Josef Kastein
Uriel da Costa
Josef Kastein

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Achtes Kapitel

Die Welt der Einordnungen

Ich glaube mit vollkommener Gläubigkeit, daß ein Aufleben der Toten sein wird, zur Stunde, da Willigung sich erheben wird beim Schöpfer, gesegnet sein Name und erhoben sein Gedenken in die Zeiten und in Dauer der Dauern.

            Moses ben Maimon

Gegen Ende des Jahres 1618 kehrt Uriel da Costa von Hamburg nach Amsterdam zurück. Vielleicht sind es geschäftliche Gründe, die ihn zurückrufen; vielleicht ist es auch das Ausweichen vor dem Bann, den man über ihn verhängt hat. Dabei ist zu erwägen, daß grundsätzlich ein solches Ausweichen in der jüdischen Welt nicht möglich war. War ein Bann von einer rabbinischen Instanz einmal verhängt und publiziert, so war seine Geltung generell. Sie konnte höchstens dadurch gemindert werden, daß an einem anderen Aufenthaltsort des Gebannten die verhängte Strafe noch nicht bekannt war. Bei der engen Beziehung zwischen Hamburg und Amsterdam kann es aber nicht ausbleiben, daß die Tatsache der Bannung auch dort bekannt wird.

Es ist für das Bild der Zeit und für den Ablauf des Geschehens sehr bemerkenswert, und es widerlegt die landläufige Auffassung von der übermäßigen Intoleranz der damaligen Juden durchaus, daß man trotz dieser Kenntnis des Bannes dennoch in Amsterdam daraus nicht die Folgen zog, die sonst üblich waren. Auch aus der nicht sehr präzisen Fassung, die Da Costa selbst gerade für diese erste Folgezeit gibt, ist nur eine einzige positive Einzelheit zu entnehmen. »Selbst meine Brüder, deren Lehrer ich früher gewesen war, gingen an mir vorüber und wagten es aus Furcht vor jenen nicht, mich auf der Straße zu grüßen.« Daß seine eigenen Brüder sich von ihm abwandten, diejenigen, die er zuerst und unter Gefahren an seiner neu gewonnenen Erkenntnis teilnehmen ließ, hat ihn sicherlich sehr gekränkt. Dennoch ist ihre Haltung zu verstehen. In diesem Milieu der Heimkehrer, wo die treibenden Kräfte im Grunde 192 nur ein einziges Ziel hatten: die restlose Einordnung in die wieder gewonnene Gemeinschaft, mochten gerade seine Brüder sich absondern, um nicht mit Ideen identifiziert zu werden, die sie nicht billigten und die ihr Anschlußbemühen zunichte gemacht hätten. Aber weiter ging die Absonderung, die Da Costa zu ertragen hatte, nicht, weder im Rahmen der Familie noch in der offiziellen Stellung zur Gemeinde. Sein häusliches Leben nahm seinen Fortgang. Als seine Frau, Sara da Costa, im Jahre 1622 starb, wurde sie auf dem Friedhof Beth Chajim zu Oudekerk beigesetzt. Seine Mutter, die in seinem Hause lebte, hielt in unerschütterlicher Treue zu ihm und billigte blindlings alles, was ihr Sohn tat oder dachte. Er bleibt auch nach wie vor in engem Konnex mit seiner Gemeinschaft. Das ist urkundlich belegt durch eine Beitragszeichnung, die Da Costa in dieser Zeit, jedenfalls vor 1623, zu einer heute nicht mehr bekannten religiösen Brüderschaft geleistet hat. (Auf diesem Blatt ist auch die einzige erhaltene Unterschrift Da Costas zu finden.) Aber was noch mehr als solcher urkundlicher Beweis gegen eine Absonderung spricht, ist ein Faktum, das Da Costa selbst gerade aus diesen entscheidenden Jahren berichtet: »Alle meine Güter gediehen und wuchsen in den Augen der Menschen, und mein Wohl wurde mit so besonderem und offensichtlichem göttlichen Beistand gewahrt, daß die, die es am wenigsten wollten, genötigt und gezwungen waren, es zu bekennen.« Damit ist zunächst ausgesagt, daß er nach wie vor seine Geschäfte mit seinen Brüdern gemeinsam betreibt, denn erst aus einer viel späteren Zeit berichtet er die Trennung. Sodann wird damit klargestellt, daß die wichtigste und auf die Dauer schwerste Folge des Bannes, der gestörte persönliche und 193 geschäftliche Verkehr mit anderen Juden und dadurch die Untergrabung der wirtschaftlichen Existenz, hier nicht eingetreten ist.

Judenfriedhof in Amsterdam
Nach einem Stich von Ruysdael

Alles das ist nur dadurch zu verstehen, daß der Bann keine wesentliche Beachtung fand. Wer war für die portugiesischen Juden in Amsterdam schließlich Uriel da Costa? Marrane, Heimkehrer wie andere, einer, der noch nicht einmal Kerker oder Folterkammer erlitten hatte, ein unruhiger junger Mensch, wie es deren viele gab. Man mag ihm seinen Trotz und seine Auflehnung geglaubt haben; aber sicher hat man darauf gewartet, daß er, wie andere, eines Tages zur Einordnung gelangen würde. Aus dem späteren Geschehen ist dagegen wohl zu entnehmen, daß eine gewisse Spannung, eine argwöhnische Aufmerksamkeit und ein nicht beschwichtigtes Mißtrauen gegen den Gebannten blieben. Sich aber aktiv mit ihm zu befassen, lag in den ersten Zeiten nach dem Banne kein Grund vor. Zudem fehlte es auch wohl an der Bereitschaft und der Freiheit, sich mit dem Problem eines einzelnen Mitgliedes zu beschäftigen, während in der Gemeinschaft selbst noch die Konflikte des Anfangs auszutragen waren.

Denn gerade dieses Jahr der Rückkehr des Gebannten ist auch das Jahr, in dem sich die Gemeinschaft der Juden in Amsterdam unter den Schwierigkeiten und Mühen der Einordnung in gegnerische Gruppen spaltet. Der Konflikt geht immer um das gleiche geistige Problem: während sie noch glauben, daß es schlechthin möglich sei, zum Judentum heimzukehren, erfahren sie, daß es nur möglich ist, sich ihm auszuliefern. Sie kommen aus einer unterbrochenen Tradition und ohne Gefühl für Tradition. Hier begegnet ihnen Tradition als Zentralproblem des 194 Verhaltens im religiösen Leben. Sie kommen aus Weltlichkeit, aus Renaissancewissen und philosophischer Durchdringung. Hier begegnet ihnen das aktuellste Problem der jüdischen Religiosität: die Kabbala. Sie kommen mit vielen Voraussetzungen rationalistischen Denkens. Hier begegnen sie der Mystik und dem – wenn auch unscharfen – Willen zum Aufbau eines neuen Mythos anstelle dessen, der durch die Überdehnung der Jahrhunderte im Judentum zerbrochen war. Diejenigen, deren Wille zur Einordnung bedingungslos ist, stützen sich immer wieder auf die Autorität des aschkenasischen Judentums, seiner Rabbiner, seiner Lehrmeinungen und seiner Denkweise. Die Widerstrebenden stehen mit den unzulänglichen Mitteln des Verstandes in hoffnungsloser Opposition.

Der Zufall hat einen urkundlichen Beleg erhalten, der das Grundsätzliche dieser Kämpfe präzise wiedergibt. Der Arzt Abraham Farrar, mit seinem portugiesischen Namen Simon Lopez Rosa, wie Da Costa in Porto geboren, ist, nachdem er in Lissabon seine Praxis ausgeübt hat, nach Amsterdam geflohen und dort seit 1614 im Vorstand der portugiesischen Gemeinde. Sein Denken geht philosophische Bahnen. Die Kabbala ist ihm abergläubische Spielerei. Den Ritualgesetzen kann er keine übermäßige Bedeutung beilegen. Gegen seine Ansichten und sein Verhalten rufen die drei Rabbiner Joseph Pardo, Isaak Usiel und Saul Levi Morteira die Autorität eines Mannes an, der in der aschkenasischen Welt den Ruf besonderer Strenge und Rigorosität genießt, des Rabbi Joel Serkes aus Brest-Litowsk. Dessen generelle Einstellung wird genügend gekennzeichnet durch seine Äußerung: »Wer die Kabbala geringschätzt und sich von der 195 Philosophie leiten läßt, verfällt ohne weiteres dem Bann.« Er liefert ein Gutachten, in dem schon die Darstellung des Tatbestandes das abgründige Entsetzen des Traditionsgetreuen vor dem Leugner und Zweifler spiegelt.

»Wir haben eine Lästerstimme laut werden hören aus einem fernen Lande, der Stadt Amsterdam, daß sich ein Aufrührer erhoben hat, ein gewisser Arzt, der selbst das Kriechtier für rein erklärt . . . Zweierlei Böses hat er mit einem Schlag getan . . . Vor langer Zeit schon erhob er Herz und Hände voll Spott über die Worte unserer Weisen . . . in der Haggada, auch über die Weisen der Kabbala . . . sprach Häßliches über sie und sagte, sie seien in seinen Augen nicht wichtig, sondern allein die Philosophie, und nach dieser sollte sich jedermann richten . . . Das zweite Böse: da er einer der Parnassim ist, gab er einem Menschen die Autorisation, für das Bedürfnis der Gemeinde Vieh zu schlachten. Die Herren des für die beiden Synagogen bestehenden Maamad beauftragten zwei Rabbiner, diesen Schächter in den Gesetzen des Schächtens zu examinieren. Bei diesem Examen wußte er nichts und erklärte Verbotenes für erlaubt. Darauf wurde sofort . . . in den Synagogen der beiden Gemeinden das von diesem Manne Geschlachtete als Aas erklärt und die Gefäße, in denen es gekocht wurde, für verboten . . . In diesem Augenblick bestieg der erwähnte Arzt den Almemor (erhöhte Estrade in der Synagoge) und erklärte mit lauter Stimme, man solle diese Proklamation nicht beachten und auf seine Verantwortung hin das Fleisch essen . . .«

Dieser Vorfall illustriert die Problematik und die Stimmung, von denen schon gesprochen worden ist 196 und aus denen heraus eine Spaltung entstehen konnte. Es ist verständlich, daß gerade in diesen ersten Jahren der Spaltung besondere widersätzliche Energien frei wurden und daß Da Costa, mag er zu ihnen wie auch immer gestanden haben, für sein Vorgehen in Hamburg und für die Ideen, die er noch jetzt vertritt, eine Bestätigung darin finden mußte. Aber die Toleranz, die man ihm in diesen Jahren bezeugt, geht dennoch nur auf ihn selbst als Mensch und Einzelnen, während der Kampf gegen die Gedanken, die er in die jüdische Welt geworfen hat, langsam Kreise der Erregung zieht und noch über Jahrzehnte hinaus Manifeste des Widerspruches entstehen läßt. Das besondere Problem, das die heimkehrenden Marranen zu lösen hatten, und ihre Entwicklungssorgen gingen ja nicht nur sie an, sondern die jüdische Welt überhaupt und die sephardischen Gemeinden im besonderen. Da Costas Veröffentlichung der Thesen gegen die Tradition hatte das Signal für die Widerstrebenden und Widersprechenden gegeben, sich zu bekennen und zu betätigen. Es entstand aus diesen vereinzelten Widerständen keine geschlossene Bewegung, aber da sie das Einordnungsbestreben der Marranen und den Beharrungswillen der übrigen Juden störten, war jedenfalls die Gegenbewegung, die sie auslösten, einheitlich und geschlossen. Als eine direkte Folge der Herausforderung, die an sie ergangen war, und im Zusammenhang mit dem Banne, den sie über Da Costa verhängt hat, ruft nun die Gemeinde Venedig in einer Proklamation vom 14. August 1618 die jüdische Welt zur Notwehr gegen diejenigen auf, die sich dem Geiste nach hinter Da Costa stellen. Die Unruhe über das Ertönen der »Lästerstimme« ist darin sehr deutlich. 197

». . . Und nun wurde die Lästerstimme dieser Männer . . . in unserem Lande und auch außerhalb vernommen, daß es manche schlechte und sündhafte Menschen gibt, die die Worte unserer Weisen und ihre Auslegung leugnen und gegen ihre Worte mit Gewalt auftreten. Hätte sich diese Aussatzplage nur in ihrem Innern ausgebreitet . . . so hätten wir geschwiegen und uns gesagt: ihr Geist und ihre Seele wird zugrunde gehen und sie werden genug der Strafe haben in dieser und jener Welt. Jedoch . . . ihre Stimme dringt vor gleich einer Schlange, die der Verderber geschaffen hat . . . und wie eine Prophetenschaar durchziehen sie die Stadt mit Harfen und Zimbeln, jagen dem Nichtigen nach, betrachten ihre Worte und Leichtfertigkeiten als erhaben in Jisrael, und auf allen Straßen künden sie von dem falschen Gotte: das sind deine Götter, Israel! . . . Was den Worten unserer Weisen widerspricht, betrachten sie als weise, und ganz Israel zum Ärgernis reißen sie öffentlich alle Schutzmauern des Gesetzes nieder . . . Wir sind wie Vieh in ihren Augen, und wer es nicht mit ihnen hält, wird von ihnen als Pferd und Maultier ohne Verstand betrachtet . . . Darum haben wir, die Unterzeichneten, als wir ihr Kriegsgeschrei gegen Gott und seine Lehrer hörten . . . gefürchtet, das Feuer greife vielleicht um sich und fände zu seiner Nahrung Dornen, Menschen, deren Seele leer ist und die nichts wissen, und diese möchten Schaden nehmen und die Erde würde, was Gott verhüten möge, kahl und öde; denn das Geschlecht ist verderbt und gerne hört ein Jeder Erleichterungen. Um unsere Pflicht zu erfüllen, müssen wir sie bis zur Verurteilung verfolgen . . . damit nicht der Name Gottes durch sie entweiht werde. Darum . . . so es euch recht ist: da doch die Sache, die jene 198 vertreten . . . euch nicht gefallen kann, so unterstützt uns, ihr selbst und eure Sendboten . . .«

Zur Verteidigung empfehlen sie das übliche Kampfmittel, den Bann, und zwar schlagen sie ihn in der besonderen Formulierung vor, die der spanische Talmudgelehrte Raschba (Salomo ben Abraham Adret) gegen das Ende des 13. Jahrhunderts im Kampfe der Konservativen gegen die Philosophen und Rationalisten entworfen hat: »Auf Beschluß der Oberen, nach dem Ausspruch der Gerechten tun wir sie in Acht und Bann sowohl beim himmlischen als beim irdischen Gericht. Immer tiefer mögen sie sinken, bis sie vollkommen reuig zurückkehren und nicht mehr in ihre Torheit verfallen und keinen Tadel mehr auf unser Gesetz und auf die Weisen, die Verfasser des Talmud werfen. Kehren sie nicht zurück zu Gott von ihrer Bosheit, so sollen sie und alle, die sie schützen, in Acht und Bann bleiben.«

Diesem Bann will die Gemeinde Venedig wieder Aktualität geben und darüber hinaus seine Anwendung erweitern: »Und wir . . . erneuern diesen Bann und begreifen in den Beschluß ein: jeder, der von einem anderen ein Wort gegen unsere Rabbinen hört, soll gehalten sein, es den Vorstehern und Rabbinern der Stadt, in der er wohnt, zur Anzeige zu bringen. Das bringt Frieden über Jisrael und seine Weisen . . .«

Es ist nicht ausgemacht, wie weit dieser Bann und seine Erweiterung gerade im Umkreise Da Costas seine Wirkung getan hat. Aber seine Motivierung: »Das bringt Frieden über Jisrael«, galt in immer stärkerem Maße. Friede und Einordnung um jeden Preis war das Ziel aller Bemühungen. So wie im aschkenasischen Judentum derjenige Jude das Ideal darstellte, der sein Leben völlig nach dem Kodex des 199 Schulchan Aruch einrichtete, so wurde auch hier, bewußt und unbewußt, an der Züchtung eines Idealtypus gearbeitet, der die Bildung spanischer Tradition mit der unbedingten Gläubigkeit westlichen Judentums verband. Mochte die Gegenwart noch uneinheitlich sein, so war doch aus der Generation, die jetzt heranwuchs, ein solches Züchtungsergebnis mit Recht zu erwarten. Daß bei der Verkoppelung von Weltbildung und Traditionsgläubigkeit nie eine Synthese entstehen konnte, sondern nur ein Konglomerat, nur der Folgsame, nicht der schöpferische Mensch, war für das Bedürfnis nach Ruhe und Einordnung völlig gleichgültig. Den Luxus, nach der wahrhaft idealen Form zu streben, konnten sie sich nicht leisten. Sie mußten sich mit der zweckmäßigsten Form begnügen, die nicht nur ihren historischen Voraussetzungen, sondern auch ihrer zeitlichen Situation entsprach. Sie konnten eines Tages mit stolzer Genugtuung auf einen Mann hinweisen, der auch noch einem späteren Urteil bewundernswert erschien, während er in Wirklichkeit nichts war als eine intelligente, rührige, gutwillige und unschöpferische Mittelmäßigkeit: Manasse ben Israel (1604-1657).

Er ist der Prototyp der Entwicklung, wie sie den marranischen Heimkehrern vorgezeichnet war, und in dieser Eigenschaft zugleich der Gegenpol einer Erscheinung wie Uriel da Costa. Er erfährt seine entscheidende Ausbildung schon unter Isaak Usiel. Er wächst mit dem Talmud und den Schriften der Kabbala auf. Er beherrscht spanisch, lateinisch und die modernen europäischen Sprachen. Er ist einer der Vielwisser, die das Judentum seiner Zeit notwendig hervorbringen mußte, weil der untergründig erkannte Abstand vom aufwachenden Denken einer Umwelt 200 nur unschädlich gemacht werden konnte, wenn das Beharren im traditionellen Denken mit Entlehnungen aus allen Gebieten des Wissens gestützt wurde. Um was sie dadurch als Repräsentanten einer Gemeinschaft stärker werden, müssen sie als Naturen und Einzelne notwendig schwächer werden. Ihre Aufgabe ist, ihr Judentum zu bestätigen, nicht, es zu gestalten. Manasse ben Israel ist bereit, alles schlechthin zu bestätigen, was er im Judentum seiner Zeit vorfindet. Jedes Wort im Talmud und jede Metapher im Sohar sind ihm gleich heilig. Alle Gesetze haben für ihn ihren Sinn und ihre Unverbrüchlichkeit. Seine sehr ausgedehnte literarische Tätigkeit dient im wesentlichen dazu, die Grundwahrheiten des Judentums, wie sie ihm seine Zeit darstellt, zu bejahen, ihnen dogmatischen Charakter zu verleihen und sie gegen Andersdenkende, Marranen oder nicht, wie gegen Ketzer zu verteidigen. Was er an philosophischen Fähigkeiten aus Vererbung und Erarbeitung besitzt, geht eine willige Verbindung ein mit jedem mystischen Element aus Talmud oder Sohar; aber bereitwilliger als an den wirklichen Mythos des Judentums, und vor allem der Kabbala, glaubt er an ihre Entartung, an Dämonie, Seelenwanderung, Beschwörung und an ein phantastisch ausgestaltetes Leben im Jenseits. Es ist noch nicht einmal der philosophische Begriff der »doppelten Wahrheit«, der sich hier ausprägt: die Idee, es könne etwas vor der Vernunft nicht bestehen, was dennoch der Glaube als Wahrheit anzunehmen bereit sei; sondern es ist die halbe Erkenntnis, die auf dem Wege zum Erleben des Mythos sich im Gewirr eines Mystizismus an den Grenzen des Aberglaubens verfängt.

Mit solcher geistigen Haltung konnte er nicht nur 201 der Stolz der Seinigen werden, sondern auch der von der Außenwelt geachtete und bewunderte Repräsentant des Judentums. Er führt eine reiche Korrespondenz mit den beachtlichsten christlichen Gelehrten seiner Zeit, vor allem den holländischen. Das erwachende Interesse der Zeit, das weniger dem Judentum als dem jüdischen Schrifttum galt, ein Interesse, gespeist aus reinem Wissensdrang und intellektualistischer Mode, glaubte sich an Manasse ben Israels Geist und Wissen genügend orientieren zu können. Auch die damals blühende holländische Gelehrsamkeit war mehr auf die Masse der Wissenssammlung bedacht als auf die Tiefe einer Erkenntnis. Da sie mehr guten Willen zur hebräischen Literatur als wirkliche Kenntnisse besaß, konnte ihr Manasse zu Vorbild, Führer und Freund werden.

Manasse ben Israel
Nach einer Radierung von Salom Italia

Es wäre verfehlt, mit dieser Herausstellung Manasses als Prototyp des sich Einordnenden und als Gegenbild Da Costas ein Werturteil verbinden zu wollen. In dem großen Drang der Juden nach Homogenität lag ganz anderes beschlossen als der unduldsame Herrscherwille von Menschen, die man mit den legendären Charakterzügen der »Pharisäer« versieht. Dieser Einheitswille, diese dichtere Umlagerung des jüdischen Kerns mit Menschen blinder Gläubigkeit ist wie die Kontraktion eines Muskels, der gehorcht, weil ein Nerv ihm vom Zentrum des Systems aus den Befehl vermittelt. Diese gewaltsame Einordnung, dieses brüske Ausschalten von Störung und Unruhe ist die Konzentration eines Wesens, das vor einer entscheidenden Kraftanstrengung in einer Sekunde der Sammlung, Geschlossenheit und blicklosen Unbedingtheit verharrt. Vor solcher Kraftanstrengung stand aber das Judentum. Mochte die Kabbala auch 202 schon im Begriffe sein, aus überwuchernden Vorstellungen den streng gefügten Kosmos in eine unruhige Dämonenwelt zu verwandeln und den Weg vom reinen Glauben in das Magiertum hinüber zu weisen: ihre Grundhaltung war dennoch eschatologisch, ihre tiefste Wurzel war dennoch der jüdische Erlösungsgedanke, im Kern des Mythos wie des Aberglaubens stand dennoch der Messias. Solche Ideen, solche Erlösungshoffnungen und solche Erfüllungsbereitschaften sind aber niemals privat und individuell; immer sind sie Kraft, die ein Kollektivum aus sich entläßt, und aus der Gemeinsamkeit von Denken, Fühlen, Hoffen und Handeln allein, nicht aus dem vereinzelten, wenn auch bitteren und edlen Bemühen brechen diese Flammen, an der Gläubigkeit sich läutern kann. Im Willen zur Erlösung der Menschheit liegt die Notwendigkeit eingeschlossen, daß der Einzelne, sich hingebend und sich opfernd, ausgelöscht werde. Wenige Jahrzehnte nach der Zeit, um die es hier geht, huldigen sehr kluge und wissende Männer aus der Gemeinde Amsterdam mit tiefster gläubiger Bereitschaft einem solchen Erlöser, dem unerfüllten Messias Sabbatai Zewi.

Während so seine Gemeinschaft zur Ruhe der Einordnung strebt, um sich eines Tages in der Unruhe der Erfüllungshandlungen entladen zu können, geht Da Costa weiter den Spuren seiner Unruhe nach, damit er sich eines Tages in der Ruhe geborgen fühlen könne. Das Suchen nach dem Seelenheil, mit dem er in das Judentum zurückgekehrt ist, kann, wie zu verstehen ist, durch seinen ersten öffentlichen Akt der Opposition nicht gefördert worden sein. Zwar ist er der Meinung, daß das jüdische Gesetz, so wie er es versteht und lebt, der Weg zum Seelenheil sei. Aber 203 der Bann, der gegen ihn geschleudert wurde, hat ihn eindringlich darüber belehrt, daß diese individuelle Art des Glaubens und der Gesetzestreue ihn wiederum von der jüdischen Gemeinschaft ausschließt. Er will aber in der jüdischen Gemeinschaft leben. Er hat sich ihr zugesellt und beharrt darin. Das aber ist, da der Bann ihn außerhalb stellen will, nur möglich, indem er sich rechtfertigt, sei es vor sich selbst, sei es vor den Anderen. Sonst ist der Widersinn nicht aufzulösen, der darin besteht, daß einer sich zu einer Gemeinschaft bekennt, die ihm die Gültigkeit dieses Bekenntnisses abspricht.

So wird er auf den Weg der Rechtfertigung gedrängt, und zwar soll es eine öffentliche Rechtfertigung werden. Er sagt: »In dieser Situation beschloß ich, ein Buch zu schreiben, um die Gerechtigkeit meiner Sache darzutun und aus dem Gesetz selbst die Nichtigkeit der pharisäischen Tradition und Observanz und den Widerstreit ihrer Traditionen und Einrichtungen mit dem mosaischen Gesetz offen nachzuweisen«. Das bedeutet also die Fortsetzung der Aktion, die er in seinen »Thesen« begonnen hatte. Es bedeutet zugleich, daß der Wille zur Opposition hier die gleiche Stärke hat wie das Bedürfnis, sich zu rechtfertigen. Aber während er noch der Begründung dieser Opposition nachforscht und die Quellen des biblischen Schrifttums studiert, öffnen sich ihm Erkenntnisse, zu denen er früher, als er die Bibel und die Propheten las, nicht gediehen war. Damals gab es für ihn nur ein Grundthema: das Seelenheil. Er war nahe daran, am Seelenheil überhaupt zu verzweifeln, da ihm die Wege dahin nicht gangbar erschienen. Und gerade der überstarke Wille, am Seelenheil nicht zu verzweifeln, war der lebendigste Anstoß für seine 204 Rückkehr in das Judentum und unter das jüdische Gesetz. Was er als gläubiger Katholik unter Seelenheil verstand und notwendig verstehen mußte, war der Glaube, daß die Seele des Menschen als ein unsterbliches Gebilde nach seinem Tode dem Jenseits überliefert werde, zum guten oder zum bösen Weiterleben, im Himmel oder in der Hölle. Wie er nun erneut das jüdische Schrifttum durchforscht, um aus ihm zu beweisen, daß dieses jenseitige Weiterleben der unsterblichen Seele nur eintritt, wenn man das jüdische Gesetz gleich ihm auslegt und befolgt, und wie er, an seine eigene Methode gebunden, immer zum nackten Sinn des Wortlautes strebt, beginnt plötzlich dieser tief verankerte Grund seines religiösen Daseins zu schwanken . . . und auf der Suche, welchen Weg die unsterbliche Seele zu gehen habe, begegnet er der Seele als einer an den Körper und dessen Erdendasein gebundenen, mit ihm lebenden und mit ihm unwiderrufbar sterbenden Geisteskraft. Über der Prüfung von Weisungen und Vorschriften, die sämtlich nicht Selbstzweck sind, vielmehr alle nur einem erkannten religiösen Sinn zu dienen haben, begegnet er zum ersten und einzigen Male einem Kerngedanken des Judentums, einem Teil seines Inhaltes, einem Stück des eigentlichen, des inneren »Gesetzes«.

Er geht sehr bewegt an diese Prüfung heran, doch wirkt seine Methode wie die eines Menschen, der ganz von außen und ganz unbefangen dem Problem begegnet. Schon das verrät eine erstaunliche geistige Freiheit, wenn bedacht wird, daß es sich für ihn dabei doch einmal um das Zentralproblem seines Lebens gehandelt hat. Jetzt prüft und denkt er wie ein sadduzäischer Jude oder wie die Karäer in ihren Anfängen, 205 immer geleitet von den beiden Motiven: es steht geschrieben oder es steht nicht geschrieben. Es steht nirgends in der Bibel geschrieben, stellt Da Costa fest, daß die Seele des Menschen unsterblich sei. Folglich ist sie sterblich. Andererseits steht vieles positiv geschrieben, was ihm seine Auffassung bestätigt. Den Beweis, den er daraus entnehmen kann, führt er in drei mit Zitaten reich durchsetzten Kapiteln, den einzigen, die aus diesem Werke erhalten sind.

Was ist eigentlich Seele? beginnt Da Costa zu fragen. Er antwortet: »Die menschliche Seele ist und heißt der Lebensgeist, mit dem der Mensch lebt, welcher im Blute ist, und mit diesem Geist lebt der Mensch, verrichtet seine Werke und bewegt sich, solange er ihm bleibt, und erlischt nur, wenn er auf natürliche Weise oder durch irgend einen gewaltsamen Eingriff aufhört.« Von dieser Deduktion steht ein Teil ausdrücklich in der Bibel, nämlich die uralte Auffassung, daß der Sitz der Seele im Blute sei und daß darum das Blut geradezu der Träger des Lebens sei. »Denn die Seele des Fleisches, im Blute ist sie« heißt es, und ein anderes Mal: »Denn die Seele alles Fleisches, sein Blut ist mit seiner Seele«. Alles andere in Da Costas Definition ist Ergebnis eines Denkprozesses, und er beginnt nachweisbar dort, wo für das jüdische Denken überhaupt die Frage nach Sinn und Schicksal der menschlichen Seele beginnt: in dem Sinnieren darüber, wie Lohn und Strafe dem Menschen für sein Verhalten zugewiesen seien.

In den Ursprüngen des jüdisch-religiösen Denkens bestand kein Bedürfnis, dem Schicksal und Wesen der Seele nachzugehen. Seele und Körper waren eine Einheit, und das Leben erlosch, wenn der Geist, die Seele sich von ihm trennte. So wenig man an eine 206 Präexistenz der Seele dachte, so gering und unscharf war die Vorstellung von dem, was nach dem Leben eintreten würde. Natürlich entzog sich die Vorstellungskraft solchen Erwägungen nicht ganz, aber das Leben und sein Zeitraum waren so sehr Gegenwart im religiösen Sinne, daß man dem Gewesenen, dem Toten keinen Anteil daran gewähren konnte. Er hielt sich, so glaubte man, im Scheol, in der Unterwelt auf, einem Raum, der keineswegs der christlichen Hölle entsprach, sondern eher dem griechischen Hades. Dort führt der Tote das Dasein eines Schattens, ohne Leiden und ohne Regungen, ohne Zukunft und ohne Verheißung, je und in welcher Form auch immer am Leben wieder Teil zu haben. Doch war sein Dasein als Schatten immerhin die primitive Andeutung eines Unsterblichkeitsglaubens, und Gedenken und Verehrung des Toten zeitigten sowohl Totenkult wie Totenbeschwörung. Aber das wird vom Pentateuch scharf bekämpft. Die magische Beschwörung ist ihm fremd. Darüber hinaus ist ihm das Einzelschicksal nicht Selbstzweck, sondern er kann es nur werten in seiner Einfügung in die Gesamtheit. Die Gemeinschaft ist unsterblich, nicht der Einzelne. Der Einzelne dient nur als Träger und zur Fortsetzung. Gegenüber dem Schicksal des Volkes muß das Schicksal des Individuums zurücktreten.

Erst in der Zeit des babylonischen Exils bahnt sich eine Wandlung an, und der Prophet Jecheskel hat ihr den klassischen Ausdruck gegeben. Das Volk, seines Staates, seines Tempels und seiner Opfer beraubt, also ohne die Symbole, die ihm bis jetzt seine Gemeinschaft bezeugten, verlegt aus dem Willen, die Gemeinschaft dennoch zu erhalten, die Symbole in sich; das heißt: es macht jeden einzelnen zum 207 Träger des nationalen und religiösen Inhalts. Dadurch tritt an die Stelle des verbindenden Symbols die vereinigende Gesinnung. Das verteilt die Verantwortung auf jeden Einzelnen. Sein Gelingen oder sein Versagen, das heißt: sein Einzelschicksal entscheidet über das Schicksal der Gesamtheit. Das Einbezogenwerden seines persönlichen Erlebens rettet zugleich die Existenz der Gesamtheit. Das so betonte Einzelleben fragt aber eines Tages unweigerlich auch nach dem Sinn seiner isolierten, individuellen Existenz und öffnet damit den Weg nicht nur für eine weitergehende metaphische Trennung von Seele und Körper, sondern auch für das Problem der Theodizee, der Rechtfertigung Gottes wegen der irdischen Unzulänglichkeiten. Denn es besteht – so lehrt die Erfahrung – zwischen dem von der Religion geforderten sittlichen Verhalten des Menschen und den gegebenen Verheißungen als Folge dieses Verhaltens nicht immer Übereinstimmung. Sie wissen, daß zwischen ihnen und ihrem Gott eine sittliche Beziehung besteht, daß seine Attribute die der Güte und Gerechtigkeit sind, daß folglich der Gute Lohn und der Böse Strafe zu erwarten hat. Solange sie als Gemeinschaft dachten, war alles Gedeihen des Volkes Lohn für religiöse Treue und alles Unglück des Volkes die Folge unreligiösen Verhaltens. Aber jetzt, mit dem Wachsen des subjektiven Elements, mit der Betonung der seelischen und religiösen Bedeutsamkeit des Einzelnen wird der Ablauf der Einzelschicksale vergleichbar, und es ergibt sich, daß nur allzuoft der Gerechte leidet und der Frevler in allem Behagen lebt. Das scheint der göttlichen Gerechtigkeit zu widersprechen. Göttliche Ungerechtigkeit aber gibt es für den Juden nicht. Das wird ein Problem tiefster religiöser 208 Beunruhigung, und das Buch Hiob ist das klassische Dokument dafür. Aber hier ist noch kein Ausweg gefunden anders als in der Ergebung in Willen und Absicht Gottes, ein Sicheinordnen aus religiösem Vertrauen.

Erst lange nach dem babylonischen Exil, als das Volksschicksal immer tumultuarischer und damit das Einzelschicksal immer belasteter wurde, prägte sich der Gedanke aus, daß das diesseitige Leben nicht das ganze Leben sei, sondern nur der irdische Teil, der in einer anderen, kommenden Welt, der Olam haba, eine Fortsetzung finde. Dorthin verlegt der Glaube, der sich zu einer Ungerechtigkeit Gottes nicht verstehen will, den letzten und entscheidenden Ausgleich. Aber dieser Gedanke wird weder zum Dogma noch wird er überall gleichmäßig konzipiert. Im hellenistischen Judentum herrscht er durchaus vor. In Judäa selbst glaubt der größte Teil des Volkes daran, also die Pharisäer. Die Sadduzäer lehnen diesen Gedanken ab. Aber auch soweit die Pharisäer daran glauben, wird die Präzision und Bedeutsamkeit dieser Vorstellung verringert durch eine andere, gleichzeitige, verwandten Quellen entsprungene Idee: durch den Glauben an die Wiederauferstehung der Toten. Auch diese Idee hat zum Kern eine Daseinsfortsetzung, ein Hinüberschwingen erdgewachsener Religion in eine jenseitige religiöse Welt. Aber ihr Zielpunkt ist eschatologisch. Es geht dabei um die letzten Dinge und die letzten Zeiten und den allerletzten Ausgleich. Um diesen Gedanken ist im Judentum mehr gekämpft worden als um den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele, denn die Idee der jüdischen Religiosität will nicht die Einzelseele erretten, sondern die Menschheit gestalten. Die 209 hellenistischen Juden, die Essäer und die Sadduzäer lehnen diesen Gedanken ab. Wurzeln faßt er nur bei den Pharisäern. Jesus verteidigt ihn mit allen Mitteln pharisäischer Beweiskunst, und Paulus greift die Polemik darüber von neuem auf, in der Hoffnung, dadurch eine Spaltung unter den Juden erzeugen zu können.

Der Glaube an eine Wiederauferstehung der Toten macht im Prinzip die Vorstellung einer Unsterblichkeit der Seele entbehrlich, aber doch liegt zwischen beiden der Unterschied, der zwischen dem Kollektiven und dem Individuellen besteht. Die Unsterblichkeit der Seele befriedigt das Bedürfnis, der Einzelseele einen religiösen Sinn zu geben und ihr die Hoffnung auf individuelle Vergeltung zu erhalten. Die Wiederauferstehung weist dem Volke und darüber hinaus der Menschheit als solcher den zukünftigen Raum einer sittlichen Herrschaft oder eines Gottesreiches zu. Diese beiden Gedanken durchkreuzen und durchdringen sich gegenseitig, wenn auch ohne feste Abgrenzung, durch die Jahrhunderte hin sowohl im talmudischen Schrifttum wie in der jüdischen Religionsphilosophie. Der Talmud, als für das Gemeinschaftsdenken repräsentativ, erhebt nur den Gedanken der Wiederauferstehung zu einem Glaubenssatz und spricht dem, der ihn leugnet, den Anteil an der zukünftigen Welt ab. Dagegen vertritt die mittelalterliche Religionsphilosophie des Judentums, als für das individuelle Denken repräsentativ, die Auffassung, daß die Auferstehung der Toten nur eine vorübergehende Unterbrechung des geistigen Fortlebens der Seele darstelle. Vom Diesseits und vom Jenseits gleichermaßen gebunden, wird so immer wieder eine Synthese gesucht und zuweilen auch gefunden, 210 wie etwa in dem Bekenntnis des Rabbi Jakob: »Schöner ist eine Stunde der Buße und der guten Werke in dieser Welt als alles Leben der kommenden Welt; schöner ist eine Stunde der Seelenruhe in der kommenden Welt als alles Leben in dieser Welt.« Beide Ideen, die der Wiederauferstehung und die der Unsterblichkeit, werden aber mit der Dauer und Schwere der Diaspora, mit der Häufung der Leiden und dem unterirdischen Wachstum der messianischen Erwartung für den Rabbinismus und damit für die mit ihm durchtränkte Judenheit Glaubenssätze, die niemand anzweifeln darf, ohne sich durch solchen Zweifel selbst außerhalb der Gemeinschaft zu stellen. Zu der Zeit, als Uriel da Costa über diese Probleme zu denken begann, bestand für das offizielle Judentum keine Möglichkeit, die Gültigkeit dieser Glaubenssätze zu diskutieren. Die innere Erbschaft in ihm hatte eben alle Stadien der Entwicklung dieser Gedanken bereits durchlaufen und hielt jetzt bei der Bejahung von beiden, sogar bei ihrer Übersteigerung durch eine phantastisch entartende Ausmalung des Jenseits und durch die Aufnahme der kabbalistischen Ideen der Seelenwanderung (Gilgul) und der Seelenvereinigung (Ibbur). Da Costa aber beginnt den Weg noch einmal von seinem ersten Anfang her. Der Traditionslose baut nach den Bedürfnissen seines Herzens sich selber einen Untergrund. »Nachdem ich mein Werk begonnen hatte«, berichtet er, »kam es . . . daß ich mit Entschiedenheit und auf Grund beharrlichen Nachdenkens mich der Meinung derer anschloß, die den Lohn und die Strafe des alten Gesetzes in zeitlichem Sinne begreifen und dabei gar nicht an ein anderes Leben und an die Unsterblichkeit der Seele denken. Von anderen Gründen abgesehen, 211 stützte ich mich darauf, daß das mosaische Gesetz völlig darüber schweigt und denen, die das Gesetz beobachten und übertreten, nur zeitliche Belohnung oder Strafe in Aussicht stellt.«

Mit Gründen der Vernunft und mit Belegstellen aus den Schriften sucht er seinen Beweis zu führen, und diese Beweisführung ist nicht schwer, wenn das gesamte nachbiblische Schrifttum, wie Da Costa es tut, außer Acht gelassen wird. Seine Belege sind das Fünfbuch, die Psalmen, das Buch Ijow (Hiob) und der Kohelet. Die Bücher Schemuël, Könige, Daniel und die Propheten Jeschajahu und Jecheskel zieht er nur insoweit in Betracht, als seine Gegner daraus Argumente für ihre Auffassung entnehmen, zu deren Widerlegung er sich anheischig macht. Damit wird nicht etwa eine philologische Feststellung getroffen, sondern angedeutet, daß schon in der Auswahl der Stoffe selbst eine Entscheidung für Da Costa liegt. Es ist ganz offensichtlich: erst war seine Idee der Zeitlichkeit von Lohn und Strafe, seine Überzeugung von der Sterblichkeit der Seele vorhanden, und dann erst traf er eine Auswahl für den Beweis. Wäre es umgekehrt gewesen: hätte er den Stoff in seiner Vielgestaltigkeit auf sich wirken lassen, so hätte er – auch ohne die Kenntnisse historischer Zusammenhänge und ohne Wissen davon, wann die einzelnen Schriften entstanden sind – nicht an der Erkenntnis vorübergehen können, daß hier ein bewegtes religiöses Problem sich in Gestaltungen und Formungen wandelte, daß hier das wirkliche, das heißt: das religiöse Leben am transzendenten Bauwerk und an einem universellen Gedanken der Menschheitserlösung sich bemühte. Das ist deswegen bedeutungsvoll, weil seine Art der Prüfung und Entscheidung wohl imstande 212 war, ihm für seine persönlichen Bedürfnisse Klärung und weiteren Ausblick zu gewähren, daß sie ihn aber von der Gemeinschaft und ihrer entgegengesetzten Art des Denkens nur noch weiter entfernen mußte.

Für den historisch Betrachtenden ist das Ergebnis, zu dem Da Costa kommt, weder überraschend noch originell. Er beweist wirklich, ohne den Worten und den Gedanken Zwang anzutun, was er zu beweisen sich vorgenommen hat. Im Pentateuch steht nichts vom Fortleben der Seele und von der persönlichen Unsterblichkeit. Mit Recht zitiert er das charakteristische Gespräch zwischen Gott und Abram. Gott sagt zu Abram: »Dein Lohn ist ohnemaß.« Er erhält die Antwort: »Mein Herr, du, Was magst du mir geben, / ich schwinde ja kinderbar / und Anwart meines Hauses ist Elieser der Damaszener . . . / Mir hast du ja keinen Samen gegeben.« Da verheißt Gott ihm Nachkommenschaft, unzählbar wie die Sterne am Himmel. Was hier versprochen und folglich begriffen wird, ist nur die Unsterblichkeit der Art, des Geschlechts, des Volkes. Aber für den Einzelnen gilt: »Denn Staub bist du und kehrst zum Staube.« Diese Beschließung des Einzellebens im Diesseits ist auch der Grundzug des Buches Kohelet. Doch ist hier die Schlichtheit solcher Erkenntnis schon überlagert von der Skepsis dessen, dem alle Betrachtung und alles philosophische Spekulieren zu keiner tieferen Endwahrheit verholfen haben als der, daß alles eitel sei und daß »alles an seinen Ort geht . . . Wer weiß, ob der Geist des Menschen heraufsteigt zur Höhe, der Geist des Lasttieres aber hinuntersteigt unter die Erde? Darum fand ich nach eingehender Erwägung, daß es nichts Besseres für den Menschen gibt, als seiner Hände Arbeit zu genießen, und daß dies sein Teil 213 ist.« Im Buche Ijow endlich gehen ja das ganze Geschehen und alle Wechselreden auf nichts anderes als eben die Frage nach Lohn und Vergeltung für das irdische Verhalten, das zugleich ein Verhalten gegen Gott ist; und gewiß muß Da Costa hier eine Stütze für seine Auffassung finden, denn hier ist aller Glaube an Unsterblichkeit und Ausgleich der Leiden im Jenseits so unbekannt, daß der Glaube an die Gerechtigkeit Gottes nur dadurch gerettet werden kann, daß der Erzähler Gott selber zu seiner Rechtfertigung auftreten und auf die Macht seiner Schöpfung hinweisen lassen muß.

Auch in den Psalmen konnte Da Costa sehr wohl seine eigenen Gedanken wiederfinden, denn wo sollte einer, der ein individuelles religiöses Bedürfnis zu befriedigen hat, wohl leichter Bestätigung und Verwandtschaft finden als in dieser reinsten Sphäre, in der jemals Religion gedichtet worden ist? Hier im Bezirk der anonymen religiösen Schöpfung, wo nicht, wie die Gläubigkeit will, nur der König David gedichtet hat, sondern neben ihm eine Mehrheit unbekannter, vom Erlebnis tief erregter Menschen, kann auch dem unverbunden Suchenden der brüderliche Gruß von Gleichgestimmten nicht fehlen. Verständlich darum, mit welcher Liebe Da Costa die Psalmen zitiert und ausdeutet. Das Lebenbejahende dieser Frömmigkeit zieht ihn mächtig an. Immer weist er auf die gleiche Idee: »Denn im Tode gedenkt man Dein nicht; wer will Dir bei den Toten danken?« »Wirst Du denn unter den Toten Wunder tun, oder werden die Verstorbenen auferstehen und Dir danken?« »Die Toten werden Dich, Herr, nicht loben noch die hinunterfahren in die Stille.« Alles wird ihm zur gleichen Bestätigung: der Raum des Menschen 214 ist sein Dasein auf der Erde. Es gibt kein Hernach, kein Jenseits, keine Unsterblichkeit, keine Wiederauferstehung. Er formuliert: »So wird durch alles bewiesen, daß, wenn der Mensch einmal tot ist, nichts von ihm bleibt und er auch nicht eines Tages zum Leben zurückkehren wird . . . Es verbleibt dem Menschen kein anderes Leben um zu leben; aus dem, das er gegenwärtig hat, muß er Nutzen und Kapital ziehen. Wenn er es bewahrt haben will, dann fürchte er Gott und halte seine Gebote, so wird er die Frucht seiner Arbeit genießen.«

Da Costa ist sich bei seiner Beweisführung wohl bewußt, daß er sich mit ihr einer Auffassung des offiziellen Judentums seiner Zeit entgegenstellt. Er hat sich folglich mit den Argumenten seiner Gegner zu befassen, so, wie der Ausgangspunkt seiner Schrift überhaupt der Gegenbeweis gegen ihre Auffassung von der Verbindlichkeit der Tradition sein sollte. Aber er ist, was die Methode angeht, in der Widerlegung weniger gründlich als im Beweis. Er läßt einen Wortlaut, der dem nackten Sinne nach für die Unsterblichkeit oder für eine überzeitliche Vergeltung und Belohnung spricht, nicht gelten, sondern interpretiert ihn, bis er für seine Auffassung spricht. Das geschieht ohne Gewalt und Gewaltsamkeit, zuweilen mit einem Anflug von Hohn, so, wenn er sagt: »Adam ist nicht mehr aufgestanden, obgleich es schon so lange her ist, daß er schläft . . .« Aber im wesentlichen geschieht es durch ein Medium, dem im Bezirk gläubigen Erlebens nicht immer der erste Rang zukommt: durch das Medium der Logik, des klaren und vernunftgemäßen Denkens. Er, der bislang so Wortgläubige, wird plötzlich zum Exegeten, der erklärt: »All das sind Gleichnisse und bildliche 215 Redeweisen, die man mit gesundem Menschenverstand auffassen muß und bei denen man die Worte nicht nehmen darf, wie sie ohne Unterscheidung lauten.«

Diesem Hineinspielen der Ratio in das religiöse Denken, diesem Erwachen einer durch die Vernunft dirigierten Erfahrung des Glaubens entspricht die unwillige und fast verächtliche Ablehnung aller Wunderberichte, aus denen der gläubige Mensch sich seine Bestätigung für die Unsterblichkeit entnimmt. Im Bezirk zahlloser Wunder und Legenden aufgewachsen, steht er ihnen jetzt mit der gelassenen Begründung gegenüber: »Derartig häufige und sozusagen kindische Wunder pflegt Gott nicht zu tun.« Er übersieht dabei, daß es im Wunderglauben wohl ein Bejahen und ein Verneinen geben kann, aber keinen Disput und vor allem weder Beweis noch Gegenbeweis. Er übersieht sogar, daß selbst die Schriften, die ihm Kronzeugen seines Glaubens sind, schon alle den Keim der entgegengesetzten Auffassung in sich enthalten, oft selbst die präzise Formulierung. Es ist nicht Zufall, daß im Buche Ijow alle redenden und handelnden Personen, einschließlich des Helden selbst, als Nicht-Israeliten dargestellt werden. Das verrät die geheime Angst, solche Zweifel am Sinn von Lohn und Strafe als im israelitischen Volke lebend zuzugeben. Er übersieht, daß das Unvermögen der Späteren, der Lebensweisheit des Kohelet einen tragbaren religiösen Sinn abzugewinnen, sie dazu veranlaßt hat, ein letztes Kapitel anzufügen, das dem gewandelten Glauben des Juden entsprach und das mit monumentaler Schlichtheit sich zum Gedanken der Unsterblichkeit bekennt: »Der Staub aber kehret zur Erde, wie's einst gewesen, der Geist aber kehret zu 216 Gott zurück, der ihn gegeben.« Er sieht auch daran vorüber, daß in den Psalmen sich vielfach Stellen finden, die sich klar zur Unsterblichkeitslehre der Pharisäer bekennen, daß messianische und sogar apokalyptische Vorstellungen darin enthalten sind, die schon ihrer Natur nach an den Unsterblichkeitsgedanken oder doch an den Glauben der Wiederauferstehung der Toten gebunden sind.

Das alles beweist, daß er, indem er sich dieses Stoffes der Jahrhunderte bemächtigt, ihn als eine einmalige Gegebenheit betrachtet und nicht als Niederschläge, die für eine Entwicklung zeugen. Vom Stofflichen her betrachtet, muß Da Costa also bei einem Ergebnis landen, das genau für den Zeitpunkt zutreffend ist, an dem er haltmacht. Wir haben schon durch die oben gegebene prinzipielle Darstellung vorweggenommen, daß sein Denkergebnis richtig ist, richtig im Rahmen und im Verlauf einer religiös-historischen Entwicklung, richtig auch aus der religiösen Potenz eines Juden gedacht, aber dort abgeschlossen und abgerundet, wo es zur Befriedigung seines religiösen Bedürfnisses ausreichte; und verständlichermaßen ohne Rücksicht darauf, daß die Gemeinschaft, zu der er von dieser Erkenntnis spricht, nicht dort haltgemacht hat, daß sie vielmehr – sei es zum Vorteil, sei es zum Nachteil – eine lange Strecke Weges darüber hinaus gedacht hat. Folglich geht der Beweis, den er gegen das offizielle Judentum führen will, ins Leere und Wesenlose.

Aber was der Methodik des Gegenbeweises mangelt, wird vielfach aufgewogen von der Gesinnung des Beweises, den er für sich führt. Sein Beweis, vor sich selbst geführt, ist groß und über alle historische Bedingtheit hinaus zielweisend, in sich selber wieder 217 Religiosität. Denn sein Beweis von der Sterblichkeit der Seele ist nicht Selbstzweck, und seine Prüfung, ob Lohn und Strafe diesseits oder jenseits gegeben werden, ist nicht theoretische Untersuchung. Er sucht mit alledem die positive Gläubigkeit. Er hat für sich selbst, als fühlender Mensch, einen gewaltigen Schritt vorwärts getan. Nie ist ihm das Heil der Seele, von Jugendtagen her schmerzlich gesucht, so nahe gewesen als im Augenblick der Erkenntnis, daß dieses Dasein der Raum der Bewährung für den religiösen Menschen sei. Nichts auf das Später und auf das Jenseits verschieben können, dem Leben in der menschlichen Spanne in allen Dingen ausgeliefert sein, muß dem sittlichen Bewußtsein notwendig die größte Spannung geben. Und wo es um die Frage der ausgleichenden Gerechtigkeit geht, kann das Diesseits so gut wie das Jenseits ein Ventil des Glaubens sein. Menschen, Zeiten und Völker sind verschieden begabt, auf Leid und auf die Unruhe der Seele zu antworten. Wo aber eine wirklich aus religiösem Impuls lebende Gemeinschaft sich mit dieser Frage auseinandersetzt, kann es nicht ausbleiben, daß sie alle Stufen der Antwort, die sublimierte und die materialisierte gleicherweise findet. Das Judentum hat sie vielfach gefunden, im Glauben an eine sichtbare, reale Schicksalsvergeltung im Diesseits, in der Erwartung eines Ausgleichs im Jenseits und auch in einer inneren diesseitigen Vergeltung, in einer nicht sichtbaren seelischen Vergeltung, wo Strafe für das Böse die seelische Unruhe ist, das Auseinanderfallen mit Gott, und wo Lohn für Gutes die seelische Geborgenheit ist, das Wissen um den unverlierbaren Besitz Gottes. Dies ist der Weg und Schluß, den auch Da Costa findet. Sein Glaube an ausgleichende Gerechtigkeit ist eine 218 Frage des Vertrauens. Er bekennt: »Wenn wir trotzdem die Bösen häufig gedeihen sehen, ohne daß ihre Strafe sie so rasch trifft oder auf die Art, wie wir es wünschen, dann müssen wir annehmen, daß unser Sehbereich viel zu kurz ist, um die Ordnungen Gottes zu überblicken und die Tiefe seiner Weisheit, mit der er die Welt regiert . . . Demütigen möge sich also das vorschnelle Urteil der Menschen, in deren Augen oft der gut ist, der in den Augen Gottes böse ist. Senken möge der Mensch ein wenig die Schwingen seiner törichten Vermessenheit, mit der er den Platz Gottes einnehmen und sich selbst mit ihm zum Richter auf Erden machen will; und wenn er etwas geschehen sieht, dessen Geheimnis er nicht begreift, so möge er es Gott dem gerechten Richter überlassen, der die Welt mit hoher, über die menschliche weit erhabener Weisheit regiert . . .«

Hinter diesem Bekenntnis zu der Art eines religiösen Schauens, hinter diesem mahnenden Anruf an andere steht als Quell und Ausgangspunkt die entscheidende Wandlung seines inneren Geschickes. Jetzt erst, wo er beim Gegenpol des Einst landet, ist Da Costa von seiner Welt des Herkommens auch der Gesinnung nach ganz abgelöst. »Eine Zeitlang weilte ich in der Finsternis«, sagt er mit Ijow. Er übersieht aus weiterer Entfernung, wo der Kern seiner seelischen Not lag. »Was mich in Wahrheit am meisten in diesem Leben beschwerte und quälte, war, daß ich mir eine Zeitlang vorstellte und einbildete, es gebe für den Menschen ein ewiges Gut und ein ewiges Übel, und je nachdem, wie er gehandelt, werde er das Gut oder das Übel genießen . . . Gott ließ eben diese Meinungen zu, um die Gewissen derer zu peinigen, die von ihm und seiner echten Wahrheit sich 219 scheiden.« Nun bekennt er sich aufatmend zur Wirklichkeit und zum religiösen Sinn dieses Daseins. »Ich lebe also zufrieden, mein Ziel zu wissen und die Bedingungen des Gesetzes zu kennen, das Gott mir zu halten gab. Ich richte keine Türme im Wind, indem ich mich ins Blaue hinein mit den falschen Hoffnungen erträumter Güter ergötze oder täusche. Ebenso wenig verstricke ich mich in Betrübnis oder Verwirrung durch die Furcht vor größeren Übeln. Dafür, daß ich ein Mensch bin, was Gott mir gab, und für das Leben, das er mir verlieh, danke ich ihm vom Herzen; denn da er mir, ehe ich ward, nichts schuldig war, wollte er mich lieber zum Menschen machen und nicht zum Wurm . . .«

So also landet dieser Glaube eines Menschen, der auszog, sich einer Gemeinschaft gegenüber den Sonderstandpunkt der Persönlichkeit zu erkämpfen, dennoch bei einer der schönsten Ausdrucksformen dieser Gemeinschaft. Der Gedanke an die Sterblichkeit der menschlichen Seele ist eine Konzeption von wunderbarer Reife, lebenbejahend, gestaltend und schöpferisch, mit dem freien Blick zum Himmel und ohne Ausweg und Ausflucht in das Magische, kosmisch verankert und nicht panisch erduldet, Wurzel eines Mythos auch er. Wenn das Judentum ihn eines Tages verließ und – wenn auch ohne die Fixierung des Dogmas – die Unsterblichkeit der Seele glaubte, so bedeutete das, für sich allein genommen, einen Rückschritt; und nur der messianische Gedanke, der sich hinter diesen Wandel des Glaubens stellte, konnte ihn legitimieren und ihm darüber hinaus eine zukunftweisende Kraft von nie wieder erreichter Stärke und Innigkeit geben. Aber Bestandteil der jüdischen Glaubensmöglichkeit ist das eine wie das andere. Beide 220 Gedanken sind legitim, weil beide auf den tiefsten Sinn der Gerechtigkeit zurückgehen. Damit ist also auch Da Costa, im Widerstand gegen eine Welt der Einordnungen, dennoch selber der Idee seiner Gemeinschaft eingeordnet, wenn auch nur an einem Punkte, wenn auch nur in einer Konzeption des Einst, wenn auch ohne Beziehung zu der bestehenden und geglaubten Gegenwart der Gemeinschaft.

Aber die Gegenwart des Einzelnen und die Gegenwart der Gemeinschaft treffen sich nicht immer. Es gibt ein Verfehlen, dessen Sinn wahrhaftiges Schicksal ist.

 


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