Katharina II. von Rußland
Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
Katharina II. von Rußland

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Einundzwanzigstes Kapitel.

Lustige Gesellschaft hinter einer spanischen Wand. – Der vermeintliche Musikus. – Erster Kirchgang. – Drei Hochzeiten am Hofe. – Bestuscheff fällt in Ungnade. – Seine Verhaftung setzt mich in große Bestürzung. – Beruhigendes Billett. – Geheime Korrespondenz Bestuscheffs mit Poniatowski und Stambke. – Entdeckung derselben. – Ich schwebe in Gefahr. – Stambke wird nach Deutschland zurückgeschickt. – Entlassung Poniatowskis. – Ich verbrenne alle meine Papiere. – Man meidet mich. – Meine Absicht, mich vom Großfürsten zu trennen. – Mein Brief an die Kaiserin, diese Sache betreffend. – Einige Züge meines Charakters. – Man nimmt mir auch Madame Wladislawa. – Traurige Stunden. – Die Beichte, mein einziger Trost. – Der Großfürst gedenkt Elisabeth Woronzow zu heiraten.

Am 1. Januar 1759 endigten die Hoffeste mit einem sehr großen Feuerwerk, das zwischen dem Ball und der Tafel stattfand. Da ich indes immer noch Wöchnerin war, erschien ich nicht bei Hofe. Vor dem Feuerwerke indes fiel es dem Grafen Peter Schuwaloff ein, mir den Plan des Feuerwerks zu zeigen. Er kam deshalb zu mir, allein Madame Wladislawa sagte ihm, ich schliefe. Auf sein Bitten jedoch versprach sie, nachzusehen, ob ich inzwischen erwacht sei. Es war natürlich nicht wahr, daß ich schlief; ich lag nur im Bett und hatte meine kleine Gesellschaft, die damals immer noch aus den Damen Narischkin, Siniawin, Ismailoff und dem Grafen Poniatowski bestand, bei mir. Letzterer meldete sich seit seiner Zurückberufung krank, kam aber trotzdem nach wie vor zu mir, und die erwähnten Damen hatten mich gern genug, um meine Gesellschaft den Bällen und Festlichkeiten vorzuziehen. Madame Wladislawa wußte zwar nicht genau, wer bei mir war, aber sie hatte eine zu feine Nase, um nicht zu vermuten, daß irgend jemand da war. Am Morgen hatte ich ihr gesagt, daß ich mich aus Langeweile zu Bett legen werde, und dann kam sie den ganzen Tag nicht herein. Nach der Ankunft des Grafen Schuwaloff im Vorzimmer klopfte sie an meine Tür. Schnell zog ich meinen Vorhang, der das kleine Kabinett verdeckte, zu und hieß sie eintreten. Sie richtete mir die Botschaft des Grafen Peter Schuwaloff aus, worauf ich ihr sagte, sie solle ihn nur hereinführen. Sie ging, ihn zu holen, während meine Leute hinter ihrem Wandschirm bald platzten vor Lachen über die unglaubliche Extravaganz dieser Szene, daß ich den Grafen Peter Schuwaloff empfangen wollte, der schwören konnte, mich allein in meinem Bett angetroffen zu haben. Und dennoch trennte nur ein Vorhang meine kleine lustige Gesellschaft von dieser so wichtigen Person, dem damaligen Orakel des Hofes und intimen Vertrauten der Kaiserin. Schließlich trat er ein. Er brachte mir seinen kunstvoll angelegten Feuerwerksplan, denn er war zu jener Zeit Großfeuerwerksmeister. Ich bat ihn vielmals um Entschuldigung, daß ich ihn hätte warten lassen, aber ich sei soeben erst erwacht. Dabei rieb ich mir die Augen, als wäre ich noch ganz im Schlaf. Ich log, um Madame Wladislawa nicht einer Lüge zu zeihen. Darauf hatte ich eine ziemlich lange Unterredung mit ihm, so daß er sich am Schluß fast beeilen mußte, um die Kaiserin nicht auf den Anfang des Feuerwerks warten zu lassen. Ich verabschiedete ihn also, und er ging. Sofort öffnete ich den Vorhang wieder. Inzwischen aber hatte meine Gesellschaft vor lauter Lachen Hunger und Durst bekommen, weshalb ich ihnen sagte: »Gut, ihr sollt zu essen und zu trinken haben, denn es ist nur recht und billig, daß ich euch nicht, während ihr mir Gesellschaft leistet, vor Hunger und Durst sterben lasse.« Ich zog also von neuem meinen Vorhang zu und klingelte. Madame Wladislawa erschien. Ich bat sie, mir ein Souper bringen zu lassen, aber es müßten wenigstens sechs gute Gerichte dabei sein, denn ich stürbe vor Hunger. Als das Essen aufgetragen wurde, ließ ich alles neben mein Bett stellen und befahl dem Diener, sich zu entfernen. Nun stürzten meine Leute wie die hungrigen Wölfe hinter ihrem Verstecke vor, um zu essen, was sie fanden, und die Heiterkeit vermehrte noch den Appetit. Ich gestehe, daß dieser Abend einer der tollsten und lustigsten war, die ich je erlebt. Als wir fertig waren mit Essen, ließ ich alles auf dieselbe Weise wieder wegschaffen. Ich glaube aber, die Diener waren doch ein wenig über meinen Appetit überrascht und erstaunt. Als der Hofball seinem Ende zuging, entfernte sich auch meine Gesellschaft, sehr befriedigt von unserer Soiree. Graf Poniatowski setzte beim Fortgehen stets eine blonde Perücke auf, hüllte sich in seinen Mantel, und wenn die Wachen ihn fragten: »Wer da?« nannte er den Namen eines Hofmusikers des Großfürsten. Die Perücke gab uns an jenem Tage besonders viel Stoff zum Lachen.

Mein erster Kirchgang nach den sechs Wochen fand diesmal in der Kapelle der Kaiserin statt; allein mit Ausnahme Alexander Schuwaloffs war niemand zugegen.

Ungefähr am Schluß des Karnevals, nachdem alle Festlichkeiten in der Stadt zu Ende waren, wurden bei Hofe drei Hochzeiten gefeiert: die des Grafen Alexander Stroganoffs mit der Gräfin Anna Woronzow, der Tochter des Vizekanzlers, die Leon Narischkins mit Fräulein Sakreffski, und an demselben Tage die Hochzeit des Grafen Buturlin mit Gräfin Maria Woronzow. Diese drei jungen Mädchen waren Ehrendamen der Kaiserin. Bei Gelegenheit ihrer Vermählung machten der Hetmann Graf Razumowski und der dänische Gesandte Graf von Osten eine Wette, wer von den drei Ehemännern zuerst zum Hahnrei gemacht werden würde. Und es fand sich, daß die, welche gewettet hatten, Stroganoff werde es sein, – dessen Gemahlin die häßlichste und damals die unschuldigste und kindlichste zu sein schien, – die Wette gewannen.

Der Tag vor der Vermählung Leon Narischkins und Buturlins war ein Unglückstag. Schon lange flüsterte man sich zu, daß das Ansehen des Großkanzlers Grafen Bestuscheff im Wanken begriffen wäre und seine Feinde die Oberhand gewännen. Er hatte seinen Freund, den General Apraxin, verloren; Graf Razumowski, der ältere, hatte ihn zwar lange gestützt, allein seitdem die Gunst der Schuwaloffs überwog, mischte er sich nur noch in die Geschäfte, wenn es galt, für seine Freunde oder Verwandten eine kleine Gnade zu erlangen. Die Schuwaloffs und Woronzows wurden in ihrem Hasse gegen den Großkanzler noch durch den österreichischen und den französischen Gesandten, den Grafen Esterhazy und den Marschall de L'Hôpital, bestärkt. Der letztere sah, daß Graf Bestuscheff sich mehr zur Allianz Rußlands mit England, als zu der mit Frankreich neigte, und der österreichische Gesandte kabalierte gegen Bestuscheff, weil der Großkanzler zwar wollte, daß Rußland an seinem Allianzvertrage mit dem Wiener Hofe festhalte und Maria Theresia Hilfe leiste, hingegen nicht wünschte, daß es in erster Linie kriegführend gegen Preußen auftrete. Bestuscheff dachte als Patriot und war nicht leicht zu lenken, während die Herren Woronzow und Iwan Schuwaloff sich ganz in die Hände der Gesandten gegeben hatten. Vierzehn Tage, ehe der Großkanzler Graf Bestuscheff in Ungnade fiel, kam der Marquis de L'Hôpital mit einer Depesche in der Hand zum Vizekanzler Woronzow und sagte ihm: »Herr Graf, diese Depesche habe ich soeben von meinem Hofe empfangen. Es heißt darin, daß, wenn binnen vierzehn Tagen der Großkanzler Ihnen seine Stelle nicht abtritt, ich mich ferner nur an ihn wenden und nur noch mit ihm die Geschäfte unterhandeln soll!« Das zündete! Sofort begab sich der Vizekanzler zu Iwan Schuwaloff, und man stellte der Kaiserin vor, ihr Ruhm leide unter dem Ansehen des Grafen Bestuscheff in Europa. Sie gab Befehl, noch am nämlichen Abend eine Konferenz zu halten, bei der der Großkanzler zugegen sein sollte. Er ließ sich krank melden. Man nannte jedoch diese Krankheit Ungehorsam und befahl ihm, er solle ohne Verzug erscheinen. Er kam und wurde mitten in der Konferenz verhaftet. Man nahm ihm seine Aemter, seine Würden und Orden, ohne daß irgend jemand anzugeben vermochte, wegen welcher Verbrechen oder Frevel man die erste Persönlichkeit des Reiches auf eine solche Weise beraubte, und schickte ihn als Gefangenen auf seine Güter. Als die Kompagnie Gardegrenadiere, die man schon im voraus hatte kommen lassen, durch die Moika marschierte, wo die Häuser der Grafen Alexander und Peter Schuwaloff lagen, sagten die Soldaten: »Gott sei Dank, wir sollen diese verfluchten Schuwaloffs verhaften, die weiter nichts tun, als Monopole einführen.« Aber als sie schließlich sahen, daß es sich um Graf Bestuscheff handelte, drückten sie ihr Mißfallen durch die Worte aus: »Nicht er, sondern die andern unterdrücken das Volk.«

Obgleich Graf Bestuscheff in demselben Palaste verhaftet worden war, dessen einen Flügel wir bewohnten, und zwar gar nicht weit von unsern Gemächern, so erfuhren wir doch an jenem Abend nicht das geringste davon; so sorgfältig suchte man uns alles, was vorging, zu verbergen. Tags darauf – es war ein Sonntag – erhielt ich durch Leon Narischkin ein Billett, das Graf Poniatowski, der schon längere Zeit mit Mißtrauen betrachtet wurde, mir auf diesem Wege zugehen ließ. Es begann folgendermaßen: »Der Mensch ist nie ohne Hilfsquellen. Ich bediene mich dieses Weges, um Sie zu benachrichtigen, daß gestern abend Graf Bestuscheff verhaftet und seiner Würden beraubt worden ist, und zugleich mit ihm Ihr Juwelier Bernardi, Telekin und Abaduroff.« – Ich fiel wie aus den Wolken, als ich diese Zeilen las, und sagte mir, ich dürfe mir durchaus nicht schmeicheln, daß diese Angelegenheit für mich selbst von so geringer Bedeutung sein würde, als es momentan den Anschein hatte. Um dies indes verständlich zu machen, ist folgender Kommentar nötig. Bernardi war ein italienischer Juwelier, dem es nicht an Geist fehlte, und dem sein Beruf Zutritt in die vornehmsten Häuser verschaffte. Ich glaube, es gab kein einziges, das ihm nicht etwas schuldig war, und dem er nicht diesen oder jenen kleinen Dienst erwiesen hatte. Da er beständig überall aus- und einging, beauftragte man ihn auch zuweilen mit Bestellungen an andere, denn ein durch Bernardi geschickter Brief kam schneller und sicherer an, als wenn man ihn durch einen Bedienten beförderte. Nun setzte plötzlich Bernardis Verhaftung die ganze Stadt in Aufregung, denn alle hatten ihm Aufträge gegeben, ich selbst nicht ausgenommen. Telekin war früherer Adjutant des Oberjägermeisters Razumowski gewesen und hatte die Vormundschaft Beketoffs geleitet. Er war dem Hause Razumowski ergeben geblieben und der Freund Poniatowskis geworden. Ueberdies war er ein erprobter, rechtschaffener Mann, dessen Zuneigung man nicht leicht verlor, wenn man sie einmal besaß. Für mich hatte er stets besonderen Eifer und große Ergebenheit gezeigt. Abaduroff war früher mein Lehrer im Russischen gewesen und mir sehr ergeben geblieben. Ich hatte ihn dem Grafen Bestuscheff empfohlen, doch schenkte ihm dieser erst nach zwei oder drei Jahren sein volles Vertrauen. Er war vorher nicht günstig gegen ihn gestimmt, weil Abaduroff zur Partei des Oberstaatsanwaltes Fürst Nikita Juriewitsch Trubetzkoi gehörte, der Bestuscheffs Feind war.

Nach der Lektüre des Briefes und den Betrachtungen, die ich darüber aufstellte, drängten sich eine Menge Gedanken, immer einer unangenehmer als der andere, meinem Geiste auf. Sozusagen mit dem Dolche im Herzen kleidete ich mich an und ging zur Messe. Es kam mir vor, als ob die Gesichter aller, die ich dort sah, ebenso lang geworden wären, als das meinige. Niemand sprach mit mir über das Ereignis auch nur ein Wort – es war, als wisse man von dem Geschehenen nichts. Auch ich sagte den ganzen Tag über nichts. Nur der Großfürst, der den Grafen Bestuscheff nie leiden mochte, erschien mir an jenem Tage besonders vergnügt und heiter, hielt sich aber – was ihm ja nicht schwer fiel – nichtsdestoweniger mit großer Ostentation von mir fern. Am Abend hieß es dennoch zur Hochzeitsfeier gehen. Ich kleidete mich um und war bei der Einsegnung der beiden Ehen Graf Buturlins und Leon Narischkins, sowie beim Souper und Ball zugegen. Während des letzteren näherte ich mich dem Heiratsmarschall Fürsten Nikita Trubetzkoi, und unter dem Vorwande, die schönen Bänder seines Marschallstabes zu besehen, sagte ich mit halblauter Stimme zu ihm: »Was bedeuten alle diese Sachen? Haben Sie mehr Verbrechen als Verbrecher, oder mehr Verbrecher als Verbrechen gefunden?« Hierauf entgegnete er: »Wir haben getan, was man uns befohlen hat, was aber die Verbrechen betrifft, so sucht man noch nach ihnen. Bis jetzt sind die Schritte, die man getan, nicht vom Glücke gekrönt gewesen.« Nachdem ich mit ihm fertig war, ging ich zum Marschall Buturlin, der mir sagte: »Bestuscheff ist verhaftet, doch suchen wir augenblicklich noch nach der Ursache seiner Verhaftung.« – So redeten die beiden Kommissare, die von der Kaiserin ernannt worden waren, um zu untersuchen, weshalb Graf Alexander Schuwaloff den Grafen Bestuscheff verhaftet hatte.

Auf diesem Balle sah ich auch Stambke von weitem und fand ihn sehr leidend und entmutigt aussehend. Die Kaiserin erschien auf keiner dieser Hochzeiten, weder in der Kirche noch bei den Festlichkeiten. Am folgenden Tag kam Stambke zu mir, um mir zu sagen, daß er vom Grafen Bestuscheff ein Billett erhalten, worin dieser ihm eingeschärft hätte, mir zu sagen, ich solle mich nicht über das Vorgefallene ängstigen, denn er habe Zeit gefunden, alles zu verbrennen, und werde mir über seine Verhöre, wenn er überhaupt verhört werden sollte, auf demselben Wege Mitteilung machen. Als ich Stambke fragte, wie dies geschehe, erwiderte er, ein Waldhornbläser des Grafen habe ihm den Zettel überbracht, und man sei übereingekommen, in Zukunft alle Mitteilungen zwischen Ziegelsteinen an einem nicht weit vom Hause Bestuscheffs befindlichen Orte niederzulegen. Obwohl er selbst in der größten Angst zu sein schien, forderte ich Stambke auf, sich in acht zu nehmen, daß diese gefährliche Korrespondenz nicht etwa entdeckt werde. Nichtsdestoweniger setzten er und Graf Poniatowski sie fort. Als Stambke fort war, rief ich Madame Wladislawa und trug ihr auf, ihrem Schwager Pugowoschnikoff ein Billett zu überbringen, das ich ihr einhändigte. Es enthielt nichts als folgende Worte: »Fürchten Sie nichts; man hat Zeit gefunden, alles zu verbrennen!« Dies beruhigte ihn, denn allem Anschein nach mußte er nach Graf Bestuscheffs Verhaftung mehr tot als lebendig sein, und man wird begreifen, weshalb, wenn man weiß, was Graf Bestuscheff Zeit gehabt hatte, zu verbrennen.

Die Kränklichkeit und häufigen Krämpfe der Kaiserin richteten aller Augen natürlicherweise auf die Zukunft. Und Graf Bestuscheff war, wie sich bei seiner Stellung und seinen Geistesfähigkeiten denken läßt, sicherlich nicht der letzte, der darüber nachgedacht hatte. Er kannte die Abneigung, welche man dem Großfürsten schon seit langer Zeit gegen ihn eingeflößt hatte, kannte aber auch die geringen Geistesgaben des Prinzen, des Erben so vieler Kronen. Es ist daher natürlich, daß dieser Staatsmann, wie es jeder andere übrigens auch getan haben würde, sich in seiner Stellung zu behaupten wünschte. Seit einigen Jahren hatte sich meine Meinung über ihn zu seinen Gunsten geändert, und außerdem betrachtete er mich vielleicht als die einzige Persönlichkeit, auf die man in dieser Zeit, für den Fall, daß die Kaiserin starb, die Hoffnung des Reiches gründen könne. Diese und andere ähnliche Betrachtungen hatten ihn zu der Absicht gebracht, beim Ableben der Kaiserin den Großfürsten zum rechtmäßigen Herrscher, aber gleichzeitig mich zur Teilnehmerin an der Regierung erklären zu lassen. Ferner sollten alle Aemter in den Händen derselben Personen bleiben, ihm indes die Stelle eines Generalleutnants über vier Garderegimenter und die Präsidentschaft der drei Reichskollegien, der auswärtigen Angelegenheiten, des Krieges und der Admiralität übertragen werden. Seine Ansprüche waren, wie man sieht, ein wenig übertrieben. Den Entwurf dieses Manifestes, den Pugowoschnikoff eigenhändig geschrieben, hatte er mir durch den Grafen Poniatowski geschickt, mit dem ich übereingekommen war, ihm mündlich für seine guten Absichten gegen mich zu danken. Zugleich aber wollte ich ihm erklären, daß ich die Ausführung seines Planes für sehr schwierig halte. Er hatte seinen Entwurf mehrmals schreiben und wieder abschreiben lassen, hatte ihn geändert, erweitert oder gekürzt und schien sehr damit beschäftigt. Wenn ich aber die Wahrheit sagen soll, so betrachtete ich seinen Plan als eine Art Faselei, eine Lockspeise, die der Alte mir hinhielt, um sich meiner Zuneigung zu vergewissern. Allein ich biß nicht an, weil ich in diesem Plane eine Gefahr für das Reich erblickte, das durch jeden Streit zwischen mir und meinem Gemahl, der mich ohnedies nicht liebte, zersplittert worden wäre. Da indes bis jetzt ein solcher Fall noch nicht eingetreten war, wollte ich einem alten Manne nicht widersprechen, der, wenn er sich einmal eine Sache in den Kopf gesetzt hatte, äußerst hartnäckig und steif dabei verharrte. Sein Plan also war es, den er Zeit gehabt hatte, zu verbrennen, und er benachrichtigte mich davon, um die, welche darum wußten, zu beruhigen.

Inzwischen kam mein Kammerdiener Skurin, um mir zu sagen, daß der Kapitän, der den Grafen Bestuscheff bewachte, ein alter Bekannter von ihm wäre und jeden Sonntag bei ihm zu Mittag speise. Wenn die Sache so wäre, sagte ich ihm, und er auf ihn rechnen könne, so solle er doch versuchen, ihn auszufragen, um zu sehen, ob er sich zu einem Einverständnis mit seinem Gefangenen hergeben werde. Dies war um so nötiger, als Graf Bestuscheff Stambke mitgeteilt hatte, man möchte Bernardi dringend empfehlen, im Verhör die reine Wahrheit zu sprechen und alles zu sagen, worüber man ihn befragen werde. Als ich erfuhr, daß Skurin es gern auf sich nehmen wollte, Mittel ausfindig zu machen, um mit dem Grafen Bestuscheff in Verbindung zu treten, sagte ich ihm, er möchte gleichfalls versuchen, mit Bernardi in Berührung zu kommen und zusehen, ob er nicht den Sergeanten oder Soldaten, der ihn in seiner Wohnung bewachte, gewinnen könne. Noch am selben Tage gegen Abend sagte mir Skurin, Bernardi sei von einem Sergeanten der Garde namens Kalischkin bewacht, und er würde morgen mit ihm eine Zusammenkunft haben. Außerdem habe er zu seinem Freunde, dem Kapitän, geschickt, um ihn zu fragen, ob er den Grafen Bestuscheff für einen Augenblick sehen könne. Allein dieser hatte ihm geantwortet, wenn er mit ihm sprechen wollte, sollte er zu ihm kommen. Einer der Unterbeamten indes, den Skurin ebenfalls kannte, und der gleichzeitig ein Verwandter von ihm war, hatte ihm geraten, nicht hinzugehen, weil, sobald er hinkäme, der Kapitän ihn verhaften ließe und sich dies als Verdienst anrechnen würde, dessen er sich schon im geheimen rühmte. Skurin schickte also nicht mehr zum Kapitän, seinem vorgeblichen Freund, dafür aber sagte Kalischkin, den ich in meinem Namen mit ins Vertrauen zu ziehen befahl, Bernardi alles, was man nur wünschte. Uebrigens sollte er nichts als die reine Wahrheit sagen, wozu sich auch beide von ganzem Herzen verstanden.

Nach einigen Tagen kam Stambke eines Morgens sehr früh ganz blaß und entstellt zu mir, um mir mitzuteilen, daß seine Korrespondenz mit dem Grafen Bestuscheff entdeckt worden wäre. Der Waldhornbläser sei verhaftet und allem Anscheine nach hätten ihre letzten Briefe das Unglück gehabt, in die Hände der Wächter des Grafen Bestuscheff zu fallen. Er selbst sei jeden Augenblick gewärtig, des Landes verwiesen, wenn nicht verhaftet zu werden; er wäre nur zu mir gekommen, um mir dies zu sagen und Abschied von mir zu nehmen. Mir war durchaus nicht behaglich zumute, als ich solches hörte, doch tröstete ich ihn, so gut ich konnte, und entließ ihn, überzeugt, daß sein Besuch womöglich die schlechte Stimmung gegen mich noch steigern und daß man mich vielleicht von nun an als eine der Regierung verdächtige Person meiden werde. Aber ich war mir ja selbst vollkommen bewußt, daß ich mir der Regierung gegenüber nicht das geringste vorzuwerfen hatte. Das Publikum im allgemeinen, ausgenommen Michael Woronzow, Iwan Schuwaloff, die beiden Gesandten von Wien und Versailles, sowie diejenigen, die ihnen glaubten, kurz, jedermann in Petersburg, hoch und niedrig, war davon überzeugt, daß Bestuscheff unschuldig war und man ihm weder ein Vergehen noch ein Verbrechen zur Last legen konnte. Man wußte, daß man am Tage vor dem Abende seiner Verhaftung im Zimmer Iwan Schuwaloffs an einem Manifeste gearbeitet hatte, das Herr Wolkoff schreiben mußte. Dieser Herr Wolkoff war früher Bestuscheffs erster Kommissar gewesen, hatte im Jahre 1755 die Flucht ergriffen, sich aber, nachdem er hilflos in den russischen Wäldern herumgeirrt war, fangen lassen und diente nun der Konferenz als Sekretär. Das von ihm geschriebene Manifest wollte man veröffentlichen, um das Publikum von den Ursachen in Kenntnis zu setzen, welche die Kaiserin veranlaßten, mit dem Großkanzler so zu verfahren, wie sie es getan. Jenes geheime Konventikel nun, das sich den Kopf zerbrach beim Suchen nach Vergehen, kam schließlich überein, zu sagen, daß man Bestuscheff wegen Hochverrats verhaftet habe und weil er versucht habe, Zwietracht zwischen Ihrer kaiserlichen Majestät und Ihren kaiserlichen Hoheiten zu säen. Ohne Verhör oder Urteil wollte man ihn am Tage nach seiner Verhaftung auf eines seiner Güter verweisen und ihm sein ganzes Vermögen konfiszieren. Einige darunter fanden es indes doch zu gewagt, jemand ohne irgend eine Ursache und Urteilsspruch zu verbannen und meinten, man müßte wenigstens nach Delikten suchen, denn sie hatten immer noch die Hoffnung, solche zu finden. Wenn man aber keine ausfindig machen könnte, dann müßte der Gefangene, der, ohne daß man wußte weshalb, seiner Aemter, Würden und Orden beraubt war, wenigstens einem Urteile der Kommissare unterworfen werden. Nun waren diese Kommissare, wie bereits bemerkt: Marschall Buturlin, Oberstaatsanwalt Fürst Trubetzkoi, General Graf Alexander Schuwaloff und der Sekretär Wolkoff. Das erste, was sie taten, war, den Gesandten, Bevollmächtigten und Beamten Rußlands an den fremden Höfen durch das Kollegium der auswärtigen Angelegenheiten zu befehlen, Kopien der Depeschen nach Rußland zu schicken, die Graf Bestuscheff an sie geschrieben hatte, als er sich an der Spitze der Angelegenheiten befand. Dies geschah nur, um in den Depeschen eventuell die gewünschten Vergehen zu finden. Man sagte nämlich, er habe stets geschrieben, was er wollte, und dazu Dinge, die dem Befehle und Willen Ihrer Majestät zuwiderliefen. Da aber Ihre Majestät weder etwas schrieb noch unterzeichnete, war es schwer, ihren Befehlen zuwider zu handeln; und was die mündlichen betraf, so war sie kaum imstande, dem Großkanzler solche zu geben, da sie ganze Jahre lang keine Gelegenheit hatte, ihn zu sehen. Uebrigens konnten ein Drittel der mündlichen Befehle, wenn man es genau nehmen wollte, mißverstanden und schlecht wiedergegeben, oder schlecht empfangen und begriffen worden sein. Doch die Kommissare hatten mit ihrem Vorgehen keinen Erfolg, denn keiner von den Beamten im Ausland gab sich die Mühe, seine Archive auf zwanzig Jahre hin durchzusuchen und abzuschreiben, um Verbrechen eines Mannes darin zu entdecken, dessen Instruktionen und Anordnungen sie selbst befolgt hatten, so daß sie gleichfalls in alles hätten verwickelt werden können, was man etwa Tadelnswertes darin fand. Außerdem hätte die bloße Sendung solcher Archive dem Staate beträchtliche Kosten verursacht, und in Petersburg angelangt, würden sie für eine Reihe von Jahren die Geduld vieler Personen erschöpft haben, die sich hätten bemühen müssen, etwas darin zu entdecken und zu entwirren, was noch dazu vielleicht gar nicht einmal darin zu finden war. Dieser Befehl wurde also niemals ausgeführt. Schließlich wurde die ganze Sache langweilig, und man beendete sie endlich nach Ablauf eines Jahres mit der Veröffentlichung des Manifestes, dessen Abfassung man am Tage vor der Verhaftung des Großkanzlers begonnen hatte.

Am Nachmittag desselben Tages, an dem Stambke zu mir gekommen war, ließ die Kaiserin dem Großfürsten sagen, er solle Stambke nach Holstein schicken, da man sein Einverständnis mit Bestuscheff entdeckt hätte. Er verdiene zwar, verhaftet und verbannt zu werden, allein aus Rücksicht für Seine kaiserliche Hoheit, deren Minister er gewesen, wolle man ihm die Freiheit schenken, unter der Bedingung, daß er sofort entlassen würde. Stambke wurde unverzüglich weggeschickt, und mit seiner Abreise endete auch meine Führung der holsteinschen Geschäfte. Man gab dem Großfürsten zu verstehen, es sei der Kaiserin nicht angenehm, wenn ich mich hineinmische, und Seine kaiserliche Hoheit war so ziemlich derselben Meinung. Ich erinnere mich indes nicht genau, wen er an Stambkes Stelle ernannte, doch ich glaube, es war ein gewisser Wolf.

Damals verlangte das Ministerium der Kaiserin förmlich vom Könige von Polen die Abberufung des Grafen Poniatowski, von dem man ein Billett an den Grafen Bestuscheff – freilich nur ein sehr harmloses, aber immerhin eins an einen vorgeblichen Staatsgefangenen – aufgefunden hatte. Als ich die Entlassung Stambkes und die Abberufung Pioniatowskis erfuhr, bereitete ich mich auf nichts Gutes vor und verhielt mich folgendermaßen. Zuerst rief ich meinen Kammerdiener Skurin und befahl ihm, alle meine Rechnungsbücher, sowie das geringste, was unter meinen Sachen den Anschein eines Papieres haben konnte, zusammenzusuchen und mir zu bringen. Er führte meine Befehle pünktlichst und mit großer Genauigkeit aus. Als alles in meinem Zimmer war, schickte ich ihn fort. Darauf warf ich alles ins Feuer, rief, als die Papiere halb verbrannt waren, Skurin zurück und sagte ihm: »Hier, überzeuge dich, daß alle meine Papiere und Rechnungen verbrannt sind, damit, wenn man dich jemals danach fragen sollte, du schwören kannst, daß du gesehen hast, wie ich sie alle verbrannt habe.« Er dankte mir für mein Vertrauen gegen ihn und teilte mir nachher mit, daß in der Bewachung der Gefangenen eine eigentümliche Veränderung stattgefunden habe. Seit der Entdeckung von Stambkes Korrespondenz mit Graf Bestuscheff ließ man diesen schärfer beobachten, und hatte zu diesem Zwecke den Unteroffizier Kalischkin von Bernardi entfernt und in das Zimmer des ehemaligen Großkanzlers postiert. Sobald dies geschehen, hatte Kalischkin darum gebeten, ihm einen Teil derselben erprobten Soldaten zuzuteilen, die er bei Bernardis Bewachung gehabt hatte. Auf diese Weise gelangte der sicherste und einsichtsvollste Mensch, den wir, Skurin und ich, besaßen, ins Zimmer des Grafen Bestuscheff, der ebenfalls nicht aller Verbindung mit Bernardi entblößt war.

Inzwischen wurden die Verhöre Bestuscheffs fortgesetzt. Kalischkin gab sich dem Grafen als einen mir sehr ergebenen Menschen zu erkennen und leistete ihm in der Tat tausend gute Dienste. Er war gleich mir aufs tiefste überzeugt, daß der Großkanzler unschuldig und das Opfer einer mächtigen Intrige sei, was auch die Ansicht des Publikums war. Dem Großfürsten merkte ich es an, daß man ihm bange gemacht und ihm den Verdacht eingeflößt hatte, als wisse ich von Stambkes Korrespondenz mit dem Staatsgefangenen. Ich sah, daß Seine kaiserliche Hoheit kaum mit mir zu sprechen wagte und es vermied, mein Zimmer, in dem ich mit einem Male ganz allein war, zu betreten. Ich selbst vermied es, mit jemand zusammenzukommen, weil ich fürchtete, ich könnte ihn einem Unglück oder einer Unannehmlichkeit aussetzen. Auch bei Hofe vermied ich, allen, von denen ich vermutete, daß sie mir auswichen, zu begegnen.

Während der letzten Tage des Karnevals sollte eine russische Komödie im Hoftheater aufgeführt werden. Graf Poniatowski ließ mich bitten, dorthin zu kommen, weil sich nämlich das Gerücht zu verbreiten begann, daß man meine Entfernung vorbereitete und mich verhinderte, öffentlich zu erscheinen, und was weiß ich noch mehr. Kurz, jedesmal, wenn ich nicht im Schauspiel oder bei Hofe erschiene, suchten alle, entweder aus Neugierde oder aus Interesse für mich, die Ursache zu erfahren. Ich wußte, daß die russische Komödie eins von den Dingen war, die Seiner kaiserlichen Hoheit am wenigsten gefielen, und schon das bloße Aussprechen der Absicht, hinzugehen, mißfiel ihm. Allein diesmal verband der Großfürst mit seinem Widerwillen gegen die Nationalkomödie noch einen andern Grund des kleinen persönlichen Interesses. Er empfing nämlich damals die Gräfin Elisabeth Woronzow noch nicht in seinem Zimmer, sondern unterhielt sich, da sie sich mit den Ehrendamen im Vorzimmer aufhielt, dort mit ihr, oder sie spielten zusammen. Ging ich indes ins Schauspiel, so mußten meine Damen mich selbstverständlich begleiten, was Seiner kaiserlichen Hoheit sehr unbequem war, denn es gab dann keinen andern Ausweg für ihn, als in seinem Zimmer zu zechen. Ohne Rücksicht auf seine Wünsche zu nehmen, ließ ich, da ich mein Wort gegeben, Graf Alexander Schuwaloff bitten, meine Wagen zu bestellen, denn ich wollte unbedingt an jenem Tage ins Theater gehen. Graf Schuwaloff kam und teilte mir mit, daß meine Absicht, die Komödie zu besuchen, dem Großfürsten aufs höchste mißfalle. Ich erwiderte ihm, da ich nicht das Vergnügen hätte, dem Großfürsten für gewöhnlich Gesellschaft zu leisten, dächte ich, es müsse ihm gleichgültig sein, ob ich allein in meinem Zimmer oder in meiner Loge im Theater säße. Er entfernte sich, indem er mit dem Auge blinzelte, was er stets tat, wenn ihm etwas mißfiel. Kurz darauf kam der Großfürst in großer Aufregung in mein Zimmer, kreischte wie ein Adler und schrie, es mache mir wohl Spaß, ihn in Wut zu versetzen, und ich habe mir nur vorgenommen, in die Komödie zu gehen, weil ich genau wisse, er liebe diese Aufführungen nicht. Ich hingegen bemerkte ihm ruhig, daß er sie mit Unrecht haßte, worauf er erwiderte, er werde verbieten, mir einen Wagen zu geben. »Nun, dann gehe ich eben zu Fuß,« entgegnete ich. Ich könne mir vorstellen, was für ein Vergnügen es ihm mache, mich in meinem Zimmer allein mit meinem Hund und meinem Papagei vor Langeweile sterben zu lassen. Nachdem wir lange miteinander heftig gestritten und laut gesprochen hatten, entfernte er sich zorniger als je, während ich darauf bestand, ins Theater zu gehen. Kurz vor Beginn des Schauspiels ließ ich Graf Schuwaloff fragen, ob die Wagen bereit wären. Er kam und sagte mir, der Großfürst hätte verboten, sie für mich anspannen zu lassen. Bei diesen Worten konnte ich meinen Aerger nicht mehr zurückhalten und sagte, ich würde zu Fuß gehen. Falls man den Damen und Herren aber verbieten sollte, mir zu folgen, würde ich mich allein hinbegeben und mich außerdem schriftlich bei der Kaiserin sowohl über den Großfürsten als über ihn beschweren. Darauf fragte er: »Was wollen Sie ihr sagen?« – »Ich werde ihr sagen, auf welche Weise man mich behandelt, und daß Sie, um dem Großfürsten eine Zusammenkunft mit meinen Ehrendamen zu verschaffen, ihn darin bestärken, mich an dem Besuch des Theaters zu verhindern, wo ich das Glück genießen kann, Ihre kaiserliche Majestät zu sehen. Außerdem werde ich die Kaiserin bitten, mich zu meiner Mutter zurückkehren zu lassen, weil ich es müde bin, allein und verlassen in meinem Zimmer, gehaßt vom Großfürsten und nicht eben geliebt von ihr, mein Leben zu verbringen. Mich verlangt nur nach Ruhe, und ich will niemand mehr zur Last fallen, noch auch alle die, die sich mir nähern, ins Unglück stürzen; besonders die bedauernswerten Leute meiner Umgebung nicht, von denen so viele verbannt worden sind, einzig und allein, weil ich ihnen wohlwollte oder Gutes tat. Und wissen Sie, daß ich unverzüglich an Ihre kaiserliche Majestät schreiben und Sorge tragen werde, daß Sie selbst ihr meinen Brief überbringen?« – Der entschiedene Ton, den ich annahm, erschreckte ihn, und er ging hinaus, während ich meinen Brief an die Kaiserin zu schreiben begann. Ich tat dies in russischer Sprache, und zwar so pathetisch wie möglich. Zuerst bedankte ich mich für all die Freundlichkeiten und Gnadenerweisungen, mit denen sie mich seit meiner Ankunft in Rußland überhäuft hatte und fügte hinzu, der Stand der Dinge beweise leider, daß ich dieselben nicht verdient, weil ich mir den Haß des Großfürsten, sowie die entschiedene Ungnade Ihrer kaiserlichen Majestät zugezogen habe. Im Hinblick auf mein Unglück und meine Gefangenschaft in meinem Zimmer, wo man mich selbst des unschuldigsten Zeitvertreibes beraube, bat ich sie inständig, meinen Leiden ein Ende zu machen, indem sie mich auf die ihr am passendsten scheinende Art zu meinen Verwandten zurückschicke. Was meine Kinder beträfe, die ich fast nie zu sehen bekäme, obgleich ich mit ihnen in ein und demselben Hause wohne, so bliebe es sich doch ganz gleich, ob ich an demselben Orte wäre, wo sie sich befänden, oder ein paar hundert Meilen von ihnen entfernt. Ich wisse ja, daß sie ihnen eine Sorgfalt widme, die ihnen angedeihen zu lassen meine schwachen Kräfte weit übersteigen würde. Ich wage sie daher zu bitten, ihnen diese Sorgfalt auch ferner zu bewahren, und in diesem Vertrauen würde ich den Rest meiner Tage bei meinen Angehörigen damit verbringen, für sie, den Großfürsten, meine Kinder, überhaupt für alle, die mir Gutes oder Böses getan, zu Gott zu beten. Aber meine Gesundheit sei durch den Kummer so zerrüttet, daß ich alles, was in meiner Macht stehe, tun müsse, um wenigstens mein Leben zu retten. Und zu diesem Zwecke wende ich mich an sie, mir zu erlauben, zuerst die Bäder zu benutzen und dann in meine Heimat zurückkehren zu dürfen.

Nach Beendigung dieses Briefes ließ ich den Grafen Schuwaloff rufen, der mir beim Eintreten meldete, daß die gewünschten Wagen bereit stünden. Ich erklärte ihm, indem ich ihm meinen Brief an die Kaiserin übergab, er könne den Damen und Herren, die mich nicht ins Theater begleiten wollten, sagen, daß ich sie davon dispensiere. Graf Schuwaloff empfing meinen Brief mit Augenblinzeln; da er indes an Ihre Majestät gerichtet war, mußte er ihn wohl oder übel annehmen. Er übermittelte auch den Damen und Herren meiner Umgebung meine Worte, und Seine kaiserliche Hoheit selbst entschied, wer mit mir gehen und wer bei ihm bleiben sollte. Als ich später durchs Vorzimmer ging, fand ich Seine kaiserliche Hoheit mit der Gräfin Woronzow beim Kartenspiel in einer Ecke sitzen. Er sowie sie erhoben sich, als sie mich kommen sahen, was Peter sonst nie zu tun pflegte. Ich erwiderte ihren Gruß mit einer tiefen Verbeugung und ging vorüber. Darauf begab ich mich in die Komödie, in welcher die Kaiserin an diesem Tage nicht zugegen war; ich glaube, mein Brief hatte sie davon abgehalten.

Aus dem Theater zurückgekehrt, hörte ich von Graf Schuwaloff, daß Ihre kaiserliche Majestät selbst eine Unterredung mit mir wünschte. Augenscheinlich benachrichtigte Schuwaloff sofort den Großfürsten sowohl von meinem Briefe, als von der Antwort der Kaiserin, denn obwohl Peter sich seit jenem Tage nicht mehr bei mir sehen ließ, tat er doch alles, um bei der Unterredung mit der Kaiserin zugegen zu sein; und man glaubte ihm dies nicht abschlagen zu dürfen.

Inzwischen blieb ich ruhig in meinem Zimmer und war vollkommen überzeugt, daß, wenn man daran gedacht hatte, mich fortzuschicken oder mich auch nur mit der Drohung einer Entfernung in Angst zu jagen, der von mir getane Schritt diesen Plan der Schuwaloffs vollständig vereiteln werde. Ich war mir meiner Sache so gewiß, zumal man nie größeren Widerstand finden konnte, als bei der Kaiserin, die keineswegs zu so eklatanten Maßnahmen dieser Art geneigt war. Außerdem erinnerte sie sich nur noch zu gut der früheren Mißstände in ihrer eigenen Familie und wünschte gewiß nicht, sie wieder erneuert zu sehen. Gegen mich konnte nur eins geltend gemacht werden, nämlich, daß ihr Herr Neffe mir nicht als der liebenswürdigste Mann erschien, gerade wie ich ihm nicht als die liebenswürdigste Frau. Ueber ihren Neffen dachte aber die Kaiserin genau so wie ich. Sie kannte ihn so gut, daß sie schon seit einer langen Reihe von Jahren nirgends eine Viertelstunde mit ihm zusammen sein konnte, ohne Ekel, Zorn oder Kummer zu empfinden. Wenn aber in ihren Gemächern die Rede auf ihn kam, weinte sie entweder über das Unglück, einen solchen Erben zu haben, oder sie drückte nur ihre Verachtung gegen ihn aus und gab ihm oft Beinamen, die er leider nur zu gut verdiente. Ich habe solche Ausdrücke sogar schriftlich in Händen gehabt, denn in den Papieren der Kaiserin fand ich zwei von ihr eigenhändig geschriebene Briefe, von denen der eine an Iwan Schuwaloff, der andere an Graf Razumowski gerichtet schien, in denen sie ihren Neffen verfluchte und zum Teufel wünschte. In dem einen hieß es: Prokliatyi moi plemjannik dasadila kak njelsja boljee. (Mein verdammter Neffe hat mir viel Aerger verursacht), und in dem andern: Plemjannik moi urod, tschjort jewo wosmi. (Mein Neffe ist ein Einfaltspinsel, den der Teufel holen möge).

Uebrigens war mein Entschluß gefaßt. Ich betrachtete meine Rücksendung oder Nichtrücksendung mit sehr philosophischem Auge, denn in keiner Lage, in welche mich auch die Vorsehung versetzt hätte, würde ich ohne die Hilfsquellen gewesen sein, die Geist und Talent jedem nach seinen natürlichen Fähigkeiten gewähren. Ich fühlte den Mut in mir, zu steigen oder zu fallen, ohne daß mein Herz und meine Seele durch Erhebung in Prahlerei oder durch das Gegenteil in Erniedrigung und Demütigung gesunken sein würden. Ich wußte, daß ich ein Mensch war und deshalb ein beschränktes und der Vollkommenheit unfähiges Wesen, aber meine Absichten waren stets rein und aufrichtig. Wenn ich auch von Anfang an gesehen hatte, daß es eine schwierige, wo nicht unmögliche Sache sei, einen Mann zu lieben, der nichts weniger als der Liebe wert war, und sich auch keine Mühe gab, es zu sein, so hätte ich doch wenigstens ihm und seinen Interessen die aufrichtigste Ergebenheit bewiesen, die ein Freund, ja ein Diener, seinem Freund und Herrn beweisen kann. Meine Ratschläge waren stets die besten gewesen, die ich ihm für sein Wohl geben konnte; wenn er sie nicht befolgte, so war dies nicht mein Fehler, sondern ein Fehler seines Urteils, das weder gesund noch gerecht war. Als ich nach Rußland kam, und auch noch während der ersten Jahre unserer Ehe, würde sich mein Herz dem Großfürsten, wenn er sich nur ein wenig bemüht hätte, erträglich zu sein, geöffnet haben; doch als ich bemerkte, daß er gerade mir, und nur, weil ich seine Frau war, die geringste Aufmerksamkeit bewies, war es keineswegs unnatürlich, wenn ich meine Lage weder angenehm, noch nach meinem Geschmack fand und mich langweilte, ja vielleicht grämte. Allein den Gram suchte ich mehr als jede andere Empfindung zu unterdrücken und zu verbergen, denn mein Stolz und meine ganze Gemütsstimmung machten mir den Gedanken, unglücklich zu sein, unerträglich. Ich sagte mir: Glück und Unglück liegen im Herzen und in der Seele des Menschen; fühlst du dich unglücklich, so erhebe dich über dein Unglück und handle so, daß dein Glück von keinem äußeren Ereignisse abhängt. Bei einer solchen Charakterveranlagung war ich mit einem großen Feingefühl und einem zum mindesten interessanten Aeußern von der Natur ausgestattet, das auf den ersten Blick ohne irgendwelche Kunst und Schmuck gefiel. Mein Charakter war von Natur aus äußerst anschmiegend, so daß man mit mir nur eine Viertelstunde zusammen zu sein brauchte, um die Unterhaltung angenehm zu finden, und jeder redete mit mir, als wären wir längst alte Bekannte. Von Natur nachsichtig, erwarb ich mir das Vertrauen derer, die mit mir zu tun hatten, weil ein jeder fühlte, daß Rechtschaffenheit und guter Wille die Triebfedern waren, denen ich am liebsten folgte. Wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, so nehme ich mir die Freiheit, über mich selbst zu äußern, daß ich ein »freimütiger und biederer Kavalier« war, dessen Geist mehr vom Manne als vom Weibe hatte. Und doch war ich nichts weniger als ein Mannweib. Man fand in mir zugleich mit dem Geiste und Charakter eines Mannes die Reize einer sehr liebenswürdigen Frau – man verzeihe mir zugunsten der Wahrheit diese Aeußerung eines Geständnisses, das mir die Eigenliebe abringt, ohne sich hinter falscher Bescheidenheit zu verbergen. Zudem muß diese Schrift ja selbst am besten beweisen, was ich von meinem Geiste, meiner Seele und meinem Charakter behaupte. Ich sagte, daß ich gefiel, und wenn man gefällt, ist der erste Teil der Verführung schon vollzogen, und der zweite kommt leicht hinzu. Es liegt im Wesen der menschlichen Natur, daß versuchen und versucht werden nahe beieinander sind. Trotz der schönsten moralischen Grundsätze ist man, sowie die Sinnlichkeit sich hineinmischt und zum Vorschein kommt, schon unendlich viel weiter als man glaubt, und ich weiß noch heute nicht, wie man sie hindern kann, sich unserer zu bemächtigen. Flucht allein könnte vielleicht helfen; aber es gibt Fälle, Lagen, Umstände, wo Flucht unmöglich ist. Denn wie soll man fliehen, ausweichen, den Rücken kehren inmitten eines glänzenden Hofes? Schon dies würde Geschwätz hervorrufen. Wenn man aber nicht flieht, so ist meiner Ansicht nach nichts schwieriger, als dem zu entgehen, was uns im Grunde unseres Herzens gefällt. Alles, was man hiergegen einwenden mag, ist Prüderie, die dem menschlichen Charakter nicht eigen ist. Niemand hält sein Herz in der Hand und kann es, indem er sie schließt oder öffnet, nach Belieben zusammendrücken oder fahren lassen.

Doch ich kehre zu meinem Bericht zurück. Den Tag nach jener Theatervorstellung gab ich mich für krank aus und verließ mein Zimmer nicht mehr. Ruhig erwartete ich die Entscheidung Ihrer kaiserlichen Majestät über meine untertänigste Bittschrift ab. Nur in der ersten Fastenwoche hielt ich es für angebracht, mich den religiösen Uebungen zu unterziehen, damit man mein Interesse für den orthodoxen griechischen Glauben merken sollte.

In der zweiten oder dritten Woche hatte ich von neuem einen großen Kummer durchzumachen. Eines Morgens, nachdem ich aufgestanden war, benachrichtigten mich meine Leute, daß Graf Alexander Schuwaloff Madame Wladislawa habe rufen lassen. Dies kam mir sonderbar vor, und ich wartete sehnlichst auf ihre Rückkehr – aber umsonst. Gegen ein Uhr nachmittags meldete mir Graf Schuwaloff, die Kaiserin habe es für geeignet gehalten, sie ihrer Stellung bei mir zu entheben. Ich schwamm in Tränen und sagte ihm, Ihre Majestät habe ja zweifellos die Macht, mir jeden zu geben oder zu nehmen, wie es ihr gefiele, aber es schmerze mich unendlich, mehr und mehr zu sehen, wie alle, die in meiner Nähe lebten, der Ungnade Ihrer kaiserlichen Majestät geweiht wären. Und damit es weniger Unglückliche gäbe, bäte ich ihn inständig, Ihre kaiserliche Majestät zu ersuchen, daß sie so bald als möglich dem Zustand, in dem ich mich befinde, nämlich nur Unglück zu bringen, ein Ende mache, indem sie mich zu meinen Angehörigen zurückkehren ließe. Uebrigens versicherte ich ihm, daß Madame Wladislawa in keiner Weise dazu dienen werde, Aufklärung über irgend etwas zu geben, weil weder sie noch irgend jemand mein volles Vertrauen besäße. Graf Schuwaloff wollte sprechen, als er aber mein Schluchzen hörte, fing er gleichfalls zu weinen an und sagte, die Kaiserin werde darüber mit mir persönlich reden. Ich bat ihn, diesen Augenblick zu beschleunigen, was er auch versprach. Sodann setzte ich meine Umgebung von dem Vorgefallenen in Kenntnis und sagte ihnen, wenn man mir an Stelle der Wladislawa eine Hofmeisterin gäbe, die mir mißfiele, so möge sie sich nur auf die schlechteste Behandlung meinerseits, ja selbst auf Schläge gefaßt machen. Ich bat meine Leute, dies überall wiederzuerzählen, damit alle, die man etwa die Absicht hatte, mir beizugeben, sich hüteten, die Stelle anzunehmen. Denn ich war endlich der ewigen Quälereien und Leiden müde und sah ein, daß meine Milde und Geduld nur dazu dienten, meine Lage zu verschlechtern. Deshalb war es unbedingt notwendig, mein Benehmen vollkommen zu ändern. Meine Leute verfehlten natürlich nicht, wiederzuerzählen, was ich wünschte.

Am Abend desselben Tages, an dem ich viel geweint hatte, kam eine meiner Kammerfrauen, Katharina Iwanowna Scheregorodska, in mein Zimmer, wo ich mich wie immer ganz allein befand. Ich war geistig und körperlich in größter Aufregung und ging nervös auf und ab. Als sie mich sah, sagte sie schluchzend und sehr bewegt: »Ach Gott, wir fürchten alle, daß Sie dem Zustande, in welchem Sie sich jetzt befinden, unterliegen. Erlauben Sie mir, daß ich noch heute zu meinem Onkel, dem Beichtvater Ihrer Majestät, der ja auch der Ihrige ist, gehe? Ich will mit ihm sprechen, werde ihm alles sagen, was Sie mir befehlen, und verspreche Ihnen, daß er auf eine Weise mit der Kaiserin reden wird, mit der Sie zufrieden sein werden!« Da ich ihren guten Willen sah, erzählte ich ihr ganz einfach, wie die Dinge lagen, was ich der Kaiserin geschrieben hatte und alles weitere. Sie begab sich zu ihrem Onkel, und, nachdem sie mit ihm gesprochen und ihn zu meinen Gunsten gestimmt hatte, kam sie gegen elf Uhr zu mir zurück, um mir mitzuteilen, daß er mir rate, mich in der Nacht für krank auszugeben. Ich sollte dann nach der Beichte verlangen und zu diesem Zwecke ihn rufen lassen, damit er der Kaiserin alles sagen könne, was er aus meinem Munde vernommen. Ich billigte diesen Vorschlag und versprach, ihn auszuführen. Darauf entließ ich sie, ihr und ihrem Onkel für die Zuneigung, die sie mir bewiesen, aufs herzlichste dankend.

In der Tat klingelte ich in der Nacht zwischen zwei und drei Uhr. Eine meiner Frauen kam. Ich sagte ihr, daß ich mich sehr unwohl fühle und zu beichten wünsche. Statt des Beichtvaters aber eilte Graf Alexander Schuwaloff herbei, dem ich mit matter, gebrochener Stimme meine Bitte, den Beichtvater rufen zu lassen, wiederholte. Statt dessen ließ er die Aerzte rufen, denen ich indes sagte, ich bedürfe nicht ihrer, sondern geistlicher Hilfe, denn ich sei meinem Ende nahe. Einer von ihnen fühlte meinen Puls und meinte, er sei sehr schwach, doch von neuem erklärte ich, meine Seele sei in Gefahr, aber mein Körper bedürfe keiner ärztlichen Hilfe. Endlich kam mein Beichtvater. Man ließ uns allein. Ich ließ ihn an meinem Bett niedersitzen, und wir unterhielten uns wenigstens anderthalb Stunden lang, während welcher Zeit ich ihm den gegenwärtigen und vergangenen Stand der Dinge, das Benehmen des Großfürsten gegen mich, das meinige gegen ihn, den Haß der Schuwaloffs, die unausgesetzten Verbannungen und Entlassungen meiner Leute, besonders aber derer, die mir am meisten zusagten und ergeben waren, erzählte. Ferner teilte ich ihm mit, wie die Schuwaloffs mir den Haß Ihrer kaiserlichen Majestät zugezogen hätten, und endlich meine gegenwärtige Lage, die mich veranlaßt hatte, der Kaiserin den Brief zu schreiben, in welchem ich sie um die Erlaubnis gebeten, mich zu entfernen. Ich beschwor ihn, mir doch eine baldige Antwort auf meine Bitte zu verschaffen, und fand ihn außerordentlich freundlich gegen mich gesinnt; weniger einfältig, als man ihn mir geschildert hatte. Er meinte, mein Brief werde schon die gewünschte Wirkung hervorbringen, ich müsse nur darauf bestehen, zu meinen Verwandten zurückkehren zu wollen. Dann würde man mich sicher nicht fortlassen, weil man einen solchen Schritt nicht vor dem Publikum rechtfertigen könne, dessen ganze Aufmerksamkeit auf mich gerichtet sei. Er gab zu, man behandle mich grausam; die Kaiserin, die mich in zartem Alter zur Gattin ihres Neffen gewählt habe, überlasse mich der Willkür meiner Feinde, während sie wahrhaftig besser tun würde, meine Rivalinnen, besonders Elisabeth Woronzow, fortzuschicken und ihre Günstlinge im Zaume zu halten. Die letzteren seien durch die von den Schuwaloffs täglich neu eingeführten Monopole weiter nichts als die Blutsauger des Volkes und brächten obendrein jeden gegen ihre Ungerechtigkeit auf, wie z. B. in der Sache Bestuscheffs, von dessen Unschuld das Publikum überzeugt wäre. Er schloß seine Rede mit dem Versprechen, sich sofort zur Kaiserin zu begeben, wo er warten wollte, bis diese erwacht sei, um mit ihr zu reden und die Zusammenkunft, die sie mir versprochen, zu beschleunigen. Jedoch würde ich gut tun, im Bett liegen zu bleiben, denn er wolle sagen, Gram und Schmerz könnten mich töten, wenn man nicht ein schnell wirkendes Mittel anwende, mich auf eine oder die andere Weise aus dem Zustand der Verlassenheit zu befreien.

Er hielt Wort. Er schilderte der Kaiserin meinen Zustand in so lebhaften Farben, daß Ihre Majestät den Grafen Alexander Schuwaloff zu sich kommen ließ und ihm befahl, zu sehen, ob ich imstande sei, die folgende Nacht mit ihr zu sprechen. Graf Schuwaloff brachte mir diese Botschaft, worauf ich ihm versprach, alle meine Kräfte zusammennehmen zu wollen. Gegen Abend also stand ich auf; Schuwaloff meldete mir, er werde mich gegen Mitternacht abholen und mich in die Gemächer Ihrer kaiserlichen Majestät geleiten. Der Beichtvater ließ mir durch seine Nichte sagen, alles sei im schönsten Gange und die Kaiserin werde noch heute abend mit mir reden.

So kleidete ich mich gegen zehn Uhr abends an und legte mich vollständig angezogen auf ein Sofa, wo ich einschlief. Ungefähr um halb zwei Uhr trat Graf Schuwaloff in mein Zimmer und teilte mir mit, daß die Kaiserin mich zu sehen wünsche. Ich erhob mich und folgte ihm. Wir gingen durch die Vorzimmer, die leer waren. Als wir an die Tür der Galerie kamen, sah ich den Großfürsten durch die gegenüberliegende Tür gehen. Auch er begab sich also zur Kaiserin. Ich hatte ihn seit jenem Tage der russischen Komödie nicht gesehen, denn selbst als ich mich für lebensgefährlich krank erklärt hatte, war er weder gekommen, noch hatte er sich nach meinem Befinden erkundigt. Später erfuhr ich, daß er an eben diesem Tage Elisabeth Woronzow versprochen hatte, sie zu heiraten, wenn ich sterben sollte; beide äußerten über meinen Zustand die größte Freude.



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