Jerome Klapka Jerome
Drei Mann in einem Boot
Jerome Klapka Jerome

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Ich kannte einen jungen Mann, der das Dudelsackblasen lernen wollte; es ist wahrhaft erstaunlich, welchem Widerstande er dabei auf allen Seiten begegnete. Nicht einmal bei seiner eigenen Familie fand er die nötige tatkräftige Unterstützung. Sein Vater war von Anfang an taub gegen diese Musik und sprach über den Gegenstand in ganz roher, gefühlloser Weise. Mein Freund wollte die frühen Morgenstunden zu seinen Übungen benutzen; aber er mußte den Plan aufgeben seiner Schwester wegen. Diese hatte einen etwas religiösen Hang und sagte, es sei doch furchtbar gottlos, den Tag so zu beginnen.

So blieb er denn bei Nacht auf und fing an zu spielen, nachdem die Familie zu Bett gegangen; aber das ging auch nicht; denn das Haus kam dadurch in so üblen Ruf.

Späte Nachhausegänger hielten davor an, um zu horchen, und sprengten den andern Morgen das Gerücht durch die Stadt, in der letzten Nacht müsse in Herrn Jeffersons Hause ein schrecklicher Mord begangen worden sein; denn man habe das Geschrei des Opfers und die gräßlichen Flüche und Verwünschungen des Mörders und dazwischen die Bitten um Schonung und das letzte Röcheln des Sterbenden von außen gehört!

So ließ man ihn denn während des Tages in der abgelegenen Waschküche seine Übungen machen, nachdem alle Fenster und Türen verschlossen worden waren; aber die Passagen, die ihm besser gelangen, konnten gewöhnlich trotz dieser Vorsichtsmaßregeln im Wohnzimmer vernommen werden und brachten seine Mutter bis zu Tränen.

Sie sagte, es erinnere sie an ihren armen seligen Vater (der seinerzeit beim Baden an der Küste von Neu-Guinea von einem Haifisch verschlungen worden war); woher ihr diese Ideenverbindung kam, konnte sie zwar nicht angeben. Dann zimmerte man ihm ein kleines Gehäuse in der Ecke des Gartens zurecht, ungefähr zehn Minuten vom Hause entfernt, und hieß ihn seine Maschine dorthin schaffen und dort bearbeiten, wenn er das Bedürfnis danach empfinde; aber manchmal pflegte ein Besuch ins Haus zu kommen, der nichts von der Sache wußte und den man darauf vorzubereiten versäumt hatte; ging der dann im Garten spazieren und kam nun auf einmal in Hörweite dieses Dudelsacks, dann mußte es schon ein besonders starker Mann sein, wenn er nur einen Nervenzufall bekam; aber Personen von nicht mehr als gewöhnlichem Verstand konnten denselben bei dieser Gelegenheit völlig einbüßen.

Es ist – ich muß es gestehen – etwas Trauriges um die ersten Versuche eines Dudelsackbläsers. Ich habe das selbst empfunden, wenn ich meines jungen Freundes Versuchen zuhörte.

Es schien mir ein äußerst schwer zu spielendes Instrument. Man muß, ehe man zu blasen anfängt, erst Atem für das ganze Lied holen; so kam es mir wenigstens vor, wenn ich meinem Freunde Jefferson zuschaute. – Er konnte prachtvoll mit einem wilden, vollen, einem Schlachtruf ähnlichen Ton einsetzen, der einen völlig fortriß; aber im Verlauf des Vortrages ward ein immer schwächeres Piano daraus, und mitten im letzten Satz brach er plötzlich mit einem schrillen Pfeifen ab.

Wer den Dudelsack blasen will, der muß eine robuste Gesundheit haben. – Der junge Jefferson brachte es überhaupt nur zu einer Melodie auf dem Dudelsack; gleichwohl hörte ich niemals eine Klage darüber, daß sich sein Repertoire nicht weiter erstrecke. Das einzige Lied, das er blasen konnte, war: »Die Campbells kommen – Hurra! Hurra!« Wenigstens behauptete der junge Jefferson, daß es dieses Lied sei, das er blase; aber sein Vater behauptete stets, es sei: »Die blauen Glocken von Schottland«. Niemand war ganz sicher, was es eigentlich wäre; aber alle stimmten darin überein, daß es schottisch klinge. Den Fremden erlaubte man, dreimal zu raten, und gewöhnlich riet jeder jedesmal etwas anderes.

Nach dem Abendessen war Harris ziemlich schlecht aufgelegt. Ich vermute, daß ihm das Irish Stew zu schaffen machte; er ist eben die feinere Küche nicht gewöhnt; daher ließen wir – Georg und ich – ihn an Bord und stiegen aus, um einen Wandel nach Henley zu machen. Harris meinte, er wolle sich ein Glas Whisky und eine Pfeife gönnen und unser Boot für die Nacht zurüsten. Wir sollten ihm bei unserer Zurückkunft zurufen, dann wolle er von der Insel herüberrudern und uns abholen.

»Aber daß du uns ja nicht einschläfst, alter Bursche,« sagten wir ihm noch zum Abschied.

»Das hat keine Gefahr,« erwiderte Harris, »solange ich das Irish Stew im Leibe habe,« und schiffte brummend zurück.

Henley machte sich zur RegattaIn Henley finden alljährlich die großen Ruderregatten statt, ein Ereignis, das in ganz England schon wochenlang zuvor das Tagesgespräch bildet. bereit und war voll Leben.

Unter den angekommenen Gästen trafen wir eine Menge alter Bekannter, in deren angenehmer Gesellschaft uns die Zeit schnell verging, so daß es nahezu elf Uhr war, als wir unsern vier Meilen weiten Rückweg von der Stadt zu unserem »Heim«, wie wir jetzt unser kleines Fahrzeug zu nennen pflegten, antraten.

Es war eine ungemütliche Nacht; ein feiner Regen fiel hernieder; und als wir so durch die dunkeln, stillen Wiesen dahintrabten, uns leise miteinander unterhielten und ungewiß waren, ob wir uns wohl auf dem richtigen Wege befänden oder nicht, dachten wir unseres behaglichen Bootes mit seinem durch die festgezogene Leinewand durchschimmernden Lampenlicht. Wir dachten an Harris und Montmorency und an den Whisky und wünschten, wir wären an Bord.

Wir beschworen vor unseres Geistes Auge das Bild unseres lieben, trauten Bootes herauf, wie es, ein riesiger Glühwurm, aus dem trüben Wasser unter den überhängenden Bäumen hervorschimmert. Drinnen behagliche Wärme und freundliche Helle, und wir selbst darin, ein wenig hungrig und müde. Wir bildeten uns ein, wir säßen beim Abendessen, ließen uns den kalten Braten trefflich munden und reichten uns gegenseitig riesige Stücke Brot; wir hörten das freundliche Klirren unsrer Messer und Gabeln, unsre lachenden Stimmen, die in der Stille der Nacht hinausdrangen, und beeilten uns, die Vision zur Wahrheit zu machen.

Endlich erreichten wir den Leinpfad, und das machte uns ganz glücklich – vorher hatten wir in der Tat nicht mehr gewußt, ob wir uns dem Flusse näherten oder uns von ihm entfernten; wenn man müde ist und gern zu Bett gehen möchte, regt einen eine derartige Ungewißheit etwas auf. Wir kamen an Shiplake vorbei, als die Turmuhr eben dreiviertel auf zwölf schlug. Da sagte Georg nachdenklich: »Erinnerst du dich wohl, an welcher der Inseln wir vor Anker gingen?« »Nein,« erwiderte ich, indem ich nun auch nachdenklich wurde, »ich erinnere mich nicht. Wie viele Inseln sind es denn?« »Bloß vier,« antwortete Georg, »wir finden uns sofort zurecht, wenn er noch wach ist!« »Aber wenn nicht, was dann?« fragte ich; doch unterließen wir, uns auf die Frage Antwort zu geben. Wir riefen aus Leibeskräften, als wir zu der ersten Insel kamen – aber da war keine Stimme noch Antwort; so gingen wir in die Nähe der zweiten – aber mit demselben Erfolg.

»O, jetzt erinnere ich mich,« sagte Georg, »es war die dritte.«

Hoffnungsvoll rannten wir nach der dritten und ließen unser Hallo ertönen.

Keine Antwort!

Jetzt wurde der Fall wirklich ernst! – Es war nun Mitternacht vorüber. Die Hotels in Shiplake und Henley waren mittlerweile sicherlich überfüllt, und wir konnten doch nicht wohl mitten in der Nacht von Haus zu Haus gehen und um ein Zimmer anfragen. Georg schlug als Auskunftsmittel vor, wir sollten zurück nach Henley gehen, dort einen Polizeidiener angreifen, und auf diese Weise freies Quartier auf der Polizeistation erlangen. Aber dann war die Frage, ob er uns am Ende nicht bloß zurücktreiben und sich weigern würde, uns einzusperren. Wir konnten uns doch nicht die ganze Nacht mit dem Polizisten herumschlagen! Überdies hegten wir kein Verlangen, die Sache auf die Spitze zu treiben und schließlich sechs Monate lang brummen zu müssen. In der Verzweiflung versuchten wir es noch mit dem, was wir für die vierte Insel hielten, aber ohne besseren Erfolg. Der Regen fiel nunmehr reichlicher und schien recht andauernd werden zu wollen. Wir waren naß bis auf die Haut und fühlten uns kalt und elend. Nachgerade waren wir auch im Zweifel, ob es wirklich nur vier Inseln seien, und ob wir uns wohl in deren Nähe befänden, oder ob wir überhaupt nach der Gegend gegangen seien, nach der wir strebten; ob wir uns nicht nach einem ganz anderen Teil des Flusses verirrt hätten, so fremd und seltsam erschien uns alles in der Dunkelheit. Wir begriffen jetzt, was die »Kinder im Walde« ausgestanden haben müssen.

Doch als wir schon alle Hoffnung aufgegeben hatten – ja, ich weiß wohl, das ist in Romanen und Novellen immer der Augenblick, in dem dann das rettende Ereignis eintritt – aber ich kann's nicht ändern; als ich dies Buch zu schreiben anfing, gelobte ich mir, in allen Dingen streng bei der Wahrheit zu bleiben, und so soll es sein, und wenn ich dabei auch abgedroschene Phrasen anwenden müßte.

Wir hatten wirklich und wahrhaftig schon alle Hoffnung aufgegeben; ich kann mich daher nicht anders fassen.

Als wir dann gerade alle Hoffnung aufgegeben hatten, da glaubte ich plötzlich in der Ferne einen eigentümlich schaurigen Lichtschimmer zu gewahren, der zwischen den Bäumen des entgegengesetzten Ufers hervorzubrechen schien. Einen Moment lang dachte ich an Geister; denn es war ein solch schattenhaftes, unheimliches Licht. Aber im nächsten Augenblick durchzuckte mich der Gedanke, daß das unser Boot sein könnte. – Da schickte ich einen solch gellenden Ruf über das Wasser hin, der die Nacht selbst hätte aus ihrer Ruhe erwecken können. Eine Minute lang warteten wir in atemloser Spannung. Dann – o du himmlische Musik in der Dunkelheit – hörten wir das antwortende Gebell Montmorencys. Wir brüllten jetzt zusammen, laut genug, um die Siebenschläfer zu erwecken; ich habe übrigens nie verstehen können, warum es mehr Lärm brauchen sollte, um sieben Schläfer zu erwecken, als für einen einzigen. Da, es schien uns eine Stunde zu währen, in Wahrheit mögen es etwa fünf Minuten gewesen sein, da sahen wir das erleuchtete Boot langsam über die dunkle Wasserflut daherschweben und hörten Harris' verschlafene Stimme fragen, wo wir seien.

Es war etwas unerklärlich Seltsames in Harris' Wesen; es war mehr als seine gewöhnliche Schläfrigkeit. Er ruderte das Boot an eine Stelle des Ufers, an welcher es uns ganz unmöglich war einzusteigen – und schlief dann sofort wieder ein. Wir brauchten ein unendliches Gebrüll, um ihn wieder aufzuwecken und ihm etwas Verstand beizubringen; doch zuletzt gelang es uns, und wir kamen sicher an Bord.

Wir bemerkten jetzt, daß Harris' Gesicht einen sonderbar traurigen Ausdruck hatte. Er sah aus wie ein Mensch, der Schweres durchgemacht hat. Wir fragten ihn, ob ihm irgend etwas passiert sei. Er antwortete: »Schwäne.«

Wir hatten uns, wie es schien, in der Nähe eines Schwanennestes vor Anker gelegt, und bald nach meinem und Georgs Abgang war die Schwanenmutter heimgekehrt und hatte sofort einen Skandal darüber angefangen. Harris hatte sie davongejagt; da war sie gegangen, den Herrn Gemahl herbeizuholen.

Mit diesen zwei Schwänen, erzählte Harris weiter, habe er eine wirkliche Schlacht gehabt, aber Mut und Geschicklichkeit hätten am Ende obgesiegt, und er habe sie abgetrieben. Eine halbe Stunde später seien sie dann mit achtzehn weiteren Schwänen zurückgekehrt. Es muß ein furchtbarer Kampf gewesen sein, soviel wir aus Harris' Bericht entnehmen konnten. Die Schwäne hatten versucht, das Boot zu kentern und ihn und Montmorency zu ertränken; und er hatte wie ein Held vier Stunden lang alle Angriffe abgeschlagen und das ganze feindliche Heer unschädlich gemacht, so daß sie schließlich davongeschwommen seien, um zu sterben.

»Wieviel Schwäne, sagtest du, waren da?« fragte Georg.

»Zweiunddreißig,« gab Harris schläfrig zurück.

»Aber gerade vorhin sagtest du doch achtzehn,« sagte Georg.

»Nein, so sagte ich nicht,« brummte Harris, »ich sagte zwölf, meinst du denn, ich könne nicht zählen?«

Wie es sich in der Tat mit diesen Schwänen verhielt, das konnten wir nie ausfindig machen. Als wir Harris am andern Morgen über die Sache befragten, antwortete er: »Was für Schwäne?« Er glaubte augenscheinlich, es habe Georg und mir geträumt.

O, wie köstlich war es nun, nach all unsern nächtlichen Gefahren und Abenteuern sicher und wohlgeborgen im Boot zu sein! Wir aßen noch herzhaft zu Nacht. Georg und ich hätten uns nachher gerne noch einen Grog gemacht, wenn wir die Whiskyflasche hätten finden können, aber wir fanden sie nicht. Wir fragten Harris, wo er sie denn hingesteckt habe, aber er schien nicht zu begreifen, was wir mit dem Worte Whisky bezeichnen wollten, oder wovon wir überhaupt sprachen. Montmorency schaute drein, als ob er etwas davon wüßte, aber er sagte nichts.

Ich schlief recht gut in jener Nacht und hätte noch besser geschlafen, wenn Harris nicht gewesen wäre. Ich habe noch eine dunkle Erinnerung, daß ich mindestens zwölfmal von Harris, der die ganze Nacht mit der Laterne in der Hand im Boot hin und her wanderte und seine Kleider suchte, aufgeweckt wurde. Er schien wegen seiner Kleider in Unruhe zu sein. Zweimal störte er Georg und mich auf, um nachzusehen, ob wir nicht auf seinen Beinkleidern lägen. Beim zweitenmal wurde Georg fuchsteufelswild: »Was zum Donner brauchst du jetzt mitten in der Nacht deine Hosen?« fuhr er ihn an, »warum legst du dich denn nicht aufs Ohr und schläfst?«

Das nächstemal, als er mich aufweckte, war er auf der Suche nach seinen Socken; das letzte, dessen ich mich noch dunkel erinnere, ist, daß er mich auf die Seite drehte, und ich ihn murmeln hörte, er möchte doch zum Kuckuck wissen, wo sein Regenschirm hingekommen sei.

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