Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Susanne Warren

»Tu mir den Gefallen, Liebenstein, markiere nicht immer den Mentor! Ich kann nicht so heucheln wie ihr! Ich – ich – ach was, sagt Dagmar, – ich – sagt ihr, was ihr wollt! Sie wird schon verstehen. Einer von euch bringt dann morgen Josefa nach Hause, ja?«

Und fort ritt er in den sinkenden Abend. Dagmar kam zu ihrer Gesellschaft zurück und atmete befreit auf, da sie ihn nicht mehr vorfand.

Als man sich zu Tisch setzte, erschien Thorgut wieder, ganz erfüllt von der großen Expedition, die er vorhatte.

»Wir werden um 11 Uhr von hier aufbrechen«, erklärte er. »Christen geht über den Schwarzen Grund und Rimmelbach, der Pacher über Rohrwasser und die obere Jagdhütte, Leinert über Dreieichen und Himmelswiese; ich nehme den Weg über den Hirschsprung hinauf. So um drei müssen wir uns dann am Zweiengelaltar treffen. Ich denke, das ist ein strategischer Plan allererster Güte.«

»Unzweifelhaft, Meister«, stimmte Liebenstein bei. »Aber ich bitte Sie, nehmen Sie heute nacht ausnahmsweise einmal ein geladenes Gewehr mit.«

Thorgut hatte sein gutmütiges, herzliches Lachen. Die Szene von vorhin hatte er schon wieder vergessen.

»Ich treff doch eh' nix«, rief er im unverfälschten Wienerisch. »Da muß ich mir noch einen Mann mitnehmen, damit er mir den Kerl, den Neuhofer, festhält, oder ich müßte grad die Ehre haben, ihn vor die Büchse zu bekommen. Sonst kann ich ja nicht in Ruhe zielen.«

Man stand bald von Tisch auf. Dagmar und ihre Freunde waren bereits um sieben Uhr früh im Sattel gewesen. Sie waren alle miteinander müde, und selbst der höfliche Harro Liebenstein konnte kaum ein Gähnen unterdrücken. Thorgut küßte seiner Frau die Hand und verabschiedete sich auch von seinen Gästen.

»Du kommst mir noch Adieu sagen ehe du gehst, nicht wahr, Robert?« bat Dagmar, als sie ihn verließ.

Er lächelte ihr dankbar zu. »Gewiß, mein Kind!«

Oben in ihrem Zimmer schlief Ella bereits seit zwei Stunden. Thorgut trat auf den Zehenspitzen an das Bett und küßte die reine, weiße Stirn seines Kindes. Ein eigenartiges Gefühl legte sich dabei auf seine Brust – so etwas wie dumpfe Vorahnung heranschleichenden Unheils –. Tiefer beugte er sich über den schlafenden Blondkopf, zärtlich strichen seine starken Hände über die weichen Locken –.

Ein leises Geräusch hinter ihm ließ ihn auffahren. Er war beinahe erschrocken – Susanne Warren war eingetreten. Den Schlafrock übergeworfen, stand sie an der Tür und blickte zu ihm hin. Groß waren ihre Augen, tief, dunkel –

Er trat vom Bett zurück.

»Keine Angst«, flüsterte er. »Ich werde Ella nicht aufwecken. Ich wollte ihr nur Adieu sagen.«

»Sie gehen heute dort – dort – hinaus?« Die Stimme des Mädchens war kaum hörbar. »Nehmen Sie sich um Gottes willen in acht, Herr Thorgut! Sie können nicht wissen –«

»Bah – jetzt sorgen Sie sich auch noch um den Vater!« lachte er leise. »Das ist nett von Ihnen, Susi! Sie sind doch ein braves Mädel! Aber um mich brauchen Sie sich nicht zu ängstigen – mir geschieht nichts!«

Er gab ihr die Hand – kalt, unbeweglich war die ihrige. Seltsam waren ihre Augen –. Auf den Zehenspitzen schlich er aus dem Zimmer.

Ein paar Türen weiter kam er in das Schlafzimmer Dagmars. Sie hatte noch das Licht brennen und wartete auf ihn. Sie legte die Arme um seinen Hals und zog ihn zu sich herunter, als er neben ihr war. Weich waren die Arme, weiß und voll die Brust, auf die er sein Gesicht preßte, und alles gewährende Hingebung in ihrer Bewegung. Seine Sinne begannen zu glühen, und er suchte mit leidenschaftlichen Küssen ihren Mund –

»Ich weiß nicht – flehte sie, sich noch inniger an ihn schmiegend, »ich möchte dich am liebsten nicht fortlassen. Es ist so etwas wie Angst in mir – Robert – ich bitte dich – laß die Förster allein gehen! Du bist –«

»– ein Feigling?« Er richtete sich auf. »Mehr fehlt mir nicht! Du hast doch gehört heute nachmittag –«

»Laß sie reden, Robby! Ich weiß, was ich von dir zu halten habe. Und deshalb Robby – Liebster – bleib' bei mir – ich bitte dich! Ich – ich fürchte mich!«

Er küßte ihr die Bitten von den Lippen und verließ sie, da er fühlte, wie er schwächer und schwächer wurde.

»Ich werde ein Gewehr mitnehmen«, versprach er ihr. »Und Lord! Der ist mehr wert als zehn Gewehre!«

Sie seufzte und gab ihn frei.

»Gott behüte dich!« sagte sie leise und küßte ihn inbrünstig aus die Augen.

Er stieg langsam die Treppe hinunter und ging in die Bibliothek, wo er sich einen Kognak eingoß. Nervös fühlte er sich auf einmal. Das eigene Gefühl – dann die beiden Frauen – –! Verdammt! Er trank einen zweiten Kognak und zündete sich eine Pfeife an – neben ihm lag der mächtige Hund und bellte halblaut in seinen Träumen. So saß Thorgut lange in dem Sessel vor seinem Schreibtisch. Still lag das Haus. –

* * *

In den Gasträumen schliefen die beiden Mädchen bereits fest. Liebenstein war gerade mit dem Auskleiden fertig, als Pyrker, der neben ihm einquartiert war, ins Zimmer kam und nicht abgeneigt schien, die Ereignisse des Tages zum Gegenstand einer gemütlichen Unterhaltung zu machen.

»Weißt du, Harro,« näselte er, noch halb in der Tür seine kunstvoll geschlungene Krawatte aufbindend, »ich glaube, du hast recht. Wir tun dem Kerl, dem Thorgut vielleicht doch unrecht. Er ist nur anders als wir – weißt du, das ist es. Und ich kann mir nicht helfen – ich mein', es ist zweifelhaft, ob er dabei auch schlechter, oder besser gesagt minderwertig ist.«

Harro Liebenstein bereitete sich umständlich darauf vor, in sein Bett zu steigen.

»Sag' einmal,« meinte er, um eine kleine Nuance weniger liebenswürdig als sonst, »mit diesem Gefühlsausbruch hättest du nicht bis morgen warten können?«

Pyrker hatte die Krawatte endlich herunter und atmete freier.

»Warum soll ich dir das nicht sagen? Ich muß gestehen, mir hat er heute imponiert. Die Lektion, die er dem Esel, dem Ferry, gegeben hat, war bitter. Na, ich danke!«

»Ferry hat sie verdient«, ließ sich Liebenstein unter seiner Decke hervor vernehmen.

»Siehst du, das sag' ich auch!« rief Pyrker, durch die Zustimmung ermutigt und trat näher. »Ich versteh' den Menschen nicht! Mein Gott, wir sind ja alle mehr oder weniger in Dagmar verliebt – und der Teufel hätte diesen Federfuchser Thorgut vorher holen sollen, ehe sie ihn kennengelernt hat. Aber der Ferry tut ja, als hätte er den Verstand verloren. Er wird sie noch ins Unglück stürzen –«

»Hm –!« Billigendes Grunzen unter der Decke.

»Und sich dazu. Denn wenn Thorgut erst etwas merkt, dann möchte ich nicht in der Haut des anderen stecken. Was meinst du dazu, Harro?« Aber nicht einmal ein Grunzen antwortete dieses Mal.

»Harro – hörst du nicht?« rief Pyrker.

Harro Liebenstein hörte wirklich nicht. Er war bereits fest eingeschlafen.

»Idiot«, knurrte Pyrker und trat den Rückzug an. Fünf Minuten später schnarchte er selbst im eigenen Bett.

* * *

Dem Mann in der Bibliothek verrann mit lähmender Langsamkeit die Zeit. Er wurde immer nervöser – ein drittes, viertes Glas Kognak nahm er. Ob er sich nicht einen schwarzen Kaffee kochen ließ? Ging nicht – die Leute schliefen schon, und er wollte niemand aufwecken. Er war der rücksichtsvollste Herr, den es gab.

Woher nur diese Nervosität? So oft war er allein zur Nachtzeit durch den Wald gegangen. Hatte sich gefreut, erquickt an dem Märchenzauber der schlafenden Natur – und heute – gerade heute?

Diese Augen der Susanne! Merkwürdiges Mädchen überhaupt. Was hatte sie gegen ihn? Was? Hatte sie ihm die zweite Heirat nicht verziehen? Möglich – sie war die beste Freundin seiner ersten Frau gewesen – Maria – arme Maria –! So jung hatte sie gehen müssen, just, als er anfing, in die Höhe zu kommen – Er sank in Träume –

Plötzlich fuhr er zusammen. Der Hund hatte sich in die Höhe gerichtet, knurrte leise und schaute zur Tür. Vielleicht seine Leute, die ihn holen kamen –? Er warf einen Blick auf die Uhr – erst zwanzig vor elf. Konnten sie nicht sein.

»Ruhig, Lord! – Mir scheint, ich stecke dich an mit meiner Unruhe!« sagte er und zwang sich zu einem halben Lachen.

Der Hund war ganz aufgestanden und zur Tür gegangen. Mit ein, zwei schnaubenden Zügen zog er die Luft von draußen ein.

»Teufel, wer ist denn –?«

Mit raschen Schritten war Thorgut an der Tür, riß sie auf und trat in die Halle hinaus. Von einer antiken Laterne beleuchtet lag sie und die Treppe in ungewissem Halbdunkel –

»Ist jemand da?« rief Thorgut leise.

Ein Geräusch auf der Treppe. Er und der Hund sprangen hin – Da stand Susanne Warren in ihrem Schlafrock, mit nackten Füßen, die schwarzen Haare offen über Schulter und Rücken herabfallend.

Fassungslos starrte Thorgut sie an.

»Sie hier –?«

»Ich – hörte ein Geräusch oben –«

»Oben?«

»Ja. Wie wenn jemand herunterschliche. Haben Sie nichts gehört?«

»Ich? Nein – mein Gott, warum sind Sie denn heute nur so ängstlich! Sie und meine Frau –! Was ist denn nur mit euch los?«

»Ich – ich weiß nicht, Herr Thorgut.« Alle ihre sonstige Herbheit war verschwunden; sie war weich, furchtsam, voll Sorge und Kummer. Und Thorgut, in all seinem Ärger, seiner Überraschung, konnte nicht umhin, sich zu sagen, daß sie sehr schön dabei war. Noch nie hatte er sie so gesehen –.


 << zurück weiter >>