Katharina II. von Rußland
Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
Katharina II. von Rußland

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Dreizehntes Kapitel.

Rückkehr aufs Land. – Unglücksfall in der Kirche des Klosters Woskressenski. – Zweite Verlobung der Prinzessin von Kurland. – Das Schloß brennt! – Die Röcke der Gräfin Schuwaloff. – Unerwartete Entdeckung im Zimmer des Großfürsten. – Das Bischofshaus. – Sergius vernachlässigt mich. – Eine tiefe Traurigkeit bemächtigt sich meiner. – Uebersiedelung nach Liberitza. – Der Großfürst öffnet Tschoglokoff die Augen. – Schlauheit Sergius Soltikoffs. – Er schläfert Tschoglokoff aufs neue ein. – Rückkehr nach Moskau.

Mitte August 1753 kehrten wir aufs Land zurück. Die Kaiserin begab sich an ihrem Namenstage, dem 5. September, in das Kloster Woskressenski, wo während ihres Aufenthaltes der Blitz in die Kirche einschlug. Glücklicherweise befand sich Ihre Majestät in einer Kapelle neben der Hauptkirche und erfuhr so das Geschehene nur durch den Schreck ihres Gefolges; niemand wurde übrigens verwundet oder getötet. Kurze Zeit darauf kam sie wieder nach Moskau, und auch wir kehrten von Liberitza dorthin zurück. Bei unserer Rückkehr in die Stadt sahen wir die Prinzessin von Kurland der Kaiserin für die Erlaubnis zu ihrer Vermählung mit dem Fürsten Georg Howanski öffentlich die Hand küssen. Mit ihrem ersten Verlobten, Peter Soltikoff, hatte sie gebrochen, der seinerseits gleich darauf eine Fürstin Suzoff heiratete.

Am 1. November desselben Jahres nachmittags drei Uhr befand ich mich bei Madame Tschoglokoff. Eben hatten ihr Gemahl, Sergius Soltikoff, Leon Narischkin und verschiedene andere Hofkavaliere das Zimmer verlassen, um den Kammerherrn Schuwaloff zu seinem Geburtstage, der auf diesen Tag fiel, zu beglückwünschen. Madame Tschoglokoff, die Fürstin Gagarin und ich unterhielten uns sehr lebhaft, als wir plötzlich in einer nahegelegenen Kapelle Lärm hörten. Ein paar jener Herren kamen mit der Meldung zurück, daß sie die Säle des Schlosses nicht hätten passieren können, weil Feuer darin ausgebrochen sei. Sogleich stürzte ich in größter Hast in mein Zimmer, als ich aber ein Vorzimmer durchschritt, sah ich, daß schon die Balustrade in der Ecke des großen Saales, der zwanzig Schritt von dem Flügel, den wir bewohnten, entfernt lag, brannte. Als ich endlich meine Zimmer erreichte, fand ich sie voller Soldaten und Domestiken, welche die Möbel und alles was sie konnten, fortschleppten. Madame Tschoglokoff war mir gefolgt, aber da der Ausbruch des Feuers in allen Teilen des Hauses das einzige war, was wir zu erwarten hatten, verließen wir das Schloß und bestiegen den vor der Tür wartenden Wagen des Kapellmeisters Araga, welcher zu einem Konzert des Großfürsten gekommen war. Von hier aus betrachteten wir die Feuersbrunst und die Bemühungen, die Möbel aus allen Teilen des Schlosses fortzuschaffen. Bei dieser Gelegenheit bemerkte ich eine erstaunliche Menge Ratten und Mäuse, die in langen Reihen, ohne sich sehr zu beeilen, die Treppen hinunterliefen. Wegen Mangel an Maschinen, und weil die wenigen, die man besaß, sich gerade unter dem brennenden Saale befanden, war es unmöglich, den großen Holzbau selbst zu retten. Derselbe nahm ungefähr die Mitte der ihn umgebenden Gebäude ein, mit einem Umfang von ungefähr zwei bis drei Werst. Ich verließ ihn Punkt drei Uhr, aber schon um sechs Uhr war jede Spur davon verschwunden. Die Hitze wurde schließlich so groß, daß weder Madame Tschoglokoff noch ich sie länger ertragen konnten, und wir ließen daher den Wagen einige hundert Schritt ins Freie fahren. Endlich kam Tschoglokoff mit dem Großfürsten, um uns zu melden, daß die Kaiserin sich in das Haus Pokrowski begebe und befohlen habe, wir sollten die Wohnung Tschoglokoffs beziehen, die an der rechten Ecke der großen Slobodastraße lag. Dieses Haus enthielt einen Saal in der Mitte und vier Zimmer auf beiden Seiten, und es ist wohl unmöglich, unbequemer zu wohnen, als wir in diesem Hause wohnten. Der Wind fegte nach allen Himmelsrichtungen hindurch, Fenster und Türen waren halb verfault, in den Fußböden befanden sich Oeffnungen von drei bis vier Zoll Breite. Dazu strotzte es von Ungeziefer, und die Kinder sowie die Diener Tschoglokoffs wohnten darin; allerdings wurden sie, sowie wir ankamen, fortgeschickt. Kurz, man quartierte uns in diesem entsetzlichen Hause ein, dem es an Möbeln fast ganz fehlte.

Am nächsten Morgen erfuhr ich, was sich alles in einer Kalmückennase befinden kann. Die kleine Kalmückin, welche ich bei mir hatte, sagte nämlich, als sie erwachte und indem sie auf ihre Nase zeigte: »Ich habe hier eine Haselnuß!« Ich befühlte die Nase, ohne indes etwas zu finden. Aber den ganzen Morgen wiederholte das Kind unaufhörlich, sie habe in ihrer Nase eine Haselnuß. Das Kind war etwa drei bis vier Jahre alt. Niemand wußte, was sie eigentlich mit der Haselnuß in der Nase wollte, aber plötzlich stieß sie sich beim Spielen gegen den Tisch, fing an zu weinen, zog ihr Taschentuch und schnäuzte sich. Bei dieser Gelegenheit sah ich die Haselnuß aus ihrer Nase fallen, und nun begriff ich, daß eine Haselnuß, die man in jeder europäischen Nase bemerken würde, sich in der Höhlung einer Kalmückennase verbergen könne.

Unsere Garderobe und alles, was wir für den täglichen Gebrauch nötig hatten, lag im Kot vor dem niedergebrannten Palast auf den vom Regen durchweichten Straßen. Erst in der Nacht und am folgenden Tag erhielten wir unsere Sachen zurück. Was mir die größte Unruhe verursachte, waren meine Bücher. Ich beendete damals gerade den vierten Band des Bayleschen Lexikons, eine Lektüre, zu der ich zwei Jahre gebraucht hatte, indem ich alle sechs Monate einen Band durcharbeitete. Man kann sich also ungefähr vorstellen, in welcher Einsamkeit sich mein Leben abspielte. Schließlich aber brachte man mir alle meine Bücher, auch meine und der Gräfin Schuwaloff ihre Garderobe u. s. w. fand sich. Der Kuriosität halber zeigte mir Madame Wladislawa die Kleider dieser Dame, deren Röcke hinten ganz mit Leder gefüttert waren, weil sie an einem Blasenleiden litt. Diese Krankheit war noch von ihrem ersten Wochenbett zurückgeblieben, und ihre Röcke rochen dermaßen, daß ich sie so bald als möglich ihrer Besitzerin schickte. Die Kaiserin selbst verlor durch den Brand ihre ganze nach Moskau mitgebrachte ungeheure Garderobe. Sie erwies mir die Ehre, mir mitzuzuteilen, daß sie viertausend Kleider verloren, aber von allen nur den Verlust des Kleides bedauere, zu welchem ich ihr den Stoff geschenkt. Außerdem büßte sie noch viele andere Kostbarkeiten ein, unter denen sich eine mit geschliffenen Steinen verzierte Schale befand, welche der Graf Rumianzoff einst für achttausend Dukaten in Konstantinopel gekauft hatte. Alle diese Sachen waren in einer Garderobe über dem Saale aufbewahrt, in welchem das Feuer ausbrach, und der als Vorsaal zum Hauptsaale des Schlosses diente. Morgens um zehn Uhr waren die Ofenheizer gekommen, um den Vorsaal zu heizen, und hatten, nachdem sie Holz in den Ofen gelegt, das Feuer wie gewöhnlich angezündet. Hierauf füllte sich der ganze Raum mit Rauch, doch glaubten sie, derselbe dringe durch einige nicht wahrnehmbare Ritzen des Ofens und bedeckten daher die Zwischenräume der Fayencekacheln mit Ton. Als nichtsdestoweniger der Rauch immer stärker wurde, untersuchten sie den Ofen im Innern und bemerkten, als sie nichts fanden, daß sich die Ritzen, aus welchen der Rauch hervordrang, zwischen den Scheidewänden des Zimmers befanden. Diese Scheidewände waren aus Holz. Sie holten schnell Wasser herbei und löschten das Feuer im Ofen, aber der Rauch wurde immer stärker und drang ins Zimmer, wo eine Schildwache der Garde stand. Da diese ihren Posten nicht zu verlassen wagte, aber zu ersticken drohte, drückte sie eine Fensterscheibe ein, erhob ein lautes Geschrei und feuerte, als niemand hören wollte, ihr Gewehr ab. Man hörte den Knall in der Hauptwache, eilte herbei und fand beim Eintreten überall dichten Qualm, aus dem man endlich den Posten befreite. Die Heizer wurden verhaftet; sie hatten geglaubt, ohne jemand davon zu benachrichtigen, das Feuer löschen zu können, oder wenigstens die Vermehrung des Rauches zu mindern, und waren in ihrem guten Glauben fünf Stunden lang damit beschäftigt gewesen.

Die Feuersbrunst führte Tschoglokoff zu einer unvermuteten Entdeckung. Der Großfürst hatte nämlich in seinem Zimmer verschiedene große Kommoden. Als man nun diese hinaustrug, zeigten einige offene oder schlecht verschlossene Fächer den Blicken der Zuschauer, was sie enthielten. Wer hätte es geglaubt? Die Schubladen enthielten nichts anderes als eine ungeheure Menge Wein- und Likörflaschen und dienten Seiner kaiserlichen Hoheit als Keller. Tschoglokoff erzählte es mir, allein ich sagte ihm, ich wisse von alledem nichts, und so war es auch; aber sehr häufig, ja fast täglich, bemerkte ich die Trunkenheit des Großfürsten.

Wir blieben nach dem Brande ungefähr sechs Wochen im Hause Tschoglokoffs. Da wir aber oft an einem nahe bei der Brücke Soltikoff gelegenen Hause vorbeikamen, welches der Kaiserin gehörte und das Bischofshaus hieß, weil sie es von einem Bischof gekauft hatte, kam uns der Gedanke, die Kaiserin ohne Wissen Tschoglokoffs zu bitten, dies Haus bewohnen zu dürfen, das uns wohnlicher erschien, als das seinige. Bald darauf erhielten wir den Befehl, in dasselbe überzusiedeln. Es war ein sehr altes hölzernes Gebäude, aus dem man nach keiner Seite eine Aussicht hatte; doch da es über steinernen Kellern gebaut war, lag es höher als das, welches wir verlassen, das nur aus einem Erdgeschoß bestand. Aber die Oefen waren so alt und so voller Ritzen, daß man das Feuer hindurchscheinen sah, wenn sie geheizt wurden, und der Rauch die Zimmer erfüllte, wir litten daher alle an Kopf- und Augenschmerzen; ja, man lief in diesem Hause Gefahr, lebendig verbrannt zu werden, denn es war nur eine hölzerne Treppe darin und die Fenster lagen sehr hoch. In der Tat brach auch während unseres Aufenthaltes zwei- oder dreimal Feuer aus, allein man löschte es noch rechtzeitig. Ich bekam hier eine starke Halsentzündung, begleitet von einem heftigen Fieber. An demselben Tage, an welchem meine Krankheit begann, sollte Herrn von Breithardt, der vom Wiener Hofe wieder nach Rußland geschickt worden war, ein Abschiedssouper gegeben werden. Als er kam und meine geröteten, angeschwollenen Augen sah, glaubte er, ich habe geweint – und er täuschte sich nicht. Langeweile, physisches und moralisches Unbehagen über meine Situation hatten mich in tiefe Melancholie versetzt. Den ganzen Tag hatte ich bei Madame Tschoglokoff auf die gewartet, die nicht kamen, während sie jeden Augenblick zu mir sagte: »Es ist schrecklich, wie man uns allein läßt.« Ihr Gatte hatte anderswo diniert, und die ganze Gesellschaft war ihm gefolgt. Und trotz aller Versprechungen, sich von der Tafel fortstehlen zu wollen, kam Sergius Soltikoff erst mit Tschoglokoff zurück. Alles dies verstimmte mich.

Einige Tage später erhielten wir endlich die Erlaubnis, nach Liberitza überzusiedeln. Hier fühlten wir uns wie im Paradiese. Das Haus war ganz neu und sehr bequem eingerichtet, jeden Abend wurde getanzt, und unser ganzer Hof war hier versammelt. Auf einem dieser Bälle bemerkten wir, wie der Großfürst sich einmal besonders lange mit Tschoglokoff flüsternd unterhielt. Darauf erschien der letztere traurig, träumerisch, verschlossener und mürrischer als je. Als Sergius Soltikoff dies sah und bemerkte, daß Tschoglokoff ihm mit besonderer Kälte begegnete, setzte er sich zu Fräulein Martha Schasiroff und suchte von ihr zu erfahren, was es mit der so ungewohnten Vertraulichkeit des Großfürsten für eine Bewandtnis haben könne. Sie antwortete ihm, daß sie zwar die Ursache nicht kenne, aber der Großfürst habe öfter gegen sie geäußert: »Sergius Soltikoff und meine Frau täuschen Tschoglokoff auf eine unerhörte Weise. Tschoglokoff ist in die Großfürstin verliebt, aber sie kann ihn nicht ausstehen. Sergius Soltikoff ist sein Vertrauter und macht ihn glauben, daß er sich bei meiner Frau für ihn bemühe, statt dessen aber bemüht er sich bei ihr nur für sich selbst. Und sie, sie kann den amüsanten Sergius Soltikoff sehr wohl leiden. Sie bedient sich seiner, um Tschoglokoff zu beherrschen wie sie will, und im Grunde macht sie sich über alle beide lustig. Ich muß diesem armen Teufel von Tschoglokoff, der mir leid tut, die Augen öffnen, muß ihm die Wahrheit sagen, und er wird dann sehen, wer sein Freund ist, meine Frau oder ich.« Nachdem Sergius diese gefährliche Aeußerung und die unangenehme Situation, die daraus hervorging, in Erfahrung gebracht, erzählte er mir alles wieder und setzte sich dann zu Tschoglokoff, den er fragte, was ihm fehle. Dieser wollte sich anfangs nicht aussprechen, seufzte einmal um das andere, beklagte sich dann, wie schwer es sei, treue Freunde zu finden, bis ihn endlich Sergius einem derartigen Kreuzverhör unterzog, daß er den ganzen Inhalt seiner Unterredung mit dem Großfürsten gestand. Der Großfürst hatte damit begonnen, Tschoglokoff die größten Versicherungen seiner Freundschaft zu geben, und bemerkt, nur in bedrängten Lebenslagen könne man die wahren von den falschen Freunden unterscheiden. Um ihm die Aufrichtigkeit der seinigen zu beweisen, wolle er mit ihm über eine wichtige Angelegenheit ganz offen sprechen. Er wisse, daß er in mich verliebt sei und rechne es ihm nicht als Verbrechen an, denn ich könne ihm ja liebenswürdig erscheinen, man sei nicht immer Herr seines Herzens. Aber er müsse ihn unbedingt darauf aufmerksam machen, daß er seine Vertrauten schlecht wähle, denn er nehme ohne weiteres an, Sergius Soltikoff sei sein Freund und bemühe sich bei mir für ihn, während er in Wahrheit nur sein eigenes Interesse im Auge habe und ihn als seinen Nebenbuhler mit Mißtrauen betrachte. Ich indes mache mich über beide lustig. Wenn aber Tschoglokoff seinem Rate folgen und sich ihm, dem Großfürsten, anvertrauen wolle, so werde er sehen, daß er sein einziger und wahrhafter Freund sei. – Tschoglokoff hatte dem Großfürsten aufs lebhafteste für sein Vertrauen und seine Freundschaftsbeteuerungen gedankt, im Grunde aber alles als Grille und persönliche Phantasie behandelt.

Man kann sich leicht vorstellen, daß Tschoglokoff keinesfalls großes Vertrauen in einen Freund setzen konnte, der durch seine hohe Stellung sowohl als durch seinen Charakter ebenso unsicher als nutzlos war. Nachdem er sich ausgesprochen, kostete es Sergius Soltikoff daher keine große Mühe, Ruhe und Heiterkeit in Tschoglokoffs Seele wieder zurückzuführen, zumal letzterer gewöhnt war, den Reden eines Menschen, der keines Urteils fähig und als einsichtsloser Tropf bekannt war, wenig Bedeutung und Aufmerksamkeit beizumessen. Ich meinerseits gestehe, daß ich über die Mitteilungen des Großfürsten empört war. Und um ihn von diesem Gegenstand abzubringen, ließ ich ihn merken, daß ich von dem zwischen ihm und Tschoglokoff Vorgegangenen unterrichtet sei. Er errötete, antwortete nicht, entfernte sich, grollte mir, und dabei blieb es.

Nach Moskau zurückgekehrt, quartierte man uns aus dem Hause des Bischofs in die Gemächer des sogenannten Sommerhauses der Kaiserin ein, welches vom Brande verschont geblieben war. Elisabeth selbst hatte sich binnen sechs Wochen eine neue Wohnung einrichten lassen, wozu man das Gebälk aus dem Hause in Perowa sowie aus dem des Grafen Hendrikoff und der Fürsten von Georgien herbeigeschafft hatte.



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