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Bracke
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Sankt Peter ging mit seiner Geige über Land und spielte auf den Dörfern und Städten in den Schenken Sonntags, am Tag des Herrn, zum Tanze auf.

So kam er auch einmal nach Trebbin in das Gasthaus zum Stern.

Dort feierte Bracke eben seine Hochzeit mit Grieta, der Tochter des Klempners Buchenau, der aus dem Hessischen ins Märkische zugewandert war.

Es traf sich nun, daß der Stadtmusikant unpäßlich war, weil er den Abend vorher zuviel gesoffen, und daß also das Fest ohne Musik und Tanz vor sich ging, zum großen Kummer Brackes, seines Weibes und seiner Gäste, darunter des Conte Gaspuzzi.

Bracke dachte hin und her, wie er Musik herbeischaffe, er dachte an die heilige Cäcilie, wie sie so trefflich Harfe spiele, und an den heiligen Johannes, der mit der Orgel wie ein Küster vertraut – da trat verstaubt und beschmutzt Sankt Peter durch die Tür und bot freundlich sein Grüß Gott.

Voller Freude sprang alles ihm entgegen, die Knaben hängten sich an seinen Mantel, und die losen Mädchen zupften ihn an dem hübsch vom himmlischen Barbier gestutzten Bart.

Und Grieta, im Myrtenkranz, sprach:

»Lieber Mann! Bitte, spiel' uns zum Tanz! Denn was ist eine Hochzeit ohne Tanz? Spielt nicht auch im Himmel Sankt Peter mit seiner Geige den Engeln auf?«

Das gefiel nun Sankt Peter, daß sein Name so freundlich genannt wurde, und er hob die Geige und spielte nie gehörte himmlische Weisen, daß den Leuten die Augen übergingen vor Freudentränen.

Der Conte Gaspuzzi aber schluchzte aus tiefstem Herzen, und es drohte ihm die Brust zu zersprengen. Als einziges Paar tanzte Bracke mit seiner jungen Frau.

Sie schwebten unhörbar über den mit Sand bestreuten Fußboden, daß jeder, der sie ansah, meinte, sie tanzten auf Wolken.

Als Sankt Peter zu Ende gespielt und den Bogen abgesetzt, rief alles: »Vergelt's Gott!« Und man lud ihn zu Schmaus und Trank.

Da hockte nun Sankt Peter zwischen Bracke und seiner jungen Frau und hatte seine Lust am menschlichen Treiben. Und als er Frau Grieta, die schwarzhaarig neben ihm saß (denn ihre Mutter war eine Wendin aus dem Spreewald), so recht betrachtet hatte, da seufzte er und sprach:

»Warum bin ich kein Mensch mehr? Um einer solchen Frau willen wollte ich alle Engel Engel sein lassen.«

Tröstete sich aber mit dem guten Trebbiner Bier, davon er manchen Humpen an die Lippen führte und wacker Bescheid tat – nach links und nach rechts.

Spät nachts ging er über die Milchstraße heim und kam erst um fünf Uhr früh an den Himmel, als Gabriel schon die Türschwelle fegte, Rafael die letzten Sterne hereinholte und Magdalena eben die Morgensuppe kochte.

Da neckte er die heilige Magdalena und sprach:

»Magdalena, ich weiß einen Engel, der aber kein Engel ist, der ist schöner als du...«

Dies wollte nun die eitle Magdalena nicht wahr haben und fragte, wo es denn diesen schönen Engel, der kein Engel und also doch auch nicht schön sei, gäbe.

Da zeigte Sankt Peter hinab auf die Erde in die Hochzeitskammer Brackes, wo das junge Ehepaar Arm in Arm schlief, und die ersten Strahlen der Morgensonne liefen wie kleine, weiße Käfer über ihre Gesichter.

 

Küsse mich mit deinen Traubenlippen! Du vom Herrn und von vielen Frauen Gesalbter!

Duft dein Name: sprich ihn in mich hinein! Reiß mich empor zu dir und laß uns stürzen hernieder auf dein Bett.

Ich juble und trinke deine Liebe, die süßer denn süßester Wein.

Gerecht nur bin ich, wenn ich, die Niedere, den Hohen liebe.

 

Ich bin dunkel, aber ich leuchte, ihr Mädchen Jerusalems.

Ich, Hütte Kadors! Teppich Salomos!

Wendet euer Auge: Ich bin so dunkel, weil mich das Licht verbrannt hat.

 

Meiner Mutter Söhne ziehn die Stirnen kraus.

Sie gaben Befehl: Hüte unsere Weinberge –

Ach, ich vergaß, den meinen zu hüten...

 

Du, den ich innen liebe wie außen:

wo weilest du in der Mittagsglut?

Muß ich dich suchen von Freund zu Freunden?

 

Schönste Frau, folge den Spuren der Schafe.

Und weide dein junges Getier bei den Hütten der Hirten.

 

Geliebte, ich vergleiche dich dem weißen Pferde an Pharaos Wagen.

Über deine Wangen hängen Ketten, Perlen um deinen Hals.

Zum Goldschmied gehe ich: eine Kette aus goldenen Tränen bestellen.

 

Wendet der König sich zu mir: ich erblühe und dufte.

Er ist wie Myrrhen, das zwischen meinen Brüsten hängt.

Er ist mir Blüte und Rebe des Weinstocks zu Engede.

 

Schön bist du, Freundin, schön: deine Augen schwirren:

Tauber und Taube!

 

Schön bist du, mein Freund, schön bist du.

Dein Antlitz Frühling.

Unser Bett sproßt.

Unseres Palastes Balken sind Zedern und die Decke aus Zypressen.

 

Am Tage nach seiner Hochzeit fand man zwei junge Mädchen aus Trebbin aneinander gebunden ertränkt in der Spree auf.

»Was bin ich für ein Mensch«, brüllte Bracke. »Ein Trunkenbold der Tugend! Notzüchter der Gesinnung! Was ist an mir, daß schöne, schuldlose Frauen in mich hinein, auf mich hineinfallen wie in eine tiefe Zisterne, die für Regenwasser bestimmt ist, es ist aber Dürre, und sie bleiben mit zerschmetterten Gliedern am Boden liegen!

Was ist an uns mit den breiten, platten Köpfen: Kiefernmenschen, Sandläufern, Bibertieren des Bobers und Wasserratten der Spree. Die Götter der Vorzeit wandeln noch in uns verzaubert: Baldur, der Gott des Lichtes, und Loke, der Gott der Finsternis. Da mischt sich Hell und Dunkel wohl zu jenem fürchterlichen Grau, das wie ein Hammer ist, und das den Amboß selbst zerschmettert.

Werden an der Gänselache nicht am Tage der Hexen noch Menschenopfer dargebracht?

Verschwinden nicht kleine Kinder und werden geschlachtet in den Wäldern an Baumaltären, heidnischen Göttern noch errichtet?

Was sind wir für Menschen: der Atem unserer Liebe ist heiß wie Juliwind, aber im Anhauch unseres Hasses gefrieren Seelen wie Teiche im Februar.

Ich bin ein Irrlicht, das auf den Sümpfen der Spree-Niederung tanzt.

Ich bin der Sumpf selber, darein die Frauen versinken, ohn' daß ich's will.

Ein Sumpf, verflucht zum Sumpfsein.

Klabautermann, der die Schiffe zum Untergang lockt – und selber strahlt und himmlisch leuchtet: einen riesigen Pokal mit Rotwein in den Händen schwingt, davon sie alle trinken. Und trinken Blut, Elmslicht, das auf den Spitzen der Masten hüpft. Herr, rette mich, daß meine irre Flamme sich zur reinen Flamme des heiligen Geistes läutere und zu Pfingsten herniederfahre auf aller Stirnen, daß ich zum rechten Weg – zu Untergang und Abgrund künftig nicht mehr leuchte.«

 

Bracke kaufte auf dem Markte zwei Krammetsvögel.

Da ging der Wirt zum Stern vorbei und sprach:

»Wißt Ihr auch, wie man Krammetsvögel recht zubereitet?«

Bracke sprach:

»Ich gedachte, sie nach meiner Art in der Pfanne zu braten.«

Da sprach der Wirt:

»Ich werde es Euch erzählen, wie man sie in den fürstlichen Häusern und in meinem Hause zubereitet, damit sie schmackhaft werden wie das ewige Manna.«

Und er erzählte Bracke die Zubereitung.

Da sprach Bracke: »Das ist mir zu lang, ich vergesse das Rezept. Schreibt mir's auf.«

Und der Wirt schrieb es ihm auf einen Zettel.

Da wandte sich Bracke nun mit den Krammetsvögeln und dem Zettel nach Hause.

Unterwegs aber regten sich die Krammetsvögel in seiner Hand, und der eine rief:

»Bracke!«

Bracke drehte sich um.

Da war kein Mensch zu sehen.

Und der Krammetsvogel rief wieder:

»Bracke!«

Da sah Bracke zu dem Krammetsvogel nieder und sprach:

»Was willst du? Hast du noch einen Wunsch, bevor man dich brät?«

Der Krammetsvogel zwitscherte heiser:

»Das Rezept, das dir der Wirt gegeben hat, taugt nicht. Bereite uns zu, wie du es gewohnt bist, aber ich bitte dich um eins: dies hier ist mein Weibchen, und wir lieben uns sehr. Ich bitte dich, uns in einer Pfanne zu braten.« Da machte Bracke die Hand auf:

»Fliegt nur hin! Mir wird bei diesen Worten, als sollte ich mich selbst und meine Frau in einer Pfanne braten. Ich will in meinem Leben keine Krammetsvögel mehr essen.«

Und schritt fürbaß und rupfte sich vom Wege Ähren, die er verzehrte.

 

Es gesellte sich zu Bracke, als er so seiner Straße wanderte, ein Mann mit Fes und Pluderhosen, einem braunen Dattelgesicht und schwarzen Lakritzenaugen, aber weißen Haaren, wie aus Mondstrahlen geflochten. Er trug einen Korb und sprach:

»Ist es erlaubt?«

Und Bracke antwortete:

»Es ist nicht erlaubt – da es nicht existiert. Aber ich erlaube Euch, mit mir zu gehen, das heißt mit mir zu existieren. Ihr seid der deutschen Sprache nicht mächtig, wie es scheint!«

»Ihr müßt entschuldigen,« sprach der andere, »meine Heimatsprache ist das Türkische. Ich bin ein Türke. Man nennt mich Nassr-ed-din. Geboren bin ich auf dem Halbmond zu Akschehir in Asien und bin ein Dehri.«

»Ich heiße Bracke und bin geboren bei Vollmond zu Trebbin im römischen Reich. – Was habt Ihr dort im Korbe?«

»Halwa. Mögt Ihr kosten?«

Er öffnete den Korb, und Bracke versuchte die Süßigkeit.

»Ich habe gekostet. Was kostet das?«

»Einen Para,« sagte der Türke, »aber ich schenke es Euch.«

»Das soll Euch Gott lohnen, und ich will Euch ebenfalls etwas schenken.«

Er bückte sich und fing einen Heuhüpfer.

»Da ... tragt ihn stets mit Euch umher, er wird Euch lehren, wie man durch das Leben kommt.«

Der Türke sprach:

»Auf einem solchen Heupferd bin ich von Kleinasien nach Europa geritten. Mir ist dieses Tier nicht unbekannt.«

»Wenn Ihr auf einem Heuhüpfer zu reiten vermögt, so seid Ihr der große Doktor Faust, der sich in einen Türken verwandelt hat – von dem die Sage geht?«

»Der bin ich,« sprach der Türke, »wenn auch, wie Ihr seht, nicht ganz so groß wie Ihr, ich reiche Euch nur an die Schultern.«

Da hob ihn Bracke mit den Händen hoch und setzte ihn sich auf den Rücken.

»Ihr sollt größer sein als ich.«

Und er trug ihn huckepack bis nach Berlin, wofür ihm der Türke dankte und sprach:

»Ich werde Euch, wenn Ihr gestorben seid, das Telkyn sprechen. Erinnert Euch meiner!«

»Immer,« sprach Bracke, »denn ich habe Euch wie eine Mutter ihr Kind getragen. – Aber sagt mir zum Abschied, aus welchem Buche Ihr Eure zauberische Weisheit schöpftet, daß ich es lese und zunehme an Verstand?«

»Ich las einzig das Myftah ül ülum, den Schlüssel der Wissenschaften. Aber Ihr werdet es nicht verstehen, denn es ist in türkischen Lettern und türkischer Sprache geschrieben, wißt aber, daß dies die Essenz ist, gepreßt aus den tausend Rosenblättern des Buches: Lebe dein Leben! Und stirb deinen Tod! Ich will Euch zum Abschied einen persischen Spruch sagen, den beherziget:

Bescher maverajy dschelal-esch ne-jaft
Befer muntehajy kemal-esch nejaft.

Gottes Barmherzigkeit sei mit dir!«

Er bestieg sein Heuschreckenpferd und war mit einem Satz über die Dächer verschwunden.

 

Als Bracke von Berlin nach Trebbin zurückkehrte, traf er unterwegs einen Fuhrmann, der hatte Bier in Tonnen hoch auf seinen Wagen geladen und sprach:

»He, guter Freund – ist es noch weit nach Berlin?«

Da antwortete Bracke:

»Wenn du langsam fährst, so kommst du wohl noch vor Abend hin.«

Der Fuhrmann lachte und dachte bei sich: Welch ein Narr! Wenn ich schon mit Langsamfahren hinkomme, sollte ich nicht mit schnellem Fahren eher hingelangen? Hieb auf seine Pferde ein, schrie »hü-hott« und jagte davon, daß die Biertonnen wackelten.

Er war aber noch nicht fünfzig Schritt weit gefahren, als einige Biertonnen herabkollerten und im Straßengraben liegenblieben.

Da mußte er nun fluchend anhalten, verlor viel Zeit, sie wieder auf den Wagen aufzuladen und erkannte, wie weise der Fremdling gesprochen.

Er fuhr von nun ab schön langsam und kam also flinker nach Berlin, als wenn er schnell gefahren wäre.

 

Es lebte in der Nähe von Trebbin in einer Höhle des Waldes ein Mörder. Der hatte einen roten Bart und einen dunklen Blick aus blauen Augen, so daß ihn jedermann fürchtete und ihm aus dem Wege ging. Er hatte in seiner Jugend im Jähzorn und aus Eifersucht seinen Bruder erschlagen. Aber er trug schwer an seiner Tat, scheute Sprache und Antlitz der Menschen und kam nur zuweilen in der Dämmerung nach Trebbin, Einkäufe zu machen: einen Hammer, Feile, Nägel, Zucker, Salz, Brot, oder wessen er sonst bedurfte.

Er hockte danach mit dem Henker zusammen in einer üblen Kneipe und würfelte.

Sie hatten aber ein kurioses Spiel: Tod und Leben: mit einem Würfel. Ein Auge bedeutete Leben, zwei: Tod, drei: Hölle, vier: Seligkeit, fünf: Teufel, sechs: Gott.

So würfelten sie nun, und es gewann der Tod über das Leben, die Seligkeit über die ewige Verdammnis, Gott über den Teufel.

Bracke saß des öftern mit ihnen zusammen, zu welchen sich dann noch der Abdecker gesellte, stinkend nach gefallenem Tier.

Es war aber nur Bracke, der mit den drei Verfemten verkehrte.

Sie saßen nächtelang und sprachen kaum ein Wort. Aus dem obern Stock klang Gelächter von Dirnen, Grunzen menschlicher Eber, und vom Hofe der Schrei einer liebeskranken Katze oder eines jagenden Käuzchens. Am Morgen begleitete Bracke den Mörder in den Wald und reichte ihm zum Abschied seine Hand.

Für diesen Händedruck lobpreiste der Mörder Gott und dankte ihm für das Leben: daß es auch gute Menschen gebe, nicht bloß Mörder, Henker und Abdecker.

 

Sie saßen in der Schenke, und der Bürgermeister hob den Humpen und sprach:

»Bracke, erzählt uns doch ein paar neue Lügengeschichten, deren Ihr immer so viele wißt.« Und Bracke stützte den Kopf in die Hand, den Arm auf den ungehobelten Tisch, sah in die leere Wand und sprach:

»Es war einmal ein altes Weib, das sagte, als man es nach seinem Alter fragte: ›Ich bin älter als Methusalem...‹

Es war einmal ein Kaiser, der glaubte ein Mensch zu sein wie andere auch und bot mir die Hand und sagte: ›Gott sei mit dir, Bruder Bracke!‹

Es war einmal ein junger Hahn, der überließ ohne Kampf seine Hennen sämtlich in christlicher Demut einem zugereisten fremden Hahn...

Es war einmal eine Mutter, die meinte, ihr Kind sei das dreckigste und dümmste Geschöpf, so auf Gottes Erdboden herumliefe...

Es war einmal ein Jüngling, der schwur seiner Geliebten keine ewige Treue, sondern er ließ sie wissen: er werde sie demnächst betrügen. Darob ward sie heiter und guter Dinge und herzte und küßte ihn und schmeichelte ihm: ›Was tut's, mein Hans,‹ so sprach sie, ›wenn du mich heute nur liebst...‹

Es war einmal ein Bürgermeister, der grüßte alle ehrbaren Bürger seiner Stadt zuerst und fühlte sich als Diener der Gemeinschaft...

Es war einmal ein Henker, der hätte lieber sich selbst denn einen armen Pferdedieb aufgehängt...

Es war einmal ein Stern, der glaubte nicht, Mittelpunkt der Welt zu sein...

Es war einmal ein Dichter, der rühmte die Werke eines andern Dichters, mit dem er persönlich verfeindet war, gerechterweise auf das höchste...

Es war einmal ein Fuchs, der ließ sich vom Lamm fressen...

Es war einmal eine Schnecke, die lief tausend Meilen in der Stunde – so schnell wie die märkische Post...

Es war einmal ein Krebs – der ging immer vorwärts –, so schnell vorwärts wie die Entwicklung des Menschengeschlechtes...

Es war einmal ein Feldherr, der sagte: ›Es ist genug des Mordens, wir wollen Friede machen...‹

Es war einmal ein Ehebrecher, der ging zum betrogenen Ehemann und sagte: ›Deine Kinder sind von mir...‹

Es war einmal ein Mensch, der sagte: ›Ich bin ein Sünder. Ein Sauf- und Trunkenbold. Ein Hurenknabe. Ein Verleumder. Ein boshafter Schwätzer. Ein tückischer Träumer. Ich will es büßen.‹

Es war einmal ein Possenreißer, der sagte die Wahrheit, indem er log – aber niemand glaubte sie ihm...«

 

Ehe die peinliche Gerichtsverordnung Karls des Fünften erschien, nahm man es im römischen Reiche mit dem niedern Diebstahl nicht so genau.

Es stahl jeder einmal, was ihm zufällig in die Hand kam: einen silbernen Becher beim Wirt, eine süße Semmel beim Bäcker, beim Metzger eine Wurst, beim Philosophen einen Gedanken und beim Dichter einen Vers oder zwei.

Als nun die Carolina, die peinliche Gerichtsverordnung Karls des Fünften, in Trebbin zum erstenmal öffentlich aushing – war sie am nächsten Tag gestohlen.

Bracke hatte sie nachts, als er von der Kneipe kam, heimlich vom Rathaus herabgenommen.

Denn er hatte Mitleid mit den Dieben.

 

Der Kurfürst beobachtete eines Tages in seinem Park zwei Weinbergschnecken im Liebesspiel.

Er sah, wie sie sich erhoben, und wie sie jene wunderlichen Instrumente, die man Liebespfeile nennt, auf einander abschossen. Tief und schmerzhaft drangen sie sich gegenseitig ins Fleisch.

Die Kurfürstin, unberührt und unberührbar, stand neben ihm. Mit einem Fächer aus Perlmutter wehte sie sich Kühlung über ihre Brüste.

»Mein Apennin«, sagte der Kurfürst. »Schneegebirge, das ich nie besteigen werde«, und küßte sie leicht auf die linke, dem Herzen zugewölbte Brust, »was läßt du noch künstlich Eiswinde wehen – da du kalt bist wie parischer Marmor. Und dein Hauch läßt die Blumen erfrieren. Fassest du in eine Flamme – so gerinnt sie zu einem roten Eiszapfen, wir verwunden uns wie die Schnecken mit widerhakigen Pfeilen, den Pfeilen Amors, und sterben vielleicht noch aneinander...«

»Du irrst, Kurfürst,« lächelte die Kurfürstin, »ich werde zwar vielleicht eines Tages von dir – doch niemals an dir sterben. Denn weder liebe noch hasse ich dich: sondern ich kenne dich nur.«


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