Heinrich von Kleist
Briefe
Heinrich von Kleist

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1802

60. An Ulrike von Kleist

Bern, den 12. Januar 1802
(Adressiere die Briefe nach Bern)

Mein liebes Ulrikchen, der Tag, an welchem ich Deinen Brief empfing, wird einer der traurigsten meines Lebens bleiben. Die vergangne Nacht ist die dritte, die ich schlaflos zugebracht habe, weil mir immer das entsetzliche Bild vorschwebt – So unglücklich mußte diese Reise enden, die Dir niemals viele Freude gemacht hat? – Ich war in der ersten Überraschung ganz außer mir. Mir wars, als geschähe das Unglück indem ich es las, und es dauerte lange, ehe mir zum Troste einfiel, daß es ja schon seit drei Wochen vorbei war. – Wie werden mich die Verwandten von allen Seiten mit Vorwürfen überschüttet haben! Werden sie es mir verzeihen können, daß ich Dich so einsam reisen ließ? Und doch, hätte meine Gegenwart Dir zu etwas anderm dienen können, als bloß den Unfall mit Dir zu teilen?

Die andere Hälfte Deines Briefes, welche mich betrifft, ist auch nicht sehr erfreulich – Mein liebes Ulrikchen, zurückkehren zu Euch ist, so unaussprechlich ich Euch auch liebe, doch unmöglich, unmöglich. Ich will lieber das Äußerste ertragen – Laß mich. Erinnre mich nicht mehr daran. Wenn ich auch zurückkehrte, so würde ich doch gewiß, gewiß ein Amt nicht nehmen. Das ist nun einmal abgetan. Dir selbst wird es einleuchten, daß ich für die üblichen Verhältnisse gar nicht mehr passe. Sie beschränken mich nicht mehr, so wenig wie das Ufer einen anschwellenden Strom. Laß das also für immer gut sein. – Und dann, ich will ja, wohlverstanden, Deinen Willen tun, will ja hineintreten in das bürgerliche Leben, will ein Amt nehmen, eines, das für bescheidne Bedürfnisse gewiß hinreicht, und das noch dazu vor allen andern den Vorzug hat, daß es mir gefällt – Ja, wenn auch wirklich mein Vermögen so tief herabgeschmolzen ist, wie Du schreibst, so kann ich doch immer noch meinen stillen, anspruchlosen Wunsch, ein Feld mit eignen Händen zu bebauen, ausführen. Ja zuletzt bleibt mir, bei meinem äußern und innern Zustand, kaum etwas anderes übrig, und es ist mir lieb, daß Notwendigkeit und Neigung hier einmal so freundlich zusammenfallen. Denn immer von meiner Kindheit an, ist mein Geist auf diesem Lebenswege vorangegangen. Ich bin so sichtbar dazu geboren, ein stilles, dunkles, unscheinbares Leben zu führen, daß mich schon die zehn oder zwölf Augen, die auf mich sehen, ängstigen. Darum eben sträube ich mich so gegen die Rückkehr, denn unmöglich wäre es mir, hinzutreten vor jene Menschen, die mit Hoffnungen auf mich sahen, unmöglich ihnen zu antworten, wenn sie mich fragen: wie hast du sie erfüllt? Ich bin nicht, was die Menschen von mir halten, mich drücken ihre Erwartungen – Ach, es ist unverantwortlich, den Ehrgeiz in uns zu erwecken, einer Furie zum Raube sind wir hingegeben – Aber nur in der Welt wenig zu sein, ist schmerzhaft, außer ihr nicht. Ach, das ist ein häßlicher Gegenstand. Von etwas anderm. – Ja, was ich sagen wollte, ich bin nun einmal so verliebt in den Gedanken, ein Feld zu bauen, daß es wohl wird geschehen müssen: Betrachte mein Herz wie einen Kranken, diesen Wunsch wie eine kleine Lüsternheit, die man, wenn sie unschädlich ist, immerhin gewähren kann. – Und im Ernste, wenn ich mein letztes Jahr überdenke, wenn ich erwäge, wie ich so seltsam erbittert gewesen bin gegen mich und alles, was mich umgab, so glaube ich fast, daß ich wirklich krank bin. Dich, zum Beispiel, mein liebes, bestes Ulrikchen, wie konnte ich Dich, oft in demselben Augenblicke, so innig lieben und doch so empfindlich beleidigen? O verzeih mir! Ich habe es mit mir selbst nicht besser gemacht. – Du rietest mir einmal in Paris, ich möchte, um heitrer zu werden, doch kein Bier mehr trinken, und sehr empfindlich war mir diese materialistische Erklärung meiner Trauer – jetzt kann ich darüber lachen, und ich glaube, daß ich auf dem Wege zur Genesung bin. Ach, Ulrike, es muß irgendwo einen Balsam für mich geben, denn der bloße Glaube an sein Dasein stärkt mich schon. – Ich will Dir wohl sagen, wie ich mir das letzte Jahr erkläre. Ich glaube, daß ich mich in Frankfurt zu übermäßig angestrengt habe, denn wirklich ist auch seit dieser Zeit mein Geist seltsam abgespannt. Darum soll er für jetzt ruhen, wie ein erschöpftes Feld, desto mehr will ich arbeiten mit Händen und Füßen, und eine Lust soll mir die Mühe sein. Ich glaube nun einmal mit Sicherheit, daß mich diese körperliche Beschäftigung wieder ganz herstellen wird. Denn zuletzt möchte alles Empfinden nur von dem Körper herrühren, und selbst die Tugend durch nichts anderes froh machen, als bloß durch eine, noch unerklärte, Beförderung der Gesundheit – Wie, was war das? So hätte ich ja wohl nicht krank sein müssen, oder –? Wie Du willst, nur keine Untersuchung! In der Bibel steht, arbeite so wird es Dir wohl gehen – ich bilde mir ein, es sei wahr, und will es auf die Gefahr hin wagen.

Und nun einen Schritt näher zum Ziele. Ich will, daß von dem Wackerbarthschen Kapitale Du, die Tante, Stojentin und Werdeck sogleich bezahlt werden. Jeder andere, der irgend mit einer Forderung an mich auftreten könnte, wird vorderhand abgewiesen, weil ich hier nicht genau die Größe der Schuld weiß, und mir zu diesem Behufe erst Papiere aus Berlin schicken lassen muß.Du kannst Leopold sagen oder schreiben, er möchte einmal in Berlin bei Zengen in meinem Büro, oder in der Kiste ein blau geheftetes Rechenbuch in Oktav aufsuchen. Da werden auf der vorletzten Seite sämtliche Posten stehen, die ich schuldig bin. – Das Buch kann er nur Pannwitzen schicken. Auch bin ich von ihnen mehr oder weniger betrogen worden, und will nicht allein leiden, was ich nicht allein verbrach. Ich ersuche also Pannwitz mir zu schreiben, wie viel sie von mir fordern, worauf ich selbst bestimmen werde, wie viel ihnen zu bezahlen ist. Die Schuld soll sodann mit diesem Teile von Seiten der Interessenten als gelöscht angesehen werden. Von mir selbst aber soll sie das nicht, und ich lege mir die Pflicht auf, auch den noch übrigen Teil einst zu bezahlen. Das soll Pannwitz ihnen sagen zu ihrer Ruhe, wenn etwas anderes sie beruhigen kann, als schwarz auf weiß. Das nun, was von meinem gesamten Kapital übrig bleibt, wenn meine Schulden bezahlt sind, darüber will ich nun so bald als möglich frei disponieren können, und ich will Dir jetzt sagen, was ich damit anzufangen denke.

Mir ist es allerdings Ernst gewesen, mein liebes Ulrikchen, mich in der Schweiz anzukaufen, und ich habe mich bereits häufig nach Gütern umgesehen, oft mehr in der Absicht, um dabei vorläufig mancherlei zu lernen, als bestimmt zu handeln. Auf meiner Reise durch dieses Land habe ich fleißig die Landleute durch Fragen gelockt, mir Nützliches und Gescheutes zu antworten. Auch habe ich einige landwirtschaftliche Lehrbücher gelesen und lese noch dergleichen, kurz, ich weiß soviel von der Sache, als nur immer in so kurzer Zeit in einen offnen Kopf hineingehen mag. Dazu kommt, daß ich durch Heinrich Zschokke einige lehrreiche Bekanntschaften gemacht habe, und nun mehrere mit Landmännern machen werde. Überall vertraue ich mich mit ziemlicher Offenheit an, und finde Wohlwollen und Unterstützung durch Rat und Tat. Zschokke selbst will sich ankaufen, sogar in meiner Nähe, auch spricht er zuweilen von dem Schweizer Bürgerrecht, das er mir verschaffen könne, und sieht dabei sehr herzlich aus; aber ich weiß noch nicht, ob ich recht lese. – Kurz, Du siehst, daß ich, ob ich gleich verliebt bin, mich doch nicht planlos, in blinder Begierde, über den geliebten Gegenstand hinstürze. Vielmehr gehe ich so vorsichtig zu Werke, wie es der Vernunft bei der Liebe nur immer möglich ist. – Ich habe also unter sehr vielen beurteilten Landgütern endlich am Thuner See eines gefunden, das mir selbst wohl gefällt, und, was Dir mehr gelten wird, auch von meinen hiesigen Freunden für das schicklichste gehalten wird. – Die Güter sind jetzt im Durchschnitt alle im Preise ein wenig gesunken, weil mancher, seiner politischen Meinungen wegen, entweder verdrängt wird, oder freiwillig weicht. Ich selbst aber, der ich gar keine politische Meinung habe, brauche nichts zu fürchten und zu fliehen. – Das Gut also von dem die Rede war, hat ein kleines Haus, ziemlich viel Land, ist während der Unruhen ein wenig verfallen und kostet circa 3500 Rth. Das ist in Vergleichung der Güte mit dem Preise das beste das ich fand. Dazu kommt ein Vorteil, der mir besonders wichtig ist, nämlich daß der jetzige Besitzer das erste Jahr lang in dem Hause wohnen bleiben, und das Gut gegen Pacht übernehmen will, wodurch ich mit dem Praktischen der Landwirtschaft hinlänglich bekannt zu werden hoffe, um mich sodann allein weiter forthelfen zu können. – Auch wird Lohse, den seine Kunst ernährt, bei mir wohnen, und mir mit Hülfe an die Hand gehen. – Wenn ich also, wie Du schreibst, auf Deine Unterstützung rechnen kann, wenn Du mir eine – wie nenne ich es? Wohltat erzeigen willst, die mir mehr als das Leben retten kann, so lege mir zu meinem übriggebliebenen Kapital so viel hinzu, daß ich das Gut bezahlen kann. Das schicke mir dann so bald als möglich, und wenn Du mir auch nur einen Teil gleich, das übrige etwa in einigen Monaten schicken könntest, so würde ich gleich aus dieser Stadt gehen, wo meine Verhältnisse mir immer noch den Aufenthalt sehr teuer machen. Alles, was Du mir zulegst, lasse ich sogleich auf die erste Hypothek eintragen, und verlieren kannst Du in keinem Falle, auch in dem schlimmsten nicht.

Ob Du aber nicht etwas gewinnen wirst, ich meine, außer den Prozenten –? Mein liebes Ulrikchen, bei Dir muß ich von gewissen Dingen immer schweigen, denn ich schäme, mich zu reden, gegen einen, der handelt. – Aber Du sollst doch noch einmal Deine Freude an mir haben, wenn ich Dich auch jetzt ein wenig betrübe. – Auch Tante und die Geschwister sollen mir wieder gut werden, o gewiß! Denn erzürnt sind sie auf mich, ich fühle es wohl, nicht einmal einen Gruß schenken sie dem Entfernten. Ich aber drücke mich an ihre Brust und weine, daß das Schicksal, oder mein Gemüt – und ist das nicht mein Schicksal? eine Kluft wirft zwischen mich und sie. H. K.

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61. An Heinrich Zschokke

An den Bürger Regierungs-Statthalter Zschokke zu Bern, in der Gerechtigkeitsgasse neben dem Café Italien.

Thun, den 1. Februar 1802

Mein lieber Zschokke, suchen Sie nur gleich das Ende des Briefes, wenn Sie nicht Zeit haben, mehr als das Wesentliche desselben zu lesen. Da will ich alles, was ich für Sie (oder eigentlich für mich) auf dem Herzen trage, registerartig unter Nummern bringen. Vorher aber noch ein paar Worte Geschwätz, wie unter Liebenden.

Ich kann erst in etwa zwei Wochen aufs Land ziehen, wegen eines Mißverständnisses, das zu weitläufig und zu nichtbedeutend wäre, um Sie damit zu unterhalten. Ich wohne also in Thun, nahe am Tore – übrigens kann man hier nicht wohl anders wohnen. Ich gehe häufig aufs Land, besehe noch mehrere Güter, mache es aber, nach Ihrem Rate, in allen Stücken wie der berühmte Cunctator. Indessen gestehe ich, daß mich mancherlei an dem Ihnen schon beschriebenen Gute zu Gwat reizt, besonders der Umstand, daß es kein Haus hat, welches mir die Freiheit gibt, mir eines a priori zu bauen. Auch ist es so gut wie gewiß daß der Besitzer mit 24 000 Pfund zufrieden sein wird. Leute, unparteiische, meinen, unter diesen Umständen sei das Gut weder zu teuer, noch besonders wohlfeil, und grade das könnte den Kauf beschleunigen, denn es flößt mir Vertrauen ein. Überdies hat der Mann eines von den Gesichtern, denen ich zu trauen pflege, man mag die Physiognomik schelten, so viel man will. Damit will ich sagen, daß ich so ziemlich gesinnt sei, fortan dem eignen Lichte zu folgen. Denn zuletzt muß man doch in der Welt an Rechtschaffenheit glauben, und alles Fragen um Meinung und Rat kann uns davon nicht erlösen, weil wir doch wenigstens an die Rechtschaffenheit dessen glauben müssen, den wir um Rat fragen. – Wie stehts mit Ihrer Lust zum Landleben? Wie stehts mit der Schweizer Regierung? Denn das hängt zusammen, und inniger als Sie mir gesagt haben. Immer hoffe ich noch, Sie einmal irgendwo im Staate wieder an der Spitze zu sehen, und nirgends, dünkt mich, wären Sie mehr an Ihrer Stelle, als da. – Was mich betrifft, wie die Bauern schreiben, so bin ich, ernsthaft gesprochen, recht vergnügt, denn ich habe die alte Lust zur Arbeit wiederbekommen. Wenn Sie mir einmal mit Geßnern die Freude Ihres Besuchs schenken werden, so geben Sie wohl acht auf ein Haus an der Straße, an dem folgender Vers steht: »Ich komme, ich weiß nicht, von wo? Ich bin, ich weiß nicht, was? Ich fahre, ich weiß nicht, wohin? Mich wundert, daß ich so fröhlich bin.« – Der Vers gefällt mir ungemein, und ich kann ihn nicht ohne Freude denken, wenn ich spazieren gehe. Und das tue ich oft und weit, denn die Natur ist hier, wie Sie wissen, mit Geist gearbeitet, und das ist ein erfreuliches Schauspiel für einen armen Kauz aus Brandenburg, wo, wie Sie auch wissen, der Künstler bei der Arbeit eingeschlummert zu sein scheint. Jetzt zwar sieht auch hier unter den Schneeflocken die Natur wie eine 80jährige Frau aus, aber man sieht es ihr doch an, daß sie in ihrer Jugend schön gewesen sein mag. – Ihre Gesellschaft vermisse ich hier sehr, denn außer den Güterverkäufern kenne ich nur wenige, etwa den Hauptm. Muelinen und seinen Hofmeister, angenehme Männer. Die Leute glauben hier durchgängig, daß ich verliebt sei. Bis jetzt aber bin ich es noch in keiner Jungfrau, als etwa höchstens in die, deren Stirne mir den Abendstrahl der Sonne zurückwirft, wenn ich am Ufer des Thuner Sees stehe. – Nun genug des Geschwätzes. Hier folgen die Bitten.

I. Ich bitte dem Überbringer dieses, Fuhrmann Becher, den Koffer aus Basel, wenn er im Kaufhause angelangt sein sollte, zu übergeben.

II. Ihn in meine ehemalige Wohnung zu schicken, wo er noch einen Koffer, einen Rock, und einige Wäsche in Empfang nehmen soll.

III. Ihn zu Geßnern zu schicken, wo er die bestellten Bücher übernehmen soll.

IV. Dem Knaben, der mir aufwartete, zu sagen, daß er sich bei dem Hutmacher, der Geßnern gegenüber wohnt, meinen alten von mir dort abgelegten Hut holen soll.

V. Mich unaufhörlich herzlich zu lieben, wie in der ersten Stunde unsres Wiedersehens.

Heinrich Kleist.

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62. An Ulrike von Kleist

Thun, den 19. Februar 1802

Meine liebe Freundin meine einzige – Ich bin fast gewiß, daß Du mir meine Bitte um den Vorschuß zum Ankauf nicht abgeschlagen hast, so groß das Opfer bei Deiner Kenntnis meines Charakters auch war. – Wenn Du es noch nicht abgeschickt hast, so schicke es nicht ab. Wundere Dich nicht, diesmal ist das Schicksal wankelmütig, nicht ich. Es hatte allen Anschein, daß die Schweiz sowie Zisalpinien, französisch werden wird, und mich ekelt vor dem bloßen Gedanken. – So leicht indessen wird es dem Allerwelts-Konsul mit der Schweiz nicht gelingen. Zwar tut er sein Mögliches, dieses arme Land durch innere Unruhen immer schwach zu erhalten, und jetzt in diesem Augenblicke noch ist Zürich im Aufstande; indessen gewiß, wenn er sich deutlich erklärt, vereinigt sich alles gegen den allgemeinen Wolf. – Jetzt also, wie Du siehst, und wie alle Männer meiner Bekanntschaft mir raten, ist es höchst gewagt, sich in der Schweiz anzukaufen, obschon die Güter sehr wohlfeil sind. Besonders möchte ich Dein Eigentum nicht so aufs Spiel setzen – kurz, vorderhand tu ich es nicht. – Ich weiß, in welche unangenehme Lage Dich diese neue Zumutung setzen kann, doch trage ich jeden Schaden, der Dir dadurch zufließen könnte. – Sollte uns der Himmel einmal wieder zusammen führen, auf Händen will ich Dich Mädchen, tragen, im physischen und moralischen Sinne – Ich bin jetzt bei weitem heitrer, und kann zuweilen wie ein Dritter über mich urteilen. Hab ich jemals Gewissensbisse gefühlt, so ist es bei der Erinnerung an mein Betragen gegen Dich auf unsrer Reise. Ich werde nicht aufhören Dich um Verzeihung zu bitten, und wenn Du in der Sterbestunde bei mir bist, so will ich es noch tun. – Ich gebe indessen den Plan nicht auf, und werde das nächste Jahr in der Schweiz bleiben. Ich wohne in diesem Örtchen, so wohlfeil, als Du es nur erdenken könntest. – Wenn ich Dir nur Deine Sorge für mich nehmen könnte, so hätte ich manchen frohen Augenblick mehr. In Hinsicht des Geldes, kann ich Dir versichern, ist in der Zukunft für mich, zur Notdurft gesorgt. Du kannst es erraten, ich mag darüber nichts sagen. – Nur vorderhand brauche ich noch von meinem eigenen Gelde. Darum will ich doch, daß Du mir nun, oder vielmehr Pannwitz, alles schickest, was an barem Gelde noch mein ist. Mit dem Hause mag es vorderhand dahin gestellt bleiben. Das mußt Du mir aber gleich schicken, und wäre nichts da, so bitte ich Dich um 50 Louisdor, wofür Du meinen Anteil an Interessen des Hauses nehmen könntest, nach Maßgabe.

Lebe wohl, und grüße die Unsrigen von Herzen. Schreib mir doch recht viel von neuen Verhältnissen im Hause durch Gustels Heirat.

– Den Brief adressiere künftig immer nach Thun.

Heinrich Kleist.

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63. An Heinrich Zschokke

An den Bürger Statthalter Zschokke zu Bern.

Thun, den 2. März 1802

Mein lieber Zschokke, ich habe Ihren Brief aus Aarau erhalten, und mit Freude zugleich, und mit Erstaunen, vernommen, daß Sie wirklich mit sichrer Hand das Schiff Ihres Lebens fort von den Küsten der politischen Welt in den Hafen der philosophischen Ruhe führen. Denn niemals (ich darf es Ihnen selbst frei gestehn) habe ich an den Ernst Ihres Wunsches geglaubt, und erst jetzt fühle ich in Ihrer Seele, wie gegründet er sein mag, da eine Nacht der Verwirrung über Ihr unglückliches Vaterland hereinzubrechen droht. Es bedarf wohl nicht der Erklärung, daß ich hierbei an den Allerwelts-Konsul, an den Cousin de la Suisse (weil er sich so hoch mit der Verwandtschaft rühmt) denke. Mich erschreckt die bloße Möglichkeit, statt eines Schweizer Bürgers durch einen Taschenspielerskunstgriff ein Franzose zu werden. Sie werden von den Unruhen im Simmetal gehört haben, es sind bereits Franzosen hier eingerückt, und nicht ohne Bitterkeit habe ich ihrem Einzuge beigewohnt. Ist es denn wahr, daß sie auch das pays de Vaud in Besitz genommen? – Unter diesen Umständen denke ich nicht einmal daran, mich in der Schweiz anzukaufen. Ich habe mir eine Insel in der Aare gemietet, mit einem wohleingerichtet Häuschen, das ich in diesem Jahre bewohnen werde, um abzuwarten, wie sich die Dissonanz der Dinge auflösen wird. Ich werde in einigen Wochen einziehen, vorher aber noch, Geschäfte halber, auf ein paar Tage nach Bern kommen. Schreiben Sie mir doch ja, ich bitte Sie, wie weit Sie mit Ihrem Kaufe in Richtigkeit sind. Jetzt denke ich mehr als jemals an eine Zukunft in Ihrer Nachbarschaft, wenn überhaupt das Schicksal mir eine Freistätte in der Schweiz bereitet. Nächstens mündlich mehr davon. Leben Sie recht wohl, und grüßen Sie das Geßnersche Haus, das ich sehr ehre und liebe.

Heinrich Kleist.

N. S. Hierbei erfolgen 7 schuldige Batzen. – Wenn Sie doch gelegentlich einmal im Hôtel de Musique das letzte Mittagsessen bezahlen wollten, nur eines, das ich dort schuldig geblieben bin.

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64. An Ulrike von Kleist

Thun, den 18. März 1802

Mein bestes Ulrickchen, ich habe das Geld empfangen und bin untröstlich, daß mein Brief zu spät angelangt ist. Ich dachte immer, daß Du doch auf jeden Fall aus den Zeitungen die Lage der Schweiz kennen und daraus ersehen würdest, daß es jetzt gar nicht einmal möglich sei, sich mit Sicherheit anzukaufen. Denn kaum hatte ich meinen letzten Brief, in welchem ich Dir von den Züricher Unruhen schrieb, abgeschickt, so entstand sogar 1½ Stunde von hier, im Simmetal, ein Aufruhr unter den Bauern, worauf sogleich ein französischer General mit Truppen in Thun selbst einrückte. Es ist fast so gut wie ausgemacht, daß dies unglückliche Land auf irgend eine Art ein Opfer der französischen Brutalität wird, und ich weiß aus sichern Händen, daß die Schweizer Regierung, die bisher immer noch laviert hat, auf dem Punkte ist, sich ganz unzweideutig gegen die Franzosen zu erklären. Die Erbitterung der Schweizer gegen diese Affen der Vernunft ist so groß, daß jede andere Leidenschaft weicht, und daß die heftigsten Köpfe der Parteien durch den Würfel entscheiden lassen, wer sich in die Meinung des andern fügen soll, bloß um, wie schmollende Eheleute, sich gegen den Dieb zu wehren, der einbricht. Ein Krieg also steht wahrscheinlicher Weise diesem Lande schon in diesem Sommer bevor – doch ich habe Dir meine Gründe schon weitläufiger in meinem letzten Briefe entwickelt. Jetzt nur davon, was soll ich mit dem Gelde anfangen? Ich bin so beschämt durch meine Übereilung und Deine unendliche Güte, daß ich gar nicht weiß, was ich Dir sagen soll. In Deinem Briefe ist so unendlich viel und mancherlei zu lesen, ob es gleich darin nicht geschrieben steht, daß ich immer wechselnd bald mit EntzückenEntzücken? – Fällt Dir nichts ein? – – – Mir ist das ganze vergangne Jahr wie ein Sommernachtstraum. – Schreibe mir doch, ob sich Johann eingefunden? Hat auch die Lalande geschrieben? an Dich, bald mit Widerwillen an mich denke. Nun, von der einen Seite, mein bestes Mädchen, kann ich jetzt Dich beruhigen, denn wenn mein kleines Vermögen gleich verschwunden ist, so weiß ich jetzt doch wie ich mich ernähren kann. Erlaß mir das Vertrauen über diesen Gegenstand, Du weißt, warum? – Kurz, ich brauche nichts mehr, als Gesundheit, die mir eben auf ein paar Tage gefehlt hat. – Schreibe mir nur, wie ich es mit dem Gelde halten soll, und ob Du Dich auf irgend eine Art an dem Hause schadlos halten kannst. Noch habe ich den Wechsel nicht eingelöset, werde heute nach Bern, und läßt es sich machen, so bleibt das Geld fern von meinen unsichern Händen, bis Du bestimmst, was damit geschehen soll. – Kannst Du Dich an dem Hause schadlos halten, so ist mirs auf jeden Fall lieb das Geld zu besitzen, das ich auf diese Art zu jeder Zeit und Gelegenheit brauchen kann. Schreibe mir bald, grüße die lieben Verwandten, und bald erhältst Du einen recht frohen Brief von Deinem Dir herzlich guten Bruder Heinrich.

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Wilhelmine v. Zenge an Kleist

A Monsieur de Kleist, ci-devant lieutenant dans les gardes prussiennes à Thun en Suisse, poste restante.

Frankfurt [a. d. O.] am 10. April 1802

Mein lieber Heinrich. Wo Dein jetziger Aufenthalt ist, weiß ich zwar nicht bestimmt, auch ist es sehr ungewiß ob das was ich jetzt schreibe Dich dort noch treffen wird wo ich hörte daß Du Dich aufhältst; doch ich kann unmöglich länger schweigen. Mag ich auch einmal vergebens schreiben, so ist es doch nicht meine Schuld wenn Du von mir keine Nachricht erhältst. Über zwei Monate war Deine Familie in Gulben, und ich konnte auch nicht einmal durch sie erfahren ob Du noch unter den Sterblichen wandelst oder vielleicht auch schon die engen Kleider dieser Welt mit bessern vertauscht habest. –

Endlich sind sie wieder hier, und, da ich schmerzlich erfahren habe wie wehe es tut, gar nichts zu wissen von dem was uns über alles am Herzen liegt – so will ich auch nicht länger säumen Dir zu sagen wie mir es geht. Viel Gutes wirst Du nicht erfahren.

Ulricke wird Dir geschrieben haben daß ich das Unglück hatte, ganz plötzlich meinen liebsten Bruder zu verlieren – wie schmerzlich das für mich war, brauche ich Dir wohl nicht zu sagen. Du weißt daß wir von der frühesten Jugend an, immer recht gute Freunde waren und uns recht herzlich liebten. Vor kurzen waren wir auf der silbernen Hochzeit unserer Eltern so froh zusammen, er hatte uns ganz gesund verlassen, und auf einmal erhalten wir die Nachricht von seinem Tode – Die erste Zeit war ich ganz wie erstarrt, ich sprach, und weinte nicht. Ahlemann, der während dieser traurigen Zeit oft bei uns war, versichert, er habe sich für mein starres Lächeln sehr erschreckt. Die Natur erlag diesem schrecklichen Zustande, und ich wurde sehr krank. Eine Nacht, da Louise nach dem Arzt schickte weil ich einen sehr starken Krampf in der Brust hatte, und jeden Augenblick glaubte zu ersticken, war der Gedanke an den Tod mir gar nicht schrecklich. Doch der Zuruf aus meinem Herzen »es werden geliebte Menschen um dich trauern, einen kannst du noch glücklich machen!« der belebte mich aufs neue, und ich freute mich daß die Medizin mich wieder herstellte. Damals! lieber Heinrich, hätte ein Brief von Dir, meinen Zustand sehr erleichtern können, doch Dein Schweigen vermehrte meinen Schmerz. Meine Eltern, die ich gewohnt war immer froh zu sehn, nun mit einemmal so ganz niedergeschlagen, und besonders meine Mutter immer in Tränen zu sehn – das war zu viel für mich. Dabei hatte ich noch einen großen Kampf zu überstehn. In Lindow war die Domina gestorben. Und da man auf die älteste aus dem Kloster viel zu sagen hatte, und ich die zweite war konnte ich erwarten daß ich Domina werden würde. Ich wurde auch wirklich angefragt, ob ich es sein wollte, Mutter redete mich sehr zu, da dieser Posten für mich sehr vorteilhaft sein würde, und ich doch meine Zukunft nicht bestimmen könnte. Doch der Gedanke in Lindow leben zu müssen (was dann notwendig war) und die Erinnrung an das Versprechen was ich Dir gab, nicht da zu wohnen, bestimmten mich, das Fräulein von Randow, zur Domina zu wählen, welche nun bald ihren Posten antreten wird. Bedauerst Du mich nicht? Ich habe viel ertragen müssen. Tröste mich bald durch eine erfreuliche Nachricht von Dir, schenke mir einmal ein paar Stunden und schreibe mir recht viel.

Von Deinen Schwestern höre ich nur daß Du recht oft an sie schreibst, höchstens noch den Namen Deines Aufenthalts, Du kannst Dir also leicht vorstellen wie sehr mir verlangt etwas mehr von Dir zu hören. Pannwitzens sind sehr glücklich. Ich habe mich aber sehr gewundert daß Auguste als Braut so zärtlich war, da sie sonst immer so sehr dagegen sprach, doch es läßt sich nicht gut, über einen Zustand urteilen den man noch nicht erfahren hat.

Freuden gibt es jetzt für mich sehr wenig – unsere kleine Emilie macht mir zuweilen frohe Stunden. Sie fängt schon an zu sprechen, wenn ich frage »was macht dein Herz?« so sagt sie ganz deutlich »mon coeur palpite«, und dabei hält sie die rechte Hand aufs Herz. Frage ich »wo ist Kleist?« so macht sie das Tuch voneinander und küßt Dein Bild. Mache Du mich bald froher durch einen Brief von Dir, ich bedarf es sehr von Dir getröstet zu werden.

Der Frühling ist wiedergekehrt, aber nicht mit ihm die frohen Stunden die er mir raubte! Doch ich will hoffen!! Der Strom der nie wiederkehrt führt durch Klippen und Wüsten endlich zu fruchtbaren schönen Gegenden, warum soll ich nicht auch vom Strome der Zeit erwarten, daß er auch mich endlich schönern Gefilden zuführe? Ich wünsche Dir recht viel frohe Tage auf Deiner Reise, und dann bald einen glücklichen Ruhepunkt.

Ich habe die beiden Gemälde von L. und ein Buch worin Gedichte stehn in meiner Verwahrung. Das übrige von Deinen Sachen hat Dein Bruder. Man glaubte dies gehörte Carln und schickte mir es heimlich zu.

Schreibe recht bald an Deine Wilhelmine.

[Dieser Brief ging ungeöffnet von Thun an Wilhelmine zurück.]

*

65. An Ulrike von Kleist

Auf der Aarinsel bei Thun, den 1. Mai 1802

Mein liebes Ulrikchen, ich muß meiner Arbeit einmal einen halben Tag stehlen, um Dir Rechenschaft zu geben von meinem Leben; denn ich habe immer eine undeutliche Vorstellung, als ob ich Dir das schuldig wäre, gleichsam als ob ich von Deinem Eigentume zehrte.

Deinen letzten Brief mit Inschriften und Einlagen von den Geliebten, habe ich zu großer Freude in Bern empfangen, wo ich eben ein Geschäft hatte bei dem Buchhändler Geßner, Sohn des berühmten, der eine Wieland, Tochter des berühmten, zur Frau, und Kinder, wie die lebendigen Idyllen hat: ein Haus, in welchem sich gern verweilen läßt. Drauf machte ich mit Zschokke und Wieland, Schwager des Geßner, eine kleine Streiferei durch den Aargau – Doch das wäre zu weitläufig, ich muß Dich überhaupt doch von manchen andern Wunderdingen unterhalten, wenn wir einmal wieder beisammen sein werden. – Jetzt leb ich auf einer Insel in der Aare, am Ausfluß des Thunersees, recht eingeschlossen von Alpen, ¼ Meile von der Stadt. Ein kleines Häuschen an der Spitze, das wegen seiner Entlegenheit sehr wohlfeil war, habe ich für sechs Monate gemietet und bewohne es ganz allein. Auf der Insel wohnt auch weiter niemand, als nur an der andern Spitze eine kleine Fischerfamilie, mit der ich schon einmal um Mitternacht auf den See gefahren bin, wenn sie Netze einzieht und auswirft. Der Vater hat mir von zwei Töchtern eine in mein Haus gegeben, die mir die Wirtschaft führt: ein freundlich-liebliches Mädchen, das sich ausnimmt, wie ihr Taufname: Mädeli. Mit der Sonne stehn wir auf, sie pflanzt mir Blumen in den Garten, bereitet mir die Küche, während ich arbeite für die Rückkehr zu Euch; dann essen wir zusammen; sonntags zieht sie ihre schöne Schwyzertracht an, ein Geschenk von mir, wir schiffen uns über, sie geht in die Kirche nach Thun, ich besteige das Schreckhorn, und nach der Andacht kehren wir beide zurück. Weiter weiß ich von der ganzen Welt nichts mehr. Ich würde ganz ohne alle widrigen Gefühle sein, wenn ich nicht, durch mein ganzes Leben daran gewöhnt, sie mir selbst erschaffen müßte. So habe ich zum Beispiel jetzt eine seltsame Furcht, ich möchte sterben, ehe ich meine Arbeit vollendet habe. Von allen Sorgen vor dem Hungertod bin ich aber, Gott sei Dank, befreit, obschon alles, was ich erwerbe, so grade wieder drauf geht. Denn, Du weißt, daß mir das Sparen auf keine Art gelingt. Kürzlich fiel es mir einmal ein, und ich sagte dem Mädeli: sie sollte sparen. Das Mädchen verstand aber das Wort nicht, ich war nicht imstande ihr das Ding begreiflich zu machen, wir lachten beide, und es muß nun beim alten bleiben. – Übrigens muß ich hier wohlfeil leben, ich komme selten von der Insel, sehe niemand, lese keine Bücher, Zeitungen, kurz, brauche nichts, als mich selbst. Zuweilen doch kommen Geßner, oder Zschokke oder Wieland aus Bern, hören etwas von meiner Arbeit, und schmeicheln mir – kurz, ich habe keinen andern Wunsch, als zu sterben, wenn mir drei Dinge gelungen sind: ein Kind, ein schön Gedicht, und eine große Tat. Denn das Leben hat doch immer nichts Erhabneres, als nur dieses, daß man es erhaben wegwerfen kann. – Mit einem Worte, diese außerordentlichen Verhältnisse tun mir erstaunlich wohl, und ich bin von allem Gemeinen so entwöhnt, daß ich gar nicht mehr hinüber möchte an die andern Ufer, wenn Ihr nicht da wohntet. Aber ich arbeite unaufhörlich um Befreiung von der Verbannung – Du verstehst mich. Vielleicht bin ich in einem Jahre wieder bei Euch. – Gelingt es mir nicht, so bleibe ich in der Schweiz, und dann kommst Du zu mir. Denn wenn sich mein Leben würdig beschließen soll, so muß es doch in Deinen Armen sein. – Adieu. Grüße, küsse, danke alle. Heinrich Kleist.

N. S. Ich war vor etwa 4 Wochen, ehe ich hier einzog, im Begriff nach Wien zu gehen, weil es mir hier an Büchern fehlt; doch es geht so auch und vielleicht noch besser. Auf den Winter aber werde ich dorthin – oder vielleicht gar schon nach Berlin. – Bitte doch nur Leopold, daß er nicht böse wird, weil ich nicht schreibe, denn es ist mir wirklich immer eine erstaunliche Zerstreuung, die ich vermeiden muß. In etwa 6 Wochen werde ich wenigstens ein Dutzend Briefe schreiben. –

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66. An Wilhelmine von Zenge

An Fräulein Wilhelmine von Zenge, Hochwohlgeboren zu Frankfurt an der Oder.

Auf der Aarinsel bei Thun, den 20. Mai 1802

Liebe Wilhelmine, um die Zeit des Jahreswechsels erhielt ich den letzten Brief von Dir, in welchem Du noch einmal mit vieler Herzlichkeit auf mich einstürmst, zurückzukehren ins Vaterland, mich dann mit vieler Zartheit an Dein Vaterhaus und die Schwächlichkeit Deines Körpers erinnerst, als Gründe, die es Dir unmöglich machen, mir in die Schweiz zu folgen, dann mit diesen Worten schließest: wenn Du dies alles gelesen hast, so tue was Du willst. Nun hatte ich es wirklich in der Absicht mich in diesem Lande anzukaufen, in einer Menge von vorhergehenden Briefen an Bitten und Erklärungen von meiner Seite nicht fehlen lassen, so daß von einem neuen Briefe kein bessrer Erfolg zu erwarten war; und da mir eben aus jenen Worten einzuleuchten schien, Du selbst erwartetest keine weiteren Bestürmungen, so ersparte ich mir und Dir das Widrige einer schriftlichen Erklärung, die mir nun aber Dein jüngst empfangner Brief doch notwendig macht.

Ich werde wahrscheinlicher Weise niemals in mein Vaterland zurückkehren. Ihr Weiber versteht in der Regel ein Wort in der deutschen Sprache nicht, es heißt Ehrgeiz. Es ist nur ein einziger Fall in welchem ich zurückkehre, wenn ich der Erwartung der Menschen, die ich törichter Weise durch eine Menge von prahlerischen Schritten gereizt habe, entsprechen kann. Der Fall ist möglich, aber nicht wahrscheinlich. Kurz, kann ich nicht mit Ruhm im Vaterlande erscheinen, geschieht es nie. Das ist entschieden, wie die Natur meiner Seele.

Ich war im Begriff mir ein kleines Gut in der Schweiz zu kaufen, und Pannwitz hatte mir schon den Rest meines ganzen Vermögens dazu überschickt, als ein abscheulicher Volksaufstand mich plötzlich, acht Tage ehe ich das Geld empfing davon abschreckte. Ich fing es nun an für ein Glück anzusehn, daß Du mir nicht hattest in die Schweiz folgen wollen, zog in ein ganz einsames Häuschen auf einer Insel in der Aare, wo ich mich nun mit Lust oder Unlust, gleichviel, an die Schriftstellerei machen muß.

Indessen geht, bis mir dieses glückt, wenn es mir überhaupt glückt, mein kleines Vermögen gänzlich drauf, und ich bin wahrscheinlicher Weise in einem Jahre ganz arm. – Und in dieser Lage, da ich noch außer dem Kummer, den ich mit Dir teile, ganz andre Sorgen habe, die Du gar nicht kennst, kommt Dein Brief, und weckt wieder die Erinnerung an Dich, die glücklicher, glücklicher Weise ein wenig ins Dunkel getreten war –

– Liebes Mädchen, schreibe mir nicht mehr. Ich habe keinen andern Wunsch als bald zu sterben.

H. K.

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67. An Wilhelm von Pannwitz

Bern, im August 1802

Mein lieber Pannwitz, ich liege seit zwei Monaten krank in Bern, und bin um 70 französische Louisdors gekommen, worunter 30, die ich mir durch eigne Arbeit verdient hatte. Ich bitte Gott um den Tod und Dich um Geld, das Du auf mein Hausanteil erheben mußt. Ich kann und mag nichts weiter schreiben, als dies Allernotwendigste. Schicke zur Sicherheit das Geld an den Doktor und Apotheker Wyttenbach, meinem Arzt, einem ehrlichen Mann, der es Euch zurückschicken wird, wenn ich es nicht brauche. Lebet wohl, lebet wohl, lebet wohl.

Heinrich Kleist.

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68. An Ulrike von Kleist

Weimar, im November 1802

Mein liebes Ulrickchen, ich bin sehr beunruhigt, über das Ausbleiben aller Nachrichten von Dir. Wenn ich nicht irre, so solltest Du nach unsrer Verabredung zuerst schreiben –? Sollte ich es, so verzeih mir; und dem Himmel sei Dank, daß er mir in diesem Augenblick zufällig die Lust zum Schreiben gab. Denn Du weißt, was ein Brief von mir bedeutet. Es könnte eine Zeit kommen, wo Du ein leeres Blatt von mir mit Freudentränen benetztest – Ich wohne hier zur Miete, und hätte allerdings die Geschirre usw. brauchen können; bin aber oft ganze Tage in Oßmannstedt, wo mir ein Zimmer eingeräumt worden ist; denn Wieland hat sich nicht entschließen können, das Haus, in dem es spukt, zu beziehen. Wirklich, im Ernste, wegen seiner Bedienung, die er sonst hätte abschaffen müssen. – Möchte Dich der Himmel doch nur glücklich in die Arme der Deinigen geführt haben! Warum sage ich nicht, der Unsrigen? Und wenn es die Meinigen nicht sind, wessen ist die Schuld, als meine? Ach, ich habe die Augen zusammengekniffen, indem ich dies schrieb – – Wenn Du nur glücklich von Werben nach Guhrow gekommen bist, für das andre bin ich nicht besorgt. – Jetzt eben fällt mir etwas ein, was wohl der Grund Deines langen Stillschweigens sein könnte; nämlich die Arbeit an meinen Hemden. Ich möchte auf jede Hand weinen, die einen Stich daran tut – Lebe wohl. Schreibe doch recht bald, poste restante. Und die Hemden werden mir allerdings wohltun.

Heinrich.

Auch brauche ich immer noch Chemisetts.

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69. An Ulrike von Kleist

Weimar, den 9. Dezember 1802

Mein liebes Ulrikchen, der Anfang meines Gedichtes, das der Welt Deine Liebe zu mir erklären soll, erregt die Bewunderung aller Menschen, denen ich es mitteile. O Jesus! Wenn ich es doch vollenden könnte! Diesen einzgen Wunsch soll mir der Himmel erfüllen; und dann, mag er tun, was er will. Zur Hauptsache! Ich brauche schon wieder Geld; und kann Dir weiter nichts sagen. Ich habe andern geborgt. Es ist verrückt, ich weiß es. Heinrich Kleist. Schicke mir doch, wenn es sein kann, den ganzen Rest.

Dein Geschenk habe ich empfangen, und würde es mit noch größerer Freude tragen, wenn ich wüßte, ob Du es mit eignen lieben Händen verfertigt hast? – Das Weihnachtsfest bringe ich in Oßmannstedt zu. Wieland, der alte, auch der junge, grüßen Dich; und ich alle Unsrigen.


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