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Mißernte erzeugte eine Hungersnot. Nirgends war Korn zu haben oder zu unerschwinglichen Preisen. Das Vieh: Kälber und Schweine, fielen in Krankheiten, die ihr Fleisch ungenießbar machten.

Selbst an den Tischen der Reichen aß man nur noch mit der Hand gepreßten Ziegenkäse und Früchte. Um die vorhandenen Lebensmittel zu rationieren, erließ der Kurfürst ein Verbot, in den Schenken Gekochtes und Gebratenes, mit Ausnahme von Kohl und Hülsenfrüchten, feilzuhalten. In den Volksküchen durfte am Tage nur ein Gericht gegeben werden, und jeder Gast hatte nur Anspruch auf eine Portion.

Der Luxus der kurfürstlichen Tafel aber ließ in keiner Weise nach. Dort speiste man noch Schweinskopf in Himbeersoße, Trüffel, gehackten Kalbsbraten, ausländische Hühner und feines Weißbrot.

Es erbitterte das Volk auf das höchste, als ein Getreideschiff aus Stettin eintraf, das nur für die Hofhaltung bestimmt war.

Die Menge bildete zähnefletschend Spalier, als vom Hafen die Getreidesäcke auf Eseln in das Schloß wanderten.

Als aber ein rebellischer Stallmeister von den kurfürstlichen Marställen berichtete, die Pferde des Kurfürsten, besonders seine beiden Schimmel, die er fast vergötterte, würden noch mit der feinsten Gerste und den erlesensten Leckerbissen gefüttert –, da sammelten sich allerorten erregte Volkshaufen, die sich zu Kolonnen zusammenrotteten und im Takt durch die Straßen marschierten, während sie alle fünf Schritte dumpf und eintönig wie aus einem Munde sangen:

»Wir ... haben ... Hunger.

Wir ... haben ... Hunger.«

Die Soldaten weigerten sich, gegen die Menge vorzugehen.

Mit verschränkten Armen und zusammengebissenen Zähnen sahen sie den Manifestationen zu.

Den Manifestanten schlossen sich Weiber und Kinder an und schließlich, erst hier einer, da einer, dann immer mehr: Soldaten.

Unter Vorantritt Brackes und des Einsiedlers vom Berge mit seiner Eisenstange zog der Zug vor den kurfürstlichen Palast.

In einer Sänfte trugen vier Männer eine den Kurfürsten darstellende Puppe.

Sie war von Dutzenden von Messern durchbohrt. Hin und wieder traten Weiber an die Sänfte und spien der Puppe ins regungslose Antlitz.

Eine Mutter schrie:

»Wir wollen das Blut des Kurfürsten ... mein Kind hat Durst ... meine ausgetrocknete Brust gibt keine Milch mehr her ...«

Der Einsiedler vom Berge brüllte:

»Wir wollen unser Recht, des Volkes Recht, über sein eigen Leben und Sterben zu bestimmen. Wir lassen niemand mehr durch den Kurfürsten töten ... Wir töten selbst ...«

Die Menge brüllte fanatisiert:

»Wir töten selbst ...«

Ein Mann stieß der Puppe des Kurfürsten sein Kurzschwert bis ans Heft in die Brust.

Der Kurfürst beobachtete von einem Dachfenster aus die Szene.

»Sieh da,« grinste er, »die Prozessionsraupe wandert, wir werden ihr das abgewöhnen.«

Er legte einen Pfeil auf seinen Bogen, zielte auf den Mann und schoß. Der Pfeil aber verfehlte sein Ziel, und er traf seine eigene Puppe mitten in die Stirn.

Das Volk schrie auf:

»Gott selbst ist für uns. Er schoß vom Himmel einen Pfeil.«

Der Kurfürst erblaßte.

Fluchend warf er den Bogen in eine Ecke, schritt hinab und befahl der im Palast versammelten, ihm treu gebliebenen Landsknechtkompagnie, die Menge zurückzudrängen. Mit gefällten Lanzen marschierten sie gegen das Volk, das schreiend und kreischend in die Seitenstraßen zurückwich.

Einsam stand die Sänfte mit der durchbohrten Puppe auf dem Platz vor dem Schloß, auf den die unerträgliche Augustsonne brannte.


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