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Mingal und Ovel, in weite flauschige Reisemäntel gehüllt, gingen unruhig vor der Flughalle auf und ab. Sie verwünschten sich, daß sie so früh gekommen waren. Es wäre besser gewesen, noch eine halbe Stunde mit dem Auto durch die Stadt zu fahren. Nun standen sie nutzlos hier und wußten mit sich und der restlichen Zeit nichts zu beginnen. Ein straffer Wind kam von Nordosten, so daß sie sich die Mützen tiefer ins Gesicht drücken mußten.
Ein Monteur, der an ihnen vorüberging, sah, wie sie gegen den Wind ankämpften, und sagte freundlich: »Die Herren können doch solange in das Restaurant gehen. Es sind noch gut zwanzig Minuten bis zur Abfahrt.«
»Vielen Dank«, sagte Ovel verbindlich. »Wir müssen noch lange genug sitzen. Wir machen uns etwas Bewegung.«
Sie hatten nicht die geringste Neigung, sich in das hellerleuchtete Restaurant zu setzen. Sie zogen diese Dunkelheit bei weitem vor. Sie setzten ihren Rundgang fort, wechselten hier und da ein Wort und waren sehr zufrieden, als sie bemerkten, daß die große Reisemaschine aus der Halle geschoben wurde. Ihr Gepäck hatten sie auf die Rampe gestellt. Sie sahen, daß es in das Flugzeug gebracht wurde.
»Wollen wir einsteigen?«
»Warum so eilig? Es wird ja ein Glockensignal geben. Ich lege keinen Wert darauf, mich als Schauobjekt hineinzusetzen.«
»Also warten wir. Übrigens bist du es gewesen, der diese Eile an den Tag gelegt hat. Die Entschleierung des Herrn Mannik ist dir wohl etwas auf die Nerven gegangen.«
»Ich habe nichts davon gemerkt, daß du dich gegen die schleunige Abreise gesträubt hast. Du scheinst also dieselben Gründe zur Eile zu haben.«
Es erfolgte keine Antwort. In gereiztem Schweigen gingen sie weiter hin und her. Dabei vergingen die zwanzig Minuten. Scheinwerfer leuchteten auf und erhellten die Startfläche. Der Pilot machte einen letzten Rundgang um den Apparat und kroch dann in den Führersitz. Die Glocke unter dem Dach der Rampe begann laut und durchdringend zu tönen. Fast gleichzeitig wurde der Propeller angeworfen. Dröhnendes Trommeln klang über das Feld.
Die beiden Fahrgäste näherten sich mit schnellen Schritten. Der Fahrdienstleiter hatte schon nach ihnen Ausschau gehalten. »Bitte Platz eins und zwei!« rief er ihnen zu.
»Wir fahren nicht allein?«
»Nein. Platz drei ist besetzt. Schnell, meine Herren! Steigen Sie ein!«
Sie stiegen hastig ein, ohne daß Zeit zur Überlegung blieb. Die Tür wurde hinter ihnen zugeworfen. Der Führer schob die Glasscheibe zurück, die zwischen ihm und der Kabine war: »Falls Sie Licht wünschen, der Schalter ist links neben dem Sessel.«
Keiner der Fahrgäste wünschte Licht. Einstweilen drang auch genug von der Rampe her in die Kabine. Sie sahen flüchtig auf dem Sitz hinter ihnen eine Gestalt, die ebenso vermummt war wie sie selber. Dann drückten sie sich, die Kragen hochgeschlagen, die Mützen tief in die Stirn gezogen, in ihre Sessel und schlossen die Augen. Wie der Vogel Strauß glaubten sie sich mehr in Sicherheit, wenn sie selber nicht mehr sahen.
Ein leiser Ruck unter der Kabine; vorn im Führerstand Hebelgriffe; das Licht von der Rampe her entglitt. Sie fühlten ein Schaukeln, ein leises Auf und Nieder. Dann schwebten sie, ohne in der Dunkelheit das Gefühl dafür zu haben.
Der Monteur sah ihnen zufrieden nach und sagte: »Na, die hätten wir gut auf den Weg gebracht.«
Ovel und Mingal warfen verstohlene Blicke durch das Fenster in die Tiefe. Ein leichter Nebel aus Licht war da unten. Dann schwirrten sie durch das tiefe Dunkel der Nacht. Sie fühlten sich einstweilen geborgen.
In dem Maße, wie sie zur Ruhe kamen, hätten sie gern dieses oder jenes miteinander besprochen. Aber sie wagten es nicht mit Rücksicht auf den dritten Passagier, den sie nicht kannten. Die Vorsicht gebot ihnen, zu schweigen. Sich flüsternd zu unterhalten war bei dem Lärm, der von der Maschine hereindrang, unmöglich. So schwiegen sie unruhig und gequält.
Gegen Morgengrauen senkte sich der Apparat auf den Münchener Flugplatz. Hier mußten sie das Flugzeug wechseln, um nach Zürich zu gelangen. Sie verließen schnell ihre Sitze und baten einen Beamten, der draußen stand, ihr Gepäck zu besorgen. Dann gingen sie schnell in das Restaurant, das zu so früher Stunde noch leer war, und setzten sich in die äußerste Ecke an einen Tisch, mit dem Rücken gegen das Lokal. Sie ließen sich einen heißen Kaffee geben. Jeder stellte bei dem anderen fest, daß er einigermaßen bleich sei, und jeder schob es auf die Anstrengungen der nächtlichen Fahrt. Aber sie sahen doch zu oft nach der Uhr, um sich nicht voreinander zu verraten. Noch immer bestand die Möglichkeit, daß man sie in letzter Stunde aus irgendeinem Grunde festhielt. Seit sich Herr Mannik als der zu erkennen gegeben hatte, der er in Wirklichkeit war, wich die Angst und Unruhe nicht von ihnen. Zwar hatten sie – bis auf den kleinen nächtlichen Besuch Mingals bei Aren – sich in Deutschland nichts zuschulden kommen lassen; aber es regte sich in diesen Stunden hier und da ein Stück Erinnerung an Vorgänge, die sehr wohl geeignet waren, das Interesse der Behörden auf sie zu lenken. Es war erstaunlich, mit welcher Genauigkeit sie ihre Vergangenheit durchforschten. Da sie es aber auch mit aller Schnelligkeit taten, dauerte die Stunde bis zur Weiterfahrt beinahe eine Ewigkeit.
»Also was fangen wir an, Mingal?«
»Wir werden wie die wilden Stiere durchs Land rennen. Mehr können wir nicht tun. Wir müssen Bob finden. Wir müssen feststellen, in wessen Gold er jetzt steht. Wenn er sich nicht freiwillig entschließen kann, fürchte ich, werden wir ihn zwingen müssen.«
»Und Olly?«
»Olly wird auftauchen, wenn wir es am wenigsten vermuten.«
»Du hättest anders mit ihr umgehen sollen, lieber Mingal. Du weißt, sie ist keine gewöhnliche Frau. Sie kann sehr still und friedlich sein. Aber da du sie vor den völligen Ruin gestellt hast, wird sie uns die Quittung dafür präsentieren.«
»Alte Weisheiten. Wir werden auch mit ihr fertig werden.«
Ein Mann kam in das Restaurant und fragte: »Sind hier die Herren nach Zürich? Bitte einsteigen. Wir fahren sofort. Ihr Gepäck ist schon in der Kabine.«
Beide stießen einen Seufzer der Erleichterung aus und gingen in überhasteter Eile zum Flugzeug. Diesmal war es ihnen schon gleichgültiger, daß man sie auf die Plätze eins und zwei verwies und daß wieder der dritte Platz belegt war. Bald konnte man ihnen nichts mehr anhaben. Sie sehnten sich danach, die Grenze hinter sich zu wissen.
Auf dem dritten Platz saß eine dicht verschleierte Frau, ganz in Schwarz gekleidet. Offenbar hatte sie Trauer. Sie kümmerten sich nicht weiter um sie.
Der Morgen zog mit strahlender Sonne herauf. Das Land stieg unter ihnen an. Kleine Seen wurden sichtbar. Weit zu ihrer Linken die ersten Gebirge, und zwischen Wolken leuchtende Schneegipfel. Das Flugzeug ging höher. Als sie dann unter sich die Fläche des Bodensees gewahrten, lachten sie beide zu gleicher Zeit glücklich auf in dem Gefühl, diese lästige Grenze endlich überschritten zu haben. Als seien sie einer Todesgefahr entronnen, drückten sie sich gegenseitig die Hand. Sagen konnten sie nichts mit Rücksicht darauf, daß sie nicht allein waren.
»Ihr seid ja sehr vergnügt«, sagte plötzlich die Frau hinter ihnen. Sie fuhren mit einem Ruck herum und sahen in … Ollys Gesicht! Keiner brachte ein Wort über die Lippen. Das Entsetzen lähmte sie für eine Sekunde.
»Ihr müßt aber Angst gehabt haben!« spöttelte Olly. »Die ganze Nacht hindurch habt ihr euch in eure Mützen verkrochen wie ein Spatz vor dem Gewitter. Mutige Leute!«
Mingal faßte sich zuerst wieder: »Guten Tag, teure Olly. Du bist also schon auf der ersten Strecke Passagier Nummer drei gewesen?«
»Ganz recht. Ich dachte mir, daß es nicht gut sei, wenn der Mensch allein ist. Darum habe ich dieselbe Fahrt belegt wie ihr.«
Auch Ovel hatte sich wieder erholt: »Da wären wir ja endlich zusammen«, sagte er mit gequälter Heiterkeit.
»Ja, endlich! Habt ihr eigentlich sehr lange nach mir gesucht?«
»Es geht«, grinste Mingal. »Wir haben uns genau soviel Mühe gegeben, wie du sie dir gegeben hast. Aber, wie das Volkslied sagt: sie konnten zusammen nicht kommen.«
»Schicksal«, lächelte Olly. »Übrigens könnt ihr mir glauben, daß ich nicht viel nach euch gesucht habe. Ich konnte von euch nicht viel Gutes erwarten. Apropos: wo habt ihr denn euren Bob gelassen?«
»Merkwürdige Frage, liebe Freundin. Ich wollte dich gerade fragen: wo hast du denn unseren Bob gelassen?«
»Im Handgepäck sicher nicht, lieber Mingal.«
»Weißt du denn, wo er ist?«
Sie hob leicht abwehrend die Hand: »Aber wo sind denn deine Diplomatenkünste geblieben? Seit wann fragt man so plump und deutlich? Und seit wann verrät Mingal, daß ihm sein bester Helfer abhanden gekommen ist? Er sitzt also nicht mehr im Untersuchungsgefängnis?«
»Sag mal,« knurrte Ovel, »spielst du die Naive oder weißt du wirklich nichts?«
»Das ist schwer zu beantworten, Ovel. Du weißt, wir Frauen spielen gern. Und was eine Frau nicht weiß, das ahnt oder errät sie oft. Ihr müßt immer so schrecklich viel denken. Das ist ein großer Nachteil für euch, denn dadurch werdet ihr am Handeln verhindert. Ich wußte übrigens nicht, daß versichere ich euch, daß ihr gestern abend abfahren würdet. Aber ich hatte meine guten Gründe zur Abreise … und meine guten Ahnungen.«
»Wurde dir der Boden zu heiß?« fragte Mingal.
»Im Gegenteil: zu kalt. Das will sagen: es war da nichts mehr zu holen. Ausgebrannt und leer die Stätte. Es wurde Zeit, die Tätigkeit am richtigen Orte auszuüben.«
»Auf die Gefahr hin, daß du mir wieder Mangel an Diplomatie vorwirfst, liebe Olly, möchte ich eine ganz naive Frage an dich richten: Wo ist der Plan?«
Sie lachte laut auf und sagte mit rücksichtsloser Offenheit: »Na, in eurem Gepäck ist er bestimmt nicht. Das habe ich untersucht, während ihr in München Kaffee getrunken habt.«
Mingal schoß in die Höhe, aber er stieß dabei so heftig gegen das Dach der Kabine, daß er sofort auf seinen Sessel zurückfiel. Der Kopf dröhnte ihm. Aber er wäre auch ohne dieses Ungeschick wieder auf seinen Platz gegangen, denn er sah, daß Olly eine Pistole in der Hand hatte, die bisher unter ihrem Schleier verborgen lag.
»Das hätte ein ganz modernes Drama gegeben«, sagte sie kühl. »Kampf zwischen zwei Flugzeugpassagieren hoch oben in der Luft. Die Sache ist völlig reif für das Kino. Wenn du nicht endlich deine aufbrausende Art ablegst, dann werden wir nicht weiter miteinander verhandeln können.«
»Was verstehst du unter verhandeln? Bis jetzt kann ich nur feststellen, daß hier mit allen Listen und Tücken Katze und Maus gespielt wird.«
»Du hast recht. Aber das macht für eine Frau die Sache erst reizvoll. Ihr wißt, ich habe immer gern gespielt. Aber ich weiß auch, daß ihr immer eurem Jähzorn gern freien Lauf gelassen habt. Darum die kleine Waffe. Ich will mich eurer Brutalität nicht unbewaffnet aussetzen. Ich sage euch ganz ernsthaft: ich habe genug davon! Und wenn nicht diese unklare Situation vor uns gewesen wäre, Mingal, wer weiß, ob du dich wieder ruhig hättest in deinen Sessel setzen können. Wenn ich es mir richtig überlege, scheint mir, ich habe einen Fehler gemacht, daß ich dich nicht über den Haufen geschossen habe.«
Mingal schwieg betreten und erschreckt zugleich. Er konnte nicht viel von dem bestreiten, was Olly da andeutete. Sie hatte manches Mal seine harte Hand spüren müssen. Und er war sich nicht im unklaren darüber, welche Summe von Haß in ihr aufgespeichert sein mußte. Aber alles das trübte seinen klaren Verstand nicht so weit, daß er ihr Vorteile einräumte, die sie nicht besaß. Darum sagte er: »Wir können unsere persönlichen Differenzen für später lassen. Vorläufig handelt es sich darum, daß wir beide, das heißt Ovel und ich auf der einen und du auf der anderen Seite, drüben zu einem Ergebnis kommen wollen. Und wenn du vorhin von Verhandeln gesprochen hast, dann muß ich dir die Frage entgegenhalten: Was hast du denn für die Verhandlungen zu bieten?«
Sie blieb unerschütterlich: »Zunächst einmal meine Person selbst; und das ist nicht wenig. Aber dann muß ich die Frage umkehren: Was habt ihr zu bieten? Nichts. Gar nichts. Ihr habt den Plan nicht und Bob nicht. Ihr wißt nicht einmal, wo er sich befindet. Ihr fahrt auf gut Glück nach drüben. Ihr habt die Hin- und Rückreise bezahlt und sonst noch allerei Spesen gehabt. Damit sind eure Mittel stark angegriffen. Wenn ihr nach Ceylon kommt, könnt ihr euch vielleicht noch einen Monat halten. Viel mehr rechne ich nicht.«
»Das ist soweit alles richtig. Aber ich kann dir die Versicherung geben: in einem Monat haben wir nicht nur Bob, sondern auch den Plan, und darüber hinaus alles, was auf dem Pik Adam liegt. Wir sind ja nicht ganz unbekannt drüben. Zwar werden wir es nicht so bequem haben, als wenn wir im Besitz des Planes wären; im Gegenteil, viel schwerer. Aber du lieber Gott, jeder muß mal Anstrengungen in Kauf nehmen. Wir können mit einiger Ehrlichkeit zugeben, daß wir bisher unser Geld immer sehr leicht verdient haben. Und du hast nicht einmal den Schaden davon gehabt. Nun werden wir es eben mit einiger Mühe verdienen. Das ist der ganze Unterschied.«
»Nur dann, du kluger Mingal, wenn ihr es überhaupt verdient.«
»Was willst du damit sagen?«
»Damit will ich die Möglichkeit andeuten, daß euch jemand das ganze Geschäft verdirbt.«
»Wer könnte das zum Beispiel sein?«
Sie hob nachlässig die Hand: »Zum Beispiel jemand, der die Erben kennt und sie benachrichtigt.«
Es wurde still in der Flugzeugkabine. Laut und gleichmäßig dröhnte das Geräusch des Motors herein. Die Gedanken der drei Passagiere arbeiteten so ruhelos wie draußen der Propeller. Endlich sagte Ovel langsam: »Miquel hat seinen Namen gewechselt. Außer uns weiß das eigentlich kein Mensch. Und keiner seiner Erben wird wissen, daß Miquel ihr Erblasser ist … wenn nicht jemand seine Aufzeichnungen findet.«
»Ja, findet«, sagte Olly. »Oder gefunden hat … oder kennt … oder sogar aus seinen mündlichen Berichten weiß, wie die Erben heißen und wo sie wohnen.«
Wieder das gleiche, feindselige Schweigen. Es war ganz klar, daß Olly zum mindesten mit Kenntnissen spielte. Augenfällig blieb immerhin die versteckte Drohung. Aber gerade da mußte Mingal unter allen Umständen zu einer Klarheit kommen.
»Wir haben zwar noch eine lange Reise vor uns, aber wir haben nicht viel Zeit, theoretische Überlegungen anzustellen. Weißt du die Erben oder weißt du sie nicht?«
»Ich weiß sie«, sagte sie fest. »Ich habe sie von Miquel selbst gehört.«
»Gut. Das ändert die Situation. Dann sag' uns klar heraus, was du willst.«
»Was ist da viel zu sagen?« lachte sie. »Stellt euch nicht dümmer als ihr seid. Ich will mit euch teilen. Das ist alles.«
»Und auf Grund welcher Tatsache?« fragte Ovel verbissen.
»Die Frage ist schief, lieber Ovel. So meinst du sie auch nicht. Du willst fragen: Welchen Trumpf hat Olly in der Hand? Das will ich euch beantworten. Es ist zunächst ein negativer Trumpf, aber es ist einer. Wenn ihr nicht mit mir teilen wollt, dann melde ich Aren die Verwandten Miquels. Dann könnt ihr euch nicht mehr als Schatzfinder aufspielen. Dann werdet ihr auch in den Augen der Polizei reguläre Diebe …«
»Und du wirst eine reguläre Erpresserin!« erboste sich Mingal.
»Er regt sich schon wieder auf«, sagte sie mit bedauernder Geste. »Unter uns brauchen wir doch nicht die Unschuldslämmer zu spielen. Das schöne Dasein hat uns nun einmal ein wenig durcheinandergeschüttelt. Also nehmen wir es in Gottes Namen so hin, wie es ist. Es bleibt doch Tatsache, daß ich euch das ganze Geschäft verderben kann, wenn ihr nicht mit mir teilen wollt.«
»Was hast du denn davon?« fragte Ovel eindringlich. »Du selbst wirst dann ja auch nichts haben. Du schädigst dich selber.«
»Das ist nicht richtig, Freund Ovel. Ich habe eine kleine Rückversicherung vorgenommen. Wenn ich die Erben bezeichne, dann bekomme ich … Finderlohn.«
»Von wem?« riefen beide wie aus einem Munde.
»Natürlich von den Erben.«
»Hast du mit ihnen gesprochen?«
»Aber ich bin doch nicht töricht. Ich habe es mit einem Dritten besprochen, die die Interessen der Erben vertritt und sehr zuverlässig zu sein scheint.«
Mingal erregte sich wieder: »Du erzählst ja Märchen! Wenn der Dritte die Interessen der Erben vertritt, dann kennt er sie doch selbst, und dann hast du seine Kenntnisse zu verkaufen.«
»Er kennt sie nicht. Er vertritt die Interessen … generell. Ich möchte sagen: als Beamter gleichsam.«
Ovel schüttelte ungläubig den Kopf: »Du hast mit einem Beamten verhandelt, und er hat dich nicht festgenommen?«
»Warum sollte er das? Ich habe ja ein reines Gewissen und habe noch nichts getan … genauso wie ihr.«
Die beiden Männer sahen sich mit einem bedeutungsvollen Blick an. Sollte Olly auch von ihrer Episode mit Mannik wissen?
Olly sah auf ihre Armbanduhr: »Die Sache dauert mir schon viel zu lange. Wir haben nicht mehr lange bis Zürich. Dort möchte ich wissen, ob ich weiterfahre oder nicht. Wenn ihr mit mir teilen wollt, dann fahre ich mit und sage euch einige Kleinigkeiten. Wenn ihr nicht wollt, dann bleibe ich in Zürich und gebe ein Telegramm auf. Und dann ist euer Geschäft erledigt. Also überlegt euch die Sache schnell.«
Das alles war so entschieden und klar gesagt, daß sie an jeder Änderung ihres Vorsatzes zweifelten. Nur einen letzten Trick wollte Ovel noch versuchen. »Schön«, sagte er, »dann muß eben geteilt werden.«
Mingal nickte dazu. Er machte sich darüber keinen eigenen Gedanken.
Aber Olly waren solche Gedanken nicht fremd. »Unter Teilung verstehe ich Halbierung, meine Herren. Ihr mitsamt euren Freunden und Genossen die Hälfte und ich die andere Hälfte.«
»Das ist zuviel«, entfuhr es Mingal. »Darauf können wir nicht eingehen. Nimm doch Vernunft an, Olly.«
Sie stritten sich weiter. Aber endlich mußten sie nachgeben: »Also die Hälfte. Bist du jetzt zufrieden?«
»Nein. Noch nicht. Ihr verteilt das Fell des Bären, ehe ihr ihn geschossen habt. Das verstehe ich, denn ihr müßt die Sachen erst holen. Aber ich weiß auch, daß ihr mir beide, vor allem Mingal, diese Niederlage nicht verzeihen werdet. Bei erster bester Gelegenheit werde ich eure Wut und Enttäuschung zu spüren bekommen. Und die wird vermutlich darin bestehen, daß ihr mir doch nichts gebt. Und dagegen will ich geschützt sein.«
»Deine Vermutung ist richtig«, sagte Mingal mit zynischer Offenheit. »Aber wie denkst du dir den Schutz?«
»Wir gehen, sobald wir in Colombo sind, gemeinsam zu einem Notar und geben da zu Protokoll, daß wir drei aus einem gemeinsamen Ankauf Eigentümer dieser und jener Gegenstände sind, die sich da und da befinden, und daß sie bei dem Notar zwecks Teilung abgeliefert werden müssen. Wenn ich dieses Protokoll habe, dann kann ich jederzeit verhindern, daß ihr euch mit der Beute außer Landes begebt.«
»Das ist richtig«, sagte Mingal trocken, obgleich er sich sofort darüber klar war, daß dieses Protokoll nichts bedeute. »Du könntest uns jederzeit arretieren lassen. Also willigen wir ein. Jetzt zufrieden?«
»Bitte, werdet nicht wieder wütend. Ich bin noch nicht zufrieden. Deine so eilige Bereitwilligkeit macht mich mißtrauisch. Ich habe auch keine Lust, mit euch auf die Wanderschaft zu gehen und die Beute zu holen. Zwei Männer gegen eine schwache Frau … das ist mir zu bedenklich. Wie leicht könnte einem da ein Unglück zustoßen.«
»Bitte, dann bleib' in Colombo«, sagte Ovel trocken. »Wir muten einer so schwachen Frau keine Strapazen zu.«
»Aber ich mute euch, wie gesagt, alle Schlechtigkeiten zu. Ich verlange, daß einer von euch bei mir in Colombo bleibt, während der andere sich auf die Suche macht.«
»Also gewissermaßen als Geisel?«
»Ja«, sagte sie kaltblütig. »Ich will ganz sicher gehen. Mingal, bleib' sitzen. Hast du an deinem Beinschuß noch nicht genug? Ich finde es übrigens fabelhaft klug und anständig von dem Aren, daß er den Schuß so vorsichtig angelegt hat.«
»Schweig! Das gehört nicht hierher. Dein Vorschlag ist unmöglich. Er wird abgelehnt. Er ist entwürdigend.«
Sie stieß ein helles Gelächter aus: »Entwürdigend? Es ist etwas ganz anderes. Nämlich, ihr traut euch gegenseitig auch nicht. Ihr wollt euch gegenseitig unter Kontrolle behalten. Also es geht nicht? Schön. Dann sind unsere Verhandlungen beendet.«
Sie schwiegen für den Rest der Fahrt. Es war ein eigenartiges Bild: vorne die beiden Männer, finster verbissen, durch die Worte der Frau in ihrem gegenseitigem Mißtrauen blitzartig bestätigt. Hinter ihnen Olly, kalt, unbeteiligt, die Pistole nachlässig in der Hand. Alle Vorteile waren offenbar auf ihrer Seite. Sie konnte ihnen in jedem Augenblick das ganze Unternehmen verderben. Sie hatte nichts zu riskieren. Darum riskierte sie alles. Wo die Wahrheit ihr nicht helfen konnte, da log sie eben. Sie hatte die unsichere Position der beiden Männer klar erkannt und nützte diese Unsicherheit aus. Für sie blieb im schlimmsten Falle immer noch ein »Finderlohn« übrig. Damit würde sie versuchen, sich eine neue Existenz aufzubauen. Dieser Gedanke machte sie hart und unnachgiebig.
Aus der Ferne glänzte die farbige Fläche des Züricher Sees. Er kam sehr schnell näher. Olly sah auf die Uhr und sagte: »In zehn Minuten sind wir da.« Sie bekam keine Antwort. Nach einer Weile sagte sie: »In fünf Minuten sind wir da.« Wieder Schweigen. Dann senkte sich das Flugzeug, beschrieb einen weiten Kreis, schwebte abwärts und landete mit leichten, federnden Stößen.
Die Kabinentür wurde geöffnet, und ein Beamter, ein Formular in der Hand, fragte: »Die Herrschaften fahren alle sofort nach Mailand weiter?«
»Ja«, sagte Olly laut und für alle drei. Sie hörte keinen Widerspruch. »Haben wir keinen Anschluß?«
»Doch, gnädige Frau. Ich komme gerade, um Ihnen zu sagen, daß binnen fünf Minuten abgefahren wird. Darf ich um Ihr Gepäck bitten?«
Während sie vor dem Flugzeug standen und sich etwas Bewegung machten, kam der Beamte noch einmal zurück. »Gnädige Frau, dieses Telegramm scheint für Sie zu sein. Frau Olly … der Zuname ist leider verstümmelt. Aber es kann sich nur um einen Passagier aus diesem Flugzeug handeln. Würden Sie sich überzeugen, ob der Inhalt für Sie bestimmt ist?«
Olly war sehr blaß geworden. Sie öffnete den Umschlag. Dann lächelte sie und sagte: »Danke, ja. Es ist für mich.«
Ovel und Mingal waren im Begriff gewesen, beiseite zu gehen, um sich noch einmal zu besprechen. Aber als sie sahen, daß Olly das Telegramm überreicht wurde, blieben sie hartnäckig in ihrer Nähe. Mingal fragte: »Du fährst also weiter mit uns?«
»Mit euch? Das hat einen doppelten Sinn. Ich fahre jedenfalls bis auf weiteres die gleiche Richtung. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß ihr endlich vernünftig werdet. Schließlich kann ich auch von Mailand aus meine Dispositionen treffen.«
»Werden deine Dispositionen durch das Telegramm bestimmt?«
»Dumme Frage«, sagte sie schroff und stieg ein. Wieder hatte sie den Platz Nummer drei, und wieder mußten Ovel und Mingal vor ihr Platz nehmen. Ehe sie einstiegen, raunten sie sich einige Worte zu, deren düsterer Sinn sich in ihren Mienen nur allzu deutlich widerspiegelte.
Sobald sie in Fahrt waren, sagte Mingal energisch: »Also wollen wir jetzt ein Ende machen mit diesem Geplänkel. Ich mache dir einen letzten Vorschlag, Olly: zwei Drittel für uns beide, ein Drittel für dich. Im übrigen mit dem vorgeschlagenen notariellen Protokoll.«
»Gut. Ich will mit einem Drittel zufrieden sein. Aber wie wird es mit der Expedition selbst?«
»Auch da will ich dir entgegenkommen. Wir gehen alle drei auf die Suche. Dabei will ich dir die größte Sicherheit geben, die man dir überhaupt bieten kann. Du bekommst das gesamte Bargeld ausgehändigt, das wir überhaupt besitzen. Die Trägerkolonne wird in deinem Auftrag zusammengestellt und von dir aus mit unserem Gelde bezahlt. Du weißt, wie diese Leute sind. Sie gehorchen nur dem, der sie angeworben hat. Du wirst also an ihnen einen starken Schutz haben und brauchst uns nicht zu fürchten.«
»Darauf gehe ich ein«, sagte Olly. »Diese ›Wilden‹ sind tatsächlich ehrlich und treu. Was man von uns nicht sagen kann.«
»Gute Erkenntnis. Das Kriegsbeil ist also begraben. Wir hoffen, Olly, daß du deine Klugheit von jetzt an in den Dienst unserer guten Sache stellst. Würdest du uns das Telegramm zeigen, das du bekommen hast?«
»Aber gerne. Meinen Freunden darf ich es nicht vorenthalten.«
Sie nahmen das Formular und lasen: Angaben über Erben werden entgegengenommen Schließfach 17. Gruß an D. und M. – Mannik.
Mingal wandte sich drohend um: »Sag' mal, hast du uns den Mannik auf den Hals gehetzt?«
»Nein. Das kann ich ehrlich versichern. Ich kenne diesen Mann nicht einmal. Ich vermute nur, daß er identisch ist mit dem Herrn, mit dem ich verhandelt habe. Aber ihr seht, daß die Sache mit den Erben schon ihre Richtigkeit hat.«
Nun tauschten sie mit allem Eifer ihre gegenseitigen Erfahrungen aus. Peinlich war zunächst die Entdeckung, daß Olly mit der Krankenschwester Henriette nicht identisch war. »Aber Aren kann es auch nicht gewesen sein!« rief Ovel ratlos aus.
»Dann war es eben eine seiner Kreaturen«, sagte Olly. »Das bringt uns auch nicht weiter. Entscheidender ist, daß dem Mannik folgende Dinge bekannt sind, die er mir selber aufgezählt hat: Bob, Colombo, das Gelbe Haus, der alte Bungalow, die Aufzeichnungen, der Pik Adam und die Sachen, die dort lagern. Damit befindet sich der größte Teil unserer Geheimnisse in fremden Händen. Das macht die Sache schwierig.«
»Mir kommt der Gedanke,« sagte Mingal finster, »daß Aren nach Colombo abgereist ist.«
»Das ist er nicht«, sagte Ovel bestimmt. »Noch am Vormittag vor unserer Abreise habe ich ihn aus der Staatsbibliothek kommen sehen. Seine verhängten Fenster sind ein Bluff. Er sitzt noch und studiert Bücher über Ceylon.«
»Na, ich will wünschen, daß du richtig beobachtet hast.« – – –
In Mailand wechselten sie das Flugzeug und erreichten am späten Nachmittag Genua. Abends waren sie bereits auf dem Dampfer, der sie nach Colombo bringen sollte.
*
Aren saß vor seinem Rasierspiegel und handhabte mit liebevoller Sorgfalt den Giletteapparat. Er stellte fest, daß er, abgesehen vom Rasierschaum, ausgezeichnet aussah. Die Abwesenheit von der Stadt bekam ihm sehr gut. Seine Gesichtszüge waren straffer geworden; die Haut begann sich zu bräunen und auf der Oberlippe wuchs ihm, peinlich gepflegt, ein gestutzter, dunkler Schnurrbart.
Es wurde gegen die Tür geklopft. »Hm?« sagte er mit geschlossenem Munde. Ein Telegramm wurde auf den Tisch gelegt. Er riß es sofort auf und las die lakonischen Worte: Omo auf Schwalbe via Auneg Tesaurus Pik Punkt Winkel.
Unter diesem Text, auf dem unteren Rande des Telegramms, befanden sich dieselben Worte noch einmal. Offenbar hatte der Telegraphist an einen Fehler in der Übermittlung geglaubt und sich aus diesem Grunde den Text noch einmal durchgeben lassen. Aber er verstand beim zweiten Male dasselbe wie zuerst. Da klebte er, seufzend über die Geistesverfassung des Absenders, energisch beide Streifen auf das Formular.
Dieser Text löste in Aren eine überschäumende Woge von Heiterkeit aus. Für ihn hatte die Entzifferung keinerlei Schwierigkeit, denn er hatte vor seiner Abreise mit Winkelmann einen genauen Code ausgearbeitet, der alle Möglichkeiten dieses verwickelten Falles umfaßte. Beide hatten ihn auswendig gelernt, um gegen jede Gefahr, daß der Code entdeckt werden könnte, geschützt zu sein.
»Omo« war nichts anderes als die drei Anfangsbuchstaben der Namen Ovel, Mingal und Olly. Das Wort »auf« bezeichnete die Tatsache, daß alle drei auf Reisen gegangen waren. Die Art der Beförderung, die sie gewählt hatten, wurde durch das Wort »Schwalbe« klargestellt, das heißt: sie waren alle drei mittels Flugzeuges abgereist. Via Auneg bedeutete nichts anderes, als daß sie den Weg über Genua nahmen. Das ließ sich aus der Umkehrung des Wortes auch ohne weiteres erkennen. Tesaurus war einfach das lateinische Wort für Schatz. Es hieß hier, daß es sich wirklich um einen solchen handelte. Das Wort »Punkt« war der einzige »dunkle Punkt« in dem Telegramm, denn er besagte, daß es nicht gelungen sei, die Erben des Herrn Miquel zu erfahren. Das letzte Wort »Winkel« stellte nicht nur die Unterschrift des Absenders Winkelmann dar, sondern besagte durch die Art der Abkürzung zugleich: es ist alles glatt und gut verlaufen.
Die fehlenden Erben störten Aren im Augenblick gar nicht. Er hatte im übrigen erreicht, was er erreichen wollte. Bislang handelte es sich für seine Auffassung immer noch um die Schachpartie vom Anfang her. Er hatte dem Gegner einen Bauern geschlagen. Das war alles. Der Gegner war nicht zu bewegen, sich von der Stelle zu rühren. Jetzt endlich rührte er sich. Durch eine Reihe von Kreuz- und Querzügen, die ihm unverständlich bleiben mußten, hatte er sich beunruhigt gefühlt und sich daher in Bewegung gesetzt. Wenn er aber einmal in Bewegung war, dann war es nicht schwer zu erkennen, wohin er mit seinem Plan wollte. Er mußte sich mit aller Notwendigkeit verraten und sich selber ausliefern.
Darum war Aren so erfreut. Er war wie ein gutes Rassepferd, das die Glocke zum Start läuten hört. Vergnügt summte er vor sich hin:
»Alle meine Enten schwimmen auf dem See …«
Zufrieden setzte er die Tätigkeit des Rasierens fort.
*
Das Schiff, das die drei Komplicen nach dem Orte ihrer Tätigkeit bringen sollte, hatte seinen Aufenthalt in Port Said. Ovel und Mingal kümmerten sich offiziell nicht um Olly. Für alle Fälle war es gut, daß man eine gegenseitige Bekanntschaft ableugnete. Nur in Port Said, als die Passagiere zur Besichtigung der Stadt und für diesen oder jenen Ankauf an Land gingen, trafen die drei sich gegen Abend vor einem der kleinen arabischen Cafés. »Wir haben noch etwas miteinander zu besprechen«, sagte Mingal. »Das können wir hier schlecht erledigen. Ich möchte auch nicht, daß uns zufällig einer der Passagiere hier beisammen sieht.«
»Ja«, sagte Olly. »Wohin wollen wir denn gehen?«
»Gehen wir zum Hafen«, schlug Ovel vor. »Wir können uns dort ein Ruderboot mieten und ein Stück den Kanal hineinfahren. Das ist zugleich ganz interessant.«
Olly war einverstanden. Die beiden sahen nicht, wie sie heimlich vor sich hin lächelte. Am Hafen ließen sie sich ein Boot geben und fuhren am Gouvernementsgebäude vorbei in die Kanaleinfahrt. Es herrschte tiefe Dunkelheit, die von den Lichtern der Schiffe auf der Reede und an den Kaimauern nur wie mit winzigen Lichtpunkten bestreut war. Leicht und einförmig glitten die Ruder durch das Wasser. Die geraden, endlos gleichmäßig ausgerichteten Ufer des Kanals nahmen sie auf.
»Es ist eine ganz romantische Sache«, sagte Olly mit ihrem ewigen Hang zum Spötteln. »Man könnte wieder eine Szene für das Kino daraus machen.«
»Laß doch diese ewigen Narrheiten«, ärgerte sich Mingal. »Es handelt sich jetzt um viel ernstere Dinge.«
»Das weiß ich«, sagte sie leichthin. »Ihr habt Gesichter wie die Spiegel. Man braucht nur hineinzusehen, um zu wissen, was los ist. Und da ich weiß, was ihr wollt, ist kein Grund für mich einzusehen, daß ich mich aufrege.«
»Was wollen wir denn?« fragte Ovel, und seine Stimme zitterte vor verhaltener Erregung.
Olly lachte ihn aus: »Du scheinst aufgeregter zu sein als ich, lieber Ovel. Also ich will euch sagen, was ihr wollt. Ihr wollt mir hier in dieser dunklen Umgebung klarmachen, daß ihr den eingegangenen Vertrag nicht halten könnt. Ihr wollt mir weiter vorschlagen, mich mit einem Bruchteil zufrieden zu geben. Wenn ich darauf nicht eingehe, dann werdet ihr auch nichts daran ändern können, aber es wird sich dann leicht ein kleiner Unglücksfall ereignen. Es ist, wie gesagt, so schön dunkel hier. Kein Mensch kennt euch oder mich. Auf dem Schiffe weiß niemand, daß wir zusammengehören, da man uns nie zusammen gesehen hat. Man wird mich vielleicht nach einiger Zeit vermissen und unter Umständen gelegentlich finden. Das ist dann auch alles. Ist es so, meine Lieben?«
Sie bekam keine Antwort. Ovel und Mingal saßen schweigsam und mit bösen Gesichtern da. Wieder bewunderten sie insgeheim die klare Geistesschärfe dieser Frau. Mingal sagte bedauernd: »Es ist schade, daß dir keine Gelegenheit gegeben ist, deine Geistesgabe praktisch auf irgendeinem nützlichen Gebiete zu betätigen. Wirklich schade.«
»Nun«, lachte Olly. »Damit hat es noch Zeit. Es ist ja noch nicht aller Tage Abend. Wenn ich aus Ceylon zurückkomme, dann werde ich mich nach einer nützlichen Beschäftigung umsehen.«
»Wenn du aus Ceylon zurückkommst«, sagte Mingal bedeutsam und drohend.
»Ich werde zurückkommen, lieber Freund. Das garantiere ich dir. Was ihr hier versucht – versucht, sage ich –, das sind ja Kindereien. Ihr glaubt wohl immer noch, daß ich viel Vertrauen zu euch habe, was? Ich traue euch nicht von einem Bootsrand bis zum anderen. Ich weiß, mit wem ich es zu tun habe.«
»Aller Glauben und alles Vertrauen wird dir hier nichts nützen. Also laß die Reden. Diesmal machst du uns nicht wieder betrunken damit. Du hast ganz richtig kalkuliert. Wir sind übereingekommen, daß wir dir keinen Anteil an der Beute geben können. Wir haben uns aber weiter überlegt, daß deine Kenntnis von den Erben geeignet ist, uns zu bedrohen und uns in unserer freien Entschließung zu behindern. Darum kann es uns nicht einmal genügen, daß du hier feierlich und in aller Form auf deinen Anteil verzichtest. Wir könnten dich nicht zwingen, die Absendung des verräterischen Telegramms zu unterlassen. Und du mußt verstehen, daß wir dagegen geschützt sein müssen. Wir haben schon zuviel Geld in das Unternehmen hineingesteckt.«
Olly unterbrach ihn: »Ich weiß ja alles, was du sagen willst. Gib dir nicht soviel Mühe. Ich möchte euch nur vorher noch eine Kleinigkeit zu überlegen geben. Ich habe ganz in eurer Nähe in einer sehr netten Pension gewohnt und habe mich da mit der Wirtin gut angefreundet. Ich habe ihr, ehe ich fortging, einen geschlossenen Brief übergeben, der folgende Adresse trägt: An das Polizeipräsidium. Abteilung V. Hier. In dem Brief steht alles, was ich über euch und die Sache und die Erben weiß. Die Sache ist nun so vereinbart: Binnen vierzehn Tagen muß bei meiner Wirtin ein Telegramm mit einem bestimmten Stichwort ankommen. Wenn es nicht ankommt, dann geht der Brief automatisch ab. Wenn es kommt, dann bleibt der Brief liegen, aber nur für die Dauer von weiteren vierzehn Tagen. Alsdann muß ein neues Telegramm mit einem anderen Stichwort ankommen. Das haben wir so für die Dauer von drei Monaten vereinbart. Für die letzten zwei Monate muß das neue Stichwort sogar alle acht Tage ankommen. So, nun wißt ihr Bescheid.«
Mingal lachte laut auf: »Das sind ja Märchen. Damit kannst du uns nicht bange machen.«
»Wenn dir daran liegt, mein Freund, dann will ich dir die Empfangsbescheinigung der Wirtin gerne zeigen. Zu aller Vorsicht haben wir die Unterschrift sogar beglaubigen lassen. Ich kann euch die Bestätigung deswegen ruhig zeigen, weil ihr ja doch das Stichwort nicht kennt.«
Sie holte aus ihrer kleinen Handtasche einen zusammengefalteten Bogen und gab ihn den beiden herüber. Im Licht eines Streichholzes studierten sie den Text und die Unterschrift. Es handelte sich um die Pension Aurora in der Sternstraße. Es war im übrigen alles so, wie Olly ihnen gesagt hatte. Wieder wurden sie sich ihrer Hilflosigkeit bewußt.
Olly sagte ruhig: »Es wird mir hier zu kühl. Ich fürchte, ich werde mich erkälten. Wir wollen lieber umkehren.«
Gehorsam wendeten sie das Boot und fuhren zum Eingang des Kanals zurück. Auf getrennten Wegen gingen sie an Bord. Zum Abendessen erschien Olly in großer Toilette und setzte sich ohne weitere Förmlichkeiten zu ihnen an den Tisch. »Es ist besser,« sagte sie, »daß man gelegentlich ein Wort zusammen spricht. Das Alleinsein bringt euch nur auf dumme Gedanken. Es ist für mich auch besser, daß man uns zusammen sieht. Also ergebt euch in euer Schicksal. Ihr könnt gegen mich nichts machen.« – – – – –