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Mit Tagesanbruch landete Sommers Kolonne bei den verlassenen Bergwerken. Die Leute legten sich in den Schatten der offenen, schräg in die Erde führenden Stollen und nahmen ihre Mahlzeit ein. Dann schliefen sie. In der aufsteigenden Sonnenwärme war an einen Weitermarsch vor dem Nachmittag nicht zu denken.
Sommer und Bob saßen im Schatten einiger überhängenden Felsen und beredeten den weiteren Verlauf. »Geht es noch sehr hoch hinauf?« fragte Bob.
»Das weiß ich nicht, mein Lieber. Das wirst du ja aus dem Plan entnehmen können. Du hast doch nicht etwa Furcht vor einer kleinen Bergbesteigung?«
»Darauf kommt es mir nicht an. Es handelt sich nur um die Disposition, die wir für den Marsch treffen müssen. Vergiß bitte nicht, daß der Pik Adam über zweitausend Meter hoch ist. Vorläufig sind wir noch auf dem niedrigen Plateau. Da ist es am Tage zu heiß, um mit Lasten zu marschieren. Kommen wir aber in die höheren Regionen, wird es in den Nächten zu kalt sein. Dann müssen wir also die umgekehrte Taktik einschlagen.«
»Nun, dann wollen wir uns den Plan weiter aufzeichnen. Ich gehe jetzt von diesen Bergwerken aus. Der Pfeil, den du ja schon kennst, deutet auf fünf Linien, die alle parallel nach Süden verlaufen. Von diesen fünf Linien sind die zweite und die vierte mit einem Querstrich versehen. Kannst du dir vorstellen, was das bedeuten soll?«
»Ohne weiteres«, sagte Bob. »Ich will es dir sogar zeigen. Komm mit.«
Sie gingen einige hundert Meter weiter, bis zu einer Stelle, an der sich das Plateau um einige Stufen hob. Man hatte hier einen bedeutend erweiterten Überblick. »Siehst du jetzt?« fragte Bob. »Da zieht sich eine Reihe von Einschnitten nach Süden, fast alle in genau der gleichen Richtung. Es sind vier Senkungen, die zusammen fünf Grate ergeben. Die fünf Grate entsprechen genau den fünf Linien, die auf deinem Plan sind. Die zweite und die vierte Linie sind durchstrichen. Das bedeutet, daß sie für den weiteren Weg ungangbar sind. Von dem zweiten Grat weiß ich es genau, denn er fällt ohne Übergang in eine Schlucht ab, die schwer zu durchklettern ist. Somit verbleiben die beiden äußersten und der mittlere Grat. Immerhin liegen sie einige hundert Meter auseinander. Es ist aber anzunehmen, daß sie sich jenseits der Schlucht, von der ich dir eben gesprochen habe, wieder treffen. Sonst sind keine besonderen Merkmale angegeben?«
»An dieser Stelle des Planes jedenfalls nicht.«
»Gut. Dann scheiden nur der zweite und der vierte Grat aus. Im übrigen ist es gleich, welchen wir benutzen. Vielleicht nehmen wir den dritten, als den mittelsten.«
»Einverstanden. – Jetzt wollen wir uns auch etwas Ruhe gönnen.«
Als die Sonne schon wieder schräg schien, brachen sie von neuem auf. Kurz vor dem Anstieg hielt Sommer noch einmal an: »Du sagst also, daß sich die Grate wieder treffen, Bob?«
»Unter allen Umständen.«
»Wenn das der Fall ist, dann trennen wir uns jetzt. Erschrick nicht; ich will dir nicht davonlaufen. Ich gehe mit einem Mann über den fünften Grat und schlage hier und da ein Stück aus dem Gestein, damit meine Rolle als Geologe nicht verloren geht. Die Entfernung ist ja nicht groß, so daß du mich immer im Auge behalten kannst.«
»Wollen wir das Steinzeug denn wirklich mitschleppen?«
»Aber unter allen Umständen. Du wirst schon sehen, wozu es gut ist. Ich nehme nur meinen Hammer und einen Rucksack mit.«
»In unserer Sprache nennt man solche Menschen Sicherheitskandidaten«, lachte Bob. »Aber wie du willst. Wir treffen uns drüben.«
So machen sie sich in der gleichen Richtung, aber auf verschiedenen Pfaden, auf den Weg, der zum Süden und zugleich in die Höhe führte. In regelmäßigen Abständen schlug Sommer kleine Stücke aus dem Felsen. Einen Teil hieß er den Träger in den Rucksack packen, einen anderen Teil ließ er nach flüchtiger Beobachtung liegen. Aber die hellen Spuren des abgeschlagenen Gesteins waren in der gleichmäßigen Färbung dieser unberührten, selten begangenen Wege deutlich zu erkennen.
Es dunkelte. Von drüben gab Bob durch Signale mit einer Taschenlampe zu verstehen, daß man sich beeilen müsse, um noch vor völliger Dunkelheit die Grate zu überwinden. Sommer fügte sich diesem Hinweis, aber nach wie vor schlug er alle hundert Meter mit seinem langen Hammer gegen das Gestein. Zuweilen sprühten Funken, was dem Träger eine kindliche Freude bereitete.
Für die letzte Strecke mußte das Mondlicht helfen, damit sie den schmalen Weg nicht verfehlten, der immer wieder mit kleinen, steilen Ausläufern in die Tiefe führte. Die Eingeborenen gingen mit der Sicherheit von Traumwandlern, aber für Sommer war es schwierig, das Tempo zu halten, das Bob auf dem mittleren Grat einschlug und das er an seiner Laterne verfolgen konnte. Aber endlich war diese Strecke geschafft, und alle waren wieder vereinigt.
Bob wies nach rückwärts: »Siehst du dort den tiefen, runden Schatten?«
»Ja. Das ist vermutlich die Schlucht, in die der zweite und vierte Grat abfallen. Können wir heute noch ein Stück weitergehen oder müssen wir wieder Station machen?«
»Es kommt auf die weitere Richtung an. Zeichne mir den Plan weiter auf.«
Sommers Zeichnung ergab, daß der weitere Weg über einen kleinen See mit unterirdischem Abfluß führte, und sie beschlossen, noch bis dahin zu gehen. Sie waren wieder auf einer kleinen Hochebene, die mit zerstreuten Gruppen von Kokoswaldungen bestanden war. Aus trockenen Palmenblättern fertigten die Eingeborenen Fackeln, so daß die Wanderung bequem war. Am See rasteten sie und warteten die aufkommende Glut ab.
Sommer und Bob nahmen in dem blaustrahlenden See ein Bad, zum größten Erstaunen der Eingeborenen, die sich vor diesem Wasser fürchteten. Dann legten sie sich, köstlich erfrischt, in den Schatten.
»Wie lange werden wir deiner Meinung nach noch brauchen, bis wir an Ort und Stelle sind?« fragte Bob.
»Soweit ich es übersehen kann, sind wir morgen früh an der Stelle. Aber wir werden da einige Vorsichtsmaßnahmen treffen müssen. Ich halte es nicht für ratsam, die Sachen am hellen Tage auszugraben, um die Eingeborenen nicht in Versuchung zu führen. Es ist ja nicht nötig, daß sie den Zweck unserer Expedition kennenlernen. Ich bin ein Geologe, vergiß das nicht.«
»Du hast recht. Aber wie sollen wir es machen?«
»Wir müssen bis zur Dunkelheit an dem betreffenden Ort warten. Dann versuchen wir zusammen, den Schatz zu heben. Während ich ihn in die Kisten verpacke, mußt du die Leute an einer anderen Stelle beschäftigen. Was dann geschehen muß, sage ich dir, sobald wir die Sachen gefunden haben.«
»Ich habe das Fieber in den Knochen«, sagte Bob. »Ich kann nicht mehr warten. Zeichne mir den Rest des Planes auf. Ich will dann sehen, ob wir und was wir heute nachmittag noch wagen können.«
»Wie du willst. Also hier ist der See. Hier sind drei Kreise, aus kleinen Bogen bestehend. Was kann das sein?«
»Das sind drei Palmenhaine, solche, wie wir sie gestern nacht gesehen haben. Vielleicht können wir sie von hier aus entdecken. Gib mir dein Glas.«
Er suchte den Rand des ansteigenden Gebirges ab und hatte die Stelle sehr bald gefunden: »Sieh dorthin, wo die schräge Zacke verläuft. Da sind ganz deutlich drei Baumbestände zu erkennen.«
Sommer überzeugte sich davon: »Es ist aber noch ein ziemlicher Weg bis dorthin.«
»Ich rechne auf sechs bis acht Stunden. Wenn es nicht weiter geht …«
»Nein. Der rechte Baumbestand ist der entscheidende. Es ist im Plan mit einem Kreuz versehen, und dieses Kreuz ist mit einem Kranz von Punkten eingerahmt. Das ist alles. Es kommt auf die Größe des Waldstückes an, wie schnell wir etwas finden. Aber darauf müssen wir es eben ankommen lassen.«
Sie machten sich, sobald die Sonne ihren höchsten Punkt überschritten hatte, wieder auf den Weg. Bald waren die Waldstücke zum Greifen nahe, aber die helle, durchsichtige Luft täuschte sie über die Entfernung. Sie gingen und gingen, ohne daß die Konturen sich vergrößerten. Mit Mühe erreichten sie bei letzter Dunkelheit den mittleren Wald.
»Wir wollen die Leute hier rasten lassen«, ordnete Sommer an. »Wir beide gehen mit Sonnenaufgang zum rechten Waldstück und versuchen unser Glück.«
So wurde es gehalten. Während die Eingeborenen schliefen, saßen Sommer und Bob, von Erregung geschüttelt, überwach auf dem Boden und warteten sehnsüchtig auf den kommenden Morgen. Kaum begann es zu tagen, als sie sich wie auf Verabredung erhoben und dem rechten Waldstück zustrebten. Es hatte eine viel größere Ausdehnung, als sie nach dem Blick aus der Ferne vermutet hatten. Die Aufgabe, jeden Teil abzustreifen und zu untersuchen, schien undenkbar. Mutlos standen sie da.
»Es hilft nichts«, sagte Sommer endlich. »Wir müssen uns an eine genaue Untersuchung machen. Was das Kreuz im Plan bedeutet, weiß ich nicht. Vielleicht ist es der Hinweis auf ein wirkliches Kreuz. Dann müßte es zu finden sein. Nimm du die rechte Seite in Angriff. Ich nehme die linke Seite. Und damit es eine methodische Untersuchung wird, geht jeder vom äußeren Rand her der Mitte zu, aber immer in Form von Schlingen. Verstehst du, wie ich es meine?«
»Ich weiß schon: wir pendeln immer weiter nach innen, ich von rechts her, du von links her. Also fangen wir an.«
In der ersten Viertelstunde ging Sommer genau gemäß der Verabredung seinen Pendelgang durch den Wald. Dann, als er sicher war, daß Bob ihn nicht mehr hören könne, eilte er, als sei ihm der Weg klar vorgezeichnet, mitten in den Wald hinein, immer mit den Blicken nach oben in die Gipfel der Bäume. Stellenweise war der Wald so dicht, daß kaum der Himmel im Gewirr der Blätter zu sehen war. Aber je dunkler es war, desto zufriedener zeigte Sommer sich damit.
Endlich schien er gefunden zu haben, wonach er suchte. In der Krone eines alten, fast verdorrten Zimtbaumes sah er einen Stab, der merkwürdig wagerecht daraus hervorragte und zu der sonstigen Struktur des Baumes in keinem harmonischen Verhältnis stand. Ohne sich zu besinnen, erstieg Sommer den Baum und holte den Stab herunter. Es war ein gewöhnlicher eiserner Knüttel, der vielleicht einmal als Einfassung zu einem Gitter gedient hatte. Er war an der einen Seite zugespitzt. An der stumpfen Seite trug er eine Reihe von Kerben, die mit einem Meißel plump hineingeschlagen worden waren. Sommer zählte siebzehn solcher Einschnitte. Also mußte es der siebzehnte Baum sein, von diesem Zimtbaum an gerechnet. Die Richtung war ganz klar gegeben durch die Art, in der der Knüttel in der Baumkrone steckte. Er zeigte genau nach Westen.
Alles das war in den Aufzeichnungen ausreichend deutlich auseinandergesetzt; aber Sommer hatte seine guten Gründe, diesen Teil seiner Kenntnisse für sich zu behalten. Er verbarg den Knüttel sorgfältig unter dem dürren Laub, das in Massen umherlag, zählte dann in der angewiesenen Richtung siebzehn Bäume ab und befand sich wieder vor einem uralten, fast in sich zusammengefallenen Zimtbaum. Er umschritt ihn sorgfältig. Der Boden war dicht mit Laub bedeckt, so daß es unmöglich war, mit bloßem Auge etwa eine Stelle zu erkennen, unter der sich ein Versteck befand. Wer aber den Baum aufmerksam beobachtete, mußte zu dem Schluß kommen, daß dieser morsche Stamm nach allen Gesetzen der Stabilität am Boden hätte liegen müssen, und daß durch irgendeinen Umstand, der nicht sofort erkennbar war, diese zerbrechliche Masse von bräunlicher Rinde zusammengehalten wurde.
Sommer zog sein Taschenmesser und stieß in die Rinde hinein. Sie war so tot und bröckelig, daß sie stäubte. Gleichwohl stieß das Messer auf einen harten, metallisch klingenden Widerstand. Er versuchte es an einer anderen Stelle und fand wieder das gleiche Ergebnis. Jetzt begann für ihn ein fieberhaftes Arbeiten. Mit seinem unvollkommenen Werkzeug riß er Teil um Teil der Rinde herunter, bis er auf mattes, verrostetes Eisenblech stieß. Dagegen war er mit seinem Taschenmesser machtlos, und er suchte weiter, ob sich darin nicht eine Lücke fände. Man konnte unmöglich ein Rohr aus Eisenblech in den Baum hineingeschoben haben. Es konnte sich, wenn sich das Blech der Höhlung schon einfügte, nur darum handeln, daß man gebogene Teile nacheinander oder nebeneinander hineingeschoben hatte, und zwar von einem Teil der Krone aus, die eine solche Manipulation zuließ.
Eine Ersteigung des Baumes schien aussichtslos. Er mußte damit rechnen, daß einer der schweren, toten Äste unter ihm zusammenbrach oder auf ihn herabfiel. Schon jetzt brachte seine Arbeit diese Gefahr mit sich. Ihm blieb allein die Hoffnung, die Rinde so weit aufzureißen, daß er einen der Blechteile beiseite oder in das Innere des Baumes hineinschieben konnte.
Von weitem hörte er Bobs Stimme, der ihm etwas zurief. Die Worte waren nicht zu verstehen. Mit Aufbietung aller Lungenkraft rief er ein »Nein« zurück. Dann hörte er nichts mehr.
Er lauschte noch eine Weile, dann nahm er seine Arbeit systematisch wieder auf. Er schnitt unter großen Mühen ein Rechteck in die Rinde und vergrößerte es gleichmäßig nach allen Seiten hin. Endlich stieß er auf eine Spalte, an der zu sehen war, daß hier zwei gewölbte Stücke Blech übereinander griffen. Er zwängte sein Messer dazwischen. Die Spalte erweiterte sich. Die Blechstücke verschoben sich langsam gegeneinander. Dann brach das Messer mit einem dumpfen Laut ab.
Ihn überkam eine sinnlose, verzweifelte Wut. Er nahm, blind vor Zorn über dieses Mißlingen, einen Ast, der in seiner Nähe lag, und stieß damit wild gegen die Bresche. Ein letzter Instinkt gab ihm ein, beiseitezuspringen. Er tat es im rechten Augenblick. In der nächsten Sekunde prasselten gewaltige Äste von der Krone hernieder, eine riesenhafte Last von Holz und Laubwerk und Rinde und Staub. Kleinere Bäume, die in der Nähe standen, bogen sich unter der stürzenden Kraft, neigten sich langsam zu Boden und brachen mit einem hellen, scharfen Knacken. Sommer stand wie betäubt. Schwärme von Insekten waren aufgescheucht und umsurrten ihn mit unbekannten, drohenden Tönen. Der aufgewirbelte Staub drang ihm in die Augen und in den Mund, so daß er eine Zeitlang weder sehen noch atmen konnte. Stolpernd tastete er sich von dieser Stelle fort, um wieder zur Besinnung zu kommen. Dabei ängstigte ihn die Ungewißheit, ob diese Geräusche nicht bis zu Bob gedrungen seien. Dann wäre ein guter Teil seines Planes gescheitert.
Aber nichts rührte sich. Der dichte Wald schien alle Geräusche aufgefangen zu haben. Der Insektenschwarm verzog sich und suchte in anderen Bäumen Unterschlupf. Die Staubwolke aus zermorschtem Holz lagerte sich, und Sommer konnte wieder an die Fundstätte zurückkehren.
Er fand einen wüsten Haufen von Holz und dürrem Blattwerk, aber die rostigen Flächen aus Eisenblech waren deutlich darunter zu erkennen. Ohne Besinnen arbeitete er sich an den Baumstumpf heran. Die Platten ließen sich leicht heben oder zur Seite schieben. Sie hatten einen Hohlraum unter sich gebildet, den auch der Baum in seinem Zusammenfall nicht eingedrückt hatte.
Er griff in den hohlen Baum hinein und stieß … auf einen Beutel aus ungegerbtem Leder. Er zog ihn heraus, zitternd vor Erwartung, schüttelte ihn und hörte das Geräusch von Steinen, die sich gegeneinander bewegten. Er leuchtete in die Tiefe und sah zwei weitere Beutel von gleicher Art und gleicher Größe. Sie gaben dasselbe Geräusch wie der erste. Mohringers Schatz war gefunden!
Er mußte sich eine Weile setzen, um klare Sinne zu bekommen. Von den Entscheidungen, die er in der nächsten Minute traf, hing alles ab. Darum schloß er die Augen und zwang sich zu äußerster Ruhe und Konzentration.
Dann handelte er mit aller Überlegtheit und kalter Entschlossenheit. Er öffnete alle drei Beutel und nahm ihren Inhalt heraus. In dem ersten war eine köstliche Sammlung von hellroten und dunkelroten Rubinen und verschiedenen blauen, grünen und gelben Saphiren. In dem zweiten lag, besonders eingehüllt, ein bläulichgrüner Smaragd, dann eine Menge von Amethysten, Hyazinthen und Topasen, alles Steine, die dieses Land in sich barg und birgt. Zum Teil haftete noch das Urgestein daran, in dem sie gefunden waren. Der dritte enthielt blaue, grüne und schwarze Spinellsteine, auch verschiedene Stücke des für Ceylon typischen, als Katzenauge bekannten Chrysoberyll. Im ganzen war es ein ansehnliches Vermögen.
Soweit er es mit seinem abgebrochenen Taschenmesser bewerkstelligen konnte, schlug er das wertlose Gestein ab und tat es in die Beutel zurück. Er verteilte es sorgfältig und gleichmäßig auf alle drei Beutel. Dann erstieg er eine Kokospalme, die voll reifer Früchte hing. Soviel er davon abtrennen konnte, warf er auf den Boden. Auch einige unreife und junge Früchte nahm er mit. Er zertrümmerte sie, indem er sie kräftig gegeneinander hämmerte. Die holzige, kantige Schale verteilte er ebenfalls auf die drei Beutel. In die Mitte drückte er, um sie nach Form und Gewicht wieder ihrem alten Zustand anzunähern, je eine der kleineren, unreifen Früchte. Dann verschloß er alle Beutel wieder mit den Lederriemen, die darum geschlungen waren. Wenn man sie jetzt schüttelte oder betastete, ließen sie für das Ohr und für das Gefühl sehr wohl Steine vermuten.
Alle drei Beutel legte er wieder an Ort und Stelle unter die Blechplatten. Die Steine, die er ihnen entnommen hatte, verteilte er sorgfältig auf alle Taschen, die er in seinem Anzug hatte. Aber diese Art der Aufbewahrung erschien ihm nicht sicher genug. Er entkleidete sich schnell, riß sein Unterhemd in zwei Teile und machte eine lange Binde daraus, die er sich um den Leib wickelte. Dann tat er die Steine einzeln hinein. Es war kein angenehmes Gefühl, aber er mußte es der Sicherheit halber mit in den Kauf nehmen. Nachdem er sich wieder angekleidet hatte, war nicht zu erkennen, daß er ein solches Vermögen an seinem Körper trug.
Als er so weit war, lief er in aller Eile nach dem linken Waldrand zurück. Von dort aus konnte er den mittleren Wald und das Lager der Kolonne sehen. Auch die Leute sahen ihn und bemerkten, daß er Bewegungen machte, die sie für eine Aufforderung halten konnten, zu ihm zu kommen. Kaum hatte sich der erste der Träger in Bewegung gesetzt, als Sommer sich schon wieder in den Wald zurückzog.
Er hielt sich aber, ohne daß die Träger es sehen konnten, ziemlich hart am äußersten Rande und strebte nach der rechten Seite hinüber. So mußte er unter allen Umständen Bob begegnen. Zu allem Überfluß rief er fortgesetzt mit halblauter Stimme nach ihm. Endlich bekam er Antwort: »Was ist?«
»Komm schnell« rief er zurück.
So schnell es die lockere Decke aus Laub und abgestorbenen Ästen erlaubte, kam Bob angelaufen: »Hast du gefunden?«
Sommer zog ihn dicht zu sich heran: »Ja. Warum bist du nicht gekommen, als ich dich gerufen habe?«
»Ich habe wirklich nichts gehört«, versicherte Bob.
»Hast du denn den Baum nicht fallen hören? Wo hast du deine Ohren! Jetzt können wir nicht dahin gehen.«
»Warum denn nicht?« verwunderte sich Bob.
»Weil die Träger das Geräusch des fallenden Baumes gehört haben und sich jetzt hier im Walde herumtreiben. Sie glauben wohl, es sei einem von uns etwas zugestoßen. Komm jetzt mit, damit wir sie aus diesem Waldstück wieder herausbekommen. Ich berichte dir nachher.«
»Sind die Sachen denn noch an Ort und Stelle?« fragte Bob mißtrauisch.
»Natürlich. Ich kann sie mir doch nicht in die Rocktaschen stecken. Nun mach' schnell, ehe sie zu weit in den Wald kommen.«
Wie Sommer es vorhergesagt hatte, durchstreiften fünf oder sechs der Eingeborenen die linke Seite des Waldes. Bob winkte ihnen zu: »Es ist nichts. Geht nur wieder.« Darauf zogen sie sich zurück. Sommer und Bob folgten ihnen langsam. Dann setzten sie sich abseits, und Sommer berichtete:
»Ich habe einen alten, zusammengebrochenen Zimtbaum gefunden. Darüber lagen zwei Äste in Form eines Kreuzes. Das konnte nur die Stelle sein, die in dem Plan eingezeichnet ist. Ich habe alles durchstöbert und gefunden, daß in dem hohlen Stumpf, unter Rinde und Blattwerk vergraben, sich eine Höhlung befindet, die kunstgerecht mit Blechplatten überdeckt ist. Darin liegen drei Beutel. Als ich die Platten beiseiteheben wollte, brach der Rest des Baumes mit großem Lärm zusammen. Du siehst, wie eingestäubt ich bin. Wenn ich nicht die Schritte der Leute gehört hätte, hätte ich die Beutel mit mir nehmen können. So habe ich sie liegen lassen.«
»Ist es viel?« fragte Bob gierig.
»Ich weiß nicht. Wir müsse es heute in der Dämmerung feststellen. Jetzt bei Tageslicht wollen wir den Leuten keinen Anlaß zu Vermutungen geben. Wir sind zwei gegen zwölf. Vergiß das nicht.«
»Aber bei Dunkelheit werden wir die Sachen holen?«
»Nicht wir, sondern du alleine. Wenn wir beide nächtlicherweile verschwinden, gibt das wieder Anlaß zu Vermutungen. Außerdem bist du der Kräftigere. Hier, zwischen dem mittleren und dem rechten Waldstück, ist noch etwas Gestein. Ich lasse mir nachmittags zwei Kisten hierherschaffen und schlage Steine. Wenn es dunkel wird, nimmst du eine der Kisten unter den Arm und gehst zum Zimtbaum. Ich werde dir die Richtung genau beschreiben. Dann legst du geschwind die Beutel hinein und kommst zu mir zurück. Verstanden?«
Bob hatte verstanden. Ihm fiel eine Last vom Herzen, daß es seine Aufgabe sein sollte, den Schatz zu verpacken, denn immer noch war ein Rest von Mißtrauen in ihm, Sommer könnte den Schatz finden und ihn dann um seinen Anteil prellen. Jetzt erst war er seiner Sache völlig sicher.
Mit großem Eifer machten sie sich daran, an der bezeichneten Stelle Steine zu schlagen. Dabei gab es eine lustige Unterhaltung, weil beide Grund zu äußerster Zufriedenheit hatten. Eine Kiste war bald mit Steinbrocken gefüllt. Bob rief nach der zweiten Kiste. »Um die geologische Exkursion zu Ende zu führen«, sagte er lachend zu seinem Begleiter. Und auch der lachte aus vollem Halse.
Als die Dämmerung hereinbrach, schnell und ohne Übergang, nahm er die eine Kiste unter seine starken Arme und verschwand im Walde. Er tastete sich von Stamm zu Stamm, so weit der Schein seiner kleinen Taschenlampe reichen wollte. Die Luft war feucht und drückend. Große Schweißperlen standen ihm auf der Stirne. Aber er mühte sich vorwärts, der kleinen Lichtung zu, die an dem heller durchscheinenden Nachthimmel zu erkennen war.
Dann trat er in ein wirres, morsches Gehäuse von Ästen und Baumrinde und Blattwerk. Er versank fast darin, arbeitete sich weiter vor und stieß dann mit seiner Kiste hart gegen eine rötliche, starre Fläche, die den unverkennbaren Ton von Eisen und Blech zurückwarf. Er stellte die Kiste ab und untersuchte mit seiner Taschenlampe das Hindernis: es waren tatsächlich Platten aus Eisenblech. Er seufzte zufrieden. Er war am richtigen Ort.
Mit vieler Mühe bog er die Platten zurück. Wie Sommer es ihm gesagt hatte, umschlossen sie eine Höhlung, die den unteren Stumpf des gebrochenen Baumes ausfüllte. Sorgsam leuchtete er sie ab und nahm die drei Beutel heraus. Sie waren nicht leicht. Sie hatten jeder das gute, volle Gewicht, das er von einem mit Edelsteinen gefüllten Lederbeutel erwarten durfte. Er schüttelte sie und hielt sie gegen das Ohr. Es knisterte und knarrte von Steinen, die sich gegeneinander rieben. Er betastete sie und fühlte deutlich die Umrisse und Zacken. Er stieß einen erstickten Laut der Freude und Genugtuung aus. Jetzt konnte ein neues Leben beginnen.
Eifrig riß er den Deckel der Kiste auf, legte die Beutel hinein und verstopfte den Raum, der noch verblieb, mit Blattwerk. Dann schulterte er die Last und stolperte seinen Weg zurück. Er war froh, aus diesem Dickicht endlich wieder unter den klaren Nachthimmel mit seiner frischen Luft zu gelangen. Mit einem Ruck setzte er die Kiste vor Sommer nieder. »Das wäre geschafft!« sagte er freudig.
Aber Sommer teilte seine Freude nicht: »Gar nichts ist geschafft«, sagte er ernst und eindringlich. »Ist dieses Auffinden denn eine Schwierigkeit gewesen? Es war eine geringe Anstrengung, denn wir konnten nach einem einfachen und übersichtlichen Plan arbeiten. Die Schwierigkeiten, mein lieber Bob, beginnen erst jetzt.«
»Du bist ein sonderbarer Kauz«, staunte Bob. »Was gibt es jetzt noch zu tun, als friedlich und möglichst schnell mit der nützlichen und mit den unnützen Kisten nach Hause zu wandern?«
»Den Frieden wünsche ich dir von Herzen. Aber leider werden wir ihn nicht haben. Ich muß dich von folgendem in Kenntnis setzen. Acht Tage nach uns haben Mingal und Ovel Deutschland verlassen, um nach Colombo zu fahren.«
Bob schreckte auf: »Woher weißt du das?«
»Darüber habe ich ganz bestimmte und authentische Nachricht. Du kannst dich darauf verlassen. Nun wollen wir folgende Rechnung anstellen. Drei Tage habe ich für meine Abwesenheit gebraucht, wie du weißt. Dabei habe ich viele Erfahrungen gesammelt, die uns die Auffindung des Verstecks erleichtert haben. Das wirst du später einmal einsehen. Der Zwischenraum von acht Tagen ist damit auf fünf Tage zusammengeschmolzen. Wir selbst sind in der ersten Nacht bis zu den Bergwerken gegangen. Dann haben wir gerastet. Verlust also ein Tag. Der Zwischenraum ist auf vier Tage verkürzt. In der nächsten Nacht sind wir über die Grate bis zum See gegangen und haben da gerastet. Das bedeutet die Verkürzung des Zwischenraumes auf drei Tage. Den gestrigen Tag haben wir verbraucht, um hierherzugelangen. Bleiben zwei Tage Zwischenraum. Der heutige Tag ist mit dem Suchen und Finden vergangen. Resultat: ein Tag Zwischenraum. Wenn wir uns heute nacht noch in Bewegung setzen, können wir morgen früh an dem kleinen See sein. Zu gleicher Zeit werden Ovel und Mingal in Colombo eintreffen.«
»Gegen diese Rechnung ist nicht viel einzuwenden«, stöhnte Bob befangen. »Wie kalkulierst du nun weiter?«
»Ich kalkuliere sehr einfach. Die beiden werden sich sofort danach erkundigen, wo wir geblieben sind. Wenn sie nach Ceylon kommen, woran – wie gesagt – gar nicht zu zweifeln ist, dann tun sie es nicht zum Privatvergnügen, sondern um auf unsere Spur zu kommen. Du kennst die beiden besser als ich. Wieviel Zeit, meinst du, werden sie gebrauchen, um unsere Spur zu bekommen?«
»Sprich lieber nicht davon, Freund Sommer. Sie sind in Ceylon, insbesondere in Colombo, bekannt wie die bunten Hunde. Es dauert keine fünf Stunden, dann wissen sie, wo wir gewohnt haben, was wir getan haben und wohin wir gegangen sind. Und zu welchem Zwecke wir gegangen sind, werden sie sich auch ohne besondere Nachforschungen sagen können.«
»Sehr richtig. So habe ich auch kalkuliert. Ich habe es ihnen sogar in dieser Beziehung leicht gemacht, indem ich dem Manager vom Gloria-Hotel besondere Anweisungen gegeben habe.«
Bob sprang auf: »Du hast ihn in die Sache eingeweiht?«
»Bleib sitzen. Du wirst schon in der Zwischenzeit gemerkt haben, daß ich noch nicht völlig verblödet bin. Ich habe ihn angewiesen, Leuten, die sich nach uns erkundigen, zu erzählen, wir hätten den Aufstieg zum Pik Adam von Süden aus genommen. Damit wollte ich bezwecken, sie auf diesen Weg zu bringen. Während wir also morgen früh am kleinen See rasten, werden die beiden sich schon auf den Weg machen, um uns abzufangen.«
»Und werden uns nicht finden, da wir den Nordaufstieg gemacht haben.«
»Richtig. Aber um den Südaufstieg zu machen, haben sie es viel bequemer. Sie können sich ein Auto nehmen und damit auf dem Pilgerwege ein beträchtliches Stück abschneiden. Sie werden den Weg gut in einem bis anderthalb Tagen zurücklegen. Dann werden sie wissen, daß wir sie auf das Glatteis geführt haben. Und dann wird eine Verfolgung einsetzen, die lustig werden kann.«
»Wir haben aber dann einen beträchtlichen Vorsprung.«
»Das ist nicht richtig. Wir haben eine Kolonne von zwölf Mann mit uns, von denen je zwei eine schwere Kiste mit Gestein schleppen. Du kennst wohl selber den Arbeitseifer dieser Eingeborenen. Wir werden also sehr langsam vorwärtskommen. Ich habe keinen Zweifel daran, daß sie uns mit ihrer größeren Beweglichkeit und Behendigkeit eingeholt haben, wenn wir etwa auf den Graten sind. Und da ist es nicht gerade eine Freude, Verfolger hinter sich zu haben, die sich mehr mit Gewehren als mit Blasrohren ausgerüstet haben werden.«
»Dann müssen wir uns eben beeilen!« rief Bob ungeduldig.
»Und riskieren, daß uns einer der Leute mit der wichtigsten Kiste abstürzt? Nein, mein Lieber. Jetzt will ich dir erklären, warum ich so viele Leute angeworben habe. Wir werden jetzt nämlich unsere Kolonne teilen. Die eine Hälfte geht unter deiner Führung weiter, die andere bleibt unter meiner.«
»Und bei deiner Kolonne bleibt die Kiste mit Edelsteinen, nicht wahr?«
»Eigentlich müßte es so sein, und es wäre vollkommen gerecht. Nicht nur als Strafe für dein Mißtrauen, sondern auch, weil ich und nicht du die Sachen gefunden habe. Aber trotz dieser Erwägungen werde ich das nicht tun, um ganz sicher zu gehen.«
»Das verstehe ich nicht. Soll ich mit der Kiste gehen?«
»Ja. Du mußt mich nur nicht so oft unterbrechen und mich endlich ausreden lassen. Du bist noch viel zu grün, um solche wichtigen Situationen zu bedenken. Du wirst aber wohl einsehen können, daß wir an einer Verfolgung überhaupt kein großes Interesse haben. Wir müssen sie also, wenn es eben geht, vermeiden. Darum ist mein Plan folgender. Ich nehme sechs Mann mit drei Kisten und gehe weiter den Bergweg hinauf. Du hingegen nimmst den Rest samt der wertvollen Kiste und gehst den Weg zurück, den wir gekommen sind. Das hat dann folgendes Ergebnis. Ich mit meinen Leuten werde Ovel und Mingal sicherlich begegnen, weil ich ja auf dem südlichen Wege lande. Natürlich lasse ich mir nicht ohne weiteres die Kisten abnehmen. Ich werde mich auch dauernd in der Nähe der Pilgerwege befinden, wo es nicht so leicht ist, einen Raub zu begehen. Entweder werden sie versuchen, mit mir zu verhandeln, oder mich bis zu einer Stelle verfolgen, an der sie es nach ihrer Auffassung riskieren können, mich zur Herausgabe der Kisten zu zwingen. Im einen wie im anderen Falle vergeht Zeit. Wenn sie endlich die Kisten haben – und ich werde mich auf die Dauer nicht sträuben, ihnen mein kostbares geologisches Material vorzuführen –, dann wirst du mit deinen Kisten längst über alle Berge sein. Das heißt: hüte dich, damit über alle Berge zu gehen. Du hast sie gewissenhaft bei Herrn Parker im Gloria-Hotel abzuliefern. Im anderen Falle kann es dir schlecht bekommen. Du nimmst auf deinem Wege den kürzesten und sichersten Grat; nämlich den fünften, den ich gegangen bin.«
Bob drückte ihm die Hand: »Du kannst dich auf mich verlassen. Wenn ich noch eine Spur von Mißtrauen gegen dich gehabt habe, so ist das jetzt endgültig erledigt. Um also zusammenzufassen: ich gehe mit der richtigen und den beiden unnützen Kisten und sechs Mann den alten Weg zurück. Du gehst weiter nach Süden. Ich nehme an, daß wir uns dann im Gloria-Hotel treffen. Mir bleibt nur unklar, was wir dann weiter machen werden? Die beiden werden doch auch einmal nach Colombo zurückkommen. Wollen wir es da mit ihnen aufnehmen?«
»Ich denke nicht daran. Ich habe keine Lust, Krieg zu führen. Parker wird dir ein Zimmer geben, in dem du dich aufhalten kannst, bis ich komme. Dann geht es ohne Aufenthalt zum Hafen. Schiffsplätze habe ich schon vorsorglich belegt. Zum Beweise zeige ich dir hier zwei Karten. Bist du jetzt über alles im klaren?«
»Ja«, strahlte Bob. »Vor allem darüber, daß du ein Mordskerl bist« – – –
Sie begannen mit ihren Vorbereitungen. Bob wählte sich sechs kräftige Leute aus, teilte ihnen drei Kisten zu, darunter die eine besonders kostbare, die er die ganze Zeit hindurch nicht aus den Augen gelassen hatte, nahm einen Teil der Werkzeuge mit und machte sich auf den Weg. Sie verschwanden schnell im Dunkel der Nacht. Sommer sah ihnen nach und murmelte: »Armer Kerl. Aber ich kann dir und mir nicht anders helfen.«
Er selbst machte keine Anstrengungen, sich in Bewegung zu setzen. Er verteilte die abgeschlagenen Steinbrocken in zwei Kisten. Die dritte Kiste befahl er, im Lagerfeuer mit zu verbrennen. Die Leute taten es gern, da ihre Traglast dadurch vermindert wurde. Auch eine Spende an Reisbranntwein erhöhte ihr Behagen und ihre Zutraulichkeit.
Erst als der Morgen graute, machte Sommer sich auf den Weg. Aber er ging nicht, wie er es mit Bob besprochen hatte, nach Süden, sondern nach Norden, dieselbe Straße zurück, die sie gekommen waren. Er ließ die Träger sachte und bedächtig gehen. Er hatte einstweilen nichts zu eilen. – –
Ovel, Mingal und Taukwi rasteten vor den Eingängen der beiden Graphitbergwerke. Sie hatten einen richtigen Marsch hinter sich. Sie wußten, daß es gerade ihnen als Europäer nicht bekommen würde, in die Tagesglut hinein zu marschieren. Auch blieb für den Augenblick ungewiß, welchen weiteren Weg über die Grate sie einschlagen sollten. Taukwi wußte ebenfalls keinen Rat. »Ich sehe hier fünf Möglichkeiten«, sagte er. »Welche zum Ziel führt, kann ich nicht sagen.«
»Aber man wird doch Spuren finden können!« schrie Mingal wütend.
»Wohl Spuren eines Lagerfeuers«, sagte Taukwi verächtlich. »Die sind hier auch genügend. Aber der nackte Fels ist kein Lehmboden, auf dem man Fußstapfen sehen könnte.«
Mingal stand ohne ein Wort der Erwiderung auf und betrat den ersten Grat. Er ging eine Strecke Weges darauf entlang, dann kehrte er um und machte denselben Versuch auf dem zweiten Grat. Als Taukwi das sah, wollte er hinter Mingal nicht zurückstehen und machte denselben Versuch; nur fing er an der östlichen Seite, bei dem fünften Grat an. Er war noch keine hundert Meter gegangen, als er einen lauten Ruf ausstieß und die anderen heranwinkte.
Sie kamen mit Beschleunigung herbei und standen dann lachend vor den deutlichen Spuren. »Tja,« sagte Mingal bedauernd und anerkennend zugleich, »wenn einer als Geologe auf Reisen geht, dann darf er auch seinen Beruf nicht vernachlässigen. Jetzt bin ich überzeugt, daß wir es mit Winkelmann zu tun haben. Aren wäre nicht solch ein Tollpatsch gewesen. Nun haben wir eine bequeme Straße vor uns.«
Sie warteten die Dunkelheit ab. Dann klommen sie auf dem äußersten, dem fünften Grat aufwärts. Sie waren etwa drei Stunden gegangen, mit aller Vorsicht, die solche Straße erforderte, als Taukwi, der an der Spitze war, die Hand an das Ohr hob und in die Dunkelheit hineinlauschte. »Das sind Schritte«, sagte er.
Die anderen lauschten ebenfalls. Es war bald kein Zweifel mehr daran, daß sich Menschen, und zwar mehrere Menschen, näherten. Deutlich waren Stimmen zu unterscheiden, das Aufstoßen von Stöcken auf den Felsweg, das Rollen von kleinen Steinen. Und alle diese Geräusche waren unmittelbar vor ihnen. Die Dunkelheit verhinderte, die Entfernung zu messen.
Mingal traf die nötigen Anordnungen. »Hinlegen! Jeder hinter einen Stein. Ich bleibe hier auf der Mitte des Weges. Taukwi geht nach rechts, Ovel nach links. Kein Wort sprechen. Nicht schießen, wenn ich es nicht ausdrücklich sage. Selbst dann nicht, wenn ich schieße.«
»Wer wird es sein?« flüsterte Ovel.
»Das kann ich bis hierher nicht riechen, du kluger Hans. Das eben müssen wir feststellen. Also jetzt in Deckung gehen. Fertig.«
Sie verschwanden vom Wege. Im Schatten der Steine waren sie nicht zu erkennen. Dagegen sahen sie, daß eine Kolonne von Menschen, von denen einige Kisten an Stangen trugen, im Gänsemarsch daherkam. Alle trugen die Gewänder von Eingeborenen. Nur die Gestalt, die zuvorderst ging, trug europäische Kleidung. Taukwi, der am weitesten rechts lag und daher den Grat etwas von der Seite her übersehen konnte, flüsterte aufgeregt: »Es sind sieben Menschen!«
»Sieben?« fragte Mingal zurück. »Merkwürdige Zahl. Kannst du den ersten Menschen erkennen?«
Taukwi strengte seine Augen an: »Nach dem Gang zu urteilen, ist das Bob.«
Mingal atmete tief auf: »Mein lieber Bob! Also bist du endlich da. Na, ich werde dich herzlich willkommen heißen.«
Der Trupp war auf etwa hundert Meter herangekommen, ohne Kenntnis von dem Hindernis, das sich ihm in den Weg gestellt hatte. Mit einem Male schlug ihnen ein scharfes, gellendes »Halt!« entgegen. Es war nicht zu erkennen, woher es kam. Ohne Besinnen zog Bob seinen Browning aus der Tasche und feuerte einen Schuß mitten in den Weg hinein. Er landete unmittelbar neben dem Stein, hinter dem Mingal sich verborgen hatte. Der nächste Schuß, mit gleicher nachtwandlerischer Sicherheit abgegeben, fuhr ihm in das Kopftuch. Da wurde es Zeit für ihn, sich zu wehren. Er hatte seine Waffe im Anschlag, vor sich ein aufrechtes, großes, klar vom Schatten umrissenes Ziel. Er drückte ab. Die Gestalt kroch in sich zusammen und verschwand, war vom Erdboden aufgesogen. Nur an dem Rollen von Gestein ließ sich erkennen, daß sie seitlich in den Abgrund gestürzt war.
Unter den Eingeborenen entstand ein wildes Geschrei. Kisten und Werkzeuge fielen. Mingal erhob sich schnell und rief ihnen zu: »Stehenbleiben! Es geschieht keinem von euch etwas.«
Sie standen unbeweglich. Mingals erste Sorge galt den Kisten. »Habt ihr noch alle eure Lasten?« rief er hinüber.
»Ja«, kam die Antwort.
»Stellt alles, war ihr an Lasten und Werkzeugen mit euch habt, auf den Weg. Dann geht ihr einzeln hier an mir vorüber.«
Keiner der Leute regte sich. Da erhob sich Taukwi aus seinem Versteck und wiederholte die Aufforderung. »Es kann einer von euch zu mir kommen und sich überzeugen, daß ich Taukwi bin.«
Es kam niemand. Sie hatten zuviel Furcht. »Gut,« sagte Taukwi, »dann lege ich meine Waffe hier auf die Erde. Seht ihr es? Ich hebe meine Arme hoch und komme zu euch.«
Er ging mit hoch erhobenen Armen der Trägerkolonne entgegen. Sie duckten sich hinter Kisten und Steine. Dann aber erkannten einige Taukwi. Damit waren auch die anderen schnell beruhigt. Trotzdem weigerten sie sich, ihre Kisten im Stich zu lassen, weil sie noch nicht entlohnt waren. Mingal mußte sich entschließen, Taukwi nochmals mit Geld zu ihnen zu schicken. Dann waren sie beruhigt und zufrieden und gingen einzeln fort. Die Vorgänge hatten weiter kein Interesse für sie. Der Mann, den die Kugel getroffen hatte, war nicht ihr Auftraggeber. Ihm waren sie nicht zu Treue und Gehorsam verpflichtet. Sie sammelten sich am Ende des Grates und traten den Heimweg an.
Mingal erhob sich: »Schade, daß Bob daran glauben mußte. Aber warum kann er so gut schießen?«
»Es ist deine Schuld«, sagte Ovel ärgerlich. »Du hättest deinen Namen angeben können. So konnte er nicht wissen, mit wem er es zu tun hatte. Jeder an seiner Stelle hätte geschossen.«
Mingal zuckte die Achseln: »Nun ist es zu spät für solche Erwägungen.«
»Ja. Aber du bist dadurch ein ganz gewöhnlicher Mörder geworden.«
Mingal trat dicht an ihn heran: »Sag' mal, was willst du mit solchen Bemerkungen erreichen? Du hältst wohl den richtigen Augenblick für gekommen, mit mir Streit anzufangen, was?«
Ovel wich keinen Schritt zurück: »Es soll mir nicht darauf ankommen. Ich wiederhole, daß du einen Mord begangen hast.«
Mingal lachte: »Drüben stehen die Kisten. Das ist mir im Augenblick wesentlicher als die Auseinandersetzung mit dir. Die können wir in Colombo vornehmen.«
Er ging zu der Stelle, an der die Träger die Kisten und das Werkzeug zurückgelassen hatten. Sie waren mit Eisenbändern fest umschlossen. »Also an die Arbeit!« sagte er.
»Arbeit? Wir werden die Kisten in das Bergwerk schaffen und sie dort in aller Ruhe auseinandernehmen und auspacken. Wir können doch hier auf dem schmalen Grat nicht arbeiten.«
»Wir müssen. Die Kisten sind zu schwer, um nur Edelsteine zu enthalten. Ich vermute, daß noch das Urgestein daransitzt oder daß man sie unter abgeschlagenem Geröll versteckt hat. Wir öffnen hier die Kisten, nehmen heraus, was zu gebrauchen ist, und lassen sie dann stehen. Es bleibt dann späterhin immer die Vermutung übrig, daß die Träger die Lasten im Stich gelassen haben.«
»Dann müssen wir sie aber sorgfältig öffnen und wieder verschließen.«
Sie lösten vorsichtig die Eisenbänder von der ersten Kiste und öffneten sie. Blankes, glitzerndes Geröll lag darin. Sie nahmen Stück für Stück in die Hand und fanden nichts als totes Gestein. Mingal fluchte: »Das nenne ich eine vorsichtige Verpackung. Er ist immer in der Rolle des Geologen geblieben. Also schließen wir sie wieder. Du siehst, es ist gut, daß wir sie nicht erst in das Bergwerk geschleppt haben.«
Die Kiste wurde wieder in ihren ursprünglichen Zustand versetzt. Sie machten sich daran, die zweite zu öffnen. Das Ergebnis war das gleiche.
»Hat es Zweck, die dritte zu öffnen?« fragte Ovel.
»Warum denn nicht? Ich habe selten eine so dumme Frage gehört.«
»Und ich habe selten jemanden gesehen, der so wie du im entscheidenden Augenblick alle Überlegung verliert. Die Gier ist dir etwas zu Kopf gestiegen. Du unterscheidest dich nicht viel von Olly.«
»Möchtest du jetzt zur Sache kommen?« drohte Mingal. »Es könnte sein, daß wir unseren Streit doch noch hier austragen müssen.«
Ovel blieb gelassen: »Dann wäre es ein Streit um des Kaisers Bart. Bei einigem Nachdenken wird dir einfallen, daß nur Bob und sechs Träger hiergewesen sind. Wir wissen, daß Bob nicht allein gegangen ist und daß es im ganzen zwölf Träger gewesen sind. Die beiden haben sich also getrennt und haben zwei Kolonnen gebildet. Die eine schleppt die Kisten mit toten Steinen. Die andere die Kisten mit den lebendigen Steinen. Leuchtet es dir ein?«
»Es ist eine Möglichkeit«, sagte Mingal finster. »Auf jeden Fall müssen wir die dritte Kiste öffnen, um Gewißheit zu haben.«
Sie nahmen die weitere Untersuchung vor. »Schöne Steine«, knurrte Mingal wütend. »Warum hat er nicht gleich den ganzen Pik Adam in die Kisten verpackt?«
»Nun,« lachte Ovel, »er muß doch auch noch Platz für die guten Steine behalten. Jetzt haben wir gute drei Stunden mit der Untersuchung von Geröll verbracht. Vielleicht empfiehlt es sich, daß wir zu einer nützlicheren Tätigkeit übergehen, nämlich zum Nachdenken.«
»Ja. Aber es gibt nur eines zu bedenken: Wo ist Sommer-Winkelmann mit der anderen Kolonne?«
»Das läßt sich nicht raten, guter Freund. Das läßt sich nur feststellen, indem wir weitermarschieren und den Rest der Kolonne suchen. Du hast es dir ziemlich leicht vorgestellt: hingehen und die beiden abfangen!«
»Ich habe keinen Widerspruch von dir gehört. Also gehen wir weiter. Es fängt schon an zu dämmern.«
Wirklich war mittlerweile die Sonne über den Horizont gekommen und hatte die Landschaft in gelbliches Dämmerlicht getaucht. Wenn sie noch etwas an diesem Tage erreichen wollten, dann mußten sie sich eilen.
Sie waren kaum tausend Meter weit gegangen, als sie zu ihrer Linken einen hellen Ruf hörten: »Halt!«
Sie wandten sich bestürzt zur Seite, ohne etwas entdecken zu können. Doch gehorchten sie den Gesetzen der Vorsicht so weit, daß sie sich augenblicklich auf den Boden warfen und Deckung suchten. Dann hörten sie ein fröhliches Gelächter: »Aber warum versteckt ihr euch denn? Ich wollte euch doch nur guten Morgen sagen.«
Diese Stimme war bekannt und doch fremd. Auf jeden Fall war sie höhnisch und bedrohlich zugleich. Am meisten aber ängstigte sie, daß sie nicht wußten, woher sie kam. Sie überprüften von ihren Verstecken aus den Grat, der zu ihrer Linken lag, konnten aber nichts entdecken.
Mingal begriff als erster die Situation. Er schob den Lauf seines Gewehres hinter dem deckenden Stein hervor und rief: »Mit wem haben wir die Ehre?«
»Mit mir, Herr Mingal; mit dem Geologen Sommer. Geht es Ovel gut? Und was macht der Ehrenmann Taukwi?«
»Danke. Es geht uns allen ausgezeichnet. Wir ruhen hier ein wenig aus, damit wir nachher besser imstande sind, Ihre Kisten zu transportieren.«
»Es ist sehr freundlich, daß Sie uns diese Mühe abnehmen wollen. Aber ich bin mit sechs Trägern versehen, und die sind gut in der Lage, meine beiden Kisten zu befördern. Außerdem tragen wir alle gute Brownings. Daran hat der arme Bob wohl nicht gedacht, als er sich von mir trennte.«
»Die Herren Eingeborenen«, gab Mingal bissig zurück, »haben sich keine große Mühe gegeben, ihren Herrn zu verteidigen.«
»Das verstehe ich sehr wohl,« sagte Sommer aus seiner Deckung heraus, »da nicht Bob der Herr und Auftraggeber ist. Das bin ich, und mir sind meine Leute verpflichtet.«
»Würden Sie die Freundlichkeit haben, mir zu verraten, wo Sie sich befinden?«
»Gern. Ich befinde mich auf dem mittelsten der Grate, ein klein wenig hinter Ihnen. Zwischen uns ist nur der eine Grat, aber leider zwei ziemlich tiefe Einschnitte. Sonst würde ich Ihnen persönlich meine Aufwartung machen.«
Mingal barst vor Wut. Er schoß auf gut Glück in der bezeichneten Richtung sein Gewehr ab. Eine Sekunde später schlug von drüben eine Salve von Revolverspritzern auf, daß es rings um sie im Gestein spritzte.
»Sie merken wohl,« rief Sommer, »daß ich nicht allein geschossen habe. Wollen wir also den Krieg beenden. Legen Sie Ihre Waffen hin und stehen Sie auf.«
Mingal beriet sich leise mit Ovel: »Wir kommen nicht von der Stelle. Er liegt in Deckung, und wir liegen in Deckung. Wir sind drei gegen sieben. Also?«
Ovel erhob sich statt aller Antwort und legte sein Gewehr auf die Erde. Mingal und Taukwi folgten seinem Beispiel. Da erschien auf dem mittelsten Grat mit einem Male Sommer und zog freundlich seinen Hut. »Ich freue mich, daß die Herren Vernunft angenommen haben. Wir sind in einer etwas ungewöhnlichen Situation, und darum muß ich zu ungewöhnlichen Mitteln greifen. Ich habe einige Zeit hindurch Gelegenheit gehabt, Ihre leider vergeblichen Bemühungen an meiner Steinsammlung zu beobachten. Wenn Sie weniger laut dabei gewesen wären, hätte es Ihnen nicht entgehen können, daß wir im Anmarsch waren. Aber Sie dürfen es mir nicht verdenken, daß ich die gute Lage für mich ausnutze. Sie würden es ebenso gemacht haben, vermute ich.«
»Nicht nur das«, sagte Mingal mit dem Mute der Verzweiflung. »Ich würde auch kein Bedenken gehabt haben, Sie so zu begrüßen, wie ich leider den voreiligen Bob begrüßen mußte. Gedenken Sie nun diese Unterredung den ganzen Tag hindurch fortzusetzen?«
»Durchaus nicht. Ich will mit meinen Leuten bis zu den alten Bergwerken gehen und dort rasten. Dort werde ich gegen Abend den Weg nach Colombo fortsetzen.«
»Der Plan ist gut,« sagte Mingal kühl, »aber die Ausführung stelle ich mir schwierig vor. Im Augenblick sind Sie uns überlegen: sieben Revolver gegen drei Gewehre. Aber wenn Sie fünfhundert Meter weiter gegangen sind, dann halte ich Ihre Revolver für ziemlich nutzlos. Unsere Gewehre haben die bessere Tragweite. Und Sie können schließlich nicht die ganze Zeit hindurch am Abhang entlang klettern. Entweder müssen Sie auf den Grat, und dann stellen Sie eine prachtvolle Zielscheibe dar, oder Sie gehen in den Einschnitt und machen es uns auf diese Weise bequem.«
»Was würden Sie mir also raten?« fragte Sommer bescheiden.
»Daß Sie die Kisten stehenlassen und sich nach Hause begeben.«
»Das paßt mir nicht«, sagte Sommer. »Dann lasse ich lieber einen von meinen Leuten am Abhang entlang klettern und bis nach Colombo laufen, damit er uns Hilfe holt. Sie müßten sich dann solange dort ruhig verhalten, wo Sie im Augenblick sind. Von hier aus kann ich Sie bequem erreichen. Ich würde nicht dulden, daß Sie weiter- oder zurückgehen.«
»Wenn Sie es so lange aushalten!«
»Gewiß. Wir haben Nahrungsmittel genug hier und können uns auch gegenseitig ablösen. Wir sind ja zu sieben. Vergessen Sie das nicht!«
Mingal hob drohend die Faust: »Das Ganze vergesse ich Ihnen nicht!«
»Das ist Ihre Privatsache. Also Sie haben mir keinen besseren Vorschlag zu machen?«
Ovel schnaufte vor Zorn und Erschöpfung: »Geben Sie uns eine Kiste und ziehen Sie in Gottes Namen mit der anderen ab.«
Sommer überlegte: »Das wäre ein Ausweg. Aber ich werde sie Ihnen nicht geben, sondern Sie müssen sie holen.«
Das Hohngelächter dreier Stimmen antwortete ihm.
»Sie brauchen nicht zu lachen, meine Herren. Ich halte Sie für zu … sagen wir mal: intelligent, als daß Sie in eine Falle kröchen. Wir wollen es so handhaben: Ich stelle beide Kisten hier auf den Grat. Sie bezeichnen diejenige, welche Sie haben wollen. Mit der anderen entfernen wir uns. Damit ich aber vor Ihren Gewehren sicher bin, muß ich verlangen, daß sie sie in das Tal werfen. Wenn wir fort sind, können Sie sich Ihre Waffen wiederholen.«
»Das geht nicht so ohne weiteres«, sagte Mingal. »Ich traue Ihnen genau sowenig wie Sie uns. Es geht nur, wenn die eine Kiste von einem Ihrer Leute auf den Grat gebracht wird, der sich zwischen uns befindet. Dann ist gewissermaßen ein neutraler Ort geschaffen.«
»Damit bin ich einverstanden«, sagte Sommer. »Bezeichnen Sie, bitte, die Kiste, an der Ihnen liegt.«
»Gleichgültig. Nehmen wir die vorderste.«
Zwei Träger beluden sich mit der bezeichneten Kiste und schleppten sie den Abhang hinunter. Dann erschienen sie auf dem mittleren Grat und setzten sie dort nieder. Zugleich deckten die anderen vier Träger und Sommer ihren Rückzug mit erhobenen Waffen. Als sie wieder drüben waren, warfen Mingal, Ovel und Taukwi, der Verabredung entsprechend, ihre Waffen in die Tiefe. Zugleich aber nahmen sie selber hinter den Steinen Deckung.
»Ich habe noch eine Bedingung zu stellen,« rief Sommer, »die Sie ohne weiteres eingehen können. Ich wünsche einen ausreichenden Vorsprung zu haben. Darum möchte ich, daß Sie die Kiste nicht vor Einbruch der Dämmerung abholen.«
»Sie steht da gut,« lachte Mingal, »und wir können warten.«
Sie stellten fest, daß drüben Sommer mit seiner Kolonne und der einen Kiste abmarschierte. Bald waren alle ihren Blicken entschwunden. Da kamen sie aus ihrer Deckung hervor.
»Traust du der Sache?« fragte Ovel.
»Nicht im mindesten. Taukwi soll uns sofort unsere Waffen wiederholen. Und wir gehen etwas weiter südlich, daß wir den Ort, an dem die Kiste steht, noch mit den Gewehren erreichen können.«
Sie führten dieses Vorhaben aus und legten sich dann, so gut es gehen mochte, in den Schatten. Die Stunden gingen dahin. Es wurde Mittag. Dann senkte sich die Sonne gegen Westen. Nichts geschah, was ihren Verdacht hätte erregen können. Sie waren so weit beruhigt, daß sie schon anfingen, Vermutungen über den Inhalt der Kiste anzustellen. »Ich finde,« sagte Ovel, »daß Sommer sich überraschend schnell auf unsere Vorschläge eingelassen hat.«
»Es wird sich ja zeigen, ob es der Fall ist. In einer, spätestens in zwei Stunden beginnt es zu dämmern. Dann können wir uns die Sache besehen.«
Taukwi schüttelte den Kopf: »Ich habe kein ruhiges Gefühl, daß er diese Bedingung gestellt hat. Ich kann keinen Grund dafür finden und bin doch unruhig.«
»Ich auch«, gestand Mingal. »Und ich möchte dieser Ungewißheit ein Ende machen. Gehen wir hinüber.«
Die Senkung, die zwischen den beiden Graten lag, war weit steiler und mühsamer, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte. Das Gestein war so locker, daß es ständig unter ihren Füßen nachgab und abbröckelte. Immer waren sie in Gefahr, abzugleiten. Es dauerte mehr als eine Stunde, bis sie die Sohle des Einschnittes erreicht hatten. Aber ebenso beschwerlich war der Aufstieg. Sie hatten eine regelrechte, fast senkrecht aufsteigende Wand vor sich.
»Die Wahl des Ortes ist nicht ungeschickt«, fluchte Ovel. »Der Mann weiß, was er tut. Wenn er auch nur der Gehilfe von Aren ist.«
Es herrschte völlige Dunkelheit, als sie die Wand erstiegen und an die Kiste gelangt waren. Sie sicherten nach allen Seiten. Nichts war zu hören oder zu sehen. Taukwi hob die Last auf seine kräftigen Schultern und ging voran. Plötzlich blieb er stehen und witterte. »Brandgeruch!« sagte er leise.
»Vielleicht Reste vom Lagerfeuer«, vermutete Ovel.
»Nein. Dann hätten wir einen Widerschein gesehen.«
Er stellte die Kiste zu Boden und wollte vorangehen. Da erscholl mit einem Male eine Explosion von dröhnender Gewalt, die mit einem lauten Echo von den Bergwänden her endigte. Ein Flammenschein leuchtete für eine Sekunde grell vor ihnen auf. Sie warfen sich zu Boden, gehetzt und erschreckt, und warteten auf die kommenden Dinge.
Es geschah nichts. Taukwi kroch über den schmalen Pfad nach vorne, ohne etwas Verdächtiges finden zu können. Die anderen folgten ihm in vorsichtiger Entfernung. »Ich meinte doch,« murmelte Ovel, »die Explosion wäre ganz nahe gewesen.«
»Das täuscht«, sage Taukwi. »Sie war sehr entfernt. Ich schätze tausend Meter.«
Er hatte mit seiner Annahme recht. Nahe der Einmündung des Grates in den Weg, der zu den Bergwerken hinunterführte, war der Erdboden aufgerissen. Das morsche Gestein war wie unter gewaltigen Axthieben gebrochen. Eine tiefe Lücke klaffte mitten auf dem schmalen Steinpfad. Der Weg war unterbrochen.
Mingal blieb völlig ruhig. »Er hat sich einen guten Vorsprung gesichert«, sagte er. »Nun können wir von neuem auf und ab klettern, um mit unserer Kiste auf den anderen Grat zu kommen. Und ich muß anerkennen, daß er sehr anständig gehandelt hat. Die Lunte war offenbar so gelegt, daß sie zu einer Zeit an den Sprengstoff kam, zu welcher wir bei ehrlichem Verhalten noch nicht hier sein durften. Wären wir früher gekommen, dann wäre es unser eigenes Ungeschick gewesen. Also zurück, meine Herren.«
Trotz ihres Zornes atmeten sie erlöst auf, daß sie dieser Gefahr entronnen waren. Immerhin blieb ihnen die Kiste. Sie schleppten sie mühsam auf den anderen Grat. Wieder verging mehr als eine Stunde damit. Dann beeilten sie sich, zum Bergwerk zu kommen. Sie waren blaß und erschöpft vor Anstrengung und Hunger. Sie warfen sich in die Stollen und schliefen bis in den Morgen.
Dann schleppten sie ihre Beute, so tief es gehen wollte, in den alten Stollen hinein, um sie dort zu öffnen …
Nach einer Weile drangen wüste Laute aus dem Gang, Stimmen, die sich überschlugen, Schreie, grell und kreischend vor Zorn … dann Schüsse … stöhnendes Wimmern … Ächzen, das langsam verklang …
Dann breiteten das Schweigen und das Dunkel ihre Schleier über die Tragödie, die sich in dem Stollen des verlassenen Bergwerkes abgespielt hatte. – –