Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wiedersehen und Trennung.

Es war im Jahre 1796 in der Mitte des Monats Mai, als ein junger Mann von etwa sechsundzwanzig Jahren vor eine kleinen, an der Chaussee gelegenen Wirthshause stand und dort den Postwagen erwartete, welcher auf seiner Tour nach dem Städtchen Freienstein hier einige Minuten anzuhalten pflegte, um vereinzelte Reisende auf dieser Zwischenstation noch nachträglich aufzunehmen.

Als jetzt die schwere unbehülfliche Kutsche anlangte und der vorerwähnte junge Mann sich derselben näherte, blickte ihm der Conducteur einen Augenblick überrascht ins Gesicht und lüftete dann mit freundlicher Höflichkeit seine Mütze.

»Ei, du mein Gott, Sie hier, Herr Doctor Erlach?« rief der Beamte.

»Wie Sie sehen,« entgegnete der Angeredete lächelnd. »Nicht wahr, es ist schon lange her, seitdem wir zuletzt diese Tour zusammen machten?«

»Fast zwei Jahre, wenn ich nicht irre. Doch wollen Sie nicht einsteigen?«

»Sogleich. Haben Sie viele Passagiere?«

»Einen, oder wenn Sie wollen auch Zwei,« entgegnete der Conducteur mit einem verstohlenen Lächeln, indem er die Thür des Wagens öffnete. »Herr Assessor,« wendete er sich mit einer Verbeugung zu einem etwa dreißig Jahre alten Mann, der im grünen Jagdanzug und die Büchse zwischen den Beinen in einer Ecke des Wagens nachlässig lehnte – »wenn es Ihnen gefällig wäre, Herr Assessor, etwas Platz zu machen – dieser Herr hat Nummer Zwei und wünscht einzusteigen.«

»Nun, ich hindere den Herrn ja nicht daran,« sagte in einem kurzen, abstoßenden Tone der Angeredete, indem er von der Seite auf unseren Doctor einen musternden Blick warf.

»Aber Dieser hier hindert mich daran,« bemerkte Erlach, wobei er auf einen schönen, braungefleckten Jagdhund zeigte, welcher ganz bequem auf Nummer Zwei Platz genommen hatte.

»Ja so,« brummte der Andere nachlässig, »Sie wollen, daß mein Sultan das weiche Kissen, welches er eingenommen hat, räumt?«

»Allerdings. Ich wünsche dies sogar sehr dringend,« entgegnete mit Nachdruck der Doctor.

»So, so, sehr dringend?« murmelte der Assessor – »hm, sehr dringend …, nun, da mein Sultan als blinder Passagier reist, so hat er freilich kein Recht auf diesen Sitz und somit steht Ihren Wünschen Nichts entgegen.«

Der Sprecher hatte bei diesen Worten seinem Hunde einen derben Schlag gegeben und dieser richtete jetzt seinen Kopf in die Höhe, als wollte er fragen, ob es mit seiner Vertreibung wirklich ernstlich gemeint sei. Inzwischen hatte sich aber der Doctor eines Anderen besonnen.

»Thun Sie sich und Ihrem Sultan keinen Zwang an,« sagte er in einem Tone, welcher mehr mitleidigen Spott wie Gereiztheit verrieth, »die Luft ist erquickend und ich ziehe es daher vor, draußen im Coupé neben dem Conducteur Platz zu nehmen.«

Mit diesen Worten wendete der junge Mann, ohne sich auf weitere Erörterungen einzulassen, seinem Reisegefährten kurz den Rücken, und während dieser ein unhöfliches halblautes Gelächter ausstieß, bestieg er behende seinen selbstgewählten Platz, und in der nächsten Minute rollte die Postkutsche auf der ebenen Chaussee weiter.

»Das ist ja ein höchst sonderbares Benehmen,« sagte der Arzt, zu dem Schirrmeister gewendet, »wissen Sie vielleicht, wie der Herr, welcher sich eben so rücksichtslos benommen hat, heißt, und was er ist?«

Der Conducteur sah sich behutsam um und flüsterte dann:

»Es ist der Assessor von Bärenfeld.«

»So? – Nun, weiter.«

»Er ist. von der Regierung nach Freienstein geschickt worden, um einige Streitigkeiten, die zwischen der Gemeinde und dem herzoglichen Domainenamt entstanden sind, zu schlichten. Wie man sagt, hat er in der Residenz mächtige Gönner und deshalb begreifen Sie wohl …«

»Ich verstehe Sie nicht. Wie meinen Sie das?«

»Nun, ich meine, daß man, trotz des Postreglements, dem Herrn Baron Etwas durch die Finger sehen muß. Das Mitnehmen von Hunden und das Tabackrauchen ist zwar verboten, aber wer den Papst zum Freunde hat …, nun, Sie wissen wohl, es giebt Fälle, wo ein kluger Mann wohl daran thut, ein Auge zuzudrücken.«

Diese Logik schien dem jungen Manne nicht einzuleuchten; wenigstens deutete darnach ein leichtes Zucken mit den Achseln hin. Doch schwieg er für den Augenblick, aber bald setzte er seine Fragen wieder fort.

»Womit vertreibt sich denn der Herr Baron, vor welchem Sie einen so gewaltigen Respekt zu haben scheinen, in dem kleinen Städtchen die Zeit? Adel und Offiziere giebt es, so viel ich weiß, dort nicht.«

»Hm, die Bürger läßt er ziemlich links liegen,« lautete die Antwort, »aber desto mehr macht er sich mit der Jagd, mit der Flasche und mit Herzensangelegenheiten zu schaffen.«

»Mit Herzensangelegenheiten?«

»Ei freilich. Sie werden es gleich mit eigenen Augen sehen können. Bemerken Sie dort das Eckhaus?« (der Wagen hatte eben das Thor von Freienstein passirt) »nun passen Sie nur auf, er wird gleich den Kopf zum Schlage hinausstecken, und ich müßte mich sehr irren, wenn er nicht schon erwartet würde.«

Wirklich bog sich Herr von Bärenfeld aus dem Wagen und nickte, als die Postkutsche in der Dämmerung langsam dahinrollte, vertraulich nach einem im ersten Stock gelegenen Fenster, an welchem sich, halb hinter einer Anzahl von Blumentöpfen verborgen ein junges Mädchen geigte, welches freundlich, mit halber Zutraulichkeit, den Gruß erwiderte.

»Adrienne Seebach!« murmelte der Arzt und seine Blicke hefteten sich nochmals auf das Haus, um sich zu überzeugen, daß er auch recht gesehen habe. Dann sank er in die Ecke des Coupé's zurück und murmelte seufzend:

»Es ist so! – sie war es – meine Augen haben mich nicht getäuscht! Adrienne und der Baron! … O, ich ahne nichts Gutes und es ist mir, als wenn statt Freude und Hoffnung, Schmerz und Enttäuschung meiner warteten!«

In diesem Augenblick hielt der Postwagen. Der Doctor stieg sinnend und grübelnd von dem hohen Gestell und wandelte verwirrt und betroffen dahin. In seinem Innern regten sich offenbar Gefühle, welche ihn überrascht und deshalb um so tiefer erschüttert hatten, aber dennoch fühlte er, daß die Straße nicht der Ort sei, um denselben nachzuhängen und nachdem er daher dem Conducteur ein Trinkgeld in die Hand gedrückt und Weisung gegeben hatte, wohin man seinen Koffer bringen sollte, eilte er selbst mit raschen Schritten die Straße entlang und trat bald darauf in ein freundliches zweistöckiges Haus, um in den Armen seiner alten Eltern, nach langer Abwesenheit das frohe Fest des Wiedersehens zu feiern.

Wir wollen den Leser nicht durch eine tiefer eingehende Schilderung ermüden, sondern aus der Unterhaltung, die hier im traulichen unbelauschten Kreise geführt wurde, nur das mittheilen, was von besonderem Interesse ist. Der Doctor hatte von seinem letzten Aufenthalt zu Wien und Berlin, von den Bekanntschaften, die er dort gemacht, von seinen Studien, denen er in Spitälern und an Krankenbetten obgelegen, erzählt und wendete sich nun, nachdem er mit seiner Berichterstattung zu Ende war, mit der Frage an seine Eltern:

»Und nun, lieber Vater, sage mir geschwind, was Onkel Heinrich, oder wie ihn die Leute nennen, der ›alte Holländer‹ macht?«

»Er führt da draußen vor dem Thor sein Junggesellenleben in gewohnter Weise fort,« entgegnete dieser, »und wenn er sich auch sonst um die Menschen wenig kümmert, so kümmert er sich doch um Dich desto mehr, denn Du bist ja von jeher sein Liebling gewesen und weißt wohl, daß er mit ganzer Seele an Dir hängt.«

»Da müßt' ich ein Undankbarer sein, wenn ich dies verkennen wollte,« rief der junge Mann mit Wärme, »und morgen schon mit dem Frühestem will ich den guten lieben Oheim besuchen, an dem ich ja ebenfalls mit ganzer Seele hänge.«

»Wie wird er sich freuen, wenn er hört, daß Du nun für immer bei uns bleibst und daran denkst, Dir Deinen eigenen Heerd zu gründen,« bemerkte die Mutter, indem sie dem Sohn dabei forschend ins Auge blickte.

Dieser schüttelte mit dem Kopf. »Kommt Zeit, kommt Rath,« sagte er sanft; »Niemand kann in die Zukunft blicken und es wird also am besten sein, wenn wir diesen Gegenstand vorläufig ruhen lassen.«

»Du siehst wohl,« fiel hier der Vater ein, »die Mutter hat Dir eine Frau zugedacht und wenn Du sie glücklich sehen willst, wirst Du Dich schon entschließen müssen, recht bald ihren Wunsch zu erfüllen.«

»Hat es denn damit wirklich solche Eile?« erwiderte der Arzt lächelnd, während sich unter diesem Lächeln unvermerkt sein Auge trübte.

»Nun,« entgegnete die alte Dame, »Du weißt ja, an passenden Partien wird es Dir hier nicht fehlen.«

Der Doctor schüttelte ernst mit dem Kopfe. »Was nennst Du denn eine passende Partie, Mutter?«

Der guten alten Frau kam diese Frage etwas ungelegen und im ersten Augenblick wußte sie nicht, was sie antworten sollte.

»Hm,« erwiderte sie endlich, »ich denke, so ein hübsches, frisches, munteres Mädchen mit einem sanften verträglichen Gemüth und mit der Aussicht, Dir künftig einmal ein hübsches Stück Geld zuzubringen, wird einen Wünschen entsprechen.«

»Laß uns davon abbrechen, liebes Mütterchen, das ist für jetzt das Beste,« rief der Arzt abwehrend.

»Wir wollen ein anderes Thema berühren. Da habe ich vorhin meine Bekannten im Stillen die Revue passiren lassen und bin bei Adrienne Seebach stehen geblieben. Was macht dieselbe? – Kannst Du mir Auskunft darüber geben, liebe Mutter?«

Ungeachtet der junge Arzt versuchte, diese Worte mit möglichster Ruhe und anscheinend harmlos auszusprechen, konnte er doch ein leises Zittern seiner Stimme und ein unruhiges Aufflackern seiner Augen nicht verhindern.

»Nun,« entgegnete die Matrone, »über die Adrienne ließe sich so Manches sagen, und Vieles ist es, was ihr eben nicht zum Vortheil gereicht.«

»Sollte das nicht ein zu hartes Urtheil sein?« bemerkte mit gepreßter Stimme der Sohn.

»Nicht härter als sie es verdient,« entgegnete trocken die alte Frau.

»Aber Du selbst hast ja früher von Adrienne nur mit dem größten Wohlwollen gesprochen. Du nanntest sie ja so häufig die Perle unseres Städtchens, und jetzt … sollte sich das Alles in den zwei Jahren meiner Abwesenheit so sehr geändert haben?«

»Leider.«

»Aber mein Gott, dann mußt Du doch Thatsachen für Deine Behauptung haben.«

»Thatsachen gerade nicht,« antwortete ausweichend die Matrone, »indessen ein junges Mädchen muß auch den Schein zu vermeiden suchen.«

»Liebe Mutter, urtheilst Du vielleicht nicht zu streng?«

»Daß Du für die Seebach von je her mehr Interesse wie für alle anderen jungen Mädchen des Städtchens gehabt hast, ist mir und Deinem Vater zur Genüge bekannt,« antwortete diese in mildem Tone, »ja, es giebt viele Leute, welche behaupten, Du habest derselben zu tief in die Augen geblickt, und wahrlich schön genug sind diese großen blauen Augen, um bei einem jungen Manne Unheil anzustiften.«

Der Arzt erröthete leise und zögerte einen Augenblick mit der Antwort. Aber bald hatte er sich wieder gefaßt und indem er seine Eltern liebevoll anblickte, sagte er:

»Ein Geheimniß hat zwischen uns nie bestanden und ich wüßte daher nicht, warum ich Euch gerade jetzt Das verbergen sollte, was mein Inneres so lebhaft bewegt. Gebt mir Trost, wenn Ihr es vermögt, denn ich bedarf dessen. Ja, es ist wahr, ich liebe sie seit meinen ersten Jünglingsjahren; an ihr hängt mein Herz, zu ihr fühle ich mich hingezogen mit der ganzen Gluth meiner Seele, und nun sprecht, was habt Ihr gegen sie, welchen Vorwurf vermögt Ihr Adrienne zu machen?«

»Nun,« entgegnete die alte Frau begütigend, »Du weißt wohl, daß weder ich noch Dein Vater der Neigung Deines Herzens hindernd in den Weg treten wollen. Dazu lieben wir Dich zu sehr und Du selbst bist zu verständig, um nicht zu wissen, was für Dein Lebensglück förderlich ist. Höre also, was wir Dir nicht verschweigen dürfen und dann prüfe nach Deinem eigenen Ermessen, was Dir zu Deinem Heil förderlich dünkt.«

»O, mein Gott,« stöhnte der junge Mann, »ist es denn mit Adrienne wirklich schon so weit gekommen, daß förmlich über sie Gericht gehalten werden muß?«

»Ein Gericht soll es nicht sein,« erwiderte die Matrone, »aber das steht fest, daß von dem Mädchen ein Weg betreten worden ist, auf welchem dasselbe nimmermehr zum Heile gelangt, und es dünkt mir die höchste Zeit, daß ein Warner erscheint, der die Irrende auf den richtigen Pfad zurückleitet.«

»Und worin besteht der böse Einfluß, welcher auf Adrienne ausgeübt wird?« fragte der Arzt.

»Nun, seit einigen Wochen hält sich hier ein Baron von Bärenfeld auf.«

»Ich weiß es, ich habe heute seine Bekanntschaft im Postwagen gemacht, wenn auch gerade nicht auf eine sehr freundliche Weise.«

»Glaube es gern,« bemerkte der Vater. »Der adlige Stolz sitzt dem Herrn im Nacken; ein schlichter ehrlicher Bürger gilt ihm nicht viel; gegen diesen ist er rauh und abstoßend und er giebt sich nicht sonderliche Mühe dies zu verbergen.«

»Also,« fragte der Sohn, »dieser Herr von Bärenfeld übt einen so verderblichen Einfluß auf Adrienne?«

»Ja, mein Sohn,« erwiderte die Mutter.

»Aber wer hat ihn in das Haus der Seebachs eingeführt?«

»Der Baron brachte ein Schreiben von einem Oheim aus der Residenz, der dort eine Hofcharge bekleidet, an Adriennens Tante mit, die, wie Du weißt, in früheren Jahren Kammerfrau bei der Prinzessin Amalie war. Die alte schwache Frau, der es auch jetzt noch nicht an Eitelkeit mangelt, fand sich dadurch hochgeehrt, und seitdem hat der Assessor Zutritt bei ihr, und Jedermann weiß, daß er der Nichte offen den Hof macht. Er führt sie aus, sie unternimmt Landparthien mit ihm, und die Tante hat schon davon gesprochen, nach der Residenz zu ziehen, um, wie sie sich ausdrückte, ihrer Nichte diejenigen Wege des Glückes zu öffnen, welche der Schönheit und dem Geist derselben gebührten.«

»Und Adrienne?«

»Ihr Hauptfehler scheint zu sein, daß bei ihr wohl schon immer der Trieb vorhanden war, höher hinaus zu wollen, als ihre Verhältnisse es bedingen. Seit dem Umgang mit dem Baron fühlt sie sich hier im Städtchen vollends zu eng, die Flügel sind ihr plötzlich gewachsen und sie glaubt sich offenbar dazu berufen, eine glänzende Rolle in der Welt zu spielen.«

»Das klingt allerdings sehr ernst,« sagte, in trübes Nachdenken versunken, der Doctor. »Doch dies Alles soll mich nicht entmuthigen, morgen werde ich Adriennen besuchen; ich werde mit ihr sprechen und dann hoffe ich mit Bestimmtheit, daß sie auf meine Stimme hören und daß ihr der Jugendfreund das wieder werden wird, was er ihr früher war.«

Der junge Arzt hatte sich erhoben und indem er einen Leuchter ergriff, sagte er jetzt den geliebten Eltern gute Nacht.

»Die Binde wird ihr von den Augen fallen,« murmelte er, sich selbst Trost zusprechend, indem er die Treppe zu seinem Schlafzimmer hinaufstieg. »Adrienne ist gut, ihr Herz ist sanft und gefühlvoll, sie kann fehlen, aber sie wird ihre Irrthümer einsehen, sobald ein treuer Freund sie darauf aufmerksam macht. Eine Gefahr erblicke ich bis jetzt für sie noch nicht, doch sollte ihr eine solche drohen, so werde ich wachsam sein und als Beschützer ihr zur Seite stehen.«

Mit diesem Vorsatz und mit dem Vornehmen, am anderen Morgen gleichzeitig seinen Oheim zu besuchen, schloß der junge Mann, der sich in seinem Innern jetzt wieder beruhigter fühlte, die Augen und verfiel bald in einen gesunden und festen Schlaf.

 

Wir müssen den Leser jetzt bitten, sich mit uns nach der Hauptstadt des Herzogthums zu versetzen, welche, wie derselbe bald sehen wird, den Hauptschauplatz unserer Erzählung bildet. Den Thron dieses kleinen deutschen Ländchens nahm ein Fürst ein, der neben der Unlust zum Regieren eine starke Sinnlichkeit und gleichzeitig auch wieder einen großen Hang für mystische Gaukeleien an den Tag legte, so daß es auf diese Weise Ränke-Schmieden und ehrsüchtigen Frauen möglich wurde, dem Inhaber des Thrones das Scepter aus den schwachen Händen zu winden, wenn dabei nur der äußere Schein beobachtet wurde.

Einen besonderen Einfluß übten hierbei der General von Schwarzbach und die erklärte Geliebte des Fürsten, welche zur Gräfin von Elsenheim erhoben worden war, aus, und da es sich dabei nicht blos um politischen Einfluß, sondern auch um den Zweck handelte, sich die Taschen zu füllen, so bekämpften sich diese beiden Personen durch Kabalen aller Art und lebten in so tödtlicher Feindschaft gegen einander, daß häufig nur das Dazwischentreten ihres fürstlichen Beschützers den hell auflodernden Brand zu dämpfen vermochte.

Es mochte etwa gegen 10 Uhr des Morgens sein, als in einem in der Vorstadt gelegenen Hause ein Herr, welcher bereits am Ausgang der Fünfziger stand, in seinem Zimmer nachdenkend auf- und abging. Dieses Zimmer war nach dem Geschmack der damaligen Zeit, wenn auch einfach, doch anständig ausgestattet, und der Bewohner selbst, dessen Morgentoilette sich bereits durch die Hand des Friseurs und durch eigenes Zuthun als vollendet erwies, brauchte nur den geblümten Schlafrock, in welchen er augenblicklich gehüllt war, abzulegen und in den vor ihm liegenden Rock von feinem dunklen Tuch zu fahren, um als vollständiger Cavalier gelten zu können.

Ein solcher war er auch, aber, wie wir gleich sehen werden, hatte der Baron seine Gründe, eben jetzt an das Schicksal die vorwurfsvolle Frage zu richten, warum es so ungerecht gewesen sei, ihm von dem früheren Glanz und Ruhm seiner Ahnen nichts weiter als den Stammbaum zu lassen, wobei er freilich den kleinen Umstand nicht mit in Betracht zog, daß ihm selbst im Laufe der Jahre die Reizbarkeit seines Gaumens, das Spiel und die Befriedigung anderer kostspieliger Leidenschaften ein recht einträgliches Gut gekostet hatte.

Jetzt lebte Herr von Neuburg schon seit längerer Zeit in der Residenz von dem Ertrage einer keinen Pension, die er als ehemaliger Kammerherr bezog, und von anderen verschiedenen Dienstleistungen, welche eben keine große Gewissenhaftigkeit erforderten und die meist in ein geheimnißvolles Dunkel gehüllt blieben, weil es sich dabei größtentheils um ein Labyrinth von Hof-Intriguen handelte, bei denen der Baron von seinen Gönnern als Handlanger gebraucht wurde.

An dem Morgen, von welchem wir hier reden, war, wie gesagt, seine Stirn mehr wie gewöhnlich umwölkt und einige offene, in drohendem Ton geschriebene Mahnbriefe, die, nachlässig hingeworfen, auf dem Tisch umherlagen, hätten wohl darüber nähere Auskunft geben können. Vielleicht war dies auch die Ursache, daß sich seit einigen Tagen in dem Gehirn des Herrn von Neuburg ein großer Gedanke entwickelt hatte, zu dessen Verwirklichung von ihm bereits im Geheimen die nöthigen einleitenden Schritte gethan worden waren, und über deren Erfolg er wohl eben jetzt jeden Augenblick eine Entscheidung erwarten mochte, denn jedesmal, wenn sich im Vorzimmer etwas regte, oder wenn sich im nahen Corridor ein Geräusch vernehmen ließ, hielt er mit seiner Wanderung durch das Zimmer inne und lauschte mit gespannter Erwartung

»Der General von Schwarzbach ist ein Filz, welcher gern Alles, was von den fürstlichen Brosamen abfällt, in seine Tasche stecken möchte und dabei kennt sein Hochmuth und seine Aufgeblasenheit keine Grenzen,« sagte der Baron endlich. »mich für meine treuen Dienste von Zeit zu Zeit mit ein paar Louisd'or abspeisen zu lassen, die kaum ausreichen, meine Kehle hier und da mit einem Glase Champagner anzufeuchten, dazu habe ich nicht länger Lust und wenn ich mir die Sache nochmals überlege, so wundere ich mich nur, daß ich nicht schon längst in das entgegengesetzte Lager übergegangen bin, wo doch wenigstens Fähigkeiten und Talente in aufmunternder, freigebiger Weise anerkannt werden.«

Wieder schritt Herr von Neuburg einige Mal lebhaft auf und ab und trat dann an sein Schreibpult, aus welchem er einen Brief hervorlangte, welcher den Poststempel »Freienstein« trug.

»Ja, ja,« sagte er zufrieden lächelnd, »günstiger konnte es der Zufall nicht fügen, als daß gerade jetzt von meinem Herrn Neffen diese Wunderblume aufgefunden wurde! … Nun, ich kenne ja ihre Schönheit aus persönlicher Anschauung und – hm, wir glauben ebenfalls in solchen Dingen zu den Kennern zu gehören – ich möchte wohl wissen, wer sich dieser Adrienne an die Seite stellen dürfte! … Gefällt also das Portrait, so wird die Gräfin begierig auf meinen Plan eingehen – sie hat dann ein wirksames Mittel in der Hand, mit erneuertem Erfolg den Kampf gegen den verhaßten Nebenbuhler, Herrn von Schwarzbach, fortzusetzen und was mich betrifft – ei, bei derartigen Gelegenheiten ist sie freigebig und ich kann mit Bestimmtheit darauf rechnen, daß ein sanfter, erquickender Goldregen auf mich herabträufeln wird.«

Der Baron schien schon jetzt die angenehmen Wirkungen dieses »erquickenden Regens« zu fühlen, denn mit lächelnder Miene und halb geschlossenen Augen warf er sich mit verschränkten Armen in einen Lehnstuhl und schien mit der ganzen Menschheit, selbst mit seinen Schuldnern, die sich vor Kurzem noch in so ungestümer Weise durch die auf dem Tisch liegenden Briefe angekündigt hatten, versöhnt zu sein.

In diesem Augenblick wurde heftig an der im Vorsaal angebrachten Klingel gezogen. Sogleich schnellte der alte Herr, wie von einer unsichtbaren Kraft erfaßt, in die Höhe, und sein Gesicht nahm den Ausdruck gespannter Erwartung an. Er horchte, und während er dies that, erheiterten sich seine Züge zusehends, denn sein scharfes Ohr hatte vernommen, wie Jemand seinem Aufwärter einen Brief an ihn mit dem Zusatz einhändigte, daß derselbe Eile habe und also dem Herrn Baron sofort einzuhändigen sei.

»Kein Zweifel,« rief dieser erfreut, »es ist die Antwort der Gräfin, und aus dem Umstande, daß dieselbe so schnell erfolgt, bin ich berechtigt, zu schließen, daß meine Vorschläge günstig aufgenommen worden sind. Wo nur der Schlingel, der Ebel bleibt!«

Und der Baron stampfte mit dem Fuße, wie ein vornehmer Herr, welcher von seiner Dienerschaft die schleunigste Erledigung aller Aufträge, die größte Aufmerksamkeit für seine Person gewohnt ist.

Endlich öffnete sich die Thür und die lange, hagere Gestalt Ebels, welcher bei dem Herrn von Neuburg die wichtigen Stellen eines Kammerdieners, Stiefelwichsers und Kommissionärs in einer Person vereinigte, zeigte sich am Eingang.

»Nun, was giebt es?« fragte der ehemalige Kammerherr in einem Tone, der gleichgültig klingen sollte, in welchem sich aber nur zu sehr die Erregtheit seines Innern aussprach.

»Diesmal ist es keine Schneiderrechnung,« erwiderte Ebel, dessen langjährige treue Dienste es ihm schon gestatteten, mitunter eine freimüthige Aeußerung zu machen – »ein goldbetreßter Diener … ein Kerl, der mich hochmüthig über die Schultern ansah … ja, ich müßte mich sehr irren, wenn es nicht die Antwort auf den Brief wäre, welchen ich gestern in dem Palais der Frau Gräfin abgeben mußte.«

»Schon gut,« antwortete Herr von Neuburg kurz, »geh Er in das Vorzimmer, Ebel, und warte Er dort auf meine weiteren Befehle, wahrscheinlich wird es für Ihn noch weiter zu thun geben.«

Das Factotum entfernte sich, wobei sich jedoch auf seiner Stirn eine Wolke aufthürmte, welche ein geschickter Physiognom wahrscheinlich dahin gedeutet haben würde, daß der treue Ebel sehnsüchtig wünschte, es möchte für ihn endlich einmal nicht bloß etwas zu thun, sondern auch etwas zu verdienen geben.

Inzwischen hatte der Kammerherr wieder in dem Sessel Platz genommen und hielt das inhaltschwere, mit einem rosa Umschlag versehene Schreiben noch immer unerbrochen in der Hand.

»Es ist wirklich die Antwort der Gräfin,« murmelte er, »nur sie allein pflegt sich solcher Couverts zu bedienen. Und dann der mit dem Bogen in Anschlag liegende Amor statt des Siegels … Das bedeutet jedenfalls etwas Gutes – vielleicht eine sinnreiche Hinweisung, daß sie mich für würdig hält, wenn auch nicht als Liebesgott, doch aber als ein Mann, dem sie ihr Vertrauen schenkt, ein edles, für den Opferdienst des kleinen geflügelten Götterknaben bestimmtes Wild jagen zu helfen!«

Mit einem Liebesgott hatte der Baron nun allerdings nicht die geringste Aehnlichkeit. Seine dürren, von weißen seidenen Strümpfen eingehüllten Beine, sein abgelebtes, von zahlreichen Falten durchfurchtes Gesicht, sein kahler, nur spärlich noch mit Haaren besetzter Scheitel, würden ihm vielleicht eher das ehrwürdige Ansehen eines unter Sorgen ergrauten Mannes gegeben haben, wenn sich nicht in seinem Gesicht ein Zug von Frivolität und Gewissenlosigkeit abgespiegelt hätte, welcher deutlich genug erkennen ließ, daß sich dahinter ein Herz verbarg, das die Jahre weder verbessert, noch bittere und kummervolle Erfahrungen davon abgeschreckt hatten, mit frivoler Gewissenlosigkeit zu den verwerflichsten Mitteln zu greifen, wenn es darauf ankam, selbstsüchtige Zwecke zu erreichen, oder pecuniäre Vortheile zu erringen.

Aut caesar, aut nihil! (Alles oder Nichts!) murmelte endlich Herr von Neuburg, indem er den Umschlag des zierlichen Billets, welches er bisher zögernd hin und hergewendet hatte, plötzlich öffnete und ein sauber zusammengelegtes Schreiben hervorzog – »ewig kann diese Ungewißheit nicht dauern und am Ende –« Aber schon hielt er inne, seine Stirn glättete sich und ein zufriedenes strahlendes Lächeln erhellte seine Züge.

»Ich wußte es wohl,« rief er aufspringend, »meine Berechnungen konnten mich nicht täuschen und das Portrait hat das Uebrige gethan! Die Gräfin greift mit beiden Händen zu, sie geht auf meine Vorschläge ein, sie befiehlt mir in einer Stunde vor ihr zu erscheinen.«

Der Kammerherr war von der glücklichen Aussicht, welche sich ihm eröffnete, so entzückt, daß er sofort seinen Schlafrock von sich warf und während er hastig in sein Staatskleid fuhr, gleichzeitig mit lauter Stimme nach dem draußen im Vorzimmer harrenden Ebel rief.

»Er muß sogleich die Livree anziehen,« sagte er, während er sich selbst an seinen Schreibtisch setzte und einige Zeilen flüchtig auf das Papier warf – »hört Er, Ebel, lange Er die Livree hervor und bürste Er den Tressenhut aus, es handelt sich darum, daß Er mit Anstand und Würde eine Kommission ausrichtet, welche von Wichtigkeit ist.«

»Als wenn ich das nicht immer thäte,« brummte Ebel, indem er einen Schrank öffnete und einen alten, mit einer verblichenen Goldborte besetzten Rock hervorholte. »Wohin befehlen denn der Herr Baron? Hm, halten zu Gnaden, aber ich denke, es wäre doch endlich einmal Zeit, daß Sie auch an einen neuen Anzug für mich dächten.«

»Das wird Alles anders werden,« rief Herr von Neuburg, sich in die Brust werfend. »Auch für Ihn, Ebel, wird eine neue Zeit des Glücks erscheinen und – da nehm' Er und thue Er sich etwas zu Gute, trinke Er auf mein Wohl; aber vorher besorge Er hier dieses Billet, dessen pünktliche Ablieferung ich ihm auf die Seele binde.«

Der Baron hatte seinem Vertrauten ein Zehngroschenstück in die Hand gedrückt, und während diesem bei solcher ungewohnten Großmuth in der That schwindelnde Gedanken über die in so geheimnißvoller Weise verkündete lachende Zukunft aufstiegen, ließ er gleichzeitig das ihm eingehändigte kleine Briefchen in seine Brusttasche gleiten.

»Er kennt doch meine Cousine, die Frau von Lindenberg?« fragte der ehemalige Kammerherr.

»Dieselbe, vor der Sie sich letzthin verleugnen ließen?« antwortete Ebel.

»Damals hatte ich meine Gründe. Die Cousine befindet sich mitunter in Geldverlegenheiten.«

Ebel nickte mit dem Kopfe, als wenn er hätte sagen wollen: »Und wir gleichfalls – verstehe!«

»Nun,« fuhr der Baron fort, »die gnädige Frau wohnt in der Brüderstraße No. 30 im dritten Stock. Mündlich kann er bei Abgabe des Briefes hinzufügen, daß es mir zum besonderen Vergnügen gereichen würde, wenn ich derselben in irgend etwas zu dienen vermöchte. Das wird ziehen, denn die Cousine hat in gewissen Dingen ein sehr feines Auffassungsvermögen, und an ein solches Entgegenkommen ist sie bei mir nicht gewöhnt.«

Diese letzten Worte sagte Herr von Neuburg, als Ebel bereits das Zimmer verlassen hatte und gerade damit beschäftigt war, sich in den Livreerock zu werfen, dessen Aermel und Taille ihm um mindestens drei Zoll zu kurz waren.

Auch der Baron stieg jetzt die Treppe hinunter und schlug den Weg nach dem Hause der Gräfin Elsenheim ein. Eine Viertelstunde darauf stand er der fürstlichen Geliebten gegenüber, vor welcher er sich, wie dies seine Natur mit sich brachte, mit knechtischer Ehrfurcht verbeugte.

 

Fast zu derselben Zeit saß die Frau von Lindenberg in einem weiten Morgenanzuge in ihrem Ankleidezimmer und gab ebenfalls durch die Bitterkeit und den Verdruß, welcher sich in ihren ohnedies nicht anziehenden Gesichtszügen abspiegelte, zu erkennen, daß sie sich keinesweges in rosafarbener Laune befinde. Sie hatte in einem Lehnsessel, einem großen Spiegel gegenüber Platz genommen und während sie übellaunig vor sich hinstarrte, war eine alte Dienerin, die ihrer Herrin an mürrischem Aussehen nichts nachgab, eben damit beschäftigt, die letzte Hand an den Kopfputz der Dame zu legen, indem sie auf der einen Seite in das mit feinem Puder bestreute dünne Haar eine aus künstlichen Blumen gefertigte Rose von dunkelrother Farbe steckte, während sich auf der anderen Seite eine sogenannte Zuckerlocke und ein Schönheitspflästerchen den Rang streitig machten.

»Ich bin fertig,« sagte Therese, welche, wie ihre Gebieterin, bereits tief in den Fünfzigern stand, »werfen Sie nur einen Blick in den Spiegel, gnädige Frau und Sie werden finden, daß Sie nur einer glänzenden Equipage und der Kleinigkeit von einigen hundert Thalern zur Vervollkommnung Ihrer Garderobe bedürfen, um gleich anderen vornehmen Damen im Theater und auf der Promenade zu glänzen.«

Die Baronin lachte bitter auf. »Ja,« rief sie, »wenn das Verdienst immer nach Gebühr belohnt würde und wenn man überhaupt Stand und Geburt bei Hofe noch berücksichtigte, dann würde ich diese armselige, im dritten Stock gelegene Wohnung nicht inne haben!«

Die alte Zofe seufzte. »Dreißig Jahre jünger,« murmelte sie, »und wir würden so gut wie Andere unser Glück machen.«

»Da hat Sie recht, Therese,« lachte die Gebieterin bitter, »dreißig Jahre jünger und …«

Sie hielt plötzlich inne und horchte aufmerksam, denn eben wurde draußen im Vorsaal die Klingel heftig in Bewegung gesetzt.

»Was kann das sein?« fragte ängstlich die Baronin; »vielleicht Madame Tulpe die Putzmacherin, oder Meister Frosch, der Schneider –«

»Ich werde nachsehen; natürlich sind wir für solchen Besuch nicht zu Hause.«

In diesem Augenblick ließ sich ein zweiter ungeduldiger Zug an der Glockenschnur vernehmen.

»Ei,« rief die Baronin, zu ihrer ursprünglichen Energie zurückkehrend, »im Grunde ist es auch gleich, wer Einlaß begehrt. Geh' also und öffne, ich bin darauf vorbereitet, je nach Umständen Freund oder Feind zu empfangen.«

Die Zofe eilte fort, erschien aber unmittelbar darauf mit einem Briefe in der Hand.

»Was giebt es?« fragte Frau von Lindenberg, bei der nun ebenfalls die Neugier erwachte.

»Ein Livreebedienter überbrachte dieses Schreiben.«

»Ein Livreebedienter? Wie sah er aus?«

»Ein komischer Kautz, der mit dem einen Auge lachte und mit dem andern schielte, und dessen abgetragener Rock ihm unten zu lang und oben zu kurz war.«

»Laß sehen!« rief die Gebieterin und entriß den Brief ziemlich barsch den Händen ihrer Dienerin.

»Nun, das fehlte auch noch,« sagte sie, nachdem sie denselben flüchtig durch gelesen hatte, »ein solcher Besuch könnte mich in der That beglücken!«

»Also kein reicher Vetter aus Amerika oder Westindien?«

»Ein Vetter allerdings, aber …« Und die Frau von Lindenberg verzog spöttisch ihre Mundwinkel und begann die lange Habichtsnase zu rümpfen. »Du kennst doch den Herrn von Neuburg?«

»Ei freilich! Das ist auch so Einer – –«

»Nun, sage es nur frei heraus: ›So ein Hungerleider!‹ Wahrhaftig, so ein Besuch fehlte gerade noch; ich kenne seine Unverschämtheit, er wäre im Stande, mich selbst um ein Darlehn anzugehen.«

»Das stimmt aber gar nicht mit den Aeußerungen des Boten überein,« bemerkte Therese.

»Wie so?«

»Nun, weil derselbe sagte, daß sein Herr ihm ausdrücklich befohlen habe, noch mündlich zu bemerken, daß es diesem zum besonderen Vergnügen gereichen würde, wenn er der gnädigen Frau in irgend Etwas dienen könnte.«

»Laß sehen,« murmelte Frau von Lindenberg nachdenkend, »der Herr Vetter ist ein schlauer Fuchs, es mangelt ihm nicht an Dreistigkeit und Speculationsgabe. Sollte sein Gehirn am Ende dennoch einen gewinnbringenden Plan zu Tage gefördert haben und wäre er vielleicht gesonnen, mich dabei als Theilnehmerin mitwirken zu lassen?«

Diese mehr gedachte wie ausgesprochene Frage sollte ganz wider Erwarten ihrer Beantwortung sofort näher gerückt werden. Ein leichter Tritt ließ ich nämlich im Vorzimmer vernehmen, diesem folgte ein leises Klopfen, und ehe noch Frau von Lindenberg das übliche »Herein!« aussprechen konnte, hatte sich bereits die Thür geöffnet und Herr von Neuburg stand auf der Schwelle derselben.

Ein vielsagendes Lächeln umspielte seinen Mund, als er, der chevaleresken Mode der damaligen Zeit gemäß, die lange dürre Hand seiner Verwandten ergriff und an seine Lippen brachte.

»Verzeihung,« sagte er, »daß ich es wagte unangemeldet einzutreten, aber was wollen Sie, theure Verwandte, wo das Herz spricht, da helfen alle Schranken der Etiquette nichts; das Verlangen Sie zu sehen – –«

»Tartüffe!« dachte Frau von Lindenberg, aber auf dem Gebiet der Intrigue ebenso erfahren wie der Baron, zögerte sie nicht, gleichfalls die Maske vorzunehmen und erwiderte daher, indem sie ihrem Besuch einen Sessel anbot, mit möglichst süßer Stimme:

»So hat es dem Herrn Cousin endlich doch einmal gefallen, sich in meine dürftige Behausung zu verirren! – Nun wahrhaftig, es muß sich wirklich etwas ganz Besonderes ereignet haben, was Sie veranlaßte, sich meiner so plötzlich zu erinnern.«

»Allerdings hat sich seit der Zeit, wo wir uns das letzte Mal sahen, Vieles geändert, Cousine,« entgegnete Herr von Neuburg. »Seit drei Tagen bin ich damit beschäftigt, meine Rechnungen zu ordnen, und da habe ich denn freilich zu meinem Leidwesen gefunden …«

Das noch eben so freundliche Gesicht der Baronin nahm plötzlich den Ausdruck frostiger Zurückhaltung an.

»Was haben Sie denn gefunden, mein Herr Vetter?« fragte sie, indem sie sich steif emporrichtete.

»Ich habe gefunden, daß ich so ziemlich ruinirt bin und daß ich nothwendig fünfhundert Thaler bedarf, um in den nächsten Tagen eine dringende Schuld zu decken.«

»Das bedauere ich in der That,« entgegnete die Cousine kalt wie Eis, indem sie ihren Sessel zurückschob.

»Da man nun seine Verwandten niemals zurücksetzen soll und da ich Ihr gutes Herz kenne,« fuhr der alte Herr fort, »so bin ich hierher gekommen, um zunächst Sie um diese fünfhundert Thaler anzusprechen.«

Herr von Neuburg richtete bei diesen Worten seinen Blick auf seine Verwandte und schien Lust zu haben, mit der Ruhe eines Philosophen und der Wißbegierde eines Physiognomen die Wirkung dieser Worte abzuwarten. Er war daher auch nicht im Mindesten überrascht, als diese ihm höhnisch ins Gesicht lachte und ohne Rücksicht mit rauher, mißtönender Stimme bemerkte, daß sie ihm eine solche alberne Zumuthung in der That nicht zugetraut habe und daß er sich die Mühe hätte ersparen können, an ihr »gutes Herz« zu appelliren.

Nachdem Frau von Lindenberg diese Erklärung abgegeben, drückte sich auf ihrem gallsüchtigen Gesicht eine unverkennbare Schadenfreude aus. Sie lehnte sich jetzt bequem in ihren Sessel zurück, schlug die Arme vornehm übereinander und blickte den Baron wie eine Siegerin an. Als dieser aber beharrlich schwieg und statt Beschämung und Verwirrung zu zeigen, noch immer sein triumphirendes Lächeln beibehielt, erwachte der Zorn und die Ungeduld der würdigen Dame auf's Neue.

»Nun?« fragte sie endlich, was so viel heißen sollte als: ›Haben Sie vielleicht noch Etwas zu bemerken?‹

»Nun?« intonirte der Herr Vetter, was diesmal bedeutete: ›Gedulden Sie sich nur noch einen Augenblick, meine vielgeliebte Cousine und Sie werden als meine gehorsame, ergebene Dienerin mir zu Füßen liegen.‹

»Die Sache ist also abgemacht!« begann die Baronin abermals, »und wir haben in Bezug auf unsere äußeren Verhältnisse kein Geheimniß mehr gegen einander, Herr Vetter.«

»Wenigstens können wir jetzt auf dem Fuße der Gleichheit unterhandeln,« entgegnete dieser, indem er sich wie ein Hofmann verbeugte.

»Ei, du mein Gott, ich wüßte nicht, was dabei herauskommen sollte.«

»Hören Sie mich ruhiger an Cousine; ich werde Ihnen ein Geheimniß entdecken.«

Die alte Dame horchte hoch auf und rückte sich in ihrem Sessel zurecht. »Das Geheimniß Geld zu machen. –«

Ein gieriger Blitz schoß aus den Augen der Baronin. Bald zuckte sie aber spöttisch mit den Achseln und sagte:

»Ei, ich denke, diese Kunst ist mit Nostradamus, Paracelsus und Cagliostro untergegangen.«

»Glauben Sie das nicht. Diese Kunst besteht schon seit Jahrtausenden und wird noch jetzt mit Erfolg und Glück von Vielen betrieben.«

»Und Sie sind in dieselbe eingeweiht?«

»Wie ich Ihnen sagte.«

»Nun, dann wundert es mich nur, daß Sie nicht schon früher daraus Vortheil gezogen haben.«

»Weil es mir an einem passenden Famulus fehlte. – Jetzt aber –«

»Wie, jetzt? Sie haben mich also dazu ausersehen?«

»Ich hoffe, Sie schlagen das Amt nicht aus,« entgegnete der Baron, indem er sich lächelnd verbeugte.

Nunmehr blickte die Baronin Herrn von Neuburg verdutzt an; sie wußte nicht mehr, was sie antworten sollte.

»Hören Sie,« fuhr dieser fort, indem er vertraulich näher rückte und seine Hand auf die seiner Cousine legte, deren faltiges Gesicht sich nach und nach wieder zu glätten begann, »hören Sie und behalten Sie genau jedes einzelne Wort, was ich Ihnen sage.«

»Ich bin ganz Ohr.«

»Nun, wissen Sie auch, daß unsere Armuth, nur eine scheinbare ist?«

»Treiben Sie Ernst oder Scherz?« fragte Frau von Lindenberg noch immer ungläubig.

»Auf mein Wort, ich spreche im Ernst« »Aber dann erklären Sie sich doch endlich deutlich.«

»Gut, ich werde mich erklären. Sehen Sie, theure Verwandte, so sehr es mir auch an Geld mangelt, so habe ich doch einen Ueberfluß an Connexionen, weitverzweigte wichtige Connexionen, und es kam bisher nur darauf an, das Mittel zu finden, dieselben zu verwerthen.«

»Nun?« fragte Frau von Lindenberg gespannt.

»Nun, dieses Mittel hat mir ein Zufall in die Hände gespielt. Betrachten Sie einmal dieses Portrait …«

Und der Baron zog ein kleines Miniaturbild hervor und hielt dasselbe seiner Gesinnungsgenossin vor die Augen.

»Ah,« rief diese, mit unverholener Ueberraschung das Gemälde anstarrend, »das ist ja eine wahre Hebe, ein Muster von Anmuth und Schönheit!«

»Und wo glauben Sie wohl, daß sich diese Hebe niedergelassen hat?«

»Vielleicht in Frankreich, oder in Spanien oder in Italien?«

Herr von Neuburg brach in ein triumphirendes Gelächter aus.

»Nein,« sagte er, »auf dem dürren Boden unseres Herzogthums, in Freienstein. Da blüht diese Wunderblume, und mir gebührt das Verdienst, dieselbe zuerst aufgefunden zu haben.«

»Sie sind in der That ein Genie, Herr Vetter,« sagte, jetzt völlig besiegt, die Cousine. »Doch auf welche Weise gelang es Ihnen dieses Kleinod zu entdecken?«

»Durch den Zufall, der eine so wunderbare Rolle in der Welt spielt. Ein entfernter Verwandter, ein gewisser Herr von Bärenfeld, welcher hier Assessor beim Obergericht ist – –«

»Ich habe nie von ihm gehört,« bemerkte Frau von Lindenberg.

»Bis vor einem halben Jahre konnte ich dasselbe sagen. Da machte ich zufällig in einem Delikateß-Keller seine Bekanntschaft.«

»Beim Champagner?« fragte die Gnädige.

»Allerdings beim Champagner, oder vielmehr wegen des Champagners. Unser Mißgeschick wollte es nämlich, daß uns der Wirth eines Tages gleichzeitig mit einer langen Rechnung überraschte. Das verwickelte uns zunächst in ein historisches Gespräch über die Gastmähler der Römer, dann gingen wir zu dem römischen Recht über und endlich gelangten wir zu dem Kapitel über die persönliche Haft, im Hinblick auf unsere Rechnungen nämlich. Zuletzt sprach ich von gewissen Neigungen, die sich merkwürdiger Weise in manchen Familien von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzen, und da fand es sich denn, daß unsere Väter gemeinsam am Zipperlein, in Folge des übermäßigen Genusses von Ungarwein gestorben waren. Bei dieser Gelegenheit stellte sich auch heraus, daß im vorigen Jahrhundert ein Neuburg einmal eine Bärenfeld geheirathet hatte und daß wir also, was keiner von uns geahnt, Verwandte waren.«

»Aber das erklärt mir noch immer nicht – –«

»Haben Sie nur einen Augenblick Geduld. Der Herr Vetter hat auch das Eigenthümliche mit mir gemein, daß seine Ausgaben immer größer sind wie seine Einnahmen. Es kam ihm daher sehr erwünscht, als er vor acht Wochen ein Kommissorium nach Freienstein erhielt, um dort einige zwischen der Stadt und dem Fiskus ausgebrochene Differenzen zu schlichten. Nun, das Erste, was er in einem nächsten Briefe that, war, daß er mit einem Entzücken, welches wirklich auf etwas Außerordentliches schließen ließ, von einem jungen Mädchen, einer gewissen Adrienne Seebach sprach, die dort bei ihrer Tante, einer ehemaligen Kammerfrau der Prinzessin Amalie lebt. Das gab mir den Gedanken ein, dem Herrn Vetter persönlich einen Besuch abzustatten, um mich von der Wahrheit seiner Schilderungen zu überzeugen.«

»Und Sie fanden dieselben nicht übertrieben?«

»Im Gegentheil, viel zu matt, weit hinter der Wirklichkeit zurückbleibend.«

»Und sonst?«

»Alles meinen Wünschen gemäß. Ein junges, unerfahrenes Kind, seiner Schönheit sich bewußt, ehrgeizig und im Stillen gewiß von dem Wunsche beseelt, in der Welt eine Rolle zu spielen.«

»Und die Tante?«

»Eine alte, eitle, gutmüthige Frau, von beschränktem Verstande, welche ganz leicht zu beseitigen ist.«

»Aber der Vetter? – Solchen jungen Herren fehlt die Gabe der kalten Berechnung und das Herz läuft in der Regel mit dem Verstande davon.«

»In der Regel; aber es giebt auch Ausnahmen, und zu diesen Ausnahmen gehört der Assessor. Ich will nicht sagen, daß er Anfangs nicht die Absicht gehabt hat für sich zu ernten, aber als ich ihm das Für und Wider vorhielt, als ich ihn einen Blick in meine Pläne thun ließ, als ich ihm im Hintergrunde die Aussicht eröffnete, ihm die Mittel zu verschaffen, seine Schulden zu bezahlen, und auch noch weiter ein lustiges Leben führen zu können, da trat er ganz auf meine Seite und ich bin sicher, einen zuverlässigen Verbündeten bei der Ausführung unserer Pläne gewonnen zu haben.«

»Aber worin bestehen denn diese Pläne? fragte Frau von Lindenberg.

»Zunächst darin, daß wir für unser beiderseitiges Glück sorgen.«

Die Cousine warf dem Vetter einen Blick voll wahrhafter Innigkeit zu.

»Sie wissen,« fuhr dieser fort, »wie die Verhältnisse augenblicklich bei Hofe beschaffen sind. Eine Intrigue jagt die andere, und der Kampf zwischen der Elsenheim und dem General von Schwarzbach wird erbitterter wie jemals geführt. Der Herzog ist übellaunig, denn die Langeweile und die Gicht plagen ihn, und gelänge es jetzt der Gräfin, seine Sinne durch ein neues Spielzeug zu reizen, so müßte sie unfehlbar über den verhaßten Gegner siegen, und die Vortheile, welche daraus entsprängen, würden natürlich auch Denen zu Gute kommen, deren Diensten sie dies zu verdanken hätte.«

»Es käme auf einen Versuch an. Und in welcher Weise, Herr Cousin, beabsichtigen Sie mich bei Ihren Plänen zu beschäftigen?«

»Natürlich Ihrem Verstande und Ihren Fähigkeiten gemäß. Sie miethen sich eine andere Wohnung, richten dieselbe in angemessener Weise ein und nehmen, von Herrn von Bärenfeld warm empfohlen, Adrienne und deren Tante unter Ihre Protection. Es wird Ihnen nicht schwer fallen, die alte Frau bald vollständig zu beseitigen, und die Gräfin Eisenheim wird dann Sorge tragen, das junge Mädchen unter einem passenden Vorwand in ihre Nähe zu ziehen.«

»Wissen Sie das schon so genau?« fragte Frau von Lindenberg, indem sie einen forschenden Blick auf den Kammerherrn warf.

»Ich werde Ihnen hierüber Auskunft geben, sobald Sie sich bestimmt gegen mich erklärt haben. Für jetzt frage ich Sie: Wollen Sie annehmen?«

»Mit leeren Händen?« rief die Gnädige mit unverhohlener Ironie, die Achseln zuckend. »Nein, Herr Cousin, um spanische Luftschlösser zu bauen, dazu hätten Sie sich nicht erst her zu bemühen brauchen. Ueberzeugen Sie mich durch klingende Gründe und ich bin die Ihrige; so lange Sie dies aber nicht können, rühre ich weder Hand noch Fuß, dies erkläre ich Ihnen auf das Bestimmteste!«

Der Baron lächelte; erschien das erwartet zu haben.

Mit vornehmer Ueberlegenheit lehnte er sich in den Sessel zurück, und während seine Linke mit der Uhrkette spielte, griff er mit der Rechten in die Brusttasche seines Rockes

»Verstehen Sie Französisch?« fragte er.

»Wozu dies? Sie wissen wohl, daß Solches zu den ersten Erfordernissen einer guten Erziehung gehört.«

»Auch etwas Italienisch?«

»Nun ja doch. Indessen hier handelt es sich nicht um bloße Worte, nicht um fremde Sprachen.«

»Aber es ist immer gut, wenn man seine Kenntnisse zu vermehren strebt. Nun sehen Sie, geliebte Cousine, ich habe hier ein Buch, welches in einer wunderbaren Sprache geschrieben ist, in einer Sprache, die Jeder versteht, zu welcher Nation er auch gehören mag. Hier, theure Verwandte, haben Sie einige Blätter aus diesem kostbaren Werke, und wenn Ihnen die Lectüre gefällt, so bin ich bei treuer Dienstleistung nicht abgeneigt, Sie noch weiter damit bekannt zu machen.«

Bei diesen Worten hatte der Baron ein ziemlich umfangreiches Portefeuille hervorgezogen und indem er es langsam öffnete, breitete er jetzt vor der erstaunten Dame einen Haufen Banknoten aus und lehnte sich dann mit der größten Ruhe wieder in seinen Sessel zurück, um die Wirkung dieses neuen Theatercoups abzuwarten. Die Wirkung war in der That auch eine überraschende. Die Augen der Frau von Lindenberg begannen vor Gier zu glänzen, und unwillkürlich streckten sich ihre zitternden Hände nach den vor ihr liegenden Schätzen aus.

»Wie ist es Ihnen möglich geworden, dieses Wunder zu bewirken?« fragte sie in einem Tone, als sei sie in Zweifel darüber, ob sie träume oder wache.

»Auf die einfachste Weise von der Welt,« entgegnete Herr von Neuburg, indem er die Banknoten langsam wieder einstrich, »ich habe gehorcht und gelauscht, ich habe mich von den Verhältnissen am Hofe genau unterrichtet und als ich wußte, was ich wissen wollte, machte ich meine Combinationen und trat zur passenden Stunde mit meinen Vorschlägen hervor.«

»Sie sind ein Genie!« rief die Baronin entzückt, »und gern bekenne ich, daß ich Ihnen gegenüber nur als eine armselige Stümperin erscheine. Die Gräfin hat Sie also wirklich in ihre Dienste genommen?«

»Würde Sie mir wohl sonst eine Anweisung von Zweitausend Thalern auf ihren Banquier ausgestellt haben? Genug, der Handel ist abgeschlossen, und unsere Sache bleibt es nun, durch Klugheit und Thätigkeit auch weitere Vortheile daraus zu ziehen.«

»Befehlen Sie nur,« sagte die saubere Verbündete, »ich erkenne Sie jetzt als meinen Oberen an.«

»Hier haben Sie dreihundert Thaler, dies wird für's Erste zu Ihrer Einrichtung und zur Instandsetzung Ihrer Garderobe hinreichen. Bedürfen Sie dann später mehr, so werden Sie sich über meine Freigebigkeit nicht zu beklagen haben. Treffen Sie Ihre Einrichtungen und halten Sie sich bereit, das junge Mädchen, welches für uns eine Fundgrube des Glücks zu werden bestimmt ist, mit Anstand und Würde zu empfangen. Ich selbst eile jetzt fort, um unverzüglich die nöthigen Einleitungen zu deren Uebersiedelung hierher zu treffen.«

Der Baron hatte sich erhoben und indem er nach seinem Hute langte, stand er im Begriff sich zu empfehlen.

»Sie wollen selbst nach Freienstein?« fragte seine Vertraute.

»Was Sie unerfahren sind!« sagte dieser. »Das wäre ja das beste Mittel, um Aufsehn zu erregen und den Nimbus über meine Stellung und meine Unentbehrlichkeit bei Hofe, mit welchem ich mich durch den Herrn Vetter bei den beiden Frauen habe umgeben lassen, abzuschwächen. Nein, ein mit zweihundert Thalern beschwerter Brief wird genügen; mit dieser Summe kann der Assessor seine Wirthshausrechnung bezahlen, und die beigefügte Instruction wird ihm sein weiteres Verfahren vorschreiben. Außerdem beabsichtige ich –«

»Was beabsichtigen Sie?« fragte Frau von Lindenberg gespannt.

»Nun, ich beabsichtige den guten Freiensteinern etwas Sand in die Augen zu streuen, und die beiden Frauen zugleich über meine einflußreiche Stellung und die hoffnungsreichen Aussichten meines Neffen noch mehr zu täuschen. Ich werde daher zwei Tage nach Abgang des Briefes einen Courier an den Neffen abschicken, welcher ihm die Weisung überbringt, schleunigst hierher zurückzukehren, weil ich andere Pläne mit ihm vorhätte, und dies wird auf keine Hindernisse stoßen, da ein Kommissorium ohnehin zu Ende ist.«

»Herrlich!« rief die Baronin, »ich kann mir schon ganz lebhaft die Wirkung denken, welche ein solches diplomatisches Meisterstück auf Tante und Nichte hervorrufen wird.«

»So ist also alles Nöthige zwischen uns verabredet,« sagte Herr von Neuburg; »ich habe Sie der Frau Gräfin bestens empfohlen, und unsere Gönnerin wird Sie wahrscheinlich in den nächsten Tagen zu sich rufen lassen. Benehmen Sie sich alsdann mit Klugheit und Geschicklichkeit, denn dies bedingt unser gegenseitiger Vortheil.«

»Halten Sie sich überzeugt, daß ich Ihnen Ehre machen werde.«

»Auf Wiedersehen also, Cousine.«

»Auf Wiedersehen, Herr Cousin.«

Das würdige Paar verabschiedete sich; der Bund war geschlossen. Die Früchte, welche derselbe bringen sollte, werden wir später Gelegenheit haben kennen zu lernen, für jetzt nöthigt uns der Gang der Erzählung, wieder nach Freienstein zurückzukehren.

 

Als sich der Doctor von seinen Eltern getrennt hatte, beschäftigten, bevor er einschlief, noch manche Bilder seine Seele. Die Vergangenheit umschwebte ihn mit ihren bunten Erinnerungen, wobei Adrienne den Mittelpunkt derselben bildete, und je mehr sein Herz an diesen Betrachtungen Theil nahm, desto lauter mußte er sich bekennen, daß sich die Jugendfreundschaft im Laufe der Jahre zu einer tiefen innigen Neigung für dieselbe umgestaltet hatte. Zu einer eigentlichen Erklärung zwischen ihm und ihr war es zwar bis jetzt nie gekommen, aber wenn sich die jungen Leute beim Wiedersehen die Hände drückten, wenn sich ihre Blicke begegneten, wenn sie mit einander scherzten und lachten, dann hüllte sich Alles in ein poetisches Gewand und man konnte wohl erkennen, daß sie von einer gemeinschaftlichen glücklichen Zukunft träumten.

Und jetzt? War denn wirklich eine solche Veränderung mit Adrienne vorgegangen? Hatte er sich in Wahrheit so in ihr getäuscht, wie es leider den Anschein gewonnen? War denn in der That eine solche Wandlung bei ihr eingetreten, daß sie jede Rücksicht gegen ihn bei Seite setzen und sich, dem öffentlichen Urtheil zum Trotz, an einen Mann anschließen konnte, welchen sie erst seit wenigen Wochen kannte, und dessen Geburt, nach den Begriffen der damaligen Zeit, eine Scheidewand bildete, die ihr Verhältniß zum Assessor selbst in den Augen des mildesten Richters, als unbedacht, wo nicht leichtsinnig erscheinen lassen mußte?

So grübelte der Doctor; aber was ihm sein Verstand sagte, entschuldigte wieder sein Herz. Er war ein edler, guter Mensch und obgleich tief verletzt durch das, was er über das junge Mädchen gehört hatte, sträubte sich sein Inneres doch dagegen, dieselbe schon auf den bloßen Schein hin zu verurtheilen.

»Adrienne ist lebhaft,« sagte er, »sie ist sich ihrer Schönheit bewußt, ihrem Geist wird es in dem kleinen Städtchen zu eng, sie strebt nach einem höheren Ziele. Wer hat sie gewarnt und auf die Folgen ihrer Unachtsamkeit aufmerksam gemacht? – Niemand! im Gegentheil, die schwache, eitle Frau, ihre Tante, begeht noch jetzt eine Menge Unbesonnenheiten und Thorheiten, und nach ihren Ansichten kann sich ihre Nichte durch die Aufmerksamkeiten, welche ihr ein Cavalier schenkt, nur geehrt und geschmeichelt fühlen. Hier kommt es also nur darauf an, Adrienne mit Ernst und Nachdruck auf die Gefahren aufmerksam zu machen, denen sie entgegengeht, und ihr Sinn für Recht und Schicklichkeit wird sie dann gewiß wieder auf den richtigen Weg zurückführen.«

Unter diesen Betrachtungen und mit dem Vorsatze, schon morgen die nöthigen Schritte zu thun, um dieses Ziel zu erreichen, schlief der junge Mann ein, nachdem er sich noch vorgenommen hatte, zunächst seinem Oheim einen Besuch abzustatten.

Dieser Oheim wurde von den Bewohnern des Städtchens nur der »Holländer« genannt, und über seinen Reichthum bestanden die verschiedenartigsten Gerüchte, ohne daß jedoch irgend Jemand im Stande gewesen wäre, hierüber nähere Auskunft zu geben. Man wußte nur, daß er als Stabsarzt in seiner Jugend in holländische Dienste getreten war und daß er fast 30 Jahre in Batavia zugebracht hatte. Dort verheirathete er sich mit einer Plantagenbesitzerin, und vor einigen Jahren war er als Wittwer nach seiner Vaterstadt in Begleitung eines Negers, einiger Affen und einer Anzahl buntgefiederter Papageien zurückgekehrt, hatte sich eine prächtige Villa erbaut und lebte nun auf derselben in gänzlicher Abgeschiedenheit, so daß er sich bald allgemein als einen Sonderling verschrieen sah.

Mitten in einem schönen Park von mäßigem Umfang, der sehr sauber gehalten war und der theils aus Blumenpartieen und tropischen Gewächsen, theils aus niedrigem, mit dem schönsten Grün bekleideten Laubholz bestand, lag das Wohnhaus des alten Herrn, welcher hier seine Junggesellenwirthschaft aufgeschlagen hatte.

Es mochte etwa acht Uhr des Morgens sein, als der Doctor diesen Park durchschritt und des alten Negers ansichtig wurde, welcher eben damit beschäftigt war, die mit feinem, weißen Sand bestreuten Gänge sorgfältig zu reinigen und zu ebenen.

»Guten Tag, Scipio,« sagte er, dem Schwarzen näher tretend und ihn freundlich anblickend, »wo ist mein Oheim, raucht er schon sein Pfeifchen?«

»Ja, Massa,« rief der Neger, indem er seinen breiten Mund zu einem freudigen Grinsen weit aufriß und zwei Reihen glänzender Zähne zeigte, »ja, Mynher sitzt schon seit einer Stund unter Veranda! O Gott, wird große Augen machen, alte Herr, wenn erblickt junge Herr. Ja wahrhaftig, glaubt junge Massa noch weit fort und jetzt auf einmal hier – hi! hi! soll schön Ueberraschung sein für Mynher!«

Auf diese Worte schritt Erlach rasch der Villa zu und lag wenige Augenblicke nachher in den Armen seines Onkels, der ihn mit einem lauten Willkommen empfing und seinen Gefühlen durch einige derbe Ausrufe sofort Luft machte.

»Blixen, mein Junge,« sagte er, den Neffen bei den Schultern fassend und ihm zärtlich in die Augen blickend, »bist recht stattlich geworden, wie ich sehe! – Holla Scipio, wie lange dauerts? – siehst Du denn nicht, wer da ist? Geschwind noch eine Tasse und eine Pfeife und spute Dich, oder bei Deinem schwarzen Fell, ich will verdammt sein, wenn ich Dir nicht Beine mache!«

»Ich schon da seind, Massa,« rief der Schwarze grinsend, indem er mit den verlangten Gegenständen angetrabt kam – »ah, wie sehr verlangt nach junge Herr; doch jetzt gut, Alles gut, so wahr Scipio heiße!«

»Hörst Du, was der Narr sagt?« rief der Oheim schmunzelnd, »aber Blixen, er hat recht, denn es ist wahr, ich bin froh, daß ich Dich wieder habe, mein Junge.«

Der alte Herr reichte dem Neffen seine Rechte und blickte ihm mit der Zärtlichkeit eines Vaters ins Gesicht.

»Sie bleiben sich in Ihrer Liebe und Güte gegen mich immer gleich,« sagte der junge Mann mit bewegter Stimme, indem er die ihm dargebotene Hand innig drückte; »wie Vieles verdanke ich nicht schon Ihrer Großmuth und wie wenige Mittel stehen mir zu Gebote, um Ihnen dies nur einigermaßen zu vergelten.«

»Larifari,« brummte Onkel Wilm, indem er schmollend die Unterlippe hängen ließ, »magst es gut meinen, mein Junge, mit Deinen Danksagungen; aber auch ohne dieselben weiß ich, wie es in Deinem Herzen aussieht. Hm, hast Deine Studien vollendet und auch ein hübsches Stück von der Welt kennen gelernt, denke, wirst nun wohl beilegen und die Anker fallen lassen – wie?«

Eine leichte Röthe trat auf dem Gesicht des jungen Arztes hervor und seinem Onkel offen ins Gesicht blickend, erwiderte er:

»Eben deswegen kam ich heute schon in so früher Stunde hierher, um Ihnen mein Herz zu öffnen und Ihren Rath zu erbitten.«

Der alte Herr wurde ernst. »Wenn es sich um Dein künftiges Glück handelt,« sagte er in einem zwar milden, doch aber bedächtigen Tone, »so will dies allerdings überlegt sein. Ich müßte mich sehr irren, wenn ich nicht eine Liebesgeschichte zu hören bekommen soll.«

»Allerdings handelt es sich zunächst um eine Herzensangelegenheit. Sie kennen ja die junge Seebach.«

»Wie sollte ich denn nicht! Blixen, glaubst Du etwa, weil ich bereits meine Sechszig auf dem Rücken habe, daß eine solche Schönheit keinen Eindruck mehr auf mich macht?«

»Adrienne gefällt Ihnen also?«

»Ich müßte lügen, wenn ich das Gegentheil sagen sollte. – Blixen, heirathe das Mädchen!«

»Ja, aber dennoch – Ist Ihnen bekannt, daß sich seit einigen Wochen ein gewisser Baron von Bärenfeld hier aufhält?«

»Allerdings. Habe so manche Geschichte von ihm erfahren, die mir nicht gefällt.«

Der Doctor erzählte nun, was wir bereits wissen und schloß dann in großer Bewegung:

»Adrienne aufzugeben vermag ich nicht; mich von den Hoffnungen, mit welchen ich mich bisher getragen, loszureißen, ohne gleichzeitig meinem Lebensglück zu entsagen, ist mir ebenso unmöglich.«

»Diese Stärke der Leidenschaft habe ich nicht bei Dir vermuthet,« sagte der alte Herr. »Nun, Du sollst eine Stütze an mir finden, und kommt die Zeit, wo Du mich brauchst, so rechne unbedingt auf meinen Beistand.«

Der junge Arzt warf sich an die Brust seines Verwandten und mit leuchtendem Blicke rief er:

»Dank, tausend Dank, mein gütiger, mein hochherziger Oheim! Jetzt bin ich beruhigt. Und ist es nöthig, daß ich den Kampf mit dem Schicksal aufnehme, so werde ich dies mit Muth und Ausdauer thun.«

»Wie es dem Manne geziemt,« fügte der ehemalige Plantagenbesitzer mit Nachdruck hinzu. »Ich gestehe, daß ich das junge Mädchen auch liebgewonnen habe und wäre ich in Deinen Jahren, ich glaube ebenfalls, daß ich mir eine solche Perle nicht ohne Widerstand würde entreißen lassen.«

»So weit ist es Gott sei Dank noch nicht,« entgegnete der Arzt, »noch habe ich Adrienne nicht einmal gesprochen und ihr zum Herzen geredet, noch den Einfluß nicht erprobt, welchen ich über sie besitze. Jetzt will ich aber auch keinen Augenblick länger zögern; von hier gehe ich direct zu Frau Seebach und ich will doch sehen, ob der Anblick des Jugendgefährten diesen lustigen, windigen Baron nicht aus dem Felde schlagen, ob das Herz Adriennes sich nicht den Gefühlen der ersten unschuldsvollen Liebe wieder zuwenden wird, die sie, von dem Reize hohler Schmeichelei geblendet, doch gewiß nur für einen Augenblick vergessen konnte.«

Der Doctor hatte sich erhoben, auf seiner Stirn lagerte sich eine neue Hoffnung. Lächelnd drückte er dem Oheim zum Abschied die Hand und eilte leichten Schrittes der Stadt zu.

Der alte Herr aber schüttelte den Kopf und ging, dicke Tabackswolken ausstoßend, lebhaft die Veranda auf und ab.

»Mit dem guten Wetter scheint es mir noch gar nicht so richtig, obgleich ich es von Herzen wünsche,« murmelte er. »Das Täubchen hebt die Flügel und will in die weite Welt hinaus; hier in dem Städtchen wird es ihm zu eng! – Außerdem kommt es mir aber noch so vor, als wenn irgend eine Schurkerei im Hintergrunde lauert.«

Der Alte ballte die Faust, als wenn er hätte sagen wollen:

»Wehe, wenn ich dahinter komme!« Dann begann er ein Liedchen zu pfeifen und zuletzt verlor er sich, immer tiefer nachdenkend, in die schattigen Gänge seines Parkes.

 

Der Arzt hatte inzwischen seine Schritte beflügelt und bald stand er auf der Schwelle des Hauses, wo gestern Adrienne von ihm, halb hinter Blumen versteckt, bemerkt worden war. Mit lautklopfendem Herzen faßte er den messingenen Griff der Thür. Dann trat er ein und mit den Räumlichkeiten bekannt, stieg er die Treppe hinauf, sich des ernsten Ganges wohl bewußt, der mit dem Glück seines Herzens in so enger Verbindung stand. Die Accorde eines Klaviers schlugen an sein Ohr und eine volltönende, glockenreine Stimme ließ sich hören.

Dem jungen Manne wurde ganz wundersam zu Muthe. Dieser zum Herzen sprechende Gesang zog ihn mächtig an, und doch war es ihm wieder, als wenn trotz der Wärme, die darin lag, ein kalter Hauch ihn berühre. So trat er leise in das Zimmer und lauschte den Worten, welche über Adriennes Lippen glitten, die ihn noch immer nicht bemerkte, denn sie hatte ihm den Rücken zugekehrt. – Ja, sie war wirklich schön, diese schlanke, feingebaute Blondine, mit den großen blauen sprechenden Augen, dem vollen weichen Haar, den zarten und doch schwellenden Körperformen. – Erlach stand und würde vielleicht noch lange bewundernd dagestanden haben, wenn sich nicht plötzlich eine Seitenthür geöffnet hätte und die Tante hereingetreten wäre.

»Ah,« rief diese, vor Ueberraschung stehen bleibend, »sehe ich recht? – Sie hier, Herr Doctor Erlach? – Geschwind Adrienne, kehre Dich um! Kind, wo hast Du Deine Augen und Dein Ohr gehabt, um des Herrn Doctors Eintritt nicht zu bemerken?«

Schon bei dem Namen »Erlach« hatte das junge Mädchen, wie von einem elektrischen Schlage berührt, die Finger von den Tasten des Instruments gleiten lassen; jetzt kehrte sie sich um, eine tiefe Röthe übergoß das hübsche Gesicht, und einen Augenblick schien es, als wolle sie dem Jugendfreund entgegeneilen und ihm die halberhobenen Hände zum Willkommen entgegenstrecken. Aber dies Alles löste sich schließlich in eine tiefe stumme Verbeugung auf, das Auge hob und senkte sich zweifelhaft und: »Seien Sie uns herzlich willkommen!« glitt es zuletzt über ihre Lippen.

»Ist dies Wort eine Wahrheit?« fragte Erlach prüfend, indem sein Mund leise die dargebotene Hand Adriennes berührte.

»Können Sie daran zweifeln?« antwortete diese mit einem Lächeln, aus welchem sich jedoch herauslesen ließ, daß die Frage sie unangenehm berührte.

»Zweifeln?« entgegnete der Arzt. »Nein, Adrienne, wenn Zweifel bei mir vorhanden wären, würde ich nicht hierher gekommen sein.«

Ein hohes Roth übergoß die Wangen des jungen Mädchens.

»Sie werden hier Vieles seit Ihrer zweijährigen Abwesenheit verändert gefunden haben,« sagte sie ablenkend.

»Nur Adrienne ist sicher stets dieselbe geblieben,« bemerkte Erlach nicht ohne Betonung.

»O ja,« antwortete sie, »immer noch dasselbe einfache Mädchen von früher.«

»Glauben Sie es nicht,« rief hier die Tante dazwischen, »bei Adrienne ist Vieles zu ihrem Vortheil anders geworden. Ihr Blick hat sich erweitert, ihre Ansichten sind nicht mehr die einer Kleinstädterin. Sie hat Vertrauen zu sich selbst gewonnen und wenn sie einmal in die Welt tritt, wird sie dies mit Selbstbewußtsein thun.«

»Und wer hat denn diese große Veränderung hervorgebracht?« fragte mit klopfendem Herzen der Doctor.

»Es sind die Folgen des feinen und guten Umgangs,« rief die Tante.

»Mademoiselle, erklären Sie mir doch diese Worte, welche ich nicht recht verstehe.«

Adrienne, der man es ansah, daß ihr dieses Examen lästig war, entgegnete: »ein Geheimniß steckt weiter nicht dahinter. Sie selbst haben lange genug in großen Städten gelebt, um zu wissen, daß ein Ort wie Freienstein eben nicht dazu geeignet ist, eine Vorschule der Bildung für das feinere, gesellschaftliche Leben zu sein. Aus diesem Grunde bin ich wirklich froh, daß der Zufall mich einen Mann kennen lernen ließ –«

»Einen Baron,« fiel die Tante eifrig ein, »einen Cavalier, der direct vom Hofe kommt.«

»Ich weiß es,« entgegnete Erlach ernst, »einen gewissen Baron von Bärenfeld.«

»Sie wissen es?« rief das junge Mädchen doch etwas überrascht. »Freilich, ich hätte mir denken können –«

»Was denn?«

»Nun, daß man nichts Eiligeres zu thun haben würde, als Ihnen tausend unwahre Dinge über mich zu erzählen.«

»Kinder,« rief hier die Tante dazwischen, »bei diesem Gespräch bin ich überflüssig. Benutzt die Zeit, welche ich zur Besorgung einiger häuslichen Geschäfte verwenden will, um Euch zu verständigen.«

Es entstand eine ziemliche Pause.

»Werden Sie unwillig werden,« unterbrach der Doctor dieselbe, »wenn ich Ihnen bekenne, daß Ihr Bild auch in der Ferne unverändert seinen alten Platz in meinem Herzen behauptet hat?«

»Den Platz einer Jugendfreundin,« sagte ausweichend und erröthend Adrienne.

»Nennen Sie es, wie Sie wollen. Ich sah Sie gestern am Fenster stehen, als ich im Postwagen, in welchem sich auch Herr von Bärenfeld befand, an Ihrem Hause vorüberfuhr. Sie nickten diesem Herrn freundlich zu.«

»Mein Gott, wenn mich Jemand grüßt, ist es dann nicht meine Pflicht zu danken? Ueberdies hat Ihnen meine Tante ja schon gesagt, daß er zu unseren näheren Bekannten gehört.«

»Mit dem Sie Landpartieen machen.«

»Liegt darin etwas Anstößiges? Der Baron ist ein feiner anständiger Mann; überdem habe ich nicht Lust, mich den beschränkten Ansichten der Freiensteiner unterzuordnen,« bemerkte Adrienne gereizt.

»Aber Sie leben doch unter ihnen, und kann Ihnen gleichgültig sein, was Ihre Mitbürger von Ihnen sprechen?«

»So lange ich das Bewußtsein habe, nichts Böses zu thun, ist mir dies einerlei.«

»Auch wenn Sie ein anderes Herz, welches es treu und redlich mit Ihnen meint, damit verwunden?«

»Es würde mir leid thun, aber es wäre nicht meine Schuld.«

»Adrienne, so habe ich mich also getäuscht, ich bin Ihnen nicht, was ich Ihnen zu sein hoffte.«

»Sie sind mir ein lieber theurer Freund,« antwortete das junge Mädchen mit Wärme, »ein Mann, den ich achte und ehre; und der werden Sie mir immer bleiben.«

»Also nur Freundschaft und kalte Achtung widmen Sie mir? O Adrienne, unmöglich können Ihnen meine Gefühle verborgen geblieben sein!«

»Halten Sie ein,« rief das junge Mädchen, jede weitere Erklärung abschneidend. »Es ist mein fester Entschluß, mir meine volle Freiheit zu bewahren. Bleiben Sie mein Freund, dies nehme ich dankbar an.«

Der Doctor seufzte. »Als solcher werde ich immer mich beweisen,« sagte er mit bewegter Stimme, »selbst wenn es wider Ihren Willen geschehen müßte, denn ich habe es mir zu meiner Lebensaufgabe gemacht, Sie zu beschützen, wenn Ihnen Gefahren drohen und diese Gefahren – o, ich ahne es – werden früher erscheinen, als Sie vermuthen.«

Adrienne schüttelte den Kopf. Die Anhänglichkeit des jungen Mannes rührte sie, aber gleichzeitig beharrte sie darauf, sich seinem Einflusse zu entziehen.

»Sie sehen Gespenster, wo keine vorhanden sind,« sagte sie mit sanftem, aber entschiedenem Tone. »Meinen Sie etwa, daß ich Gefahren entgegen gehe, weil ich den hiesigen Aufenthalt mit der Residenz vertausche?«

»Ihr Entschluß nach der Hauptstadt überzusiedeln, steht also schon fest?«

»Alles kommt auf meine Tante an,« lautete die ausweichende Antwort. »Vielleicht entschließt sie sich dazu, ja, es ist dies sogar sehr wahrscheinlich.«

»Kennen Sie denn aber das Leben in der Residenz?« fragte Erlach ernst. »Wissen Sie, daß dort die Falschheit, die Verstellung, die Intrigue ihre tausendfältigen Fäden spinnen, die durch alle Schichten der Gesellschaft laufen?«

»Sie tragen wohl mit etwas zu starken Farben auf.«

»Adrienne, Sie sind schön, Sie sind sogar sehr schön –«

Das junge Mädchen lächelte nicht ohne Selbstbewußtsein.

»Sie setzen meine Bescheidenheit auf die Probe,« erwiderte sie mit einer artigen Verbeugung.

»Sie lieben Glanz und Pracht.«

»Wer sagt Ihnen denn das?«

»Sie sind nicht unempfänglich gegen Schmeicheleien.«

»Welches junge Mädchen wäre dies nicht?«

»Ihr Ehrgeiz strebt nach einem Ziel, das Andere Ihnen glänzend ausmalten. Hüten Sie sich, daß man Sie nicht täuscht! Werden Sie dereinst der Versuchung widerstehen können, wenn diese plötzlich an Sie herantritt?«

»Ich werde es!« entgegnete Adrienne mit jener eingebildeten Festigkeit, welche der Unerfahrenheit so oft eigen ist und die sie antreibt, gute und treugemeinte Rathschläge häufig mit Uebermuth und beharrlichem Eigensinn zurückzuweisen. »Uebrigens nehme ich Ihnen diese Frage nicht übel, denn ich bin gerecht genug, anzuerkennen, daß dieselbe einer edlen Besorgniß für mein Wohl entspringt.«

»Gott ist mein Zeuge, daß ich dasselbe nur vor Augen habe,« sagte der Doctor mit betrübter, fast bebender Stimme.

Im Vorzimmer wurden plötzlich Stimmen laut.

Es öffnete sich die Thür und der Assessor von Bärenfeld erschien auf der Schwelle derselben. Diesmal trug er sein goldgesticktes Kleid, seine Spitzenmanchetten und einen zierlichen Galanteriedegen. Sein Haar war gepudert und nach damaliger Sitte hinten zu einem kleinen Zopf zusammengebunden, in der Hand hielt er den dreieckigen, mit kurzen Straußfedern besetzten Hut.

Der Baron präsentirte sich in der That als keine üble Erscheinung – als ein ganz anderer Mann wie gestern, wo er für seinen Sultan in so unmanierlicher Weise das Wort geführt hatte.

»Ich grüße Sie, holde Psyche, cyprische Göttin,« rief er, auf Adrienne zueilend und ihr galant die Hand küssend – »ah, erst jetzt, wo ich Ihnen gegenüberstehe, dringt Licht in mein Herz und Ihr Anblick zerstreut die Finsterniß, welche sonst in diesem Paradiese stupider Spießbürgerlichkeit, in diesem Krähwinkel herrscht.«

»Der Herr Baron sind immer gleich artig,« fiel hier die Tante mit einem tiefen Knix ein, »das erinnert mich an die Zeit, die ich bei Hofe zubrachte. O, die Herren Cavaliere! Die Herren Cavaliere!«

»Erlauben Sie, daß ich Ihnen hier einen unserer Freunde vorstelle,« sagte Adrienne. »Herr Doctor Erlach – Herr von Bärenfeld.«

Der Assessor blickte den ihm Vorgestellten von der Seite an. Eine Erinnerung schien bei ihm aufzudämmern, und mit stolzer, aristokratischer Zurückhaltung machte er eine kurze, frostige Verbeugung.

»Ich habe schon gestern Gelegenheit gehabt, den Herrn Baron kennen zu lernen,« sagte Erlach, der in dem Tone und in dem Wesen des Assessors sein Urtheil vom vorigen Tage nur bestätigt fand.

»Gestern? Ach ja, jetzt entsinne ich mich. Eine Begegnung mit meinem Sultan, nicht wahr? Ha, ha, ein Teufelsthier, der Sultan!«

»Völlig ungenirt,« entgegnete der Doctor »ein wahrer Gentleman unter den Hunden.«

Der Baron drehte sich den Schnurbart. Er überlegte, ob er eine Antwort geben sollte, aber der Doctor war ihm hierzu offen gar zu unbedeutend. Er wendete sich daher zu Adrienne und sagte:

»Ich habe gestern Nachrichten aus der Residenz, von meinem Oheim, dem Kammerherrn bekommen. Er läßt tausend Mal grüßen. Seitdem der alte Zerr hier zum Besuch war, schwärmt er nur für Ihre Reize und schwört, daß Sie, Mademoiselle, der schönste Edelstein unseres Herzogthums sind.«

»O, die Herren Cavaliere! Die Herren Cavaliere!« rief hier wieder die Tante, die an ihre eigene Jugendzeit dachte.

Adrienne verbeugte sich artig und sagte: »Ihr Oheim, der Kammerherr, ist sehr gütig, aß er sich meiner stets so wohlwollend erinnert. Haben Sie sonst Nachrichten von Interesse aus der Hauptstadt erhalten?«

»Bei Hofe befand man sich in einiger Aufregung,« erwiderte der Assessor, indem er die Sinne eines Diplomaten annahm. »Sie wissen, mein Oheim – seine einflußreiche Stellung – natürlich, unter diesen Verhältnissen versteht es sich von selbst, daß er der Träger von manchem wichtigen Geheimniß ist.«

Die Frauen sahen sich gespannt an. Um den Mund des Doctors spielte ein unmerkliches ironisches Lächeln.

»Nun,« sagte der Assessor endlich, »ich weiß, meine Damen, Sie werden von meiner Mittheilung keinen Mißbrauch machen.«

Beide legten als Gelöbniß eines unverbrüchlichen Stillschweigens die Hand auf's Herz und traten einen Schritt näher.

»Wie gesagt, es herrschte bei Hofe einige Aufregung, die Gichtanfälle hatten sich bei Seiner Durchlaucht, unserem Allergnädigsten, vermehrt und die alten Krankheitserscheinungen waren im verstärkten Maße hervorgetreten. Deshalb ist es leicht möglich –«

»Ich verstehe,« sagte Frau Seebach, ihrer Nichte einen bedeutungsvollen Blick zuwerfend, »bei den glänzenden Aussichten, welche sich dem Herrn Baron eröffnen, hat der Herr Oheim vielleicht seine Gründe, Sie bald von hier abzuberufen.«

»So ist es,« entgegnete Herr von Bärenfeld. »Aber ich tröste mich mit er Gewißheit.« Er wechselte einen vielsagenden Blick mit der Tante, den diese durch eine tiefe zuvorkommende Verbeugung erwiderte.

Der Doctor biß sich auf die Lippen. Was diese »Gewißheit« bedeuten sollte, darüber war er nicht im Geringsten im Unklaren; es hieß so viel wie: »Sie kommen mit Adrienne dann bald nach.« – Um sich keine Blöße zu geben, unterdrückte er, was er dabei empfand, und brachte das Gespräch absichtlich auf den vorigen Gegenstand zurück.

»Schon vor zwei Jahren,« bemerkte er, »waren bei Seiner Durchlaucht die Anzeichen der Wassersucht vorhanden.«

»Woher wissen Sie das?« fragte der Assessor, sich rasch auf dem Absatz umdrehend und den Sprecher mit einem Blick messend, welcher denselben wegen der Kühnheit seiner Aeußerung niederschmettern sollte.

»Weil ich gerade zu jener Zeit einer der ersten medicinischen Autoritäten Deutschlands sehr nahe stand, die über diesen Gegenstand mit den Leibärzten des Herzogs consultirte.«

»Consultirte? – Medicinische Autorität? –« wiederholte Herr von Bärenfeld, jetzt jedoch in einem bescheidenen Tone. »Und Sie erhielten wirklich von einem Umstande Kenntniß, welcher damals selbst der nächsten Umgebung unseres Allergnädigsten fremd blieb?«

»Ihnen zu dienen, Herr Baron,« entgegnete Erlach mit einem leicht ironischen Lächeln, »ich bekleidete damals die Stelle eines Assistenzarztes bei jenem berühmten Manne der Wissenschaft und so hatte ich denn auch Gelegenheit, unter seiner Leitung bei dem Prinzen Leopold, dem Bruder des Herzogs, eine Operation zu vollziehen, wofür mir eine huldvolle Auszeichnung zu Theil wurde.«

»Eine huldvolle Auszeichnung? – Ei, ich gratulire!« Und Herr von Bärenfeld machte diesmal eine sehr höfliche Verbeugung.

»Schnupfen Sie vielleicht?« fragte Erlach, eine mit Diamanten besetzte Dose hervorziehend, »betrachten Sie sich das Portrait, welches diese Steine einfassen, Sie werden es ohne Zweifel sofort als das des Prinzen erkennen.«

»Aber mein Gott,« stammelte jetzt der Baron, »warum treten Sie, hochgeehrter Herr, erst jetzt aus Ihrem Incognito hervor. Es gereicht mir zum besonderen Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen. Sie kehren nach er Hauptstadt zurück?«

»Prahlhans!« dachte der Doctor, indem er nachlässig seine Dose durch die Finger gleiten ließ. Dann sagte er:

»Mir sind von dorther in der letzten Zeit einige schmeichelhafte Anträge gemacht worden. Da ist zum Beispiel der General von Schwarzbach – die Frau Gräfin Elsenheim –« Er hielt inne, um die Wirkung dieser Namen auf den Baron abzuwarten, den er bereits durchschaut hatte.

In der That war für diesen der Doctor auf einmal eine geheimnißvolle Person geworden, ein Räthsel, das mit dem Nimbus einer solchen Gönnerschaft umgeben, plötzlich vor ihm stand.

»Gott weiß, was da noch Alles dahinter steckt,« dachte er, und ein ziemlich schwerer Seufzer entschlüpfte seiner Brust, denn ihm fiel das Netz der Intrigue ein, welches er mit Hülfe seines würdigen Verbündeten bereits so schön ausgesponnen hatte. Der Kopf schwindelte ihm, er war aus dem Gleichgewicht gekommen.

Der schmetternde Ton eines Posthorns riß ihn aus der Verlegenheit. Alles horchte gespannt auf, denn um diese Zeit ließ sich in Freienstein in der Regel nur der Kuhhirt hören. Der Assessor hätte allerdings über dieses Ereigniß genügenden Aufschluß geben können, wenn er es für gut gefunden hätte.

Er war indeß der Erste, welcher erstaunt ans Fenster trat und auf die Straße blickte, wo so eben ein Postillon, von der lieben Jugend des Städtchens umringt, vom schaumbedeckten Pferde sprang.

»Bereiten Sie sich auf wichtige Neuigkeiten vor,« sagte der Baron, in die Mitte des Zimmers zurückkehrend, »so eben ist eine Staffette angelangt und –«

»Was giebt es?« fragte er, dem eintretenden Boten entgegen eilend.

»Eine Depesche,« antwortete dieser, ein sauber gefaltetes Schreiben mit einem großen Siegel überreichend.

Seiner Rolle getreu erbrach Herr von Bärenfeld den Brief hastig, überflog gespannt dessen Inhalt und sagte:

»Es ist so wie ich vermuthet habe, meine Damen, – strenger Befehl zur sofortigen Rückkehr,« und er seufzte halb laut und betrachtete Adrienne mit einem Blick, als wenn er hätte sagen wollen: »Werde ich diese plötzliche Trennung auch ertragen können?«

Das junge Mädchen erröthete leise, dann schlug sie verwirrt die Augen nieder, denn auch der Doctor hatte seinen Blick ernst und forschend auf sie gerichtet und schien in dem Innersten ihrer Seele lesen zu wollen.

Es war Adrienne daher lieb, als Herr von Bärenfeld fortfuhr:

»Nun, ich reise voran und mache Quartier; in kurzer Zeit folgen Sie mit der Tante nach, Mademoiselle, denn so ist es ja abgesprochen. In der Residenz werden Sie den Ihnen angemessenen Platz finden und wer weiß –«

Dieses »wer weiß,« war das Räthsel der Sphinx, welches sich Jeder in beliebiger Weise entziffern konnte. Der Baron lächelte geheimnißvoll, die Tante dachte an die Cavaliere, Adriennen entschlüpfte ein leiser, sehnsüchtiger Seufzer, denn eine neue glänzende Welt zeigte sich ihren Blicken. Der Arzt stand in trübe Gedanken verloren. Er ahnte schwere Kämpfe und fragte sich, ob seine Macht hinreichen würde, das Mädchen, das er so innig liebte, den ihr drohenden Gefahren zu entreißen.

Endlich brach Herr von Bärenfeld das Schweigen, indem er sich gleichzeitig zum Fortgehen anschickte.

»Ich eile, Courierpferde zu bestellen,« sagte er, »noch vor Mitternacht reise ich ab. Erlauben Sie, so bestelle ich den Wagen hierher – es wird mir dann noch das Glück zu Theil, ein Stündchen mit den Damen zu verplaudern und wir haben dabei Zeit, die letzten Verabredungen zu treffen.«

»Kommen Sie nur, Sie werden uns willkommen sein,« sagte die Tante und begleitete den Davoneilenden bis an die Treppe.

»Und würden Sie sich wirklich entschließen, Freienstein zu verlassen?« fragte Erlach Adrienne, als er sich mit dieser allein befand.

»Warum denn nicht! Ei, mein Gott, ich begreife nicht – so erklären Sie mir doch, weshalb Sie denn durchaus in einem Aufenthalt in der Residenz Gefahren für mich erblicken?«

»Ich weiß es nicht – ich weiß es in der That nicht,« antwortete der Doctor. »Ich folge hierbei nur einer inneren Stimme, welche mir zuflüstert, daß daraus nichts Gutes entstehen wird.«

»O gehen Sie doch,« rief das junge Mädchen lachend, »ein Mann der Wissenschaft, wie Sie, der sich in der Welt umgesehen hat und dem man daher eine freiere Anschauungsweise zutrauen kann, hält mich für verloren, so wie ich den Fuß über Freienstein hinaussetze! Wissen Sie auch, daß darin nicht viel Schmeichelhaftes für mich liegt, und daß ich Ihnen eigentlich recht ernstlich zürnen sollte?«

»Thun Sie das nicht,« entgegnete der junge Arzt mit einer Tiefe des Gefühls, die ihm wohl stand, weil sie aus dem Herzen kam. »Ich meine es gut, ich meine es treu, ich meine es redlich, glauben Sie mir, Adrienne. Eine spätere Zeit wird dies vielleicht beweisen. Sie haben vergessen, wie nahe wir uns standen, ehe dieser Fremde sich zwischen uns drängte, gegen den ich mein Mißtrauen und meinen Widerwillen nun einmal nicht zu unterdrücken vermag.«

»Ich habe Nichts vergessen,« entgegnete Adrienne mit Hartnäckigkeit, obgleich sie dabei erröthete; »aber was soll ich eigentlich vergessen haben? Wir spielten, wir lachten, wir scherzten zusammen – es mag auch sein, daß unsere Träume sich dabei mitunter in die Zukunft verirrten; aber zu einer eigentlichen Erklärung ist es doch nie zwischen uns gekommen, und größere Rechte als die der Freundschaft können Sie daher auch nicht beanspruchen.«

Adrienne hatte diese Worte mit sanfter Stimme gesprochen, denn sie wollte nicht verletzen, sondern nur ausweichen. Jetzt hob sie den schönen Kopf empor und dem Jugendgespielen mit einem Blick unendlichen Zaubers die Hand reichend, sagte sie lächelnd:

»Lassen Sie uns Frieden schließen und auch dem Baron grollen Sie nicht mehr – glauben Sie mir, Sie thun ihm Unrecht.«

»Ja, lassen Sie uns Frieden schließen,« rief Erlach, die kleine weiße Hand ergreifend; »in einer späteren Zeit werden hoffentlich auch Sie meine guten und redlichen Absichten erkennen. Für jetzt –doch wozu Sie mit einem Plan bekannt machen, der Ihnen zeigen würde, wie theuer Sie mir sind und wie reiflich ich die kommenden Möglichkeiten bereits erwogen habe.«

»Das für ein Plan ist das?« fragte das junge Mädchen gespannt; »sprechen Sie, ich bitte darum –«

»Nein,« sagte der Arzt, seinen Hut ergreifend, »erlassen Sie mir dies. Kommt Zeit, kommt Rath. Erfordern es die Umstände, so werde ich als guter Geist in Ihrer Nähe sein. Gott gebe, daß Sie dann auf mich hören; geschähe es nicht, so würden Sie mir das Herz brechen.«

Ohne eine Erwiderung abzuwarten, eilte der junge Mann fort. Adrienne sah ihm vom Fenster aus nach, als er aus dem Hause trat und sich raschen Schrittes in der Ferne verlor.

»Als guter Geist!« murmelte sie, »aber wo? Denn wohin ich auch blicke und so sehr ich auch überlege, nirgend sehe ich für mich eine Gefahr. Indessen er meint es redlich, und ich achte und ehre ihn deshalb. Um so mehr will ich aber auch darnach streben, ihm zu zeigen, daß seine Befürchtungen grundlos waren. Und wenn ich ihn dann in einer späteren Zeit wiedersehe, soll er mir Abbitte thun; er soll gestehen, daß er sich geirrt hat, er soll bekennen, daß ich noch dieselbe bin, welche ich hier war.«

Sie setzte sich an den Flügel und ihre klare, metallreiche Stimme tönte wieder, was im Augenblick ihr Herz empfand. Im Innern beruhigt, mit sich selbst zufrieden, glaubte sie keinen Vorwurf zu verdienen. Vor ihr lag die Zukunft und sie malte sich dieselbe als eine lachende aus; keine Wolke trübte dies Bild; sie blickte nochmals in ihr Herz – es war rein, sie war beruhigt.

 

Acht Tage später setzten sich sämmtliche Lästerzungen des Ortes bei der Nachricht von der plötzlichen Abreise der Frau Seebach mit ihrer Nichte in Bewegung. Dabei fehlte es nicht an Enthüllungen in Betreff des Lebenswandels des Assessors und an boshaften, in Gift getränkten Bemerkungen über die Zierpuppe, welcher der Hochmuth im Nacken sitze, und die sich einbilde, ein Baron werde sie heirathen.

Noch ein anderes Ereigniß nahm kurz darauf die Klatschschwestern in Anspruch: der Doctor hatte seine Vaterstadt ebenfalls plötzlich wieder verlassen, und die Fenster der Villa vor dem Thore der Stadt waren dicht verschlossen; auf Befragen erklärte der Gärtner, der Herr sei in dringenden Angelegenheiten nach Holland abgereist, und man wisse nicht, wann er zurückkehren werde. –

 

In der Hauptstadt fand etwa acht Tage nach der Abreise Adriennes aus Freienstein in dem Hause der Gräfin Elsenheim, der Geliebten des Fürsten, eines Abends folgendes Gespräch zwischen dieser und ihrer Kammerfrau statt:

»Nun, Henriette,« sagte die Erstere, sich etwas ungeduldig zu der Vertrauten wendend, »ich habe Dir gesagt, wen ich erwarte. Ist dieser Herr von Neuburg noch immer nicht eingetroffen?«

»Er harrt nur auf den Befehl einzutreten.«

»So sage ihm, daß ich ihn zu empfangen bereit bin.«

Während die Kammerfrau verschwand, nahm die Gräfin den Ausdruck des Stolzes und vornehmer Ueberlegenheit an.

»Solchen Kreaturen gegenüber,« murmelte sie, »muß man sich als Herrin zeigen; es sind käufliche Charaktere, die nichts Besseres verdienen, als daß man ihnen den Rücken kehrt, wenn man ihrer nicht mehr bedarf.«

Mit einem Ausdruck der Verachtung wendete sich die stolze Frau um und blickte dem Herrn von Neuburg, welcher bereits seit einer Minute, den Hut in der Hand mit gekrümmtem Rücken dastand, ins Gesicht.

»Die gnädige Gräfin haben befohlen,« – stammelte der alte Sünder.

»Ah, mein lieber Baron! – Nun, ich sehe Sie sind pünktlich; das ist schön! Bringen Sie mir erfreuliche Nachrichten?«

»Ganz zufriedenstellende. Meine Pflegebefohlene entwickelt die schönsten Anlagen, meine Cousine, die Frau von Lindenberg, ist mit dem besten Erfolge bemüht, ihre Erziehung zu vervollständigen.«

»Und Ihre Pflegebefohlene hat keine Ahnung von der Rolle, zu der sie bestimmt ist?«

»Nicht die entfernteste. O, meine Cousine ist eine sehr kluge Frau; das Wohl dieses jungen Mädchens hätte keinen besseren Händen anvertraut werden können.«

»Geben Sie der würdigen Dame meine Zufriedenheit zu erkennen,« sagte die Elsenheim, welche in diesem Punkte eben so gewissenlos wie ihre Helfershelfer war. »Wie wohnt Ihre Verwandte denn jetzt? Ist sie so eingerichtet, daß man ihr nöthigenfalls einen Besuch machen kann?«

»Sie hat ein ganz anderes Stadtviertel bezogen und lebt, den empfangenen Weisungen gemäß, äußerlich auf einem vornehmen Fuß. Freilich,« setzte Herr von Neuburg mit einem Seufzer hinzu, »es kostet viel, denn auch mein Neffe – die Frau Gräfin werden sich schon darauf gefaßt machen müssen –«

»Ich verstehe. Nun, wenn das Mädchen so schön ist, wie das Portrait sie darstellt, so kommt der Kostenpunkt nicht in Betracht.«

Der Exkammerherr verbeugte sich und während ein seliges Lächeln seinen Mund umspielte, fuhr er sich mit dem Rockärmel über die Augen, als wolle er eine Thräne der Rührung abtrocknen.

»Fahren Sie fort, Adrienne in der Täuschung zu erhalten, als wenn sich der Assessor im Ernst um ihr Herz und ihre Hand bewirbt. Das wird sie von der Außenwelt abziehen und sie die Wahrheit um so weniger erkennen lassen. Das Mädchen ist eitel und ehrgeizig, nicht wahr?«

»Das Eine wie das Andere, dabei auch etwas eigensinnig.«

»Desto besser. Solche Charaktere sind schwer zu überzeugen und Warnungen und gute Rathschläge weisen sie in der Regel von der Hand.«

»Welche Lebensweisheit!« rief der Baron, den Bewunderer spielend.

»Hat sich Frau von Lindenberg der Weisung gemäß, meiner Bekanntschaft gerühmt?« fragte die Elsenheim weiter.

»Sie hat es auf Dero Befehl gewagt.«

»Und natürlich hat sie mich nicht eben von der schwärzesten Seite geschildert?«

»Als einen Engel der Güte,« rief der Baron die Augen fromm verdrehend, »als eine Dame voller Huld und Herablassung, wie es ja auch die Wahrheit erfordert.«

»Gut, gut. In Kurzem werde ich Ihrer Cousine einen Besuch machen, um mir diese Adrienne in der Nähe zu betrachten. Bereiten Sie Ihre Verwandte darauf vor, und wenn Sie Beide sich geschickt und gewandt benehmen, so sollen Sie sich über meine Erkenntlichkeit nicht zu beklagen haben.«

»Befehlen die Frau Gräfin noch sonst Etwas?«

»Für heute nicht. Sie werden noch nähere Nachrichten erhalten. Bis dahin die tiefste Verschwiegenheit gegen Jedermann!«

Die fürstliche Geliebte winkte mit der Hand. und der Baron zog sich unter tiefen Bücklingen zurück.

Einen Augenblick darauf schlich er, wie ein Fuchs, der eben aus einem Taubenschlage kommt, die Treppe hinunter und trat auf die Straße. Dann verlor er sich im Dunkel der Nacht und betrat, bereits eine schimmernde Zukunft vor sich erblickend, mit dem Gefühl der Behaglichkeit und innerlichen Befriedigung, sein Hans.



 << zurück weiter >>