Katharina II. von Rußland
Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
Katharina II. von Rußland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel.

Beschränkter Aufenthalt in Moskau – Ein Lieblingsprojekt der Tschoglokoff. – Sie macht mir versteckte Vorschläge in bezug auf Sergius Soltikoff. – Landaufenthalt. – Die Feier des Krönungstages Elisabeths. – Die Kaiserin behandelt uns mit großer Kälte. – Duell Zacharias Czernitscheffs mit Oberst Leontieff. – Ich bin von neuem guter Hoffnung. – Fehlgeburt. – Trinkgelage des Großfürsten. – Seine Ohnmacht über seine Zechgenossen. – Eine Hinrichtung. – Wahnsinn mehrerer Personen des Hofes.

Man hatte uns in Moskau einen aus Holz gebauten Flügel eingeräumt, der erst während des Herbstes fertig geworden war, so daß das Wasser an dem Gebälk niederlief und alle unsere Zimmer an großer Feuchtigkeit litten. Dieser Flügel bestand aus zwei Teilen, deren jeder fünf bis sechs große Zimmer enthielt. Die nach der Straße liegenden waren für mich, die Hinterzimmer für den Großfürsten bestimmt. Meine Kammermädchen und Kammerfrauen samt ihren Dienerinnen wurden in meinem Toilettenzimmer untergebracht, so daß nicht weniger als siebzehn Frauen und Mädchen eine Stube bewohnten, einen Raum, der freilich drei große Fenster hatte, aber keinen Ausgang, als nach meinem Schlafzimmer, welches sie alle Augenblicke passieren mußten. Natürlich war eine solche Einrichtung weder für sie noch für mich angenehm. Dennoch waren wir genötigt, diese Unbequemlichkeit, dergleichen mir nie zuvor begegnet, zu ertragen. Dazu befand sich ihr Speisezimmer in einem meiner Vorzimmer. Da ich krank war, als ich in Moskau ankam, ließ ich, um der eben erwähnten Unbequemlichkeit abzuhelfen, einige spanische Wände in mein Schlafzimmer setzen, vermittelst welchen ich dasselbe in drei Teile teilte. Doch half dies so gut wie gar nichts, weil die Türen sich unausgesetzt öffneten und schlossen, was unvermeidlich war. Am zehnten Tage endlich besuchte mich die Kaiserin, und als sie dies fortwährende Gehen und Kommen bemerkte, ging sie ins Nebenzimmer und sagte meinen Damen: »Ich werde Ihnen einen andern Ausgang machen lassen als den durch das Schlafzimmer der Großfürstin.« Aber was tat sie? Sie befahl, das Zimmer, in dem siebzehn Personen bereits mit Mühe untergebracht waren, noch um ein Fenster kleiner zu machen, um dadurch einen Korridor zu gewinnen. Die Fensterwand wurde durchbrochen und eine Treppe angebracht, die direkt auf die Straße führte. Unter den Fenstern errichtete man Aborte, und auch wenn sie zum Diner gingen, mußten die Frauen die Straße passieren. Kurz, diese Anordnung war sehr schlecht, und ich wunderte mich, daß diese siebzehn Frauen, zusammengepackt und öfters krank, nicht von einer Hautkrankheit ergriffen wurden. Und dies alles neben meinem Schlafzimmer, das noch obendrein von Ungeziefer jeder Art wimmelte, so daß ich am Schlafen gehindert wurde.

Endlich, nachdem sie sich von ihrem Wochenbett erholt, kam Madame Tschoglokoff in Moskau an und einige Tage später auch Sergius Soltikoff. Da Moskau sehr groß ist und jeder weit vom andern entfernt wohnt, benutzte er diese Gelegenheit, um die Verminderung seiner erdichteten oder wirklichen Bemühungen bei Hofe zu verbergen. Für mich war dies sehr schmerzlich, aber er führte stets so gewichtige Gründe an, daß mein Bedenken schwand, sobald ich ihn gesehen und gesprochen hatte. Um die Zahl seiner Feinde zu verringern, verabredeten wir miteinander, daß ich dem Grafen Bestuscheff etwas sagen ließ, was ihm die Hoffnung geben konnte, daß ich ihm weniger fernstehe als bisher. Ich beauftragte mit dieser Botschaft einen gewissen Bremse, der in Pechlins holsteinscher Kanzlei angestellt war und den Grafen Bestuscheff häufig besuchte, Er übernahm meinen Auftrag mit größter Bereitwilligkeit und sagte, der Kanzler sei aufs höchste erfreut gewesen, habe erklärt, ich möge mich so oft ich wolle an ihn wenden und wenn er mir nützlich sein könne, bitte er mich, ihm einen sichern Verbindungsweg anzugeben, vermittels dessen wir uns gegenseitig mitteilen könnten, was wir auf dem Herzen hätten. Ich verstand seine Absicht und antwortete Bremse, ich werde mir die Sache überlegen. Dann sprach ich mit Sergius Soltikoff davon, und wir beschlossen sofort, daß er selbst zum Kanzler gehen solle, was er kurz nach seiner Ankunft unter dem Vorwande eines Besuchs leicht tun konnte. Der Alte empfing ihn aufs beste, unterhielt sich mit ihm sehr vertraulich über die innern Angelegenheiten unseres Hofes, über die Dummheit der Tschoglokoffs und bemerkte unter anderm: »Ich weiß, daß Sie ihr Vertrauter sind, weiß aber auch, daß Sie sie ebenso gut als ich kennen, denn Sie sind ein Mann von Geist.« Hierauf sprach er mit ihm von mir und meiner Lage, als hätte er selbst täglich in meinem Zimmer gewohnt, und fügte hinzu: »In Anerkennung des Wohlwollens, welches die Großfürstin mir entgegenbringt, werde ich ihr einen kleinen Dienst erweisen, der, wie ich glaube, ihr sehr willkommen sein wird. Ich werde ihr die sanfte Madame Wladislawa wiedergeben, und sie kann mit ihr machen, was ihr gefällt. Sie soll sehen, daß ich kein solcher Werwolf bin, wie man mich immer in ihren Augen hingestellt hat. Kurz, Sergius Soltikoff kehrte sehr befriedigt von seiner Audienz und seinem Manne zurück, der ihm selbst ebenso verständige als nützliche Ratschläge gegeben. Alles dies beförderte unser Einverständnis, ohne daß jemand die geringste Ahnung davon hatte.

Um diese Zeit nahm Madame Tschoglokoff, welche fortwährend ihr Lieblingsprojekt, über die Thronfolge zu wachen, im Kopfe hatte, mich eines Tages beiseite und sagte: »Hören Sie mich an, ich muß ganz aufrichtig mit Ihnen sprechen.« Natürlich öffnete ich Augen und Ohren. Mit einer langen Einleitung nach ihrer Art begann sie denn über ihre Anhänglichkeit an ihren Gemahl, ihre Einsicht über das, was sein und nicht sein müsse, damit man sich liebe, und die ehelichen Bande erleichtere, zu reden. Dann plötzlich änderte sie ihren Ton und sagte: zuweilen gebe es allerdings Verhältnisse von höherem Interesse, welche eine Ausnahme von der Regel notwendig machten. Ich ließ sie reden, soviel sie wollte, ohne sie zu unterbrechen, da ich nicht wußte, was der Zweck ihrer Auseinandersetzung war und mich das Ganze überraschte. Es war mir außerdem nicht klar, ob sie mich in einen Hinterhalt locken wollte, oder aufrichtig zu mir sprach. Während ich insgeheim diese Betrachtungen anstellte, fuhr sie fort: »Sie werden sehen, wie groß meine Liebe zu meinem Vaterlande ist und wie ernst ich es meine. Ich zweifele nicht, daß Sie eine Person am Hofe besonders gern sehen. Ich lasse Ihnen die Wahl zwischen Sergius Soltikoff und Leon Narischkin; irre ich nicht, so ist es der letztere.« – Ich aber rief rasch: »Nein, nein, gewiß nicht!« – Sie erwiderte: »Nun gut, ist er es nicht, so ist es unzweifelhaft der andere.« – Darauf antwortete ich nicht, und sie fuhr fort: »Sie sollen sehen, daß ich es nicht bin, die Ihnen Schwierigkeiten machen wird.« – Ich indes spielte die Einfältige in einem Grade, daß sie mich schließlich schalt.

Nach Ostern begaben wir uns aufs Land. Um dieselbe Zeit schenkte die Kaiserin dem Großfürsten Liberitza und mehrere andere Güter, die vierzehn bis fünfzehn Werst von Moskau entfernt lagen. Allein ehe sie diese neuen Besitzungen Seiner kaiserlichen Hoheit besuchte, feierte sie in Moskau am 25. April den Jahrestag ihrer Krönung. Man meldete uns, sie habe befohlen, das Zeremoniell solle ganz dasselbe sein, wie es am wirklichen Krönungstage beobachtet worden war, und wir waren sehr neugierig darauf. Am Abend vorher begab sie sich in den Kreml, um dort die Nacht zu verbringen, während wir in dem Holzpalast an der Sloboda blieben und den Befehl erhielten, zur Messe in die Kathedrale zu kommen. Um neun Uhr morgens verließen wir den Holzpalast in Staatskarossen, neben welchen Lakaien zu Fuß hergingen, durchzogen im Schritt ganz Moskau – eine Strecke von sieben Werst – und stiegen dann vor der Kirche aus. Gleich darauf langte die Kaiserin mit ihrem Gefolge an. Sie trug die kleine Krone auf dem Haupte, und der kaiserliche Mantel wurde wie gewöhnlich von den Kammerherren getragen. Sie begab sich zu ihrem Platz in der Kirche – kurz, in allem war nichts Außerordentliches, was nicht bei jedem andern Feste ihrer Regierung ebenso gewesen wäre. In der Kirche herrschte eine abscheuliche feuchte Kälte, wie ich sie niemals so heftig empfunden habe. Ich war in meinem tiefausgeschnittenen Hofkleide ganz blau und starr vor Frost, so daß mir die Kaiserin sagen ließ, ich solle doch einen Zobelpelzkragen umhängen, aber ich hatte keinen solchen bei mir. Sie selbst ließ sich ihre eigenen Pelze herbeiholen und nahm einen davon um. Dabei sah ich noch einen andern in dem Kasten liegen und dachte, sie werde mir denselben schicken, aber ich täuschte mich: sie ließ ihn wieder fortnehmen. Dies schien mir ein ziemlich starkes Zeichen von Ungnade. Endlich verschaffte mir Madame Tschoglokoff, welche sah, daß ich vor Kälte zitterte, ich weiß nicht woher, ein seidenes Taschentuch, das ich um meinen Hals band. Am Schluß der Messe und der Predigt verließ die Kaiserin die Kirche, wobei wir es für unsere Pflicht hielten, ihr zu folgen; allein sie ließ uns sagen, wir könnten nach Hause zurückkehren. Nun begriffen wir, daß sie allein auf dem Throne zu dinieren beabsichtigte und hierin das Zeremoniell des Krönungstages beobachtet werden sollte, an welchem sie ebenfalls allein gespeist hatte. Ausgeschlossen von diesem Diner, kehrten wir zurück, wie wir gekommen waren: in großer Feierlichkeit, unsere Bedienten zu Fuß, und legten so im ganzen vierzehn Werst zurück, indem wir, vor Kälte erstarrt und vor Hunger fast sterbend, Moskau von einem Ende zum andern durchzogen. Wenn die Kaiserin während der Messe sehr schlechter Laune zu sein schien, so entließ sie uns jetzt in nicht viel heiterer Stimmung, mit dem Beweise eines so wenig erfreulichen Mangels an Aufmerksamkeit – um nicht mehr zu sagen. Bei jedem andern großen Feste, wo sie auf dem Throne dinierte, hatten wir die Ehre gehabt, mit ihr zu speisen, diesmal indes entließ sie uns öffentlich. Unterwegs teilte ich dem Großfürsten, mit dem ich allein im Wagen saß, meine Meinung darüber mit, worauf er erklärte, er werde sich beschweren. Nach meiner Rückkehr klagte ich Madame Tschoglokoff, starr von Kälte und erschöpft, wie ich war, daß ich mich erkältet habe. Tags darauf war Ball im Holzpalast, aber ich gab mich für krank aus und ging nicht hin. Der Großfürst seinerseits schickte in der Tat über die Sache ich weiß nicht was für eine Botschaft an die Schuwaloffs, worauf sie ihm irgend welche befriedigende Antwort zugehen ließen – dann war nicht weiter die Rede davon.

Etwa um dieselbe Zeit erfuhren wir, daß Zacharias Czernitscheff und der Oberst Nikolaus Leontieff sich im Hause Roman Woronzows beim Spiel erzürnt, mit dem Degen in der Hand gefochten hätten und daß Graf Czernitscheff eine gefährliche Verwundung am Kopfe erhalten habe. Sein Zustand war so bedenklich, daß man ihn nicht aus dem Hause Roman Woronzows hatte fortschaffen können. Er blieb also dort, befand sich sehr schlecht und es war die Rede davon, ihn zu trepanieren. Mich persönlich betrübte dies sehr, denn ich besaß eine große Zuneigung zu ihm. Leontieff wurde auf Befehl der Kaiserin verhaftet. Durch dieses Duell wurde die ganze Stadt in Intrigen verwickelt, wegen der außerordentlich zahlreichen Verwandtschaft der beiden Gegner. Leontieff war der Schwiegersohn der Gräfin Rumianzoff und ein sehr naher Verwandter der Panins und Kurakins. Aber auch sein Gegner hatte Verwandte, Freunde und Beschützer. Der Vorfall ereignete sich im Hause des Grafen Roman Woronzow und der Kranke befand sich bei ihm. Endlich jedoch schwand die Gefahr; die Sache wurde beigelegt und vergessen.

Im Laufe des Monats Mai stellten sich wieder Anzeichen von Schwangerschaft bei mir ein. Wir begaben uns nach Liberitza, dem Gute des Großfürsten, zwölf bis vierzehn Werst von Moskau entfernt. Das steinerne Haus, welches Fürst Menschikoff früher dort errichtet hatte, war verfallen. Wir konnten es daher nicht bewohnen, und man schlug Zelte für uns auf. Morgens zwischen zwei und drei Uhr wurde mein Schlaf von den Hammerschlägen und dem Lärm unterbrochen, den man beim Bau eines hölzernen Flügels machte, welcher in aller Eile, so zu sagen zwei Schritte von unsern Zelten errichtet wurde, damit wir wenigstens während des Restes des Sommers eine Wohnstätte hätten. Später gingen wir meist auf die Jagd oder spazieren, aber ich ritt nicht mehr, sondern fuhr im offenen Wagen.

Kurz vor dem Peterstage kehrten wir nach Moskau zurück. Ich war damals so schlafmüde, daß ich jeden Tag bis Mittag schlief und nur mit Mühe zum Diner geweckt werden konnte. Die Feier von St. Peter ging wie gewöhnlich vor sich: ich kleidete mich an, war bei der Messe, beim Diner, beim Ball und beim Souper zugegen. Tags darauf indes fühlte ich Schmerzen im Kreuz. Madame Tschoglokoff ließ sofort die Hebamme kommen, die mir die vorzeitige Geburt vorhersagte, die während der Nacht stattfand. Ich mochte wohl zwei oder drei Monate guter Hoffnung gewesen sein. Dreizehn Tage lang schwebte ich in Lebensgefahr, da man fürchtete, ein Teil der Nachgeburt sei zurückgeblieben, bis endlich am vierzehnten Tage dieselbe von selbst ohne Anstrengung und Schmerzen abging. Wegen dieses Vorfalls mußte ich mein Zimmer sechs Wochen lang während einer unerträglichen Hitze hüten. Während dieser Zeit meiner Krankheit langweilte ich mich tödlich. Meine ganze Gesellschaft bestand in Madame Tschoglokoff – die noch dazu sehr selten zu mir kam – und einer kleinen Kalmückin, welche ich sehr gern hatte, weil sie äußerst anmutig war. Ich weinte oft vor Langeweile. Was den Großfürsten betraf, so hielt er sich meist in seinen Zimmern auf, wo einer seiner Kammerdiener namens Karnowitsch, ein Ukrainer und ebenso großer Narr als Trunkenbold, ihn nach Kräften unterhielt, indem er ihm Spielsachen, Wein und starke Getränke brachte, so viel er nur konnte. Tschoglokoff, den überhaupt alle täuschten und an der Nase herumführten, wußte natürlich davon nichts. Doch während der geheimen nächtlichen Bacchanalien des Großfürsten mit seinen Kammerbedienten, unter denen sich auch mehrere junge Kalmücken befanden, hörte man oft wenig auf seine Befehle und bediente ihn schlecht. In ihrer Trunkenheit wußten sie nicht, was sie taten, und vergaßen, daß sie mit ihrem Herrn zusammen waren, und daß dieser Herr der Großfürst war. Dann nahm seine kaiserliche Hoheit gewöhnlich zu Stockschlägen und flachen Säbelhieben seine Zuflucht, aber trotzdem gehorchten ihm seine Genossen schlecht, und mehr als einmal beklagte er sich über seine Leute bei mir und bat mich, sie zur Vernunft zu bringen. Ich begab mich daher in sein Zimmer, schalt sie, erinnerte sie an ihre Pflichten und brachte sie sofort zum Gehorsam, so daß der Großfürst wiederholt gegen mich äußerte und auch gegen Bresson bemerkte, er wisse nicht, wie ich es mit seinen Leuten anfange; er selbst schelte sie und könne sie nicht zum Gehorchen bringen, während ich von ihnen alles mit einem Worte erlange. Als ich eines Tages wieder einmal zu demselben Zwecke das Zimmer des Großfürsten betrat, fiel mein Blick auf eine große Ratte, die er mit dem ganzen Apparat einer Hinrichtung in der Mitte eines durch eine Bretterwand gebildeten Kabinetts hatte aufhängen lassen. Auf meine Frage, was dies bedeute, erwiderte er, diese Ratte habe eine verbrecherische Handlung begangen, die nach den Kriegsgesetzen mit Hinrichtung bestraft werden müsse. Sie sei über die Wälle einer Festung aus Pappe gesprungen, welche auf dem Tische in diesem Kabinett stand, und habe zwei aus Zunder verfertigte Schildwachen, die auf den Wällen Dienst getan, aufgefressen. Er habe daher den Verbrecher nach den Kriegsgesetzen verurteilen lassen. Sein Hühnerhund habe die Ratte erwischt, und wie ich sehe, sei sie sofort gehängt worden und solle als warnendes Beispiel drei Tage vor den Augen des Publikums ausgestellt bleiben. Ich konnte nicht umhin, über die unglaubliche Albernheit dieses Vorgangs in lautes Lachen auszubrechen, erregte jedoch dadurch sein größtes Mißfallen. In Anbetracht der Wichtigkeit, die er der Sache beimaß, zog ich mich zurück und verschanzte mich als Frau hinter meine Unkenntnis der Kriegsgesetze. Allein er hörte nicht auf, mich wegen meines Lachens zu schelten, und doch konnte man zur Rechtfertigung der Ratte mindestens das anführen, daß sie gehängt worden war, ohne daß man sie aufgefordert, sich zu rechtfertigen, oder ihre Rechtfertigung gehört hatte.

Während des diesjährigen Aufenthaltes des Hofes in Moskau wurde ein Hoflakai irrsinnig. Die Kaiserin befahl sofort Boerhave, ihrem Leibarzte, den Menschen zu behandeln, und er wurde in einem Zimmer in der Nähe der Wohnung Boerhaves, der im Schlosse wohnte, untergebracht. Zufällig verloren in demselben Jahre noch verschiedene andere Personen den Verstand, so daß ein förmliches kleines Irrenhaus bei Hofe entstand. Wie ich mich erinnere, waren die bemerkenswertesten Insassen ein Major aus der Semenoffskischen Garde namens Tschedajeff und ein Mönch des Klosters Woskressenski. Letzterer hatte sich mit einem Rasiermesser seiner Männlichkeit beraubt. Der Wahnsinn Tschedajeffs bestand darin, daß er Schah Nadir, sonst Thamas Kuli Khan, Usurpator und Tyrann von Persien genannt, für den lieben Gott hielt. Als es den Aerzten nicht gelang, ihn von seiner Marotte zu heilen, übergab man ihn den Pfaffen, die der Kaiserin versprachen, den Teufel aus ihm austreiben zu wollen. Sie war selbst bei dieser Zeremonie zugegen, allein Tschedajeff blieb genau so verrückt, wie er war. Indes gab es Leute, die an seiner Verrücktheit zweifelten, weil er, außer was Schah Nadir betraf, in jeder Beziehung vernünftig war. Ja, seine Freunde fragten ihn sogar oft um Rat, und stets gab er ihnen verständige Ratschläge. Die, welche ihn nicht für irrsinnig hielten, behaupteten, er wolle sich nur mit List aus verzweifelten Verhältnissen, in die er verwickelt war, retten. Zu Anfang der Regierung der Kaiserin Elisabeth war er nämlich bei der Steuerrevision angestellt gewesen und man hatte ihn der Erpressung angeklagt. Aus Furcht, nun verurteilt zu werden, nahm er zu der erwähnten Affektion seine Zuflucht, die ihn denn auch glücklich aus der Affäre zog.



 << zurück weiter >>