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Schloß Rosenthal.

Etwa eine Stunde von der Residenz befand sich das Herzogliche Schloß »Rosenthal,« woselbst Frau Seebach als Kastellanin angestellt war. Die schaffende Hand der Frauen hatte das Innere des alten, seit langer Zeit unbewohnt gewesenen Gebäudes bald wieder wohnlich hergestellt und jetzt eben glänzten im Licht der untergehenden Sonne hell und klar die hohen Spiegelscheiben der Fenster.

Tante Seebach, in voller Toilette, hatte ihre Handschuhe angezogen, ihren Fächer zur Hand genommen und stand im Begriff in den Wagen zu steigen, welcher vor dem Schloß hielt.

»Lebe wohl, meine gute Adrienne,« sagte die alte Frau, einen Kuß auf die frischen Lippen ihrer Nichte drückend, »lebe wohl und laß Dir die Zeit nicht lang werden. Bald nach dem Theater kehre ich wieder zurück und dann plaudern wir noch ein Stündchen zusammen.«

»Ach ja, komm recht bald zurück, liebe Tante,« entgegnete Adrienne. »Heute besonders fühle ich eine Beklemmung, als wenn mir eine Centnerlast auf dem Herzen läge.«

»Daran ist« die Gewitterschwüle schuld. Doch die Frau Gräfin von Elsenheim ist ja so aufmerksam gewesen und hat Dir erst noch heute das Limonadenpulver geschickt, das so wohlschmeckend und so kühlend sein soll. Wird Dir zu heiß, mein liebes Kind, so benutze dasselbe.«

»Ich will Ihren Rath befolgen,« antwortete lächelnd die Nichte, ihre Tante bis zum Wagen begleitend. »Grüßen Sie die Frau Baronin und amusiren Sie sich.«

Die Kutsche rollte dahin. Adrienne kehrte in den Saal zurück, um hier die Zeit bis zur Rückkehr ihrer Tante zu vollbringen. Dieser im Erdgeschoß gelegene Saal war groß, hoch und geräumig, die Decke mit Stuckaturarbeiten verziert, die Wände mit gewirkten Tapeten bedeckt, welche der Zahn der Zeit an verschiedenen Stellen schon erheblich angegriffen hatte. Schwere seidene Vorhänge verhüllten die runden Fensterwölbungen theilweise, und da Adrienne bei ihrem Eintritt nur einen Armleuchter angezündet hatte, so erhielt dadurch das an und für sich düstere Gemach, einen noch unheimlicheren Ausdruck. Uebrigens war dasselbe augenscheinlich nur für den Sommeraufenthalt berechnet, denn statt des massiven Ofens befand sich ein breiter mit einem Marmorsims versehener Kamin darin und außerdem hatte es zwei Ausgänge, einen nach hinten, der mit dem Garten in Verbindung stand, und einen vorderen, welcher nach der Frontseite des Gebäudes ausmündete.

Es dämmerte bereits, und durch die Abgelegenheit des Schlosses herrschte in dessen nächster Umgebung eine tiefe Stille, auch wurde es von einem Wäldchen begrenzt, durch das, als herzogliches Eigenthum, kein eigentlicher Weg führte.

An einer der verborgensten Stellen dieses Wäldchens hielt ein mit zwei kräftigen Pferden bespannter Wagen, neben dem zwei Männer leise mit einander sprachen.«

»Du hast mich doch vollständig verstanden, Scipio?«

»Ich Alles wissen,« antwortete dieser – »Massa können ganz unbesorgt sein.«

»Du hältst Dich also bereit, Dich jeden Augenblick auf den Bock zu schwingen, dann schlägst Du den Feldweg ein und suchst so schnell wie möglich die Hauptstraße zu erreichen.«

»Gut, Massa.«

»Jetzt lange meine Kleider hervor.«

Der Schwarze griff in den Wagen und holte einen vollständigen Schornsteinfeger-Anzug hervor, der so eingerichtet war, daß man ihn in einem Augenblick wieder abstreifen konnte, sobald man den Gürtel löste, welcher ihn zusammenhielt. In zwei Minuten hatte sich der junge Mann, der Rolle gemäß, die er zu spielen Willens war, entsprechend verwandelt.

»Und die Leiter?« fragte er.

»Sie steht noch an der Mauer, an derselben Stelle, wie gestern Nacht.«

»Und von da gelangt man aufs Dach?«

»Ganz bequem. Ist flach Dach und Massa brauchen nur paar Schritt zu thun, um zu Schornstein zu kommen.«

»Gut, Scipio. Also nochmals: Sei aufmerksam und wachsam!«

Der junge Mann verschwand im Gebüsch und bald stand er auf der Plattform. Hier blickte er nochmals scharf um sich und näherte sich dem breiten, geräumigen Schornstein. Bevor er jedoch in demselben verschwand, bückte er sich in dessen Tiefe hinab und horchte aufmerksam. Dann zog er seinen Kopf wieder zurück und sagte befriedigt:

»Sie hat getrunken, ich hörte deutlich die Karaffe klirren. Wenn jetzt Alles gut geht, so ist sie in einer halben Stunde gerettet.«

Er stieg nun behutsam in den weiten Schlott und in der nächsten Minute war er geräuschlos im Innern desselben verschwunden.

Es war schwül und heiß. Eine stickende Luft, welche das Athmen beschwerlich machte, herrschte in dem Saal, in dem Adrienne weilte.

»Der Gaumen klebt mir auf der Zunge, und ich habe einen glühenden Durst,« sagte sie, an den Tisch tretend, auf welchem eine mit frischem Wasser gefüllte Karaffe stand. »Wie aufmerksam ist es von der Gräfin, mir eine Labung zu schicken!« Sie ergriff ein Glas, füllte es und schüttete gleichzeitig ein weißes Pulver hinein. »Das erfrischt!« sagte sie tief aufathmend, »ich fühle mich jetzt wie neu geboren.«

Lächelnd schritt sie in dem Saal auf und ab, trat dann ans Fenster und öffnete es.

»Nein,« murmelte sie, nach einer kleinen Weile dasselbe wieder schließend, »die Luft ist doch immer wieder so heiß und drückend, und sonderbar, ich fühle mich plötzlich so matt. – Ach, ich empfinde wirklich ein unwiderstehliches Bedürfniß, mich zu ruhen!«

Mit wankenden Schritten und mit Augen, die sie kaum noch offen zu halten vermochte, nahte sie sich einem Sessel und sank erschöpft in die weichen Kissen desselben.

»Es ist eigenthümlich,« fuhr sie fort, »soeben erfaßte mich eine unerträgliche Gluth und jetzt friert mich.« – Und in der That machte sich bei dem jungen Mädchen ein leichtes Frösteln bemerkbar und von neuem kämpfte sie gegen den Schlaf, der sie zu übermannen drohte.

Während dies geschah, legte sich im Innern des Kamins ein Ohr behutsam an den Schirm, der dessen Oeffnung bedeckte.

»Das Pulver beginnt zu wirken,« murmelte der heimliche Lauscher. »Ich habe es gut für meinen Zweck gemischt, und Catharina hat ihr Werk gethan.«

Plötzlich aber stockte sein Athem, jeder Nerv seines Körpers spannte sich; er hatte Adrienne einen leisen, Bestürzung verrathenden Seufzer ausstoßen hören.

»Die Entscheidung naht,« murmelte er. »Meine Rolle beginnt jetzt.«

Adrienne war so ermattet, daß ihre Augen ein über das anderemal zusanken. Die Frostanfälle vermehrten sich, das Blut wich aus ihrem Gesicht und bald glich sie einer schönen Statue, welche der Engel des Todes so eben sanft berührt hatte. Noch einmal flackerte aber das ersterbende Leben auf, und dieser Moment war es, wo sie den vorhin erwähnten Schrei ausgestoßen hatte. – Ein hochgewachsener Herr in militairischer Kleidung stand plötzlich vor ihr und blickte sie lächelnd an. Es war der Herzog – dies erkannte das junge Mädchen, trotz des traumartigen Zustandes. Eine Bangigkeit überfiel sie, sie ahnte eine unbekannte Gefahr. Alle ihre Kräfte zusammennehmend, richtete sie sich mit gefalteten Händen halb empor und murmelte in flehendem Tone: »Gnade, Durchlaucht, Gnade!«

Das waren aber auch Adriennes letzte Worte.

Sie schloß die Augen, sank zurück in den Stuhl und ließ ihre Arme schlaff und regungslos herabsinken. – Der Herzog trat einen Schritt näher. »Beruhigen Sie sich, mein Kind,« sagte er mit sanfter Stimme, »richten Sie sich empor, blicken Sie mich an, ich bin ja nicht hierher gekommen, um Sie zu erschrecken.«

Aber das junge Mädchen gab kein Lebenszeichen von sich.

»Mein Gott,« murmelte der Fürst, –»sollte ihr wirklich Etwas zugestoßen sein? – Man sagte mir doch, sie wüßte – Ermuntern Sie sich, Mademoiselle.« Und der Herzog trat jetzt noch einen Schritt näher und erfaßte ihre herabhängenden Hände.

Aber mit einem Ausdruck des Schreckens ließ er sie gleich wieder los; Bestürzung und Unmuth malten sich auf seinem Gesicht, und mit einer Geberde des Unwillens murmelte er:

»Diese Hände sind eiskalt, diese Augen sind geschlossen, der Körper ist erstarrt. – Sollte sie wirklich todt sein? Sollte man es in Wahrheit gewagt haben, ein so frevelhaftes Spiel mit mir zu treiben?« –

In diesem Augenblick ereignete sich aber ein neues Wunder, welches den durch die mystischen Gaukeleien der Rosenkreuzerei tief in den Sumpf des Aberglaubens gerathenen Fürsten das Blut erstarren machte, ungeachtet es ihm keineswegs an persönlichem Muth gebrach.

Eine Stimme nämlich, deren dumpfer Ton es zweifelhaft machte, ob sie aus der Erde oder aus der Luft komme, ließ sich plötzlich ganz in der Nähe vernehmen, und im langsamen, feierlichen Tone wurden die Worte ausgestoßen:

»Auch die Fürsten können dem Gericht Gottes nicht entgehen!«

»Wer spricht da?« fragte der Herzog, zwar nicht ohne Zögern, doch fest und entschlossen und gleichzeitig an seinen Degen fassend.

»Frage die Sonne und den Mond, die in einem Kelche zusammenfließen Symbolische Zeichen der Rosenkreuzer., wenn Du im Hause der Weisheit unter den Brüdern des Bundes sitzest, um die Werke Gottes in der Natur und die Ursachen der Dinge zu erforschen Dies war die angebliche mystische Tendenz der Rosenkreuzer.,« antwortete die Stimme.

»Und welche Antwort werde ich erhalten?« fragte der Herzog, sich jetzt völlig unter dem mystischen Einfluß beugend, der schon so oft seine Sinne und seinen Geist umnebelt hatte, wenn er bei der geheimen Versammlung der Rosenkreuzer, denen er beiwohnte, durch übernatürliche, von schlauen Betrügern veranstaltete Erscheinungen erschreckt wurde.

»Du sollst das Schwert der Gerechtigkeit in der Hand halten,« antwortete die Stimme ebenso feierlich wie vorher.

»Auf wen soll es niederfallen?«

»Aus die, welche Dich hintergangen haben.«

Der Herzog zuckte zusammen. – »Bezeichne mir die Personen,« sagte er zögernd, »und ich werde sie bestrafen, wie sie es verdienen.«

»Das steht nicht in meiner Macht; doch ich will Dir den Weg dazu zeigen.«

»So sprich! –«

»Hast Du Vertrauen zu der geheimen Weisheit, die nur den Eingeweihten gegeben ist?«

»Ich habe es.«

»Glaubst Du an jene übernatürlichen Kräfte, welche die Menschen Wunder nennen?«

»Ich glaube daran, denn ich habe sie erprobt.«

»So begieb Dich morgen um dieselbe Stunde zu dem geheimnißvollen Mann in der Vorstadt; er wird Dir die Wahrheit offenbaren.«

»Ha, der Wahrsager, von dem meine ganze Hauptstadt spricht und auf den der General von Schwarzbach mich schon aufmerksam gemacht hat!« rief der Fürst lebhaft.

»Er ist es!« antwortete die Stimme.

»Und dieses junge Mädchen?« fragte der Herzog, scheu auf Adrienne deutend, die noch immer regungslos dalag.

»Ich habe Dir ja gesagt, Du wirst die Wahrheit erfahren. Berühre sie nicht, es würde Dir nur Verderben bringen!«

»Beantworte mir noch eine Frage. –«

Diesmal erfolgte keine Antwort. Aber ein heftiger Windstoß und ein zuckender Blitz, eine natürliche Folge des aufsteigenden Gewitters, fuhr statt dessen durch den fast in Dunkel gehüllten Saal.

Aufgeregt bis zum Aeußersten, unter der Einwirkungen seiner erhitzten Phantasie, glaubte der Herzog auch hierin etwas Uebernatürliches zu erblicken. Nachdem er noch einen Augenblick gelauscht, schritt er schließlich, immer die Hand am Degen, langsam und in aufrechter Haltung dem Ausgang des Gemaches zu.

Als sich die Thür hinter ihm geschlossen hatte, herrschte in dem Saale einige Minuten eine unheimliche Stille. Dann hörte man das Rollen eines sich entfernenden Wagens, bald darauf wurde der Schirm, welcher die Vorderseite des Kamins verdeckt hatte, behutsam zurückgeschoben und der Doctor Erlach zeigte sich an der Oeffnung. In der nächsten Secunde hatte er sich aufgerichtet, streifte den Kittel, welcher ihn vom Kopf bis zu den Füßen einhüllte, von sich und trat nun dicht vor das junge Mädchen.

»Gerettet!« rief er mit strahlendem Gesicht – »gerettet, meine süße, meine theure, meine gute Adrienne! – Ach, welches Glück, welche Genugthuung, Dir sagen zu können, daß ich es war, der über Dir wachte, Dich beschützte! – O schlummere nur noch eine kurze Zeit; bald wirst Du zu einem neuen, schöneren Leben erwachen. Der garstige Traum, womit diese Dämonen Deine Sinne umstricken, wird verschwinden, Du wirst Dich wieder selbst erkennen, und Dein Dank, Deine Rückkehr zu mir, wird der Lohn für mein treues, beharrliches Streben sein! – Doch nun fort!«

Behutsam schloß er seine schöne Bürde in die Arme, brachte sie ins Freie und eilte unaufhaltsam dem Wäldchen zu. Ein scharfer Pfiff ertönte, und Scipio befand sich mit dem Wagen an seiner Seite, er riß den Schlag auf. Adrienne wurde in eine Ecke des Wagens gebettet; ihr Retter setzte sich neben sie, der Schwarze schwang sich auf den Bock, und fort ging es, pfeilschnell, bis man das einsame Haus in der Vorstadt erreicht hatte. In der nächsten Minute befand sich Adrienne auf einem bequemen Ruhebett in dem uns bereits bekannten kleinen Salon, zwar noch immer bewußtlos, aber umgeben von dem jungen Arzt, von dessen Oheim und von Catharina, welche ihre malayische Tracht abgelegt und sich in ein züchtiges, einfaches Gewand gekleidet hatte.

»Die Krisis dauert in der Regel eine Stunde,« sagte Doctor Erlach, »ihr Erwachen darf daher jeden Augenblick erwartet werden.«

In der That entwand sich der Brust Adriennes jetzt ein tiefer Seufzer. Langsam öffnete sie ihre Augen.

»Wo bin ich?« fragte sie, ganz verwundert um sich blickend, »ist es ein neuer Traum, oder ist es Wirklichkeit?«

»Es ist Wirklichkeit!« entgegnete der alte Herr, näher tretend, »Sie befinden sich bei treuen Freunden.«

»Aber mein Gott!« – Und das junge Mädchen bedeckte mit den Händen das Gesicht und lispelte: »Wo bin ich denn, befinde ich mich in Freienstein? – Diese Stimme – ich muß sie kennen – Und doch – Nein, es ist nicht möglich!«

»Es ist Vieles möglich, was wir im ersten Augenblick für unglaublich halten,« sagte begütigend der Oheim, »in Freienstein sind Sie zwar nicht, aber Sie befinden sich doch unter alten Bekannten. Sehen Sie mich nur einmal genauer an – und erkennen Sie jetzt den alten Holländer?«

»Herr Wilm!« rief Adrienne ganz erstaunt – »Ja, in Wahrheit, Sie sind es! Also nicht in Indien, wie man behauptete, und wo, wo ist? –«

Adrienne konnte nicht vollenden, sie stieß einen lauten Schrei aus und starrte den Arzt an, welcher sich bisher im Hintergrund gehalten hatte.

»Ja, das ist mein Neffe,« bemerkte der Holländer, dem jungen Mann einen Wink gebend, sich zu nähern – »ein treueres Herz giebt es nicht, und deshalb habe ich ihm auch alle die tollen Streiche vergeben, zu denen er mich alten Mann verleitete, es galt ja Ihre Rettung.«

»Oheim!« rief der Arzt, denn er fürchtete, daß diese frühzeitige Erklärung nachtheilig auf Adrienne wirken würde. In der That erbleichte auch diese. Dann aber strömten ihre Augen plötzlich über, und dem Doctor die Hand reichend, rief sie:

»Ah, ich weiß wohl, ich habe Sie tief gekränkt, und Sie haben mir Vieles zu vergeben, aber meine Rettung – was ist denn geschehen, daß Sie zu meiner Rettung herbeieilen mußten?«

»Sie sind auf Blumen gewandelt,« sagte im sanften Tone der Arzt, »und ahnten nicht, daß unter diesen Blumen die Schlange verborgen war; Sie standen an einem Abgrund und wußten es nicht.«

»O, mein Gott! –«

»Beruhigen Sie sich, Sie sollen Alles erfahren, erst aber nehmen Sie diesen kühlenden Trank, er wird Ihnen wohlthun.«

»Erzählen Sie,« sagte Adrienne, nachdem sie getrunken.

Dies geschah Seitens des alten Herrn mit möglichster Schonung, doch mit solcher Klarheit, daß Adrienne darüber nicht mehr zweifelhaft sein konnte, sie wäre um ein Haar das Opfer einer schändlichem haarsträubenden Kabale geworden. Herrn von Neuburg, die Baronin, den Assessor, Alle erkannte das junge Mädchen jetzt in deren wahrer Gestalt, als Verbündete der nicht minder verwerflichen Elsenheim, in deren Solde alle diese schändlichen Menschen gehandelt. Auch die Mitwirkung der gleichfalls betrogenen Catharina zu ihrer Rettung erfuhr sie. Sie weinte heftig, aber die Thränen wirkten schließlich beruhigend auf sie ein. Sie reichte dem Arzt die Hand und sagte:

»Fast wage ich nicht mehr die Blicke zu Ihnen aufzuschlagen, mein edler Freund.«

»Warum denn? –«

»Weil ich – weil ich –« und das holde Mädchen stockte erröthend.

»Weil Sie ein so treues Herz wie das meines Neffen so hart behandeln konnten,« fiel der alte Herr halb ernst, halb scherzend ein. »Nun ja, dafür müssen Sie allerdings Buße thun. Wird Ihnen dieselbe zu schwer dünken, wenn ich verlange, daß sie das Herz es armen Jungen wieder in seine früheren Rechte einsetzen?«

»Wie edel, wie großmüthig!« rief Adrienne, und ein Blick, welcher die tiefsten Herzenssaiten des jungen Arztes erklingen ließ, lohnte diesen für seine Leiden.

»Jetzt, da Sie unsere Verbündete sind,« fuhr Erlach weiter fort, »kann ich Ihnen über unsere Pläne auch noch mehr mittheilen, denn noch ist unsere Aufgabe nicht ganz gelöst. Sie werden vielleicht schon von dem großen Zauberer gehört haben, von welchem die gesammte Bevölkerung der Residenz seit einiger Zeit spricht?«

»Wie?« rief Adrienne verwundert, »ist es möglich, Sie wären?« –

»Ihnen zu dienen,« antwortete Erlach mit einer komischen Verbeugung, »ich bin dieser Wundermann. Doch hierüber verlange ich das unverbrüchlichste Stillschweigen, denn wie gesagt, meine Rolle ist noch nicht ausgespielt.«

»Ich gelobe dies. Aber meine arme gute Tante – was wir aus ihr? wer wird ihr mein plötzliches Verschwinden erklären?«

»Auch dafür ist bereits gesorgt, denn ein mächtiger Zauberer wie ich, hat überall seine dienstbaren Geister: In einigen Tagen werden Sie wieder mit ihr vereint sein; bis dahin stelle ich Sie unter den Schutz meines Oheims und der treuen Catharina.«

»Ich werde mich hier sehr glücklich fühlen; doch was ist das?« – Diese plötzliche Frage wurde durch den schrillernden Ton der Glocke, welche mit der geheimen Feder in der Mauer in Verbindung stand, veranlaßt.

»Sie werden gleich sehen, auf welche Weise wir bedient werden,« sagte der Doctor. »Treten Sie mit Catharina in dieses Cabinet; von dort können Sie Alles sehen und hören, was hier geschieht.«

Kaum waren die beiden Frauen verschwunden, als der Schwarze den Kopf zur Thüre hereinsteckte und geheimnißvoll meldete: »Der Esel seind draußen.«

»Laß ihn eintreten.«

Ebel, denn er war es, den Scipio so wenig respectvoll bezeichnete, präsentirte sich unter verschiedenen tiefen Bücklingen, wobei er heute ein außergewöhnliches spitzbübisches Gesicht machte.

»Nun, Sie bringen gute Nachrichten?« fragte der alte Herr.

Ebel grinste. »Allemal Derjenige welcher!« sagte er, seine Hand in seine weite Rocktasche versenkend und ein Packet von mäßiger Größe hervorziehend.

»Ah, die Brief«,« rief der Holländer und streckte seine Hand nach denselben aus.

Aber der ehrliche Ebel zögerte; er schien noch einige Bedenken zu hegen. »Verzeihung, gnädigster Herr,« ließ er sich vernehmen, wobei er diesmal sein rechtes Auge außergewöhnlich in die Höhe zog – »selbige Briefe wiegen sehr schwer.«

»Verstehe!« entgegnete der alte Herr, indem er neben sich in eine Chatoulle griff und eine Handvoll Goldstücke hervorlangte, »dürfte dies vielleicht dem Gewicht gleichkommen, welches Sie berechnet haben?«

»Können Excellenz nicht vielleicht noch drei bis vier von den Dingern zulegen? So wahr ich ein ehrlicher Mann bin, die Arbeit ist mir sehr sauer geworden.«

Der »ehrliche Mann«, welcher so eben seinen Herrn bestohlen hatte, der freilich um kein Haar besser wie er selbst war, legte dabei in einer Weise die Hand aufs Herz, daß man es fast für einen Frevel hätte halten müssen, an der Aufrichtigkeit seiner Versicherung zu zweifeln.

»Gut,« sagte der Holländer, mit einer Miene, als wenn er dem »treuen« Ebel zugleich einen Fußtritt hätte geben wollen – »gut, es kommt auf eine Kleinigkeit mehr oder weniger nicht an. Ich bin mit Euren Diensten zufrieden; legt die Briefe hier auf den Tisch, Ihr könnt jetzt gehen.«

»Ein schweres Amt,« seufzte Ebel und trocknete sich den Schweiß von der Stirn. »Wenn Euer Excellenz später noch weiter meiner Dienste bedürfen sollten –«

»Scipio!«

Der Schwarze steckte den Kopf zur Thüre herein.

»Der Herr hier wünscht von Dir die Treppe hinuntergebracht zu werden.«

Ebel hatte ein feines Auffassungsvermögen. Er verstand den Wink, grinste gemüthlich und zog sich unter verschiedenen Rückgratskrümmungen langsam zurück. Kurz darauf ließ der schrillernde Ton der Glocke sich abermals vernehmen.

»Ein neuer Besuch,« murmelte der alte Herr. »Was giebt es wieder, Scipio?«

»Eine alte Jungfer seind draußen, macht Gesicht, wie wenn beißen wollt'.«

»Sie wird sich wohl vor Deinem schwarzen Fell gefürchtet haben,« bemerkte lachend der Gebieter. »Laß sie eintreten.«

Therese, die Kammerfrau der Frau von Lindenberg erschien.

Diesmal zeigte sich der alte Herr freundlicher.

»Treten Sie näher,« sagte er mit aufmunternder Stimme, »ich weiß, Sie finden keinen Gefallen am Bösen und Sie haben keine Ahnung davon gehabt, daß die arme Mademoiselle Adrienne das Opfer der Schlechtigkeit der Baronin werden sollte.«

»Nein, Gott ist mein Zeuge, davon wußte ich Nichts,« antwortete Therese, »sonst hätte ich Mademoiselle längst gewarnt, denn ich habe sie stets sehr lieb gehabt. Es hieß ja immer, sie sollte den Herrn Assessor heirathen, und das habe ich natürlich geglaubt.«

»Sie wissen, daß Sie einer guten Sache dienen, und es soll für Ihre Zukunft gesorgt werden. Haben Sie das Notizbuch der Baronin mitgebracht?«

»Hier ist es,« antwortete Therese, eine Brieftasche hervorziehend. »Da Sie mir sagen, daß ich einer guten Sache diene, so habe ich mir kein Gewissen daraus gemacht, dasselbe zu entwenden.«

»Sie können ganz ruhig sein; es handelt sich darum, für alle Fälle gegen die Bosheit dieser schlechten, gewissenlosen Menschen gesichert zu sein. Haben Sie bereits Ihren Dienst gekündigt?«

»Diesen Morgen.«

»Nun, wie gesagt, es soll Ihnen kein Schade daraus erwachsen. Gehen Sie jetzt; später werden Sie mehr von mir hören.«

Die Zofe verschwand, und der Doktor öffnete das Kabinet.

»Treten Sie näher,« sagte er freundlich zu Adrienne; »Sie werden sich jetzt wohl überzeugt haben, daß wir gut bedient sind.«

»Aber,« entgegnete sie, indem plötzlich ihre schönen Augen sich umdüsterten, »wenn Sie Alles wußten, wenn Sie die Handlungen der Personen, welche mein Verderben wollten, kannten, warum warteten Sie mit meiner Rettung bis zum letzten Augenblick?«

»Liebes Kind,« sagte der Holländer, indem er sanft die Hand des junges Mädchens ergriff, es handelt sich hier nicht blos um Ihre Rettung, sondern auch um Ihre Heilung. Eitelkeit und die Sucht, in der Welt eine glänzende Rolle zu spielen, trieben Sie in die Arme Ihrer Feinde; sollten Sie für Ihr ganzes Leben heilsame Lehre erhalten, so durften Sie erst am Rande des Abgrundes, Angesichts der vollen, Ihnen drohenden Gefahr erwachen.«

Adrienne, von der Wahrheit dieser Worte überzeugt, ließ etwas beschämt den Kopf sinken.

»Nehmen Sie jetzt,« fuhr der alte Herr fort, »diese Briefe und dieses Notizbuch und machen Sie sich mit deren Inhalt bekannt. Ihr Herz wird erbeben und Ihr reines Gemüth schaudern, wenn sich vor Ihnen die ganze schreckliche Wahrheit aufthut.«



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