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Bracke
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Chorin hieß ein Kloster in der Nähe von Berlin. Darin lebten neun Nonnen, die musen- und tugendhaft genannt waren: Kalliope, die Güte; Klio, die Vorsicht; Melpomene, die Frömmigkeit; Thalia, die Freigebigkeit; Urania, die Mäßigkeit; Terpsichore, die Liebe; Erato, die Keuschheit; Euterpe, die Sanftmut; die Oberin aber war Polyhymnia, die Weisheit. Urania amtete als Küchenmeisterin, Thalia als Pförtnerin. Eines Tages pochte Bracke zweiflerisch an das Tor des Klosters.

Er wurde liebreich aufgenommen; Thalia wies ihm ein Zimmer im Laienflügel, Urania trug zu essen und zu trinken auf. Nach der Mahlzeit setzten sich alle neun Nonnen in ihren strengen faltigen Gewändern wie Holzstatuen zu ihm an den Tisch, und Polyhynmia, das Antlitz im Schleier verhüllt, sprach im Namen des Konvikts:

»Wir sind Euch gutgesinnt.«

»Edle Frau,« sprach Bracke, »ich schreite, wie Ihr, verhüllt durchs Leben, und meine wahre Anmut und meine tiefste Weisheit ist wie hinter Schleiern.«

Am nächsten Morgen weckte man ihn früh mit Choral und erbaulichen Gesängen und lud ihn in die Messe.

Es zeigte sich aber, daß Bracke aller Güte gegenüber mißtrauisch blieb, indem er behauptete, daß die musischen Tugenden gar keine wirklichen Nonnen, sondern nur Sinnbilder, silberne Allegorien seien, und daß es unmöglich derart vollkommene Wesen (insonders Frauen) geben könne.

Da er nun am dritten Tage aufwachte – wie erstaunte er, als er den Schlaf aus den Wimpern rieb.

Er lag auf Moos in einer alten Klosterruine.

Der Tau netzte seine Wangen.

Ihn fröstelte.

Von den Nonnen war nichts mehr zu erblicken, und traurig wanderte Bracke heim, gewitzt und bereit, künftig das Gute zu glauben, damit es bestehen bleibe und nicht in eine Ruine verfalle wie dieses Kloster: in welcherlei Gestalt es ihm auch entgegentrete, und sei es selbst in der Gestalt von Nonnen.

 

Es wurde in Trebbin ein junger Mensch zum Galgen geführt, der war von einer außerordentlichen Schönheit. Lang wehten ihm seine blonden Locken herab. Seine Augen glänzten melancholisch blau wie ein Waldteich unter Kiefern. Seine zarten Hände aber hatten den Morgenstern geschwungen, damit er zwei reichen reisenden Kaufleuten den Schädel eingeschlagen und sie ihrer Güter beraubt hatte.

Die Weiber weinten, als sie ihn, einen jungen Gott, zum Galgen geführt sahen.

Die Jünglinge dachten: dies ist die Ungerechtigkeit der Welt, daß heldische Jugend gehängt wird.

Und auch unter den Männern war mancher, der, vom Anblick des Jünglings bezwungen, dachte: ist denn niemand, der ihn vom Galgen losbittet?

Es kam aber eine Kavalkade von adligen Rittern des Weges – deren Führer zügelte den Rappen und sprach:

»Wir wollen für den jungen Menschen bitten und Lösegeld leisten. Sagt aber zuerst, was er getan.«

Da trat der Henkersknecht hervor und sprach:

»Herr – er überfiel reisende Kaufleute und schlug ihnen den Schädel ein ...« Da winkte der Reiter resigniert ab.

»Hängt ihn denn – zum Teufel, er tat, was nur dem Adel zu tun geziemt. An den Galgen mit ihm.«

Und also galoppierten sie von dannen.

Bracke, der solches gehört, sammelte eine Handvoll Bauern mit Sensen und Dreschflegeln.

Sie setzten der Kavalkade nach, schnitten ihr den Weg ab und fingen den Reiter, der also gesprochen und hingen ihn neben den schönen Jüngling an den Galgen.

Es war der Anführer der Bande, die Bracke einst der Ziegen beraubt hatte.

 

Wegen des Femgerichts an dem Raubritter wurde Bracke zum Kurfürsten nach Berlin gerufen.

Der erhob sich fett aus dem Söller gegen ihn wie ein kollernder Truthahn.

»Ich bin es, der in meinen Staaten Recht spricht, versteht Er? Weshalb kommt Er nicht zu mir, wenn Ihn der Schuh drückt?« »Eben weil Ihr Recht sprecht«, entgegnete unerschrocken Bracke.

»Und –?«

»Und nicht recht handelt ...«

Bracke sah dem Kurfürsten offen ins irrlichternde Auge.

Der räusperte sich erregt.

Und schritt an den Schreibtisch.

Schrieb.

Siegelte.

»Bring Er dies Schreiben dem Hauptmann Eustachius von Schlieben, wenn er wieder nach Trebbin zurückkehrt.«

Bracke war entlassen.

Im Tiergarten öffnete er den Brief, den er dem Hauptmann zu übergeben hatte.

Er enthielt sein Todesurteil, sofort zu vollstrecken, wegen Mordes an einem Adligen und Beleidigung der Majestät.

Bracke pfiff zwischen die Zähne. Er warf den Brief in die Spree und ging in den bernauischen Keller, einen Schoppen zu genehmigen.

 

Im siebenten Tag darauf ritt der Kurfürst nach Trebbin.

Er sprang vom Pferde und fragte Eustachius von Schlieben, der ihm die Bügel hielt, wie Bracke ihm den Brief ausgerichtet und ob dem Befehl Genüge getan.

Der Hauptmann erstaunte.

»Welcher Brief? und welcher Befehl?«

Der Kurfürst schnaubte ärgerlich durch die Nase:

»So lebt dieser Bracke noch?«

Der Hauptmann lächelte:

»Gewiß. – Er repariert die große Standuhr im Saal. Soll ich ihn rufen lassen?«

Der Kurfürst zischte:

»Laßt ihn holen!«

Bracke kam langsam herbei, eine Zange in der Hand.

»Der Herr Kurfürst wünschen?« Der Kurfürst packte seinen Degenknauf, der ein bäuerliches Liebespaar in Umarmung darstellte.

»Er hat meinen Brief dem Herrn Hauptmann nicht übergeben?«

»Welchen Brief?«

»Den ich ihm vor sieben Tagen einhändigte?«

Bracke besann sich.

»Der Herr Kurfürst möge verzeihen: ich hatte noch einige Tage in Berlin zu tun, und da ich meinte, der Brief könne sich sonst verspäten, warf ich ihn in die Spree, auf daß er ganz gewiß noch vor mir nach Trebbin komme. Ich müßte mich sehr verwundern, wenn er noch nicht eingetroffen wäre.«

Da lachte der Kurfürst schallend, der Hauptmann lachte, das Gefolge lachte, die Reisigen lachten, daß die Rüstungen klapperten wie das Geschirr in der Küche. Es lachte die versammelte Bürgerschaft. Die Pferde selbst wieherten fröhlich. Es lachten Mann und Frau und Kind. Und mit eins erscholl ein Gelächter im ganzen märkischen Lande.

 

Bracke ging an einer Tischlerwerkstatt vorüber, sah er einen in Schwarz, Gold und Silber gebeizten Sarg zum Trocknen stehen.

Er legte sich in den Sarg und entschlief.

Am Abend kamen die Gesellen, fanden ihn im Sarge schlafen, und einer schlug ihn auf die Schulter und sprach:

»Heda, guter Freund, so schnell und ohne Bezahlung des Sarges stirbt es sich nicht.«

Da stand Bracke auf und sprach:

»Mir gingen die Augen über vor Müdigkeit. Überdrüssig dieses lauen Lebens, legte ich mich in den Sarg und meinte zu sterben. Nichts für ungut, ihr Wunderlichen.« Da sagte einer der Knechte:

»Du nennst uns Wunderliche? Wir sind so wunderlich nicht als du.«

Bracke kaute die Worte zwischen den Zähnen wie Grashalme:

»Ich lebe wie alle übrigen Menschen vom Leben. Aber Ihr – lebt Ihr nicht vom Tode? Und ist dies nicht wunderlich?«

Und ging.

 

Bracke gelangte mit seiner Ziege eines Tages nach Sewekow, einem Dorfe in der Nähe von Wittstock.

Er ging mit der Ziege in das Gasthaus, band sie an ein Stuhlbein und setzte sich zu Trunk und Mahlzeit nieder.

Aus der Tasche zog er ein Psalmenbuch, darin zu lesen.

Es war soeben der Pfarrer von Sewekow gestorben. Die Bauern saßen in ihrer Trauerkleidung in der Schenke beim Trauerschoppen. Als sie nun Bracke am Nebentisch in einem geistlichen Buche lesen sahen, kam einer auf den Gedanken und sprach:

»Laßt uns den Fremdling fragen, welchen Berufes er sei.«

Und es trat der Schulze, ein wenig vom Trauerwein schwankend, auf Bracke zu und sprach:

»Wer seid Ihr, Herr, und was ist Euer Beruf? Wir sehen Euch in einem geistlichen Buche lesen. Uns ist soeben unser geistlicher Hirt verschieden.« Bracke sah von den Psalmen auf:

»Ich bin der Gehilfe dieses Herrn – «

Und er verwies auf die Ziege neben sich.

Der Schulze meinte nicht recht gehört zu haben:

»Wie?«

»Ich bin der Gehilfe dieses geistlichen Herrn... der ein rechtgläubiger Priester ist. – Sprecht ein Wort, geistlicher Herr!« wandte sich Bracke an den Ziegenbock.

Der erhob den behaarten Kopf und meckerte.

»Er spricht lateinisch,« sagte Bracke, »und darum versteht Ihr ihn wohl nicht.«

Der Schulze, in seiner Trunkenheit, taumelte an den Tisch der Bauern zurück und erzählte, daß dort ein geistlicher Herr mit seinem Adlatus sitze, und ob man ihn nicht vielleicht zu einer Probepredigt auf morgen früh einladen solle –; vielleicht, daß man auf billige Weise zu einem Pfaffen käme.

Den Bauern war dies recht, und der Schulze ersuchte Bracke und seinen Herrn um eine Probepredigt am nächsten Morgen. Am nächsten Morgen stand Bracke selbst in geistlichem Ornat auf der Kanzel und predigte:

»Ein Mensch ist des andern Teufel und betrügt ihn.

Ihr Hurensöhne! Dreck, von einer darmkranken Kuh entfallen. Ihr Schänder des göttlichen Menschenangesichts. Selbst ein Ziegenbock wäre zu schade als geistlicher Herr für euch – Verrottete und Verrohte, Versoffene und Verhurte. Sucht euch unter den Ratten und Wanzen einen Prediger.«

Und entwich durch eine Seitenpforte.

 

Es ist in der Mark Brandenburg Sitte, zur Fastnacht ein Schwein zu schlachten. Obgleich Bracke nun kein Schwein zu schlachten hatte, richtete er dennoch den Kessel her, goß Wasser darein, zündete ein Feuer an und ließ es sieden.

Er schickte auch zum Metzger, mit der Bitte, er möchte ihm ein Schwein schlachten.

Zum Kurfürsten nach Berlin aber hatte er einen Boten gesandt, ob der Kurfürst sich ihm nicht erkenntlich zeigen wolle für manches gute Wort, das er ihm gesagt, für manchen ehrlichen Rat, den er ihm gegeben. – Er erbitte sich devotest von ihm zur Fastnacht ein Schwein.

In der Erwartung des kurfürstlichen Schweines stand Bracke am Zaun und lugte nach der Rückkehr des Boten aus.

Dieser traf denn auch pünktlich zu Fastenmittag ein: mit einer uralten stadtbekannten Berliner Vettel.

Hier sei das erbetene Schwein zur Fastnacht – lasse der Kurfürst sagen.

Der Metzger, der sein Messer schon geschliffen hatte, blökte wie ein Kalb. Der Bote lachte.

Bracke aber nahm die alte Hure liebreich bei der Hand.

Er hieß sie sich nackt ausziehen und danach in den Kessel steigen, den er durch Zuschütten auf eine erträgliche Temperatur brachte.

Er badete sie darin wie ein Kind und redete gute Worte zu ihr. Danach sandte er den Boten zur Apotheke, Salbe und Schminke und Pomade zu holen, salbte und ölte sie wie eine himmlische Jungfrau und legte sich mit der alten Hure zu Bett.

Denn er gedachte Gutes an ihr zu tun, da sie zu Schimpf und Schande nach ihm ausgesandt.

Der Kurfürst, der von Brackes Tat erfuhr und wie man seinen Streich parierte, ward auf das heftigste beschämt.

 

Als man das kurfürstliche Beilager rüstete und die junge Kurfürstin neben den Kurfürsten legte, lähmte ihn an ihren Blicken und Gebärden ein Geringes derart, daß er unfähig war, sie zu berühren.

Es entsetzte ihn, daß die schönste Frau, seinen Sinnen zu eigen gegeben, ihm nicht gehören werde. Daß ihr zarter Zauber, ihre ewige Grazie, ihre reine Größe ihm unerschließbar, sein Verlangen danach ihm unerfüllbar bleiben solle.

Die Lippen halb geöffnet, die Wimpern gesenkt, schlief das schöne achtzehnjährige Geschöpf neben ihm.

Er erhob sich, schlich in die Hauskapelle und opferte mit Weihrauch und Gewürzen dem Priapus. Dann kehrte er zurück, aber da er sich über die Kurfürstin neigte, die erwacht war und ihn mit der Klarheit ihres Auges und Gemütes betrachtete, verschlug es ihm die Begierde, daß er ihre Hände ergriff und seinen Kopf darin versenkte.

Dann stürzte er in ein Nebengemach, befahl eine Dirne zu rufen und vergnügte sich mit ihr bis in den trüben Morgen. Und schickte an Bracke höhnische Botschaft: Sankt Thais hat geholfen!

 

Als der Kurfürst mit den Bürgern von Berlin und Kölln nach dem Vogel schoß, waren auch Eustachius von Schlieben und Bracke zugegen.

Man hatte schon eine Weile geschossen, und der Vogel stand vor dem Abschuß, als der Kurfürst Bracke aufforderte, für ihn einen Schuß zu tun. Bracke hob die Armbrust, zielte in die Wolken und schoß.

Ein Sperling fiel durchbohrt zu Boden.

Der Kurfürst runzelte die Stirn.

»Ist das der Vogel, den du schießen solltest?«

Bracke senkte die Armbrust.

»Nein, gnädigster Herr, es ist mein hoch hinschwebendes Herz, das ich herabschoß. Und nun blute ich.«

»Du schwätzest. Du solltest für mich einen Schuß tun und den hölzernen Vogel herabschießen.«

Da legte Bracke die Armbrust auf den Kurfürsten an und schrie:

»Du Mann mit den Habichtaugen und mit der Geiernase: siehst du nicht, was du für ein Vogel bist: ein grausamer: über uns Tauben und Hühnern vom Schicksal gesetzt, uns zu zerfleischen? Frissest unser Fleisch, trinkst unser Blut, bespringst unsere Töchter, wäre es nicht gerecht, wenn ich dich zu deinen dunklen Brüdern in die Finsternis schickte, damit du jenseits erkennen lernst, wie sehr du hier gefehlt – so sehr, wie ich nie fehlen würde: schöß ich jetzt den Bolzen ab.«

Der Kurfürst erstarrte.

Irr flogen Brackes Augen durch die Luft.

Er setzte mit einem Ruck die Armbrust an, schoß, und der hölzerne Vogel fiel.

Beifall vom entfernten Volk, das die nahe Szene nicht durchschaute, belohnte ihn klatschend.

Der Kurfürst, für den Bracke den Schuß getan, wurde zum Schützenkönig ausgerufen.

 

Jeden Heiligabend schritt Bracke durch den Forst. Denn um diese Zeit war der heilige Hirsch zu sehen, der Kerzen trug auf seinem Geweih, blaue und rote und goldene Sterne.

Er ist aber das einzige Tier, das in der Weihnacht aufrecht durch den Wald schreitet: die Rehe, die Eber und Wildschweine, die Hasen, Eichhörnchen und Kaninchen: sie alle knien unbeweglich die ganze Nacht im Schnee oder Moos und blicken zum heiligen Geist auf, der ihnen vom Geweih des schreitenden Hirsches mit Erkenntnis, Hoheit und Güte leuchtet.

 

Als Bracke in der Silvesternacht zufällig um zwölf Uhr in den Pferdestall seines Herrn, des Hauptmanns von Schlieben, trat, um seine Notdurft zu befriedigen – denn es war draußen bitter kalt –, hörte er, wie zwei Pferde sich miteinander besprachen.

Er schlüpfte hinter eine Krippe und lauschte unbeweglich.

»Wir werden in drei Tagen hart zu schleppen bekommen«, wieherte der braune Hengst.

»Es zieht sich mir das Herz zusammen, wenn ich dran denke«, sprach die schwarze Stute. »Er war ein guter Herr« – sagte der Hengst.

»Schlug selten mit der Peitsche, gebrauchte wenig die Sporen«, sprach die Stute.

»Jahrelang noch, so wünscht' ich's mir, ihn zur Jagd zu führen«, wieherte der Hengst. »Und in drei Tagen werden wir ihn auf den Kirchhof tragen«, sprach die Stute.

»Der Weg ist steil«, sagte der Hengst.

»Und der Sarg ist schwer«, sprach die Stute.

Darauf schwiegen die Tiere.

Bracke erschrak im Innersten.

Er trat am nächsten Tag vor Eustachius von Schlieben und sprach:

»Herr, in der Silvesternacht reden die Tiere.«

»Nun – und was haben sie dir offenbart?« lächelte Eustachius von Schlieben.

»Herr – wenn Euch Euer Leben lieb ist – bleibt von heute drei Tage im Haus, in Eurer Kammer, rührt Euch nicht vom Fleck – so wird Euch nichts geschehen.«

Der Hauptmann, dem der ernste Ton in der Sprache Brackes nicht entging, fuhr aus dem Sessel auf:

»Was ist?«

Bracke sprach:

»Ich kann es euch nicht sagen. Ich täusche mich vielleicht. Ja: hoffentlich. Ich habe ein feines Ohr. Ich höre den Nachtwind bei Tage. Tut, worum ich Euch bat.«

Der Hauptmann schüttelte den Kopf, aber er tat, was Bracke ihm geraten.

 

Nachdenklich sah der Hauptmann zum Fenster hinaus. Auf dem Hofe vergnügten sich Mägde und Knechte mit Schneeballwerfen.

Er öffnete das Fenster – ah – die kühle Winterluft tat wohl nach zwei Tagen Stubenhocken. – – –

Freundlich betrachtete er den ungleichen Kampf.

Schon war die Partei der Mägde am Unterliegen.

Die Burschen kamen ihnen ganz nah.

Ihr heißer Atem durchschnob mit silbernen Flügeln die gläserne Luft.

Da flog, von ungeschickter Hand geworfen, ein eisharter Schneeball hinauf gegen das Fenster, wo Eustachius von Schlieben lehnte und traf ihn mit aller Wucht mitten in die Stirn.

Er sank in den Erker hinab zu Boden, tot. Der Kurfürst erschien, einen Trauerflor um den Helm, zum Begräbnis seines Hauptmanns.

Der braune Hengst und die schwarze Stute zogen den Leichenwagen, den Bracke kutschierte.

Auf einer kahlen Linde sang, trotz des Januar, eine Nachtigall.

Als Bracke an das Grab trat, dem Toten die drei Handvoll Erde nachzuwerfen, schossen ihm die Tränen über die Wangen.

Hier starb ein guter Mann – wie wenig gute bleiben noch am Leben.

Wo Brackes Tränen auf die Erde fielen, da schmolz der Schnee, und Primeln blühten.

Die pflückte sich Grieta, die Tochter des Klempners, und steckte sie sich an das Mieder.

Bracke saß im Wintersonnenschein vor seiner Stube; da kam Grieta des Weges, ihre schwarzen, wendischen Augen auf ihn werfend.

Die dunklen Zöpfe schlug sie über die Schulter zurück und trat heran:

»Guten Tag, Bracke.« »Guten Tag, Jungfrau.«

»Ich liebe die schönen Männer nicht, Bracke, sie sind voll böser Absicht und lauern dem Laster auf.«

Bracke lächelte:

»Ich bin kein schöner Mann –«

»Ich liebe die glatten Gesichter nicht und die glatten Redensarten. Sie lügen.«

Bracke lächelte:

»Mein Gesicht ist rauh. Und Stoppeln zieren mein Kinn.«

Grieta sah ihm ins Angesicht:

»Ihr seid ein guter Mensch, Bracke. Der beste Mensch, den ich kenne. Ich vergesse alles, meine Scham, so sehr liebe ich Euch und trage Euch meine Hand an. Wollt Ihr mich heiraten?«

Bracke legte den Uhrmacherhammer aus der Hand.

Er ergriff ihre beiden Hände und sagte:

»Ich bin ein Narr. Wollt Ihr denn meine Närrin werden?« »Ja,« rief Grieta glückselig, »ja, Eure Närrin, Euer Weib, Eure Mutter, Euer Kind – alles, was Ihr wollt...«


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