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Neuntes Kapitel.
Mohringer alias Miquel

Als Sommer nach der Begegnung mit Mingal und Ovel seinen Marsch fortsetzte, sammelte er am Ende des Grates die an die Träger verteilten Waffen sorgfältig wieder ein. Sie waren überflüssig geworden. Er befahl ihnen auch, die letzte Kiste mitsamt dem restlichen Werkzeug in irgendeine Schlucht zu werfen. Sie taten es mit Freuden. Nur gegen Abend, als sie längst an den Bergwerken vorüber waren, wurden sie durch das Geräusch einer entfernten Explosion beunruhigt. Aber als sie sahen, daß ihr Führer völlig gelassen blieb und sich kaum umwandte, setzten sie zufrieden ihren Weg fort. Es war eigentlich ein Spaziergang und keine Expedition.

Darum gingen sie nicht in geschlossener Ordnung, sondern schwärmten vergnügt durch das Gelände, um ihren Führer mit seltenen Blumen und seltsam geformten Früchten zu erfreuen. Plötzlich kam einer der Träger mit allen Zeichen des Erstaunens angelaufen und berichtete Sommer: »Drüben am Rande der Teeplantage liegt Herr Bob und schläft.«

Sommer machte große Augen. Er hatte sich halb und halb mit dem – wenn auch nicht angenehmen – Gedanken abgefunden, daß Bob bei der Begegnung mit Mingal und Ovel von seinem Schicksal ereilt worden wäre. Zwar war das nicht ursprünglich seine Absicht gewesen, und er hatte auch den Verlauf dieses Zusammentreffens nicht voraussehen können, aber er hatte doch bestätigt gefunden, daß Bob nicht zuverlässig sei. Und gerade das wollte er ihm jetzt beweisen.

Er winkte den Leuten, ihm leise und vorsichtig zu folgen, und schlich zu der Stelle hin, die ihm bezeichnet worden war. Sie lag völlig abseits der Straße und war so gegen jede Sicht geschützt, daß nur ein Zufall sie entdecken konnte. Dort schlief Bob, den Kopf gegen einen kleinen Erdwall gelegt, einen anscheinend recht zufriedenen Schlaf. Neben ihm lagen … die drei Lederbeutel!

Sommer nahm sie geräuschlos weg und gab sie seinen Begleitern, die sie unter ihren weiten Gewändern versteckten. Dann stieß er den Schläfer unsanft an. Bob schreckte auf … und blieb mit halb offenem Munde, blaß und verstört, auf dem Boden liegen.

»Guten Tag, Bob«, sagte Sommer gelassen. »Wie geht es dir?«

»Wo … kommst du her …?« stammelte Bob.

»Ich habe dich gefragt, wie es dir geht. Willst du mir nicht erst Antwort geben, ehe du Gegenfragen stellst?«

»Es geht so«, sagte Bob. »Ich habe mir etwas den Fuß verstaucht, sonst wäre ich schon weiter.«

»Wobei hast du dir den Fuß verstaucht?«

»Mingal hat auf mich geschossen. Da habe ich mich kurzerhand in den Abhang gleiten lassen. Dabei ist es geschehen. Er hielt mich wohl für erledigt. Ich bin inzwischen auf allen vieren weitergekrochen. Aber woher kommst du?«

»Ich bin noch nicht mit meinen Fragen fertig«, sagte Sommer. »Erst dann kannst du fragen. Wo hast du die drei Beutel gelassen?«

»Nun«, log Bob kaltblütig, »die sind in der einen Kiste geblieben. Jetzt werden sie wohl bei Mingal und Ovel sein.«

»Du lügst, mein guter Freund. Ich habe genau beobachtet, wie die beiden die Kisten ausgepackt haben. Aber die Beutel waren nicht darin.«

»Du hast das beobachtet?« staunte Bob. »Wie hast du das gemacht?«

»Versteh' doch endlich, Junge, daß du noch nicht an der Reihe bist, zu fragen. Ich schwöre dir, du bekommst eine Tracht Prügel, wenn du mir nicht ausführlich antwortest. Wo sind die Beutel?«

Bob wurde kleinlaut. »Ich habe sie aus der Kiste genommen.«

»Das weiß ich schon. Wo hast du sie gelassen?«

Bob sah um sich, erschrak, wühlte in dem Laub, fand nichts und schlug entsetzt die Hände zusammen: »Mein Gott, sie sind weg!«

»Sie sind weg?« fragte Sommer drohend. »Dann sag mir noch, warum du sie aus den Kisten genommen hast! Nun, wird es bald? Du willst nicht antworten? Dann will ich dir die Antwort geben: Du wolltest mit den Beuteln verschwinden. Ja oder nein?«

Bob wurde trotzig: »Jetzt, wo sie doch weg sind, kann ich es dir ja sagen. Ich wollte damit verschwinden. Ich habe sie gleich nach dem Abmarsch herausgenommen.«

»Und du Grünling dachtest wirklich, du würdest Glück damit haben? Schon ein solcher Gedanke ist eine Beleidigung für mich. Aber es ist etwas anders gekommen, lieber Bob. Ich habe die Beutel! Hier an Ort und Stelle habe ich sie in Empfang genommen.«

Er wandte sich zu seinen Leuten: »Zeigt sie ihm.«

Unter großem Hohngelächter nahmen sie die Beutel aus ihren Gewändern. Bob glaubte, er müsse vor Scham in die Erde sinken. Hätte nicht sein Fuß ihn behindert, er wäre davongelaufen. So versuchte er, gute Miene zum bösen Spiel zu machen: »Also dann hast du eben Glück gehabt. Nun laß die Sache gut sein.«

»Das weiß ich noch nicht. Darüber müssen wir noch einmal reden, und zwar gleich hier an Ort und Stelle. – Wollt ihr uns einen Augenblick allein lassen und an der Straße auf uns warten?« fragte er die Träger.

Sofort zogen sie sich zurück. »Wenn du uns brauchst, Herr, dann ruf nur. Wir kommen dann sofort«, sagte der eine.

»Du scheinst mit den Leuten auf gutem Fuße zu stehen«, brummte Bob.

»Ja. Wir haben uns sehr angefreundet. Wenn man solche Menschen anständig behandelt, dann hat man sie schnell zu Freunden. Darum haben sie auch mich verteidigt, aber nicht dich. Immerhin. Bleiben wir bei der Sache. Hier sind die drei Beutel. Ich stelle nach Aussehen und Gewicht fest, daß sie verändert worden sind.«

»Das ist nicht wahr«, empörte sich Bob. »Ich habe sie nicht geöffnet. Ich habe keinen Blick hinein getan!« Eifrig machte er sich an den Lederriemen zu schaffen und nestelte sie auf. Dann schüttete er den Inhalt auf die Erde … und stöhnte leise vor sich hin. Gestein, Schalensplitter und eine unreife Kokosnuß lagen da vor seinen Füßen.

»Habe ich … denn solange … geschlafen?« stammelte er. »Und es … ist jemand gekommen … verfluchte Geschichte das …«

Aber als er Sommer ansah, glaubte er in dessen Augen ein höhnisches Glänzen zu sehen. Wütend schwang er die Fäuste … aber ein ruhiger, sehr kräftiger Hieb auf die Nasenwurzel streckte ihn zu Boden. Er tastete nach seiner Waffe. Da schlossen sich Sommers Finger so heftig und drehend um sein Handgelenk, daß er leise aufschrie: »Laß nach. Ich rühre mich nicht mehr.«

Sommer setzte sich zu ihm: »Das ist auch dein Glück. Du bist ein netter, aber sehr unzuverlässiger Mensch. Darum durfte ich dir die Steine nicht anvertrauen. Ich trage sie, wenn es dich interessiert, um den Leib gewickelt. Als du die Beutel aus dem Zimtbaum holtest, war schon nichts anderes darin als jetzt. Und jetzt wirst du wissen wollen, warum ich die Kolonne geteilt habe. Das ist meine Kalkulation gewesen: ich sagte mir, Mingal und Ovel kommen vom Norden her …«

»Entschuldige, daß ich dich unterbreche. Oben beim Walde sagtest du, sie kämen vom Süden.«

»Richtig. Das hat ihnen der Manager gesagt. Aber Omar hat ihnen etwas anderes gesagt. Du wirst ihn nicht kennen. Er ist Polizeibeamter. Ich habe ihm Auftrag gegeben, sich bestechen zu lassen.«

»Verstehe ich nicht«, schüttelte Bob den Kopf.

»Ich will es dir erklären. Ich bin mit Parker im Gelben Hause gewesen. Da staunst du? Macht nichts. Ohne Zweifel war damit zu rechnen, daß Mingal und Ovel sehr bald an Omar gelangen würden. Wahrend sie dem Manager nicht zu glauben brauchten, würden sie dem Beamten glauben, sofern sie Aussicht hatten, überhaupt etwas aus ihm herauszubekommen. Wie gesagt, hatte Omar Auftrag, die Wahrheit zu sagen.«

»Aber damit locktest du sie doch direkt auf unsere Spur!«

»Das war auch der Zweck der Übung. Ich will jetzt ebenso offen sein, wie du es vorhin gewesen bist. Ich wollte sie auf unseren Weg haben und wollte dann weiter dich den gleichen Weg zurückschicken. Gleiche Brüder, gleiche Kappen, dachte ich. Die drei gehören doch zusammen. Bob brauche ich nur, damit er mir an Hand des Planes den Weg zeigt. Nachher brauche ich ihn nicht mehr. Dann kann er ruhig seinen Freunden wieder begegnen und mit ihnen nach Hause ziehen. Es schien mir sogar wünschenswert, daß ihr alle drei mit eurer vermeintlichen Beute abzogt. Ich hatte dann Zeit, mit meinen Sachen euch zu folgen, sie ins Hotel und dann auf das Schiff zu bringen, um dann abzufahren.«

»Ohne mich!« schrie Bob entrüstet.

»Natürlich ohne dich. Was sollte ich mit einem solchen Spitzbuben anfangen? Mit einem so unzuverlässigen Menschen, der trotz aller Verabredungen jeden Augenblick bereit war, sein Wort zu brechen? Nun fällt dir die Antwort schwer, nicht wahr?«

Bob schwieg und sah betreten vor sich hin.

Sommer fuhr fort: »Die Sache ist dann etwas anders verlaufen, als ich mir gedacht habe. Ich vermutete, ihr würdet euch sofort alle drei mit den gesamten Kisten auf den Weg machen und verschwinden. Statt dessen fand ich deine Freunde damit beschäftigt, an Ort und Stelle die Kisten zu untersuchen. Und von Mingal hörte ich eine Andeutung, als ob er mit dir abgerechnet habe. Das tat mir ehrlich leid, denn ich glaube, daß deine Schlechtigkeit nicht eigentlich aus deinem Charakter kommt, sondern aus dem bösen Umgang. Ich war also gezwungen, mich mit deinen Freunden noch auseinanderzusetzen. Wir haben uns freundschaftlich geeinigt, daß jede Partei eine Kiste bekam. Die dritte hatte ich schon vorher verbrennen lassen.«

»Und wenn sie jetzt merken, was in der Kiste enthalten ist,« sagte Bob, »dann gibt es erst eine Verfolgung!«

»Nicht sobald«, entgegnete Sommer. »Ich habe sie auf den mittelsten Grat gelockt und ihn dann mit den Sprengkapseln so gründlich aufgerissen, daß sie vor morgen abend nicht in Colombo sein können. Und dann bin ich schon abgefahren.«

»Und ich?« zitterte Bob. »Ich soll mich allein mit ihnen auseinandersetzen?«

»Es ist nicht nötig. Ich habe an den Vorgängen auf den Graten erkannt, daß sie auch nur solange zu dir halten, als sie sich etwas davon versprechen, und daß es ihnen nicht darauf ankommt, dich abzuschießen, wenn du ihnen nicht mehr nützlich sein kannst. Darum bin ich bereit, dir zu helfen. Ich biete dir an, mit nach Deutschland zu fahren. Du weißt ja, daß ich Plätze belegt habe. Du wirst drüben Gelegenheit haben, ein anständiger Mensch zu werden. Also willst du oder willst du nicht? Sonst lasse ich dich hier liegen.«

Bob ergriff seine Hände: »Nimm mich mit, Sommer. Glaube mir, ich habe genug von diesem Leben. Die ganzen Jahre hindurch habe ich unter dem Zwang von Ovel und Mingal gestanden. Ich war machtlos gegen sie, weil … weil sie etwas von mir wußten …«

»Das scheint überhaupt ihr Gewerbe zu sein«, sagte Sommer nachdenklich. »Drüben werde ich dir Einzelheiten erzählen. – Kannst du gehen, oder sollen die Leute für dich eine Tragbahre machen? Allzuviel Zeit können wir nicht auf den Weg verwenden.«

»Schnell gehen kann ich nicht. Es genügt aber, wenn zwei Leute einen Starken Ast nehmen, auf den ich mich setzen kann.«

Sommer rief zwei kräftige Männer herbei, die Bob in der angegebenen Art unterstützten. Es war nicht möglich, in dieser Nacht noch Colombo zu erreichen. Darum rasteten sie einige Stunden, gingen bei Sonnenaufgang weiter und waren in der Stadt, als sie gerade zum Leben erwachte.

Herr Parker stand vor dem Hotel, um einige Gäste zu verabschieden. Er schlug die Hände zusammen, als er die Ankömmlinge sah. »Damned!« rief er aus. »Ist das Unternehmen schief gegangen?«

»Guten Morgen, Mister Parker. Es ist alles gut gegangen. Ich erzähle Ihnen nachher einzelnes. Können Sie einen Arzt für Bob bestellen lassen? Und ist unser Zimmer noch besetzt?«

Während er einen Boten zum Arzt sandte, berichtete er: »Die Dame hat das Zimmer nur am ersten Tage vormittags verlassen. Seitdem sitzt sie oben und bläst Trübsal.«

»Dann will ich hinaufgehen und ihr einen Besuch abstatten. Bob kann solange in der Halle Platz nehmen und mit den Trägern abrechnen. Hier, Bob, zum ersten Male seit unserer Bekanntschaft vertraue ich dir Geld an.«

»Dieses Mal zu Recht!« sagte Bob, und an seiner Stimme war zu erkennen, daß er die Wahrheit sprach.

Sommer ging die Treppe hinauf und klopfte an die Tür des Zimmers, das er bislang bewohnt hatte. »Herein!« hieß es von drinnen. Er trat ein.

Olly saß vor ihrem Frühstück. Sie legte ihre Serviette beiseite und fragte höflich: »Sie wünschen, mein Herr?«

»Ich wünsche Sie zu sprechen, wenn ich Sie nicht beim Frühstück störe.«

»Gar nicht. Kommen Sie vom Deutschen Konsulat?«

»Nein. Ich möchte aber mit Ihnen zum Deutschen Konsulat gehen. Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle, mein Name ist … Aren.«

Olly sank in ihren Stuhl zurück und sah ihn fassungslos an. »Wann sind Sie angekommen?« fragte sie mühsam.

»Wie meinen Sie das? Hier in der Stadt oder überhaupt in Ceylon? In Ceylon befinde ich mich seit genau acht Tagen. Davon war ich drei Tage im alten Bungalow, den Rest der Zeit habe ich auf einer kleinen Expedition verbracht.«

»Das ist ja alles unglaubwürdig. Ich dachte, Winkelmann …«

Aren lachte: »Das war nur eine kleine Finte von Omar. Wenn Sie sich vergewissern wollen, dann gebe ich Ihnen anheim, in die Halle zu gehen. Dort werden Sie Bob mit einem verstauchten Fuß treffen.«

»Und Mingal? Und Ovel?« fragte sie atemlos.

Er zuckte die Achseln. »Darüber weiß ich nichts. Ich habe sie zwar gesehen und mit ihnen gesprochen und verhandelt, aber ich habe sie unter Umständen zurückgelassen, die es nicht wahrscheinlich machen, daß sie bald ankommen.«

»Aber wenn sie ankommen?«

»Dann werde ich veranlassen, daß sie sogleich festgenommen werden. Die Aufzeichnungen des Herrn Mohringer geben mir die Möglichkeit dazu. Sie werden wissen, daß ich die Aufzeichnungen habe?«

»Ich habe es seit Tagen vermutet. Werden Sie auch mich festnehmen lassen, mein Herr?«

»Ich nehme an, daß Sie bereit sein werden, auf dem Deutschen Konsulat zu Protokoll zu geben, daß Sie keine Ansprüche an die Erben Mohringer haben. Ich rate Ihnen dazu. Ich werde dafür sorgen, daß es nicht Ihr Schade ist. Aus den Aufzeichnungen weiß ich, welche Rolle Sie gespielt haben. Sie sind ein Opfer der Verhältnisse geworden. Es trifft Sie nur die Schuld, zu schwach … und zu habgierig gewesen zu sein. Entschuldigen Sie meine Offenheit.«

Olly weinte. »Wenn es eine Möglichkeit gäbe, von hier wegzukommen, dann würde ich anders werden …«

»Die Möglichkeit besteht. Sie besteht sogar noch für den heutigen Tag. Es wird gut sein, wenn wir nichts an Zeit versäumen. Beendigen Sie ihr Frühstück und kommen Sie mit zum Konsulat.«

Olly sprang auf: »Das Frühstück hat Zeit. Ich gehe sofort mit. «Im Lesezimmer neben der Halle war ein Arzt damit beschäftigt, Bob zu untersuchen. Der Befund war sehr günstig: »Sehnenzerrung. Nicht gerade leicht, aber unbedenklich. Ich verschreibe etwas zum Einreiben. Im übrigen Ruhe. Die Natur muß sich selbst helfen.«

»Nun kann er nicht mehr ausrücken«, lachte Aren zu Olly hinüber. »Da wir nun zu dritt fahren müssen, wird es gut sein, daß die Gegner sich vorher die Hände reichen und sich gute Nachbarschaft geloben.«

»Wir kennen uns nur dem Namen nach«, sagte Bob. »Mingal hat immer sorgfältig verhütet, daß wir uns kennenlernen.«

Olly drückte ihm die Hand: »So jung sind Sie noch … und doch schon bei Mingal gelandet?«

»Nicht mehr«, sagte Bob mit Energie. »Ich bin kuriert. Dieses Land sieht mich nicht wieder.«

Sie streichelte ihm die Haare: »Armer Junge …« Dann ging sie mit Aren fort.

Im Konsulat wurde Aren schon erwartet. »Es ist der vierte Tag heute!« rief der Konsul. »Ich hatte schon meine stillen Sorgen. Hier ist ein langes Telegramm für Sie angekommen. Wollen Sie es erst zur Kenntnis nehmen?«

Aren öffnete und las: »In Erbschaftssachen Mohringer alias Miquel erteilen wir dem Detektiv Aren Vollmacht zur Wahrnehmung unserer Interessen in jeder Beziehung, auch bezüglich der Erbschaftsmasse. Bernhard Mohringer, Küster in Mohringen. Eduard Mohringer, Gerichtsschreiber in Boppard.«

»Das erleichtert die Sache«, sagte Aren. »Herr Konsul, Frau Olly, deren Zunamen ich offiziell immer noch nicht weiß, will vor Ihnen eine Erklärung abgeben, wonach sie auf alle Ansprüche an die Erbschaft des Herrn Mohringer verzichtet.«

»Dieser Verzicht ist doch eigentlich entbehrlich, Herr Aren, da Frau Olly keinerlei gesetzliche Ansprüche hat.«

Olly senkte den Kopf. Aren sagte: »Wir wollen es trotzdem bei dem Verzicht belassen. Es liegen noch einige Gründe vor, die einen solchen Verzicht tunlich erscheinen lassen. Im Augenblick möchte ich Frau Olly nicht beschämen und die Gründe auseinandersetzen.«

Der Konsul respektierte diese Diskretion und nahm die Erklärung entgegen. Olly unterzeichnete sie, wie es die Form verlangte. Dann verabschiedeten sie sich von dem Konsul.

Auf der Straße wandte sich Olly zu Aren und fragte bescheiden: »Was wird jetzt aus mir?«

»Das liegt bei Ihnen«, antwortete Aren. »Ich habe bereits vor fünf Tagen eine Kabine für Sie belegen lassen, von der Sie Gebrauch machen können, wenn Sie es wollen. Der Dampfer fährt heute abend. Nachmittags müssen wir an Bord sein.«

»Sie stellen mich vor immer neue Rätsel, Herr Aren. Wie konnten Sie auf den Gedanken kommen, für mich einen Platz zu belegen?«

Aren antwortete: »Als ich die Aufzeichnungen gefunden und gelesen hatte, da wußte ich auch, daß ich und niemand anders Mohringers Schatz heben würde. Und damit stand fest, daß Sie völlig leer ausgehen würden. Und das durfte ich nicht zulassen. Ich kann Ihnen heute noch nicht sagen, warum ich es nicht durfte. Sie werden es erfahren, wenn ich Mohringers Bericht vorlese. Wenn Sie ihn aber hören wollen, dann müssen Sie mit mir kommen.«

»Ja, ja!« rief Olly. »Nur so schnell als möglich fort von hier!«

Sie gingen zum Hotel zurück. Die Koffer waren schnell in Ordnung, denn keiner von ihnen hatte großes Gepäck. Bob ging an einem Stock und sah trotz der Schmerzen vergnügt und rosig aus. Als einziger trauerte Parker über die Abreise. Er stand am Wagenschlag und drückte Aren herzlich die Hände. »Kommen Sie bald mal wieder«, sagte er. »Es war so nett. Und die beiden Zimmer stelle ich Ihnen gern wieder zur Verfügung.«

Aren lachte: »Bei meinem Berufe weiß man nie, wohin man verschlagen wird. Darum sage ich Ihnen: till we meet again!«

Mit Winken und Rufen fuhren sie ab. Aren sagte leise zu Olly: »Sehen Sie sich den harmlosen und vergnügten Bob an. Er weiß bis zu dieser Stunde noch nicht, wer ich bin und wie wir beide zueinander stehen.«

»Wie ist das möglich?« fragte sie erstaunt.

»Nun, ich habe ihm gesagt, daß ich Sommer heiße, aber nicht Sommer wäre. Und er ist genügend Abenteurer, um sich den Teufel darum zu kümmern, wer ich denn bin. Ihm war die Hauptsache, daß er zu seiner Freiheit und zu seinem Anteil an der Beute kam. Darum werde ich ihn noch aufklären müssen … ehe ich mich für einige Zeit zurückziehe.«

»Zurückziehen? Was haben Sie denn vor?«

Aren lachte verhalten: »Ich muß mich etwas auskurieren. Es ist jetzt schon der vierte Tag, daß ich Mohringers Steine um den Leib gewickelt trage. Es ist nicht nur alles wund gescheuert, sondern wahrscheinlich auch infiziert. Es tut unheimlich weh.«

»Ich verstehe«, sagte Olly. »Sie waren ja die ganze Zeit hindurch nicht allein. Fragen Sie sofort den Schiffsarzt … und lassen Sie es zu, daß ich Sie pflege, wenn eine Pflege notwendig ist.«

»Also werden Sie doch noch Krankenschwester, wenn auch nicht gerade die Krankenschwester Henriette. Die habe ich Ihnen vorweggenommen.«

»Vielleicht ist es ein Glück«, seufzte Olly. –

Der Schiffsarzt untersuchte Aren sofort und verordnete nebst Bädern und Salben zunächst acht Tage Bettruhe. Aren war es zufrieden. Wenn er auch immer dazu neigte, alles leicht zu nehmen, so konnte er doch eine gewisse Erschöpfung nicht leugnen. Er hatte in Olly eine getreue Pflegerin und in Bob einen lustigen Gesellschafter. Beide versuchten oftmals, ihn zum Reden zu bringen, damit er ihnen alle Zusammenhänge erkläre. Aber er lehnte es ab. »Es wird noch Zeit genug dafür sein,« sagte er, »wenn wir zu Hause sind. Dann werde ich nicht nur berichten, sondern Ihnen auch Mohringers Aufzeichnungen vorlesen. Die Erben werden dabei zugegen sein, und auch Winkelmann; endlich auch der kleine Buchbinder Jäger, der einen großen Anteil am Erfolg hat.«

»Reden Sie nicht von Jäger«, raunte Bob verdrossen. »Dann regt sich mein schlechtes Gewissen.«

»Wir werden die Sache ordnen«, sagte Aren geheimnisvoll. Dann schwieg er über die Angelegenheit. Und auch die anderen drängten nicht mehr in ihn. –

In Arens Wohnzimmer hatte sich eine kleine Gesellschaft versammelt. Die beiden Brüder Mohringer waren erschienen, dann Winkelmann und der kleine Buchbinder Jäger, endlich auch Olly und Bob. Beide hatten sich in ihr Schicksal gefügt. Sie hatten erkannt, daß man es gut mit ihnen meinte. –

Aren war der liebenswürdigste Hausherr, den man sich denken konnte. Seine Höflichkeit und Heiterkeit ließen vergessen, daß hier ehemalige Gegner zusammensaßen und daß ihnen noch die Enthüllung eines dunklen Schicksals bevorstand. Endlich begann er mit seiner Erzählung:

»Ich schulde Ihnen heute zweierlei. Einmal einen kurzen Bericht über die Ursache meiner Ceylonfahrt; sodann den Bericht, den der arme Mohringer über das Schicksal seines Lebens niedergeschrieben hat.

Mit meinem eigenen Bericht kann ich mich kurz fassen. Es ist Ihnen allen bekannt, daß ich durch Zufall und Ahnung einen Plan gefunden hatte, mit dem ich nichts anfangen konnte, von dem ich nur wußte, daß andere Leute ihn haben wollten. Der große Umriß des Planes stellte die Form einer Birne dar. Damit konnte mancherlei gemeint sein. Aber die Art, in der diese Zeichnung ausgeführt war, ließ darauf schließen, daß der Urheber sich der Methoden bedient hatte, die man für Landkarten üblicherweise benutzt, das heißt: freie Stellen für ebenes Land, Schraffierungen für Gebirge und kleine Kreise für Gipfel und Städte. In diesem Plan war nun der Norden als Fläche gezeichnet, der Süden als Gebirge mit mehreren Gipfeln, von denen einer die Buchstaben A P trug. Nun, mein Handatlas genügte, mir in zehn Minuten zu verraten, daß die Insel Ceylon in Frage kam. In der Staatsbibliothek habe ich meine Kenntnisse erweitert.

Der tollkühne Herr Mingal, der sich den Plan bei mir abholen wollte, ist die Ursache geworden, daß ich mit meinen Schlüssen weiter kam. Er mußte sich in ärztliche Behandlung begeben, wo ich ihn nicht nur besichtigen konnte, sondern ihm auch noch den Namen Olly entlockt habe. Es versteht sich, daß ich ihn vom Hause des Arztes aus verfolgen ließ, um seine Wohnung festzustellen. Ich bin einige Tage lang sein Zimmernachbar gewesen und wußte aus seinen Gesprächen mit Ovel sehr schnell, um was es sich handelte.

Es bestanden nur zwei Schwierigkeiten: einmal, ihnen in der Ausführung des Planes zuvorzukommen, sodann die Gegenpartei, nämlich Olly, zu finden, die sich vorsichtig verborgen hielt. Ich sehe jetzt ein, daß sie es aus Furcht vor den beiden Verbrechern Ovel und Mingal getan hat.«

Olly nickte. Aren fuhr fort: »Der Regiefehler, wenn ich so sagen darf, lag in der Verwendung eines Gehilfen, der sich taubstumm stellte oder wenigstens als Taubstummer erscheinen wollte. Wie war es denkbar, einen solchen Manne Instruktionen zu erteilen, sich mit ihm zu verständigen, ihn der Gefahr auszusetzen, einen Einbruch auszuführen, ohne etwas hören zu können? Ein solcher Gedanke war einfach Irrsinn. Es mußte sich um eine Simulation handeln. Und ich beschloß, dem auf die Spur zu kommen. Ich ließ mich daher mit ihm zusammen in eine Zelle sperren. Bleiben Sie ruhig, Bob; es ist ja alles vergeben und vergessen.«

Bob lachte: »Vergeben wohl, aber nicht vergessen.«

»Na, die Zeit heilt alles. Jedenfalls war Bob vernünftig genug, seine Rolle aufzugeben, nachdem ich ihm ihre Nachteile klargelegt hatte. Außerdem brauchte ich Bob auch dringend, um meinen Plan ausführen zu können, der darin bestand, ein Verbrechen zu verhindern. Mit Zustimmung der Behörden konstruierte ich also eine Gefangenenbefreiung, die auch gelang.«

Bob wurde unruhig: »Sagen Sie mal, wird die Sache Folgen haben?«

»Dieser Teil der Sache nicht. Man kann keinen Menschen dafür bestrafen, daß er ausbricht. Der Wärter im Krankenhaus hat keinen Strafantrag wegen Körperverletzung gestellt. Außerdem habe ich ihm im Auftrage der Erben ein entsprechendes Schmerzensgeld gegeben. Also dieser Fall ist erledigt.«

»Gott sei Dank«, stöhnte Bob. Er sah nicht, wie Aren und Winkelmann ein kleines, mitleidiges Lächeln tauschten.

»Während ich mich im Gefängnis befand, hat Winkelmann meinen Posten in der Staatsbibliothek zu meiner größten Zufriedenheit ausgefüllt. Er hat mich auch in meiner Wohnung vertreten. Ovel und Mingal mußten glauben, ich sei noch hier und studiere an dem Plan herum. Darum blieben auch sie noch an Ort und Stelle. Und das war notwendig. Ich mußte erst ermitteln lassen, wer alles an Interessenten für den Plan auftrat, und Olly hatte sich noch nicht zu erkennen gegeben. Ich konnte nicht das Risiko übernehmen, drüben mit unbekannten Gegnern zu arbeiten und möglicherweise nach zwei Fronten hin Krieg führen zu müssen. An der Tatsache, daß die Beteiligten mir nach Ceylon folgen würden, sobald sie von meiner Abreise Kenntnis hatten, war ja überhaupt nicht zu zweifeln. Dann war es schon besser, alle Schäflein beisammen zu haben. Darum mußte Winkelmann nicht nur meine Stelle vertreten, sondern auch Mingal und Ovel hier fesseln, bis er Olly ermittelt hatte. Das hat er zu meiner vollen Zufriedenheit getan.

Als er die Schäflein beisammen hatte, hat er sie dann durch die ihm geeignet erscheinenden Maßnahmen auf den Weg gebracht. Olly, Sie müssen zugeben, daß er da ein Kabinettstück geleistet hat.«

»Er war sogar vollendeter Kavalier«, bestätigte sie.

»Ich war inzwischen auf der Fahrt mit Bob und bekam auf hoher See die gute Nachricht. Alles andere, was sich drüben ereignet hat, können Sie nachlesen, wenn ich es einmal aufschreiben werde. Viel interessanter wird der Bericht des Mohringer sein, den sich auch Bob vorher noch anhören soll.«

»Was heißt das? Vorher?«

»Lieber Bob«, lächelte Aren. »Einen kleinen Schmerz kann ich Ihnen nicht ersparen, weil er nach dem Gesetz nicht zu ersparen ist. Sie müssen sich wieder der Polizei stellen, damit die Angelegenheit des versuchten Einbruchsdiebstahls bei Herrn Jäger aus der Welt kommt. Ich gestehe, daß das einer der Gründe ist, warum ich Sie wieder mit hierhergenommen habe.«

Jäger fuhr auf: »Nein! Das ist nicht gerecht. Ich verzeihe ihm die Sache und will nicht, daß er bestraft wird.«

»Ihre Verzeihung kann leider nichts nützen. Es wird aber nicht schlimm für Bob werden, weil er unter fremdem Zwang gehandelt hat. Ich habe schon mit dem Staatsanwalt gesprochen. Er wird eine Bewährungsfrist beantragen. Fügen Sie sich, Bob; es hilft nichts. Gesetz ist Gesetz.«

»Wird er verhaftet?« fragte Jäger, »oder kann ich ihn zu mir nehmen? Ich mag ihn nämlich leiden.«

Winkelmann sagte: »Ich will ein gutes Wort für ihn einlegen, wenn er tatsächlich bei Ihnen bleiben will.«

Bob stand langsam auf und ging zu Jäger hinüber.

Er faßte den kleinen Mann bei den Schultern und sagte mit unsicherer Stimme: »Herr Jäger, können Sie einen Lehrling gebrauchen? Ich bin nicht ungeschickt. Ich habe nur zu früh von Hause fort müssen und habe nichts Anständiges gelernt … und ich hab' nie gute Menschen kennengelernt. Ich glaube, wenn Sie mich nehmen, dann könnte noch einmal etwas aus mir werden.«

Jäger war so erregt, daß sein Mitgefühl in Grobheit umschlug. »Jawohl!« schrie er. »Aber bei mir wird pariert! Verstanden?«

Da nahm der große Bob den kleinen Jäger um die Taille, hob ihn in die Höhe und sagte: »Ich pariere aufs Wort.«

Aren seufzte erleichtert: »Na, der wäre anständig untergebracht. Und Sie tun ein gutes Werk, Herr Jäger. Nun aber will ich Ihnen die Blätter vorlesen, die ich im alten Bungalow gefunden habe.«

Er entnahm seinem Schreibtisch eine Rolle aus Wachstuch, öffnete sie und breitete die vergilbten Blätter unter der kleinen Leselampe aus.

»Ich, Michael Mohringer aus Dinkholder in Deutschland, berichte hier über das Schicksal meines Lebens.

Ich bin in dem kleinen Flecken Dinkholder, oberhalb Braubach am Rhein, geboren. Ich habe noch zwei Brüder, die fünfzehn und siebzehn Jahre jünger sind als ich. Gott gebe, daß sie noch am Leben sind.

Mit zwanzig Jahren bin ich mit einem Kahnschiffer den Rhein hinuntergefahren und habe mir in Holland eine Tätigkeit gesucht. Durch Fleiß und Pflichterfüllung habe ich dort Erfolg gehabt und konnte, als ich dreißig Jahre alt war, als Leiter einer Faktorei nach Java gehen. Dort habe ich volle zehn Jahre verbracht, Jahre der Arbeit, aber auch des Erfolges. Ich lebte sehr sparsam und zurückgezogen. Ich versagte mir alles, weil ich hoffte, ich würde doch eines Tages in das kleine Nest Dinkholder am Rhein zurückkehren können. Ich träumte davon, mir dort ein Häuschen bauen zu lassen und mit meinen Brüdern zusammen in Eintracht und Zufriedenheit den Rest meiner Tage zu verbringen.

Ich machte nicht mehr Bekanntschaften, als die Ausübung meines Berufes notwendig erforderte. Das hatte zur Folge, daß ich mich zwar auf die Leitung einer Faktorei verstand, gute Kenntnisse aller Landesprodukte und ihres Anbaues und ihrer Gewinnung hatte, daß ich, mit einem Worte, etwas vom Geschäft verstand, aber nicht von den Menschen und ihren persönlichen Eigenschaften. Und das ist mir zum Verhängnis geworden.

Ich war mit meiner Stellung in Java auf die Dauer nicht zufrieden. Der Eigentümer ließ mich nach meinem Belieben schalten und walten. Alle Arbeit und Anstrengungen und Verantwortung lagen bei mir. Er strich nur den Verdienst ein. Darum glaubte ich, daß ich einen größeren Entgelt als bisher fordern könnte. Als ich mit diesem Gesuch an ihn herantrat, schrieb er mir, ich sei zehn Jahre lang zufrieden gewesen und würde auch wohl noch weitere zehn Jahre zufrieden sein.

Diese Undankbarkeit erbitterte mich. Ich kündigte meine Stellung und sah mich nach einer neuen Betätigung um. Zu dieser Zeit hörte ich von den Verhältnissen in Ceylon. Seit geraumer Zeit schon ging dort der Anbau von Kaffee stark zurück, weil die Pflanzungen von Schädlingen heimgesucht wurden, zu deren Bekämpfung man keine geeigneten Mittel hatte. Statt dessen verlegte man sich auf den Anbau von Tee, und es wurden gute Resultate damit erzielt.

Hier sah ich für mich eine Möglichkeit, voranzukommen. Durch einen Agenten namens Ovel ließ ich mir ein Stück Brachland erwerben, auf welchem ich den Anbau von Tee versuchen wollte. Kaum war der Kauf getätigt, als mein Chef sich entschloß, meine bisherigen Einnahmen zu verdoppeln. Aber jetzt war es zu spät. Ich hatte zum ersten Male im Leben die Vorstellung, nicht durch Dienste, sondern durch eigenes Handeln mein Glück zu machen. Wäre ich in der Rolle des Dienenden geblieben, dann ginge es mir heute besser, und ich säße nicht, wie eben in diesem Augenblick, auf der Terrasse eines alten Bungalow, alt, zerbrochen, von Angst und Entsetzen und Lebensmüdigkeit geplagt.

Damals aber hatte ich noch keine Ursache, an einen solchen trüben Ausgang zu denken. Das Land, das Ovel für mich erstanden hatte, war günstig gelegen. Ich machte eine Reihe von Versuchspflanzungen, die über Erwarten Erfolg hatten. Ich konnte darangehen, Jahr für Jahr eine neue Landstrecke zu bepflanzen. Aus den zehn Arbeitern, mit denen ich angefangen hatte, wurden hundert, zweihundert, fünfhundert und noch mehr. Aus dem kleinen Schuppen, der zu Anfang als Lagerraum, Kontor und Wohnung zugleich dienen mußte, wuchs im Laufe der Jahre eine Reihe stattlicher Gebäude heran. Ich wohnte auch nicht mehr bescheiden in einer abgeteilten Ecke des Schuppens, sondern hatte mir in Kandy ein modernes europäisches Haus bauen lassen. Durch eine günstige Gelegenheit kam ich auch dazu, mir östlich von Mount Lavinia eine Fläche bewaldeten Landes zu kaufen, in dessen Mitte ich mir diesen Bungalow setzen ließ, in welchem ich mich zur Zeit aufhalte … und das mir nicht mehr gehört.

In dem Maße, in welchem meine Plantage sich entwickelte, wurde ich selber von Arbeit entlastet. Ich hatte Arbeiter und Aufseher, die zuverlässig und treu waren, weil ich sie als Menschen behandelte und sie menschlich entlohnte. Meine Produkte wurden mir unter den Händen weggekauft, so daß ich auch auf den Absatz nicht viel Arbeit verwenden mußte. Mein Vermögen wuchs, ohne daß ich eigentlich meine Hände noch zu rühren brauchte.

Unter diesen Umständen war es zu verstehen, daß ich Ausschau nach anderer Betätigung hielt und daß dieses Suchen mich mit mehr Menschen in Berührung brachte, als ich in meinem ganzen früheren Leben kennengelernt hatte. Manchem mag ich dabei verwunderlich erschienen sein. Ich galt als ein tüchtiger und energischer Kaufmann … und war doch, sobald ich in Gesellschaft kam, linkisch und unbeholfen. Ich hatte eine Seite des Daseins vor mir, die ich nie recht kennengelernt hatte. Ich kannte wohl den Wert meiner Ware und der Ware meines Konkurrenten, aber ich kannte nicht meinen persönlichen Wert und den Wert der Menschen, die ich vor mir hatte.

Es ist nicht wahr, daß die einfachen und schlichten Menschen eine Hilfe in ihrem Instinkt haben. Im Gegenteil. Ihre Gutgläubigkeit und ihr Vertrauen liefern sie allen Menschen aus, die es, wenn auch für den Eingeweihten nur dem Anschein nach, gut mit ihnen meinen.

Hier muß ich eines einschalten: schon in Holland hatten mich Vorgesetzte und Kollegen in gutmütigem Spott als den fleißigen deutschen Michel bezeichnet. Dieser Name war mir auch nach Java gefolgt, nur daß er da in der ungeschickten Aussprache der Eingeborenen die Form Mikel oder Miquel angenommen hatte. Wenn man von Mohringer sprach, so sagte man gewohnheitsgemäß Miquel. Auch in Ceylon hieß ich Miquel. Es gab viele Menschen, die nur diesen Namen kannten, zumal ich meine Geschäfte nicht unter meinem Privatnamen betrieb, sondern unter einem Gesellschaftsnamen.

Auf der Suche nach einer Möglichkeit, mein Vermögen arbeiten zu lassen, kamen natürlich viele Agenten und Interessenten zu mir, die mir diese oder jene Pläne unterbreiteten. So kam auch eines Tages ein älterer Herr zu mir, der sich Alming nannte und der von der britischen Regierung ein größeres Gelände gepachtet hatte, auf welchem er nach Edelsteinen suchte. Es befand sich im Osten und Nordosten von Kandy. Sein eigenes Vermögen war gering. Neben der recht hohen Pacht blieb ihm kaum genügend Geld übrig, um die Arbeiter für die Schürfungsarbeiten zu bezahlen. Er bot mir an, mich zu beteiligen.

Ich ging der Sache aufmerksam nach. Er schuldete der Regierung schon einige hundert Pfund an Pacht und konnte auf einem Gebiete, das große Ausschachtungsarbeiten verlangte, kaum zwanzig Arbeiter beschäftigen. Da mir die Sachverständigen das Gebiet als ertragreich bezeichneten, übernahm ich für ein Jahr der Regierung gegenüber die Bürgschaft für die Pacht und stellte aus meinen Mitteln hundert Arbeiter und genügendes Werkzeug. Dafür wurde mir die Hälfte des Erlöses zugesagt.

Die Ausbeute war nicht schlecht, und es stand zu erwarten, daß mein Kapital gute Zinsen tragen würde. Darum entschloß ich mich, den Vertrag für ein weiteres Jahr zu verlängern. Es wäre vielleicht auch alles seine geraden und schlichten Wege gegangen, wenn nicht ein Mensch in die Erscheinung getreten wäre, der mir zum Verhängnis wurde: der Sohn Almings.

Er war damals ein Bursche von vielleicht zwanzig Jahren, verzogen, verwöhnt und sehr eigenwillig. Schon damals beherrschte er seinen Vater vollkommen. Er brauchte Geld und immer wieder Geld. Er verpraßte es im Spiel und im Trunk. Was der Vater mit meiner Hilfe verdiente, ging an den Sohn. Ich konnte nichts dagegen tun und hatte auch nicht das Recht dazu, mich in ihre Angelegenheiten zu mischen.

Aber auf die Dauer war es so peinigend, immer Zeuge ihrer Auseinandersetzungen zu sein, daß ich dem alten Alming mitteilte, ich würde mich mit Ablauf des neuen Vertrages nicht weiter an seinem Unternehmen beteiligen. Er war verzweifelt und stellte mir vor, daß er zugrundegehen würde, wenn ich meine Beteiligung zurückzöge. Er war sich darüber klar, daß er einen andern Sozius nicht finden würde, denn sein Sohn hatte sich und ihn in einen Ruf gebracht, der jeden ehrbaren Menschen von ihnen fernhielt.

Der Alte tat mir leid, und die Möglichkeit des Verdienstes lockte mich. Ich schwankte lange Zeit, was ich tun sollte. Dann machte ich ihm einen Vorschlag: ich wollte ihm das Pachtrecht abkaufen und ihm den Preis in bar auszahlen. Nur sollte er dann endgültig von dem Pachtgrund mitsamt seinem Sohne verschwinden.

Er war nicht abgeneigt, darauf einzugehen. Aber irgendwie hatte der Sohn davon erfahren und hinderte seinen Vater, den Vertrag abzuschließen. Er wollte auf diese dauernde Einnahmequelle nicht verzichten. Ja, er zwang ihn sogar, ihm seine Pachtrechte abzutreten. Eines Tages trat er mir mit diesem neuen Vertrage entgegen und sagte: ›Von jetzt an haben Sie es mit mir zu tun.‹

Ich erklärte ihm, daß ich mit ihm nichts zu tun haben wollte, und daß ich nach Ablauf des Vertrages mit seinem Vater mich endgültig zurückziehen würde. Diesen Vorsatz führte ich auch aus, trotz aller Bitten des jungen Alming. Ich hatte keinen Gewinn, aber auch keinen Verlust bei diesem Unternehmen gehabt, und glaubte, daß ich nun einen Strich unter dieses Geschäft ziehen könne.

Aber es kam anders. Wie zu erwarten stand, fand sich niemand bereit, Alming weiterhin zu finanzieren. Was man dem Vater noch an Vertrauen zugebilligt hätte, versagte man dem Sohne endgültig und mit offener Begründung.

Ich hatte die ganze Angelegenheit fast vergessen, als eines Tages sich ein junges Mädchen in meinem Hause in Kandy melden ließ. Ich war überrascht von ihrer Schönheit und Anmut, von ihrem zugleich sicheren und bescheidenen Wesen. Ich sagte schon, daß mir nicht viel Menschenkenntnis zur Verfügung stand, und so war ich auch dieser Frau gegenüber arglos und vertrauensvoll. Sie kam mit einer Botschaft von Alming, oder, wie er sich zum Unterschied von seinem Vater nannte: Mingal. Sie bot mir in seinem Namen das Pachtrecht zum Kauf an.

Da regte sich der vorsichtige Kaufmann in mir, und ich fragte: ›Warum kommt er nicht selber zu mir? Warum bedarf es da einer Vermittlung?‹

Das junge Mädchen antwortete: ›Er schämt sich vor Ihnen.‹ ›Soweit ich es übersehen kann,‹ mußte ich antworten, ›ist es nicht gerade seine starke Seite, sich zu schämen. Was bisher von ihm bekannt geworden ist, sagt eigentlich das Gegenteil.‹

›Sie haben vollkommen recht‹, erwiderte sie. ›Aber er hat jetzt selber eingesehen, daß er mit dieser Lebensführung nicht weiterkommt. Er hat sich jetzt völlig umgestellt. Wenn Sie ein Interesse daran haben, will ich Ihnen Einzelheiten erzählen.‹

›Sie würden ihm und meinem Vertrauen vielleicht besser dienen, wenn Sie mir sagen würden, welches Interesse Sie an Mingal haben.‹

Sie blieb völlig unbefangen: ›Herr Mingal wohnt bei meiner Mutter. Wir haben ihn, da wir bescheiden leben müssen, ein Zimmer abgegeben. Abends hat er uns häufiger von seinem Schicksal und seinem Treiben erzählt. Meine Mutter und ich sind beide überzeugt, daß er sich gründlich gebessert hat, und es schien uns ein Akt der Menschlichkeit, ihm zu helfen.‹

Warum sollte ich diese Dinge nicht glauben? Warum sollte ich mißtrauisch sein? Das junge Mädchen sah nicht so aus, als ob sie eine abgefeimte Lügnerin sei. Immerhin überwog noch mein Widerstand, und es standen mir noch zu deutlich die widerlichen Szenen zwischen Vater und Sohn vor Augen, als daß ich schon in diesem Augenblick eine Entschließung hätte fassen mögen. Ich machte daraus auch kein Hehl. Das junge Mädchen – ich will schon jetzt den Namen nennen, den sie trug: Olly – hatte auch Verständnis für meine Vorsicht und sagte: ›Niemand kann von Ihnen erwarten, daß Sie sich von heute auf morgen entscheiden. Ich bin aber sicher, daß Sie anders denken werden, wenn Sie sich selber von Mingals Lebensführung überzeugen^

Ich hatte keinen Anlaß, mich zu überzeugen. Weder Mingal noch sein Pachtrecht noch seine Edelsteine gingen mich etwas an. Aber ich fühlte, daß Olly mich etwas anging. Ich hatte Jahr um Jahr bescheiden und zurückgezogen gelebt. Keine Frau war in mein Leben getreten, für die ich eine Zuneigung oder auch nur ein Interesse empfunden hätte. Die harte Arbeit beanspruchte mich genügend. Jetzt war es anders. Ich sah Menschen, die zufrieden und glücklich miteinander lebten, die nicht allein waren und die sich gegenseitig halfen und schützten. Ich spielte mit dem Gedanken, auch zu diesen Glücklichen zu gehören.

Ich versprach Olly, mich bei Gelegenheit nach Mingals Lebensführung zu erkundigen und ihr Bescheid zu geben. Sie war mit diesem Ergebnis zufrieden und entfernte sich.

Was Mingal und seine Steine nicht vermocht hätten, vermochte Olly. Ich ließ mir einen Agenten kommen, den ich mit einem Bericht über Mingal beauftragte, zugleich aber auch mit einem Bericht über Olly. Nach etwa einer Woche übergab er mir seine Ermittlungen. Mingal betätige sich als Verkaufsagent und verwende seine Einnahmen dazu, um die Pacht an die Regierung zu bezahlen. Man sah ihn nirgends mehr, besonders nicht an den Orten, an denen er sonst gespielt und getrunken hatte. Seine Kumpane, die ihm sonst geholfen hatten, den Verdienst seines Vaters zu verschwenden, waren am meisten erstaunt über diese Wandlung.

Über Olly wußte er zu berichten, daß sie die Tochter einer armen Witwe war, die in der nördlichen Vorstadt wohnte und über deren Herkunft niemand etwas wußte. Sie lebten zurückgezogen. Mehr war nicht zu erfahren.

Ich bat Olly durch einen Boten, zu mir zu kommen. Sie kam noch am gleichen Tage. Ich sagte ihr, daß ich grundsätzlich bereit sei, Mingals Pacht zu erwerben, wenn er damit einverstanden sei, daß der Kaufpreis in Raten gezahlt werde.

Was ich damit bezweckte? Ich wolle Olly nochmals wiedersehen. Natürlich wäre ich imstande gewesen, den Betrag auf einmal zu zahlen. Daß ich es nicht tat, war ein verhängnisvoller Entschluß.

Olly trug diese Botschaft zu Mingal. Er war nicht sogleich einverstanden. Er schickte seine Botin nochmals und ließ nach den Gründen fragen, aus denen ich Ratenzahlungen anbot. Was sollte ich sagen? Daß ich im Augenblick kein Geld frei hätte? Niemand würde mir das glauben. So sagte ich: ›Mingal soll nicht dadurch wieder in Versuchung kommen, daß er viel Geld auf einmal in die Hände bekommt. Ich müßte mir den Vorwurf machen, ihn seinem früheren Leben wieder zugeführt zu haben.‹

Aber schon, als ich diese Antwort erteilte, hatte ich das unklare Gefühl, damit eine Verantwortung zu übernehmen und eine Verbindung zwischen Mingal und mir zu schaffen, die ich ursprünglich nicht gewollt hatte, vor der ich sogar schon einmal geflohen war.

Allein der Gedanke, dadurch auch Olly öfter zu sehen, war bestimmend und verwischte alle anderen Vorstellungen. Von Mal zu Mal vertiefte sich in mir das Gefühl, daß ich dieses Mädchen zu mir herüberziehen müsse. Vergebens hielt ich mir den Unterschied des Alters vor. Meine Vernunft stand nicht mehr unter Kontrolle. Meine Leidenschaft, aufgespart, unverbraucht, unerfahren, bekam das entscheidende Gewicht und gab den Ausschlag.

Die Verhandlungen ergaben ein Hin und Her, das meinen Plänen förderlich schien. Bei alldem lehnte ich es ab, mit Mingal persönlich zu verhandeln. Es ist nichts mehr über die Gründe zu sagen. Jeder wird sie verstehen.

Ehe ich den fertigen Vertrag unterschrieb, bekannte ich Olly meine Gefühle und meine Absichten. Sie erwiderte nichts darauf. Sie ging fort und ließ den Vertrag bei mir liegen. Ich war überzeugt, sie verletzt zu haben und litt darunter. Aber warum sollte ich diesen Vertrag unterschreiben, der mich nichts anging, wenn ich dadurch Olly nicht gewinnen konnte? So warf ich den Vertrag beiseite und glaubte, um eine Hoffnung ärmer zu sein.

Nach wenigen Tagen erschien Olly wieder. Sie war sehr ruhig und sehr blaß. Ohne etwas zu erklären, sagte sie zu mir: ›Geben Sie mir den Vertrags

Ich fand ihn zwischen meinen Papieren auf dem Schreibtisch und gab ihn ihr. Sie blickte darauf: ›Es fehlt Ihre Unterschrift. Wollen Sie nicht unterschreiben?‹

In den Tagen ihrer Abwesenheit hatte ich mehr gelitten, als ich es mir je als möglich vorgestellt hatte. Es gab jetzt für mich nur zwei Möglichkeiten. Entweder mußte ich moralisch zum Erpresser werden oder … mußte aus Kandy fortgehen. Ich hatte in diesem Augenblick mit ungeahnter Stärke die Vorstellung eines ruhigen, wenn auch etwas einsamen und leeren Daseins in Dinkholder am Rhein. Ein Rest von Heimweh erwachte, und ich sagte ihr: ›Ich werde den Vertrag nicht unterschreiben.‹

Sie sah mich groß und erschreckt an: ›Warum nicht?‹

›Weil ich fort will. Ich will alles verkaufen, was ich besitze, und in meine Heimat gehen. Sie wissen, daß ich diesen Vertrag nicht um Mingals willen machen wollte. Jetzt, wo ich weiß, daß ich Sie verletzt habe … und daß Sie nicht zu mir kommen mögen, habe ich hier nichts mehr zu suchen. ‹

Ich kann nicht sagen, ob meine Worte nur zu ihrem Verstände gelangten oder ob sie den Weg über ihr Gefühl nahmen. Bis zu diesem Augenblick ist es mir zweifelhaft. Ein Rest von Glauben an den guten Kern im Menschen hindert mich, zu sagen, daß sie nur schlecht sei …«

Hier wurde Arens Vorlesung durch einen Aufschrei unterbrochen. Olly war aufgesprungen, geisterhaft bleich, die Hände gegen die Schläfen gedrückt. Sie wollte etwas sagen, aber sie vermochte es nicht.

»Ist es nicht besser,« sagte Aren, »wenn Sie nicht weiter zuhören? Sie selbst haben es gewollt. Aber ich rate Ihnen: Gehen Sie.«

Sie schüttelte den Kopf: »Ich will nicht … feige sein. Ich bleibe. Ich werde Sie nicht mehr stören.«

Aren beugte sich wieder über die Blätter und las weiter:

»Ich glaube, sie stand unter einem bösen, verhängnisvollen Zwang und handelte unfrei. Sie drückte mir die Feder in die Hand und sagte: Schreiben Sie … und ich werde den Vertrag durch einen Boten zu Mingal schicken lassen.‹

›Und Sie?‹ fragte ich ängstlich und verwirrt und voll Zweifel.

›Ich habe meiner Mutter gesagt, daß ich es übernommen hätte, Ihren Haushalt zu führen.‹

Ich erinnere mich nicht mehr klar, wie ich meinen Namenszug zustande gebracht habe. Ich weiß nur, daß ich in jener Sekunde mein Todesurteil unterschrieben habe – – –

Für mich selbst habe ich immer ein bescheidenes Dasein geführt. Für Olly schien mir das Kostbarste kaum gut genug. Ich hatte es nicht nötig, zu sparen. Was ich aus dem Erlös der Steine nicht als Amortisation betrachtete, gab ich ihr. Ich weiß nicht, wieviel es gewesen ist; aber es reichte hin, den Neid von vielen zu erregen.

Wie es der Vertrag vorsah, wurden die Raten an Mingal gezahlt, und eines Tages war der Kaufpreis getilgt. Von Mingal selbst hatte ich weder in der Zwischenzeit etwas gehört noch gesehen. Ich kümmerte mich auch nicht um ihn. Ich war zu sehr den Freuden dieses neuen Daseins ausgeliefert.

Aber diese Freude war nicht ohne geheime Befürchtungen. Sehr oft habe ich Olly gedrängt, sich in aller gesetzlichen Form mit mir zu verheiraten. Immer lehnte sie ab, unter tausend Vorwänden, denen ich nicht gewachsen war. Ich dachte daran, sie auf eine andere Weise an mich zu fesseln, indem ich sie zu Ansprüchen erzog und ihr viel Geld anvertraute, über das sie nie Rechenschaft abzulegen brauchte. Aber mit allem habe ich das Gegenteil erreicht und mein Schicksal nur beschleunigt …

Sie bat mich eines Tages, mit zu den Diamantfeldern hinausfahren zu dürfen. Es verstand sich, daß ich ihrer Laune nachgab. Sie zeigte aber für alles, was sie dort zu sehen bekam, so viel Interesse, daß die Dunkelheit hereinbrach, ehe ich sie bewegen konnte, mit der Besichtigung aufzuhören. Während ich den Motor meines Wagens untersuchte, ging sie, scheinbar um ein letztes Interesse zu befriedigen, in eine der Baracken, in denen sich die eingeborenen Arbeiter zur Kontrolle melden mußten, ehe es ihnen erlaubt war, das eingezäunte Arbeitsfeld zu verlassen. Diese Räume sind mit allen modernen Mitteln ausgerüstet, sogar mit Röntgenapparaten. Oft verschlucken die Arbeiter wertvolle Steine, die sie gefunden haben, und sie müssen dann auf diese Weise untersucht werden.

Darum sah ich nichts Auffälliges darin, daß Olly sich für diesen Raum interessierte. Aber kaum hatte sie ihn betreten, als das Licht drinnen erlosch und ich sie einen lauten Schrei der Angst ausstoßen hörte. Mit zwei, drei Sprüngen war ich an der Tür und sah Olly am Boden liegen. Ein Mann, im Halbdunkel nicht zu erkennen, beugte sich über sie und griff nach ihr. Ohne Besinnen zog ich meine Waffe und schoß auf die Gestalt. Sie brach lautlos zusammen.

Ich riß Olly vom Boden auf, entsetzt von dem Gedanken, daß ihr etwas geschehen sei. Aber sie war unverletzt und unberührt. Nur schien der Schreck sie derartig erschüttert zu haben, daß sie auf alle meine Fragen keine Antwort gab.

Durch den Schuß alarmiert, kamen Wächter mit Waffen und Hunden herbei. Aber ehe sie noch die Baracke betreten konnten, tauchte, wie ein böser Geist dem Boden entstiegen, Mingal in der Tür auf und hielt sie zurück. ›Es ist nichts‹, sagte er zu ihnen. ›Gehen Sie nur wieder.‹

Die Wächter zögerten und warteten offenbar auf einen Befehl von mir. Ich hatte inzwischen Licht gemacht, um zu sehen, wer eigentlich der Eindringling sei. Ich leuchtete ihm ins Gesicht … und taumelte vor Schreck zurück. Vor mir auf dem Boden, mit einem Schuß durch die Stirn lag der alte Alming …

Mingal stand neben mir und raunte: ›Sagen Sie den Wächtern, daß sie weggehen sollen. Sie brauchen das nicht zu sehen.‹

Ich hätte diesen Befehl nicht erteilen sollen. Ich tat es jedoch in meiner Bestürzung und Erregung. Ich nahm mir so die Zeugen, die meine Unschuld hätten beweisen können und lieferte mich selber meinem Henker aus.

Wir drei, Mingal, Olly und ich, standen schweigend in dem Räume. Eine Blutlache schillerte in dem matten Licht.

Mingal deutete drohend auf den Boden: ›Was haben Sie getan?‹

Ich ahnte wohl den Sinn der Drohung, aber sie konnte mich nicht treffen.

Ich konnte noch mit ruhigem Gewissen erzählen, was sich abgespielt und welche Situation ich vorgefunden hatte, als ich Ollys Schrei hörte. Wer konnte mir da vorwerfen, ich hätte anders gehandelt als in Abwehr einer Gefahr, in der ich einen geliebten Menschen sah? Kein Gericht würde mich auch nur mit einem Schatten des Vorwurfs belasten können.

Aber Mingal schüttelte den Kopf: ›Sie haben keinen Anlaß gehabt, zu schießen. Niemand hat Olly bedroht, am wenigsten mein alter Vater. Sie haben ihn ermordet. Das ist alles.‹

Nichts war sinnloser als dieser Vorwurf und niemand konnte ihn leichter widerlegen als Olly selbst. Ich wandte mich zu ihr: ›Willst du ihm nicht sagen, wie alles gekommen ist? Hat er dich nicht bedroht und zu Boden geworfen? Wollte er dir nicht Gewalt antun?‹

Sie sagte sehr kühl: ›Ich verstehe nicht, was du da sagst. Vater Alming saß ganz ruhig dort in der Ecke und sagte, er wünsche dich zu sprechen. Ich wollte dich rufen oder dir Bescheid geben. Dabei bin ich gestolpert und habe vielleicht – ich weiß es nicht einmal genau – einen kleinen Schrei ausgestoßen. Und als du hereinkamst, war der gute Alming gerade im Begriff, mir zu helfen. Das ist alles.‹

Mir dämmerte langsam die Erkenntnis von dem Sinn dieses Vorfalles. ›Und warum hast du mich nicht über das Geschehene aufgeklärt, als ich kam?‹

Sie verweigerte zunächst die Antwort. Dann, mit einem Blick auf Mingal, erwiderte sie: ›Du hast gleich geschossen. Ich hatte keine Gelegenheit, dir Aufklärung zu geben. Es lag dir auch vielleicht gar nicht daran, zu wissen, was geschehen sei …‹

Mingal lachte häßlich: ›Ich finde es recht feige, Herr Miquel, daß Sie jetzt noch den Versuch machen, Ihr Verbrechen zu beschönigen. Sie waren blind vor Eifersucht; das ist alles. Konnten Sie im Ernst daran denken, daß mein Vater, ein alter und ruhiger Mann, Ihnen Ihren Besitz streitig machen wollte?‹

›Ich konnte ihn doch gar nicht erkennen!‹ rief ich. ›Es war völlig dunkel im Räume. Ich sah nur eine Gestalt; weiter nichts.‹

›Olly,‹ fragte er mit betonter Stimme, ›war es dunkel im Räume oder nicht?‹

Sie zuckte die Achseln: Jedenfalls war es hell genug, daß ich deinen Vater erkennen konnte. Miquel hätte ihn auch erkennen können.‹

Nun war das Komplott fertig. Hätte ich noch einen Zweifel daran haben können, daß alles vorbereitet und vorbedacht war, die nächste Sekunde würde alles aufgeklärt haben. Ich sagte zu Olly: ›Man muß die Sache den Gerichten überlassen. Komm mit. Wir wollen nach Hause fahren.‹

Olly schüttelte den Kopf: ›Ich fahre nicht mit dir. Ich will nichts mit den Gerichten zu tun haben. Du hast die Sache eingefädelt. Du mußt sie auch zu Ende führen.‹

Mingal legte mit häßlichem Lachen seinen Arm um Ollys Schulter: ›Sie erlauben wohl, Herr Miquel, daß wir uns von diesem Tatort entfernen. Auch ich habe nicht gern mit Gerichten zu tun. Wir werden Ihren Wagen nehmen und ihn später in Ihrem Hause abliefern^

Damit verließen die beiden die Baracke. Ich stand da in der nächtlichen Dunkelheit, mit wirren Gedanken, halb gelähmt, mit den ersten gewaltigen Keulenschlägen meines neuen Schicksals. Vor mir lag ein Toter. Nicht ich hatte seinen Tod auf dem Gewissen. Aber niemand stand mir zur Seite, der es mir hätte bezeugen können. Es waren nur zwei Zeugen vorhanden, die in jedem Augenblick bereit waren, meine Schuld zu beschwören.

Wenn ich es heute bedenke, wäre es nicht unmöglich gewesen, eine Lösung zu finden. Ich hätte die Wächter rufen können. Ich hätte den beiden den Weg zu meinem Wagen verlegen und sie festhalten können. Ach, es wäre so vieles möglich gewesen … was nicht möglich war, was sich meinen zerrütteten Nerven und meinem erschütterten Gemüt versagte. Ich saß da, ließ die Stunden vergehen und sah mit Entsetzen, daß es draußen dämmerte und mich nur wenige Stunden von dem Augenblick trennten, wo die Arbeiter und Aufseher kommen würden …

Ich spähte nach draußen, um zu sehen, wo sich die Wächter befanden. Ihre Laternen schwankten weit hinten auf einem anderen Teile des Feldes. Da nahm ich den Körper auf, wickelte ihn in eine Zeltbahn, die in der Baracke lag, und schleppte ihn zu einer Geröllhalde. Dort lag Gestein, das schon untersucht war und das auf Jahre hinaus nicht mehr berührt wurde. Mit meinen nackten Händen wühlte ich eine Öffnung hinein, legte meine Last nieder und schichtete Haufen von Gestein darüber. Nur ein Zufall konnte jetzt dieses Grab wiederfinden … und bis heute hat es niemand gefunden …

Dann ging ich in die Baracke zurück und verwischte sorgfältig alle Blutspuren. Ich tat alles das – wie gesagt – nicht mit klarem Verstande, sondern mit der Hellsichtigkeit des Instinktes, mit der Geschmeidigkeit, mit der ein Verbrecher nach seiner Tat arbeitet. Was nützte es mir, daß ich mich schuldlos wußte? Es standen Zeugen gegen mich, und alles, was ich tat, diente nur dazu, meine Schuld zu bestätigen.

Es wurde Morgen und die Arbeiterkolonnen rückten an. Ich ging auf dem Felde umher, als sei ich gerade eben angekommen. Bald traf auch mein Chauffeur mit dem Wagen ein. Er berichtete, Olly habe ihm den Auftrag gegeben, mich abzuholen. Auch jetzt noch war ich nicht frei in meinen Entschließungen. Warum folgte ich diesem unausgesprochenen Befehl? Warum ergriff ich nicht sofort die Flucht? Warum ging ich nicht noch in letzter Minute zu den Behörden, um alles klarzustellen und mich zu rechtfertigen? Ich tat es nicht, weil Olly mir befahl, zu kommen. Ich war ihr schon in einem Maße unterworfen, daß es keinen Widerstand mehr für mich gab.

So ließ ich mich nach Kandy zurückfahren. In meinem Arbeitszimmer saßen Olly und Mingal, beide kühl und beherrscht. Ich glaubte, es sei noch möglich, alles zu klären und zu beschwichtigen, vor allem: Olly nicht zu verlieren. Aber der Angreifer ist immer der Stärkere. Ehe ich noch ein Wort sagen konnte, verlangte Mingal: ›Geben Sie mir den Vertrag über das Pachtrecht.‹

Dieses Verlangen entschleierte alle Vorgänge. Ich nahm den Vertrag aus meinem Schreibtisch und zerriß ihn vor Mingals Augen. ›Den Vertrag kann ich Ihnen leider nicht mehr geben, weil ich ihn nicht mehr habe. Aber jedermann weiß, daß mir die Felder gehören. Sie werden nicht in der Lage sein, Ihr Eigentum zu behaupten.‹

›Wie Sie wollen, Herr Miquel. Würden Sie mir gestatten, Ihre Grundstücke zu betreten, um die Leiche meines Vaters zu holen? Ich muß doch als Sohn meine Pflicht tun und für ein ordentliches Begräbnis sorgen.‹

Eine Sekunde lang erwog ich, allem ein Ende zu machen und mit ruhiger Entschlossenheit Mingal, Olly und mich zu erschießen. Aber ich verweilte zu lange bei dem unmöglichen Gedanken, Olly ein Leid zuzufügen, und diese Weile der Überlegung genügte für Mingal, den kalten, geschmeidigen, gewissenlosen, die Situation wieder an sich zu reißen.

›Oder kann ich annehmen, Herr Miquel, daß Sie diese Pflicht schon für mich erfüllt haben? Das wäre edel, aber … gefährlich.‹

Ich schwieg. Was sollte ich antworten? Ich wußte, was kam. Darum fragte ich nur noch: ›Wieviel?‹

Er entrüstete sich: ›Halten Sie mich für einen Erpresser?‹

›Ja. Nicht nur Sie, sondern auch Olly.‹

Sie lachte mich aus: ›Wofür habe ich denn die ganzen Jahre bei Ihnen ausgehalten? …‹

Aber sie wagte doch nicht, weiterzusprechen. Es war vielleicht ein Rest von Schamgefühl in ihr erwacht. Mingal ließ es auch nicht zu, daß weiter darüber gesprochen wurde. Er sagte: ›Die Lage ist zu klar, Herr Miquel, als daß es noch Zweck hätte, Erwägungen anzustellen. Ich habe nichts mehr von Ihnen aus dem Vertrage zu fordern. Was ich bekommen habe, habe ich ausgegeben. Leider ist mein Ruf nicht so, daß mir ein Mensch noch Geld darauf gibt. Darum hatte ich meinen Vater kommen lassen, damit er wieder etwas Kredit für mich beschafft. Jetzt kann er nichts mehr für mich tun. Es ist Ihre Schuld, daß er es nicht mehr kann. Es ist nicht mehr als gerecht, daß Sie mir einen Ausgleich dafür geben. Und was Olly anlangt: sie ist schon meine Braut gewesen, ehe sie zu Ihnen kam. Sie hat kostbare Jahre dafür geopfert, um mich in den Besitz der Raten aus unserem Vertrage zu bringen. Sie werden auch dieses Opfer angemessen belohnen müssen. Verstehen Sie mich recht: ich will damit keinen Druck auf Sie ausüben. Es steht vielmehr in Ihrem freien Ermessen, ob Sie uns beide entschädigen wollen oder nicht.‹ ›Wieviel?‹ fragte ich noch einmal.

›Nach Ihrem Belieben‹ sagte er höflich. ›Ich fordere nichts.‹ ›Tausend Pfund?‹ schlug ich ihm vor.

›Für jeden von uns‹, meinte er kaltblütig. ›Damit bin ich einverstanden.‹

Also schrieb ich einen Scheck über zweitausend Pfund aus. Es wäre besser gewesen, ich hätte ihnen gleich mein ganzes Vermögen gegeben, dann wäre es mit einem Male erledigt gewesen. Aber ich war immer noch arglos genug, zu glauben, daß ich von jetzt an Ruhe haben würde.

Jeder wird verstehen, daß diese Zahlung nur der Anfang war. Nach drei Monaten stellte sich Mingal wieder ein und bat, immer in höflicher Form, um einen weiteren Betrag. Ich bot ihm an, meine Plantage und die Diamantenfelder zu übernehmen und mich alsdann in Frieden zu lassen. Er lachte mich nur aus und sagte mit der ruhigsten Miene: ›Ich eigne mich nicht zum Arbeiten. Wenn ich Ihre Plantage und Ihre Felder habe, dann bin ich nur gezwungen, mich darum zu kümmern, und ich verstehe vom Geschäft nichts. Es ist schon besser, Sie arbeiten weiter. Ich möchte Sie auch nicht so in Anspruch nehmen, daß Ihnen die Möglichkeit zu weiterem Verdienst genommen wird. Denn darunter würden Olly und ich am meisten leiden.‹

Das hieß also, daß ich mein ganzes ferneres Leben und Arbeiten in den Dienst dieser Erpresser stellen sollte. Ich tat es, solange ich es ertragen konnte. Von Zeit zu Zeit erschienen die beiden Mahner wieder. Das lähmte auf die Dauer meine Tätigkeit und machte mich mürbe. Ich vernachlässigte meine Geschäfte. Ich war gezwungen, meine Plantagen zu verkaufen. Der Erlös ging den bekannten Weg. Auch meine Diamantenfelder konnte ich bald nicht mehr halten. Jedermann wußte, daß ich in geschäftlichen Schwierigkeiten war, und so war der Preis, den ich erzielen konnte, nur ein geringer. Aber was nützte es? Ich mußte eben Geld beschaffen, unaufhörlich und in immer steigendem Maße.

Dann kam es so weit, daß ich mein Haus in Kandy verkaufen mußte, auch dieses Mal zu einem Spottpreis. In Nacht und Nebel verließ ich die Stadt und zog mich in meinen Bungalow zurück. Es war eine lächerliche Selbsttäuschung, anzunehmen, daß ich dort Ruhe finden würde. Nach einem Monat hatten sie mich aufgestöbert.

Nur waren es jetzt nicht mehr zwei, sondern drei Menschen, die sich auf mein Vermögen stürzten … und ich selbst habe die Hand dazu geboten. In einem Augenblick der Verzweiflung hatte ich mich an den Agenten Ovel gewandt, der mir vor meiner Einreise nach Ceylon das Gelände für meine Plantagen beschafft hatte. Ich erzählte ihm alles, was geschehen war, und bat ihn um seinen Rat und um seine Hilfe. Er versprach, sich den Fall zu überlegen … und er hat ihn sich gründlich überlegt.

Er wußte jetzt nicht nur, daß ich jederzeit unter Anklage des Mordes kommen, sondern auch, daß Mingal jederzeit als Erpresser entlarvt werden könnte. Was tat er? Er wurde selbst nach beiden Seiten hin zum Erpresser. Er bedrohte gleichermaßen Mingal und mich. Aber die beiden hatten sich bald als ebenbürtig und als Menschen von gleicher Gesinnung erkannt. Sie vereinigten sich in ihren Anforderungen an mich. Sie wurden gute Freunde, die beide das gleiche Geheimnis zu hüten hatten.

Vor einem Monat haben sie mich gezwungen, diesen Bungalow zu verkaufen. Morgen schon wird der neue Besitzer hier erscheinen. Die letzten acht Tage habe ich benutzt, um den Rest meines Vermögens, den ich immer sorgfältig verborgen gehalten habe, in Sicherheit zu bringen. Aus der Ausbeute der Felder habe ich im Laufe der Jahre eine Reihe von schönen Stücken für mich behalten. Ich habe sie in drei Lederbeutel verpackt und sie an dem Nordabhang des Pik Adam verborgen. Ich habe einen genauen Plan aufgezeichnet, damit einmal meine Erben sich in den Besitz der Steine setzen können. Den Plan habe ich in ein Buch eingeklebt, das ich aus Zufall einmal erstanden habe. Wie der Plan zu deuten ist, beschreibe ich hier auf einem besonderen Blatt dieser Aufzeichnungen. Das Buch werde ich mit mir nehmen, wenn ich jetzt dieses Land verlasse, arm wie zu allem Anfang und an Herz und Geist völlig zerrüttet.

Ich werde nicht nach Dinkholder zurückgehen, wie ich es mir immer gedacht habe. Meine Geschwister sollen nicht Zeugen davon werden, wie man versuchen wird, mich um das Allerletzte zu bringen, denn meine Peiniger wissen, daß ich diesen Schatz besitze und verberge. Aber ich will etwas mehr in der Nähe meiner Brüder sein als jetzt. Ich habe dann aus dieser Nähe ein ruhigeres Gefühl. Mögen die anderen kommen und versuchen, sich zu bereichern. Gebe Gott, daß es ihnen nicht gelingt, den Plan zu finden. Er wird, wie ich hoffe, mit dem armseligen Rest meiner Habe in die Hände meiner Geschwister gelangen …

Einen letzten Willen füge ich noch hinzu: wenn Olly es vermag, sich von ihren gefährlichen Freunden zu trennen, dann soll sie für die kurze Zeit, in der sie mein Leben froh gestaltet hat, noch einen Anteil aus den Resten meines Vermögens bekommen. Die Erben mögen bestimmen, wieviel es sein soll. Aber es soll nicht vergessen werden, daß ich einmal an einen Himmel auf Erden geglaubt habe …

Michael Mohringer, genannt Miquel.«

Aren sah von seinen Blättern auf. Es war ganz still geworden im Räume. Nur Ollys verhaltenes Weinen sprach von Schuld und von einem verfehlten Dasein …

 

Ende

 


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