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5. Kapitel.
Haldens Geständnis

Doktor Ferdinand Halden drüben auf dem Sofa hat den Kopf ein wenig gedreht und starrt mit matten Augen in das milde Licht der Ampel empor. Sein blasses Gesicht zeigt einen grüblerischen Ausdruck. Außerdem aber auch eine fast erhabene Ruhe – wie bei Sterbenden, die den Tod nicht fürchten.

Dann läßt er den Kopf sinken, schaut Harald an. Prüfend, fragend ...

»Herr Harst, mein Freund Mendel ist ein schlechter Taktiker. In entscheidenden Momenten haut er stets daneben. Es hätte keinen Zweck, jetzt noch mit Ausflüchten und Verschleierungen zu operieren. Wenn Mendel annimmt, ich würde ein offenes Geständnis verweigern, irrt er sich. Fragen Sie, Herr Harst. Viel zu fragen werden Sie kaum mehr haben, denn die ganze Entwicklung der Dinge beweist, daß Sie mich längst durchschaut hatten, und daß ich ... Sie unterschätzt habe. – Wie ist es möglich, daß Sie trotz der Injektionen noch so vollständig im Besitz Ihrer geistigen und körperlichen Fähigkeiten sind?! Haben Sie etwa das farblose Haldin aus den Spritzen entfernt und ...«

»... Wasser hineingetan ... – allerdings, Halden, das tat ich. – Wollen Sie jetzt zunächst einmal einiges über Ihr Abgleiten auf die Verbrecherlaufbahn berichten. Ein Mann von Ihrer Intelligenz hätte doch auch ohne diese schändlichen Geschäfte sich ein Vermögen erwerben können ...«

»Gewiß, Herr Harst ... Mein Unglück aber war das Spiel, der Spielteufel ... Und Mendel erging es nicht anders. Die vornehmen Klubs genügten uns nicht. Wir besuchten Hotels, in denen sich insgeheim Leute wie wir selbst zusammenfanden. Vom Spielteufel besessen, denen die Roulettekugel oberster Gott war. Meine Einnahmen aus meiner Praxis zerrannen mir zwischen den Fingern. Und schließlich kam der Tag, an dem Satanas nach mir die Krallen ausstreckte, der Tag, an dem der Erbgraf Joseph Sildheim, der eine frühere Geliebte von mir geheiratet hatte, mit mir am Spieltisch zusammentraf und mir fünfzigtausend Mark abgewann – in unbar. Am nächsten Morgen erschien Sildheim bei mir und bot mir 150 000 Mark, wenn ich seine jugendliche Stiefmutter Xenia, geborene Ussulow, in mein Sanatorium aufnehmen und dafür sorgen wolle, daß sie entmündigt würde. Spieler sind nie Ehrenmänner. Jeder Spieler ist eigentlich zum Verbrecher vorherbestimmt. Auch ich unterlag der Versuchung. Ich nahm die Gräfin auf, und da ich damals vor Monaten schon mit dem Nervengift Curare experimentiert und es der medizinischen Wissenschaft nutzbar zu machen versucht hatte, was mir jedoch nicht recht gelingen wollte, spritzte ich der Gräfin das unvollkommene Haldin ein, das, entgegen meinen Angaben Ihnen dreien gegenüber, nicht tötet, sondern nur jene eigentümlichen Sehstörungen hervorruft, wie sie bei der Gräfin und bei Mielke eingetreten sind. In stärkerer Dosis verabfolgt, ergibt sich ein anderes Krankheitsbild: Mendels Lähmung. Doch muß, was Sie ganz richtig durchschaut hatten, Herr Harst, die Injektion immer aufs neue wiederholt werden, wenn die Krankheitssymptome nicht schwinden sollen. Die Gräfin Xenia wird also in kurzem wieder völlig hergestellt sein.«

Harst nickte Halden leicht zu. »Ihre Ehrlichkeit versöhnt mich etwas mit Ihrer Verworfenheit, Halden ... Es ist schade um Sie, sehr schade ... – Eine andere Frage ... Wann gab Mendel insgeheim seine Stellung bei der chemischen Fabrik auf und begann in der Maske des alten Giesebrecht und Mendel?«

»Kurz nach der Einlieferung der Gräfin hier ins Sanatorium, Herr Harst. Es erschien mir ratsam, stets einen Vertrauten bei der Hand zu haben ...«

»Und dann schloß Mendel auch den Versicherungsvertrag mit der Viktoria ab ...«

»Ja ... Wir waren als ... Verbrecher auf den Geschmack gekommen ... Die Geldgier war an Stelle der Spielwut getreten. Wir wollten Geld zusammenscharren, woher wir es nur irgend bekämen. Ich entließ meine wirklich kranken Patienten, damit die Zimmer für andere Zwecke frei würden. Ich gewährte Verbrechern Unterkunft, ich nahm junge Damen auf, die guten Grund hatten, für neun Monate zu verschwinden ... Ich sank immer tiefer. Mein Sanatorium wurde ein Verbrechernest, das Geld floß mir in Unsummen zu, floß zumeist weiter in den Rachen des Moloch Spiel. Auch der Spielteufel war wieder erwacht ... Gewinnen wollten wir, Mendel und ich, um jeden Preis ... So wurde Mendel in Aristide Manquier verwandelt, den ich angeblich gar nicht kannte ... Und mit Aristide Manquier zusammen korrigierten wir das Glück nach Kräften ... Aber auch das genügte uns nicht. Wir empfanden eine dämonische Freude bei dem Gedanken, äußerlich die tadellosen Ehrenmänner zu sein und in Wahrheit die größten Schurken! Eine neue Etappe begann ... Der Fall Mielke-Becker ...«

»Eine ... Erbschaftssache ...,« warf Harald ein.

»Ganz recht.«

»Und der Tischler Mielke ist irgendwie mit der Sanitätsrätin verwandt ...«

»Ja – ganz entfernt. Frau Becker ist eine geborene Mielke ...«

»Und es wurden Erben eines Mielke in den Zeitungen gesucht ...«

»Eines dreifachen Millionärs, eines ausgewanderten Deutschen Herrmann Mielke, Junggeselle, zuletzt Chikago wohnhaft ... – Diese Anzeige las Mendel zufällig. Er wußte, daß Frau Becker eine geborene Mielke war und auch aus Westpreußen, aus Flatow stammte ... Wir forschten in aller Stille nach ...«

»Bis Sie als einen weiteren Erben des Millionärs den Tischler festgestellt hatten, den Sie dann durch den vorbereiteten Sturz vom Gerüst in Ihre Gewalt bekamen. Inzwischen hatte sich Mendel dann mit Tussi Becker aus kalter Berechnung verlobt ...«

»Ja – sie war ja die Tochter der Frau, der mindestens eine halbe Million winkte ...«

»Und was gedachten Sie mit Mielke zu tun?«

»Ihn und die Seinen aus Berlin fortzuschaffen und dann Mendel als Mielke auftauchen zu lassen – als Erben – – mit Mielkes gestohlenen Papieren ...«

»Ihre Ehrlichkeit verblüfft mich förmlich,« meinte Harst und trat an das Sofa heran. »Sagen Sie einmal, Halden, starb Ihr Vater, der berühmte Chemiker, nicht im Irrenhause?«

»Ja ... Wir Haldens sind alle erblich belastet, Herr Harst. Nur ich nicht. Ich bin völlig gesund ...«

Harald lehnte sich leicht an einen Stuhl ...

»Wer ist der Tote oben in Mendels Zimmer?«

»Ein Taschendieb aus Warschau, der hier bei mir Unterschlupf fand. Seine Ähnlichkeit mit Mendel ward ihm zum Verderben. Allerdings war der Mann ohnedies schwindsüchtig ...«

»Sie haben ihn getötet?«

»Durch reines Curare – ganz schmerzlos ... Die Viktoria hätte die Versicherungssumme anstandslos ausgezahlt. ›Mendel‹ – also der andere – wäre eingeäschert worden, und der echte Mendel hätte als Aristide Manquier weitergelebt ... Es sollte nicht sein ... Und im Grunde ist's mir ganz recht, daß Sie, Herr Harst, meinem Treiben ein Ende bereitet haben. Ich sehne mich nach Ruhe. Dieses Leben widerte mich bereits an.«

Ich, stiller Zuhörer, staunte ...

Und allmählich kam ich auf denselben Gedanken, den fraglos auch Harald hatte: Halden hielt sich für gesund und war in Wahrheit irrsinnig!

Harst sprach schon weiter ...

»Das Wiederbelebungsexperiment mit Mendel im Bestrahlungsraum war natürlich Bluff ...«

»Allerdings ... Im übrigen stimmt es aber, daß ich an jenem Sonntag vormittag Mendel in seinem Zimmer bei der Sanitätsrätin eine kräftige Dosis Haldin eingespritzt hatte. Es war eben der Auftakt zu dem Versicherungsbetrug ...«

Bisher hatte sich Ernst Mendel mühsam beherrscht. Jetzt brüllte er Halden wütend an ...

»Bist du in drei Teufels Namen verrückt, daß du den Schuften die Arbeit so leicht machst, uns an den Galgen zu bringen!«

Halden lächelte ihn daraufhin milde an. »Lieber Mendel, das sind keine Schufte ... Wir sind Schufte. Und ich der größte ... Ich trage es dir nicht nach, daß du vorhin oben bei der Leiche den Versuch machtest, mich hinterrücks niederzuschlagen, um mit unserem Sündengeld allein entfliehen zu können. Ich kann es dir nicht nachtragen, denn ich hätte dich getötet, wenn Harsts Kugel mich nicht niedergeworfen haben würde. Ich hätte dich ja gern bei diesem meinem Geständnis geschont, aber – – einen Harst belügen?! Zwecklos! Du wirst ja ohnedies billiger wegkommen als ich, denn der Hauptschuldige bin ich, auch der ältere, der Verführer also ... – Ja, ja, lieber Mendel, das Sprüchlein von dem Kruge, der so lange zu Wasser geht, bis er bricht, enthält eine tiefe Wahrheit. Wir hätten rechtzeitig daran denken sollen. Wir waren blind und taub in unserer Geldgier, wir waren erbarmungsloser als Tiere ... Ich habe meine Opfer gepeinigt, ich habe auch Sie und Ihre Freunde, Herr Harst, die Wirkung des Haldin schmecken lassen wollen ... Sie sollten ein paar Tage nur sich selbst sehen ... O – – entsetzlich muß das sein, in jeder Person das eigene Ebenbild zu schauen, gleichsam stets in einen Spiegel zu blicken ... Entsetzlich! Arme Gräfin, armer Mielke, – ich war ein Satan!! Ich bin es noch ... Und ich werde den Tag segnen, an dem man mir mein schuldbeladenes Haupt herunterschlägt ...«

Mendel lachte schrill. »Uebergeschnappt – – total!! Geh doch in ein Kloster, Ferdinand!! Werde Betbruder ...!«

Harst beobachtete Halden unausgesetzt ...

Haldens Augen schimmerten in reinster Güte ...

»Droben im Himmel werde ich beten, Mendel ... für dich!«

Harald winkte dem Kriminalbeamten, flüsterte mit ihm ...

Gleich darauf wurden Halden und Mendel im Auto nach dem Präsidium gebracht.

Sehr bald erschienen auch weitere Beamte. Fünf seit langem gesuchte Verbrecher nahm man hier im Sanatorium fest. Die anderen »Patienten« wurden gleichfalls vorläufig verhaftet: meist junge Damen ...!!

Mittlerweile war es heller Tag geworden.

Matzka und wir beide wanderten zu Fuß heimwärts. Es regnete nur noch wenig. Als wir die Schmargendorfer Eisenbahnbrücke erreicht hatten, brach die Sonne durch das leichte Gewölk.

Bisher hatten wir geschwiegen ...

Geschwiegen, weil uns – ohne Uebertreibung! – das Grauen die Kehle zuschnürte.

Die Sonne ...

Und mit einem Schlage gewann alles ringsum ein anderes Aussehen ...

»Halden ist krank,« sagte Harst. »Geisteskrank ... Ich behaupte: beginnende Gehirnerweichung ... Er hat so merkwürdige Augen, und auch sein ganzes Verhalten ist anormal.«

»Ohne Zweifel,« nickte Arno Matzka fast fröhlich ... Sein Blick suchte das junge Grün an den Bäumen ... Wahrscheinlich dachte er an Xenia, die er liebte und die nun wieder gesund werden würde. –

Schon am nächsten Tage mußten Harald und ich dann eiligst nach Ostpreußen reisen, von da weiter gen Osten – – eine abenteuerliche Fahrt, die schließlich in einem indischen Küstenneste endete.

Erst in Bombay erreichte uns folgender Brief:

z. Z. München, Hotel Terminus.
3. Juli 192..

Meine lieben Freunde Harst und Schraut!

Seit drei Tagen bin ich glücklicher Ehemann. Xenia und ich befinden uns auf der Hochzeitsreise. Wir beide danken Ihnen beiden nochmals von ganzem Herzen, daß Sie unserer Wiedervereinigung die Wege geebnet haben.

Es dürfte Sie interessieren, daß Halden vor einer Woche in einer Irrenanstalt verstorben ist. Er war geisteskrank. – Mendel ist zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Tussi Becker aber hat sich rasch getröstet und ihre »wahre« Liebe entdeckt: Doktor Kamir Nussra! Sie heiraten demnächst.

Die Millionenerbschaft ist auch bereits ausgezahlt worden. Mielke hat sich einen Landsitz bei Berlin gekauft und ist wohl und munter.

Xenia und ich werden uns hier in Bayern seßhaft machen, Agrarier spielen und all das Schreckliche schnell vergessen, was die letzte Zeit uns brachte. Dafür ist die Gegenwart um so schöner. Mit besten Grüßen Ihr

Fürst Arno Bargassow nebst Frau.

*

– So endete die Geschichte von Doktor Haldens Patient.

Wie »Ein Gast in der Nacht« beginnt und endet, was wir in Ostpreußen und später in Indien erlebten, – – das nächste Mal!

*

 


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