Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Sommer gab dem Fahrer Anweisung, den Weg nach Colombo mit verminderter Geschwindigkeit zu fahren. Die Frist von drei Tagen, die er Bob bezeichnet hatte, war noch nicht verstrichen; außerdem aber wollte er die Zeit der Fahrt benutzen, um die gefundenen Papiere zu lesen. Er sah voraus, daß er in Colombo selbst weder Zeit noch ungestörte Gelegenheit dazu finden würde.
Der Bericht war in schlichten, nüchternen Worten gehalten, aber er war erschütternd in seiner eindringlichen Ehrlichkeit und in der erbarmungslosen Folgerichtigkeit, mit der sich das Schicksal Mohringers abspielte und vollendete. Sommer war nicht gerade weichen Gemütes, aber als er den Bericht bis zum Ende gelesen hatte, war er doch von Mitleid und Teilnahme völlig überwältigt.
Er ließ sich zunächst zum Postamt fahren und gab dort ein Funktelegramm von beträchtlicher Länge auf. »Wann kann das Telegramm ankommen?« erkundigte er sich.
Der Beamte erklärte: »Wenn Sie noch einige Pfunde daran wenden wollen, wird es bevorzugt abgesandt und kann noch heute abend an Ort und Stelle sein. Aber es ist teuer.«
»Das spielt keine Rolle, wenn ich dadurch eine Beschleunigung erreiche.«
Vom Postamt aus begab sich Sommer zum deutschen Konsulat und hatte dort eine längere Besprechung. Auch hier erzielte er ein Ergebnis, das ihn befriedigte. Ein Beamter des Konsulats begleitete ihn sodann nach dem Hafen, wo der Dampfer »Nassau« am Pier lag.
Hier hatte Sommer eine Unterredung mit dem Kapitän. Er übergab ihm ein kleines, fest eingeschnürtes Paket zur Beförderung. »Es ist mir zu bedenklich, es bei mir zu behalten. Es ist mir auch nicht sicher genug, es der Post zur Beförderung zu übergeben. Es könnte verlorengehen, und das darf unter keinen Umständen eintreten. Der Konsul hat Sie mir als so zuverlässig dargestellt, daß ich Sie bitten möchte, es persönlich in Ihre Obhut zu nehmen. In Bremen wird ein Bote zu Ihnen an Bord kommen und es in Empfang nehmen.«
Der Kapitän fragte nicht nach Einzelheiten, sondern versprach, den Auftrag gewissenhaft zu erledigen. Sommer war sehr erleichtert, als er das Schiff verließ. Diese wichtigen Dokumente hatte er jedenfalls in Sicherheit gebracht.
Inzwischen war es Mittag geworden. Sommer begab sich zum Regierungsgebäude und suchte dort Omar auf. »Sie sehen,« sagte er, »daß ich heil und munter zurückgekommen bin. Man wird dem Taukwi also sein Geld auszahlen müssen.«
»Haben Sie Erfolg gehabt?« frage Omar bescheiden.
»Ja, vollkommen. Und es ging über Erwarten einfach. Bis jetzt ist überhaupt alles, was ich unternommen habe, ziemlich einfach verlaufen. Der bedenkliche Teil beginnt jetzt. Und auch dafür möchte ich Ihre Hilfe haben. Sie brauchen nichts zu tun, sondern nur einige Auskünfte zu geben. Es werden im Verlauf von längstens fünf Tagen einige Herren zu Ihnen kommen, um über mich und den Weg, den ich jetzt einschlagen will, Erkundigungen einzuziehen. Für diesen Fall möchte ich Sie bitten, den Herren die Auskunft nicht zu verweigern.«
»Sie wünschen also,« sagte Omar mit schneller Auffassung, »daß Ihre Unternehmung nicht geheimbleibt?«
»Ich habe an einem solchen Geheimnis keinerlei Interesse. Im Gegenteil. Natürlich gibt es dabei einige kleine Varianten, und gerade die möchte ich mit Ihnen besprechen.«
Sie gingen in den Garten des Gebäudes hinunter, wo sie sich ungestört und ungesehen aussprechen konnte. Omar hatte einen sehr feinen Instinkt für das, was man von ihm wollte, und gab durch kurze und präzise Zwischenfragen sein Interesse und sein Verständnis zu erkennen.
»Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen«, sagte Sommer. »Sie haben einen vorzüglichen Kopf. Ich vermute, daß ich aus der Sache für Sie noch eine recht ansehnliche Belohnung herausholen kann. Wehren Sie nicht ab. Was Sie jetzt tun, fällt ja nicht mehr in Ihre Amtstätigkeit, sondern ist eine private Gefälligkeit, die Sie mir erweisen. Leben Sie wohl. Ich denke, daß wir uns in einer Woche wiedersehen werden.«
Sodann rief Sommer das Gloria-Hotel an und sprach mit Parker: »Guten Tag, Herr Parker. Ich bin seit heute vormittag zurück.«
»Ich hoffe, heil und gesund. Aber warum kommen Sie nicht ins Hotel?«
»Weil Bob noch nicht wissen soll, daß ich hier bin, und weil ich Sie noch vorher sprechen muß, ehe er etwas von meiner Rückkehr erfährt. Können wir uns irgendwo treffen?«
»Gewiß.« Sie verabredeten Ort und Zeit. Inzwischen studierte Sommer die Listen der Schiffe, die in einem Reisebüro auslagen, und belegte nach einigem Nachdenken drei Kabinen auf einem Dampfer, der in einer Woche fahrplanmäßig abgehen sollte. Es fiel dem Beamten auf, daß er alle drei Kabinen auf einen Namen belegte. »Wollen Sie denn alle drei Kabinen selber benutzen?«
»Wahrscheinlich nicht«, lachte Sommer. »Ich rechne damit, daß noch zwei gute Freunde mit mir fahren. Da ich es aber nicht genau weiß, muß ich zur Vorsicht drei Kabinen für mich belegen.«
Dann wurde es Zeit, zu der Verabredung mit Parker zu gehen. Der kleine Mann war sichtlich erfreut, seinen Gast wiederzusehen. Er sagte verschämt: »Ich habe jeden Abend ein Vaterunser für Sie mitgesagt. Und wenn Sie heute nicht zurückgekommen wären, hätte ich den Herrn Bob durch die Polizei einsperren lassen. Er scheint mir ein ganz verdächtiger Junge zu sein.«
»Wieso denn?« fragte Sommer.
»Immer wollte er Geld von mir haben. Das hat er natürlich nicht bekommen. Aber dann versuchte er sogar, Geld von den Angestellten zu leihen. Als ihm auch das nicht gelang, hat er unheimliche Zechen gemacht. Im Augenblick liegt er auf seinem Zimmer und verschläft den Whiskyrausch.«
»Das macht nichts. In den nächsten Tagen wird er nur Wasser zu trinken bekommen. Hat er die Kolonne zusammengestellt?«
»Die ist in Ordnung. Sie müssen verzeihen, daß ich mich etwas darum gekümmert habe. Verschiedene Leute habe ich zurückgewiesen, weil ich sie als zu verdächtig erkannt habe. Gerade den Eurasiern traue ich nicht. Es ist eine sehr bedenkliche Mischrasse aus Holländern und Singhalesinnen. Die anderen Leute mögen angehen.«
Sommer schüttelte ihm herzlich die Hand: »Sie sind ein Juwel. Sagen Sie nicht wieder, Sie täten das alles aus Interesse für Ihre Gäste. Diesmal tun Sie es aus angeborener Abenteuerlust, nicht wahr?«
»Richtig. Ich stamme aus einer Seemannsfamilie, und uns allen liegt die Lust an solchen Dingen im Blute. Gibt es noch was für mich in der Sache zu tun? Ich stehe Ihnen vollkommen zur Verfügung.«
»Es gibt noch etwas zu tun. Ich werde möglichst noch heute nacht aufbrechen, wenn Bob bis dahin wieder nüchtern geworden ist. Dann werde ich vermutlich fünf Tage wegbleiben. Offiziell gebe ich damit meine Zimmer auf. Ich hoffe aber, daß Sie mich wieder aufnehmen, wenn es nötig sein sollte.«
»Versteht sich«, lachte der Manager.
»Wenn meine Vermutungen richtig sind, werden sich bald einige andere Herrschaften um mich kümmern, und zwar zwei Herren und eine Dame. Vielleicht auch nur eine von diesen drei Personen. Welchen Namen sie sich zulegen werden, kann ich natürlich im voraus nicht sagen. Sollte eine dieser Personen die Absicht äußern, die Zimmer zu mieten, die ich gehabt habe, so geben Sie ihnen die Zimmer. Unter Umständen bieten Sie sie ihnen einfach an. Was ich sonst hier getrieben habe, wissen Sie nicht. Nur von meinem dreitägigen Ausflug wissen Sie, ohne das Ziel zu kennen. Dann wissen Sie ferner, daß ich mich auf den Pik Adam begeben habe, und zwar mit dem Anmarsch von Süden her. Das müssen Sie sich besonders merken.«
»Sie gehen also nach Norden?«
»Natürlich. Sie sagen aber: Süden. Ich beabsichtige da eine kleine Konfusion anzurichten, die mir unter Umständen nützlich sein kann.«
»Ich verstehe. Im übrigen sind Sie der Geologe Sommer, nicht wahr?«
»Nach wie vor. – So, in einer halben Stunde bin ich im Hotel. Sehen Sie zu, daß Sie Bob bis dahin nüchtern kriegen.«
»Ein herrlicher Gast«, strahlte Parker und entfernte sich. – –
Als Sommer in das Hotel kam, hatte Bob gerade die Badewanne verlassen und saß müde und verquollen in der Halle. Parker grüßte steif und gemessen.
»Tag, Bob«, sagte Sommer ruhig. »Du siehst aus, als ob du noch nicht wieder ganz nüchtern wärest.«
Bob hatte ein schlechtes Gewissen: »Ich habe etwas Whisky getrunken; bestimmt nicht viel. Aber es scheint mir schlecht bekommen zu sein.«
»Nun,« tröstete Sommer, »ein Nachtmarsch von fünf Stunden wird dich schon wieder kurieren.«
Bob zog mühsam die Augenbrauen hoch: »Geht es schon los?«
»Jawohl. Solltest du aber nicht imstande sein, den Marsch mitzumachen, so bleib ruhig zu Hause. Ich habe mit deiner Unzuverlässigkeit gerechnet und mir inzwischen für alle Fälle einen Führer besorgt. Also ich brauche dich nicht unbedingt.«
»War das der Zweck deines Ausfluges?« fragte Bob düster.
»Jawohl. Ich habe jetzt jemanden, der sich nicht im entscheidenden Augenblick betrinkt. Du brauchst mir nur die Kolonne zusammenzurufen, und dann kannst du dich wieder schlafen legen.«
Das war zuviel für Bob. Das griff an sein Ehrgefühl. Er stand energisch auf: »Ich lasse mir eine Wanne mit Eiswasser füllen. In einer halben Stunde bin ich frisch.«
Sommer packte inzwischen seinen kleinen Handkoffer. Auf dem Waschtisch ließ er einige Toilettengegenstände stehen, so daß jeder, der nach ihm das Zimmer betrat, sich überzeugen konnte, wie zerstreut und nachlässig, oder aber wie überstürzt er seine Abreise angetreten hatte. Alsdann fertigte er aus dem Gedächtnis eine kleine Zeichnung an und legte sie in den Kasten des Nachttisches.
Als er in die Halle kam, war auch Bob schon bereit. Er saß vor einer mächtigen Kanne mit schwarzem Kaffee und sah recht munter aus. Sommer ließ den Manager kommen und sagte ihm: »Wir verreisen für einige Tage.«
Parker machte ein ernstes Gesicht: »Darf ich dann zuvor um Begleichung der Hotelrechnung bitten?«
»Gerne. Holen Sie nur.«
Bob grinste: »Na, allzuviel Kredit und Vertrauen scheinst du bei dem auch nicht zu genießen!«
»Was willst du?« zuckte Sommer die Achseln. »Der Mann kennt uns ja gar nicht. Und von dir kann er nur einen denkbar schlechten Eindruck bekommen haben.«
»Ich will dir den Gegenbeweis liefern. In einer Stunde steht die Kolonne fertig zum Abmarsch da. Ich weiß nur nicht, welchen Weg du einschlagen willst.«
Sommer nahm ein Blatt Papier und zeichnete darauf einen Umriß, der dem einer Birne glich. »Was ist das?« fragte er.
»Ein krummes Ei«, sagte Bob. »Wenn du aber etwas Geographisches damit im Auge hast, muß man wohl sagen, daß es die Umrisse der Insel Ceylon sind.«
»Richtig. Nun zeichne ich dir hier eine Linie hinein. Was bedeutet sie?«
»Das kann nur der Mahaväli-Ganga sein.«
»Auch richtig. Und dieser dicke Punkt hier?«
»Das muß die Stadt Kandy sein.«
»Weiter. Was bedeuten wohl diese Schattierungen, die ich hier südlich von diesem Punkt mache?«
»Das Hochgebirge, das im Süden liegt. Nun geh' schon gleich weiter und mache hier im südwestlichen Teil einen Punkt, damit du endlich auf den Pik Adam kommst.«
»Tun wir das. Du bist also insoweit im Bilde. Nun muß ich eine Spezialkarte anfertigen. Hier ist der Pik Adam als Zentrum. Nördlich davon zeichne ich dir jetzt zwei senkrechte Striche und darüber einen Querstrich. Dasselbe wiederhole ich ein klein wenig weiter südlich. Weißt du, was das ist?«
Bob dachte nach. Dann hob er die Hand: »Aber das ist ja einfach. Im Aufstieg vom Norden her liegen zwei alte, verlassene Graphitbergwerke. Über beide führt ein ganz bequemer Weg auf die Anhöhe.«
»Schön, mein Lieber. Damit ist uns also der erste Teil des Weges vorgeschrieben. Wenn ich dir nun noch verrate, daß auf dem Originalplan von diesen beiden Bergwerken aus ein Pfeil gerade nach Süden führt, so wirst du wohl nicht mehr daran zweifeln, daß wir den Anstieg von Norden her nehmen müssen.«
»Das versteht sich«, erwiderte Bob. »Bei einigem Nachdenken ist das auch verständlich. Die westliche und die östliche Seite des Pik dienen überwiegend als Pilgerstraßen. Du weißt ja, daß auf dem Gipfel der große Tempel mit der berühmten Fußspur des Buddha ist. Wenn also einer am Pik Adam ein Versteck anlegen will, so tut er das zweckmäßig auf einer Seite, die nicht zuviel von Pilgern begangen wird. Das hat aber für uns zur Folge, daß wir aus der Stadt nicht südlich, sondern östlich heraus müssen, um dann vom Norden aus an den Bergwerken vorüber auf den südlichen Anstieg zu gelangen.«
»Das wird nicht zu umgehen sein, und ich habe von vornherein damit gerechnet. Daß es sich bei der Zeichnung um Bergwerke handelte, leuchtet ohne weiteres ein. Die beiden senkrechten und der wagerechte Strich können in dieser Zusammenstellung nichts anderes sein als die Holzverkleidung eines Schachteinganges. Weiter als bis dahin werden wir heute nacht wohl nicht kommen. Darum werde ich den Plan einstweilen nicht weiter aufzeichnen.«
»Wie du willst. Der Kolonnenführer wartet seit heute früh bei Yannah im Garten. Ich gebe ihm jetzt Bescheid, wo sich die Leute sammeln sollen. Es wird ratsam sein, daß wir gegen zehn Uhr abmarschieren.«
Sie gingen rechtzeitig fort. Vor dem östlichen Ausgang der Stadt, unter einer Gruppe von Kokospalmen, sahen sie einen Haufen Menschen liegen. Bob stellte Sommer als den Herrn der Unternehmung vor. Die Leute bekamen jeder eine Schale Reisbranntwein, dann begann der Marsch. Jeder zweite trug eine kurze, schwere Kiste, die anderen hatten Hacken und Spaten. Die Waffen und die Sprengkapseln trug Sommer selber in einem Rucksack mit sich. Der Mond stand schon hoch und machte es leicht, den Weg zu sehen und sich vor den Unebenheiten des Bodens in acht zu nehmen.
Mit leisem, einförmigem Singen zogen sie ostwärts, bis Bob das Zeichen gab, nach Süden scharf abzubiegen. Da begann auch schon das Gelände sich langsam, aber stetig zu heben. Der Gesang wurde leiser, vielleicht, weil sich die vermehrte Anstrengung bemerkbar machte; vielleicht auch, weil die dunklen Waldstrecken und die oft tief in den Schatten der Felsen eingeschnittenen Wege den Leuten Furcht machten. Sommer ging immer als letzter, aufmerksam und gespannt. – –
Als Taukwi im Gelben Hause wieder auftauchte, war er ein wohlhabender Mann geworden. Er trug einen neuen Mantel, hatte neue Sandalen aus hellgelbem Leder und eine moderne, europäische Reisetasche. Das war immer sein Traum gewesen.
Über die Art, in welcher er das Geld verdient hatte, sagte er nichts. Er lächelte nur vielsagend und ließ die anderen in dem Glauben, der Europäer habe nicht ganz freiwillig dieses Geld hergegeben. Sie wurden in dieser Meinung dadurch bestärkt, daß Taukwi einem Tempel ein für seine Verhältnisse recht ansehnliches Geschenk machte.
Einen Teil des Geldes verwandte er dazu, dem Besitzer des Gelben Hauses für Lebzeiten ein Zimmer abzukaufen, damit er immer einen Unterschlupf habe. Der Rest aber wurde für eine Feier ohne Ende verwandt, zu der er seine Freunde einlud und alle Gäste, die sich gerade im Gelben Hause befanden. Speisen, von denen sie sonst nur zu träumen wagten, wurden beschafft. Die besten Musikanten, die man auftreiben konnte, wurden bestellt. Tänzerinnen wurden gemietet. An Getränken gab es einen reichlichen Überfluß. Taukwi hatte seine großen Tage.
An jedem Abend wurde das Fest erneuert. Schilling um Schilling um Schilling wanderte in die Tasche des Wirtes. Aber er tat dafür sein Bestes. Gerade Taukwi war ein Mann, der von Zeit zu Zeit über erstaunliche Beträge verfügte. Es wäre unhöflich gewesen, nach ihrer Herkunft zu fragen. Es wäre auch untunlich gewesen, es mit ihm zu verderben und ihn sich zum Feinde zu machen.
Als sie so an einem Abend vor den vollen Schüsseln saßen und eine Tänzerin sich nach den Takten der dünnen, aufreizenden Musik drehte und wandte, wurde die Tür aufgerissen. Zwei Männer in europäischer Kleidung traten ein. Für eine Sekunde herrschte ein grabtiefes, bedrückendes und bedrohliches Schweigen. Dann sprang Taukwi mit einem freudigen Laut von seinem Polster auf und begrüßte die beiden Ankömmlinge stürmisch. Sie wurden genötigt, den Ehrenplatz anzunehmen und von den Speisen und Getränken zu kosten.
Beide waren zu sehr mit den Sitten der Eingeborenen vertraut, um solche Einladung abzuschlagen. Taukwi war auch nicht der einzige Bekannte, den sie hier unter den Gästen hatten. Also mußten sie sich zu den Feiernden setzen.
Taukwi war außer sich vor Freude. Immer wieder legte er ihnen zu essen vor und füllte immer wieder ihre kleinen Trinkschalen. Dabei sagte er einmal: »Ich habe nie daran gezweifelt, daß du Wort halten würdest.«
»Wie meinst du das?« fragte Mingal.
»Nun, es ist doch Vollmond draußen.«
»Was hat das mit meinem Wort zu tun, Taukwi?«
»Du bist zu bescheiden, Freund Mingal. Du hast mir doch bestellen lassen, daß du hier sein würdest, wenn es Vollmond wäre.«
Mingal erstarrte. Er hatte hier etwas bestellen lassen? War Bob vielleicht schon hier gewesen?
Er beugte sich vor: »Hat Bob dir die Bestellung gemacht?«
Taukwi schüttelte den Kopf: »Nein. Bob habe ich nicht gesehen. Dein Freund war hier. Er hat seinen Namen nicht genannt. Aber er hat mir geschworen, daß er dich und Ovel und Bob kennt.«
Mingal stand auf und winkte ihm: »Komm!« Aber Taukwi sträubte sich. »Ich habe Gäste, wie du siehst. Ich kann sie nicht allein lassen.«
Er hatte noch nicht ausgesprochen, als er von Mingal einen Hieb mit einem Gummiknüppel über den Kopf bekam, der ihn halb besinnungslos zu Boden streckte. »Wirst du kommen, wenn ich es dir befehle?« schrie Mingal mit wütender Stimme. »Wagst du es, mir nein zu sagen?« Und wieder sauste ein Hieb auf seine Schulter hernieder, daß er mit einem dumpfen Laut des Jammerns beiseite kroch.
»Ich komme … ich komme«, wimmerte er.
»Das ist dein Glück. Wir gehen nach vorn in die Bar.«
Keiner der Gäste wagte, ihnen den Ausgang zu verwehren. Wenn schon Taukwi, der Furchtlose, sich diesem Befehl und dieser Mißhandlung fügte, dann schien es für die anderen nicht geraten, sich einzumischen. Aber die Höflichkeit gebot ihnen, Taukwi über die beschämende Situation hinwegzuhelfen. »Du hast sie zu Gaste geladen, Taukwi, darum darfst du ihnen den Wunsch auch nicht abschlagen, mit ihnen zu gehen. Wir wollen hier auf dich warten.«
Taukwi war schon wieder ruhig und gelassen: »Ihr habt recht. Eßt und trinkt, bis ich wiederkomme.«
Mingal ging in dem kleinen, stickigen Barraum unruhig auf und ab. »Nun?« rief er Taukwi entgegen. »Wie hat sich die Sache abgespielt?«
Der Singhalese erzählte der Wahrheit gemäß, was sich vor einer Woche zugetragen hatte. Der Wirt wurde herbeigerufen und bestätigte alle Angaben. Es war ersichtlich, daß Taukwi unverschuldet zum Verräter geworden war. Er war der List und der Gewalt unterlegen.
»Wir wollen unseren Streit begraben«, sagte Mingal versöhnlich. »Aber du wirst meine Aufregung verstehen, wenn ich dir sage, daß wir durch deine Gutgläubigkeit ein Vermögen verloren haben.«
Taukwi erschrak. Dann sagte er mit verbissenem Ausdruck: »Dann werde ich dir helfen, es wiederzugewinnen. Ich heiße Taukwi und halte mein Wort.«
»Vorläufig kannst du uns nicht viel nützen, es sei denn, du brächtest uns mit Omar zusammen.«
»Das kann ich. Wenn es sein muß, noch an diesem Abend.«
»Gut. In zwei Stunden sind wir wieder hier. Du sagst, der andere Europäer wäre der Manager vom Gloria gewesen? Also gehen wir erst zum Gloria.«
Sie gingen in größter Eile fort. Unterwegs sagte Ovel: »Wollen wir nicht lieber Olly ins Gloria schicken? Es ist nicht gut, wenn wir gleich in die Erscheinung treten.«
»Ich habe auch schon daran gedacht. Sie erwartet uns vor dem Hause des Notars.«
»Schade um die nutzlosen Kosten«, schimpfte Ovel.
Sie trafen Olly an der vereinbarten Stelle und unterrichteten sie von dem Unheil, das Taukwi angerichtet hatte. Sie war sofort bei der Sache: »Holt mir meinen Handkoffer. Ich nehme im Gloria Quartier. Schnell. Wenn ich euch raten kann, möchte ich sagen, daß wir nach dieser Nacht aufbrechen müssen. Der Vorsprung von fünf Tagen ist sehr groß. Ich wette hundert zu eins, daß der unbekannte Europäer Aren ist.«
»Dazu gehört nicht viel Scharfsinn«, murmelte Ovel. »Du hast eine gute Stunde Zeit für deine Ermittlungen. Mehr nicht. Wir müssen noch zum Gelben Haus zurück.«
Bald darauf fuhr eine elegante Dame vor dem Gloria-Hotel vor und verlangte ein Zimmer. Parker selbst bemühte sich um sie. Er war nicht sicher, ob sie zu den Personen gehörte, die Sommer ihm bezeichnet hatte, aber er beschloß, ihr den Weg leicht zu machen. Er sagte: »Ich habe nach der Straße hin im ersten Stock zwei zusammenhängende Räume frei bekommen, die ich Ihnen sehr empfehlen kann. Es hat ein deutscher Gelehrter mit seinem Sekretär darin gewohnt. Er hat mich zwar gebeten, die Räume frei zu halten, aber diese Art Sonderling ist sehr unzuverlässig.«
»Jedenfalls möchte ich mir die Räume ansehen«, sagte Olly zurückhaltend.
Parker bemühte sich selber mit in den ersten Stock. »Sehen Sie,« sagte er lächelnd mit einer Geste zum Waschtisch, »der Mann ist so zerstreut, daß er die Hälfte seiner Toilettengegenstände einfach stehen läßt.«
»Wie hieß denn der Mann?« fragte Olly wie nebenher.
»Sommer. Und sein Sekretär hieß Bob Kummer.«
»Bob Kummer? Merkwürdiger Name. – Ich nehme die beiden Zimmer. Wollen Sie mein Gepäck heraufschaffen lassen?«
»Sofort.«
Olly richtete sich in dem Zimmer ein, soweit es ihr für den nur vorübergehenden Aufenthalt notwendig erschien. Die kleine Pistole, die sie immer bei sich trug, legte sie in den Auszug des Nachttisches. Sie sah dort ein Blatt Papier liegen und nahm es, ohne sich eigentlich etwas dabei zu denken, heraus. Als sie es aber näher betrachtete, wurde sie aufmerksamer. Sie ging schnell an das Licht, beugte sich über die Zeichen … und lachte plötzlich hell auf. Was sie da in den Händen hielt, war nichts anderes als der lange gesuchte Plan für die Besteigung des Pik Adam.
Es überwältigte sie so, daß sie sich einen Augenblick setzen mußte. Unerhörte Möglichkeiten tauchten vor ihr auf. Sie hatte den Plan! Mingal und Ovel waren jetzt in ihre Hand gegeben! Sie konnte fordern, was sie wollte. Beinahe hätte sie vor Aufregung geweint. Das ganze Leben konnte sich jetzt anders gestalten … aber die dunkle Frage stand vor ihr: wie konnte sie diesen beiden furchtbaren Menschen entrinnen? Hier im Lande war es unmöglich, ihnen zu entgehen. Es war auch ohne ihre Hilfe fast unmöglich, den Schatz zu heben. Doch konnte sie jetzt einen größeren Anteil fordern.
Sie ging in die Halle hinunter und ließ sich eine Erfrischung geben. Wieder bemühte sich Parker um sie und unterhielt sie. Bei dieser Gelegenheit erfuhr sie alles, was sie erfahren wollte, sowohl den dreitägigen Ausflug wie auch die Ersteigung des Pik Adam vom Süden her, endlich auch die Tatsache, daß Sommer und sein Sekretär mit einer Kolonne von zwölf Mann abmarschiert seien.
Als der Manager sich endlich zurückgezogen hatte, verließ sie schnell die Halle. Ihr zitterten die Knie vor Erregung. Den Plan hatte sie in den Ausschnitt ihres Kleides gesteckt und hütete ihn da wie einen Schatz.
Mingal und Ovel warteten vor einem kleinen Café. Sie nahm mit einer triumphierenden Miene Platz. »Na,« sagte Ovel, »du siehst ja aus, als ob du viel erreicht hättest.«
»Du bist ein guter Beobachter, Ovel. Hoffentlich bist du ein ebenso guter Pfadfinder. Wir werden nämlich jetzt in die Berge müssen. Der unbekannte Europäer hört auf den Namen Sommer, sein Sekretär auf den schönen und recht anzüglichen Namen Bob Kummer. Merkt ihr was? Sommer ist drei Tage unterwegs gewesen. Es ist ohne Zweifel, daß er diese drei Tage im alten Bungalow verbracht hat. Es steht auch wohl außer Zweifel, daß er die Aufzeichnungen gefunden hat. Sonst wäre er nicht zurückgekommen und hätte seinen Marsch mit zwölf Trägern angetreten.«
»Zwölf Träger!« rief Mingal, und seine Augen leuchteten. »Die können viel wegschleppen. Und er wird, nachdem er die Aufzeichnungen gelesen hat, schon wissen, warum er soviel Träger braucht. Kaum auszudenken …«
Sie träumten sich alle drei in unerhörte Reichtümer hinein. Zwölf Träger! Sechs Kisten! Die drei Gesichter waren von Gier verzehrt und verzerrt.
»Wir wollen jetzt in das Gelbe Haus gehen«, sagte Mingal endlich, »und hören, was uns Omar verraten kann.«
»Einen Augenblick noch«, wehrte Olly. »Ich habe euch noch etwas mitzuteilen. Daß Bob sich unterwegs befindet, ist wohl unzweifelhaft. Er schaltet demnach als Führer aus. Wenn ihr die Spuren der Kolonne verfolgen wollt, so könnt ihr das doch nicht auf gut Glück hin tun.«
»Warum nicht? Wir wissen, daß sie den Pik Adam vom Süden aus erstiegen haben, und eine Kolonne von insgesamt vierzehn Mann hinterläßt immer Spuren.«
»Was nützen euch die Spuren? Nehmen wir an, die Kolonne sucht noch in den Bergen herum und kann das Lager nicht finden …«
»Unsinn!« unterbrach Mingal sie. »Warum sollten sie es nicht finden? Sie haben den Plan und haben Bob als Führer.«
»Es könnte sein,« sagte Olly ruhig, »daß sie den Plan nicht haben.«
»Wo sollte er denn sonst sein? Warum kommen sie von Deutschland hierher, wenn sie den Plan nicht haben? Das sind alles unnütze Erwägungen.«
»Du irrst dich, Mingal. Es könnte sein, daß sie den Plan vergessen haben und nun in den Bergen herumsuchen. Ich will euch nicht lange auf die Folter spannen. Hier ist der Plan.«
Sie legte ihn auf den Tisch und lächelte stolz. Ovel hielt seinen Kopf mit beiden Händen fest: »Aber das ist ja phantastisch! Das ist ja sinnlos!«
»Das ist sehr schön«, sagte Olly. »Wieviel bekomme ich jetzt von der Beute?« Sie zitterte erneut vor Erregung. Ovel krampfte die Fäuste zusammen.
Nur Mingal blieb ruhig: »Du bekommst nicht einen Deut mehr, als wir verabredet haben. Dein Plan ist nichts wert.«
Sie lachte höhnisch. Aber Mingal blieb ruhig: »Ich sage dir: er ist nichts wert. Du meinst, sie hätten ihn vergessen? Unsinn. Sieh ihn dir genau an. Auf der Rückseite steht in schönster Schrift: ›Gloria-Hotel, Colombo.‹ Du kannst also daran erkennen, daß der Plan hier erst aufgezeichnet worden ist. Er ist auch erst kürzlich angefertigt worden, denn das Papier ist noch ganz frisch und glatt. Der ursprüngliche Plan aber war in einen Bucheinband seit Jahren eingeklebt. Wir haben es also mit einem Duplikat zu tun. Den richtigen Plan haben die beiden mit auf die Wanderschaft genommen. Wenn sie ihn wirklich vergessen hätten, wären sie bestimmt umgekehrt und hätten ihn geholt. Sie sind aber nicht umgekehrt. Folglich brauchen sie diesen Plan nicht … und folglich brauchen wir ihn auch nicht.«
»Das verstehe ich nicht«, warf Ovel ein.
»Leicht zu verstehen«, sagte Mingal. »Wenn sie mit dem Plan unterwegs sind, woran ich keinen Zweifel habe, dann müssen sie den Schatz längst gehoben haben. Und dann kommt es für uns nicht mehr darauf an, ihn mit Hilfe des Planes selber zu finden, sondern ausschließlich darauf, ihnen die Kisten abzujagen. Die Richtung des Aufstiegs wissen wir. Alles andere wird Taukwi uns besorgen. Du siehst also, Olly, daß du keine Erpressungen mit deinem Fund begehen kannst. Schade, aber nicht zu ändern.«
Olly schwieg. Ihr Phantasiegebäude brach unter dieser Logik rettungslos zusammen. Aber Mingal verstärkte ihre Niederlage noch: »Ich vermute sogar, daß der Herr Sommer den Plan mit Absicht hier zurückgelassen hat, um dich oder uns zu verhöhnen. Er will damit sagen: bitte, bedient euch. Ich brauche ihn nicht mehr.«
Diese Vermutung lag nahe, und sie war für alle Beteiligten, nicht nur für Olly, etwas bedrückend. Aber Mingal übersah die Folgen der letzten Vorgänge noch weiter. Er sagte: »Darüber hinaus ist nicht zu vergessen, daß Sommer sich drei Tage lang im alten Bungalow aufgehalten hat. Damit ist er, wie wir schon bemerkt haben, in den Besitz der Aufzeichnungen gekommen. Aus diesen Aufzeichnungen kennt er unter allen Umständen den richtigen Namen von Miquel und kann also alle Erben ermitteln, wenn ihm daran liegt. Damit wird auch Ollys Kenntnis von den Erben sehr herabgemindert. Unter Umständen könnte das sogar ein Grund für uns sein, ihr zu sagen: Wir teilen überhaupt nicht. Was meinst du zu dieser Idee, liebe Freundin?«
Sie lächelte nur, obgleich sie sehr bleich geworden war. »Oh, das Polizeigebäude ist nicht sehr weit von hier …«
Ovel versuchte einzulenken: »Es wird vernünftig sein, Olly, wenn du dich an unsere ursprünglichen Vereinbarungen hältst. Ich kann verstehen, daß dir einen Augenblick lang die Idee, den Plan zu besitzen, zu Kopf gestiegen ist. Lassen wir das jetzt und gehen wir zum Gelben Haus.«
Es widersprach niemand, und sie machten sich auf den Weg.
Taukwi hatte Wort gehalten. Omar saß mit ihm in dem kleinen Barraum im vorderen Teil des Hauses. Sie tranken, ohne sich um die Ankommenden zu kümmern. Nur mit einem schnellen Blick wurde die Verständigung erzielt.
Zu langen diplomatischen Vorbereitungen war keine Zeit. Die Uhr ging auf zehn. Es würden kostbare Nachtstunden versäumt werden, wenn man nicht so bald als möglich aufbrechen konnte. Darum beschloß Mingal, sich ohne weiteres an den Tisch der beiden Zecher zu begeben. Der Umstand, daß der Singhalese kein Freund war, ermöglichte das. Inzwischen nahmen Ovel und Olly an einem Tische in der Nähe Platz.
»Da ist ja mein Freund Taukwi«, sagte Mingal erfreut. »Wir haben uns lange nicht gesehen.«
Taukwi stand auf und verbeugte sich tief vor ihm: »Ich bin glücklich, dich wiederzusehen. Darf ich dir anbieten, mein Gast zu sein?«
»Aber du hast schon einen Gast«, wehrte Mingal bescheiden ab.
»Mein Freund Omar wird froh sein, dich kennenzulernen.«
Omar verneigte sich: »Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Es ist mir eine Ehre, denselben Tisch mit Ihnen zu teilen.«
»Auch ich habe schon von Ihnen gehört«, sagte Mingal, indem er sich setzte. »Sie haben einen guten Ruf als tüchtiger und kluger Beamter im Gouvernement. Man sagt von Ihnen, daß Sie Ihren europäischen Kollegen an Findigkeit und Mut und Schärfe des Geistes nicht nachständen.«
Omar lächelte geschmeichelt: »Ich habe nur bescheidene Fähigkeiten. Soweit es möglich ist, mache ich Gebrauch davon.«
Mingal nickte eifrig: »Das ist es eben: es wird Ihnen nicht genügend Möglichkeiten gegeben, Ihre Fähigkeiten zu entfalten. In den Augen der Europäer sind Sie zwar ein tüchtiger Mensch, aber doch ein Eingeborener. Wenn dieses Vorurteil nicht bestände, könnten Sie sicher längst ein bekannter und berühmter Detektiv sein und das Vielfache von dem verdienen, was Sie jetzt an Gehalt bekommen.«
Omar nickte mit düsterem Gesichtsausdruck und schwieg. Mingal glaubte sich auf dem richtigen Wege: »Haben Sie nie versucht, Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten in privater Form zu verwenden? Ich meine etwas in der Art, daß Sie sich neben Ihrem Amt mit der Aufklärung von Vorgängen befassen, an denen Ihre Behörde kein Interesse hat? Damit würde ja niemand geschädigt, aber Sie würden sich selbst sehr damit nützen.«
»Ich habe keine Zeit dafür«, lehnte Omar ab.
Mingal widersprach: »Sie sind doch nicht den ganzen Tag im Dienst. Nehmen wir die jetzige Situation an. Jetzt sind Sie doch als Privatmann hier und nicht als Beamter, nicht wahr?«
Omar bejahte, und der aufmerksame Zug in seinem Gesicht vertiefte sich. »Also«, fuhr Mingal fort, »könnten Sie zum Beispiel diese Zeit ausnutzen, um sich einen erheblichen Nebenerwerb zu verschaffen. Sagen wir etwa … zwanzig bis fünfundzwanzig Pfund.«
Omar spielte unruhig mit den Fingern auf der Tischplatte. Dann antwortete er mühsam: »Ich habe Pflichten gegen meine Behörde.«
»Aber diese Pflichten haben doch eine Grenze, lieber Freund. Es gibt doch, wie ich Ihnen schon sagte, Dinge, an denen Ihre Behörde gar nicht interessiert sein kann. Ich will ein Beispiel nennen. Sie haben da neulich einen Europäer, der mit dem Manager vom Gloria zusammen war, hier beschützt oder hierher begleitet. Wie man mir erzählte, haben Sie diese Aufgabe glänzend durchgeführt. Sie ist also erledigt; für Sie und für die Behörde. Nehmen wir nun an, ich wäre an diesem Herrn interessiert, würden Sie mir dann Auskunft geben?«
»Nein«, sagte Omar schlicht und bestimmt.
»Warum nicht?« frage Mingal verwundert. »Er geht Sie doch nichts mehr an. Und fünfundzwanzig bis dreißig Pfund verdienen sich nicht immer so leicht.«
Taukwi griff ein: »Sei kein Narr, Omar. Das ist viel Geld. Und du hast auch sonst schon Geld angenommen.«
»Das ist nicht wahr!« fuhr Omar auf. »Das ist eine Lüge.«
»Das darfst du nicht sagen«, entgegnete Taukwi ruhig. »Wenn morgen einer zu deiner Behörde ginge und sagte: Omar hat Geld angenommen, dann würde man doch sicher eine Untersuchung einleiten. Ich würde dir eine Menge Zeugen bringen, die alle das gleiche aussagen werden.«
»Dann werden sie eben alle nach Verabredung lügen, und du wirst es sein, der ihnen die Lüge eingibt.«
Taukwi zuckte mit den Achseln: »Darüber wollen wir nicht streiten. Auf jeden Fall werden die Zeugen da sein, und es wird dann für dich schwierig sein, dich zu verteidigen und dein Amt zu behalten.«
Omar schwieg. Darin sah Mingal ein gutes Zeichen. Er selbst glaubte zwar in diesem Fall Omar und nicht Taukwi, den er als alten und bedenkenlosen Schuft kannte; aber für ihn handelte es sich darum, eine Chance zu erkaufen. Da war es ihm gleich, was die beiden miteinander ausmachten. Er hielt den Zeitpunkt für gekommen, ohne Rücksicht auf dieses Zwischenspiel seine Fragen zu stellen.
»Der Herr Sommer ist drei Tage im alten Bungalow bei Mount Lavinia gewesen, nicht wahr?«
»Nicht ganz drei Tage. Aber etwa drei Tage«, kam die Antwort.
»Und jetzt ist er mit einer Kolonne von zwölf Mann auf den Pik Adam gestiegen, nicht wahr?«
»Zwölf Mann und ein Begleiter. Sechs Kisten führen sie mit sich. Er sagte, er wollte Steine suchen.«
»Was für Steine?«
»Für seine Sammlung«, lächelte Omar. »Er ist ein Gelehrter. Oder man kann sagen: er ist ein gelehrter Mann.«
»Das ist gewiß ein Unterschied«, sagte Mingal erfreut. »Und an diesem Unterschied sieht man deine Klugheit. Also sagen wir, er sei ein gelehrter, das heißt ein gewitzter Mann. Steine können auch Verschiedenes bedeuten. Ich vermute, es handelt sich um Steine, die auch du, Omar, nicht verschmähen würdest.«
»Ich würde sie nicht wegwerfen«, sagte Omar mit dem gleichen Lächeln. »Es wäre schade darum. Wenn ich sie hätte, würde ich mir eine Villa bauen lassen.«
»Das glaube ich dir. Ich hoffe, daß ich nach einigen Tagen in der Lage sein werde, dir einige von diesen Steinen zu geben, als Andenken und zur Belohnung.«
Sie schwiegen eine Weile, jeder mit anderen Gedanken belastet. Dann sagte Omar leise: »Ich werde die Steine annehmen … unter einer Bedingung.«
»Unter welcher?«
»Unter der Bedingung, daß Taukwi mir drei Zeugen dafür stellt, daß ich keine Steine angenommen habe.«
Mingal verbiß sich mühsam ein Lachen. Aber Taukwi war sehr ernsthaft und mit voller Überzeugung bei der Sache: »Ich stelle drei Zeugen. Ich selbst biete mich als Zeugen dafür an. Ich lasse meinen Freund Omar nicht im Stich. Er ist ein Ehrenmann.«
Mingal hatte sich schon wieder in der Gewalt.
»Soviel ich weiß, geht der Aufstieg vom Süden aus.«
»Wer hat das gesagt?«
»Der Manager vom Gloria.«
»Wenn er das gesagt hat, dann steckt er mit dem Europäer unter einer Decke. Der Aufstieg geht vom Norden aus, über die beiden Bergwerke hinweg. Ich weiß es von ihm selbst und habe die Kolonne abmarschieren sehen, während unser Freund Taukwi hier ein Fest feierte.«
»So, so«, sagte Mingal nachdenklich. »Die beiden sind im Einverständnis. Nun verstehe ich auch, warum er einen Plan im Hotel zurückgelassen hat.«
»Einen Plan?« fragte Omar überrascht. »Einen Plan hat er mir auch gezeigt. Kann ich ihn sehen?«
Mingal winkte Olly und Ovel heran, die inzwischen jedes Wort des Gespräches verfolgt und verstanden hatten. Olly legte den Plan auf den Tisch. Omar prüfte ihn, dann sagte er: »Es ist derselbe und doch ein anderer. In dem Plan, den ich bei ihm gesehen habe, war neben den beiden Eingängen zu den Bergwerken ein Pfeil eingezeichnet, der nach Süden wies. Dieser Pfeil fehlt hier.«
»Siehst du nun,« frage Mingal, »daß er es darauf angelegt hat, uns irrezuführen? Daß er nur einen Vorsprung gewinnen will, indem er uns durch den Manager auf den weiteren Weg vom Süden her verweisen läßt? Mag Herr Sommer sein, wer er will, jedenfalls ist ein er ein gerissener Schuft.«
Omar lachte still vor sich hin. Olly sah ihn aufmerksam an: »Wissen Sie, wer dieser Herr Sommer ist?«
Omar lachte inniger und zufriedener: »Ja.«
»Ist es Herr … Aren?«
»Nein. Ein anderer. Einer, dessen Name schon einen Stein wert ist.«
»Ich verspreche dir hier in Gegenwart aller Zeugen aus meinem Anteil einen Stein, und nicht den schlechtesten. Wer ist Herr Sommer?«
Omar strahlte: »Herr Sommer ist … Herr Winkelmann, der Gehilfe des Herrn Aren. Aber ich sage ausdrücklich, daß ich dieses alles nur als Privatmann erzähle, nicht als Beamter des Gouvernements.«
»Das versteht sich«, beschwichtigte Mingal. »Den Beamten Omar haben wir überhaupt nicht gesehen. Und im Gelben Hause sind wir nie gewesen. Recht so?«
Omar stand auf: »Es ist recht so. Ich muß jetzt gehen. Ich muß morgen frühzeitig im Dienst sein. Gute Nacht. Und es bleibt bei allem, was besprochen worden ist. Taukwi, ich werde mich an dich halten.«
Damit ging er und ließ Taukwi in Bedrängnis zurück. »Werdet ihr ihm Wort halten?« fragte er besorgt. »Er kann mir sehr viel schaden, wenn er will.«
»Wir werden nicht Wort halten«, sagte Mingal eifrig. »Du hast uns die ganze Situation verschlechtert. Für drei Pfund hast du uns verraten …«
»Wie du willst«, sagte Taukwi knirschend. »Dann macht euren Weg allein. Und ich mache meinen Weg allein.«
»Dazu wirst du nicht viel Gelegenheit haben, du Halunke. Natürlich wirst du mit uns gehen, bis alles zu Ende ist. Aber das, was Omar zu bekommen hat, wird aus deinem Anteil bezahlt und nicht aus unserem. Hast du verstanden?«
Taukwi atmete auf: »Ich bin einverstanden. Ich sehe auch ein, daß ich eine Strafe haben muß.«
»Gut. Dann wollen wir überlegen, was zu tun ist. Wenn Winkelmann und Bob uns die Nachricht in die Hände spielen, daß sie vom Süden her aufsteigen, dann rechnen sie damit, daß wir sie im Süden abfangen. Das wollen sie vermeiden, und darum steigen sie vom Norden her an und kommen auch in dieser Richtung zurück. Damit steht unser Weg fest. Wir müssen den nördlichen Weg gehen, an den alten Bergwerken vorbei. Wenn wir erst darüber hinaus sind, besteht keine Möglichkeit, daß sie uns entwischen. Was meinst du dazu, Taukwi?«
»Hinter den alten Bergwerken gibt es nur schmale Täler mit engen Wegen oder die noch schmaleren Grate, die auf den Höhen zwischen den Tälern liegen. Wir können uns einstweilen in den Tälern fortbewegen, solange die Kolonne nicht in Sicht ist. Dann müssen wir auf die Grate hinauf.«
»Warum denn?« frage Olly.
»Wenn wir unten gehen und jene oben, dann genügen zwei oder drei Mann, um uns ohne jede Waffe, nur mit Steinbrocken, zu erledigen. Sind wir aber oben, dann haben wir den Vorteil. Entweder erledigen wir sie unten im Tal, oder wir haben sie einzeln vor uns. Oben kann nur einer hinter dem anderen gehen. Wenn wir in guter Deckung sind und ich eine gute Waffe habe …«
»Dann kann man sie einzeln und nacheinander erledigen«, ergänzte Mingal kühl. »Gewissermaßen in der richtigen Reihenfolge.«
»Ich hoffe, daß es nicht so weit kommt«, sagte Olly.
»Wenn sie vernünftig sind und unter Hinterlassung der Kisten umkehren, dann habe ich gegen einen friedlichen Verlauf nichts einzuwenden. Sonst muß es uns gleich sein. Wir haben hier keine Rücksicht zu nehmen und vor allem keine Zeit zu verlieren. Wenn Sommer Winkelmann ist, dann wird er es auch gewesen sein, der im alten Bungalow war. Dann hat er Aren längst ein Telegramm geschickt und ihm die Erben genannt. Also eilt es für uns.«
»Wenn Sommer wirklich Winkelmann ist«, zweifelte Ovel.
»Omar lügt nicht. Keinesfalls. Außerdem aber ist es gleich. Wenn Sommer nicht Winkelmann, sondern Aren ist, dann wird er Winkelmann ein Telegramm geschickt haben. Es kommt auf dasselbe hinaus: Eile, Eile! Der ganze Unterschied ist nur der, daß ich vor Aren mehr Respekt habe als vor seinem Gehilfen Winkelmann.«
Taukwi lachte leise: »Vor einer Gewehrmündung haben sie beide genau den gleichen Wert.«
Mingal lachte mit ihm: »Ja, Taukwi. Du bist doch der größte Schurke, der sich in ganz Colombo befindet.«
Auf diese Auszeichnung war Taukwi sehr stolz, und er gelobte sich, sie weiterhin zu rechtfertigen. »Es ist besser,« sagte er, »wenn wir die Frau nicht mit auf den Weg nehmen. Wir Männer können uns allein besser helfen.«
Wider alles Erwarten erklärte sich Olly einverstanden. Sie schien jetzt davon überzeugt zu sein, daß sie keinen Trumpf mehr auszuspielen habe und bei der ganzen Partie nur noch geduldet war. Zu aller Vorsicht sagte sie: »Mingal, es bleibt bei den Vereinbarungen?«
»Ja«, sagte er ärgerlich. »Du kannst dich darauf verlassen. Im Augenblick ist die Hauptsache, daß du uns nicht im Wege stehst und uns am Arbeiten behinderst. Du wirst gut tun, wieder in das Gloria zu gehen und dich in aller Ruhe auszuschlafen. Wir melden uns, sobald wir zurück sind.«
Sie hatte weiter keine Einwendungen und ließ sich bis vor das Hotel bringen. Dort verabschiedete sie sich. »Ich wünsche euch alles Gute«, sagte sie.
Ovel lachte: »Sei nicht so feierlich. Es kann nicht schiefgehen.«
Die drei Männer gingen zum Gelben Hause zurück. Dort vertauschten Mingal und Ovel ihre europäische Kleidung gegen Gewänder der Eingeborenen. Es blieb noch die Frage, ob es besser sei, Brownings oder Gewehre mitzunehmen. Taukwi stimmte für Gewehre. »Es könnte sehr wohl sein,« sagte er, »daß sie nicht gerade auf demselben Grat zurückkommen, auf dem wir gehen. An manchen Stellen gehen verschiedene kleine Täler nebeneinander.«
»Also auf alle Fälle Gewehre«, entschied Mingal. »Unser Depot wird hoffentlich noch in Ordnung sein?«
Taukwi lachte: »Ich bin ein guter Waffenmeister gewesen.«
Sie gingen zu einer der Türen, die sich in dem inneren Hof befanden, und rüsteten sich aus. Dann schritten sie, weit ausholend, durch die Nacht. –
Am folgenden Morgen ließ sich eine Dame, die die Nennung ihres Namens verweigerte, bei dem deutschen Konsul melden. Da sie ihre Angelegenheit als dringlich bezeichnete, wurde sie sofort vorgelassen.
Der Konsul fragte: »Was für Gründe haben Sie, gnädige Frau, Ihren Namen zu verschweigen?«
»Gründe der persönlichen Sicherheit. Wenn man erfährt, daß ich hier war, dann bin ich meines Lebens nicht mehr sicher.«
»Das respektiere ich. Ich könnte es nicht verantworten, Sie auch ohne Absicht in Gefahr zu bringen. Also um was handelt es sich?«
»Hier hat früher ein deutscher Kaufmann namens Miquel gewohnt. Er galt zwar wegen seines Namens als Holländer, aber er war ein Deutscher, wie gesagt, und hieß mit seinem richtigen Namen Mohringer. Er stammte aus Dinkholder am Rhein.«
»Eine Frage dazwischen, gnädige Frau: sind Sie mit ihm verwandt?«
»Nein. Ich habe ihn nur lange Jahre gekannt. Ich war, wenn ich es offen sagen soll, lange Zeit hindurch seine … Freundin.«
»Ich muß Sie wieder unterbrechen. Sie sagten vorhin, Sie würden sich in Lebensgefahr begeben, wenn es sich herausstellte, daß Sie hier gewesen seien. Ich nehme wohl mit Recht an, daß sich das weniger auf die Tatsache Ihres Besuches bezieht, als vielmehr auf die Dinge, die Sie mir erzählen wollen, nicht wahr?«
»Selbstverständlich, mein Herr.«
»Gut. Dann möchte ich alles tun, was in meinen Kräften steht, um Sie vor dieser drohenden Gefahr zu bewahren. Ich möchte Sie nämlich bitten … nichts weiter zu erzählen.«
»Mein Herr, es handelt sich um die Interessen deutscher Staatsbürger!«
»Das weiß ich«, sagte der Konsul gelassen. »Sie sind Frau Olly und …«
Olly glaubte, die ganze Welt drehe sich vor ihren Augen. Sie war so entsetzt und so überrascht, daß sie tatsächlich einer Ohnmacht nahe war. Aber sie nahm ihre letzten Kräfte zusammen: »Sie wissen …?«
»Ich weiß alles, gnädige Frau. Sie kommen fünf Tage zu spät. Mir liegt ein vollständiger Bericht aller gewesenen und augenblicklichen Dinge bereits vor. Mingal und Ovel werden sich vergebliche Mühe machen. Immerhin ist es nicht ausgeschlossen, daß die Erben sich Ihnen erkenntlich zeigen werden. Auf jeden Fall bitte ich Sie, nach drei Tagen wieder zu mir zu kommen. Es könnte sein, daß ich Ihnen dann einige Dinge von Interesse mitzuteilen habe … und zwar vermutlich angenehme Dinge.«
Olly stöhnte verzweifelt: »Alles vergeblich! Wer war hier?«
»Das kann ich Ihnen natürlich nicht sagen. Das ist mein Amtsgeheimnis. Jedenfalls war es ein Mensch, der es nicht schlecht mit Ihnen meint. Das kann ich Ihnen versichern. Wo wohnen Sie jetzt?«
»Im Gloria-Hotel.«
Der Konsul lächelte: »Gerade im Gloria! Na, aber es ist gleich. Ich werde Ihnen dorthin Nachricht geben. Ich muß aber zur Bedingung machen, daß Sie jede Verbindung mit Mingal und Ovel aufgeben. Ob Sie es für die Dauer tun wollen, muß ich Ihnen überlassen. Aber für die nächsten drei Tage muß ich Ihr Versprechen haben. Wenn ich es nicht bekomme, müßte ich die englische Polizei bitten, Sie so lange unter Bewachung … unter Umständen sogar in Gewahrsam zu nehmen. Also bringen Sie mich nicht in diese Zwangslage.«
Olly stand auf. »Ich werde tun, was Sie wünschen. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.«
Dann ging sie taumelnd, noch ganz verwirrt und vernichtet, hinaus. – –