Katharina II. von Rußland
Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
Katharina II. von Rußland

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Fünfzehntes Kapitel.

Geburt meines Sohnes Paul. – Man entfernt mein Kind sofort nach der Geburt von mir. – Rücksichtslose Behandlung einer Wöchnerin. – Von aller Welt verlassen! – Die blaue Atlasmantille der Kaiserin. – Kurioser Hund unter dem Kopfkissen Elisabeths. – Der Großfürst macht der Gräfin Woronzow den Hof. – Taufe meines Sohnes. – Das Wochengeschenk der Kaiserin. – Mein Gemahl ist neidisch darauf. – Tauffestlichkeiten. – Verdruß des Großfürsten. – Ich sehe meinen Sohn zum ersten Male. – Erste Huldigungen und erster Ausgang. – Fieberanfälle.

Wir begaben uns nach Peterhof. Ich ging dort viel spazieren, aber mein Kummer verließ mich nicht. Im Herbst kehrten wir in die Stadt zurück. Wie ein tödlicher Schlag traf es mich, als ich erfuhr, daß man für meine Niederkunft Zimmer einrichtete, welche an die Gemächer der Kaiserin stießen und ihr gehörten. Alexander Schuwaloff war beauftragt, mir dieselben zu zeigen. Ich fand zwei Zimmer wie alle andern im Sommerpalast, düster und nur mit einem Ausgang versehen, schlecht möbliert in rotem Damast und jeder Bequemlichkeit bar. Daß ich hier einsam, ohne alle Gesellschaft und sehr unglücklich sein werde, sah ich im voraus, und äußerte dies auch gegen Sergius Soltikoff, sowie gegen die Fürstin Gagarin, die sich gegenseitig zwar nicht eben geneigt waren, aber sich aus Freundschaft für mich vereinigten. Sie waren beide derselben Ansicht wie ich, konnten indes nichts daran ändern. Diese, von den Gemächern des Großfürsten sehr entfernten Zimmer sollte ich am Mittwoch beziehen. Am Dienstag abend jedoch ging ich in meinem Schlafzimmer zu Bett und wachte in der Nacht mit heftigen Schmerzen auf, so daß ich Madame Wladislawa weckte. Sie ließ sofort die Hebamme holen, welche erklärte, daß die Zeit meiner Niederkunft da sei. Darauf weckte man den Großfürsten, der in seinem Zimmer schlief, und den Grafen Alexander Schuwaloff. Der letztere schickte sogleich nach der Kaiserin, die etwa um zwei Uhr morgens eintrat. Aber erst gegen Mittag des folgenden Tages, am 20. September, wurde ich von einem Sohne entbunden. Nachdem das Kind bekleidet war, ließ die Kaiserin ihren Beichtvater rufen, der ihm den Namen Paul gab. Hierauf befahl sie der Hebamme, das Kind zu nehmen und ihr zu folgen. Mich ließ man indes auf meinem Schmerzenslager liegen, das einer Tür gegenüber stand, durch welche das helle Tageslicht hereinfiel; hinter mir waren zwei mächtige Fenster, welche schlecht schlossen, und zur Rechten und Linken zwei Türen, von denen die eine in mein Ankleidezimmer, die andere in das von Madame Wladislawa bewohnte führte.

Nachdem die Kaiserin sich entfernt, gingen auch der Großfürst, sowie Herr und Frau Schuwaloff, und bis drei Uhr sah ich keinen Menschen wieder. Ich hatte stark geschwitzt und bat Madame Wladislawa, mir neue Wäsche anzuziehen und mich ins Bett zu schaffen, denn ich lag auf einer Art Entbindungstisch; allein sie erklärte, sie wage es nicht, schickte indes mehrere Male nach der Hebamme, doch diese kam nicht. Ich verlangte zu trinken, erhielt aber immer die nämliche Antwort. Nach drei Stunden endlich kam die Gräfin Schuwaloff in großer Toilette zurück. Als sie mich noch auf derselben Stelle liegen sah, war sie außer sich und rief, man wolle mich wohl auf diese Weise töten. Seit meiner Niederkunft in Tränen gebadet, verlassen, auf einem schlechten, unbequemen Lager, nach heftigen, schmerzhaften Geburtswehen, zwischen Türen und Fenstern, die schlecht schlossen, ohne daß jemand es wagte, mich in mein zwei Schritte entferntes Bett zu tragen, und ohne daß ich selbst die Kraft hatte, mich hinzuschleppen, waren die Worte der Gräfin ein süßer Trost für mich. Madame Schuwaloff entfernte sich sogleich, wahrscheinlich um die Hebamme zu holen, denn diese kam nach einer halben Stunde und sagte, die Kaiserin sei so um das Kind besorgt gewesen, daß sie sich keinen Augenblick habe entfernen dürfen. An mich dachte man nicht. Eine solche Vergeßlichkeit, oder besser Gleichgültigkeit, war allerdings nicht sehr schmeichelhaft für mich. Ich verschmachtete vor Durst. Endlich brachte man mich in mein Bett, dann sah ich den ganzen Tag keine lebende Seele mehr, ebensowenig erkundigte man sich nach meinem Befinden. Der Großfürst trank mit seinen Genossen, und die Kaiserin war mit dem Kinde beschäftigt.

In der Stadt sowie im ganzen Reiche herrschte die größte Freude über das glückliche Ereignis. Am nächsten Tage begann ich unerträgliche rheumatische Schmerzen zu empfinden, die an meinem linken Bein hinunterzogen. Ich wurde dadurch am Schlafen gehindert und bekam obendrein heftiges Fieber. Trotzdem aber bekümmerte man sich nicht mehr um mich, als vorher. Ich sah niemand, niemand fragte nach mir. Der Großfürst kam wohl einen Augenblick in mein Zimmer, ging aber gleich wieder fort mit der Ausrede, er habe keine Zeit, länger zu bleiben. Ich tat den ganzen Tag nichts als weinen und jammern. Nur Madame Wladislawa war bei mir und bedauerte mich, konnte mir aber nicht helfen. Dazu liebte ich weder bedauert zu werden, noch mich zu beklagen. Ich hatte einen zu stolzen Charakter; und schon der Gedanke, unglücklich zu sein, war mir unerträglich; denn bis dahin hatte ich getan, was ich konnte, um es nicht zu scheinen. Ich hätte Graf Alexander Schuwaloff und seine Gemahlin zu mir bitten können, wenn ich gewollt, allein beide waren so einfältig und langweilig, daß ich mich immer freute, wenn ich sie los war.

Am dritten Tage ließ die Kaiserin Madame Wladislawa fragen, ob eine Mantille aus blauem Atlas, welche Ihre Majestät am Tage meiner Niederkunft umgehabt hatte, weil es in meinem Zimmer sehr kalt war, nicht bei mir liegen geblieben wäre. Madame Wladislawa suchte diese Mantille überall und fand sie endlich in einem Winkel meines Toilettezimmers, wo man sie nicht bemerkt hatte, weil man seit meiner Niederkunft dies Zimmer nur selten betrat. Sie schickte das Kleidungsstück sofort zur Kaiserin. Wie wir später erfuhren, hatte dieser Umhang zu einem eigentümlichen Vorfall Veranlassung gegeben. Die Kaiserin, die keine bestimmte Zeit festsetzte, wann sie zu Bett ging, wann sie aufstand, dinierte, soupierte, oder Toilette machte, legte sich eines Nachmittags während der drei erwähnten Tage auf ein Sofa, auf welches sie eine Matratze und Kissen hatte breiten lassen. Nachdem sie eine Weile geruht, fing sie an zu frösteln und verlangte die blaue Mantille. Da diese in meinem Zimmer liegen geblieben war, suchte man sie überall, ohne sie zu finden, bis die Kaiserin schließlich befahl, unter ihrem Kopfkissen nachzusehen, weil sie annahm, sie läge darunter. Die Schwester Madame Kruses, jene Lieblingskammerfrau der Kaiserin, suchte darauf unter dem Kopfkissen Ihrer Majestät, zog indes schnell ihre Hand zurück, indem sie sagte, die Mantille sei nicht dort, aber ein Paket Haare oder etwas Aehnliches liege darunter. Die Kaiserin erhob sich sofort und befahl, die Matratze samt den Kissen wegzunehmen. Nicht ohne Erstaunen erblickte man nun ein Paket, in welchem sich verschiedene Wurzeln, die mit einer Unmenge von Haaren umwickelt waren, befanden. Sofort erklärten die Frauen der Kaiserin und auch diese selbst, es müsse unzweifelhaft Hexerei sein, und alle ergingen sich in Vermutungen, wer wohl die Verwegenheit gehabt haben könne, das Paket unter das Kopfkissen Ihrer Majestät zu legen. Bald hatte man eine der Frauen, die Ihre kaiserliche Majestät am meisten bevorzugte, in Verdacht. Dieselbe war bekannt unter dem Namen Anna Dimitrewna Dumaschewa. Vor nicht langer Zeit war sie Witwe geworden und hatte sich zum zweiten Male mit einem Kammerdiener der Kaiserin verheiratet. Den beiden Schuwaloffs stand diese Frau wegen ihres Einflusses und des Vertrauens, das ihr die Kaiserin entgegenbrachte, im Wege, so daß sie ihnen sehr wohl einen Streich spielen konnte, durch den der Einfluß der Schuwaloffs gelitten haben würde. Da es den Schuwaloffs nicht an Anhängern fehlte, fingen auch diese an, die Sache als ein Verbrechen aufzufassen, wozu, nebenbei gesagt, die Kaiserin selbst sehr geneigt war, weil sie an Zauberei und Hexerei glaubte. Demzufolge befahl sie dem Grafen Alexander Schuwaloff, die Frau, sowie ihren Mann und ihre beiden Söhne, von denen der eine ein Gardeoffizier, der andere Kammerpage der Kaiserin war, verhaften zu lassen. Zwei Tage nach seiner Verhaftung verlangte der Mann ein Rasiermesser, um sich zu rasieren, und schnitt sich den Hals ab. Was die Frau und die Söhne betraf, so waren sie lange Zeit im Gefängnis, und die erstere gestand ein, daß sie, um die Gunst der Kaiserin zu bewahren, Zaubermittel angewandt und am Gründonnerstag ein paar Körner gebrannten Salzes in ein Glas Ungarwein geschüttet habe, das sie dann der Kaiserin präsentierte. Die Sache endigte damit, daß Mutter und Söhne aus Moskau verbannt wurden. Später verbreitete sich ein Gerücht, demzufolge eine Ohnmacht, welche die Kaiserin kurz vor meiner Entbindung gehabt, durch das ihr von jener Frau gereichte Getränk hervorgerufen worden sei. In Wirklichkeit aber hatte sie ihr am Gründonnerstag nicht mehr als zwei bis drei Körner Salz ins Glas geschüttet, die ihr sicherlich nicht schaden konnten. Das einzig Tadelnswerte dabei war die Verwegenheit der Frau und ihr Aberglaube.

Endlich schlug mir der Großfürst vor, da er sich abends ohne meine Ehrendamen, denen er den Hof in der auffälligsten Weise machte, langweilte, die Abende in meinem Zimmer zu verbringen. Er bemühte sich gerade damals um die Häßlichste von allen, die Gräfin Elisabeth Woronzow.

Am sechsten Tage fand die Taufe meines Sohnes statt. Es hätte wenig gefehlt, daß er an Mundfäule gestorben wäre. Ich selbst konnte nur heimlich Nachricht über ihn erhalten, denn nach seinem Befinden zu fragen, würde für Zweifel an der Sorgfalt der Kaiserin gehalten und sehr schlecht aufgenommen worden sein. Zudem hatte sie ihn in ihr eigenes Zimmer bringen lassen, und sowie er zu schreien anfing, eilte sie selbst zu ihm. Aus übergroßer Sorgfalt brachte man ihn dem Ersticken nahe. Er lag in einem sehr heißen Zimmer, ganz in Flanell eingewickelt, in einer mit schwarzem Fuchspelz gefütterten Wiege und war mit einer Atlassteppdecke zugedeckt, über welcher eine rosa Samtdecke lag, die ebenfalls mit schwarzem Fuchspelz gefüttert war. Ich selbst sah ihn später wiederholt in seiner Wiege, in Schweiß gebadet. Als er größer wurde, zog ihm daher der geringste Luftzug sofort eine Erkältung und Krankheit zu. Außerdem war er von einer großen Zahl alter Frauen umgeben, die, aus mißverstandener Fürsorge und Mangel an gesundem Menschenverstand, ihm viel mehr physische und moralische Leiden zufügten, als daß sie ihm von Nutzen waren.

Am Tauftage kam die Kaiserin nach der Feierlichkeit in mein Zimmer und überreichte mir eigenhändig auf einem goldenen Teller einen Befehl an ihr Kabinett, mir 100 000 Rubel auszuzahlen. Daneben lag ein Schmuckkästchen, welches ich nicht früher öffnete, als bis sie sich entfernt hatte. Das Geld kam mir sehr gelegen, denn ich besaß momentan keinen Pfennig und war mit Schulden überlastet. Was den Schmuckkasten betraf, so machte sein Inhalt nicht den geringsten Eindruck auf mich. Er enthielt ein klägliches kleines Halsband samt goldenen Ohrgehängen und zwei erbärmlichen Ringen, die ich mich geschämt haben würde, meinen Kammerfrauen zu schenken. In dem ganzen Schmuck war nicht ein Stein, der mehr als hundert Rubel wert gewesen wäre, ebenso wenig zeichnete er sich durch Arbeit oder Geschmack aus. Ich schwieg indes und ließ das kaiserliche Schmuckkästchen verschließen. Offenbar fühlte man die wahrhafte Schäbigkeit des Geschenkes selber, denn bald danach kam Graf Alexander Schuwaloff zu mir mit dem Befehle, sich zu erkundigen, wie mir der Schmuck gefalle. Ich erwiderte, alles, was ich aus den Händen Ihrer kaiserlichen Majestät empfange, betrachte ich gewohnheitsgemäß als unschätzbar für mich. Er entfernte sich lächelnd mit diesem Kompliment. Später kam er auf diesen Gegenstand wieder einmal zu sprechen, da er sah, daß ich mein schönes Halsband und besonders die schäbigen Ohrringe niemals trug, und forderte mich auf, es doch manchmal anzulegen. Darauf antwortete ich ihm, ich sei gewöhnt, an den Festen der Kaiserin nur das Schönste zu tragen, was ich besitze, und dies Kollier nebst den Ohrgehängen könnte ich unmöglich dazu rechnen.

Vier oder fünf Tage nachdem mir das von der Kaiserin geschenkte Geld ausgezahlt worden war, ließ mich ihr Kabinettssekretär, der Baron Tscherkassoff, bitten, diese Summe um des Himmels willen dem Kabinette der Kaiserin wieder zu leihen, da sie Geld fordere, aber kein Pfennig da sei. Ich schickte ihm also das Geld zurück, und er gab es mir im Januar wieder. Die Ursache dazu war folgende. Als der Großfürst von dem Geschenke hörte, welches die Kaiserin mir gemacht, geriet er vor Wut fast außer sich, weil sie ihm nichts gegeben hatte, und äußerte sich darüber mit großer Rücksichtslosigkeit gegen den Grafen Alexander Schuwaloff. Dieser sagte es der Kaiserin wieder, worauf sie ihrem Neffen sofort eine der meinigen gleiche Summe schickte.

Nach der Taufe meines Sohnes fanden Festlichkeiten, Bälle, Illuminationen, Feuerwerke bei Hofe statt, während ich noch immer krank und von Langeweile gequält an mein Bett gefesselt war. Endlich wählte man den siebzehnten Tag nach meiner Entbindung, um mir zwei sehr unangenehme Nachrichten auf einmal mitzuteilen: erstens, daß Sergius Soltikoff beauftragt worden sei, die Kunde von der Geburt meines Sohnes nach Schweden zu bringen; zweitens, daß die Hochzeit der Fürstin Gagarin auf nächste Woche festgesetzt war – das heißt auf gut Deutsch, daß ich für immer von den beiden Menschen getrennt werden sollte, die ich von meiner ganzen Umgebung am meisten liebte. Mehr als je vergrub ich mich in meine Kissen und grämte mich. Um mein Bett nicht verlassen zu müssen, schützte ich eine Verschlimmerung der Schmerzen im Bein vor, wodurch ich gehindert werde, mich zu erheben. Allein in Wahrheit wollte und konnte ich niemand sehen, weil ich unsäglich traurig war.

Inzwischen hatte auch der Großfürst einen großen Verdruß gehabt. Graf Alexander Schuwaloff teilte ihm nämlich mit, daß ihm ein früherer Jäger des Großfürsten, namens Bastian – derselbe, dem die Kaiserin vor mehreren Jahren befahl, mein früheres Kammermädchen, Fräulein Schenk, zu heiraten – gemeldet habe, er hätte von irgend jemand gehört, Bresson wolle dem Großfürsten ich weiß nicht was zu trinken geben. Nun aber war dieser Bastian ein Bruder Liederlich und Trunkenbold, der zuweilen mit Seiner kaiserlichen Hoheit zechte. Da er sich mit Bresson, den er beim Großfürsten für bevorzugter hielt als sich selbst, entzweit hatte, gedachte er demselben einen Streich zu spielen. Der Großfürst indes war beiden sehr gewogen. Schließlich wurde Bastian auf die Festung geschickt, und auch Bresson erwartete dieselbe Strafe, kam jedoch mit der Angst davon. Später wurde der Jäger des Landes verwiesen und samt seiner Frau nach Holstein geschickt, während Bresson seine Stelle behielt, weil er jedermann als Spion diente.

Nach einigem Aufschub, der daher rührte, daß die Kaiserin weder oft noch gern unterschrieb, reiste Sergius Soltikoff ab, und die Fürstin Gagarin vermählte sich zur festgesetzten Zeit.

Nachdem die vierzig Tage meines Wochenbetts vorüber waren, kam die Kaiserin zu meiner Einsegnung zum zweiten Male nach meiner Niederkunft in mein Zimmer. Um sie zu empfangen, hatte ich das Bett verlassen, aber sie fand mich so matt und abgemagert, daß sie mich, während ihr Beichtvater die Gebete las, sitzen ließ. Auch meinen Sohn hatte man in mein Zimmer gebracht. Es war das erstemal seit seiner Geburt, daß ich ihn sah. Ich fand ihn sehr schön, und sein Anblick heiterte mich ein wenig auf. Allein unmittelbar nach Beendigung der Gebete ließ ihn die Kaiserin wieder forttragen und entfernte sich ebenfalls. Ihre Majestät bestimmte den 1. November als den Tag, an welchem ich nach den sechs Wochen die üblichen Glückwünsche empfangen sollte. Zu diesem Zwecke möblierte man das Zimmer neben dem meinigen kostbar aus; ich ruhte auf einem Lager von silbergesticktem rosa Samt und jedermann küßte mir die Hand. Auch die Kaiserin fand sich ein und begab sich darauf in den Winterpalast, wohin wir Befehl hatten, ihr in zwei bis drei Tagen zu folgen. Man räumte uns hier die Gemächer ein, welche meine Mutter bewohnt hatte, und die eigentlich einen Teil des Hauses Naguschiski sowie des Hauses Ragusinski ausmachten. Die andere Hälfte des letzteren wurde von dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten eingenommen. Der Winterpalast, an der Seite des großen Platzes, war damals gerade im Bau begriffen.

Ich zog aus dem Sommerpalast in die Winterwohnung mit dem festen Entschluß, mein Zimmer nicht früher zu verlassen, als bis ich mich kräftig genug fühlte, meine Hypochondrie zu überwinden. Ich las damals die Geschichte Deutschlands, sowie die allgemeine Geschichte von Voltaire, und im Winter darauf las ich so viele russische Bücher, als ich mir nur verschaffen konnte; unter andern zwei sehr starke Bände einer russischen Uebersetzung von Baronius. Darauf verfiel ich auf Montesquieus »Geist der Gesetze«, dann auf die Annalen des Tacitus, die eine eigenartige Revolution in meinem Kopfe hervorriefen, wozu vielleicht meine mißvergnügte Stimmung in dieser Zeit nicht wenig beitrug. Ich fing an, die Dinge schwärzer zu sehen und tiefere, den verschiedenen Interessen entsprechendere Ursachen in dem zu suchen, was vor meinen Augen vorging. Und dennoch nahm ich meine Kräfte zusammen, um zu Weihnachten auszugehen. Ich war sogar beim Gottesdienst zugegen, aber schon in der Kirche überfiel mich ein so heftiger Schüttelfrost, mein ganzer Körper schmerzte so, daß ich mich sofort, als ich wieder in meinem Zimmer angelangt war, ins Bett legen mußte. Letzteres war allerdings weiter nichts als eine Chaiselongue, die ich vor eine Tapetentür gestellt hatte, durch welche, wie es mir schien, feine Zugluft wehte, weil außer einem doppelten Türvorhang noch ein großer Wandschirm davor stand. Trotzdem aber glaube ich, daß diese Tür die Ursache aller Leiden gewesen ist, die mich in jenem Winter aufs Krankenlager warfen. Am Tage nach Weihnachten war meine Fieberhitze so groß, daß ich zu phantasieren anfing. Wenn ich die Augen schloß, sah ich nichts als verschwommene Bilder von den Platten des Ofens, der am Fußende meiner Chaiselongue stand, da das Zimmer eng und klein war. Mein Schlafzimmer benutzte ich nie, weil es sehr kalt war, denn die Fenster auf beiden Seiten waren nach Norden und Osten der Newa zu gelegen. Ein anderer Grund, der mich von der Benutzung meines Schlafgemaches fernhielt, war die Nähe der Zimmer des Großfürsten, wo am Tage und während des größten Teiles der Nacht fortwährend ein Lärmen wie in einer Wachtstube stattfand. Außerdem drang ein unangenehmer Tabaksgeruch und Qualm herein, da der Großfürst und seine Umgebung viel rauchten. So hielt ich mich denn den ganzen Winter hindurch in dem ärmlichen, kleinen, schmalen Zimmer auf, das drei Türen, zwei Fenster und einen Fensterpfeiler besaß und kaum sieben bis acht Arschinen (russische Ellen) lang und vier breit war.



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