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Sechstes Kapitel.
Insekten

Kurz vor der Landung in Colombo rief Sommer seinen Freund Bob zu sich in die Kabine. »Hier, mein Sohn, hast du deinen Paß. Sieh ihn dir genau an, damit du jederzeit Bescheid geben kannst, wie du heißt.«

Bob blätterte darin. »Bob Kummer heiße ich? Das ist aber ein trauriger Name. Im übrigen stimmt das Signalement recht gut. Mit der Photographie hingegen bin ich nicht zufrieden. Sie könnte auch einen anderen vorstellen.«

»Na«, tröstete Sommer. »Eine gewisse Ähnlichkeit ist vorhanden; und die Hauptsache ist, daß sich ein amtlicher Stempel darauf befindet. Nun setze dich doch etwas hin und übe deine Unterschrift; möglichst so, wie sie unter dem Bilde steht. Es macht keinen guten Eindruck, wenn sie mal bei der Kontrolle anders ausfallen sollte.«

»Kann ich deinen Paß sehen?« fragte Bob.

»Aber gern«, lachte Sommer. »Du scheinst mir immer noch nicht zu trauen.«

»Ganz noch nicht.« Er besah sich den Paß: »Du, das Bild stimmt aber genau. Und alles andere auch. Also du bist wirklich Sommer?«

»Wie kommst du nur auf die Idee? Ich habe dir doch schon gesagt, daß ich nicht Sommer heiße. Das hat doch mit meinem Paß nichts zu tun. Mein Paß ist nur in der Photographie etwas besser ausgefallen als deiner. Im übrigen ist er genauso falsch.«

»Daraus werde ich nicht klug«, stöhnte Bob.

»Das ist auch ganz unnötig. Wissen beschwert das Gehirn. Also du weißt jetzt, wer und was du bist. Ich bin, merk dir das, Geologe. Das sind die Leute, die mit dem Daumennagel auf einem zweitausend Meter hohen Berge herumkratzen und dann glauben, sie könnten der Erde bis in die Eingeweide sehen. Und du bist bei dieser Tätigkeit mein Sekretär. Hier hast du ein kleines Buch, aus dem du einige Vokabeln auswendig lernen kannst. Es macht sich ganz gut, wenn du hin und wieder mit einigen Brocken herumwerfen kannst, so zum Beispiel: Diluvium, Pliozän, Oligozän, Tertiär, Neolitikum und solche Scherze. Ich habe mir darüber aus dem kleinen Buche während der Fahrt einige Kenntnisse erworben. Viel weiß ich natürlich auch nicht.«

Bob ärgerte sich: »Du betreibst die Sache immer noch so verspielt. Das will mir nicht gefallen.«

»Lieber Herr Kummer,« sagte Sommer ernst, »es wird schon noch heiße Tage geben, an denen wir beide nichts zu tun haben. Vorläufig hat meine Spielerei noch Hand und Fuß. Das wirst du wohl inzwischen eingesehen haben. Wir säßen nicht hier an Bord, wenn ich nur gespielt hätte.«

»Du hast recht«, gab sich Bob zufrieden. »Hast du dir schon überlegt, wo wir in Colombo wohnen werden?«

»Ich habe mir sagen lassen, das Gloria-Hotel wäre nicht zu feudal und nicht zu ärmlich. In meiner Eigenschaft als Geologe kann ich unmöglich großen Luxus treiben. Das fiele sonst auf. Wir werden noch früh genug auffallen, denn es kann unmöglich verborgen bleiben, daß wir mit einer ganzen Trägerkolonne in die Berge gehen.«

»Müssen wir denn unbedingt eine Kolonne haben? Geht es nicht, wenn wir beide allein gehen und uns vielleicht zwei oder drei Diener nehmen, die nachher als Träger dienen können?«

»Das geht nicht. Das würde noch auffälliger sein. Das wirst du im Augenblick nicht einsehen. Aber später wirst du es verstehen. Es muß dabei bleiben, daß wir eine ganze Kolonne zusammenstellen. Offiziell hat sie die Aufgabe, das von uns gesammelte Steinmaterial zu transportieren. Nur so können wir genügend Spaten, Hacken, Kisten und ähnliches Material mitnehmen.«

»Du rechnest also mit einem sehr großen Fund?«

»Darüber läßt sich heute noch nichts sagen. Wir wollen uns nur auf jede Möglichkeit vorbereiten.« –

Sie landeten in Colombo. Die Formalitäten am Zoll und bei der Paßkontrolle wurden ziemlich mühelos überwunden. Noch im Hafen selbst nahmen sie einen Wagen und ließen sich zum Gloria-Hotel fahren. Sommer wünschte zwei Zimmer nach der Straßenseite und möglichst nicht höher als im ersten Stock. Er bekam sie ohne Schwierigkeiten.

Sobald sie sich ein wenig eingerichtet hatten, machte sich Sommer bereit, auszugehen. »Kann ich mitgehen?« fragte Bob.

»Leider nicht. Aber ich bin in einer halben Stunde wieder hier.«

Er hielt Wort und erklärte bei seiner Rückkehr: »Ich habe nur einige Waffen eingekauft. Später bekommst du eine davon.«

»Du bist auch nicht frei von Mißtrauen«, sagte Bob gekränkt.

»Wie sollte ich das auch? Solange du deine geheimen Vorbehalte hast, solange muß ich sie auch haben. Hier habe ich noch ein kleines Paket, das du bitte mit ganz besonderer Liebe und Sorgfalt behandeln willst. Es sind nämlich Sprengkapseln darin. Man kann sie unter Umständen nicht nur dazu gebrauchen, Steine zu sprengen, etwa dann, wenn sie eine Höhlung bedecken; sondern man kann auch schmale Wege damit für etwaige Verfolger ungangbar machen.«

»Aha«, sagte Bob. »Du rechnest also damit, daß man versuchen wird, auf unseren Spuren zu wandeln?«

»Damit rechne ich unter allen Umständen. Wenn mich nicht alle meine Berechnungen täuschen, dann wird eine solche Begegnung schon in etwa acht Tagen zustande kommen.«

Bob reckte sich. »Auf dieses Zusammentreffen bin ich gespannt. Glaubst du, daß es friedlich verlaufen wird?«

»Nein«, sagte Sommer ernst. »Es wird nicht friedlich verlaufen. Auf keinen Fall. Entweder wir haben das Lager dann schon gefunden und gehoben, und dann haben wir einen Besitz zu verteidigen. Oder wir haben es noch nicht gefunden, dann wird man versuchen, uns den Weg abzuschneiden.«

»Ich sehe das nicht ein, Freund Sommer. In acht Tagen können wir, wenn die Wege nicht allzu schwierig sind, hin und zurück sein und Ceylon schon wieder verlassen haben.«

»Das ist richtig, aber es läßt sich nicht durchführen. Wir können nicht sofort aufbrechen. Ich hab erst noch ein anderes Geschäft hier zu erledigen und weiß noch nicht, wie lange es mich in Anspruch nimmt. Einstweilen muß ich dich wieder allein lassen; vermutlich bis gegen Abend. Sei so gut und bleib bis dahin hier im Hotel. Bestell' dir zu essen und zu trinken was du willst. Pfleg' dich gut. Auf Wiedersehen.«

Sommer ging in die Hotelhalle hinunter und verlangte den Manager zu sprechen.

Der Manager war ein ältlicher, geschmeidiger Herr, mit grauen Schläfenhaaren und eindringlichen, hellblauen Augen. »Sie wünschen, mein Herr?« fragte er verbindlich.

»Ich nehme an,« sagte Sommer, »daß Sie sich hier im Orte genau auskennen.«

»Das versteht sich. Ich bin seit dreißig Jahren hier und kenne ganz Colombo wie meine Westentasche.«

»Gerade das, woran mir liegt. Ich suche nämlich hier in der Stadt ein bestimmtes Haus, das ich nur dem Namen nach kenne und über das ich sonst nichts weiß.«

»Wie heißt es?«

»Das Gelbe Haus.«

Der Manager Parker schüttelte den Kopf. »Diesen Namen habe ich noch nie gehört. Wenn es irgendetwas mit Europäern zu tun hätte, müßte ich es unter allen Umständen kennen. Es kann sich also nur um ein altes Haus handeln, oder um ein solches, in welchem nur Eingeborene verkehren.«

»Hätten Sie eine Möglichkeit, das zu ermitteln? Ich würde bereit sein, Ihnen Ihre Gefälligkeit ausgiebig zu belohnen, weil für mich sehr viel davon abhängt.«

Parker hob abwehrend die Hand: »Wir tun im Interesse unserer Gäste alles, was wir können. Ich will nur einmal den alten Gärtner Yannah kommen lassen. Er ist ein Singhalese, der hier geboren ist. Diese Leute wissen alles.«

Yannah wurde gerufen. Er kam auf lautlosen Sohlen angeschlichen und sah mit unruhigen Augen auf den Manager und seinen Besucher. Parker sagte etwas zu ihm in seinem Dialekt. Yannah neigte den Kopf seitwärts, dachte nach und machte dann eine verneinende Bewegung. Sommer glaubte aber, in den Augen des alten Gärtners etwas erspäht zu haben, was ihn darauf schließen ließ, daß der Alte wider besseres Wissen verneinte. Er zog ein Geldstück aus der Tasche und legte es auf den Tisch. Parker verstand sofort. Er nahm die Münze in die Hand und hielt sie Yannah vor die Augen. Dann ließ er sie klingend auf den Tisch fallen.

Yannah zuckte mit den Augenlidern, verharrte aber bei seiner Verneinung.

»Ich vermute,« sagte Sommer leise zu Parker, »daß er einfach Angst hat, etwas zu verraten. Das kann mit meinen Vermutungen über den Charakter des Hauses sehr wohl übereinstimmen. Sagen Sie ihm bitte, daß ich nie sagen würde, daß er mir das Gelbe Haus gezeigt hat.«

Parker redete wieder auf Yannah ein. Auch diesmal schwieg Yannah, ohne aber zu verneinen. Sommer machte einen weiteren Versuch: »Vielleicht sagen Sie ihm noch, daß ich nur ein einziges Mal dieses Haus besuchen und im übrigen nach acht bis zehn Tagen Colombo wieder verlassen würde, um niemals wiederzukommen.«

Zu allem Überfluß legte er eine zweite Münze auf den Tisch. Da konnte Yannah nicht widerstehen. Er beugte sich zu Parker und flüsterte ihm etwas ins Ohr, immer mit der gleichen furchtsamen Miene, zugleich auch mit dem Ausdruck des Zweifels im Gesicht, ob er das Geld wirklich bekommen würde.

»Weiß er's jetzt?« frage Sommer gespannt.

»Ja. Aber er will das Geld nicht von Ihnen nehmen, damit man ihm nicht nachsagen kann, er hätte das Haus an einen Fremden verraten. Ich werde es ihm also aus meiner Tasche geben. Es ist am besten, Sie gehen, damit er auch das Gefühl verliert, in Gegenwart eines Unbekannten etwas gesagt zu haben.«

Sommer zuckte die Achseln, als sehe er die Vergeblichkeit seiner Bemühungen ein, steckte das Geld wieder in die Tasche und ging in die Hotelhalle hinaus. Nach einer Minute sah er Yannah an sich vorüberhuschen und durch den Hof verschwinden.

Bald danach kam Parker mit sorgenvollem Gesicht und setzte sich zu ihm. »Ich weiß jetzt, wo und was das Gelbe Haus ist. Ich kannte es, aber unter einem anderen Namen. Ich möchte Ihnen von vornherein abraten, dahin zu gehen.«

»Warum denn, bester Herr Parker? Ist es so gefährlich?«

»Ja, mein Herr. Die Polizei nennt es nicht das Gelbe Haus, sondern das ›Beinhaus‹. Bein ist in diesem Falle dasselbe wie Gebeine oder Knochen. Sie werden leicht erraten können, daß damit die Gebeine von Menschen zu verstehen sind, die freiwillig oder unfreiwillig einmal hineingegangen sind und von denen man nie wieder etwas gehört hat. Das Haus liegt im Viertel der Malaien. Es ist eine Verbrecherspelunke der allergefährlichsten Art. Als Europäer allein hineinzugehen, bedeutet einfach Selbstmord. Also geben Sie den Plan auf.«

»Ich kann den Plan nicht aufgeben, Herr Parker. Es ist unmöglich. Der Besuch dieses Hauses ist ein Teil des Zwecks, zu dem ich diese lange Reise von Europa hierher gemacht habe. Es wäre sinnlos, darauf zu verzichten. Es wird doch möglich sein, einen Menschen zu finden, der mich dorthin begleitet.«

Parker dachte nach: »Wenn es schon sein muß, dann wollen wir wenigstens einen Weg finden, der das geringste Risiko in sich trägt. Wollen Sie das Lokal nur ansehen oder … verbinden Sie sonstige Zwecke mit dem Besuch?«

»Offen gesagt: ja. Ich muß eine Auskunft haben, die ich nur dort bekommen kann. Und von dieser Auskunft hängt so viel ab, daß ich sie haben muß, was es auch kostet. Ich bin nicht furchtsam und kann mit einer Waffe gut umgehen.«

Parker lächelte: »Eine Waffe würde Ihnen da nicht viel nützen. In diesen engen Räumen hätte man Ihnen bald so viele Dolchstiche versetzt, daß Ihnen die Lust zum Waffengebrauch schnell vergangen wäre.«

»Könnte man nicht einen Polizisten zur Begleitung bekommen?«

»Man könnte schon. Aber die Polizei wird keinen Anlaß haben, zu solchen privaten Zwecken einen Beamten zu bestellen.«

»Das lassen Sie meine Sorge sein«, sagte Sommer erfreut. »Ich bekomme einen Polizisten.«

»Wenn das der Fall ist,« sagte Parker eifrig, »dann gehe ich mit. Ich kenne alle Dialekte und kann Ihnen da sehr nützen. Außerdem bin ich selber sehr neugierig darauf, mir dieses Haus einmal von innen anzusehen. Wann wollen Sie Ihre Absicht ausführen?«

»Sofort. Ich habe keine Zeit zu verlieren. Es wäre mir ein Vergnügen, wenn Sie sich jetzt schon freimachen könnten.«

»Gewiß. Wir gehen also erst zum Gouvernement. Die Beschaffung eines Polizisten ist, wie gesagt, Ihre Aufgabe.«

Sie machten sich sofort auf Weg. Sommer ließ sich, unter Vorzeigung seines Passes, bei dem Polizeichef melden. Er wurde vorgelassen und hatte mit ihm eine Unterredung, die kaum zehn Minuten dauerte. Dann wurde auch Parker gebeten, mit in das Zimmer zu kommen.

»Herr Parker,« sagte der Polizeichef, »Sie werden Herrn Sommer begleiten, nicht wahr? Das scheint mir auch zweckdienlich, da Sie doch hier am Orte bekannt sind und man mit Ihnen als britischem Staatsbürger vorsichtig umgehen wird. Um Sie nun an Ort und Stelle unter Schutz zu haben, werde ich veranlassen, daß sich ein Beamter in Zivil dort aufhält, und zwar ein Eingeborener. Er soll vor Ihnen da sein, weil es zu auffällig sein würde, wenn Sie zu dritt erscheinen. Wenn Sie wünschen, lasse ich den Beamten gleich kommen, damit Sie ihm nötigenfalls vorher Instruktionen erteilen können.«

»Ich bitte sehr darum«, sagte Sommer. »Ich möchte ihm noch einige Hinweise geben.«

Es erschien ein schmaler, aber sehnig und kräftig gebauter Mann, mit klugen, durchdringenden und furchtlosen Augen. »Er versteht Englisch«, sagte der Chef. »Sie können sich mit ihm unterhalten.«

Sommer nahm den Beamten in eine Ecke und sprach leise und betont mit ihm. Der Mann hörte aufmerksam zu, indem er die halb geschlossenen Augen auf den Boden gesenkt hielt. Als ihm alles erklärt worden war, dachte er nach und fragte dann: »Können Sie wütend werden?«

Sommer mußte lachen: »Wirklich wütend oder auf Kommando?«

Der Beamte verzog keine Miene. »Zur rechten Zeit«, sagte er still. »Es könnte sein, daß wir uns dort schnell zurückziehen müssen. Wer dann wie ein Amokläufer toben kann, hat am meisten Chancen, heil davonzukommen.«

»Also kommt es auf etwas Sachbeschädigung nicht an?«

Der Beamte lächelte: »Nein. Das ist man dort gewöhnt. Es ist auch nicht viel zu beschädigen. Ich bezeichne Ihnen da den Mann, der etwas wissen kann. Wenn er nicht freiwillig mitkommen will, schleifen Sie ihn mit. Selbst wenn Sie etwas hart anpacken müssen.«

Der Beamte ging. Parker und Sommer verabschiedeten sich von dem Polizeichef. »Seien Sie unbesorgt«, sagte er. »Omar ist zuverlässig.«

Als sie draußen waren, kraulte Sommer sich den Kopf. »Na, so ganz friedlich wird die Sache da anscheinend nicht verlaufen. Ich will Sie nicht in Versuchung bringen, Herr Parker; und noch viel weniger in Gefahr.«

Parker unterbrach ihn: »Ich gehe auf jeden Fall mit. Mich hat die Sache schon zu sehr interessiert, als daß ich jetzt noch zurücktreten würde. Gehen wir also.«

Sie verließen die breiten, europäisch gebauten Straßen und wandten sich dem nördlichen Teil der Stadt zu. Die Gassen wurden enger und schmutziger. Man sah die verschiedensten Rassen sich durcheinander bewegen. Ein großer Teil des Lebens spielte sich auf der Straße ab. Lärm, Geruch, Farbe und Bewegung liefen wirr durcheinander. Bettler kamen ihnen nach. Parker verscheuchte sie mit einem Fluch, der aus dem Wortschatz der Eingeborenen stammte und daher seinen Eindruck nicht verfehlte.

In der schnell einbrechenden Dämmerung sahen sie hier und dort ein Licht auftauchen. Zwischen halb versunkenen Häusern reckten sich kleine Tempel auf. Daneben die offene Auslage eines überdeckten Basars. Kahle Mauern, die irgendwelche verborgenen Höfe umschlossen. Kleine Cafés, vor denen Eingeborene kauerten. In dem Maße, wie die Dunkelheit fiel, wurde es stiller, verschwiegener, lautloser und unheimlicher in diesem Gewirr der Gassen. Sommer gab sich die erdenklichste Mühe, diesen und jenen Richtungspunkt im Gedächtnis zu behalten, weil ihm Omars Warnung noch in den Ohren lag.

Neben einem kleinen Gewölbe, das einem unkenntlichen Zwecke diente, war ein schmaler, offener Eingang. Parker sicherte noch einmal nach allen Seiten; dann ging er hindurch. Sommer folgte ihm. Sie kamen in einen Hof, der eine Reihe von niedrigen Häusern umschloß. Der Boden war mit Grün überwuchert. Einige verkümmerte Palmen standen in der Mitte und vertieften den Eindruck der unheimlichen, feuchten, drückenden Dunkelheit. Im Hintergrunde befand sich ein etwas größeres Haus, dessen Pfosten einen grellgelben Anstrich zeigten. Rechts und links davon war je ein kleines, vergittertes Fenster angebracht. Sonst war, wie es in der Dunkelheit schien, nur eine einzige kahle, nackte Fläche aus Stein vorhanden. Offenbar dienten die beiden vergitterten Fenster den notwendigen Beobachtungen. Die gelben, leuchtenden Pfosten gaben dem Hause seinen Namen.

Vor dem Eingang hing ein langes Tuch von unbestimmter Farbe. Parker hob es zur Seite und trat ein. Aber wie aus dem Boden gewachsen, stand ein brauner, sehniger Bursche vor ihm. Er rührte den Besucher nicht an, aber er stand, die Beine gespreizt, unbeweglich mitten in dem schmalen Durchgang und versperrte ihn. Der Manager machte eine ungeduldige, befehlende Handbewegung und sagte schroff: »Geh weg!«

Als der Bursche sich nicht rührte, schob Parker ihn mit einer kräftigen Handbewegung nach links an die Wand. Der Durchgang war frei. »Je selbstverständlicher man hier auftritt, desto einfacher hat man es«, sagte Parker. »Jetzt seien Sie beim Gehen etwas vorsichtig. Es gibt hier leicht Hindernisse.«

Sie tasteten sich weiter den dunklen Gang entlang. Dann stand wieder im ungewissen Licht eine Gestalt vor ihnen, dieses Mal aber nicht stumm und drohend, sondern mit freundlichen, einladenden Bewegungen. In gebrochenem Englisch wurden sie aufgefordert, diesen Raum hier zu betreten. Parker sah hinein und Sommer reckte sich über seine Schultern hinweg. Er gewahrte ein kleines, armseliges, nach europäischem Muster mühsam hergerichtetes Zimmer, das nach der Anordnung der Tische und Stühle und dem kleinen Schenktisch so etwas wie eine Bar vorstellen sollte. Ganz in der äußersten Ecke saß ein Mann in zerschlissenem, europäischem Anzug. Hinter dem Schenktisch kauerte ein Wesen unbestimmter Herkunft. Die Luft schlug ihnen feucht und modrig entgegen.

Parker wandte sich von diesem Bilde ab und gab dem Besitzer in seinem heimatlichen Dialekt zu verstehen, daß er nicht gesonnen sei, sich in diesen modrigen Keller zu setzen. »Wenn ich jemand eine Bar zeigen will, dann brauch' ich nicht bis zu dir zu laufen. Dies hier ist ein berühmter Gelehrter aus dem Auslande. Er will alle Sehenswürdigkeiten der Stadt sehen, also auch deine Räume.«

»Herr,« verteidigte sich der Besitzer, »es ist nicht viel daran zu sehen. Es verkehren hier nur arme Leute, die ihren bescheidenen Reisschnaps trinken und dann weiter gehen. Es ist nicht der Mühe wert, sich die Räume anzusehen.«

»Das weiß ich besser,« sagte Parker, »denn ich bin schon mehr als einmal hier gewesen. Du kannst Yannah, meinen Gärtner, fragen. Weißt du jetzt, wer ich bin?«

Der Besitzer verneigte sich: »Ihr seid der Herr vom Gloria. Natürlich stehen für Euch alle meine Räume offen. Ihr müßt verstehen, Herr, daß ich etwas vorsichtig bin. Es gibt so viele schlechte Menschen, die neidlich auf meinen kleinen Erwerb sind und immer Anzeigen gegen mich beim Gouvernement erheben. Aber man hat mir nie etwas nachweisen können.«

»Das glaube ich«, lachte Parker spöttisch.

Sommer dauerten diese Vorbereitungen schon viel zu lange. Er verstand zwar nicht, was hier gesprochen wurde, aber die überaus demütige Tonart, mit welcher der Besitzer seine Erklärungen abgab, ließen in ihm den Wunsch aufkommen, sich dieses Gesicht etwas näher zu betrachten. Er zog kurzerhand seine Taschenlampe und leuchtete dem Mann ins Gesicht. Der prallte zurück. Er hatte mandelförmige, etwas verschleierte und von Bosheit und Hinterlist funkelnde Augen. Das Gesicht wies verschiedene Narben auf. Es war bartlos und ließ alle Züge klar hervortreten.

Als dieses Licht so unvermutet auf ihn einprallte, machte er eine unwillkürliche Bewegung zum Gürtel. Sommer blendete sofort seine Laterne ab und faßte die Hand des Mannes mit einem eisernen Griff. Dabei sagte er in schlichtem Englisch: »Ich bin erstaunt, so männliche und energische und kluge Züge in Eurem Gesicht gesehen zu haben.«

Der Besitzer wußte nicht, was er mit diesem Vorfall anfangen sollte. Er schwankte zwischen Vorsicht und Mißtrauen und geschmeichelter Eitelkeit. Aber er hatte auch diesen eisernen Druck der Hand nicht vergessen. Zögernd wandte er sich an Parker: »Ist Euer Freund ein sehr aufgeregter Mann?«

»Er kann sehr aufgeregt werden,« antwortete der Manager, »besonders, wenn man ihn zu lange warten läßt. Ich sagte dir schon, daß er in seiner Heimat sehr berühmt ist. Er könnte dir böse sein, wenn du die Gesetze der Höflichkeit verletzen würdest. Dann kann er wütend werden wie ein Amokläufer.«

Dieser Hinweis tat seine Wirkung. Der Besitzer nahm aus einem unsichtbaren Verschlage eine kleine Laterne und ging voran, indem er eine einladende Bewegung machte.

Sie kamen in einen zweiten, inneren Hof, dessen eine Seite scharf im Licht des Mondes lag. Verschiedene Türen waren zu sehen, alle verschlossen. Von keiner war zu ahnen, welchem Zwecke sie diente und was sie hinter sich verbarg. »Angenehme Situation«, sagte Sommer leise zu Parker. »Wer hier nicht das Haus kennt, der hat es nicht leicht, wieder herauszukommen.«

»Das dürfte auch wohl der Zweck der Übung sein. Aber ich hoffe, daß Omar schon da ist.«

Der Besitzer löschte seine Laterne und ging auf eine der Türen zu. Aber ehe er sie öffnete, zog Sommer ihn an seinem langen Mantel zurück. Ohne auf die erstaunten Blicke des Mannes zu achten, ging er mit ihm bis in eine vom Mond hell beschienene Ecke und sagte dort leise zu ihm: »Hast du Nachrichten von Mingal?«

»Ich verstehe nicht, Herr«, sagte der Besitzer verlegen.

Sommer griff tiefer in seinen Mantel hinein: »Warum nicht? Du siehst so klug aus und hast doch ein so schlechtes Gedächtnis? Warte, ich werde dir Bob herschicken. Der kann sich weiter mit dir darüber unterhalten.«

Er wandte sich zum Gehen, aber der Braune eilte ihm nach und hielt ihn fest. »Ich habe nichts von Mingal gehört.«

Sommer gab sich zufrieden. Er raunte ihm zu: »Er kommt, sobald es Vollmond ist.«

Dann wandten sie sich wieder zur Tür, vor der Parker, erstaunt und kopfschüttelnd, wartete. »Es stimmt alles ausgezeichnet«, sagte Sommer auf französisch. »Ich glaube, wir können bald wieder weggehen.«

Der Besitzer riegelte eine Tür auf und ließ sie eintreten. Sie kamen in einen Raum, der auf den ersten Blick klein erschien, der sich aber, wenn man ihn genauer betrachtete, mit Winkeln und Nischen und Ecken und Gängen beträchtlich ausdehnte. Der Fußboden war aus Lehm und hatte hier und da große Löcher. An den Seiten standen Tische europäischer Herkunft, dazwischen waren niedere Hocker oder auch einfache Polster, die auf der flachen Erde lagen. Ganz im Hintergrunde war ein Gestell mit Krügen und seltsam geformten Flaschen. In einer Nische saßen einige Musikanten auf der Erde und entlockten Zupfinstrumenten grelle, schwirrende Töne, die wie mit Nadeln gegen das Trommelfell stachen. Alles das war in Halbdunkel getaucht. Hier und da hingen kleine bunte Laternen. Ihr Licht reichte gerade aus, um nicht über die am Boden Hockenden zu fallen.

Aber Sommer fügte sich in diese Situation mit einer Geschicklichkeit ein, die Parkers Bewunderung erregte. Er strebte einem freien Tische zu, den er links an der hinteren Wand erblickt hatte. Dabei trat er, ohne sich auch nur mit einer Kopfbewegung zu rühren, in die Trinkgefäße hinein, die die Zecher auf den Matten und Hockern vor sich stehen hatten. Auch als ihn ein bedrohliches Knurren und Murren verfolgte, kümmerte er sich nicht darum. Er setzte sich an den Tisch, den er sich als Ziel genommen hatte, warf alle Stühle bis auf zwei beiseite und winkte Parker, Platz zu nehmen.

»Was machen Sie denn für Geschichten?« frage Parker. »Es sieht ja so aus, als wären Sie hier zu Hause.«

»Ich bin nie hier gewesen. Es ist einfach ein Ausgleich für die Unsicherheit, die mich beim Anblick dieses Raumes und dieser Gesellen befallen hat. Ich fühle rein instinktiv, daß man hier nicht höflich und zurückhaltend sein darf, besonders nicht als Europäer. Man muß hier die an sich so unsympathische Rolle des Herrn spielen. Darüber hinaus will ich aber auch die Rolle des wilden Mannes spielen. Omar hat mich mit seiner Andeutung auf diese Idee gebracht. Wenn ich erst wieder heil draußen sein werde, bin ich wieder ganz vernünftig. Was trinkt man hier?«

Parker winkte dem Manne, der neben dem Gestell mit den Krügen stand, und sagte etwas im Dialekt zu ihm. Der Mann stellte zwei braune Tonschalen mit einem hellen, durchsichtigen Getränk auf den Tisch. Sommer kostete davon. Es schmeckte ihm ausgezeichnet, aber er zog es vor, die Schale mit einer ärgerlichen Handbewegung auf den Boden zu schleudern und durch viele Zeichen des Unwillens zu erkennen zu geben, daß ihm das Getränk nicht schmecke.

Einige der Gäste lachten, aber einer stand drohend auf und zeigte seinen Mantel, auf den die Flüssigkeit große Flecke gespritzt hatte. Sommer sah sich die Flecke sachverständig an, gab dem Manne eine Pfundnote und riß ihm dafür den Mantel von der Schulter. Alles lachte, nur der Mann tobte.

»Sagen Sie ihm,« bat Sommer seinen Begleiter, »daß der Mantel im ganzen nicht mehr wert ist als ein Pfund, und wenn ich ihm ein Pfund gebe, dann kann ich den Mantel verlangen.«

Parker verkündete diesen Entschluß mit erhobener Stimme. Der Erfolg war stärker, als Sommer ihn vermutet hatte, denn mit einem Male lachte alles und spottete über den Zanksüchtigen, der wegen eines Tropfen Reisschnapses sich streiten wollte und der nun – welche Schande! – ohne Mantel nach Hause gehen mußte. Der Geprellte verlegte sich dann auch auf das Bitten, damit er seinen Mantel wieder bekam. Aber dafür verlangte Sommer die Pfundnote zurück. Er bekam sie. Zum Tröste spendete er für die ganze Runde einen Krug mit Reisschnaps.

»Ich bewundere Sie«, sagte Parker. »Mit einem Male ist alles ruhig und friedlich. Es scheint mir, daß Sie derartige schwierige Situationen schon häufiger mitgemacht haben.«

»Nun«, sagte Sommer, »wenn man als Geologe auf Reisen geht, dann muß man auch gelegentlich mit unzivilisierten Gegenden vorliebnehmen. Das verschafft einem dann einen gewissen Grad von Erfahrung und Geistesgegenwart.«

Sie versuchten, ohne sich zu auffällig zu benehmen, Omar unter den Gästen zu erkennen. Es wollte ihnen nicht gelingen. Sie hatten aber keinen Zweifel daran, daß er sich im Räume aufhielt. Sommer erkannte ihn endlich an der Stimme. Wenige Schritte von ihnen entfernt saß eine Gruppe auf dem Boden und spielte mit kleinen Elfenbeinwürfeln. Es ging anscheinend alles sehr friedlich dabei zu, aber doch waren alle erregter, als sie zu erkennen geben wollten. Besonders ein alter Singhalese mit furchigem Gesicht schien Omars Unzufriedenheit immer wieder zu erregen. Wiederholt riß er ihm den Holzbecher aus der Hand oder zählte ihm die Augen der Würfel nach oder hatte sonst etwas an seinem Spiel auszusetzen. Offenbar bezichtigte Omar ihn irgendwelcher unsauberen Manipulationen. Endlich weigerte er sich, weiterzuspielen.

Parker erklärte die Ursache dieses Streites: »Omar wirft dem Singhalesen vor, daß er die Unebenheit des Lehmbodens dazu benutzt, die Würfel in letzter Sekunde noch anzustoßen oder sie weiterrollen zu lassen. Er verlangt, daß er mit ihm auf einer glatten Tischfläche weiterspielt.«

»Ein vorzüglicher Gedanke«, sagte Sommer. »Der Omar gefällt mir. Aber ich vermute, der Singhalese wird nicht freiwillig an unseren Tisch kommen.«

»Nein. Und Omar kann ihm auch nicht anbieten, an unserem Tische weiterzuspielen. Das wäre eine Unhöflichkeit gegen uns. Die Leute sind zwar imstande, einen Menschen abzuwürgen, aber sie würden darum doch nie unhöflich werden. Ich muß den Leuten schon selbst das Angebot machen.«

Er wandte sich zu der Gruppe der Spieler und machte klar, daß man dem ganzen Streit entgehen könne, wenn auf einer Holzplatte weitergespielt würde. Er lud sie ein, an den Tisch zu kommen.

Nach einigem Sträuben nahmen sie das Angebot an. Um allen Regeln der Höflichkeit Genüge zu tun, bot Omar den Holzbecher Parker zum ersten Wurf an. Aber auch Parker blieb in der Rolle und ehrte in Sommer den berühmten Gast. Darum gab er den Becher an ihn weiter. Sommer hatte keine Vorstellung von dem Sinn des Spieles, aber er ließ die Würfel ausrollen. Zugleich entgalt er diese Ehre, indem er einen neuen Krug Reisbranntwein bestellte. Dabei sah er deutlich, wie Omar ihm den Singhalesen mit einem Blick bezeichnete.

Nun kam es auf die letzte und entscheidende Verständigung an. Während sie im Laufe des Spieles einmal die Zahl der Augen feststellten, beugte sich Sommer zu dem alten Singhalesen hin und fragte: »Wo liegt der alte Bungalow?« Er bekam keine Antwort, kaum einen Blick. Gerade das bestärkte ihn in der Vermutung, daß der Alte nicht hören wollte. Wenn er nicht verstanden hätte, würde er schon aus Höflichkeit gegen den Gastgeber irgendeine Äußerung getan haben.

Nach einer Weile fragte Sommer wieder: »Wo ist der alte Bungalow von Miquel?«

Diesmal traf ihn ein kurzer, abwägender Blick. Aber er bekam darum doch keine Antwort. Zum dritten Male redete er ihn an: »Mingal sagt, du solltest mir den alten Bungalow zeigen. Er selber kommt, wenn es Vollmond ist. Antworte!«

Jetzt wurde der alte Singhalese unruhig. Er zupfte an seinem Gürtel und stieß Laute aus, die Sommer nicht verstand. Von Omar kam ein bedeutsamer Blick der Warnung und eine vorsichtige Handbewegung: zahlen! Auch Sommer hatte im gleichen Augenblick daran gedacht, damit man ihn nicht als Zechpreller behandeln und daraus einen Grund ableiten könnte, ihn hier festzuhalten. Er war sich aber auch im klaren darüber, daß er damit seine Absicht entschleiern würde, den Raum zu verlassen, und daß nun alles darauf ankommen würde, einen Rückzug anzutreten.

Offenbar hatten die Laute, die der Singhalese ausstieß, einen Teil der Gäste in Bewegung gebracht. Verschiedene näherten sich dem Tisch, als wollten sie dem Würfelspiel zusehen. Sie waren in einer Minute förmlich von einem Menschenwall umgeben und so zwischen Tisch und Wand festgehalten. Vielleicht aus Absicht, vielleicht aus Unachtsamkeit, legte einer der Gäste Sommer leicht seine Hand auf die Schulter. Es konnte auch eine stumme Anfrage an den alten Singhalesen sein: ist es dieser? Es war keine Zeit mehr, viele Erwägungen anzustellen. Omar deutete mit dem Zeigefinger vorsichtig auf den Krug. Sommer nahm ihn ohne Bedenken und goß ihn nach rückwärts dem Manne, der seine Schulter berührt hatte, ins Gesicht. Die scharfe Flüssigkeit geriet ihm in die Augen, daß er förmlich schreiend zurückwich.

Der Ring der Menschen lockerte sich etwas. Noch war nicht zu erkennen, ob es hier um einen ernsthaften Streit ging oder nicht. Es konnte auch sein, daß sich der Europäer nur gegen die unhöfliche Berührung des Mannes hatte wehren wollen. Diese Sekunde des Nachdenkens gab Sommer einen Vorsprung, den er rücksichtslos ausnutzte. Er packte den leichten Tisch an, hob ihn hoch und schlug ihn mitten in die Leute hinein. Fünf, sechs von ihnen taumelten entsetzt zurück. Damit war nicht nur eine Bresche in den Menschenwall geschlagen, sondern auch das Hindernis beseitigt, das Sommer von dem alten Singhalesen trennte. Er war mit einem Schritt bei ihm, riß ihm die Ärmel zusammen, so daß er von seinen Händen keinen Gebrauch mehr machen konnte, und hob ihn auf seine Schultern.

Parker hatte im gleichen Augenblick die Situation erkannt und ihren weiteren Verlauf gedeutet. Er nahm seinen Stuhl, schlug wild um sich und bahnte sich einen Weg zur Tür. Sie war verschlossen. Ohne Besinnen trat er sie ein. Dann zog er, zwischen den Pfosten stehend, seinen Browning und feuerte gegen die Decke. Ein unbeschreiblicher Tumult entstand. Sommer ging gebückt unter der Last des Alten, der sich aus Leibeskräften wehrte. Aber gerade diese Last machte Sommer unverletzlich, denn niemand wagte eine Waffe gegen ihn zu richten, aus Furcht, den Singhalesen zu treffen.

Die entscheidende Sicherung des Rückzuges gab Omar. Er riß sein Kopftuch ab und stülpte seine Uniformmütze auf. Zugleich rief er ein Wort, das seinen Freunden unverständlich blieb, das aber auf die Gäste eine lähmende Wirkung ausübte. Sie stutzten. Einige erkannten ihn auch. Die Pause in der Bewegung, die dadurch entstand, genügte den drei Beteiligten vollkommen, in den inneren Hof zu gelangen.

Nun lag noch ein Teil des Weges vor ihnen, den sie nur mit größtem Widerstreben beschritten. Sommer bat Omar: »Sagen Sie ihm, bitte, daß er nichts zu fürchten habe, wenn er mir den alten Bungalow zeigt. Im anderen Falle müßte er sich darauf gefaßt machen, daß ich ihn bei der Polizei abliefere, weil ich sehr viel von ihm weiß, und zwar durch Mingal.«

Omar übersetzte. Der Singhalese nickte düster vor sich hin. Er ließ erklären, er wolle den Weg beschreiben.

Aber damit gab sich Sommer nicht zufrieden. »Er soll mir den Weg nicht nur beschreiben, sondern mich selbst hinführen, und zwar heute nacht noch. Wenn es zum Gehen zu weit ist, dann nehme ich ein Auto. Aber er kommt nicht eher frei. Wenn er einwilligt, bekommt er ein Geschenk von drei Pfund.«

Der Alte hatte Bedenken und flüsterte erregt.

»Er verlangt,« berichtete Omar, »daß Sie beschwören, daß Sie Mingal kennen.«

»Sagen Sie ihm, daß ich nicht nur Mingal, sondern auch Ovel und Bob kenne.«

Es bedurfte dieser Übermittlung erst gar nicht. Kaum hatte der alte Singhalese diese ihm vertrauten Namen gehört, als er mit einem Male ganz erhebliche Kenntnisse der englischen Sprache an den Tag legte. »Wenn die drei Pfund bei meinem Freunde und Bruder Omar in Verwahrung gegeben werden, dann gehe ich mit.«

»Einverstanden«, sagte Sommer. »Aber Omar wird sie dir erst geben, wenn ich wieder zurückgekommen bin, und zwar heil und unverletzt.«

»Ich heiße Taukwi«, sagte der Singhalese, »und halte mein Wort.«

Er führte sie durch den ersten Gang in den vorderen Hof hinaus. Kein Lebewesen zeigte sich. Sie kamen ungefährdet bis auf die Straße.

»Also, wie weit ist es zu gehen?« fragte Sommer.

»Viel zu weit, wenn man noch in dieser Nacht dahin kommen will. Es liegt östlich von Mount Lavinia, nicht weit von der Küste. Man muß einen Wagen nehmen.«

Omar hatte Bedenken: »Dann fahre ich mit. Allein lasse ich Sie mit Taukwi diesen Weg nicht fahren. Gehen Sie einstweilen ins Hotel. Ich behalte Taukwi solange bei mir und besorge Ihnen einen Wagen mit einem zuverlässigen Fahrer.«

Parker wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wissen Sie, Herr Sommer, sehr oft möchte ich dieses gelbe Haus nicht besuchen. Ein klein wenig hat mich diese Geschichte doch aufgeregt.«

»Das gebe ich auch von mir zu. Als ich diese Hand auf der Schulter fühlte, dachte ich, daß in der nächsten Sekunde ein Dolch in meine Rippen fahren würde. Die Geschichte mit dem Branntweinkrug war einfach eine Reflexbewegung. Aber daß Sie den Ausgang frei gemacht haben, war keine Reflexbewegung, sondern eine höchst achtbare Leistung, zu der ich Ihnen gratuliere.«

»Bitte, bitte«, lachte Parker. »Ich habe Ihnen ja gesagt: wir tun im Interesse unserer Gäste alles, was wir können. Haben Sie jetzt noch Wünsche?«

»Jawohl. Ich brauche einige altmodische Requisiten, nämlich eine Botanisiertrommel, ein Schmetterlingsnetz und … jetzt lachen Sie mich nicht aus: eine möglichst große Brille. Aber eine mit Fensterglas. Ich könnte mir sonst die Augen verderben.«

Parker unterdrückte mit Mühe ein Lächeln: »Die Sachen besorge ich Ihnen in fünf Minuten. Es sind eigentlich merkwürdige Ausrüstungsgegenstände für einen Geologen. Sie gehörten besser zu einem Detektiv.«

»Das bin ich auch«, sagte Sommer trocken und gelassen.

»Damned«, sagte Parker und blieb stehen. »Man könnte meinen, Sie reden im Ernst.«

»Wie es Ihnen beliebt, Herr Parker. Ob Sie meinen Worten glauben oder nicht: jedenfalls übe ich für die nächsten drei Tage das Handwerk eines Detektivs aus. Ich muß in den alten Bungalow hinein, ohne Rücksicht auf Widerstände, und muß versuchen, etwas zu finden. Ob es da ist und wo es ist, weiß ich nicht. Ich riskiere es jedenfalls.«

»Von Herzen alles Gute. Sie gefallen mir. Geht Ihr Begleiter mit?«

»Nein. Er bleibt im Hotel. Darf ich Ihnen etwas anvertrauen, Herr Parker?«

»Wenn es Ihnen nicht schwerfällt, gern. Ich habe Ihnen ja meine Meinung über Sie gesagt.«

»Sehr freundlich. Also der Herr Sekretär ist quasi … mein Gefangener. Er hat nicht die Erlaubnis, etwas anderes zu tun, als ich ihm befehle. Vor allem hat er keinen Pfennig Geld und darf auch keines in die Hand bekommen. Ich werde bei Ihnen eine Summe hinterlegen. Daraus soll das Angeld für die Trägerkolonne bezahlt werden, die er anwerben soll. Wie gesagt: ihm keinen Pfennig. Geben Sie ihm zu essen und zu trinken und zu rauchen, was er will. Wenn er aber auch nur einen Penny haben will, dann knöpfen Sie den Beutel zu. Vor allen Dingen darf er nicht wissen, wo wir waren und wohin ich jetzt gehe.«

Parker schlug ihm auf die Schulter: »Endlich einmal ein Gast, an dem man seine Freude hat. Rechnen Sie auf mich, Sie geologischer Detektiv.«

Bob saß in der Halle und wartete. Es war beinahe Mitternacht. »Gut, daß Sie kommen!« rief er. »Ich war schon so unruhig.«

»Kein Grund, mein Lieber. Ich habe nur einige Erkundigungen eingezogen. Ich muß auch gleich wieder fort, und zwar voraussichtlich für drei Tage. In der Zwischenzeit stellst du die Kolonne zusammen. Ich schlage vor, daß wir zwölf Mann nehmen. Die Auswahl überlasse ich dir. Es wird nur gut sein, denke ich mir, daß man Singhalesen, Tamulen, Mauren und Malaien durcheinander nimmt, damit sie sich nicht so schnell untereinander verständigen können. Laß etwa fünf oder sechs mittelgroße, aber solide Kisten bestellen und besorge einige Hacken und Spaten. Wir können, wenn ich richtig disponiere, in drei Tagen aufbrechen.«

»Gut. Das will ich ausrichten. Aber die Leute verlangen Handgeld.«

»Ich habe dem Manager einen Scheck gegeben. Er zahlt dir aus, was du für diese Zwecke brauchst. Ich hatte nämlich kein Kleingeld mehr bei mir.«

»Hast du sonst noch Aufträge für mich?«

»Nur den einen: ständig im Hotel zu bleiben, damit wir jederzeit abmarschieren können, wenn ich wiederkomme. So, ich höre meinen Wagen draußen. Auf Wiedersehen.«

Bob konnte noch erkennen, daß sich in dem Wagen der vor dem Hotel hielt, außer dem Fahrer noch zwei dicht vermummte Gestalten befanden. Er schüttelte den Kopf und ging zum Manager: »Darf ich Sie um fünf Pfund bitten?«

Der Manager bedauerte: »Ich habe leider im Augenblick nichts hier. Wir bringen unser Geld jeden Abend zur Bank.«

Brummend verzichtete Bob auf seinen geplanten Ausflug und legte sich schlafen. Am nächsten Vormittag versuchte er sein Glück von neuem. Wieder bedauerte Parker: »Ich habe den Scheck des Herrn Sommer noch nicht einlösen können. Sollten Sie aber Handgeld für Ihre Träger gebrauchen, so schicken Sie die Leute ruhig zu mir. Ich werde dann für Herrn Sommer den Betrag verauslagen.«

»Schon recht«, knurrte Bob. »Aber ich muß Kisten bestellen und Geräte einkaufen.«

»Tut nichts«, sagte Parker. »Sagen Sie den Leuten, sie sollen alles auf meine Rechnung hierher schicken. Ich bezahle es dann.«

Da leuchtete es Bob allmählich ein, daß ihn Sommer recht kurz an der Leine hielt. »Und wie ist es mit Essen und Trinken?« fluchte er.

Parker lachte freundlich: »So viel und so gut Sie wollen, mein Herr.«

»Und keinen einzigen Schilling?« bettelte Bob.

»Nicht einen Penny, Sir«, sagte Parker unerbittlich.

Da fügte sich Bob in sein Schicksal und machte sich, mit vollem Magen und mit leerer Tasche, auf den Weg, um Leute zu werben.

*

Inzwischen hatte das Auto, in welchem sich Sommer, Omar und Taukwi befanden, die Stadt in südlicher Richtung verlassen. Grell lagen die Scheinwerfer über der Landstraße. Zu ihrer Rechten konnten sie hin und wieder das Meer blinken sehen. Der Nachtwind, der von den Bergen her kam, bewegte das breite, glänzende Laub von Palmen und Zimtbäumen und Sykomoren. Nachtschmetterlinge, riesenhafte Käfer, geheimnisvolle Insekten stießen in den Kegel der Scheinwerfer, zerschmetterten daran oder schwirrten den Insassen fremd und bedrohlich über die Köpfe hin.

Kleine phantastische Ortschaften tauchten auf und versanken wieder. Immer noch fuhren sie an der Küste des Meeres entlang. Aus der Ferne hörten sie das Rollen einer Eisenbahn. Geschrei von Nachtvögeln kam aus dem immer dichteren Baumbestand.

»Hier müssen wir abbiegen,« sagte Taukwi, »sonst wird der Fußweg nachher zu weit.«

Omar beriet sich mit dem Fahrer. Auch er war der Meinung. »Wir werden aber nur langsam fahren können,« sagte er, »weil wir auf einen schmalen Feldweg kommen.«

Dagegen war nichts einzuwenden. »Halten Sie aber weit genug vom Bungalow entfernt«, bat Sommer, »daß man dort das Geräusch des Motors nicht hören kann.«

»Das hat keine Sorge,« meinte der Fahrer. »Der Wald ist dort so dicht, daß man auf tausend Meter kaum ein Geräusch hören kann.«

»Ich möchte aber auch nicht die Autospuren in unmittelbarer Nähe des Hauses haben«, sagte Sommer. »Ich möchte etwa eine Stunde Wegs vor mir haben und dann mitten aus dem Walde heraus auf das Haus stoßen.«

Sie bogen in einen schmalen, etwas steinigen Feldweg ein. Sofort überdeckte sie der tiefe Schatten einer tropischen Vegetation. Es duftete stark von Gerüchen, die Sommer zum ersten Male in seinem Leben verspürte. Zuweilen streifte sie ein Blatt oder der Ast eines Baumes, als ob Hände aus der Dunkelheit nach ihnen greifen wollten. Sommer fand diese dunkle Heimlichkeit nicht weniger erregend als die Räume des Gelben Hauses.

Nebenwege gingen nach allen Richtungen ab. Aber Taukwi war hier zu Hause und wies mit unerschütterlicher Sicherheit den richtigen Weg. Fast eine Stunde schwankten und stießen sie so über Steine und Baumwurzeln. Dann gab Taukwi das Zeichen zum Halten.

»Von hier aus haben wir noch eine halbe Stunde zu gehen. Mit dem Wagen kommen wir nicht näher. Er kann hier warten. Omar und ich bringen Sie bis dicht an das Haus. Man wird uns nicht entdecken.«

Ein Stück Urwald schien sich hier inmitten des besten, kultivierten Bodens erhalten zu haben. Ringsum konnte man in der frühen Dämmerung Anpflanzungen von Tee und Kakao bemerken, zuweilen Bestände von Kokospalmen, und aus der Ferne, an dem schwachen Glitzern erkenntlich, Reisterrassen.

Taukwi erklärte: »Dieses Stück Wald gehört schon zum Grund, auf dem der alte Bungalow steht. Miquel hat es verkauft. Es wohnt jetzt ein Holländer darin. Es ist zur Bedingung gemacht, daß dieses Stück Urwald nicht bebaut wird.«

Diese Tatsache schien für Sommers Pläne eine ausgezeichnete Unterstützung. Er drückte Taukwi, um seine Zufriedenheit zu betonen, eine Münze in die Hand und sagte: »Kannst du mir einige Schmetterlinge oder Käfer besorgen, ohne daß wir viel Zeit damit verlieren?«

Taukwi lachte, nahm seinen Dolch und grub in dem lockeren Erdreich eines nahen Baumes eine kleine Vertiefung. Dann zog er drei kupferschillernde Käfer heraus. Er erstieg mit großer Geschmeidigkeit einen anderen, niedrigen Baum, bog die Blätter zurück und brachte einige Schmetterlinge mit. Sommer tat sie einträchtig in seine Blechtrommel: »Ein guter Anfang. Wir können weitergehen.«

Da sie energisch ausschritten, waren sie in einer knappen halben Stunde an einer hohen, teilweise zusammengebrochenen Umzäunung aus Bambus. »Da beginnt der eigentliche Hausgarten«, sagte Taukwi. »Sie können bald das Dach sehen.«

Sommer verabschiedete sich und stieg ohne weiteres durch die Umzäunung. Er befand sich in einer Wildnis, die sich nur wenig von der da draußen, jenseits des Zaunes, unterschied. Er war kaum hundert Schritte gegangen, als er das wütende Anschlagen eines Hundes hörte. Bald darauf hörte er auch eine Stimme. Er ließ sich dadurch nicht beirren, sondern stieg weiter durch das Gestrüpp und die dichten, wuchernden Stauden. Auf einer kleinen Erhöhung sah er das Dach eines Landhauses und nahm die Richtung dahin.

Ein Mann, dem Aussehen nach offenbar ein Eurasier, kam ihm entgegen und führte einen großen, gefleckten Hund am Halsband. Sommer grüßte freundlich und sagte, indem er sich der englischen Sprache bediente: »Guten Morgen, mein Herr. Ich sehe zu meiner Freude, daß sich hier ein Haus befindet. Kann man hier eine kleine Erfrischung bekommen?«

Der Eurasier musterte den Eindringling zunächst etwas mißtrauisch, alsdann mit einem kleinen Lächeln: »Hier ist kein Wirtshaus. Dies ist eine Privatbesitzung. Woher kommen Sie denn? Und so in aller Frühe?«

»Ich habe einige Insekten gesammelt,« sagte Sommer bescheiden, »und dann habe ich den Weg nicht wiedergefunden. Hier gibt es herrliche Exemplare. Also eine kleine Erfrischung können Sie mir nicht verkaufen?«

Das Wort »verkaufen« blieb im Gehirn des Wächters haften. Er besann sich eine Weile und sagte dann: »Kommen Sie.«

Sie gingen dem Hause zu. »Es wird gut sein. «sagte Sommer »daß ich dem Besitzer des Hauses meine Aufwartung mache.«

»Der Besitzer ist nicht zu Hause. Er wohnt in Kandy und kommt nur einmal im Monat hierher.«

»Sehr, sehr bedauerlich. Und ich habe mir die Sache so schön gedacht.«

»Was haben Sie sich gedacht?«

»Ich habe nur wenige Tage für meinen Aufenthalt hier und dachte, es wäre möglich, von diesem Hause aus einige Exkursionen zu machen. Das kleine Stück Urwald ist eine Fundgrube, mein Herr. Ich bin zu schwach für große Wanderungen.«

So schwätzte er unaufhörlich, bis der Eurasier überzeugt war, einen Sonderling vor sich zu haben. Er gab ihm etwas Kakao und Maisbrot und ließ ihn in der Küche ein wenig ausruhen. Der Sammler schien aber so ermüdet zu sein, daß er nach wenigen Augenblicken in dem mit Reisstroh umflochtenen Sessel tief eingeschlafen war.

Diesen Augenblick benutzte der Eurasier, um sich den Inhalt der Botanikertrommel anzusehen. Er fand einige Käfer und Schmetterlinge darin. Daß man solche Dinge sammeln konnte, überstieg seinen Verstand. Immerhin ließ er den harmlosen Menschen schlafen und machte sich im Garten zu schaffen.

Sommer machte keine Anstalten, zu gehen. Er ließ sich verschiedenes über die Tierwelt der Umgebung erzählen und schlug dem Wächter endlich vor, für ihn auf Fang zu gehen. Der Eurasier willigte ein, aber insgeheim war er sehr mißtrauisch geworden. Offenbar kam es dem Besucher darauf an, allein im Hause zu bleiben. Während er sich anscheinend entfernte, kam er lautlos auf Umwegen zurück und beobachtete durch ein Fenster das Treiben des Gastes. Der aber saß in der Küche, schnitzte sich aus weichem Holz dünne Platten und machte sich mit vieler Mühe und Vorsicht daran, seine Schmetterlinge aufzuspießen. Dabei murmelte er unverständliche Worte vor sich hin. Bei genügender Sprachkenntnis hätte der Wächter vernehmen können: »Du hältst mich wohl für dumm, daß ich hier gleich Haussuchung halte? Heute geschieht nichts, mein Lieber. Morgen ist auch noch ein Tag.«

Als er seine Tiere aufgespannt hatte, legte er sich wieder auf ein Bündel Koksfasern und schlief. Da wagte es der Eurasier, sich auf die Suche nach Insekten zu machen. Er fing, was ihm gerade über den Weg kroch und flog.

Sommer sah sie sich an und schüttelte mißbilligend den Kopf. »Die sind nicht viel wert. Im besten Falle gebe ich Ihnen fünf Schilling dafür.«

Der Eurasier, jetzt völlig sicher, nahm das Geld und beschloß, aus diesem Europäer eine Einnahmequelle für die nächsten Tage zu machen. Er bereitete ihm in dem kleinen Fremdenzimmer des Bungalows ein Bett und brachte ihn dort für die Nacht unter. Am anderen Morgen machte er sich früh auf den Fang nach Insekten. Wenige Minuten später unterzog Sommer das Haus einer gründlichen Durchsuchung.

Die Möbel, mit denen es ausgestattet war, machten einen ziemlich neuen Eindruck. Sie konnten demnach unmöglich aus Miquels Zeit stammen. Also hatte es keinen Wert, sie nach irgendwelchen Papieren zu durchforschen. Er klopfte sorgfältig alle Wände ab, um irgendwelche Hohlräume festzustellen. Aber auch da ließ sich nichts entdecken. Dasselbe Experiment machte er mit den Fußböden, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Ehe der Eurasier zurück war, hatte er sich ziemlich Klarheit darüber verschafft, daß in den unteren Räumen nichts zu finden sei. Somit verblieb für die Untersuchung nur das niedrige Dachgeschoß übrig, zu dem eine kurze, steile Treppe führte. Diese Arbeit verschob er auf den nächsten Tag.

Er zeigte sich diesmal mit der Ausbeute, die ihm gebracht wurde, zufriedener und nannte eine Anzahl von lateinischen Namen, deren Bedeutung er selbst nicht kannte. Aber er bezahlte gut und erkaufte sich damit die Gewißheit, noch einen Tag für die Durchsuchung zu haben.

Kaum war er am nächsten Morgen allein, als er die Treppe zum Dachgeschoß hinaufstieg. Die Tür, die sich oben befand, war nicht abgeschlossen. Er öffnete. Ein feuchtwarmer Dunst schlug ihm entgegen. Aber sofort sah er, daß in einer Ecke eine alte Truhe und ein altmodisches, offenbar aus Deutschland stammendes Vertikow standen. Die Truhe trug das Monogramm M. M. Ein leichtes Schloß hing davor. Er nahm sein Taschenmesser, an dem sich verschiedene Instrumente befanden, und öffnete das Schloß ohne Mühe.

Staub quoll aus der Truhe. Sie enthielt alte Kleidung, von Motten und Ameisen zerfressen. Er wühlte hastig alles durch, suchte in den Taschen und Falten, ob irgendwo das Geräusch von knisterndem Papier zu hören sei, konnte aber nichts entdecken. Er packte alles wieder zusammen und legte das Schloß vor.

Während er so mitten in der Untersuchung war, hörte er vor dem Hause die Schritte des Eurasiers. Es war schon zu spät, um die Treppe wieder hinunterzugehen. Er konnte gerade bis auf die oberste Stufe gelangen und die Tür hinter sich schließen. Er legte das Ohr dagegen und lauschte angestrengt.

Der Eurasier musterte ihn scharf. Seine Augen blickten böse und feindselig. »Was machen Sie da oben?« fragte er zornig.

Sommer winkte ärgerlich und verdrossen mit der Hand und schimpfte: »Ruhig doch!«

Er horchte weiter, ganz angestrengt und konzentriert. »Was ist denn da?« fragte der Wächter, indem er unwillkürlich die Stimme senkte.

»Das typische Geräusch von roten Ameisen«, flüsterte Sommer. »Ich habe es schon gestern gehört. Da muß ein ganzer Bau sein.«

Der Eurasier schüttelte den Kopf über solches Interesse. »Wo haben Sie Ihr Netz?« fragte er. »Ich habe einige seltene Schmetterlinge gesehen.«

»Es steht in der Küche«, sagte Sommer.

Er atmete auf, als er allein war. Sofort machte er sich wieder an die Untersuchung des Dachgeschosses. Das Vertikow war offen, aber alle Fächer waren leer. Er beklopfte die Rückwand und stellte fest, daß sie hohl sei. Das Holz war von Feuchtigkeit und Ameisen zermürbt und vermorscht. Er stieß mit dem Taschenmesser dagegen. Die Rückwand gab nach wie feuchtes Papier. Er griff in den Hohlraum hinein, tastete ihn ab … und hatte mit einem Male eine kleine Rolle Wachstuch in der Hand. Sie war von der Feuchtigkeit zusammengeklebt. Mit zitternden Händen riß er sie auf.

Leichtvergilbtes Papier kam ihm entgegen. Es waren Bogen aus einem Schreibheft, mit zittriger, aber großer Schrift bedeckt. Er las fiebernd die ersten Zeilen:

Ich, Michael Mohringer aus Dinkholder am Rhein, Deutschland, berichte hier über das Schicksal meines Lebens …

Er las nicht weiter. Er steckte das Papier in die Tasche, schloß den Schrank und lief die Treppe hinunter in die Küche. Dort beschäftigte er sich, wenn auch mit verminderter Aufmerksamkeit, mit seinen Insekten. Der Zweck seines Besuches war erreicht. Er konnte nach Colombo zurückkehren.

Am Abend belohnte er den Eurasier noch einmal und gab zu erkennen, daß er am nächsten Morgen nach Colombo wollte. Die Begleitung bis auf die Landstraße nahm er gern an. Er ging nach Lavinia und nahm sich dort einen Wagen. Seine Schmetterlinge und Käfer samt Trommel, Netz und Brille warf er in irgendein Gebüsch.


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