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Pollonaruwa

Noch nie haben die Überbleibsel vergangener Herrlichkeit einen solchen Eindruck auf mich gemacht, wie die Ruinen der Residenz des Königs Parakrama. Nicht wegen ihrer künstlerischen Vollendung: sie sind schön, doch habe ich schönere gesehen. Die Stärke des Eindrucks beruht darauf, daß es mir noch niemals vergönnt war, Bauten zu schauen, welche die spezifische Schönheit der Ruine, die durch ganz andere Gesetze bedingt wird als die künstlerische, so vollendet zum Ausdruck brächten. Ruinen üben ja nicht bloß deshalb einen größeren Zauber aus, als wohlerhaltene Kunstwerke, weil sie der Seele im Bilde der Vergangenheit die Idee der Vergänglichkeit vermitteln; auch nicht nur deshalb, weil das Verwitterte gleich dem Unvollendeten als solches anregend wirkt (es treibt den Geist, in der Vorstellungswelt zu ergänzen, was an der Wirklichkeit fehlen mag): der eigenste Zauber der Ruine beruht darauf, daß hier das Schaffen des Menschengeistes in die kosmischen Kräfte eingereiht erscheint und so einen unendlichen Hintergrund hat, statt des begrenzten einer Persönlichkeit oder einer Zeit. Ein Tempel in Marmor- und Goldschmuck mag ein Höchstmaß menschlicher Bildungskraft verkörpern: wenn die Zeit seine Oberfläche zernagt hat, wenn die Umrisse die Spuren ewig tätiger Naturkräfte zur Schau tragen, dann ist er zum integrierenden Bestandteil dieser Welt geworden. So manches Buddhabildnis, das die Höhlentempel Ceylons aufbewahren, bringt die Seele der buddhistischen Gemeinde verherrlicht zur Erscheinung. Allein die Kolosse zu Gal Vihare, deren Oberfläche längst den Charakter der Umgebung angenommen hat, bedeuten mehr als das: es sind Naturformen, wie die Cañons, welche Riesenströme im Lauf der Jahrmillionen ausgehöhlt, wie Täler, welche Gletscher ausgeschrammt, und die Bildungskraft des Menschengeistes erscheint nicht geringer, sondern gewaltiger, wenn sie den Mächten, welche Sterne zusammenballen, als ebenbürtige zur Seite tritt. Die Ruinen von Pollonaruwa nun wirken als Ruinen großartiger als alle, die ich bisher geschaut, weil die ceylonesische Natur unvergleichlich schöpfungsmächtig ist und geleistet hat, was zu leisten überhaupt möglich war. Die Säulen und Tempelreste, die weithin im Dschungel verstreut liegen, sind selber zum Dschungel geworden. Schlingpflanzen haben den zerfallenen Mörtel ersetzt, Bäume verfallene Kuppen ergänzt. Die riesenhaften Daghobas sind, wo erhalten, zur Grundlage einer neuen Natur geworden. Man sieht eine abgestorbene Vergangenheit in ewig jugendliches Leben eingefügt, wie das Skelett in das blühende Fleisch.

Unwillkürlich schweifen meine Gedanken nach dem fernen Hellas hinüber. Die griechische Natur hält den Vergleich mit der tropischen nicht aus; insofern sind die Ruinen jenes Landes nicht annähernd so wirkungsvoll als diejenigen Lankas. Dort haben die Tempel, als vollkommene Menschenschöpfungen, einst zweifellos noch größer gewirkt, als sie es heute als Naturformen tun. Aber was die Natur in der Folge nicht hat leisten können, das hat der Griechengeist vorweggenommen. Jedes griechische Heiligtum ist von vornherein als Teil der Natur geplant worden, in notwendigem Zusammenhang mit der Umgebung. So wirkt das wenige, was heute noch steht, so sehr als Bestandteil der Landschaft, daß der Totaleindruck nur insofern von dem, welchen Pollonaruwa erweckt, abweicht, als die Ruinen nicht in die lebendige Natur hineingehören, sondern in die tote der Berge und des Himmels. Meinem Naturell ist das Lebendige kongenialer als alle tote Vollkommenheit, weswegen der Urwald mir mehr bedeutet als die Akropolis. Aber nie ist mir andrerseits die Potenz des Griechengeistes deutlicher bewußt geworden, als inmitten einer Natur, die sich Gautamas verklärte Gestalt hat restlos einfügen können.


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