Katharina II. von Rußland
Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
Katharina II. von Rußland

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Achtes Kapitel.

Schlimme Geschichte, in die der Großfürst verwickelt ist. – Eine Verhaftung. – Rückkehr nach Petersburg. – Gefährliche Operation. – Tschoglokoff arrangiert einige Spielgesellschaften. – Die Prinzessin von Kurland. – Der Großfürst bringt ihr viel mehr Aufmerksamkeit entgegen. – Die beiden Schwestern Woronzow. – Der Großfürst weigert sich, ein Bad zu nehmen. – Feier des Namensfestes des Favoriten der Kaiserin. – Aufenthalt in Zarskoje Selo. – Der Großfürst macht der Prinzessin von Kurland öffentlich den Hof. – Unglaubliche Roheit des Großfürsten gegen mich. – Fataler Peitschenhieb. – Frische Austern aus Holstein.

Zu Anfang des Winters bemerkte ich im Wesen des Großfürsten eine große Unruhe. Ich wußte nicht, was dies zu bedeuten hatte. Er dressierte seine Hunde nicht mehr, kam zwanzigmal am Tage in mein Zimmer, hatte ein verstörtes Aussehen, war träumerisch und zerstreut, kaufte sich deutsche Bücher: aber was für Bücher! Ein Teil bestand aus lutherischen Gebetbüchern, der andere aus Geschichten und Prozessen von Straßenräubern, die man gehängt oder gerädert hatte. Beides las er abwechselnd, wenn er nicht mit der Violine beschäftigt war. Da er aber gewöhnlich das, was er auf dem Herzen hatte, nicht lange bei sich behielt und mit niemand außer mir darüber sprechen konnte, wartete ich geduldig seine Geständnisse ab.

Eines Tages entdeckte er mir denn auch endlich, was ihn quälte, und diesmal fand ich, daß es eine bei weitem ernstere Angelegenheit war, als ich vorausgesetzt hatte. Fast während des ganzen Sommers, wenigstens während des Aufenthaltes in Rajowa, hatte ich den Großfürsten sozusagen nur bei Tisch und im Bett gesehen. Er legte sich meist nieder, nachdem ich schon eingeschlafen, und stand auf, ehe ich erwacht war; die übrige Zeit verbrachte er auf der Jagd oder mit Zurüstungen für dieselbe. Tschoglokoff hatte nämlich unter dem Vorwande, den Großfürsten zu amüsieren, vom Oberjägermeister zwei Meuten erhalten, eine von russischen, die andere von französischen und deutschen Jagdhunden. Zur letzteren gehörten ein französischer Vorreiter und ein kurländischer und deutscher Bursche. Da Tschoglokoff sich der Leitung der russischen Meute bemächtigt hatte, nahm der Großfürst die fremde auf sich, um welche sich Tschoglokoff nicht im geringsten kümmerte. Beide beschäftigten sich nun mit den kleinsten Details des ihnen zugefallenen Teils, infolgedessen der Großfürst beständig ins Hundehaus ging, oder die Jäger zu ihm kamen, um ihn von dem Zustand der Meute, ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen zu unterhalten. Kurz, um es gerade heraus zu sagen, er ließ sich mit diesen Leuten ein, frühstückte und trank mit ihnen auf der Jagd und war immer in ihrer Mitte. Zu jener Zeit stand das Regiment Butirski in Moskau, in dem sich auch ein Leutnant Nakoff Baturin befand, ein Spieler und anerkannter Taugenichts, der bis über den Kopf in Schulden steckte, übrigens aber ein sehr entschlossener Mensch war. Ich weiß nicht auf welche Weise oder durch welchen Zufall dieser Mensch mit den Jägern der französischen Meute des Großfürsten bekannt wurde, aber ich glaube, sie waren zusammen in oder bei dem Dorfe Mutistscha oder Alexejewski einquartiert gewesen. Soviel jedoch ist gewiß, daß die Jäger dem Großfürsten einst mitteilten, in dem Regiment Butirski sei ein Leutnant, der große Ergebenheit gegen Seine kaiserliche Hoheit an den Tag lege und erklärt habe, das ganze Regiment denke wie er. Der Großfürst hörte diesen Bericht mit Wohlgefallen an und verlangte von den Jägern Einzelheiten über das Regiment zu erfahren. Man berichtete ihm viel Uebles von den Oberbefehlshabern, viel Gutes indes von den Subalternen. Endlich ließ Baturin – immer durch die Jäger – den Großfürsten um eine Audienz auf der Jagd bitten, worauf der Großfürst anfangs zwar nicht einging, später aber doch dareinwilligte. Als er nun eines Tages jagte, erwartete ihn Baturin verabredetermaßen an einer verborgenen Stelle. Sowie er den Großfürsten erblickte, stürzte er ihm zu Füßen und schwor, er erkenne keinen andern Herrn als ihn an und werde alles tun, was er ihm befehle. Der Großfürst sagte mir, daß er, als er diesen Eid vernommen, tödlich erschrocken wäre, seinem Pferde die Sporen gegeben und jenen auf den Knien im Walde liegen gelassen habe, und die Jäger, welche ihm voran ritten, hätten nicht gehört, was Baturin gesprochen. Eine andere Berührung, behauptete er, habe mit diesem Menschen nicht stattgefunden, ja er habe sogar seinen Jägern geraten, sich zu hüten, daß sie Baturin nicht ins Unglück stürze. Seine gegenwärtige Besorgnis galt hauptsächlich der Tatsache, daß, einer Mitteilung der Jäger zufolge, Baturin verhaftet und nach Preobraschenskoje gebracht worden war, wo sich die geheime Kanzlei befand, welche die Staatsverbrechen untersuchte. Seine kaiserliche Hoheit zitterte nun nicht allein für die Jäger, sondern fürchtete, selbst kompromittiert zu werden. Was die ersteren betraf, so erfüllten sich seine Befürchtungen nur zu bald, denn nach einigen Tagen erfuhr er, daß sie verhaftet und ebenfalls nach Preobraschenskoje gebracht worden seien. Ich suchte seine Angst ein wenig zu mindern und stellte ihm vor, daß, wenn er wirklich keine andere als die erwähnte Unterredung gehabt, es mir höchstens als eine Unklugheit seinerseits erscheine, sich mit schlechter Gesellschaft abgegeben zu haben. Ob er mir indes wirklich die volle Wahrheit gesagt, weiß ich nicht, doch habe ich Grund, zu glauben, daß er die etwa stattgefundenen Unterredungen als zu unwichtig schilderte, denn er sprach mit mir über diese Angelegenheiten nur in abgebrochenen Sätzen und gleichsam wider Willen. Es konnte aber vielleicht auch seine übermäßige Furcht sein, welche eine solche Wirkung auf ihn hervorbrachte. Bald darauf teilte er mir mit, mehrere der Jäger seien wieder in Freiheit gesetzt worden, jedoch mit dem Befehl, über die Grenze gebracht zu werden, und hätten ihm sagen lassen, sein Name sei nicht genannt, worüber er vor Freude außer sich war. Er beruhigte sich nun vollkommen und man berührte die Sache nicht weiter. Was Baturin betrifft, so wurde er schuldig befunden. Ich habe weder etwas von seinem Prozeß gelesen, noch gesehen, nur brachte ich in Erfahrung, daß er nichts weniger beabsichtigte, als die Kaiserin zu töten, den Palast anzuzünden und während der dadurch hervorgerufenen Panik und allgemeinen Verwirrung den Großfürsten auf den Thron zu setzen. Er wurde, nachdem man ihn gefoltert hatte, verurteilt, den Rest seiner Tage in der Festung Schlüsselburg zu verbringen. Während meiner Regierung versuchte er zu entkommen, worauf er nach Kamtschatka verbannt wurde. Von dort entfloh er mit Benjowski und fand seinen Tod, als er unterwegs die Insel Formosa im Stillen Ozean plünderte.

Am 15. Dezember begaben wir uns von Moskau nach Petersburg. Wir reisten Tag und Nacht im offenen Schlitten, sodaß ich auf der Hälfte des Wegs wieder von heftigen Zahnschmerzen geplagt wurde. Trotzdem gab der Großfürst nicht zu, den Schlitten zu schließen. Nur widerwillig erlaubte er mir, den Vorhang ein wenig zuzuziehen, um mich wenigstens vor dem feuchtkalten Winde, der uns entgegenwehte, zu schützen. Endlich erreichten wir Zarskoje Selo, wo die Kaiserin, die wie gewöhnlich uns vorauseilte, schon eingetroffen war. Gleich nachdem ich ausgestiegen, zog ich mich in die für mich bestimmten Gemächer zurück, schickte nach dem Arzt Ihrer Majestät, Boerhave – dem Neffen des berühmten Mediziners – und bat ihn, mir den Zahn, der mich seit vier oder fünf Monaten quälte, ausziehen zu lassen. Nur mit Mühe konnte ich seine Einwilligung dazu erlangen, da er mich aber fest entschlossen sah, ließ er endlich meinen Chirurgen Gyon holen. Ich setzte mich auf die Erde, Boerhave auf die eine, Tschoglokoff auf die andere Seite, und Gyon zog mir den Zahn. Aber kaum hatte er angesetzt, als mir aus dem Munde Ströme von Blut stürzten; meine Augen tränten und in der Nase lief mir das Wasser zusammen, so daß Boerhave entrüstet ausrief: »Der Tölpel!« und sich den Zahn geben ließ. – »Das war es, was ich befürchtete, und weshalb ich nicht wollte, daß er ausgezogen würde!« rief er von neuem. Gyon hatte ein Stück Kinnbacke mit ausgerissen. Während dieses Vorfalls war die Kaiserin an die Türe meines Zimmers gekommen, und man sagte mir später, daß sie bis zu Tränen gerührt gewesen sei. Man brachte mich zu Bett, und mehr als vier Wochen war ich leidend, auch in der Stadt, wohin wir, trotz meines Zustandes, am nächsten Morgen im offenen Schlitten aufbrachen. Da die fünf Finger Gyons in blauen und gelben Flecken auf meiner Wange sichtbar waren, verließ ich mein Zimmer nicht vor Mitte Januar 1750.

Am Neujahrstage, als ich mich frisieren lassen wollte, sah ich, daß der Friseurgehilfe, ein Kalmücke, den ich hatte erziehen lassen, auffallend rot im Gesicht war, während seine Augen sonderbar glänzten. Ich fragte ihn, was ihm fehle, worauf er mir erwiderte, er leide an heftigem Kopfweh und Fieberhitze. Sofort schickte ich ihn mit der Weisung weg, sich zu Bett zu legen, weil er in der Tat seine Aufgabe nicht mehr erfüllen konnte. Er entfernte sich, und am Abend meldete man mir, daß die Pocken bei ihm ausgebrochen seien. Mich ergriff natürlich sofort eine schreckliche Angst, ebenfalls die furchtbare Krankheit zu bekommen, allein ich wurde verschont, obgleich er mein Haar gekämmt hatte.

Die Kaiserin blieb während des größten Teils des Karnevals in Zarskoje Selo. Petersburg war wie ausgestorben; die meisten, die sich dort aufhielten, fesselte nur die Pflicht, niemand blieb aus Neigung. Denn wenn der Hof von Moskau nach Petersburg zurückkehrte, beeilten sich alle Hofleute, um ein Jahr, um sechs Monate, oder wenigstens um einige Wochen Urlaub nachzusuchen, nur um noch ein wenig in Moskau bleiben zu können. Beamte, Senatoren taten dasselbe, und wenn sie fürchteten, keine Erlaubnis zu erhalten, dann gab es Krankheiten, erdichtete oder wirkliche, von Männern, Frauen, Vätern, Brüdern, Müttern, Schwestern, Kindern, oder Prozesse, oder sonstige notwendig zu ordnende Angelegenheiten. Kurz, sechs Monate und zuweilen mehr vergingen, ehe Hof und Stadt wieder wurden, was sie vor der Abreise des Hofes gewesen waren. Während seiner Abwesenheit wuchs das Gras in den Straßen von Petersburg, weil fast kein einziger Wagen darüber hinfuhr. Bei diesem Stande der Dinge konnte man also nicht auf viele Gesellschaft hoffen, besonders wir nicht, weil man uns nur wenig auszugehen gestattete. Während dieser Zeit sann Tschoglokoff darauf, wie er uns am besten unterhalten könnte. Oder besser, da er selbst und seine Frau nicht wußten, was vor Langeweile anfangen, lud er den Großfürsten und mich ein, alle Nachmittage in den Gemächern, welche er am Hofe bewohnte, und die aus vier oder fünf ziemlich kleinen Zimmern bestanden, mit ihnen zu spielen. Außer uns waren noch die Hofkavaliere und Hofdamen, sowie die Prinzessin von Kurland, die Tochter Herzogs Ernst Johann Biron, des ehemaligen Favoriten der Kaiserin Anna, anwesend. Die Kaiserin Elisabeth hatte den Herzog aus Sibirien zurückgerufen, wohin er unter der Regentschaft der Prinzessin Anna verbannt worden war, und nun lebte er mit seiner Frau, seinen Söhnen und seiner Tochter in Jaroslaw. Diese Tochter war weder schön, noch hübsch, noch wohlgebaut, sie war im Gegenteil bucklig und klein. Aber sie hatte schöne Augen, viel Geist und außerordentliche Anlagen zur Intrige. Ihre Eltern liebten sie nicht, und sie behauptete, daß sie sie fortwährend mißhandelten. Eines schönen Tages lief sie denn auch aus dem elterlichen Hause fort und entfloh zu der Gemahlin des Woiwoden von Jaroslaw, Madame Puschkin. Diese, hocherfreut, sich bei Hofe wichtig machen zu können, brachte sie nach Moskau. Sie wandte sich an Madame Schuwaloff, und die Flucht der Prinzessin von Kurland aus ihrem väterlichen Hause wurde als eine Folge der schlechten Behandlung von seiten ihrer Eltern hingestellt, weil sie das Verlangen geäußert, zur griechischen Religion überzutreten. Wirklich war das erste, was sie bei Hofe tat, die Ablegung ihres Glaubensbekenntnisses, wobei die Kaiserin Taufpate war. Darauf wies man der Prinzessin eine Wohnung bei den Ehrendamen an. Tschoglokoff bemühte sich eifrig, ihr Aufmerksamkeiten zu erweisen, weil ihr älterer Bruder sein Glück begründet hatte, indem er ihn aus dem Kadettenkorps, wo Tschoglokoff erzogen wurde, in die Garde zu Pferd versetzte und ihn als Ordonnanz behielt. Anfangs benahm sich die Prinzessin von Kurland, die auf diese Weise mit uns in Berührung kam und jeden Tag mehrere Stunden mit dem Großfürsten, Tschoglokoff und mir Trisett spielte, mit der größten Zurückhaltung. Sie hatte ein sehr einnehmendes Wesen und ihr Geist ließ ihr unangenehmes Aeußere vergessen, besonders wenn sie saß. Für jeden hatte sie einige Worte übrig, die ihm gefallen mußten; alle betrachteten sie als eine interessante Waise, übrigens aber als eine Person ohne Einfluß. In den Augen des Großfürsten aber besaß sie ein anderes, nicht weniger großes Verdienst: sie war eine fremde Prinzessin, und mehr noch, eine Deutsche; folglich sprach er nur Deutsch mit ihr, was ihr in seinen Augen besonderen Reiz verlieh. Kurz, er erwies ihr soviel Aufmerksamkeiten, als er dessen fähig war. Wenn sie in ihren Zimmern dinierte, schickte er ihr kostbare Weine und verschiedene Lieblingsgerichte von seinem Tisch, und erfand er eine neue Grenadiermütze oder ein Bandelier, dann schickte er ihr auch diese, um sie ihr zu zeigen. Die Prinzessin von Kurland, die damals ungefähr vier- bis fünfundzwanzig Jahre alt sein mochte, war übrigens nicht die einzige Eroberung, welche der Hof in Moskau gemacht hatte. Auch die beiden Gräfinnen Woronzow, die Nichten des Vizekanzlers und Töchter des Grafen Roman Woronzow, seines jüngeren Bruders, hatte die Kaiserin herangezogen. Die ältere, Marie, zählte damals vierzehn Jahre und war unter die Ehrendamen der Kaiserin aufgenommen worden, die jüngere, Elisabeth, war erst elf Jahre alt; man gab sie mir. Es war ein sehr häßliches Kind, mit olivenfarbigem Teint, dazu im höchsten Grade unreinlich.

Gegen Ende des Karnevals kehrte Ihre Majestät in die Stadt zurück. In der ersten Fastenwoche hatten wir unsere religiösen Uebungen angefangen und Mittwoch abend sollte ich im Hause der Madame Tschoglokoff ein Bad nehmen. Am Abend vorher aber kam die letztere in mein Zimmer, wo sich auch der Großfürst befand, und meldete ihm den Befehl Ihrer Majestät, gleichfalls ein Bad zu nehmen. Doch die Bäder und andere russische Gewohnheiten und Landessitten waren dem Großfürsten nicht allein unangenehm, sondern er haßte sie tödlich. So erklärte er denn auch rund heraus, er werde es nicht tun. Sie, die ebenfalls hartnäckig war und in ihren Aeußerungen nicht die geringste Zurückhaltung kannte, erwiderte, das heiße, Ihrer kaiserlichen Majestät ungehorsam sein. Er jedoch behauptete, man dürfe ihm nicht befehlen, was seiner Natur widerstrebe, denn er wisse, daß, da er noch niemals ein Bad genommen, es ihm schaden werde; er wolle nicht sterben, das Leben sei ja das teuerste aller Güter, und die Kaiserin werde ihn nicht dazu zwingen. Madame Tschoglokoff antwortete, Ihre Majestät werde schon seinen Ungehorsam zu strafen wissen. Hierüber wurde er wütend und sagte heftig: »Ich werde abwarten, was sie tun wird, ich bin kein Kind mehr.« Nun fing die Tschoglokoff an zu drohen, die Kaiserin werde ihn auf die Festung schicken, worauf er bitterlich zu weinen begann. Sie sagten sich dann beide noch die beleidigendsten Grobheiten, welche je die Wut eingeben konnte, denn es fehlte ihnen wirklich an gesundem Menschenverstand. Endlich entfernte sich die Tschoglokoff, indem sie erklärte, sie werde diese Auseinandersetzung Ihrer kaiserlichen Majestät wörtlich wiederholen. Ich weiß nicht, ob dies geschah, aber sie kam wieder und begann über ein ganz anderes Thema zu sprechen. Unter anderm sagte sie, die Kaiserin sei sehr böse, daß wir keine Kinder hätten, und wolle wissen, an wem von uns beiden die Schuld liege; mir werde sie eine Hebamme und ihm einen Arzt schicken. Daran schlossen sich noch viele andere beleidigende Bemerkungen, die weder Zweck noch Ziel hatten, bis sie damit schloß, daß die Kaiserin uns unserer religiösen Uebungen für diese Woche enthebe, weil der Großfürst erklärt habe, das Bad schade seiner Gesundheit. Ich muß indes bemerken, daß ich während jener beiden Auseinandersetzungen den Mund nicht auftat, erstens, weil sie beide mit solcher Heftigkeit sprachen, daß ich nicht zu Worte kommen konnte, und zweitens, weil ich sah, daß auf der einen sowohl als auf der andern Seite der größte Mangel an Vernunft herrschte. Wie die Kaiserin darüber urteilte, ist mir unbekannt, aber gewiß ist, daß weder von dem einen, noch von dem andern der erwähnten Gegenstände weiter die Rede war.

Um Mittfasten begab sich die Kaiserin nach Gostilitza zum Grafen Razumowski, um sein Namensfest dort zu feiern, während sie uns mit ihren Ehrendamen und unserm gewöhnlichen Gefolge nach Zarskoje Selo schickte. Das Wetter war ungewöhnlich mild, ja fast warm, so daß schon am 17. März der Schnee von den Wegen verschwunden und Staub an seine Stelle getreten war. In Zarskoje Selo angekommen, gingen der Großfürst und Tschoglokoff auf die Jagd. Ich und meine Ehrendamen bewegten uns so viel als möglich im Freien, sowohl zu Fuß als zu Wagen, und am Abend wurden dann verschiedene kleine Spiele gespielt. Hier zeigte der Großfürst, besonders wenn er betrunken war – und er war es jeden Tag – eine entschiedene Neigung für die Prinzessin von Kurland. Er wich nicht von ihrer Seite, sprach nur mit ihr, kurz, die Intrige entwickelte sich offen vor meinen Augen und aller Welt, was meine Eitelkeit und Eigenliebe aufs höchste beleidigte, wenn ich bedachte, daß diese kleine Mißgestalt mir vorgezogen wurde. Eines Abends, als ich von Tische aufstand, sagte Madame Wladislawa zu mir, alle seien über die Bevorzugung der Buckligen entrüstet, worauf ich erwiderte: »Was tun?« Dabei traten mir aber auch schon die Tränen in die Augen und ich entfernte mich schnell, um schlafen zu gehen. Kaum war ich eingeschlafen, als der Großfürst kam. Da er betrunken war und nicht wußte, was er tat, weckte er mich, um mich von den ausgezeichneten Eigenschaften seiner Schönen zu unterhalten. Um ihn wenigstens zum Schweigen zu bringen, stellte ich mich, als ob ich fest schliefe. Er aber sprach nur noch lauter, um mich zu wecken, und als er sah, daß ich kein Zeichen des Wachseins gab, versetzte er mir zwei oder drei heftige Püffe mit der Faust in die Seite und schimpfte über meinen tiefen Schlaf. Dann wandte er sich um und schlief ein. Ich weinte die ganze Nacht über den Vorgang an sich, die Faustschläge, die er mir gegeben, überhaupt über meine in jeder Beziehung ebenso unangenehme als traurige Lage. Am folgenden Morgen schien er sich seines Benehmens ein wenig zu schämen, wenigstens sprach er nicht davon, und ich tat, als hätte ich nichts gemerkt. Zwei Tage später kehrten wir in die Stadt zurück, begannen in der letzten Fastenwoche unsere religiösen Uebungen von neuem, aber es war nicht mehr die Rede davon, daß der Großfürst ein Bad nehmen sollte.

Dafür begegnete ihm in dieser Woche etwas anderes, was ihm einige Verlegenheit bereitete. Er hatte sich nämlich in seinem Zimmer, wo er sich den ganzen Tag über auf die eine oder andere Weise umhertrieb, eines Nachmittags damit beschäftigt, mit einer großen Kutscherpeitsche, die er sich extra dazu hatte machen lassen, zu knallen, schlug damit rechts und links um sich und trieb seine Kammerdiener, die seinen Schlägen zu entgehen suchten, von einer Ecke zur andern. Wie es nun kam, daß er sich selbst einen heftigen Schlag auf die Backe gab, ist mir nicht bekannt, kurz, die Schramme ging über die ganze linke Seite seines Gesichtes und war bis aufs Blut sichtbar. Da er befürchtete, er werde Ostern nicht ausgehen können, und die Kaiserin werde ihm wegen seiner blutigen Wange wiederum die religiösen Uebungen untersagen, war er in großer Verlegenheit. Wenn sie außerdem die Ursache erführe, konnten ihm seine Uebungen mit der Peitsche einen unangenehmen Verweis zuziehen. In seiner bedrängten Lage hatte er daher nichts Eiligeres zu tun, als mich um Rat zu fragen, was er in ähnlichen Fällen nie unterließ. Ich sah ihn also mit der blutigen Backe eintreten und rief, als ich die Schramme bemerkte: »Mein Gott! was ist Ihnen begegnet?« Er erzählte mir dann, was vorgefallen war. Nachdem ich einen Augenblick überlegt, sagte ich: »Vielleicht gelingt es mir, Ihnen zu helfen. Zuerst gehen Sie in Ihr Zimmer und richten alles so ein, daß man Ihre Wange so wenig wie möglich sieht. Wenn ich das Nötige habe, will ich zu Ihnen kommen, und ich hoffe, daß niemand etwas bemerken wird.« Er entfernte sich, und ich schickte nach einer Salbe, die mir mein Arzt Gyon vor einigen Jahren einmal verschrieben hatte, als ich mir bei einem Fall im Garten von Peterhof die Backe verletzte. Diese Salbe enthielt eine Mischung von Bleiweiß, und nachdem ich die verletzte Stelle damit bedeckt, ging ich nach wie vor aus, ohne daß irgend jemand die Verletzung bemerkte. Man brachte mir also die Salbe, ich begab mich zum Großfürsten und legte sie so geschickt auf, daß er selbst, als er sich im Spiegel betrachtete, nichts davon sah. Am darauffolgenden Donnerstag gingen wir mit der Kaiserin in der großen Hofkirche zum Abendmahl und kehrten nach der Kommunion auf unsere Plätze zurück. Als Tschoglokoff, der sich uns näherte, um uns irgend etwas mitzuteilen, den Großfürsten, der mit seiner Wange gerade im Licht saß, anblickte, sagte er: »Wischen Sie sich doch Ihre Wange ab, Sie haben Pomade darauf.« Schnell aber wandte ich mich wie scherzend zum Großfürsten und rief: »Aber ich, Ihre Frau, verbiete es Ihnen, sie abzuwischen.« Darauf sagte der Großfürst zu Tschoglokoff: »Da sehen Sie, wie uns die Frauen behandeln; wir wagen nicht einmal uns abzuwischen, wenn sie es nicht wollen.« Tschoglokoff lachte und sagte: »Allerdings, eine echte Frauenlaune.« Dabei blieb es, und der Großfürst wußte mir in doppelter Beziehung Dank, erstens für die Salbe, die ihm von Nutzen war, und zweitens für meine Geistesgegenwart, die selbst bei Tschoglokoff nicht den geringsten Argwohn zurückließ.

Da ich die Osternacht durchwachen mußte, ging ich am Sonnabend vorher schon um fünf Uhr nachmittags zu Bett, um bis zu der Stunde zu schlafen, wo ich mich anzukleiden hatte. Kaum aber befand ich mich im Bett, als der Großfürst eilig hereinstürzte und mich aufforderte, unverzüglich aufzustehen, um Austern zu essen, die ganz frisch aus Holstein für ihn angekommen waren. Es war nämlich für ihn ein doppeltes Fest, wenn Austern ankamen, denn er aß sie nicht nur sehr gern, sondern sie kamen noch dazu aus seinem Vaterlande Holstein, für welches er eine besondere Vorliebe hatte, das er freilich deshalb nicht besser regierte, wo er im Gegenteil die scheußlichsten Dinge geschehen ließ, wie wir später sehen werden. Nicht aufzustehen würde ihn also sehr beleidigt und mich einem sehr heftigen Zank ausgesetzt haben. So erhob ich mich denn und begab mich in sein Zimmer, obgleich ich von den Andachtsübungen der heiligen Woche erschöpft war. In seinem Zimmer angelangt, fand ich die Austern serviert, aß ein Dutzend und erhielt dann die Erlaubnis, mich wieder niederlegen zu dürfen, während er blieb, um sein Austernmahl zu vollenden. Auch dadurch, daß ich nicht zu viel aß, erwies ich ihm einen Gefallen, denn um so mehr blieben für ihn übrig, da er im Austernessen unersättlich war. Um Mitternacht stand ich auf und kleidete mich an, um zur Frühmette und Ostermesse zu gehen, konnte aber wegen eines starken Kolikanfalls den Gottesdienst nicht bis zu Ende hören. In meinem ganzen Leben erinnere ich mich nicht, solche Schmerzen gehabt zu haben. Ich kehrte mit der Prinzessin Gagarin allein in mein Zimmer zurück, denn alle meine übrigen Leute waren in der Kirche. Sie half mir beim Auskleiden, legte mich zu Bett und schickte nach den Aerzten. Man gab mir Arznei und ich brachte die beiden ersten Festtage im Bett zu.



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