Katharina II. von Rußland
Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
Katharina II. von Rußland

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Drittes Kapitel.

Merkwürdiger Zwischenfall mit dem Großfürsten. – Schlechtes Befinden meiner Mutter. – Tod Karls XII. – Ich lerne reiten. – Wir beziehen den Sommerpalast. – Verletzte Eigenliebe. – Übersiedelung nach Peterhof. – Man fängt an, von meiner Hochzeit zu sprechen. – Kindische Spielereien des Großfürsten. – Ein nächtlicher Spaziergang mit meiner Umgebung im Schloßpark. – Wie man ihn auslegt. – Falsche Anschuldigungen meiner Mutter gegen mich. – Die Kaiserin bestimmt den Tag meiner Vermählung. – Meine Hochzeit und deren Feierlichkeiten. – Abreise meiner Mutter. – Verabschiedung Fräulein Jukoffs. – Man verheiratet und verbannt sie. – Im Winterpalast. – Rücktritt der Kammerherren Berkholz und Brummer. – Maskenbälle. – Der Großfürst vertraut mir aufs neue seine Liebesabenteuer an.

In der ersten Woche der großen Fasten hatte ich eine merkwürdige Szene mit dem Großfürsten. Eines Morgens, als ich mich mit meinen Damen, die alle sehr fromm waren, in meinem Zimmer befand, um die Frühmesse zu hören, die im Vorzimmer gesungen wurde, schickte mir der Großfürst seinen Zwerg, um mich zu fragen, wie ich mich befände, und mir anzukündigen, daß er wegen der großen Fasten an diesem Tage nicht zu mir kommen könne. Der Zwerg kam gerade in dem Augenblicke, als wir im Anhören der Gebete waren und genau die Fastenvorschriften nach unserm Ritus erfüllten. Ich sandte dem Großfürsten die gebräuchliche Begrüßung zurück, und der Zwerg entfernte sich. Als er in das Zimmer seines Herrn trat, begann er, sei es nun, weil er wirklich von dem, was er gesehen, erbaut war, oder weil er dadurch seinen Herrn, der nichts weniger als fromm war, zu gleichen Uebungen bringen wollte, oder auch aus Unbesonnenheit, die in meinen Gemächern herrschende Frömmigkeit laut zu preisen, und versetzte dadurch den Großfürsten in schlechte Laune gegen mich. Als wir uns wiedersahen, schmollte er mit mir, und auf meine Frage, was ihn dazu veranlasse, schalt er mich wegen der übermäßigen Frömmigkeit, der ich mich seiner Meinung nach hingäbe. Ich erwiderte ihm, daß ich damit nur eine Pflicht erfülle, der alle sich unterzögen, und von der man sich nicht ohne Skandal freimachen könne; aber er war anderer Meinung. Dieser Streit endete wie die meisten Streite enden, nämlich damit, daß jeder auf seiner Ansicht beharrte. Da indes Seine kaiserliche Hoheit während der Messe mit niemand außer mir sprechen konnte, hörte er allmählich auf, mit mir zu schmollen.

Zwei Tage nachher hatte ich eine andere Aufregung. Am Morgen, während man die Frühmesse bei mir sang, trat Fräulein Schenk plötzlich ganz bestürzt in mein Zimmer und benachrichtigte mich, daß meine Mutter sich sehr schlecht befinde und in Ohnmacht gefallen sei. Sofort eilte ich zu ihr, die ich auf einer Matratze an der Erde liegend, aber nicht bewußtlos fand. Als ich mir die Freiheit nahm, sie zu fragen, was ihr fehle, erwiderte sie, sie habe einen Aderlaß vornehmen lassen wollen, aber der Wundarzt sei so ungeschickt gewesen, viermal vergeblich an beiden Händen und Füßen anzusetzen, und so sei sie ohnmächtig geworden. Ich wußte übrigens, daß sie den Aderlaß fürchtete, kannte indes ihren Zweck dabei ebenso wenig wie ich wußte, daß sie überhaupt eines Aderlasses bedurfte. Dennoch warf sie mir vor, an ihrem Zustand wenig teilzunehmen und machte darauf ihrem Aerger durch viele unangenehme und bittere Aeußerungen Luft. Ich entschuldigte mich so gut ich konnte und gestand meine Unwissenheit ein. Da ich aber bemerkte, daß sie sehr verstimmt war, schwieg ich, versuchte meine Tränen zurückzuhalten und entfernte mich erst, als sie es mir mit bitteren Worten befahl. Weinend kehrte ich in mein Zimmer zurück, wo mich meine Kammerfrauen nach der Ursache meiner Tränen fragten. Ich sagte es ihnen ganz einfach. Meine Mutter besuchte ich mehrmals des Tages, blieb aber nur so lange dort, als ich glaubte, ihr nicht lästig zu fallen, denn das war ein Hauptpunkt bei ihr, an den ich mich vollkommen gewöhnt hatte. Und in meinem ganzen Leben habe ich nichts mehr vermieden, als jemand zur Last zu fallen, so daß ich mich immer sofort zurückzog, wenn in meinem Geiste der Argwohn entstand, ich könne unbequem werden und Langeweile erregen. Aber ich weiß auch aus Erfahrung, daß nicht alle demselben Grundsatz huldigen, denn meine eigene Geduld ist oft hart von Personen auf die Probe gestellt worden, die sich nicht zu entfernen wußten, bevor sie lästig fielen oder langweilig wurden.

Während der Fastenzeit erlebte auch meine Mutter einen wahrhaften Schmerz. In einem Augenblick, wo sie es am wenigsten erwartete, erhielt sie die Nachricht, daß meine jüngste Schwester Elisabeth im Alter von ungefähr vier Jahren plötzlich gestorben sei. Darüber war sie sehr traurig, und auch ich beweinte sie.

Einige Tage darauf sah ich eines schönen Morgens die Kaiserin in mein Zimmer treten. Sie ließ meine Mutter rufen und ging mit ihr in mein Ankleidezimmer, wo sie eine lange Unterredung miteinander hatten. Dann kehrten sie in mein Schlafzimmer zurück, meine Mutter mit geröteten, tränenerfüllten Augen. Aus der Fortsetzung des Gesprächs vernahm ich, daß es sich um den Tod Kaiser Karls XII. aus dem Hause Bayern handelte, den man der Kaiserin soeben mitgeteilt hatte. Elisabeth war damals noch ohne Allianz und schwankte zwischen der des Königs von Preußen und der des österreichischen Hauses – jede von beiden hatte ihre Parteigänger. Die Kaiserin hatte dieselben Beschwerden gegen Oesterreich wie gegen Frankreich geführt. Mit letzterem war der König von Preußen verbunden, und Marquis Botta, der Gesandte des Wiener Hofes, mußte wegen übler Nachrede über die Kaiserin Rußland verlassen, was man seinerzeit als eine Verschwörung darzustellen suchte. Aus ähnlichen Ursachen war auch der Marquis de La Chétardie fortgeschickt worden. Ich kenne den Zweck dieser Unterredung zwar nicht, aber meine Mutter schien große Hoffnungen daraus zu schöpfen, denn sie sah sehr befriedigt darauf zurück. Sie neigte sich damals durchaus nicht auf die Seite Oesterreichs. Was mich betrifft, so war ich bei all diesen Dingen ein sehr passiver, sehr diskreter und fast gleichgültiger Zuschauer.

Nach Ostern, als der Frühling eingekehrt war, erklärte ich der Gräfin Rumianzoff mein Verlangen, reiten zu lernen, und sie verschaffte mir von der Kaiserin die Erlaubnis dazu. Beim Wechsel der Jahreszeit aber begann ich wieder Brustschmerzen zu fühlen; überhaupt war ich nach der Brustfellentzündung sehr matt geblieben. Die Aerzte rieten mir daher, jeden Morgen heiße Milch und Selterwasser zu trinken. Im Hause der Rumianzoff, in der Kaserne des Regiments Ismailofski, nahm ich meine erste Reitstunde. Ich hatte zwar schon öfters in Moskau auf einem Pferde gesessen, aber sehr schlecht.

Im Mai bezog die Kaiserin mit dem Großfürsten den Sommerpalast. Meiner Mutter und mir wies man ein steinernes Gebäude an, welches damals an der Fontanka lag, nahe beim Hause Peters I. Meine Mutter bewohnte darin den einen Flügel und ich den andern. Hier hörten alle Aufmerksamkeiten des Großfürsten für mich auf. Er ließ mir ganz einfach durch seinen Bedienten sagen, daß er zu weit von mir entfernt wohne, um mich oft besuchen zu können, und nur zu gut fühlte ich, wie wenig ihm daran lag, aber auch wie wenig Zuneigung ich selbst für ihn empfand. Meine Eigenliebe und Eitelkeit seufzten wohl im stillen, doch ich war zu stolz, um mich zu beklagen, denn ich würde es als eine Erniedrigung betrachtet haben, wenn man mir Freundschaft bewiesen, die ich hätte für Mitleid nehmen müssen. Wenn ich aber allein war, vergoß ich viele Tränen, trocknete sie dann ganz heimlich und begann mit meinen Damen zu scherzen. Auch meine Mutter behandelte mich sehr kalt und förmlich, obgleich ich nie unterließ, mehrere Male am Tage zu ihr zu gehen. Im Grunde fühlte ich eine große Einsamkeit in mir, aber ich hütete mich, davon zu sprechen. Eines Tages indes bemerkte Fräulein Jukoff meine Tränen und fragte mich nach der Ursache. Ohne ihr die wahren Gründe mitzuteilen, gab ich ihr eine ausweichende Antwort. Mehr als je bemühte ich mich, die Zuneigung aller zu gewinnen; groß und klein, niemand wurde von mir vernachlässigt. Ich machte es mir zur Pflicht, zu denken, daß ich Aller einmal bedürfen könnte, und wollte daher alles tun, mir Wohlwollen zu erwerben, was mir in der Tat auch gelang. Nach einem Aufenthalt von wenigen Tagen im Sommerpalast, wo man von den Vorbereitungen zu meiner Hochzeit zu sprechen anfing, siedelte der Hof nach Peterhof über. Hier wohnten wir näher beisammen, als in der Stadt.

Die Kaiserin und der Großfürst bewohnten den oberen Teil des Hauses, welches Peter I. gebaut hatte, meine Mutter und ich hatten die unteren Gemächer des Großfürsten inne. Wir dinierten jeden Tag mit ihm unter einem Zelte auf der offenen, an seine Wohnung stoßenden Galerie, des Abends aber speiste er bei uns. Die Kaiserin war sehr oft abwesend, indem sie bald dieses, bald jenes ihrer Landhäuser besuchte. Wir gingen viel spazieren, unternahmen fleißig Spazierritte und Wagenfahrten. Damals wurde es mir erst recht klar, daß die ganze Umgebung des Großfürsten, und besonders seine Lehrer, alle Achtung und Autorität bei ihm verloren hatten. Die militärischen Spiele, die er früher nur heimlich ausübte, führte er jetzt gewissermaßen in ihrem Beisein aus. Graf Brummer und sein erster Lehrer sahen ihn fast nur noch bei öffentlichen Gelegenheiten. Die ganze übrige Zeit brachte er buchstäblich in der Gesellschaft von Kammerdienern zu, mit für sein Alter unerhörten Kindereien, denn er spielte mit Puppen.

Meine Mutter benutzte die häufige Abwesenheit der Kaiserin dazu, in den umliegenden Landhäusern, besonders aber beim Prinzen und der Prinzessin von Hessen-Homburg, zu soupieren. Eines Abends, als sie eben dorthin geritten war, reizte mich das schöne Wetter, mein Zimmer, welches mit dem Garten in gleicher Höhe lag und aus dem eine Tür hinausführte, zu verlassen. Ich schlug meinen Kammerfrauen und meinen drei Ehrendamen vor, einen Spaziergang im Garten zu machen. Und es kostete keine Mühe, sie zu überreden. Wir waren unserer acht, mein Kammerdiener der neunte, außerdem folgten uns zwei Bediente. Auf die unschuldigste Weise von der Welt spazierten wir bis Mitternacht umher. Nach der Rückkehr meiner Mutter jedoch hatte Fräulein Schenk, die uns nicht hatte begleiten wollen und über unsern Spaziergang brummte, nichts eiligeres zu tun, als derselben zu melden, daß ich trotz ihrer Vorstellungen hinausgegangen sei. Meine Mutter ging zu Bett, und als ich mit meiner Begleitung zurückkam, sagte mir Fräulein Schenk mit triumphierender Miene, meine Mutter habe zweimal fragen lassen, ob ich wieder da sei, weil sie mit mir sprechen wolle, da es aber so spät sei und sie müde geworden, mich zu erwarten, sei sie zu Bett gegangen. Ich eilte sofort zu ihr, fand indes die Tür verschlossen. Ich sagte darauf Fräulein Schenk, daß sie mich doch hätte rufen lassen können, sie aber behauptete, nicht gewußt zu haben, wo wir uns befanden. Dies alles hatte weiter keinen andern Zweck, als mich in Zänkereien zu verwickeln und mich auszuschelten. Das merkte ich nur zu gut und ging aufgeregt schlafen. Am folgenden Morgen, gleich nachdem ich aufgestanden war, ging ich zu meiner Mutter, die noch im Bett lag. Ich näherte mich ihr, um ihr die Hand zu küssen, doch zürnend zog sie dieselbe zurück und schalt mich schrecklich aus, daß ich gewagt, am Abend ohne ihre Erlaubnis spazieren zu gehen. Als ich erwiderte, sie sei nicht zu Hause gewesen, erklärte sie, es sei überhaupt eine unpassende Zeit, und tausend andere Dinge, scheinbar um mir die Lust zu nächtlichen Spaziergängen zu nehmen. Sicherlich war unser Spaziergang eine Unvorsichtigkeit gewesen, doch die unschuldigste Sache von der Welt. Was mich am meisten betrübte, war die Beschuldigung, wir seien in den Gemächern des Großfürsten gewesen. Ich erklärte dies für eine abscheuliche Verleumdung, worüber sie vor Zorn fast außer sich geriet. Es half mir nichts, daß ich auf die Knie fiel, ihren Unwillen zu beschwichtigen, denn das alles, sagte sie, sei nur Komödie, und jagte mich aus dem Zimmer. Weinend kehrte ich in meine Gemächer zurück. Zur Essenszeit ging ich indes mit meiner Mutter, die immer noch sehr aufgebracht war, zum Großfürsten hinauf. Er fragte mich, was mir fehle, da meine Augen vom Weinen noch ganz rot wären. Ich erzählte ihm einfach, was geschehen, und diesmal ergriff er meine Partei und klagte meine Mutter der Laune und Heftigkeit an. Ich bat ihn jedoch, nicht mit ihr davon zu reden, und er folgte meinem Rat, so daß ihr Zorn allmählich vorüberging, aber sie behandelte mich fortwährend mit großer Kälte. Ende Juli kehrten wir von Peterhof in die Stadt zurück, wo alles sich auf die Hochzeitsfeier vorbereitete.

Endlich wurde der 21. August von der Kaiserin Elisabeth für diese Zeremonie festgesetzt. Je näher der Tag kam, desto tiefer wurde mein Trübsinn. Mein Herz sagte mir kein großes Glück voraus: nur der Ehrgeiz hielt mich aufrecht. Im Grunde meines Herzens fühlte ich ein geheimes Etwas, welches mich nie einen Augenblick zweifeln ließ, daß ich früher oder später souveräne Kaiserin von Rußland in eigener Machtvollkommenheit werden würde.

Die Hochzeit ging mit viel Glanz und Pomp vor sich. Abends fand ich in meinem Zimmer Madame Kruse, die Schwester der ersten Kammerfrau der Kaiserin, welche diese mir als erste Kammerfrau beigegeben hatte. Schon am nächsten Tage aber merkte ich, daß diese Frau alle meine Mädchen in Furcht hielt, denn als ich mich einer von ihnen näherte, um mit ihr zu reden, sagte sie ängstlich zu mir: »Um Gottes willen, kommen Sie mir nicht zu nahe, man hat uns verboten, halblaut mit Ihnen zu sprechen.« Anderseits bekümmerte sich mein lieber Gemahl durchaus nicht um mich, sondern war fortwährend mit dem Einexerzieren seiner Diener beschäftigt, die er in seinem Zimmer einübte, wobei er zwanzigmal in einem Tage die Uniform wechselte. Da ich mit niemand sprechen konnte, gähnte ich, langweilte mich, oder war bei öffentlichen Festlichkeiten zugegen. Am dritten Tag nach meiner Hochzeit, der ein Ruhetag sein sollte, ließ mir die Gräfin Rumianzoff sagen, daß die Kaiserin sie ihrer Stellung bei mir enthoben habe, und sie deshalb in ihr Haus zu ihrem Gemahl und ihren Kindern zurückkehre. Ich bedauerte diese Nachricht nicht allzusehr, denn unser Verhältnis war stets ein gespanntes gewesen.

Die Hochzeitsfeierlichkeiten dauerten zehn Tage. Dann bezogen wir, der Großfürst und ich, den Sommerpalast, wo die Kaiserin wohnte. Schon begann man von der Abreise meiner Mutter zu sprechen, die ich seit meiner Verheiratung seltener sah. Sie war übrigens seit dieser Zeit weit freundlicher gegen mich. Gegen Ende September reiste sie ab. Der Großfürst und ich begleiteten sie bis Krasnoie-Selo. Ihre Abreise betrübte mich aufrichtig, und ich weinte viel. Nachdem sie fort war, kehrten wir in die Stadt zurück. Bei meiner Ankunft im Schloß fragte ich nach Fräulein Jukoff, und man sagte mir, sie sei zu ihrer Mutter gegangen, welche krank geworden wäre. Am nächsten Tag dieselbe Frage meinerseits, die gleiche Antwort von meinen Frauen. Gegen Mittag zog die Kaiserin mit großem Pomp aus dem Sommerpalast in den Winterpalast, und wir folgten ihr in ihre Gemächer. In ihrem Paradeschlafzimmer angelangt, blieb sie stehen und begann nach einigen gleichgültigen Bemerkungen von der Abreise meiner Mutter zu sprechen, indem sie mich freundlich aufforderte, meinen Schmerz darüber zu bezwingen. Aber ich glaubte aus den Wolken zu fallen, als sie mir in Gegenwart von etwa dreißig Personen sagte, daß sie auf Bitten meiner Mutter Fräulein Jukoff entlassen habe, weil meine Mutter fürchtete, ich möchte eine zu große Zuneigung zu einem Mädchen fassen, welches dieselbe so wenig verdiene. Hierauf begann sie mit auffallender Lebhaftigkeit von der armen Jukoff zu sprechen.

Natürlich war ich durchaus nicht von dieser Szene erbaut, noch von den Gründen Ihrer Majestät, sondern tief betrübt über das Unglück des Fräulein Jukoff, die einzig und allein deshalb vom Hofe entfernt wurde, weil sie mir durch ihr geselliges Wesen besser zusagte, als meine andern Frauen. Und warum, fragte ich mich, hat man sie mir denn erst gegeben, wenn sie ihrer Stellung nicht würdig war? Meine Mutter konnte sie nicht kennen, konnte nicht einmal mit ihr sprechen, da sie nicht russisch verstand und die Jukoff keine andere Sprache kannte; folglich mußte sie sich nur an das alberne Gerede der Schenk halten, die kaum gesunden Menschenverstand hatte. Dies Mädchen leidet für mich, dachte ich, deshalb darf ich es nicht in ihrem Unglück verlassen, dessen Ursache nur meine Zuneigung zu ihm war. Ich bin indes niemals imstande gewesen, zu entdecken, ob meine Mutter die Kaiserin wirklich gebeten hatte, jene Dame von mir zu entfernen. Wenn sie es dennoch getan, so muß meine Mutter den Weg der Milde dem der Heftigkeit vorgezogen haben, denn niemals hat sie über diesen Gegenstand ein Wort mit mir gesprochen. Uebrigens hätte ein Wort von ihr genügt, mich wenigstens auf eine im Grunde sehr unschuldige Zuneigung aufmerksam zu machen. Anderseits hätte auch die Kaiserin in einer etwas weniger schroffen Weise eingreifen können. Das Mädchen war jung; es hätte nur an ihr gelegen, eine passende Partie für sie zu finden, was sehr leicht gewesen wäre; aber statt dessen geschah, was ich erzählt habe.

Nachdem die Kaiserin uns verabschiedet hatte, gingen wir, der Großfürst und ich, in unsere Gemächer. Auf dem Wege dahin merkte ich, daß Elisabeth ihren Herrn Neffen von dem Vorgefallenen in Kenntnis gesetzt hatte. Ich gab ihm aber trotzdem meine Einwürfe dagegen zu verstehen und ließ ihn fühlen, daß das Mädchen unglücklich sei, einzig und allein, weil man argwöhnte, ich empfinde für sie eine besondere Vorliebe. Auch sagte ich ihm, daß ich, da sie aus Liebe zu mir litt, es für meine Pflicht hielt, sie nicht zu verlassen, so weit dies von mir abhinge. Ich schickte ihr deshalb sofort durch meinen Kammerdiener etwas Geld, doch er kam mit der Nachricht zurück, daß sie schon mit ihrer Mutter und Schwester nach Moskau abgereist sei. Darauf befahl ich, ihr das Geld durch ihren Bruder, einem Gardesergeanten, zukommen zu lassen, aber auch er hatte Befehl erhalten, sich mit seiner Frau zu entfernen, und war in einem Landregimente als Offizier angestellt worden. Noch heute ist es mir unmöglich, einen annehmbaren Grund für das alles zu entdecken, und mir scheint es fast, daß man ohne Veranlassung, allein aus Kaprice, ohne einen Schimmer von Vernunft, ja selbst ohne allen Vorwand Unrecht tat. Doch blieb es dabei nicht! Durch meinen Kammerdiener und andere Leute suchte ich eine passende Partie für Fräulein Jukoff zu finden. Man schlug mir einen Gardeunterleutnant aus adeliger Familie mit ziemlich viel Vermögen vor. Er reiste nach Moskau, um sich mit ihr, wenn sie ihm gefiele, zu vermählen, heiratete sie auch und wurde Leutnant in einem Landregimente. Sobald die Kaiserin aber davon hörte, verbannte sie beide nach Astrachan. Für eine solch hartnäckige Verfolgung Gründe zu finden, ist schwer.

Im Winterpalast bewohnten wir die Gemächer, welche wir schon früher innegehabt hatten. Die des Großfürsten waren von den meinigen durch eine mächtige Treppe getrennt, die auch zu den Zimmern der Kaiserin führte. Um zu ihm oder zu mir zu gelangen, mußte man den Vorplatz dieser Treppe überschreiten, was zumal im Winter nicht eben bequem war. Dennoch machten wir diesen Weg jeden Tag ein paarmal. Abends ging ich zum Spiel mit dem Kammerherrn Berkholz in sein Vorzimmer, während der Großfürst im andern Zimmer mit seinen Kavalieren herumtollte. Mein Billardspiel wurde jedoch bald durch den Rücktritt der Herren Brummer und Berkholz, welche die Kaiserin Ende des Winters 1746 aus dem Dienste des Großfürsten entließ, unterbrochen. Der Winter ging dahin mit Maskenbällen in den vornehmsten Häusern der Stadt, die damals alle sehr klein waren, woran aber der Hof und alle Honoratioren regelmäßig teilnahmen.

Den letzten dieser Bälle gab der Oberpolizeimeister Tatistscheff in einem der Kaiserin gehörenden Hause, das den Namen Smolloy Dworetz führte. Der mittlere Teil dieses ganz aus Holz gebauten Hauses war durch eine Feuersbrunst zerstört worden und nur die aus je zwei Etagen bestehenden Flügel waren stehen geblieben. In dem einen tanzte und in dem andern soupierte man. Um aber zum Souper zu gehen, mußte man den beschneiten Hof durchschreiten, noch dazu im kältesten Monat, im Januar. Nach der Tafel galt es, denselben Weg wieder zurückzulegen. Als wir von diesem Balle nach Hause kamen, legte sich der Großfürst sofort zu Bett, aber am folgenden Morgen erwachte er mit den heftigsten Kopfschmerzen, die ihn verhinderten, aufzustehen. Ich ließ sofort die Aerzte rufen, welche erklärten, es sei ein hitziges Fieber. Gegen Abend brachte man ihn dann in mein Audienzzimmer, wo man ihn, nachdem ihm zur Ader gelassen worden, auf ein besonders dazu aufgeschlagenes Lager legte. Er befand sich sehr schlecht, und man ließ ihn wiederholt zur Ader. Die Kaiserin kam mehrmals des Tages zu ihm und bewies mir große Teilnahme, als sie mich weinen sah. Eines Abends, als ich eben die Abendgebete in einem kleinen Betstuhl nahe bei meinem Toilettenzimmer las, trat Madame Ismailoff, die in großer Gunst bei der Kaiserin stand, ein. Sie sagte, die Kaiserin, die mich wegen der Krankheit des Großfürsten betrübt wisse, habe sie geschickt, um mir zu sagen, ich solle Zuversicht zu Gott haben, mich nicht grämen und überzeugt sein, daß sie mich nie verlassen werde. Darauf fragte sie mich, was ich lese. Ich erwiderte: »Die Abendgebete«. Sie erklärte, ich würde mir die Augen verderben, wenn ich bei Licht so kleine Buchstaben läse, worauf ich sie bat, Ihrer kaiserlichen Majestät für ihre Freundlichkeit zu danken. Wir trennten uns aufs herzlichste, sie um ihre Botschaft zu berichten, ich, um mich schlafen zu legen. Am folgenden Morgen schickte mir die Kaiserin ein Gebetbuch mit großen Buchstaben, um, wie sie sagte, meine Augen zu schonen.

Obwohl das Zimmer des Großfürsten an das meinige stieß, betrat ich es nur, wenn ich nicht überflüssig zu sein glaubte, denn ich bemerkte, daß ihm nicht viel an meiner Anwesenheit lag. Ihm war die Gesellschaft seiner Umgebung lieber, die mir durchaus nicht gefiel. Außerdem war ich nicht gewöhnt, allein unter Männern zu verkehren. Inzwischen kam die Fastenzeit heran und ich unterzog mich während der ersten Wochen den religiösen Uebungen, umsomehr, da ich gerade damals besonders zu dergleichen aufgelegt war. Ich sah deutlich, daß der Großfürst mich nicht liebte. Vierzehn Tage nach meiner Hochzeit hatte er mir von neuem anvertraut, daß er in Fräulein Carr, eine Ehrendame Ihrer Majestät, die später einen Fürsten Galitzin, den Stallmeister der Kaiserin, heiratete, verliebt sei. Dem Grafen Devierre, seinem Kammerherrn, hatte er gesagt, diese Dame sei gar nicht mit mir zu vergleichen. Und als Devierre das Gegenteil behauptete, hatte er sich mit ihm erzürnt. Diese Szene war gewissermaßen in meiner Gegenwart vor sich gegangen, und ich mußte nun ihr Schmollen mit ansehen. In der Tat sagte ich mir, daß ich mit dem Menschen sehr unglücklich werden müsse, wenn ich mich Gefühlen der Zärtlichkeit für ihn hingebe, die er so schlecht erwidere, und daß ich ohne Nutzen für irgend jemand vor Eifersucht sterben könne. So versuchte ich denn, meine Eigenliebe zu bezwingen und nicht auf einen solchen Mann eifersüchtig zu sein; aber dafür gab es nur ein Mittel: ihn nicht lieben. Wenn er hätte geliebt sein wollen, so wäre dies nicht schwer für mich gewesen; ich war von Natur geneigt, meine Pflichten zu erfüllen, aber ich hätte einen Gemahl haben müssen, der gesunden Menschenverstand besaß, und den hatte Peter nicht.



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