Jerome Klapka Jerome
Drei Mann in einem Boot
Jerome Klapka Jerome

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Harris erzählte mir diese Labyrinthgeschichte, während wir durch die sonst sehr belebte Schleuse bei Moulders fuhren. Ich habe manchmal dort gestanden und hinabgeschaut, wenn man keinen Tropfen Wasser mehr sehen konnte, sondern nur ein glänzendes Gewimmel von bunten Jacken, hellen Mützen, verwegenen Hüten, vielfarbigen Sonnenschirmen, seidenen Mänteln und Decken, flatternden Bändern und zarten, weißen Kleidern; und wenn man vom Quai in die Schleuse hinabsah, so erschien das alles wie eine ungeheuere Kiste, worin Blumen von allen Farben und Schattierungen, wirr durcheinander geworfen, in buntem Haufen beisammenlagen und jede Ecke ausfüllten.

An einem schönen Sonntag bietet die Schleuse fast den ganzen Tag über diesen Anblick, während oberhalb und unterhalb der Fluß voll von Booten ist, die außerhalb der Schleusentore auf das Öffnen derselben warten. Und Boote kommen und gehen, so daß der sonnige Fluß vom Schlosse an bis hinauf zur Hamptonkirche gelb, blau, orange, weiß, rot und rosa gesprenkelt erscheint.

Alle Einwohner von Hampton Court und Moulsey kleiden sich nämlich ausschließlich in Rudereranzüge, kommen mit ihren Hunden daher und bummeln um die Schleuse herum, kokettieren und rauchen und schauen nach Booten; und das alles zusammen, die Herren mit ihren bunten Mützen und Jacken, die Damen in ihren schönen, hellfarbigen Kleidern, die aufgeregten Hunde, die hin- und herschießenden Boote mit ihren weißen Segeln, die reizende Landschaft und das im Sonnenlicht glitzernde Wasser – all das zusammen bietet eines der heitersten Bilder in der Umgebung dieses düstern alten Londons.

Ja! Der Fluß bietet eine gute Gelegenheit, mit seinem Anzug Staat zu machen. Auf dem Flusse haben wir Männer auch einmal Gelegenheit, unsern Geschmack in Farben zu zeigen, und meiner Meinung nach machen wir uns da gar nicht übel. Ich z. B. mag immer gern etwas Rot an mir – Rot und Schwarz zusammen. Ihr müßt nämlich wissen, mein Haar hat eine Art goldbrauner Farbe, eine ganz hübsche Schattierung, sagt man mir, und ein dunkles Rot macht sich wunderbar gut dazu; und dann denke ich immer, eine hellblaue Krawatte passe vorzüglich, sowie ein Paar juchtenlederne Schuhe und ein rotseidener Schal, um die Hüften gebunden; nebenbei bemerkt, ein Schal sieht immer viel feiner aus als ein Gürtel.

Harris liebt Schattierungen oder Zusammensetzungen von Orange oder Gelb, aber ich bin nicht der Meinung, daß er wohl daran tut, seine Hautfarbe ist zu dunkel für Gelb. Gelb steht ihm nicht – das ist gar keine Frage. Ich wollte ihn veranlassen, Blau als Hauptfarbe zu wählen, Blau mit Weiß oder Creme. Aber so ist der Mensch. Je weniger einer Geschmack hat, um so hartnäckiger hält er an seiner Ansicht fest. Es ist recht schade, da er auf diese Weise niemals ordentlich aussehen wird, während er sich mit ein paar andern Farben gar nicht so übel ausnehmen würde, namentlich wenn er seinen Hut auf hat.

Georg hat sich für unsere Exkursion auch einige neue Sachen angeschafft, die mich etwas ärgern. Seine Jacke hat eine schreiende Farbe. Ich möchte nicht, daß Georg diese meine Meinung zu wissen bekäme, aber ich kann nun einmal kein anderes Wort dafür finden. Er brachte sie – nämlich die Jacke – am Donnerstag nach Hause und zeigte sie uns. Wir fragten ihn, wie er denn diese Farbe nenne; er antwortete, er wisse es nicht. Er glaube überhaupt nicht, daß diese Farbe schon einen Namen habe; der Kaufmann habe ihm gesagt, es sei ein orientalisches Muster. Georg zog die Jacke an und fragte, wie er uns darin gefalle. Harris meinte, wenn das Ding im Frühjahr als Vogelscheuche in einem Gartenbeet dienen solle, so wolle er ihm gerne seine Reverenz machen, aber als Teil eines Anzugs für ein menschliches Wesen, einen Zulukaffer ausgenommen, mache sie ihn förmlich krank. Georg wurde ganz wild; aber Harris versetzte gleichmütig, warum er ihn denn gefragt habe, wenn er seine Meinung nicht hören möge.

Was Harris und mich selbst in bezug auf genanntes Kleidungsstück beunruhigt, das ist, daß wir befürchten müssen, die allgemeine Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Auch die Mädchen sehen in einem Boot ganz passabel aus, wenn sie hübsch angezogen sind. Nichts ist nach meiner Meinung pikanter als ein geschmackvolles Bootkostüm. Aber ein »Bootkostüm« – wenn die Damen das doch nur verstehen möchten! – muß doch ein Kostüm sein, das in einem Boot getragen werden kann und nicht bloß in einem Glasschrank. Es verdirbt euch den ganzen Spaß an dem Ausflug, wenn ihr Leute im Boot habt, die die ganze Zeit mehr an ihren Anzug denken als an die Bootfahrt. Ich hatte einmal das Unglück, mit zwei Damen dieser Art ein Picknick auf dem Wasser zu unternehmen. Ja, das war ein schönes Vergnügen! – Sie waren beide prächtig angezogen, alles voll Spitzen und Seidenzeug und Blumen und Bänder; dazu feine Stiefelchen und helle Handschuhe. Zu einer photographischen Aufnahme wären sie jedenfalls geeignet gewesen, aber nicht zu einer Wasserpartie. Die Kleider waren genau nach dem »Bootskostüm« eines französischen Modejournals angefertigt. Es war einfach lächerlich, in solchen Anzügen überhaupt in Luft-, Wasser- und Erdennähe zu kommen. Das erste war, daß sie behaupteten, das Boot sei nicht sauber. Wir stäubten nochmals alle Sitze für sie ab und versicherten ihnen dann, daß es nun gewiß sauber sei, aber sie glaubten es nicht. Eine von ihnen strich mit dem behandschuhten Finger über das Sitzkissen und zeigte der andern das Ergebnis: beide seufzten und setzten sich dann nieder wie die leidenden Knechte Gottes, die sich vor dem Martyrium durch Blicke gegenseitig Mut zusprechen. Man kann doch nicht umhin, beim Rudern dann und wann ein paar Tropfen Wasser umherzuspritzen, und da zeigte es sich denn, daß ein Tropfen Wasser diese Anzüge ruinierte; der Flecken war nicht wieder aus dem Kleid zu entfernen, sondern blieb zeitlebens darin.

Ich hatte die mittleren Ruder und tat mein möglichstes. Ich drehte die Ruder nur mit dem Handgelenk in einer Höhe von zwei Fuß und pausierte nach jedem Schlag, damit sie abtropfen konnten, ehe ich sie wieder eintauchte, und suchte mir zum frischen Einsatz ganz ruhiges glattes Wasser aus. Mein Hintermann sagte, als er mich so arbeiten sah, »er sei noch kein so erprobter Rudersmann, um es mit mir aufnehmen zu können, aber wenn ich es ihm erlaubte, möchte er etwas aussetzen, um meine Ruderart zu studieren«. Er sagte, es interessiere ihn so. Aber trotz alledem und alledem konnte ich nicht verhindern, daß dann und wann ein leichter Sprühregen jene Anzüge traf.

Die Damen klagten nicht; aber sie drückten sich mit festgeschlossenen Lippen ganz nah aneinander, und jedesmal, wenn sie von einem Tropfen Wasser getroffen wurden, zitterten sie am ganzen Körper und schauderten. Es war in der Tat ein erhabener Anblick, sie so als stille Dulderinnen vor mir zu sehen, aber es entnervte mich vollständig. Ich weiß wohl, daß ich zu zartfühlend bin. Ich geriet in immer stärkere Aufregung; und je mehr ich das Spritzen zu vermeiden suchte, um so weniger gelang es mir. Zuletzt gab ich es auf und sagte, ich wolle jetzt am Schnabel rudern. Mein Hintermann meinte auch, es werde wohl besser sein, und so wechselten wir die Plätze. Die Damen stießen einen unwillkürlichen Seufzer der Erleichterung aus, als sie mich gehen sahen, und lebten für einen Moment ordentlich auf. Arme Mädchen! Sie hätten lieber mich behalten sollen. Der Mann, der nun meinen Platz einnahm, war ein lustiger, sorgloser, dickköpfiger Bursche, der ungefähr so viel Gefühl im Leibe hatte wie ein junger Neufundländer. Man hätte ihn stundenlang mit Blicken durchbohren können, er hätte es gar nicht einmal bemerkt, und wenn er es bemerkt hätte, so wäre er dadurch auch nicht aus der Fassung gekommen. Er setzte stets mit einem herzhaften Schlag ins Wasser ein, durch den es sich wie eine Fontäne über das ganze Boot ergoß, so daß sämtliche Insassen in die Höhe schreckten. Und wenn er auf diese Weise mehr als ein Viertelliter Wasser über eines der Kleider ausgoß, dann konnte er ganz täppisch dazu lachen und sagen: »O, ich bitte sehr um Vergebung,« und sein Taschentuch anbieten, um es abzutrocknen.

»O, es tut nichts,« seufzten dann die armen Mädchen, zogen heimlich Decken und Mäntel über sich, und hielten ihre spitzenbesetzten Sonnenschirme vor, um sich gegen die Wasserschauer zu schützen.

Beim Gabelfrühstück hatten sie wieder Unglück über Unglück. Man setzte sich am Ufer ins Gras: aber das Gras war erdig, und die Baumstämme, an welche sie sich anlehnen sollten, schienen mehrere Wochen lang nicht abgebürstet worden zu sein. So zogen sie denn ihre feinen Batisttaschentücher heraus, breiteten sie auf dem Gras aus und setzten sich darauf, aufrecht wie Ladestöcke. Dann kam einer mit einer Beefsteakpastete vorbei und stolperte über eine Wurzel, so daß die Pastete in die Weite flog. Zum Glück wurden sie nicht davon getroffen, aber diese neue Gefahr, die ihnen drohte, machte sie noch nervöser, als sie durch das bisher ausgestandene Vergnügen bereits geworden waren; und wenn irgend jemand mit irgend etwas in der Hand, das fallen und eine Zerstörung anrichten konnte, hin- und herging, so bewachten sie seine Schritte mit angstvollen Mienen, bis er sich wieder niedergesetzt hatte. – »Nun denn, ihr Mädchen,« sagte nachher, als alles vorbei war, unser Freund, der zweite Rudersmann, »jetzt kommt nur mit; das Geschirrspülen ist euer Geschäft!«

Sie verstanden ihn zuerst nicht. Als sie endlich seine Meinung erfaßt hatten, meinten sie, sie wüßten nicht, wie man Geschirr abwasche.

»O, ich will es euch schon zeigen,« rief er. »Das ist ein Kapitalspaß! Ihr lehnt euch über das Ufer und schwenkt die Sachen im Wasser hin und her. Seht, so!«

Die ältere Schwester meinte, sie fürchte, ihre Kleider paßten nicht ganz zu diesem Geschäft. »O, das macht nichts,« meinte er gleichmütig, »steckt sie eben auf!«

Und wohl oder übel mußten sie sich dazu bequemen. »Denn«, sagte er, »ohne das wäre ein solches Picknick nur ein halber Spaß!« Und sie meinten, »ja, es sei sehr interessant!« – Wenn ich jetzt über die Geschichte nachdenke, so überkommt mich doch ein Zweifel, ob dieser junge Mann wirklich so dickköpfig war, als wir dachten oder ob er ...? Nein, unmöglich, er schaute ja so arglos, so unschuldig drein wie ein Kind!

Harris wollte bei der Kirche zu Hampton aussteigen, um das Grabmal der Frau Thomas anzusehen.

»Wer ist denn diese Frau Thomas?« fragte ich. »Wie kann ich denn das wissen?« erwiderte Harris. »Es ist eine Dame, der man einen kuriosen Grabstein gesetzt hat, den ich sehen muß.« Ich erhob Einsprache. Ich weiß nicht, wie es kommt – vielleicht, daß man mich in meiner Kindheit schief gewickelt hat – aber für Grabsteine kann ich mich nun einmal absolut nicht erwärmen.

Ich weiß wohl, wenn man ein Dorf oder ein Städtchen betritt, so gehört sich's, daß man gleich nach dem Kirchhof stürzt und sich an den Gräbern labt; aber diesen Genuß versage ich mir ganz konsequent; ich habe gar kein Interesse daran, bei frostigen, dunklen, alten Kirchen herumzustöbern und hinter einem hustenden alten Mann einherzugehen, um die Grabschriften zu entziffern. Nicht einmal eine in Stein eingelassene Messingplatte mit einer Inschrift kann mir das bieten, was ich wirkliche Glückseligkeit nenne.

Ich bringe ehrwürdige Totengräber zum Entsetzen durch den unzerstörbaren Gleichmut, den ich beim Lesen solcher Inschriften zu zeigen imstande bin, und durch meinen totalen Mangel an jeglichem Enthusiasmus für die Familiengeschichten der hier Begrabenen; und meine schlecht verhehlte Begierde, wieder hinauszukommen, verwundet ihre Gefühle aufs tiefste.

An einem strahlenden Sommermorgen lehnte ich einst an dem niederen Gemäuer, das eine kleine Dorfkirche umgab: ich rauchte meine Zigarre und sog mit tiefen Zügen die süße, ruhige Stille der ländlichen Umgebung in mich ein. Hier die altersgraue Kirche, von Efeu umsponnen, mit ihrer altertümlichen, geschnitzten Tür, dort das weiße Gäßchen, das sich zwischen Reihen hoher Ulmen hinabwand, während die Strohdächer der kleinen Häuschen des Dorfes über die wohlgepflegten Hecken hinauslugten, tiefer unten der silberne Strom, und jenseits die waldigen Hügel!

Es war eine liebliche Landschaft, idyllisch, poetisch – ich fühlte mich dichterisch angeregt und wurde von guten und edlen Gefühlen überkommen. Ich fühlte keine Lust mehr zu sündigen und schlecht zu sein. Ich nahm mir vor, hierher zu ziehen, niemals wieder etwas Böses zu tun, ein sündloses, reines Leben zu führen und dann im Alter ehrwürdiges, silberweißes Haar zu bekommen – lauter schöne Dinge. Ja! In diesem Augenblick vergab ich all meinen Freunden und Verwandten ihre gegen mich verübten Bosheiten und Schlechtigkeiten und segnete sie. Sie wußten freilich nicht, daß ich sie segnete. Sie trabten auf ihrem gottverlassenen Lebensweg weiter, unbewußt dessen, was ich in weiter Ferne für sie tat und gelobte. Aber ich tat es dennoch und wünschte nur, ich hätte sie es wissen lassen können, damit sie sich darüber hätten freuen mögen.

Wie ich mich nun solch edlen, erhabenen Gedanken hingab, wurde meine Träumerei auf einmal durch eine kreischende, ins Mark schneidende Stimme unterbrochen, die mich anrief: »Gleich, mein Herr! Gleich! Ich komm' ja schon! Ich komm' schon! Ja! 's ist ganz recht! Ich komm' schon! Pressieren Sie doch nicht so!«

Ich schaute auf und sah einen alten, kahlköpfigen Mann auf mich zuhumpeln; er hielt ein riesiges Schlüsselbund in der Hand, das bei jedem Schritt klapperte und rasselte.

Mit stiller Würde winkte ich ihm zu, sich zu entfernen, aber der Alte nahm keine Notiz davon, sondern fuhr fort zu krächzen: »Ja, ja! 's ist ganz recht, ich komm' ja schon! Ich bin eben nimmer so gut zu Fuß wie sonst! Da herüber, mein Herr, da herüber!«

»Trollt euch fort, alter Bursche!« sagte ich unwillig.

»Aber ich bin doch so geschwind gekommen, als ich hab' können, Herr! Meine Frau hat Sie eben in der Minute erst gesehen. Kommen Sie nur mit, Herr!«

»Macht, daß ihr fortkommt!« wiederholte ich, »sonst klettere ich über die Mauer und schlage euch tot!«

Er schien erstaunt. »Ja, wollen Sie denn nicht die Gräber sehen?« fragte er.

»Nein!« antwortete ich ihm, »das will ich nicht. Ich will hier stehen und mich an diese alte verfallene Mauer lehnen. Geht fort und laßt mich in Ruhe. Ich bin gestopft mit schönen und edlen Gedanken und will sie festhalten, weil sie mich schön und gut dünken! Kommt mir nicht mit eurem Kram, sage ich euch, macht mich nicht wütend und verjagt mir nicht alle meine guten und schönen Gefühle mit eurem Grabsteinunsinn! Geht fort und seht, daß ihr jemand auftreibt, der euch um ein Billiges begräbt, dann will ich die Hälfte der Begräbniskosten bezahlen!«

Einen Augenblick war der Alte ganz starr. Er rieb sich die Augen und glotzte mich an. Äußerlich erschien ich ihm ohne Zweifel noch so ziemlich ein Mensch, – aber er konnte nicht klug aus mir werden. Er sagte: »Sie sind wohl ein Fremder, leben nicht hierzulande?«

»Nein,« sagte ich, »ich lebe nicht hier. Ihr würdet es auch nicht wünschen.«

»Ei,« sagte er darauf, »so müssen Sie doch die Gräber, die Grabsteine sehen. Man hat hier Leute begraben, wissen Sie, hier gibt's Särge!«

»Ihr seid ein Ungläubiger!« rief ich empört. »Ich will keine Gräber sehen, wenigstens nicht eure Gräber! Warum sollte ich auch? Wir haben unsere eigenen Gräber, unsere Familiengräber. Da ist mein Onkel Podger, der hat eine Grabstätte auf dem Kensal Green Kirchhof, die der Stolz der ganzen Gegend ist, und meines Großvaters Grabmal in Bow kann acht Bewohner fassen, und meine Großtante Susanne hat eine gemauerte Grabstätte im Friedhof zu Finchleg mit einem Grabstein, worauf etwas wie ein Kaffeetopf als Basrelief ausgehauen ist, mit einer Einfassung von sechs Zoll dickem Marmor, die viele Pfund Sterling gekostet hat. Wenn ich Gräber sehen will, so gehe ich dahin und vergnüge mich dort. Ich brauche anderer Leute Gräber nicht! Wenn ihr selbst einmal begraben seid, will ich kommen und euer Grab sehen; das ist alles, was ich für euch tun kann.«

Der Alte brach in Tränen aus. Er sagte, eines von den Gräbern habe zu Häupten einen Stein, von dem jemand gesagt habe, es sei wahrscheinlich ein Stück einer menschlichen Figur, und auf einem andern Stein seien Worte eingegraben, die noch kein Mensch habe entziffern können. Aber auch das rührte mich nicht; mit herzbrechendem Tone fragte er nun: »So wollen Sie auch nicht mitkommen und das Gedächtnisfenster sehen?«

Ich wollte auch das nicht sehen. Da verschoß er sein letztes Pulver. Er kam näher auf mich zu und flüsterte heiser: »In der Krypta drunten habe ich ein paar Schädel, die müssen Sie sehen. Kommen Sie nur und sehen Sie sich die an! Sie sind doch ein junger Mann und wollen sich einen lustigen Sonntag machen! So kommen Sie und sehen Sie sich die Schädel an!«

Jetzt wandte ich mich und floh davon. Er aber rief mir noch immer nach: »Kommen Sie zurück und sehen Sie sich die Schädel an!«

Harris dagegen schwärmt für Gräber, Grabsteine, Grabschriften und merkwürdige Inschriften, und der Gedanke, daß er das Grab der Frau Thomas nicht sehen sollte, machte ihn ganz kratzbürstig. Er sagte, er habe die Besichtigung schon in Aussicht genommen, als wir zuerst unsere Wasserfahrt besprochen hatten; ja, er behauptete, er würde gar nicht daran teilgenommen haben, wenn er nicht gedacht hätte, daß er bei dieser Gelegenheit das Grab der Frau Thomas zu sehen bekäme.

Ich rief ihm unsern Georg ins Gedächtnis und erinnerte ihn daran, daß wir das Boot bis fünf Uhr nach Shepperton zu bringen hätten, um dort mit Georg zusammenzutreffen; da fing er an auf Georg zu schimpfen: »Was braucht denn Georg den ganzen Tag herumzulungern, so daß wir uns allein mit diesem verdammt schweren Boot abschinden müssen, um es den Fluß hinaufzuschaffen und richtig mit ihm zusammenzutreffen? Warum konnte Georg nicht kommen und auch etwas schaffen? Warum hatte er sich nicht für den Tag freimachen können, um zugleich mit uns die Fahrt anzutreten? Zum Teufel mit der Bank! Zu was ist er überhaupt auf der Bank nütze? Ich habe ihn dort noch nie etwas arbeiten sehen,« fuhr Harris fort, »so oft ich dahin gehe. Er sitzt den ganzen Tag hinter einem Glasfenster und gibt sich die Miene, als tue er etwas. Was nützt einem denn ein Mann hinter einem Glasfenster? Ich muß mir meinen Lebensunterhalt durch sauere Arbeit verdienen! Warum kann er nicht auch arbeiten? Wozu ist er nütze auf der Bank, und wozu sind Banken überhaupt nütze? Sie nehmen euch euer Geld ab, und wenn ihr dann einen Scheck einlösen wollt, so senden sie ihn euch zurück, ganz vollbeschmiert mit Worten wie: ›Keine Zahlung – zurück an den Aussteller!‹ Was kann denn das nützen! Einen solchen Streich haben sie mir letzte Woche zweimal gespielt; das ertrage ich nicht mehr lange, ich werde meine Einlagen zurücknehmen und mit der Bank abbrechen! Ja, wenn Georg jetzt da wäre, so könnten wir nun dieses Grabmal sehen. Ich glaube überhaupt gar nicht, daß er auf der Bank ist! Er wird irgendwo herumstrolchen, das wird seine ganze Beschäftigung sein! Jawohl! Und uns überläßt er inzwischen die ganze Arbeit mit dem vertrackten Boot. Ich gehe hinaus, ich muß eins trinken!«

Ich bedeutete Harris, daß wir dermalen verschiedene Meilen von einem Wirtshause entfernt seien; da warf er seinen Haß auf den Fluß! »Wozu denn solch ein Fluß nütze sei, und ob denn alle, die ihn befahren, dazu verdammt sein müßten, vor Durst umzukommen?«

Wenn Harris in diese Stimmung gerät, so ist es immer das beste, ihn gewähren zu lassen. Dann pumpt er sich leer und wird wieder ruhig. Ich erinnerte ihn daran, daß wir ja im Korbe kondensierte Limonade hätten, sowie einen Maßkrug Wasser im Vordersteven des Boots, und daß man diese zwei Stoffe nur zu mischen brauche, um einen kühlen, erfrischenden Trunk herzustellen.

Da fing er an, über Limonade und derartiges Sonntagsschulgeläpper, wie er es nannte, loszuziehen, über Ingwerwein, Himbeersaft usw. Er meinte, all das Zeug verursache nur Magenverstimmung und verderbe Leib und Seele gleicherweise; die Hälfte all der Verbrechen, die in Kapland verübt würden, kämen auf ihre Rechnung. Er müsse nun aber absolut etwas zu trinken haben; mit diesen Worten kletterte er nach dem Vordersteven hinüber und suchte nach der Flasche. Sie war natürlich wieder zuunterst im Korb und schien etwas Schwierigkeiten machen zu wollen, und er mußte sich immer tiefer über den Korb beugen. Da er zu gleicher Zeit auch steuern wollte und über seinem Kramen im Korbe die Aussicht verloren hatte, steuerte er in der falschen Richtung, so daß das Boot ans Ufer anfuhr und einen Stoß empfing, der ihn kopfüber in den Korb hineinwarf. Während er die Beine gen Himmel streckte, hielt er sich wie der grimme Tod mit den Händen an beiden Seiten des Bootes fest und wagte nicht, sich zu rühren, aus Furcht, vollends über Bord zu fallen; in dieser Stellung mußte er bleiben, bis ich herangekommen war, ihn an den Beinen ergriff und zurückzog, was ihn natürlich noch wilder machte, als er ohnehin schon war.

*


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