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Bracke
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Der Kurfürst ging von der Probe zum gefesselten Prometheus müde und gebückt, den linken Fuß ein wenig nachschleifend, durch die Ankleideräume der Schauspieler – er hatte sich seit kurzem eine Schauspielertruppe zugelegt – und eine Galerie, in der Soldaten übten, von der Galerie führte ein Gang zum Schloß.

Die Schauspieler grüßten ihn mürrisch.

Die Soldaten machten ihm drohend Platz.

Keiner senkte auch nur den Kopf zum Gruße.

»Du da,« der Kurfürst trat auf den ersten, einen riesigen Prenzlauer zu, »was erfrechst du dich, deinen Kurfürsten nicht zu grüßen?«

Sein Auge sah schief von unten zu dem Riesen empor, während seine magere Hand an seinem Gürtel zerrte.

Der Prenzlauer schüttelte sich, und der Kurfürst fiel wie ein Käfer von ihm ab.

Er kreischte: »Hundesohn!« und zu den andern gewandt, die unbeweglich standen:

»Schlagt ihn tot!«

Niemand rührte sich.

Von der Straße klang Kindergelächter.

Ein Händler schrie Früchte aus.

»Schlagt ihn tot!« kreischte der Kurfürst und krallte seine Finger, »ich lasse euch alle hängen, wenn ihr nicht gehorcht.« Der Prenzlauer reckte sich.

»Sieh zu, daß man dich nicht hängt ...«

Als wäre der Kurfürst nicht vorhanden, wandten sie sich wieder ihren Übungen zu.

Der Kurfürst ergriff ein hölzernes Übungsrappier, das ihm grade zur Hand lag, und stolperte geifernd auf den Prenzlauer zu. Der nahm es ihm aus der Hand und zerbrach es wie eine Gerte.

Winselnd vor Wut stürzte der Kurfürst in den Palast.

Er fiel in seinem Arbeitszimmer nieder, und ein Weinkrampf erschütterte ihn.

»Wo ist meine Macht? Daß mir die Soldaten schon nicht mehr gehorchen? Daß ich schon nicht vermag, jemanden töten zu lassen? Ach, wie einsam bin ich! Wie schwächlich! Wie ohne Funken Wirkung noch. – Ich spreche heiser wie eine Krähe.«

Er trocknete mit dem Ärmel seine Tränen und läutete.

Der Diener erschien. »Heißes Zitronenwasser!« schrie er, »ich bin heiser...«

Dann hinkte er auf den großen Bibliothekschrank zu, schloß ein Geheimfach auf und entnahm ihm eine kleine, mit einer grünlichen Flüssigkeit gefüllte Phiole.

Der Kurfürst goß den Inhalt der Phiole in das Zitronenwasser und stürzte es in einem Zuge hinunter.

Danach, als ihm der Schweiß auf die Stirn trat und farbige Kreise sich vor seinen Augen drehten, eine gepanzerte Faust sich um seine Kehle preßte, packte ihn eine maßlose Angst. Er schrie: »Hilfe! Hilfe! Hilfe! Man hat mich vergiftet!« Atemlos und entsetzt stürzten die Diener herbei.

»Der Arzt – wo ist der Arzt?«

Der Arzt war sofort zur Stelle. Er gab dem Kurfürsten ein Brechmittel, das ihm augenblickliche Linderung verschaffte.

Zusammengefallen, das dünne Haarbüschel wie eine Seehybride aus seinem Schädel wuchernd, saß er, ein schmutziger Affe, in den Decken und kaute Nüsse.

Der Diener, der ihm die Zitronenlimonade gebracht hatte, wurde wegen Giftmordversuches am Kurfürsten aufgehängt.

Sobald es der Zustand des Kurfürsten erlaubte, reiste er ins Feld ab.

 

Zwei Landsknechte disputierten:

»Ekel.«

»Dreck.«

»Ich könnte ebensogut mein Weib schlachten und fressen. Meinen Sohn in den Rauchfang hängen und dörren.«

»Ich habe genug Blut getrunken. Ich erbreche mich, wenn ich nur irgendwo eine rote Farbe sehe: eine rote Fahne, ein Abendrot.«

»Wofür morden wir?«

»Damit wir hungern.«

»Damit wir an Darmkrankheiten verrecken.«

»Damit der Kurfürst eine ausgerottete Provinz mehr regiert.« »Damit die feinen Herren sich desto fetter mästen.«

»Und ihre Huren um so goldener herumspazieren.«

»Unsere Weiber magern ab, daß ihre Brüste keine Milch mehr geben.«

»Unsere Kinder fallen ihnen schon tot wie wurmstichige Birnen aus dem Schoß.«

»Wenn man einen Menschen tötet, wird man gestäupt, gerädert und gehängt.«

»Wenn man tausend Menschen umbringt, heißt man Herr und Feldherr, kriegt eine Perlenkette um den Hals gehängt wie eine Dirne, eine Rosenpforte wird gebaut – jede Rose Sinnbild eines Totenkopfes, den er einem Lebenden vom Halse schlug, und die Dichter singen von seinen Taten.«

Bracke trat zu dem Gespräch hinzu:

»Verflucht seien die Dichter!«

Der eine Landsknecht höhnte:

»Bracke – bist doch selber einer und fluchst deiner Kameradschaft.«

Bracke brüllte: »Verflucht jedes Wort, das ich zum Ruhme des Feldherrn sprach, verhülle sich der Mond, platze die Sonne – wenn ich je ein Wort wie Held, tapfer, Ruhm noch in den Mund nehme.«

Die Landsknechte horchten:

»Was willst du künftig sprechen?«

Bracke krampfte die Rechte zur Faust:

»Haß dem Morde, Hymnus dem Leben – auch dem geringsten. Aufgehende Blüte der Sonnenblume! Gang der Schildkröte! Die Flügel der Fledermaus. Einsame Mutter in dunkler Nacht, wenn die Fensterläden krächzen, die Decke vom Dache fällt, der Boden klafft – und Schlangen ihm entkriechen. Liebe der Liebenden in der Bohnenlaube. Umarmung der herrischen Herzen – trotz Tod, trotz Trübsal, trotz Kurfürst, Kaiser und Edikt.«

Der eine Landsknecht lallte:

»Wenn der Kurfürst ein Einsehen hätte – gäbe er sein Kommando ab – ehe wir ihn dazu zwingen.«

Der Zweite jauchzte: »Der Narr sei unser Feldherr.«

»Der Friedliche!«

»Kämpfe du für den Frieden – und uns werden Löwenkräfte wachsen – Geierfittiche unsern Hüften entschießen.«

Die Landsknechte knieten nieder:

»Sieh uns knien – hilf uns.«

Bracke hob die Hände:

»Ich höre Bruderrufe... wartet der Zeit... wartet meiner, so werde ich das Banner ergreifen – und euch voranziehen – in den flammenden Kampf: für Mensch und Menschheit, für Friede und Freiheit.«

 

Der Kurfürst warf sich in seinem Zelt schlaflos von einer Seite auf die andere:

»Ich bin müde. Fächle mir Schlaf, Stern. Ich spüre Wehen. Eines goldenen Windes. Einer Mutter...«

Ein Vogel sprach:

»Ich bin es. Wehe um deine Stirn. Sei gut! Denke an mich!« »Geliebte!«

»Hebe die blutbefleckten Hände nicht! Laß mich entflattern, beflecke meine weißen Flügel nicht! Bist blutig!«

»Auch an deiner Brust – blutete ich...«

»Dein Blut sprang hell – am Schwert gerinnt es dick und grau.«

»Zuweilen lockt es mich: Stoß dir dein Schwert ins eigene Herz. Lösche den Tatendrang durch höchste Tat: die Tat durch Tod.«

»Bleibe... für ein Frühlingsbeet...für tanzende Schaukel – Blumenboot auf blauem Fluß.«

»Erinnere mich nicht an jene Nacht, an der ich dir zuerst deine kleinen Brüste küßte. Sie kam so spät. Ich falle auseinander: wie ein Mann aus Mosaik. Ich brauche Fassung... zur Schlacht. Sprenge die Eisenketten nicht, die meine Glieder halten, mit deinem Gesang!«

»Der Morgenstern schimmert schon auf den Lanzenspitzen deiner Krieger. Erhebe dich und schlage die letzte Schlacht – zerbrich dein Schwert – geh zum Feldherrn der Feinde – umarme ihn, sag: Bruder – wir wollen heute ein fröhliches Fest feiern, deine und meine Soldaten wollen zusammen tanzen – und morgen gehe ein jeder, wohin er will, wag's! Fasse dir ein, mein, dein Herz.«

Der Vogel entschwebte.

Bracke trat ins Zelt:

»Was wünscht Ihr?«

Der Kurfürst richtete sich schwer aus den Kissen:

»Hier hast du mein Dolchmesser – schneid mir mein Herz aus der Brust – ich kann es nicht mehr tragen – es ist reif wie eine faule Pflaume.«

Bracke sprach:

»Herr, ich weigerte dir nie einen Befehl –«

Der Kurfürst flehte:

»Tu's!«

Bracke sann:

»Du warst kein sanfter Herr.«

Der Kurfürst stöhnte:

»Tu's... reiß mir das Herz aus dem Leibe... es bleibt mir nur... mich wegzutun von dieser und jener Welt. Führe du das Heer in ein gelobtes, ein geliebtes Land... das ich nur ahne... das mir zu sehen, zu betreten nicht mehr vergönnt ist. Stoß zu!«

Bracke hob das Messer mit dem brandenburgischen Adler am Knauf und stieß es dem Kurfürsten bis ans Heft ins Herz.

Der Kurfürst fiel tot um.

Bracke hob das Horn des Kurfürsten und stieß hinein. Er riß von einem Gebüsch einen Zweig ab.

Das Heer, ein Ährenfeld von Lanzen, rauschte vor dem Zelt des Feldherrn.

Bracke stieß noch einmal ins Horn.

Dann winkte er mit dem Zweig und sang die Worte mehr, denn er sie sprach:

»Friede... Friede...«

Die Soldaten sanken, die Lanzen umklammernd, in die Knie.

 

Bracke erwachte im dunklen Walde, am Ufer eines Sees:

»Wo bin ich?«

Ein Baum sprach: »Bei dir.«

»Ich fuhr über den See –«

»An anderes Ufer.«

»Mich schmerzt das harte Lager –«

»Schmerzt anderes dich nicht?«

Bracke stöhnte:

»Mein Herz.«

»Du warfst es nicht den Fischen vor?«

»Mir fehlte der Mut –«

»Dir fehlte der Grund –«

»Des Sees?«

»Des Seins...«

»Wo ist der Morgen?«

»Zwischen den Ästen er erscheint.«

»Dunkel?«

»In Hoffnung!«

»Wen trägt er?«

»Alle Kinder...«

»Auch mich?«

»Auch dich!«

Die Dämmerung graute rosa.

Bracke betrachtete seine Hände: »Wie widerlich meine Hände sich krampfen! An Mord gewöhnt! Könnt ich die Sonne erdolchen!«

Der Baum sprach:

»Lästre das Licht nicht! Sonst erschlägt dich mein Wipfel!«

Bracke sah empor:

»Du redest – Baum ?«

Der Baum rauschte:

»Im Winde –«

»Deine Kinder sterben... im Winde... Blatt auf Blatt fällt zur Erde... es ist Herbst...«

»Mein Totes... stirbt. Aber ich stehe. Was wurzeln hat, bleibt im Winter...«

Bracke winselte:

»Vielleicht... bin ich wurzellos. Sturm knickt mich. Oder ich erfriere...«

»Du bist kein Baum – nur ein Mensch – Gedanke kann dich retten.«

»Ich bin ein Mörder –«

»Ich hörte es, als du unter mir schliefst. Schon als du atmetest, wußte ich: ein Mörder.«

»So wißt ihr mehr von uns, als wir glauben.« »Ihr glaubt nur euch. Dies ist eure Lüge. Auch Bäume können beten – und morden.«

»Was tut ihr einem Mörder?«

»Nichts... er tut sich selbst, was er sich antun muß.«

»Jeder richtet sich selbst?«

»Richtet sich selbst – nach dem Himmel und nach der Erde.«

»Was ist das Böse?«

»Das: sowohl als auch. Das: vielleicht ja – vielleicht nein –, das: später einmal. Wer gut denkt, ist gut. Sieh hier den Wald – es stehen viele Bäume neben mir: erst viele Bäume machen den Wald. Erst tausend Wälder machen die Welt.«

»Deine Welt... die Baumwelt...«

»Und deine Welt... die Menschenwelt? Besteht sie aus einem Menschen – aus dir?«

»Ich büße. Ich flamme.«

»Ganz ist die Sonne aufgegangen. Sieh: ich halte sie mit meinen Ästen. Bis zur Dämmerung lasse ich sie nicht. Sie hängt an mir.« Bracke entbrannte:

»Sonne – zurück zu ihr – den Weg noch im Hellen gemacht – früh genug noch fallen die Schatten der Nacht auf den goldenen See. Ich eile – ich eile –«

 

Die Kurfürstin wurde, da ihr sonst nichts vorzuwerfen war, der Hexerei beschuldigt.

Sie habe, hieß es in den Anklageakten des revolutionären Volkskomitees, das Berlin in seiner Gewalt hatte, mit ihren schönen, teuflischen Augen die Männer verhext, so daß sie, ihrer Sinne nicht mehr mächtig, umhergetaumelt, ihre eigenen Frauen als häßlich und unansehnlich verachtet, und immer nur ihr Bild in sich so hoffnungslos umhergetragen wie eine in einem eisernen Kasten eingeschlossene Reliquie.

In einem johlenden Volkshaufen, an dessen Spitze der Einsiedler vom Berge mit seiner Eisenstange marschierte und der Conte Gaspuzzi mit einer großen Trommel, voll Seligkeit, endlich ein Instrument zur Ausübung der Musik sich überantwortet zu wissen – wurde die Kurfürstin, nur mit einem weißen Hemd bekleidet, die Hände auf dem Rücken zusammengebunden, auf einem Schinderkarren zum Schafott geführt, das vor dem kurfürstlichen Palast errichtet war.

Als sie nun niederkniete und der Henker sein Schwert hob – es war aber der Henker aus Trebbin, mit dem Bracke so oft zusammengesessen und um Tod und Leben gespielt hatte – und sie noch einmal ihre schönen Augen zu ihm emporrichtete und sprach: »Schlag schnell, Henker!«, da ließ er sein Schwert fallen, kniete neben ihr nieder, umarmte sie, löste die Fessel ihrer Hände, sprang auf und schrie über das Volk hin, welches zu murren begann:

»Ich erkläre die Delinquentin zu meinem Weibe!«

Das zischte wie ein Peitschenhieb über die Menge. Da schwoll ein Gemurmel auf und ab, wie ein Fluß im Hochwasser durch die Wälder bricht.

Das Volk aber wurde gezwungen, sein eigenes Jahrhunderte altes Recht zu respektieren, danach eine Hexe vom Schafott frei und ihrer Bande ledig sei, sobald ein Mann sich fände, der sie zur Ehe begehrte.

Der Henker hob die Kurfürstin, die in Ohnmacht dahingesunken war, auf seine Arme und trug sie, ohne seiner Last inne zu werden, durch das Volk, das ihm Spalier bildete, zurück auf den Schinderkarren, setzte sich selbst darauf, ergriff die Zügel, schnalzte mit der Zunge und fuhr mit ihr nach Trebbin.

 

Bracke kehrte nach Trebbin zurück.

Er kam des Abends an und ging in eine üble Kneipe der Vorstadt.

Dort saß er mit dem Henker, dem Mörder und dem Abdecker wortlos beim Wein und würfelte; da öffnete sich die Tür, und herein trat, in einer Kleidung aus grober Leinwand: die Kurfürstin.

Sie trat auf Bracke zu, die Tränen stürzten ihr über die Wangen:

»Bracke, ich habe Euch lieb wie zuvor. Aber jener« – und sie wies auf den Henker – »hat mich vom Schafott errettet, warum wart nicht Ihr zugegen? Ich habe Euch mit aller Kraft meines Herzens herbeigewünscht. Aber glaubt mir: der Henker ist ein besserer Mann als der Kurfürst. Des Nachts küßt er mich auf den Hals, den er mir hätte zerschlagen sollen, und am Tage fangen wir Schmetterlinge und Eidechsen.«

Bracke fiel, als hätte er zuviel getrunken, vom Stuhl.

Der Henker, der Abdecker und der Mörder trugen ihn auf ein schnell bereitetes Gastzimmer.

Die Kurfürstin saß, seine Hand in der ihren, die ganze Nacht am Bett, in dem er sich fiebrig wälzte.

» Agnus Dei,« sang sie, » qui tollis peccata mundi, done nobis pacem


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