlung, die wir jetzt erfahren, vermehrt wird, und unter den Deutschen auch nicht. Und doch sehnt sich mein Herz so nach Mitteilung. Letzthin saß ich auf einer Bank im Jard, einer öffentlichen, aber wenig besuchten Promenade, und es fing schon an finster zu werden, als mich jemand, den ich nicht kannte, mit einer Stimme anredete, als ob sie P[fuel] aus der Brust genommen gewesen wäre. Ich kann Ihnen die Wehmut nicht beschreiben, die mich in diesem Augenblick ergriff. Und sein Gespräch war auch ganz so tief und innig, wie ich es nur, einzig auf der Welt, kennen gelernt habe. Es war mir, als ob er bei mir säße, wie in jenem Sommer vor 3 Jahren, wo wir in jeder Unterredung immer wieder auf den Tod, als das ewige Refrain des Lebens zurück kamen. Ach, es ist ein ermüdender Zustand dieses Leben, recht, wie Sie sagten, eine Fatigue. Erscheinungen rings, daß man eine Ewigkeit brauchte, um sie zu würdigen, und, kaum wahrgenommen, schon wieder von andern verdrängt, die ebenso unbegriffen verschwinden. In einer der hiesigen Kirchen ist ein Gemälde, schlecht gezeichnet zwar, doch von der schönsten Erfindung, die man sich denken kann, und Erfindung ist es überall, was ein Werk der Kunst ausmacht. Denn nicht das, was dem Sinn dargestellt ist, sondern das, was das Gemüt, durch diese Wahrnehmung erregt, sich denkt, ist das Kunstwerk. Es sind ein paar geflügelte Engel, die aus den Wohnungen himmlischer Freude niederschweben, um eine Seele zu empfangen. Sie liegt, mit Blässe des Todes übergossen, auf den Knien, der Leib sterbend in die Arme der Engel zurückgesunken. Wie zart sie das zarte berühren; mit den äußersten Spitzen ihrer rosenroten Finger nur das liebliche Wesen, das der Hand des Schicksals jetzt entflohen ist. Und einen Blick aus sterbenden Augen wirft sie auf sie, als ob sie in Gefilde unendlicher Seligkeit hinaussähe: Ich habe nie etwas Rührenderes und Erhebenderes gesehen.

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107. An Otto August Rühle von Lilienstern

Mein liebster Rühle,

ich schreibe Dir nur ganz kurz, um Dir folgende Notizen zu geben. Soeben ist, von dem Gen. Clarke, der Befehl zu meiner Loslassung angekommen. Ich bin aber ganz ohne Geld, und nicht imstande, zu reisen, wenn Du mir nicht unverzüglich das Geld von Arnold schickst. Ich zweifle auch gar nicht daran, daß Du diese Sache schon, auf meinen Brief, vom Ende vorigen Monats (glaub ich), abgemacht hast, und daß das Geld schon unterweges ist. Sollte es aber doch, unvorhergesehener Hindernisse wegen, unmöglich gewesen sein: so mußt Du es entweder noch möglich machen, und zwar ohne allen Verzug (müßtest Du auch einen Teil der Summe dafür aufopfern), oder aber wenigstens meiner Schwester Ulrike davon Nachricht geben, so höchst unangenehm mir auch dieser Schritt wäre. Ich muß Dir sagen, daß es mir äußerst niederschlagend sein würde, wenn ich mir mit allen meinen Bemühungen nicht so viel erstrebt hätte, als nötig ist, mich aus einer Not, wie die jetzige ist, heraus zu reißen. Arnold hat das Buch, wie Du mir geschrieben hast, schon vor 10 Wochen gedruckt; es läßt sich also gar kein billiger Grund denken, warum er so lange mit der Bezahlung zögert. Ich glaube auch nicht, daß er es getan hat; ich glaube auch nicht, daß Deinem Eifer irgend etwas vorzuwerfen sei; die Möglichkeit nur, daß das Geld doch, trotz dem allen ausbleiben könnte, macht mich unruhig. Auf jeden Fall erwarte ich Deine Antwort hier, auf meinen vorigen Brief, die spätestens in 14 Tagen, wenn Du geschrieben hast, hier eintreffen muß. Ich muß auf Befehl des Gen. Clarke, nach Berlin gehen, und mich dort bei ihm melden. Es ist ungeheuer, jemanden so durch die Welt zu jagen, ohne zu fragen, wo er das Geld dazu hernehme? Bis diese Stunde verweigert man mir noch die Reiseentschädigungen, die sonst einem gefangenen Offizier zukommen; und ob ich mich gleich an das Kriegsgouvernement in Paris wenden werde, so ist doch sehr zweifelhaft, ob ich etwas damit ausrichte. Doch die Post drängt, ich muß schließen. Sobald ich in Berlin bin schreibe ich Dir; und eile in Deine Arme, sobald ich dort meinen Paß habe. Denn ein Verhör werde ich doch wohl noch dort auszustehen haben. Lebe wohl, und bleibe treu

Deinem H. Kleist.

Chalons sur Marne, den 13. Juli 1807

N. S. Antworte mir unverzüglich auf diesen Brief. Solltest Du den Wechsel schon abgeschickt haben, so kannst Du genau berechnen, wann ich in Berlin bin. Laß mich auch dort einen Brief vorfinden, der mich genau von Deinen Entschlüssen für die Zukunft unterrichtet. Adieu.

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108. An Ulrike von Kleist

Endlich, meine vortreffliche Ulrike, ist, wahrscheinlich auf Deine wiederholte Verwendung, der Befehl vom Gen. Clarke zu meiner Loslassung angekommen. Ich küsse Dir die Stirn und die Hand. Der Befehl lautet, daß ich, auf Ehrenwort, eine vorgeschriebene Straße befolgen, und mich in Berlin beim Gen. Clarke melden soll, der mich sprechen will. So mancherlei Gedanken mir dies auch erregt, so würde ich doch sogleich meine Reise antreten, wenn ich nicht unpäßlich wäre; wenn man nicht die Unedelmütigkeit hätte, mir die Diäten zu verweigern, die ich mir jedoch noch auszuwirken hoffe; und wenn ich nicht einen Wechsel vom Buchhändler Arnold aus Dresden erwarten müßte, für ein Manuskript, das Rühle daselbst verkauft hat, und von dem er mir geschrieben hat, daß er um diese Zeit abgehen würde. Alle diese Gründe sind schuld daran, daß sich meine Abreise vielleicht noch 14 Tage oder 3 Wochen verspäten wird; doch da sich der Frieden jetzt abschließt, und nach dem Abschluß auch die Auswechselung der Gefangenen sogleich vor sich gehen muß, so ergibt sich vielleicht alsdann eine so viel wohlfeilere Gelegenheit, abzureisen, wenn gleich der Aufenthalt bis dahin hier so viel kostspieliger wird, da ich keinen Sold mehr beziehe.

Die Absicht dieses Briefes ist, Dir, nach der Mitteilung dieser Nachricht einen Vorschlag zu machen. Die Kl[eisten] hat mich versichert, daß die Pension von der K[önigin] nach dem Abschluß des Friedens wieder ihren Fortgang nehmen würde. Da jedoch hierin wenig Sicherheit liegt: denn wer steht uns für einen neuen Krieg? so ist der Plan, diese Pension, bei der nächsten Gelegenheit, in eine Präbende zu verwandeln; und hierin läge dann schon mehr Sicherheit. Wir wollen einmal annehmen, daß uns das Glück auf diese Art günstig wäre; daß ich vorderhand die Pension, und in einiger Zeit, statt ihrer, die Präbende erhielte: was ließe sich wohl damit anfangen?

Ich versichre Dich, meine teuerste Ulrike, daß mir Deine Lage, und das Schmerzhafte, das darin liegen mag, so gegenwärtig ist, als Dir selbst. Ich weiß zwar, daß Du Dich in jedem Verhältnis, auch in dem abhängigsten, würdig betragen würdest; doch die Forderungen, die Dein innerstes Gefühl an Dich macht, kannst Du nicht erfüllen, so lange Du nicht frei bist. Ich selbst kann in keiner Lage glücklich sein, so lange ich es Dich nicht, in der Deinigen, weiß. Ohne mich würdest Du unabhängig sein; und so mußt Du (ich fühle die Verpflichtung auf mich, was Du auch dagegen einwenden mögest), Du mußt es auch wieder durch mich werden. Wenn ich mit Äußerungen dieser Art immer sparsam gewesen bin, so hatte das einen doppelten Grund: einmal, weil es mir zukam, zu glauben, daß Du solche Gefühle bei mir voraussetzest, und dann, weil ich dem Übel nicht abhelfen konnte.

Doch jetzt, dünkt mich, zeigt sich, ein Mittel ihm abzuhelfen; und wenn Du nicht willst, daß ich mich schämen soll, unaufhörlich von Dir angenommen zu haben, so mußt Du auch jetzt etwas von mir annehmen. Ich will Dir die Pension, und das, was in der Folge an ihre Stelle treten könnte, es sei nun eine Präbende, oder etwas anderes, abtreten. Es muß, mit dem Rest Deines Vermögens, für ein Mädchen, wie Du bist, hinreichen, einen kleinen Haushalt zu bestreiten. Laß Dich damit, unabhängig von mir, nieder; wo, gleichviel; ich weiß doch, daß wir uns über den Ort vereinigen werden. Ich will mich mit dem, was ich mir durch meine Kunst erwerbe, bei Dir in die Kost geben. Ich kann Dir darüber keine Berechnung anstellen; ich versichre Dich aber, und Du wirst die Erfahrung machen, daß es mich, wenn nur erst der Frieden hergestellt ist, völlig ernährt. Willst Du auf diese Versicherung hin nichts tun, so lebe die erste Zeit noch bei Schönfeld, oder in Frankfurt, oder wo Du willst; doch wenn Du siehst, daß es damit seine Richtigkeit hat, alsdann, mein liebstes Mädchen, versuche es noch einmal mit mir. Du liesest den Rousseau noch einmal durch, und den Helvetius, oder suchst Flecken und Städte auf Landkarten auf; und ich schreibe. Vielleicht erfährst Du noch einmal, in einer schönen Stunde, was Du eigentlich auf der Welt sollst. Wir werden glücklich sein! Das Gefühl, mit einander zu leben, muß Dir ein Bedürfnis sein, wie mir. Denn ich fühle, daß Du mir die Freundin bist, Du Einzige auf der Welt! Vergleiche mich nicht mit dem, was ich Dir in Königsberg war. Das Unglück macht mich heftig, wild, und ungerecht; doch nichts Sanfteres, und Liebenswürdigeres, als Dein Bruder, wenn er vergnügt ist. Und vergnügt werde ich sein, und bin es schon, da ich den ersten Forderungen, die meine Vernunft an mich macht, nachkommen kann. Denke über alles dies nach, meine teuerste Ulrike; in Berlin, wo ich Dich noch zu finden hoffe, wollen wir weitläufiger mit einander darüber reden. In drei Wochen spätstens muß ich hier abgehen können; und in der fünften bin ich dann in Deinen Armen. Adieu, grüße Gleißenberg. Dein Heinrich, Chalons, den 14. Juli [1807].

N. S. Ich muß Dir sagen, meine teuerste Ulrike, daß ich mich anders entschlossen habe. Man hat mir die Reiseentschädigung bewilligt; und da ich mir den Wechsel von Rühlen, gesetzt er wäre schon von Dresden abgegangen, nach Berlin nachschicken lassen, und dort immer Handlungshäuser sein müssen, die hier Forderungen haben, und bei denen er folglich geltend gemacht werden kann: so will ich mich, auf jene Ungewißheit hin, nicht länger aufhalten, sondern sogleich abgehen. Ich habe Rühlen geschrieben, daß wenn der Wechsel noch nicht abgegangen ist, er jetzt zu Dir nach Berlin geschickt werden soll. Tue mir doch den Gefallen, und wiederhole schriftlich diese Bestimmung an ihn, wenn Du irgend seine Wohnung in Dresden genau erfahren kannst; denn da ich zwischen zwei unglücklichen Hausnummern immer geschwankt habe, so fürchte ich noch obenein, daß ihn mein Brief verfehlt. Auch inliegenden Brief an die Kleisten bitte ich mit der Adresse zu versehen, weil ich lange nichts von ihr gesehen habe, und nicht weiß, ob sie noch in Leuthen ist. In drei, spätstens vier Tagen gehe ich hier, und wenn ich es irgend möglich machen kann, mit dem Kurier, ab, reise Tag und Nacht, und bin in 14 höchstens 16 Tage, bei Dir. Adieu. Ich drücke Dich im voraus schon an meine Brust. Grüße Gl[eißenbergs] und alles, was mir ein wenig gut ist.

H. K.

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109. An Otto August Rühle von Lilienstern

A Monsieur Monsieur de Rühle, Lieutenant de l'Etatmajor de Pruße, actuellement Prisonnier sur parole, à Dresden en Saxe, Pirnsche Vorstadt, Rammsche Gasse N. 134 (oder 143).

Mein liebster Rühle,

Du mußt mir verzeihen, daß ich Dir, in meiner Sache, mit Briefen so oft beschwerlich falle. Doch meine Lage hat so viele Seiten, daß ein Ratschluß immer den anderen verdrängt; und Du weißt, daß es überhaupt nicht meine Kunst ist, zu handeln. Ich habe mich jetzt wieder anders entschlossen. Man hat mir die Reisediäten bewilligt, und da ich auf die Ungewißheit hin, ob Dein Wechsel schon unterweges ist, mich hier nicht länger aufhalten mag, so raffe ich mein Geld zusammen, und gehe, ohne weiteren Verzug, mit dem Kurier von hier ab. Die Hauptrücksicht, die mich dazu bewogen hat, ist diese, daß Dein Wechsel mir ja, wenn er schon abgeschickt sein sollte, nach Berlin nachgeschickt, und dort ebensogut geltend gemacht werden kann, als hier. Denn es müssen dort immer Handlungshäuser sein, welche Forderungen in der Stadt Frankreichs haben, in welcher der Wechsel zahlbar ausgestellt ist; und wäre dies nicht, so stellen sie es à conto, auf eine zukünftige Forderung. Solltest Du aber den Wechsel noch nicht abgeschickt haben, so wäre es mir allerdings jetzt um so viel lieber. In diesem Falle müßtest Du ihn aber doch unverzüglich nach Berlin an meine Schwester Ulrike, bei Gleißenbergs, schicken, indem ich ganz ohne Geld ankomme, und davon sowohl dort leben, als auch meine Reise zu Dir nach Dresden bestreiten muß. Tue Dein Möglichstes, daß es sich einigermaßen in der Ordnung fügt, damit ich meiner Schwester Ulrike nicht zur Last zu fallen brauche, und ihr einige Hoffnungen für die Zukunft geben kann. In vier höchstens sechs Tagen, denk ich mit dem Kurier hier abzugehen, Tag und Nacht, wenn ich es irgend aushalten kann, zu reisen, und in vierzehn Tagen von hier spätestens in Berlin zu sein. Nur wenige Tage halte ich mich dort auf, und fliege dann zu Dir, wo Du mir auch vorläufig ein wohlfeiles Quartier ausmachen mußt. Adieu. Dieser Brief ist von dreien, die ich Dir seit kurzem geschrieben habe, der letzte. Solltest Du, durch einen Zufall, jene später erhalten, oder von Schlotheim und der Kleisten Aufträge erhalten, die diesem jetzigen Briefe widersprechen, so denke, daß die Willensmeinung in diesem meine eigentliche und kategorische ist.

H. v. Kleist.

Chalons sur Marne, den 15. Juli 1807

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110. An Otto August Rühle von Lilienstern

Mein liebster, bester Rühle,

Ich habe Dir nur drei Dinge zu sagen, und setze mich bei Massenbachs geschwind hin, um sie Dir aufzusetzen, weil die Post eilt, und ich den Brief auf dem [Lücke im Text] Wechsel erhalten habe, und [Lücke] herzlich danke.

Alsdann, daß ich über Cottbus, wo ich meine Verwandte sehen will, zu Dir nach Dresden kommen werde. Ein Bette mußt Du mir vorderhand mieten. Siehe zu, daß Pfuel auch hinkömmt.

Drittens endlich beschwöre ich Dich (wenn Du dieses Entschlusses sein solltest) allem, was in den Zeitungen über und gegen Dich gesagt werden mag, öffentlich auch nicht einer Silbe zur Antwort zu würdigen. Tue grade, als ob es gar nicht gedruckt worden wäre, und stellt man Dich persönlich zur Rede, so sage, Du wüßtest davon nichts usw., Du läsest nicht, Du schriebst bloß etc. etc. Über die Gründe wollen wir weitläufiger sprechen.

Adieu. In 14 Tagen spätstens, von heut an gerechnet, bin ich bei Dir. Möchte in den ersten 14 Jahren von keiner Trennung die Rede sein! Am 14. August 1821 wollen wir weiter davon sprechen.

H. v. Kleist.

Berlin, den 14. August 1807

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111. An Ulrike von Kleist

Ich habe versucht, meine teuerste Ulrike, Dir zu schreiben; doch meine Lage ist so reich, und mein Herz so voll des Wunsches, sich Dir ganz mitzuteilen, daß ich nicht weiß, wo ich anfangen und enden soll. Schreibe mir doch, ob ich nach Wormlage kommen darf, um Dich zu sprechen? Oder ob wir uns nicht, auf halbem Wege, irgendwo ein Rendezvous geben können? Ich sollte denken, dies letztere müßte möglich sein. Ich will Dich zu bewegen suchen, zu einer Buch-, Karten- und Kunsthandlung, wozu das Privilegium erkauft werden muß, 500 Rth. zu 5 p. C. auf 1 Jahr herzugeben. Adam Müller (ein junger Gelehrter, der hier im Winter, mit ausgezeichnetem Beifall, öffentliche Vorlesungen hält), Rühle und Pfuel (dem sein Bruder das Geld dazu hergibt) sind die Interessenten. Dir alle Gründe darzutun, aus welchen die Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit dieser Unternehmung hervorgeht, ist schriftlich unmöglich. Rühle, der mit dem Prinzen jetzt hier ist, und der Pfueln, durch den Unterricht, den dieser dem Prinzen gibt, eine Pension von 600 Rth. verschafft hat, ist von einer praktischen Geschicklichkeit, alles um sich herum geltend zu machen, die bewundrungswürdig und selten ist. Der Herzog würde ihm sehr gern, nach Verlauf der Erziehungsperiode, einen Posten in seinem Lande geben; doch da sein unerläßliches Bedürfnis ist, frei zu sein, so will er alles an dieses Jahr setzen, um es für die übrige Lebenszeit zu werden. Er ist es daher auch eigentlich, der an die Spitze des ganzen Geschäfts treten wird; ein Umstand, der, dünkt mich, nicht wenig für die Sicherheit seines Erfolgs spricht. Er sowohl, als ich, haben jeder ein Werk drucken lassen, das unsern Buchhändlern 6mal so viel eingebracht hat, als uns. Vier neue Werke liegen fast zum Druck bereit; sollen wir auch hiervon den Gewinn andern überlassen, wenn es nichts als die Hand danach auszustrecken kostet, um ihn zu ergreifen? Die 1200 Rth., die das Privilegium kostet, können nie verloren gehen; denn mißglückt die Unternehmung, so wird es wieder verkauft; und die Zeiten müßten völlig eisern sein, wenn es nicht, auch im schlimmsten Fall, einen größeren Wert haben sollte, als jetzt. Die ganze Idee ist, klein, und nach liberalen Grundsätzen, anzufangen, und das Glück zu prüfen; aber, nach dem Vorbild der Fugger und Medicis, alles hineinzuwerfen, was man auftreiben kann, wenn sich das Glück deutlich erklärt. Erwäge also die Sache, mein teuerstes Mädchen, und wenn Du Dich einigermaßen in diesen Plan, der noch eine weit höhere Tendenz hat, als die merkantilische, hineindenken kannst, so sei mir zu seiner Ausführung behülflich. Ich kann Dir, wie schon erwähnt, nicht alles sagen, was ich auf dem Herzen habe, Du müßtest selbst hier sein, und die Stellung, die wir hier einnehmen, kennen, um beurteilen zu können, wie günstig sie einer solchen Unternehmung ist. Fast möchte ich Dich dazu einladen! Ich würde Dich in die vortrefflichsten Häuser führen können, bei Hazas, beim Baron Buol (Kaisl. Östr. Gesandten) beim App. Rat Körner usw., Häuser, in deren jedem ich fast, wie bei der Kl[eisten] in Potsdam, bin. Zwei meiner Lustspiele (das eine gedruckt, das andere im Manuskript) sind schon mehrere Male in öffentlichen Gesellschaften, und immer mit wiederholtem Beifall, vorgelesen worden. Jetzt wird der Gesandte sogar, auf einem hiesigen Liebhabertheater, eine Aufführung veranstalten, und Fitt (den Du kennst) die Hauptrolle übernehmen. Auch in Weimar läßt Goethe das eine aufführen. Kurz, es geht alles gutKürzlich war ich mit dem östr. Gesandten in Töplitz: bei Gentz, wo ich eine Menge großer Bekanntschaften machte. – Was würdest Du wohl sagen, wenn ich eine Direktionsstelle beim Wiener Theater bekäme? – Grüße alles in Wormlage., meine liebste Ulrike, ich wünsche bloß, daß Du hier wärest, und es mit eignen Augen sehen könntest. Schreibe mir auf welche Art wir es machen, daß wir uns auf einen Tag sprechen, und sei versichert, daß ich ewig Dein treuer Bruder bin, H. v. Kl.

Dresden, den 17. September 1807

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112. An Johann Friedrich Cotta

Ew. Wohlgeboren

haben durch den Hr. v. Rühle, während meiner Abwesenheit aus Deutschland, eine Erzählung erhalten, unter dem Titel Jeronimo und Josephe, und diese Erzählung für das Morgenblatt bestimmt. So lieb und angenehm mir dies auch, wenn ich einen längeren Aufenthalt in Frankreich gemacht hätte, gewesen sein würde, so muß ich doch jetzt, da ich zurückgekehrt bin, wünschen, darüber auf eine andre Art verfügen zu können. Wenn daher mit dem Abdruck noch nicht vorgegangen ist, so bitte ich Ew. Wohlgeboren ergebenst, mir das Manuskript, unter nachstehender Adresse, gefälligst wieder zurückzusenden. Ich setze voraus, daß dieser Wunsch Ew. Wohlgeboren in keine Art der Verlegenheit setzt, und bin mit der vorzüglichsten Hochachtung

Ew. Wohlgeboren ergebenster          
Heinrich von Kleist.

Dresden, den 17. September 1807
Pirnsche Vorstadt, Rammsche Gasse Nr. 123

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113. An Ulrike von Kleist

Ich setze mich nur auf ein paar Augenblicke hin, meine teuerste Ulrike, um Dich zu fragen, ob Du nicht einen Brief erhalten hast, den ich schon vor drei Wochen von hier abgesendet habe? In diesem Briefe ließ ich mich weitläufig über meine Lage, über meine Zukunft, und über ein Projekt aus; Dinge, deren keines ich berühren kann, ohne mich auf bogenlanges Schreiben gefaßt zu machen. Ich weiß zwar, daß Briefe von hier in die Lausitz sehr langsam gehen, Lamprecht, den ich hier gesprochen habe, ist einer 19 Tage unterweges gewesen; doch sollte überhaupt vielleicht die Adresse bei Alt-Döbern falsch sein? Und doch weiß ich keine andere zu setzen. – Antworte mir sobald wie möglich hierauf. Denn, wie gesagt, wenn Du diesen Brief nicht erhalten hast, so muß ich ihn noch einmal schreiben; und Du weißt, wie ungern ich an solche weitläufigen Erörterungen gehe. – Ich wollte, Du wärest hier, um Dich mit mir zu freuen, und alles mit eignen Augen selbst zu sehen. Schriftlich, kann ich Dir kaum etwas anderes sagen, als nur im allgemeinen, daß es mir gut geht. Es erfüllt sich mir alles, ohne Ausnahme, worauf ich gehofft habe – gib mir nur erst, wie gesagt, Nachricht von Dir, so sollst Du mehr hören. Es wäre sonderbar, wenn grade der erste Brief, der Dir Freude zu machen bestimmt war, hätte verloren gehen müssen. Grüße alles, lebe wohl und schreibe bald Deinem

treuen Bruder          
H. v. Kleist.

Dresden, den 3. Oktober 1807
Pirnsche Vorstadt, Rammsche Gasse Nr. 123

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114. An Ulrike von Kleist

H. v. Kleist.

Dresden, den 25. Okt. 1807

Deine Unlust am Schreiben, meine teuerste Ulrike, teile ich nicht mehr mit Dir, seitdem es mir vergönnt ist, Dich von frohen Dingen unterhalten zu können. Es geht mir in jedem Sinne so, wie ich es wünsche, und in dem Maße, als der Erfolg jetzt meine Schritte rechtfertigt, geht mir ein ganzer Stoff zu einer, die Vergangenheit erklärenden, Korrespondenz auf, mit der ich Dir noch verschuldet bin. Ich wußte wohl, daß Du mir in einem Falle, wo es in der Tat darauf ankommt, mir ein Vermögen zu verschaffen, nach so vielen Aufopferungen die letzte nicht verweigern würdest, die ihre ganze schöne Reihe schließt. Wenn es möglich gewesen wäre, rascher zu sein, so hätten wir schon, bei der gegenwärtigen Leipziger Messe, in den Buchhandel eintreten können; doch so hat diese Verzögerung andere nach sich gezogen, so, daß wir uns jetzt nicht eher, als bei der nächstfolgenden, werden darin zeigen können. Inzwischen hat dieser Aufschub, doch auch sein Gutes gehabt. Denn statt des Privilegii, das nun verkauft ist, hat uns der Hr. v. Carlowitz, einer der reichsten Partikuliers des Landes, ein unentgeltliches Privilegium in seiner Immediatstadt Liebstadt angeboten; ein ganz vortrefflicher Umstand, da wir dadurch das Recht bekommen, hier in Dresden ein Warenlager zu halten, und somit aller Vorteile eines städtischen Privilegii teilhaftig werden. Ferner ist während dessen, durch den hiesigen französischen Gesandten, der sich schon während meiner Gefangenschaft für mich interessiert hatte, und dessen nähere Bekanntschaft mir nun geworden ist, an Clarke in Paris geschrieben worden. Es ist nicht unmöglich, daß wir den Kodex Napoleon zum Verlag bekommen, und daß unsere Buchhandlung überhaupt von der französischen Regierung erwählt wird, ihre Publikationen in Deutschland zu verbreiten; wodurch, wie Du leicht denken kannst, die Assiette des ganzen Instituts mit einem Male gegründet wäre. Du wirst nicht voreilig sein, politische Folgerungen aus diesem Schritte zu ziehn, über dessen eigentliche Bedeutung ich mich hier nicht weitläufiger auslassen kann. – Was nun, zur Antwort auf Deinen Brief, den Termin anbetrifft, an welchem ich das Geld erhalten müßte, so kann ich Dir diesen jetzt genau nicht sagen, indem sich, wie gesagt, das Geschäft ein wenig in die Länge gezogen hat; inzwischen würdest Du es doch zu Neujahr in Bereitschaft halten müssen, da von diesem Zeitpunkt an für die kommende Messe vorgearbeitet werden muß. Übrigens muß es Konventionsgeld sein, d. h. der Wert davon, gleichviel in welcher Münzart, wenn nur nicht preußisch. Wenn es uns mit dem Kodex Napoleon glücken sollte (ich bitte Dich, nichts von dieser Sache zu sagen), so würde es vielleicht nötig sein, so schnell und so viel Geld herbei zu schaffen, daß ich noch nicht recht weiß, wie wir uns aus dieser Verlegenheit ziehen werden. 2000 Rth. haben wir in allem zusammen; doch Du kannst leicht denken, daß eine solche Unternehmung mehr erfordert, als dies. Ich nehme hier Gelegenheit zu einem andern Gegenstand überzugehen. Mein Auskommen wird mir in der Folge, wenn alles gut geht, aus einer doppelten Quelle zufließen; einmal aus der Schriftstellerei: und dann aus der Buchhandlung. Da ich die Manuskripte, die ich jetzt fertig habe, zum eignen Verlag aufbewahre, so ernähre ich mich jetzt bloß, durch fragmentarisches Einrücken derselben in Zeitschriften, und Verkauf zum Aufführen an ausländische Bühnen; und doch hat mir dies schon nahe an 300 Rth. eingebracht (der östr. Gesandte hat mir 30 Louisdor von der Wiener Bühne verschafft), woraus Du leicht schließen kannst, daß die Schriftstellerei allein schon hinreicht, mich zu erhalten. Wie wärs also, mein teuerstes Mädchen, wenn Du, statt meiner, als Aktionär in den Buchhandel trätest, der von jener Schriftstellerei ganz abgesondert ist? Du hast immer gewünscht, Dein Vermögen in einer Unternehmung geltend zu machen; und eine günstigere Gelegenheit ist kaum möglich, da der Vorteil, nach einem mäßigen mittleren Durchschnitt 22 p. C. ist. Ich verlange gar nicht, daß Du Dich hierüber kategorisch erklärst, Du mußt notwendig selbst hier sein, um Dich von dem innern Zusammenhang der Sache, und der Solidität derselben, zu überzeugen. Es kömmt gar nicht darauf an, Dich gleich mit Deinem ganzen Vermögen hineinzuwerfen, sondern nur mit einer etwas größeren Summe, als jene 500 Rth., und den Augenblick, wo das übrige zu wagen wäre, von der Zeit zu erwarten. Allerdings müßtest Du, in diesem Falle, jene Erklärung, die Du mir auf unsrer Reise von Gulben nach Wormlage gemacht hast, zurücknehmen und Dich entschließen können, mit mir zusammen zu leben. Und dies würde doch nicht schlechterdings unmöglich sein? Wenn Du vorderhand auf dies alles noch nicht eingehen willst, so bleibt es beim alten, d. h. bei der Verzinsung und Zurückzahlung des Kapitals. Ich sagte es nur, weil ich wünsche, Dir einen Vorteil verschaffen zu können, und weil eine Art von Ungerechtigkeit darin liegt, Dir das Geld zu 5 p. C. zu verinteressieren, während es mir 4mal so viel abwirft. Nichts ist mir unangenehmer, als daß Du ganz abgesondert bist von der literarischen Welt, in dem Augenblick, da Dein Bruder zum zweitenmale darin auftritt. Ich wüßte nicht, was ich darum gäbe, wenn Du hier wärst. Eben jetzt wird in der Behausung des östr. Gesandten, der selbst mitspielt, ein Stück von mir, das noch im Manuskript ist, gegeben, und Du kannst wohl denken, daß es in den Gesellschaften, die der Proben wegen, zusammenkommen, Momente gibt, die ich Dir, meine teuerste Ulrike, gönne; warum? läßt sich besser fühlen, als angeben. Auch bist Du schon völlig in diesen Gesellschaften eingeführt, und es braucht nichts, als Deine Erscheinung, um wie unter Bekannten darin zu leben. Leopold und Gustel stehen in Deinem Briefe auf eine sonderbare Art neben einander. Man könnte sie beide gratulieren – auch beide bedauern; doch dies ist zu hamletisch für diesen Augenblick: ich küsse sie, und schweige. Adieu, lebe wohl, meine liebste Ulrike, grüße alles, und antworte mir bald. Wer hat denn die Hemden gemacht?

N. S. Den 10. Okt. bin ich bei dem östr. Gesandten an der Tafel mit einem Lorbeer gekrönt worden; und das von zwei niedlichsten kleinen Händen, die in Dresden sind. Den Kranz habe ich noch bei mir. In solchen Augenblicken denke ich immer an Dich. Adieu, adieu, adieu – Du wirst mich wieder lieb bekommen.

N. S. Die Quittungen erfolgen hierbei. Aber mit denen vom Jan. und Febr. 1806 hat es nicht seine Richtigkeit. Wann hörten denn die Vorschüsse auf? –

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115. An Adolfine von Werdeck

Seien Sie nicht böse, meine gnädigste Frau, daß ich so viele Jahre habe vorübergehen lassen, ohne Ihnen ein Wort von mir zu sagen. Ich bin, was das Gedächtnis meiner Freunde anbetrifft, mit einer ewigen Jugend begabt, und dies seltsame Bewußtsein ist allein schuld an der Unart, nicht zu schreiben. Eben weil alles, über alle Zweideutigkeit hinaus, so ist, wie es sein soll, glaube ich mich der Verpflichtung überhoben, es zu sagen. Die verschiednen Momente in der Zeit, da mir ein Freund erscheint, kann ich so zusammenknüpfen, daß sie wie ein Leben aussehen, und die fremden Zeiträume, die zwischen ihnen sind, ganz verschwinden. So ist mir der Abend, da ich von Boulogne zurückkehrte, und Sie, mir zu Liebe, die Oper aufopferten, gegenwärtig, als wär er von gestern; und wenn ich Sie wiedersehe, wird mir grade sein, als ob Sie mit Bertuch, von wo? weiß ich nicht, wieder kämen; denn Sie stiegen grade ein, als ich Paris verließ. Nach Dittersbach konnte ich nicht kommen, weil ich in der Tat krank war; und noch jetzt ist mein mittlerer Zustand (der Durchschnitt desselben) krankhaft: meine Nerven sind zerrüttet, und ich bin nur periodenweise gesund. Für Leopolds, mir mitgeteilten, Brief danke ich. Sein Entschluß, wieder in Dienste zu gehen, hat eine doppelte Seite. Wenn er es um des Königs willen tut, so muß man ihn loben; doch tut er es um seinetwillen, bedauern. Was sagen Sie zur Welt, d. h. zur Physiognomie des Augenblicks? Ich finde, daß mitten in seiner Verzerrung etwas Komisches liegt. Es ist, als ob sie im Walzen, gleich einer alten Frau, plötzlich nachgäbe (sie wäre zu Tode getanzt worden, wenn sie fest gehalten hätte); und Sie wissen, was dies auf den Walzer für einen Effekt macht. Ich lache darüber, wenn ich es denke. Wissen Sie denn, daß ich auch einen Schleifer mitgemacht habe, nach dem Fort de Joux, über Chalons und wieder zurück? Es scheint fast, nein: doch dies ist Stoff für die Winterabende, wenn Sie nach Dresden kommen. Wie lange bleiben Sie denn noch aus? Wollen Sie in Dittersbach einschneen; Denn hier hat es schon gestöbert. Grüßen Sie Werdeck, Pfuel empfiehlt sich ihm und Ihnen, auch dem Kleinen, so wie ich, auf den ich mich unmäßig freue.

H. v. Kleist.

Dresden, den 30. Okt. 1807

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116. An Marie von Kleist

[Dresden, Spätherbst 1807]

Ich habe die Penthesilea geendigt, von der ich Ihnen damals, als ich den Gedanken zuerst faßte, wenn Sie sich dessen noch erinnern, einen so begeisterten Brief schrieb. Sie hat ihn wirklich aufgegessen, den Achill, vor Liebe. Erschrecken Sie nicht, es läßt sich lesen. [Lücke im Text] Es ist hier schon zweimal in Gesellschaft vorgelesen worden, und es sind Tränen geflossen, soviel als das Entsetzen, das unvermeidlich dabei war, zuließ. Ich werde einige Blätter aus der Handschrift vom Schluß zusammenraffen, und diesem Brief einlegen. Für Frauen scheint es im Durchschnitt weniger gemacht als für Männer, und auch unter den Männern kann es nur einer Auswahl gefallen. Pfuels kriegerisches Gemüt ist es eigentlich, auf das es durch und durch berechnet ist. Als ich aus meiner Stube mit der Pfeife in der Hand in seine trat, und ihm sagte: jetzt ist sie tot, traten ihm zwei große Tränen in die Augen. Sie kennen seine antike Miene: wenn er die letzten Szenen liest, so sieht man den Tod auf seinem Antlitz. Er ist mir so lieb dadurch geworden, und so Mensch. Ob es, bei den Forderungen, die das Publikum an die Bühne macht, gegeben werden wird, ist eine Frage, die die Zeit entscheiden muß. Ich glaube es nicht, und wünsche es auch nicht, so lange die Kräfte unsrer Schauspieler auf nichts geübt, als Naturen, wie die Kotzebueschen und Ifflandschen sind, nachzuahmen. Wenn man es recht untersucht, so sind zuletzt die Frauen an dem ganzen Verfall unsrer Bühne schuld, und sie sollten entweder gar nicht ins Schauspiel gehen, oder es müßten eigne Bühnen für sie, abgesondert von den Männern, errichtet werden. Ihre Anforderungen an Sittlichkeit und Moral vernichten das ganze Wesen des Drama, und niemals hätte sich das Wesen des griechischen Theaters entwickelt, wenn sie nicht ganz davon ausgeschlossen gewesen wären.

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117. An Marie von Kleist

[Dresden, Spätherbst 1807]

Daß Ihnen, wie Sie in R[ühle]s Brief sagen, das letzte, in seiner abgerißnen Form höchst barbarische Fragment der Penthesilea, worin sie den Achill tot schlägt, gleichwohl Tränen entlockt hat, ist mir, weil es beweiset, daß Sie die Möglichkeit einer dramatischen Motivierung denken können, selbst etwas so Rührendes, daß ich Ihnen gleich das Fragment schicken muß, worin sie ihn küßt, und wodurch jenes allererst rührend wird. Diese Ihre Neigung, sich auf die Partei des Dichters zu werfen, und durch Ihre eigne Einbildung geltend zu machen, was nur halb gesagt ist, bestimmt mich, mir öfter das Vergnügen zu machen, Ihnen im Laufe meiner Arbeiten abgerissne Stücke derselben zuzusenden. Um alles in der Welt möcht ich kein so von kassierten Varianten strotzendes Manuskript einem andern mitteilen, der nicht von dem Grundsatz ausginge, daß alles seinen guten Grund hat. Doch Sie, die sich den Text mitten aus allen Korrekturen, in voller Autorität, als wäre er groß Fraktur gedruckt, herausklauben, macht es mir Vergnügen zu zeigen, wo mein Gefühl geschwankt hat.

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118. An Marie von Kleist

[Dresden, Spätherbst 1807]

Unbeschreiblich rührend ist mir alles, was Sie mir über die Penthesilea schreiben. Es ist wahr, mein innerstes Wesen liegt darin, und Sie haben es wie eine Seherin aufgefaßt: der ganze Schmutz zugleich und Glanz meiner Seele. Jetzt bin ich nur neugierig, was Sie zu dem Käthchen von Heilbronn sagen werden, denn das ist die Kehrseite der Penthesilea, ihr andrer Pol, ein Wesen, das ebenso mächtig ist durch gänzliche Hingebung, als jene durch Handeln.

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119. An Ulrike von Kleist

Ich habe gewagt, meine teuerste Ulrike, auf die 500 Rth., die Du mir versprachst, zu rechnen, und in der Hoffnung, daß sie mit Weihnachten eingehen werden, den Verlag eines Kunstjournals, Phöbus, mit Adam Müller, anzufangen. Die Verlagskosten, für den ganzen Jahrgang, betragen 2500 Rth., wozu Rühle 700 und Pfuel 900 Rth. hergeben, macht mit meinen 500 Rth. in allem 2100 Rth., der Rest kann von dem, was monatlich eingeht, schon bestritten werden. Es ist noch nie eine Buchhandlung unter so günstigen Aussichten eröffnet worden; eben weil wir die Manuskripte selbst verfertigen, die wir drucken und verlegen. Rühles Buch über den Feldzug hat die zweite Auflage erlebt; er bekömmt zum zweitenmal von Cotta 300 Rth. Und hätte er es selbst verlegt, so wären 2000 Rth. das mindeste, was es ihm eingebracht hätte. Das erste Heft des Phöbus wird Ende Januars erscheinen; Wieland auch (der alte) und Johannes Müller, vielleicht auch Goethe, werden Beiträge liefern. Sobald die Anzeigen gedruckt sind, werde ich Dir eine schicken. Ich wünsche nichts, als daß Du hier wärst, um Dich von dem innersten Wesen der Sache besser überzeugen zu können. Ich bin im Besitz dreier völlig fertigen Manuskripte, deren jedes mir denselben Gewinn verschaffen würde, den wir von dem Journal erwarten, und das ich nur bloß nicht drucken lassen kann, weil mir das Geld dazu fehlt. Inzwischen denken wir doch, daß wir zu Ostern schon so viel zusammengebracht haben, um eines davon: Penthesilea, ein Trauerspiel, zu verlegen. Wenn Du Dich entschließen könntest, hierher zu ziehen, so wären folgende Sachen gewiß, 1) ich würde Dir im ersten Jahre nichts kosten, 2) im zweiten würd ich Dich unterstützen können, 3) Du würdest mit eignen Augen sehen können, ob die Sache glückt oder nicht, 4) Du würdest Dich, wenn sie glückt, mit Deinem ganzen Vermögen hinein werfen können, 5) dadurch würde die Sache, die sich vielleicht sonst nur langsam entwickelt, ganz schnell reifen, und 6) und letztens, wir würden uns einander lieben können. Was willst Du gegen so viel Gründe einwenden – Überlege Dir die Sache und schreibe mir. Ich muß schließen, ich bin wieder ein Geschäftsmann geworden, doch in einer angenehmeren Sphäre, als in Königsberg. – Was wäre doch wohl in Königsberg aus mir geworden? – Adieu, grüß alles, was mir gut ist, vielleicht komme ich im Frühjahr auf ein paar Tage, und sehe, was Ihr macht.

Dein Heinrich.

Dresden, den 17. Dez. 1807

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120. An Christoph Martin Wieland

Dresden, den 17. Dez. 1807
Pirnsche Vorstadt, Rammsche Gasse Nr. 123.

Mein verehrungswürdigster Freund,

Mein Herz ist, wie ich eben jetzt, da ich die Feder ergreife, empfinde, bei dem Gedanken an Sie noch ebenso gerührt, als ob ich, von Beweisen Ihrer Güte überschüttet, Oßmanstedt gestern oder vorgestern verlassen hätte. Sie können mich, und die Empfindung meiner innigsten Verehrung Ihrer, noch viel weniger aus dem Gedächtnis verloren haben, da Ihnen die göttliche Eigenschaft, nicht älter zu werden, mehr als irgend einem andern Menschen zuteil geworden ist. Im März dieses Jahres schrieb ich Ihnen zweimal vom Fort de Joux, einem festen Schloß bei Neufchâtel, wohin ich durch ein unglückliches, aber bald wieder aufgeklärtes, Mißverständnis, als ein Staatsgefangener abgeführt worden war. Der Gegenstand meines Briefes war, wenn ich nicht irre, der Amphitryon, eine Umarbeitung des Molierischen, die Ihnen vielleicht jetzt durch den Druck bekannt sein wird, und von der Ihnen damals das Manuskript, zur gütigen Empfehlung an einen Buchhändler, zugeschickt werden sollte. Doch alle Schreiben, die ich von jenem unglücklichen Fort erließ, scheinen von dem Kommandanten unterdrückt worden zu sein; und so ging die Sache einen ganz anderen Gang. Jetzt bin ich willens, mit Adam Müller, dem Lehrer des Gegensatzes, der hier, während mehrerer Winter schon, ästhetische, von dem Publiko sehr gut aufgenommene, Vorlesungen gehalten hat, ein Kunstjournal herauszugeben, monatsweise, unter dem Titel, weil doch einer gewählt werden muß: Phöbus. Ich bin im Besitz dreier Manuskripte, mit denen ich, für das kommende Jahr, fragmentarisch darin aufzutreten hoffe; einem Trauerspiel, Penthesilea; einem Lustspiel, der zerbrochne Krug (wovon der Gh. Rt. v. Goethe eine Abschrift besitzt, die Sie leicht, wenn die Erscheinung Sie interessiert, von ihm erhalten könnten); und einer Erzählung, die Marquise von O.. Adam Müller wird seine ästh. und phil. Vorlesungen geben; und durch günstige Verhältnisse sind wir in den Besitz einiger noch ungedruckter Schriften des Novalis gekommen, die gleichfalls in den ersten Heften erscheinen sollen. Ich bitte Sie, mein verehrungswürdigster Freund, um die Erlaubnis, Sie in der Anzeige als einen der Beitragliefernden nennen zu dürfen; einmal, in der Reihe der Jahre, da Sie der Erde noch, und nicht den Sternen angehören, werden Sie schon einen Aufsatz für meinen Phöbus erübrigen können; wenn Sie gleich Ihrem eigenen Merkur damit karg sind. Ferner wünsche ich, daß Sie den Hr. Hofrat Böttiger für das Institut interessieren möchten; es sei nun, daß Sie ihn bewegten, uns unmittelbar mit Beiträgen zu beschenken (wir zahlen 30 Rth. p[ro] B[ogen])wir verlegen selbst., oder auch nur, diese junge literarische Erscheinung im allgemeinen unter seinen kritischen Schutz zu nehmen. Ich werde zwar selbst deshalb meinen Antrag bei ihm machen; doch ein Wort von Ihnen dürfte mich leicht besser empfehlen, als alle meine Dramen und Erzählungen. Ich wollte, ich könnte Ihnen die Penthesilea so, bei dem Kamin, aus dem Stegreif vortragen, wie damals den Robert Guiskard. Entsinnen Sie sich dessen wohl noch? Das war der stolzeste Augenblick meines Lebens. Soviel ist gewiß: ich habe eine Tragödie (Sie wissen, wie ich mich damit gequält habe) von der Brust heruntergehustet; und fühle mich wieder ganz frei! In kurzem soll auch der Robert Guiskard folgen; und ich überlasse es Ihnen, mir alsdann zu sagen, welches von beiden besser sei; denn ich weiß es nicht. – Wo ist denn Louis? Was macht Ihre vortreffliche Tochter Louise? und die übrigen Ihrigen? – Vielleicht, daß ich in kurzem mit Rühle, dem Gouverneur des Prinzen Bernhard, zu Ihnen komme, und mich völlig wieder in Ihrem Gedächtnis auffrische, wenn die Zeit doch mein Bild bei Ihnen ein wenig verlöscht haben sollte. Erfreuen und beehren Sie bald mit einer Antwort Ihren treuen und gehorsamen

Heinrich von Kleist.

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121. An Johann Friedrich Cotta

Ew. Wohlgeboren

habe ich das Vergnügen zu melden, daß Hr. Adam Müller und ich, durch den Kapitalvorschuß eines Kunstfreundes, in den Stand gesetzt worden sind, ein Kunstjournal, unter dem Titel: Phöbus, monatsweise, nach dem erweiterten Plane der Horen, zu redigieren und zu verlegen. Die Herren p. Wieland, Böttiger, Joh. Müller, wie wir hoffen, auch Hr. v. Goethe, ohne andere würdige Namen zu nennen, werden die Güte haben, uns mit Beiträgen zu unterstützen, und Hr. Maler Hartmann, da es mit Zeichnungen erscheinen soll, die Redaktion der Kupferstiche übernehmen. Da der Fortgang dieses, einzig zur Festhaltung deutscher Kunst und Wissenschaft, gegründeten Instituts schlechthin nicht anders, als unter Ew. Wohlgeb. Schutz möglich ist, so haben wir, im ganz unumstößlichen Vertrauen auf Ihre Beförderung, gewagt, Sie in der Anzeige, als Kommissionär für Tübingen, zu nennen. Wir empfehlen Ew. Wohlgeb. den Phöbus, sowohl was die Einsammlung der Bestellungen, als den Vertrieb selbst betrifft, auf das Angelegentlichste und Dringendste, damit er, trotz seiner Verspätung, seines Namens noch würdig, in unserm Vaterlande erscheine. Aus inliegender Anzeige, der eine größere noch folgen wird, werden Sie den Plan dieser, in diesem Augenblick mit keiner andern ihrer Art wetteifernden Zeitschrift übersehen. Ew. Wohlgeb. übersende ich zugleich einen Aufsatz für das Morgenblatt, in welchem ich nicht, wenn es mir vergönnt ist, unterlassen werde, von Zeit zu Zeit aufzutreten. Ich ersuche Sie, den Abdruck der überschickten Anzeigen gefälligst dafür in das Morgenblatt und die allgemeine Zeitung einrücken zu lassen (möglichst bald beides) und mir die Differenz der Werte, falls ich der Schuldner bliebe, gütigst zur Erstattung anzuzeigen. In sichrer Hoffnung, in allen diesen Stücken keine Fehlbitte zu tun, habe ich die Ehre, mit der vorzüglichsten Hochachtung zu sein

Ew. Wohlgeboren ergebenster          
Heinrich v. Kleist.

Dresden, den 21. Dez. 1807
Pirnsche Vorstadt, Rammsche Gasse Nr. 123

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122. An Hans von Auerswald

Hochwohlgeborner Herr,
Hochzuverehrender Herr Geheimer Oberfinanzrat,

Ew. Hochwohlgeboren nehme ich mir die Freiheit, in der Anlage die Anzeige eines Kunstjournals zu überschicken, das ich, unterstützt von den Hr. p. Wieland, Goethe, für das Jahr 1808 herauszugeben denke. Mir werden die vielfältigen Beweise von Gewogenheit, die ich, während meiner Anstellung bei der Kammer, in Ew. Hochwohlgeboren Hause empfing, ewig unvergeßlich sein. Durch den Hr. Grafen von Dohna, den ich die Ehre hatte, in Töplitz zu sprechen, werden Ew. Hochwohlgeboren vielleicht schon wissen, daß ich das Unglück hatte, auf meiner Rückreise von Königsberg in Berlin arretiert, und als ein Staatsgefangener nach dem Fort de Joux (bei Neufchâtel) abgeführt zu werden. Über diesen großen Umweg erst ist es mir geglückt, nach Dresden zu kommen, um einen, der Politik in jeder Hinsicht gleichgültigen, literarischen Plan auszuführen, an dem ich arbeitete. Ich empfehle den Phöbus Ew. Hochwohlgeboren Schutz und Beförderung, erneuere mich damit in dem Angedenken Ihrer sowohl, als Ihrer verehrungswürdigen Frau Gemahlin, Fr. und Frl. Tochter, und habe die Ehre, mit der innigsten Hochachtung und Ehrfurcht zu sein,

Ew. Hochwohlgeboren, untertänigster          
Heinrich von Kleist.

Dresden, den 22. Dez. 1807
Pirnsche Vorstadt, Rammsche Gasse Nr. 123

N. S. Soeben lese ich, in den öffentlichen Blättern, daß S. M. der König nach Elbing gegangen sind. Da Hr. v. Altenstein ihm wahrscheinlich, wohin er auch gegangen ist, gefolgt sein wird, dies aber Ew. Hochwohlgeb. bekannt sein muß, so bitte ich untertänigst, inliegenden Brief gnädigst für ihn auf die Post geben zu lassen.

H. v. K.

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123. An Karl Freiherrn von Stein zum Altenstein

Verehrungswürdigster Herr Geheimer Oberfinanzrat,

Indem ich Ihnen, in der Anlage, die Anzeige eines Kunstjournals überschicke, das ich, unterstützt von Goethe und Wieland, für das Jahr 1808 herauszugeben denke, mache ich den Anfang damit, einer sehr heiligen Forderung meiner Seele ein Genüge zu tun. Denn niemals wird das Bestreben in mir erlöschen, der Welt zu zeigen, daß ich der Güte und Gewogenheit, deren Sie mich, bei meiner Anstellung in Berlin, würdigten, wenn auch nicht in dem Sinn, in dem ich es damals versprach, doch in einem anderen, würdig war. Sie wissen wohl nicht, mein verehrungswürdigster Freund, welch ein sonderbares Schicksal mich, auf meiner Reise von Königsberg nach Dresden getroffen hat? Ich ward, gleich nach meiner Ankunft in Berlin, durch den Gen. Clarke, kein Mensch weiß, warum? arretiert, und als ein Staatsgefangener, durch die Gensdarmerie, nach dem Fort de Joux (bei Neufchâtel) abgeführt. Hier saß ich, in einem abscheulichen Gefängnis, fünf Wochen lang, hinter Gitter und Riegel, bis ich späterhin nach Châlons zu den übrigen Kriegsgefangenen gebracht, und endlich, auf die dringende Fürsprache meiner Verwandten, wieder in Freiheit gesetzt ward. Doch es ist dahin gekommen, daß man, wie Rosse im Macbeth sagt, beim Klang der Sterbeglocke nicht mehr fragt, wen es gilt? Das Unglück der vergangenen Stunde ist was altes. – Jetzt lebe ich in Dresden, als dem günstigsten Ort in dieser, für die Kunst, höchst ungünstigen Zeit, um einige Pläne, die ich gefaßt habe, auszuführen. Möchten wir uns recht bald in Berlin wiedersehen! Denn niemals, wohin ich mich auch, durch die Umstände gedrängt, wenden muß, wird mein Herz ein anderes Vaterland wählen, als das, worin ich geboren bin. Erhalten Sie mir in Ihrer Brust die Gefühle, auf die ich stolz bin, niemals wird die innigste Verehrung und Dankbarkeit in mir erlöschen, und wenn Sie jemals eines Freundes und einer Tat, bedürfen, so finden Sie keinen, der sich mit treuerem und heißerem Bestreben für Sie hingeben wird, als mich. Ich sterbe mit der Liebe, mit welcher ich mich nenne,

Verehrungswürdigster Herr Geheimer Oberfinanzrat,

Ihr ergebenster          
Heinrich von Kleist.

Dresden, den 22. Dez. 1807


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