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Vor der Abrechnung

Schon nach zehn Tagen konnte Thorgut das Bett verlassen und in einem Lehnstuhl am Fenster sitzen. Mit unaufhörlicher, nie ermüdender Sorgfalt umgab ihn Dagmar, wahrend Susanne sich von ihm mehr zurückzog denn je zuvor. Nur in den Nachtstunden, da sie die Wache an seinem Bett zu übernehmen hatte, kam sie in sein Zimmer. Dann saß sie still und mit brennenden Augen an seiner Seite –.

Der Kampf in ihrer Seele konnte sich nicht entscheiden. Ihr Geheimnis war verraten. Dagmar wußte darum. Und wenn die junge Frau auch alles tat, um ihr Verständnis und Liebe zu bezeugen, so war sie selbst doch nicht von der Art, die stumm und ergeben litt.

Eines Nachts erwachte er. Lag eine Zeitlang still und beobachtete sie unter den gesenkten Lidern hervor. Schmal war ihr Gesicht geworden. Größer und dunkler noch schienen ihre Augen.

Irgendwie fühlte sie, daß er nicht mehr schlief. Sie beugte sich über ihn und fragte:

»Wünschen Sie etwas, Herr Thorgut?«

Er schlug die Augen auf und sah sie an. Wieder war es derselbe Blick, der sie schon einmal so seltsam gepackt hatte. Alle ihre Schmerzen wurden wieder wach.

»Soll ich Frau Thorgut holen?« fragte sie.

Er ergriff ihre Hand und hielt sie fest.

»Nein, Fräulein Warren«, sagte er leise. »Warum wollen Sie nicht bei mir bleiben? Ich bin ganz froh, daß ich einmal mit Ihnen sprechen kann. Ja – ja, Dagmar hat mir gesagt, was Sie alles getan haben, um ihr in den schweren Tagen eine Stütze und Freundin zu sein.«

»Ich – Herr Thorgut – ich habe –«

»Susanne – wir wollen von dem Furchtbaren, das hinter uns allen liegt, nicht mehr sprechen. Ich glaube, in Zukunft wird mich niemand mehr umzubringen versuchen, und ich möchte mir die Freude an der Zukunft nicht dadurch schmälern lassen, daß ich in ihr Sie entbehren müßte, Susanne Warren! Schelten Sie mich einen rücksichtslosen Egoisten – aber ich will Sie bei mir behalten!«

Das Mädchen fuhr zurück. Ebenso erstaunt, erschreckt und fassungslos wie Dagmar.

»Woher – wissen Sie –?«

»Ich kann Ihnen ebensowenig antworten wie meiner Frau, Susanne«, sprach er, indem er neuerdings ihre Hand suchte. »Doch vieles habe ich erlebt und erfahren in jenen zwei Tagen. Es war Böses und Gemeines darunter. Schönes und Edles. Das letztere gilt für Sie, Susanne! Nicht wahr, Sie bleiben bei uns? Bei dem Kinde, – bei mir – und bei Dagmar?«

»Ich werde bleiben, Herr Thorgut!« gab sie kaum hörbar zur Antwort.

* * *

Nach weiteren zehn Tagen konnte sich Thorgut zum ersten Male in den Garten tragen lassen. Von allen Seiten waren die Freunde gekommen. Hatten zusammen gegessen, getrunken und den Wiedererstandenen hochleben lassen. Lohnstein hatte gefehlt. Natürlich. Er war, sobald der Landesgerichtsrat es ihm gestattet hatte, nach Wien gefahren und von dort nicht wieder zurückgekehrt. Man erzählte, er beabsichtige, nach England hinüberzugehen, wo seine älteste Schwester an den Grafen Bowley verheiratet war. Doch die anderen waren alle da, und Thorgut sah ihnen an, daß sie sich ehrlich freuten. Sowohl um Dagmars wie um seinetwillen. Selbst diejenigen, die ihm früher mit einer gewissen Reserve entgegengekommen waren, beeilten sich nun, ihn als Freund zu begrüßen. Es war ein recht vergnügter Nachmittag – dieses Wiedersehen mit der fröhlichen Welt der Umgebung. Thorgut fühlte sich nicht im mindesten angegriffen und sagte zu Dagmar, als sie am Abend allein waren:

»Sie sollen nur recht oft wiederkommen!«

Sie lehnte sich an ihn, streichelte ihn und blickte ihm zärtlich in die Augen.

»Bist du auch wirklich sicher, Robby, daß du sie wiederhaben willst? Sagst du das nicht nur, um mir einen Gefallen zu tun?«

»Gewiß nicht, Kind. Schließlich lebe ich ja unter den Leuten, und wir wollen doch endlich versuchen, ob nicht deine Freunde auch die meinen werden können. Das ist es doch, was du auch von Ferry Lohnstein verlangt hast.«

»Er hat es aber nicht getan, wie du siehst.«

»Tut es dir leid?«

Sie warf die Arme um seinen Hals und küßte ihn.

»Soll ich dir wirklich auf eine so dumme Frage antworten?«

Er machte sich lächelnd von ihr frei und schob sie etwas von sich.

»Nein – das brauchst du nicht. Aber ich möchte dich bei dieser Gelegenheit etwas fragen, was ich schon lange auf dem Herzen hatte. So eine Art Gewissensfrage. Sag, Dagmar, unter den jungen Leuten der Umgegend hier war doch sicher Lohnstein nicht der einzige, der dir den Hof gemacht hat?«

Sie lachte.

»Nein – gewiß nicht. Ich war immer so etwas wie eine heiß umstrittene Königin. Ich kann nichts dafür, Robby – es war mir oft genug peinlich. Ich habe nie mit anderen jungen Mädchen Freundschaft halten können. Sie wollten mich immer alle miteinander vergiften.«

»Gott, wie romantisch! Aber du hast mir die Frage selbst eigentlich noch nicht beantwortet. Wen hast du denn noch an deinem Triumphwagen mitgeschleppt?«

Das Lachen verschwand aus ihrem Gesicht. Überrascht, erschreckt sah sie zu ihm hin. So scherzhaft die Frage daherkam, so witterte ihr feiner Fraueninstinkt doch einen Ton darin, der aus der Tiefe herausklang.

»Was willst du denn mit dieser Frage? Glaubst du vielleicht, ich hatte etwas zu verbergen?«

»Ich denke nicht daran. Es ist mir nur in den letzten Tagen so manches durch den Kopf gegangen – Dagmar, es interessiert mich wirklich.«

Er war ernst geworden und sie wurde es mit ihm.

»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Anscheinend fragst du mit einer ganz bestimmten Absicht, Robby. Willst du mir diese denn nicht mitteilen?«

»Ja – ich frage mit einer ganz bestimmten Absicht – und ich werde dir auch nachher sagen, welches diese Absicht ist. Lohnstein hat dir einmal einen Heiratsantrag gemacht, nicht wahr? Auch noch andere?«

»Ich habe im ganzen drei oder vier Körbe ausgeteilt, bis ich mich endlich von dir betören ließ«, antwortete sie. »Beim armen Ferry, sage ich ehrlich, Robby, ist es mir am schwersten gefallen. Die anderen – Gott – da war der Panffy, dann der Generaldirektor Waßmann von den großen Werken in Steyr – ja – und natürlich auch der Pyrker und der Liebenstein. Aber du siehst, sie sind mir dennoch alle treu geblieben.«

»Dagmar,« sagte er nun beinahe feierlich, »ich bitte dich im vorhinein um Verzeihung für die Frage, die jetzt kommt, sie scheint mir jedoch unvermeidlich. Hat irgendeiner von den Männern, die sich früher um dich bemüht haben, versucht, sich dir nach unserer Hochzeit wieder zu nähern?«

Jähe Röte fuhr ihr über die Brust in die Wangen bis ins Haar hinauf. Sie kämpfte eine Minute lang mit sich, dann hob sie den Kopf und blickte ihm freimütig in die Augen.

»Es ist unheimlich, Robby, mit dir! Sage – was weißt du und was willst du wissen? Nein – nein – antworte nicht. Ja, es hat einer von ihnen den Versuch gemacht – voriges Jahr, kurz nachdem du Sternkron gekauft hast. Ich wollte es dir nie sagen, um dich nicht zu kränken – auch – um einen Streit zu vermeiden. Ich kenne dich – du bist oft jähzornig, aber du kannst versichert sein, ich habe den Mann gebührend in seine Schranken zurückgewiesen. Er hat die Lehre, die ich ihm erteilt habe, nicht vergessen.«

»Das hat er auch nicht, Dagmar. Denn dieser Mann, dem du die Lehre erteilt hast, hat mich niedergeschossen!«

»Nein!« schrie sie gellend auf.

Er nickte. Und seine Hand ballte sich langsam zur Faust.

»Jetzt wirst du auch begreifen, Dagmar, warum ich seinen Namen nicht dem Gericht nenne. In diese Abrechnung lasse ich mir von der sogenannten menschlichen Gerechtigkeit nicht hineinreden!«

* * *

Eines Tages überraschte Dagmar ihren Mann, wie er in der Halle eines der Gewehre aus dem Schrank nahm und es wieder so in die Höhe stemmte, wie damals an dem Unglückstage.

»Robby, was hast du vor?«

»Nichts Besonderes, Dagmar.«

Am Nachmittag ließ er sich ein Pferd satteln! und ritt nach Schloß Liebenstein hinüber. Harro war zu Hause und empfing ihn freudestrahlend auf der großen Rampe.

»Nein, das ist wirklich eine Ehre!« rief er. »Ich bin wohl der erste, den der wiedererstandene Poet besucht. Das muß gefeiert werden!«

»Das wird auch gefeiert werden, Liebenstein!« entgegnete Thorgut.

»Warum ist Dagmar nicht mitgekommen? Ich hätte die ganze andere Gesellschaft zusammentelephoniert, und wir hatten ein wunderbares Auferstehungsfest gefeiert.«

»Zum Feste feiern, so wie Sie es sich denken, Liebenstein, ist eigentlich noch nicht die Zeit. Aber ich hatte ganz gern mit Ihnen unter vier Augen gesprochen.«

»Nanu«, Liebenstein schaute mit lächelnder Überraschung seinen Gast an.

»Wir sind bald fertig. Ich werde Sie nicht lange aufhalten.«

»Na – wie Sie wollen, Herr Thorgut. Also wenn ich bitten darf –«

»Harro Liebenstein,« sagte er, »ich bin gekommen, um mit Ihnen wegen des Mordversuchs an mir und des vollzogenen Mordes am Neuhofer abzurechnen.«

Liebenstein, der sich eben in einen Sessel niederlassen wollte, blieb wie von eisernen Klammern gepackt in dieser Bewegung hängen. Seine Hände umkrampften die Lehne – grau wie Asche wurde sein Gesicht.


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