Katharina II. von Rußland
Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
Katharina II. von Rußland

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Viertes Kapitel.

Mein Verhalten während der Fasten. – Das Marionettentheater des Großfürsten. – Eine interessante Entdeckung. – Zorn der Kaiserin Elisabeth gegen ihren Neffen. – Meine Leute finden Mittel, meine Ehrendame, Madame Kruse, betrunken zu machen. – Ernennung des Fürsten Repnin zum Begleiter des Großfürsten. – Repnins Charakter. – Madame Cschoglokoff wird zu meiner Oberhofmeisterin ernannt. – Die drei Czernitscheffs. – Reise nach Reval. – Abreise von dort nach Katharinental. – Allianzvertrag zwischen Rußland und Österreich. – Flottenmanöver. – Rückkehr nach Petersburg.

Während der ersten Woche der großen Fasten aß ich kein Fleisch. Die Kaiserin ließ mir am Sonnabend sagen, ich möchte ihr den Gefallen tun, auch noch die zweite Woche zu fasten, worauf ich Ihrer Majestät antworten ließ, ich bitte sie, mir zu erlauben, daß ich die ganze Fastenzeit innehielte. Sievers, der Hofmarschall der Kaiserin und Schwiegersohn der Madame Kruse, welcher diese Worte überbrachte, sagte mir nachher, die Kaiserin habe sich wahrhaft über diese Bitte gefreut und gewähre sie mir gern. Als der Großfürst erfuhr, daß ich fortfuhr zu fasten, schalt er mich, ich aber erwiderte ihm, ich könne nicht anders. Als er sich besser befand, spielte er noch lange Zeit den Kranken, um sein Zimmer nicht verlassen zu müssen, wo es ihm besser gefiel, als in Gesellschaft des Hofes. Erst in der letzten Fastenwoche, in der er seine religiösen Uebungen verrichten mußte, verließ er es.

Nach Ostern ließ er in seinem Zimmer ein Marionettentheater einrichten und lud dazu alle, auch die Damen ein. Diese Vorstellungen waren das Einfältigste, was man sich denken kann. Das Zimmer, worin sich dasselbe befand, besaß eine geheime Tür, welche in ein anderes zu den Gemächern der Kaiserin führendes Zimmer ging, wo ein Tisch stand, den man mittels einer Vorrichtung senken und heben konnte, um ohne Bedienung speisen zu können. Als der Großfürst eines Tages in seinem Zimmer war, um sein sogenanntes Schauspiel vorzubereiten, hörte er im anstoßenden Gemach sprechen, und da er eine etwas unbedachte Lebhaftigkeit besaß, nahm er einen Bohrer und begann damit Löcher in die geheime Tür zu bohren, so daß er alles, was drinnen vorging, namentlich das dort stattfindende Diner der Kaiserin, beobachten konnte. Der Oberjägermeister Graf Razumowski in pelzverbrämtem Schlafrocke – er hatte gerade an jenem Tage Arznei genommen – sowie ein Dutzend der intimsten Vertrauten der Kaiserin dinierten hier mit ihr. Aber der Großfürst, nicht zufrieden, für sich allein die Frucht seiner geschickten Arbeit zu genießen, rief seine ganze Umgebung herbei, um auch sie des Vergnügens teilhaftig zu machen. Nachdem er und die andern ihre Augen an diesem indiskreten Vergnügen gesättigt hatten, lud er auch Madame Kruse, mich und meine Damen ein, zu ihm zu kommen, um etwas zu sehen, was wir noch nie gesehen hätten; er verriet uns aber nicht, was es sei, scheinbar um uns eine angenehme Ueberraschung zu bereiten. Da ich mich gerade nicht sehr beeilte, dauerte es ihm in seinem Eifer zu lange und er ging mit Madame Kruse und meinen Frauen immer voraus. Als ich ankam, standen sie schon vor jener Tür, wohin er Bänke, Stühle, Schemel u. s. w. gesetzt hatte, wie er sagte, zur Bequemlichkeit der Zuschauer. Natürlich fragte ich, was dies bedeute, und er erklärte es mir. Ich war über seine Verwegenheit sehr erschrocken und aufgebracht und sagte ihm, daß ich nichts sehen, noch irgend einen Anteil an diesem ärgerlichen Vorgang haben wolle. Unzweifelhaft würde das unangenehme Folgen von seiten seiner Tante für ihn nach sich ziehen, wenn diese es erführe, und höchstwahrscheinlich werde sie es erfahren, weil er wenigstens zwanzig Personen in sein Geheimnis eingeweiht hätte. Alle, die sich hatten bereden lassen, durch die Löcher zu sehen, zogen sich nun zurück, da sie bemerkten, daß ich mich weigerte, dasselbe zu tun. Selbst der Großfürst fing an, seine Tat zu bereuen, und kehrte zu der Arbeit an seinem Marionettentheater zurück, während ich mich in mein Zimmer begab.

Bis Sonntag hörten wir von nichts reden, aber an diesem Tage geschah es, daß ich, ich weiß nicht weshalb, etwas später als gewöhnlich zur Messe kam. In mein Zimmer zurückgekehrt, wollte ich eben mein Hofkleid ablegen, als ich die Kaiserin mit sehr aufgebrachtem und hochrotem Gesichte eintreten sah. Da sie nicht zur Messe in der Kapelle gewesen war, sondern dem Gottesdienst in ihrer kleinen Privatkapelle beigewohnt hatte, ging ich ihr wie gewöhnlich entgegen, um ihr, da ich sie an diesem Tage noch nicht gesehen, die Hand zu küssen. Sie umarmte mich, befahl dann, den Großfürsten zu rufen, und schalt mich unterdessen, daß ich zu spät zur Messe käme und der Toilette den Vorzug vor dem lieben Gott gäbe. Sie fügte hinzu, daß sie zur Zeit der Kaiserin Anna, obgleich sie nicht am Hofe gewohnt, sondern in einem vom Hofe ziemlich entfernten Hause, nie ihre Pflichten versäumt habe und deshalb oft bei Licht aufgestanden sei. Dann ließ sie meinen Kammerfriseur rufen und sagte ihm, wenn er mich künftig so langsam frisiere, werde sie ihn fortschicken. Nachdem sie mit diesem fertig war, trat der Großfürst, der sich in seinem Zimmer umkleidete, im Schlafrock, die Nachtmütze in der Hand, sehr vergnügt und rasch ein. Er beeilte sich, der Kaiserin die Hand zu küssen, diese küßte ihn und fragte, wie er sich habe unterstehen können, zu tun, was er getan. Sie sei in das Zimmer gekommen, wo der Tisch mit der mechanischen Vorrichtung stände, habe dort die geheime Tür ganz durchlöchert gefunden und alle Löcher gerade auf den Platz gerichtet, wo sie gewöhnlich sitze. Durch ein solches Verhalten verletze er offenbar die nötige Rücksicht gegen sie, und sie könne ihn fortan nur noch als einen Undankbaren betrachten. Ihr eigener Vater, Peter I., habe auch einen undankbaren Sohn gehabt, den er durch Enterbung gestraft, und zur Zeit der Kaiserin Anna habe sie selbst dieser stets die Achtung bewiesen, welche man einem gekrönten und von Gott gesalbten Haupt schuldig sei. Jene habe keinen Spaß verstanden, und die, welche es an Respekt fehlen ließen, auf die Festung geschickt. Er sei nichts als ein dummer Junge, den sie erst Lebensart lehren müsse. Bei diesen Worten fing er an ärgerlich zu werden und stammelte einige Worte, aber sie befahl ihm, zu schweigen und wurde so heftig, daß sie in ihrem Zorne kein Maß mehr kannte, was gewöhnlich geschah, wenn sie ärgerlich war, und sagte ihm mit ebensoviel Verachtung als Wut die größten Beleidigungen ins Gesicht.

Wir waren beide ganz bestürzt und betäubt, und obgleich der ganze Auftritt nicht mich direkt betraf, so traten mir doch die Tränen in die Augen. Sie bemerkte das und sagte: »Meine Worte sind nicht an Sie gerichtet; ich weiß, daß Sie an dem, was er getan, keinen Anteil genommen, daß Sie weder durch die Türe gesehen, noch haben hindurchsehen wollen.« Diese gerechte Bemerkung beruhigte sie ein wenig, und sie schwieg – es war auch in der Tat schwer, dem, was sie gesagt, noch etwas hinzuzufügen – dann grüßte sie und entfernte sich, hochrot und mit funkelnden Augen. Der Großfürst begab sich in sein Zimmer, ich legte mein Kleid schweigend ab und sann über das Geschehene nach. Als ich ausgekleidet war, kam der Großfürst zurück und sagte in halb traurigem, halb satirischem Ton: »Sie war wie eine Furie, sie wußte nicht, was sie sagte.« Ich erwiderte: »Sie war aufs höchste erzürnt.« Und wir wiederholten uns ihre Worte, worauf wir allein in meinem Zimmer dinierten. Nachdem der Großfürst mich verlassen hatte, trat Madame Kruse ein und sagte: »Man muß gestehen, daß die Kaiserin heute wahrhaft als Mutter gehandelt hat.« Da ich aber sah, daß sie mich durchaus zum Reden zu bringen wünschte, schwieg ich erst recht. Sie fuhr fort: »Eine Mutter wird böse, schilt ihre Kinder, und dann ist die Sache abgetan. Sie hätten beide zu ihr sagen sollen: Winowatj Matjuschka (Um Verzeihung, Mutter), und Sie würden sie entwaffnet haben.« Ich antwortete, der Zorn Ihrer Majestät habe mich verwirrt und betäubt; alles, was ich in diesem Augenblick habe tun können, sei gewesen, zuzuhören und zu schweigen. Sie verließ mich, offenbar, um ihren Bericht abzustatten. Mir aber blieb das »ich bitte Sie um Verzeihung, Mutter« als Mittel, den Zorn der Kaiserin zu entwaffnen, im Gedächtnis zurück, und später habe ich, wie man sehen wird, mich seiner bei passender Gelegenheit mit Erfolg bedient.

Kurz ehe die Kaiserin den Grafen Brummer und den Oberkammerherrn Berkholz ihres Dienstes beim Großfürsten enthob, fand ich den ersteren, als ich eines Morgens mein Zimmer früher als gewöhnlich verließ, allein in meinem Vorzimmer. Er ergriff die Gelegenheit, mit mir zu reden und mich zu bitten und zu beschwören, jeden Tag regelmäßig in das Ankleidezimmer der Kaiserin zu gehen, wozu meine Mutter bei ihrer Abreise mir die Erlaubnis verschafft hatte. Ich hatte bis dahin von diesem Vorrecht sehr wenig Gebrauch gemacht, weil mich das aufs höchste langweilte. Ein- bis zweimal war ich hingegangen, hatte die Frauen der Kaiserin dort gefunden und war, als sich diese nach und nach zurückzogen, mit der Kaiserin allein geblieben. Dies erzählte ich ihm, aber er meinte, das tue nichts zur Sache, ich müßte unbedingt fortfahren. Offen gestanden begriff ich diese Beharrlichkeit des Hofmannes nicht. Ihm konnte es wohl für seine Pläne dienen, aber mir nützte es nichts, im Toilettezimmer der Kaiserin zu kratzfüßeln und ihr obendrein noch lästig zu fallen. Ich erklärte daher dem Grafen Brummer meinen Widerwillen, aber er tat alles, mich zu überreden, doch ohne Erfolg. Es gefiel mir in meinem Zimmer besser, besonders wenn Madame Kruse nicht da war. Während des Winters entdeckte ich nämlich bei ihr eine besondere Neigung zum Trunk, und da sie bald nachher ihre Tochter an den Hofmarschall Sievers verheiratete, ging sie entweder aus, oder meine Leute fanden Mittel, sie betrunken zu machen. Dann verfiel sie in tiefen Schlaf, und mein Zimmer war von dem mürrischen Argus befreit.

Nachdem Graf Brummer und der Oberkammerherr Berkholz ihrer Dienste beim Großfürsten enthoben waren, ernannte die Kaiserin den General Fürsten Basil Repnin zum Begleiter des Großfürsten. Eine bessere Wahl hätte die Kaiserin gewiß nicht treffen können, denn Fürst Repnin war nicht nur ein Mann von Ehre und Rechtschaffenheit, sondern auch ein Mensch mit viel Geist und Galanterie, voller Reinheit und Biederkeit des Charakters. Ich besonders konnte das Benehmen des Fürsten nur loben. Den Rücktritt Brummers bedauerte ich nicht allzusehr: er langweilte mich durch seine ewigen Gespräche über Politik. Er lebte nur in Intrigen, während der offene, militärische Charakter Fürst Repnins mir Vertrauen einflößte. Der Großfürst wiederum war froh, seiner bisherigen Lehrmeister, die er haßte, entledigt zu sein. Dennoch jagte ihm ihre Entfernung noch einen großen Schrecken ein, weil er nämlich dadurch den Intrigen des Grafen Bestuscheff preisgegeben wurde, welcher die Triebfeder aller unter dem bequemen Vorwande der Mündigkeit Seiner kaiserlichen Hoheit im Herzogtum Holstein vorgenommenen Veränderungen war. Prinz August, mein Onkel, befand sich noch immer in Petersburg und wartete hier auf die Verwaltung des Erblandes des Großfürsten.

Im Mai bezogen wir den Sommerpalast. Gegen Ende desselben Monats gab mir die Kaiserin Madame Tschoglokoff, eine ihrer Ehrendamen und Verwandten, als Oberhofmeisterin. Dies traf mich wie ein wahrer Donnerschlag, denn jene Dame war dem Grafen Bestuscheff sehr ergeben, äußerst einfach, dazu boshaft, launenhaft und selbstsüchtig. Ihr Gatte, Kammerherr der Kaiserin, war damals mit irgendwelchem Auftrag nach Wien geschickt worden. Als sie ihren Dienst bei mir antrat, weinte ich den ganzen Tag so heftig, daß mir am folgenden Tag zur Ader gelassen werden mußte. Am Morgen kam die Kaiserin in mein Zimmer und sagte, als sie meine rotgeweinten Augen sah, nur diejenigen jungen Frauen, welche ihre Männer nicht lieben, pflegten zu weinen. Meine Mutter jedoch habe ihr versichert, ich empfinde keinen Widerwillen, den Großfürsten zu heiraten, sonst würde sie mich nicht dazu gedrängt haben; da ich aber einmal verheiratet sei, solle ich aufhören zu weinen. Glücklicherweise erinnerte ich mich der Vorschriften, die mir Madame Kruse gegeben, und erwiderte: Winowatj Matjuschka, worauf die Kaiserin sich zufrieden gab. Inzwischen kam der Großfürst, den sie diesmal sehr freundlich empfing, dann entfernte sie sich. Man ließ mir zur Ader, was ich augenblicklich sehr bedurfte, legte mich in mein Bett, und dann weinte ich den ganzen Tag. Am andern Tag nahm der Großfürst mich beiseite, und ich bemerkte an seinen Aeußerungen, daß man ihm zu verstehen gegeben hatte, Madame Tschoglokoff sei mir beigegeben worden, weil ich ihn nicht liebe. Aber ich begreife nicht, wie man glauben konnte, meine Zärtlichkeit für ihn werde sich erhöhen, wenn man mir jene Frau beiordnete. Das sagte ich ihm auch ganz offen. Als Argus über mich zu wachen, war eine andere Sache. Dazu hätte man indes nicht eine so dumme Person wählen müssen, und sicherlich genügte es auch für ein solches Amt nicht, schlecht und böswillig zu sein. Man hielt Madame Tschoglokoff nämlich für äußerst tugendhaft, weil sie ihren Mann damals bis zur Anbetung liebte. Sie hatte ihn aus Liebe geheiratet, und mit diesem schönen Beispiel, das man mir vor Augen führte, dachte man mich vielleicht zu bewegen, dasselbe zu tun. Wir werden sehen, mit welchem Erfolg. Aller Wahrscheinlichkeit nach war dies der einzige Grund, der diese Aenderung in meiner Umgebung beschleunigte; ich sage beschleunigte, denn ich glaube, daß Graf Bestuscheff von Anfang an beabsichtigte, uns mit seinen Kreaturen zu umgeben. Er hätte gern mit der Umgebung der Kaiserin dasselbe getan, aber dies war nicht so leicht.

Bei meiner Ankunft in Moskau hatte der Großfürst in seinen Gemächern drei Bediente mit Namen Czernitscheff, alle drei Söhne von Grenadieren aus der Leibgarde der Kaiserin. Diese besaßen Leutnantsrang zur Belohnung dafür, daß sie der Kaiserin auf den Thron verholfen hatten. Der ältere war ein Vetter der beiden jüngeren Brüder Czernitscheff, und der Großfürst liebte sie alle drei sehr. Sie waren äußerst vertraut mit ihm und zu jedem Dienst gern bereit. Alle drei waren groß und wohlgebaut, besonders der älteste. Dieses jungen Mannes bediente sich der Großfürst zu allen seinen Aufträgen und schickte ihn täglich mehrere Male zu mir. Ihm vertraute er sich auch an, wenn er keine Lust hatte, zu mir zu kommen, um sein Herz auszuschütten.

Czernitscheff war ein sehr intimer Freund meines Kammerdieners Nevreinoff, und durch diesen erfuhr ich denn oft manches, was mir sonst unbekannt geblieben wäre. Dazu waren mir beide von ganzem Herzen ergeben, so daß ich über viele Dinge Aufklärung von ihnen gewann, die ich auf andere Weise mir nicht ohne Mühe hätte verschaffen können. Ich weiß nicht, in welcher Beziehung der ältere Czernitscheff dem Großfürsten eines Tages gesagt hatte: »Wasch Schenich, sie ist nicht meine Verlobte, sondern die Ihre.« Dieser Einfall machte dem Großfürsten viel Spaß; er erzählte ihn mir, und seitdem gefiel es Seiner kaiserlichen Hoheit, mich jewo newiesta, seine Verlobte, und Andreas Czernitscheff, wenn er mit mir von ihm sprach, Wasch Schenich, Ihren Verlobten zu nennen. Um aber endlich mit diesem Scherz ein Ende zu machen, schlug Andreas Czernitscheff Seiner kaiserlichen Hoheit vor, mich nach unserer Verheiratung Matjuschka, seine Mutter, zu nennen, und ich nannte ihn Sünock moi, meinen Sohn. Von dieser Zeit an war zwischen dem Großfürsten und mir fortwährend die Rede von diesem Sohn, den er wie seinen Augapfel liebte, und dem auch ich sehr zugetan war.

Doch mit der Zeit wurden meine Leute mißtrauisch; die einen aus Eifersucht, die andern aus Furcht vor den Folgen, welche für sie und uns daraus entstehen konnten. Eines Tages, als bei Hofe ein Maskenball stattfand, kehrte ich in mein Zimmer zurück, um meine Kleider zu wechseln. Plötzlich trat mein Kammerdiener Nevreinoff zu mir heran und flüsterte mir zu, er sowohl als alle meine Untergebenen seien in großer Angst vor der Gefahr, in welche sie mich über kurz oder lang stürzen sähen. Und als ich ihn fragte, was für eine Gefahr er meine, erwiderte er: »Sie sprechen von nichts und beschäftigen sich mit nichts, als mit Andreas Czernitscheff.« – »Nun,« sagte ich in der Unschuld meines Herzens, »was ist denn Schlimmes dabei? Er ist mein Sohn; der Großfürst liebt ihn ebenso sehr als ich, und er ist uns ergeben und treu.« – »Ja,« antwortete er, »das ist wahr, der Großfürst kann tun, was ihm gefällt, aber Sie haben nicht dasselbe Recht. Was Sie Güte und Zuneigung nennen, weil dieser Mensch Ihnen treu dient, das nennen Ihre Leute Liebe.« Als er das Wort ausgesprochen, was mir nie in den Sinn gekommen war, trafen mich sowohl das verwegene Urteil als die Lage, in der ich mich, ohne es zu ahnen, befand, wie der Blitz. Nevreinoff sagte mir dann noch, daß er seinem Freunde Andreas Czernitscheff geraten habe, sich für krank auszugeben, um diesem Geschwätz ein Ende zu machen. Jener folgte dem Rate Nevreinoffs, und seine angebliche Krankheit zog sich bis zum April hinaus. Der Großfürst beschäftigte sich mit dieser Krankheit sehr viel und sprach oft mit mir darüber, ohne von dem Vorgefallenen das geringste zu ahnen. Erst als wir den Sommerpalast bezogen hatten, erschien Czernitscheff wieder, und ich konnte ihn nicht ohne Verwirrung ansehen.

Inzwischen hatte es die Kaiserin für gut befunden, eine neue Anordnung mit den Hofbeamten zu treffen. Sie hatten jetzt alle abwechselnd Dienst in den inneren Gemächern, folglich auch Andreas Czernitscheff. Nachmittags gab der Großfürst oft Konzerte, wobei er selbst die Violine spielte. Während eines dieser Konzerte, in dem ich mich schrecklich langweilte, zog ich mich in mein Zimmer zurück, das nach dem großen Saal des Sommerpalastes führte, dessen Decke damals gemalt wurde, und der infolgedessen ganz voll Geräte stand. Die Kaiserin war abwesend, Madame Kruse war zu ihrer Tochter, Madame Sievers, gegangen, und so fand ich keine Menschenseele in meinem Zimmer. Aus Langeweile öffnete ich die Tür des Saales und erblickte am andern Ende Andreas Czernitscheff. Ich gab ihm ein Zeichen, sich mir zu nähern, worauf er mit großer Besorgnis bis zur Tür kam. Als ich ihn fragte, ob die Kaiserin bald zurückkehren werde, erwiderte er: »Ich kann nicht mit Ihnen reden, man macht im Saale zu viel Lärm, lassen Sie mich in Ihr Zimmer eintreten.« Allein ich antwortete ihm: »Das werde ich nicht tun.« So stand er außerhalb und ich innerhalb der Tür, die ich halbgeöffnet hielt, während ich mit ihm sprach. Unwillkürlich sah ich nach der entgegengesetzten Seite und erblickte hinter mir an der andern Tür meines Toilettezimmers den Kammerherrn Grafen Devierre, der mir sagte: »Der Großfürst schickt nach Ihnen, Madame.« Ich schloß die Tür und kehrte mit dem Grafen Devierre in das Zimmer zurück, wo der Großfürst sein Konzert gab. Später indes erfuhr ich, daß Graf Devierre, sowie noch viele andere Personen unserer Umgebung eine Art von beauftragten Berichterstattern spielten. Am folgenden Tage, es war Sonntags, nach der Messe erfuhren der Großfürst und ich, daß die drei Czernitscheffs als Leutnants in die bei Orenburg liegenden Regimenter versetzt seien, und am Nachmittag desselben Tages wurde mir Madame Tschoglokoff beigegeben.

Kurz darauf erhielten wir den Befehl, uns zur Begleitung der Kaiserin auf ihrer Reise nach Reval vorzubereiten. Gleichzeitig meldete mir Madame Tschoglokoff von seiten Ihrer Majestät, daß sie mich in Zukunft meiner Besuche in ihrem Ankleidezimmer enthebe. Wenn ich ihr etwas zu sagen habe, so solle ich dies durch niemand anders tun, als durch sie, Madame Tschoglokoff. Im Grunde meines Herzens war ich sehr froh über diesen Befehl, der mich davon befreite, vor den Frauen der Kaiserin zu kratzfüßeln; übrigens ging ich sehr selten hin und sah Ihre Majestät fast nie. Seit meinem ersten Besuch hatte sie sich mir höchstens drei- oder viermal gezeigt. Gewöhnlich verließen dann auch allmählich die Frauen der Kaiserin das Zimmer, so daß ich ebenfalls, um nicht allein zu sein, nie lange dort blieb.

Im Juni reiste die Kaiserin nach Reval, und wir begleiteten sie. Der Großfürst und ich fuhren in einem viersitzigen Wagen zusammen mit dem Prinzen August und Madame Tschoglokoff. Unsere Art zu reisen war weder bequem noch angenehm. Die Post- oder Stationshäuser wurden von der Kaiserin in Anspruch genommen, während man uns Zelte zur Verfügung stellte, oder uns in die Bureaus einquartierte. Ich erinnere mich, daß ich mich eines Tages auf dieser Reise bei dem Ofen ankleiden mußte, wo man eben Brot gebacken hatte, und daß ein anderesmal in dem Zelte, wo mein Bett sich befand, das Wasser einen halben Fuß hoch stand, als ich eintrat. Da außerdem die Kaiserin keine bestimmte Zeit, weder für die Abreise, noch für die Ankunft, noch für die Mahlzeiten und die Ruhestunden festsetzte, waren wir alle, Herren sowie Diener, außerordentlich abgespannt.

Endlich, nach zehn oder zwölf Tagen, langten wir auf einem Gute des Grafen Steinbock, vierzig Werst von Reval, an, von wo indes die Kaiserin mit feierlichem Gepränge wieder abfuhr, weil sie noch am Abend in Katharinental eintreffen wollte. Aber aus irgendwelchem mir unbekannten Grunde verlängerte sich die Reise bis halb zwei Uhr morgens.

Während der ganzen Fahrt von Petersburg nach Reval langweilte und verstimmte Madame Tschoglokoff unsere Gesellschaft. Was man auch sagen mochte, stets erwiderte sie: »Solch eine Unterhaltung würde Ihrer Majestät mißfallen;« oder: »So etwas würde die Kaiserin nicht billigen.« Und doch waren es oft die unschuldigsten und gleichgültigsten Dinge, die sie auf diese Weise rügte. Was mich betraf, so faßte ich meinen Entschluß: ich schlief während der ganzen Reise.

Gleich am nächsten Tage nach unserer Ankunft in Katharinental begann der gewöhnliche Gang des Hoflebens, das heißt es wurde vom Morgen bis zum Abend und bis tief in die Nacht hinein ziemlich hoch im Vorzimmer der Kaiserin gespielt. Madame Tschoglokoff liebte das Spiel sehr und forderte mich auf, ebenfalls Pharo zu spielen. Hier waren gewöhnlich alle Günstlinge der Kaiserin versammelt, wenn sie sich nicht im Zimmer Ihrer Majestät, oder vielmehr in ihrem Zelte befanden. Sie hatte nämlich ein sehr großes und prächtiges Zelt neben ihren Gemächern aufschlagen lassen, die sich zu ebener Erde befanden und sehr klein waren, wie Peter I. sie gewöhnlich baute. Denn er hatte dies Landhaus errichtet und den Garten angelegt.

Der Fürst und die Fürstin Repnin, die an der Reise ebenfalls teilnahmen und von dem anmaßenden, unverständigen Wesen Madame Tschoglokoffs während der ganzen Reise unterrichtet waren, forderten mich auf, der Gräfin Schuwaloff und Madame Ismailoff, den beiden vertrautesten Damen der Kaiserin, davon Mitteilung zu machen. Diese liebten Madame Tschoglokoff nicht und wußten bereits, was vorgefallen war. Die kleine Gräfin Schuwaloff, welche die Indiskretion selber war, wartete aber gar nicht erst, bis ich ihr davon sprach, sondern begann, als sie beim Spiel an meiner Seite saß, selbst mit mir davon zu reden, wobei sie durch ihren scherzhaften Ton das Benehmen der Tschoglokoff so ins Lächerliche zog, daß diese bald zum Gegenstande allgemeinen Spottes wurde. Ja, sie tat noch mehr, sie erzählte der Kaiserin, was sich ereignet hatte. Augenscheinlich wurde Madame Tschoglokoff ein Verweis erteilt, denn sie milderte ihren Ton gegen mich zusehends. Und in der Tat bedurfte ich dessen sehr nötig, denn ich fing an, eine große Neigung zur Melancholie zu spüren. Ich fühlte mich schrecklich einsam. Der Großfürst faßte in Reval eine vorübergehende Neigung zu einer Dame Namens Cédéraparre und verfehlte natürlich nicht, seiner Gewohnheit gemäß, mich sofort ins Vertrauen zu ziehen.

Da ich häufig an Brustschmerzen litt und in Katharinental Blut ausgeworfen hatte, ließ man mir zur Ader. Am Nachmittag trat Madame Tschoglokoff in mein Zimmer und fand mich mit verweinten Augen. Mit bedeutend freundlicherem Ausdruck fragte sie mich, was mir fehle, und schlug mir seitens der Kaiserin vor, einen Spaziergang in den Garten zu machen, um, wie sie sagte, meine Hypochondrie zu zerstreuen. Außerdem händigte sie mir von Ihrer Majestät 3000 Rubel zum Pharospiel ein, denn die Damen hatten gemerkt, daß es mir an Geld fehle, und es der Kaiserin gesagt. Ich bat sie, Ihrer kaiserlichen Majestät für ihre Güte zu danken und ging mit Madame Tschoglokoff im Garten spazieren, um frische Luft zu schöpfen. Der Großfürst war an diesem Tage mit dem Oberjägermeister Razumowski auf der Jagd.

Einige Tage nach unserer Ankunft in Katharinental traf der Großkanzler Graf Bestuscheff ein in Begleitung des kaiserlichen Gesandten Baron Preyslein. Aus den Glückwünschen, welche er uns darbrachte, konnten wir ersehen, daß sich die beiden kaiserlichen Höfe durch einen Allianzvertrag vereinigt hatten. Hierauf begab sich die Kaiserin zum Flottenmanöver, doch mit Ausnahme des Pulverdampfes sahen wir nichts. Der Tag war ausnehmend heiß und es herrschte vollkommene Windstille. Nach der Rückkehr von diesem Manöver fand in den auf der Terrasse aufgeschlagenen Zelten der Kaiserin ein Ball statt. Das Souper wurde unter freiem Himmel um ein Bassin serviert, wo Fontainen springen sollten; aber kaum hatte sich die Kaiserin zu Tisch gesetzt, als ein Platzregen die ganze Gesellschaft durchnäßte. Alles flüchtete dann so gut es ging in die Häuser und Zelte, und so endete das schöne Fest.

Einige Tage darauf begab sich die Kaiserin nach Roguervick. Auch hier manövrierte die Flotte, und wir sahen wieder nichts als Dampf. Bei dieser Reise verletzten wir uns alle die Füße auf eigentümliche Weise. Der Boden dieser Gegend ist vollkommen felsig und von einer dicken Schicht kleiner Kieselsteine bedeckt, in welche, wenn man längere Zeit auf derselben Stelle steht, die Füße einsinken und von den Kieseln bedeckt werden. Da wir dort unsere Zelte aufgeschlagen hatten, waren wir genötigt, mehrere Tage hindurch auf diesem Boden zu gehen, wovon mir meine Füße noch vier Monate nachher weh taten. Die Galeerensklaven, welche an dem Hafendamme arbeiteten, brachten uns wohl Holzschuhe, aber auch diese hielten nicht länger als acht bis zehn Tage.

Der kaiserlich österreichische Gesandte war ebenfalls Ihrer Majestät nach diesem Hafen gefolgt und dinierte und soupierte mit ihr auf dem Wege zwischen Roguervick und Reval.

Bei der Rückkehr nach Katharinental hatte Madame Tschoglokoff das Vergnügen, ihren Gemahl zu treffen, der von seiner Sendung nach Wien zurückgekehrt war. Obgleich sich auf dem Wege nach Riga, wohin sich die Kaiserin begeben wollte, schon viele Hofequipagen befanden, die der Kaiserin entgegen kamen, änderte sie plötzlich, nachdem sie in Roguervick gewesen, ihren Plan. Man zerbrach sich den Kopf über die Ursache dieser Aenderung, aber erst viele Jahre später sollte sich dieselbe aufklären. Als Herr Tschoglokoff nämlich durch Riga gekommen war, hatte ihm ein lutherischer Pastor, der entweder ein Narr oder ein Fanatiker war, einen Brief mit einer Denkschrift überreicht, worin er die Kaiserin beschwor, die Reise nicht zu unternehmen, weil sie sich auf derselben der größten Gefahr aussetzen würde, denn die Feinde des Reichs hätten Leute gedungen, sie dort zu töten, und dergleichen Geschwätz mehr. Der Empfang dieser Schrift verdarb Ihrer Majestät die ganze Lust, weiter zu reisen, und, obgleich es sich herausstellte, daß der Geistliche ein Irrsinniger war, fand die Reise nicht statt.

So kehrten wir in kleinen Tagereisen von Reval nach Petersburg zurück. Ich bekam auf dieser Reise eine heftige Halskrankheit, die mich mehrere Tage ans Bett fesselte. Hierauf begaben wir uns nach Peterhof und machten von dort alle acht Tage Ausflüge nach Oranienbaum.



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