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Das Ende einer Mainacht

1. Kapitel.
Gräfin Xenia

Gespräch im Dunkeln ... Nur flüsternde Stimmen hinter dem Wandschirm. Nur das leise Plätschern leiser Rede und Gegenrede. Auch das hat seine Reize, zumal wenn man wie wir einen Mann zwischen uns hatten, der Arno Matzka hieß – angeblich ... Ein Mann, der fast sämtliche Sprachen beherrschte, der genau so international war wie wir, der die Welt in allen Winkeln kannte und dem das Abenteuer Bedürfnis war ... Jedenfalls eine Persönlichkeit, dieser Kollege.

»... Gewiß, der Perser Nussra ist mein Auftraggeber,« erklärte er. »Allerdings hatte ich auch schon vorher auf Halden ein kritisches Auge geworfen, sogar schon vor Mendels ... Unfall im Hause der Sanitätsrätin.«

»Schon vorher?!« und Harsts Stimme verriet ein wenig Unglauben.

»Gewiß, schon vorher, der Gräfin Sildheim wegen.«

»Wie – auch als Beauftragter?«

»Nein ... Aus eigenem heraus, Herr Harst.«

Pause ... Dunkelheit ... Stille ... Draußen aber der Mairegen und das ferne, dumpfe Grollen eines ersten Frühjahrgewitters.

»Also kennen Sie die Gräfin, Matzka?« läßt sich Harald wieder vernehmen.

»Sehr gut ... Zu gut ...« Das klingt so eigentümlich; so, als ob's aus den Tiefen einer wunden Seele käme. »Haben Sie sich bereits über die Gräfin näher unterrichtet, Herr Harst? – Nein? Nun, dann kann ich Ihnen helfen ... besser als jeder andere. Sie waren ja soeben so vollkommen offen mir gegenüber, und wir kämpfen nun auch Schulter an Schulter. Sie haben mir wichtige Aufschlüsse gegeben. Ich kann dasselbe. Vieles von dem, was Sie wissen, war mir neu, eigentlich das meiste sogar. Und ebenso wird Ihnen interessant sein, was ich über die Gräfin Xenia Sildheim zu berichten habe. Sie ist seit drei Jahren Witwe, erst dreiundzwanzig Jahre alt, heiratete seinerzeit den österreichischen Grafen Sildheim nur aus Not. Der Graf hätte ihr Großvater sein können, war schon zweimal verheiratet gewesen, hatte drei erwachsene Kinder, von denen der Erbgraf Joseph Sildheim uns hier allein etwas angeht, denn er war's, der seine jugendliche Stiefmutter aus ihrer Dresdener Villa nachts im Auto hier zu Doktor Halden brachte – – wegen nervösen Zusammenbruchs, behauptete er, und ein Lump von Arzt in Dresden hat ihm das bestätigt.«

»Natürlich erbrechtliche Streitigkeiten,« warf Harald ein.

»Natürlich ... Die Gräfin Xenia soll eben entmündigt werden, damit der Erbgraf Joseph die Verwaltung des Vermögens in die Hand bekommt, das ihm sein Vater wegen seiner Heirat mit einer Halbweltdame aus Monte Carlo entzogen hatte ...«

»Die Gräfin Xenia ist geborene Russin, nicht wahr?«

»Ja ... geborene Fürstin Ussulow von der kaukasischen Linie. Die Ussulows waren ungeheuer reich. Von der ganzen Familie lebt heute nur noch Xenia, und das Vermögen ist in dem Riesensack bolschewistischer Volksbeglückung spurlos verschwunden – wie ungezählte andere Vermögen.«

»Wie mag denn der Erbgraf Sildheim gerade auf Doktor Halden als den geeigneten Schurken gekommen sein?!«

»Ja – wenn ich das wüßte! – Ich habe die Fürstin Xenia seinerzeit sehr gut gekannt ...«

»... Weil Sie selbst Russe sind, Matzka ...«

»Entschuldigen Sie schon, Herr Harst, den Vorhang lüfte ich nicht. Was war, ist begraben. Nicht alles freilich, denn für vieles gibt es kein Vergessen ...«

Finsternis um uns her.

Und jetzt war des Kollegen Stimme wie das zornige Fauchen eines stolzen Königstigers, den man aus den heimatlichen Dschungeln durch Feuer, List und Frechheit vertrieben hat ...«

»Nein, kein Vergessen, Herr Harst ... Nur Schwächlinge winseln davon, daß die Rache unedel sei ... Phrasen sind's ... – Lassen wir das ... – Wir waren bei Xenia ... Ich hatte sie jahrelang aus dem Auge verloren, hatte dann aber sofort, nachdem ich mir hier in Berlin eine neue Existenz gegründet, all meine Einnahmen dazu verwandt, sie zu suchen – auch jahrelang, ohne zu ahnen, daß ich nur drei Stunden Eisenbahnfahrt von ihr entfernt war. Meine Angestellten, von denen Sie ja die besten persönlich kennen und heute abend mit den Gasmasken wieder kennengelernt haben – leider! – meine Leute entdeckten schließlich Xenia Ussulow als Xenia Sildheim in Dresden. Aber – die Villa war leer, Xenia bereits hier in diesem sogenannten Sanatorium. In Dresden wurde in der Nachbarschaft der Villa Sildheim so allerlei gemunkelt ... Und das machte mich hier vorsichtig. Ich schickte einen meiner Erprobtesten zu Halden als angeblich Kranken. Halden stellte angeblich eine schwere Herzneurose fest, die er durch Einspritzungen – angeblich – bessern wollte. Nach der ersten Spritze schon litt mein Vertrauter an Sehstörungen schlimmster Art, und weigerte sich, Halden sich nochmals in die Hände zu geben. Ein anderer Arzt, von dem ich meinen Beauftragten untersuchen ließ, erklärte nach gründlicher Untersuchung, daß irgendeine Vergiftung vorliege, daher die Sehstörungen. Von Haldens Spritzkur hatte mein Mann ihm nichts gesagt. – Sie sehen, Harst, daß das Bild immer das gleiche ist: Halden benutzt sogar harmlose Patienten als Versuchskaninchen! Freilich – den richtigen Einblick in die Tätigkeit dieses Scheusals habe ich erst durch Sie erhalten. Immerhin hatte ich für Xenia ernsthaft zu fürchten begonnen und wollte sie, zumal noch Kamir Nussra mein Klient wurde, und den Fall Mendel rücksichtslos aufgeklärt wünschte, zunächst mal aus diesem Hause entführen, da auf geradem Wege, etwa durch die Polizei, bei meinem mangelhaften Beweismaterial nichts auszurichten gewesen wäre. Somit wählte ich den krummen Weg – – über die Mauer, durch das Dachfenster – und so weiter. Und nun können Sie sich auch wohl mein Entsetzen vorstellen, als Sie mir vorhin von Xenias und des Tischlers Mielke geradezu unbegreiflichen Trübungen des Sehvermögens und gewisser Gehirnzentren sprachen ... Jetzt danke ich dem Schöpfer, daß ich diese günstige Nacht so gut ausgenutzt habe, daß Xenia in meiner Wohnung in Sicherheit ist und wir drei nun diesen fürchterlichen Menschen gemeinsam entlarven werden. Vielleicht noch in dieser Nacht ... Ich rechne darauf, daß er bei seiner Rückkehr sich aus Schreck über Xenias scheinbarer Flucht durch das Fenster irgendwie verraten wird.«

»Und ich rechne damit, daß wir ihn und seinen uns noch unbekannten Begleiter, mit dem er abends gegen neun das Haus verließ, werden belauschen können. Deshalb haben Schraut und ich uns hier eingeschlichen. – Was wissen Sie über Haldens Privatleben. Sie haben ihn doch sicherlich beobachten lassen.«

»Seit zwei Wochen auf Schritt und Tritt, aber erfolglos. Halden verkehrt in der besten Gesellschaft, ist Mitglied des Standard-Klubs, spielt ein wenig, lebt gut, besucht teure Vergnügungslokale – alles mit Maß, nirgends etwas Anstößiges, Verdachterregendes.«

Matzka erwiderte gleichgültig: »Nebenfigur, Harst ...! Ohne Bedeutung, wenn auch ein Vertrauter Haldens. Der Alte hat einst bessere Tage gesehen, schämt sich seiner jetzigen Beschäftigung wegen und verschweigt sie der Sanitätsrätin Becker, der er als Mieter sehr bequem ist, weil er keine Ansprüche stellt ...«

»Nebenfigur?!« Harsts Stimme war sehr ernst. »Da befinden Sie sich in einem Irrtum, Matzka. Giesebrecht ist alles andere als eine Nebenfigur. Er ist einer der Hauptakteure, vielleicht sogar ebenso wichtig und gefährlich wie Halden selbst. Tussi Becker und ihr Verlobter, der nun dort oben tot auf dem Bett liegt, haben den Alten ›Uhu‹ getauft. Sie hätten ihn besser Phönix nennen sollen, denn der Vogel Phönix verbrannte sich der Sage nach selbst und erstand dann immer wieder aus den Flammen in verjüngter Gestalt. Giesebrecht ist nämlich weder alt noch dürfte er Giesebrecht heißen. Sein Aeußeres ist nichts als eine glänzende Maske, unterstützt durch sehr viel schauspielerisches Talent. Es ist so, Matzka. Der Uhu ist ein junger Uhu. Wenn er seine Verkleidungsrequisiten verbrennt, dürfte bestimmt ein Mann in den besten Jahren zum Vorschein kommen: Vogel Phönix!«

»Unmöglich!« murmelte Matzka. »Ich habe doch auch Augen im Kopf und ...«

»Still ... Die Haustür!« warnte Harst ...

Stille ... Totenstille ...

Aber im Schloß der Haustür drehte ein Schlüssel den Riegel mit schwachem Knacken zurück ...

Die Haustür schwang aus ...

Das Krachen eines Donnerschlages übertönte Haldens Stimme, der zu seinem Begleiter etwas sprach ...

Dann flammte die matte Ampel der Diele auf. Halden versperrte die Tür, und sein Begleiter durchschritt die Diele, indem er ärgerlich meinte:

»Eine scheußliche Nacht, da hast du ganz recht ...« Er öffnete die Tür zum Sprechzimmer und schaltete auch dort das Licht ein.

Sein Freund schloß die Tür wieder und schien den Mantel abzulegen, setzte sich dann in einen der Sessel.

Leider hatten wir verabsäumt, in den Wandschirm rechtzeitig Sehlöcher zu bohren, und da die beiden dort vor uns jetzt beharrlich schwiegen und sich kaum regten, abgesehen von dem Geräusch eines aufflammenden Zündholzes, durften auch wir nicht die geringste Bewegung wagen.

Qualvolle Minuten also ...

Bis Haldens Begleiter meinte:

»Teufel noch mal, was sitzen wir hier und grübeln?! Vielleicht ist unsere Sorge ganz überflüssig ..

»Wohl kaum ... Mielke war heute vormittag bei mir in der Sprechstunde. Da erwähnte er noch mit keiner Silbe, daß er auswärts Arbeit annehmen wolle. Abends bekomme ich seinen Brief ... – Ich bleibe dabei, daß die beiden dahinter stecken. Es ist doch zu auffällig, daß gerade heute, wo sie bei mir waren, Mielke sich mir entzieht ...« Er hüstelte etwas ... »Ein Sauwetter ...! Man holt sich Schnupfen oder Grippe ... Hier ist's mir doch zu kalt ... Gehen wir lieber in meinen Bestrahlungsraum. Dort haben wir's wärmer ...« Er hustete noch lauter ...

Gleich darauf war die Diele dunkel.

»Was nun?!« fragte Matzka enttäuscht. »Die Sache begann so günstig für uns ... Ich habe keine Ahnung, wo der Bestrahlungsraum liegen mag ...«

»Natürlich neben dem Sprechzimmer,« meinte Harst sehr gedehnt und offenbar sehr zerstreut. »Finden Sie nicht auch, Matzka, daß Halden ... sehr schlecht husten kann ...«

»Wie – – Sie denken etwa, daß ...«

»Ja – daß wir drei Hocker hier hinter den Wandschirm gestellt haben, die nun in der Diele fehlen, und daß wir den Schirm ein Stück weiter abrücken mußten, um alle drei Platz zu haben, – schließlich, daß ein argwöhnischer Mensch wie Halden, dazu ein kluger Kopf, unschwer aus Kleinigkeiten – und er wird jetzt auf alles achten – Schlüsse ziehen dürfte, die in diesem Falle zutreffen. Mit einem Wort: wir sind entdeckt, und wir nehmen am besten unsere Taschenlampen in die Linke und die entsicherten Waffen in die Rechte und warten ab, was kommt, und drücken schneller ab als der Feind, wenn's nötig ist ...«


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