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Mahabalipuram

(Die sieben Pagoden)

So hätte meine Pilgerfahrt durch die Heiligtümer Südindiens ihren denkbar stimmungsvollsten Abschluß gefunden. Auf dieser öden, von Kasuarinen spärlich bestandenen Sandinsel ist jede Felskuppe, fast jeder Stein zum Kunstwerk umgestaltet. Bald sind es Elefanten und Stiere, deren mächtige Leiber aus den Blöcken herausgemeißelt worden sind, bald zierliche Mandapams; monolithische Tempel krönen die Höhen, klaffen in allen Bergen, und bei Seegang rollen die Wogen, über köstliche Schwellen und Stiegen hinweg, zu schlummernden Göttern hinan. Wer waren die Menschen, die diese Welt erschufen? Ihre Spuren hat der Sand verweht. Mahabalipuram muß irgend einmal, wohl dank der flüchtigen Kaprice eines Rajah, eine einzige Werkstatt gewesen sein, in welcher tausend Hände hämmerten, bohrten, versuchten, verbesserten, selten vollendeten, um dann plötzlich wieder verlassen zu werden. So vermutet man; man weiß es nicht. Heute wohnen hier nur ärmliche Fischer und einige wenige Brahmanen; magere Schafe suchen sich um die Ruinen herum ihre karge Äsung.

Ich bin bis tief in die Nacht hinein im Tore des Vishnutempels gesessen, der, einst mitten im Land belegen, heute von drei Seiten bereits vom hungrigen Meere umspült wird, und bin erst gewichen, als die steigende Flut meine Füße zu netzen begann. Fünf Tempel soll die See schon verschlungen haben; auch die Tage dieses sind gezählt. Meine angespornte Einbildungskraft jagt der Zeit voran. Ich sehe unseren greisen Planeten, nur von Trümmern und Scherben bedeckt, kalt und tot durch den Weltraum rollen. Und diese Anschauung stimmt mich nicht traurig. Die Vergänglichkeit ist ja der Hort der Ewigkeit. Wären Menschen und Werke nicht einzig, unersetzlich, unwiederbringlich, ihr Dasein bedeutete nichts. Mich hat kein Ende je im Innersten geschmerzt, wie oft hingegen das Wiederfinden von Zuständen, die längst begraben sein sollten! Werden die Menschen nimmer begreifen, daß Dauer nur Aufenthalt ist, wo immer sie hinübergreift über die Zeit, der es bedurfte zur Verwirklichung? Daß, wer die Vergangenheit festhalten will, ein Sakrileg verübt? daß er Unsterblichem´ damit nach dem Leben trachtet? ... Von der großen indischen Kunst sind nur geringe Bruchteile erhalten; die Künstler Indiens haben, der zerstörenden Mächte uneingedenk, zumeist in Holz komponiert. Sie wußten wohl, daß es nicht ankommt auf die Dauer. Mir gefällt es, zu glauben, daß sie gelebt haben im Geist der großen Lehre der Bhagavat-Gîta: schaffe unentwegt, aber opfere von vornherein die Ergebnisse deines Schaffens auf.


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