Jerome Klapka Jerome
Drei Mann in einem Boot
Jerome Klapka Jerome

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dann erörterten wir die Proviantfrage. Georg meinte: »Beginnen wir mit dem Frühstück. (Georg ist so praktisch.) Zum Frühstück müssen wir eine Bratpfanne haben.« Harris meinte, Bratpfannen seien schwer verdaulich, wir erwiderten ihm bloß, er solle kein Esel sein, und Georg fuhr fort: »Wir brauchen ferner einen Teetopf, außerdem einen Kessel und einen Spiritusapparat.«

»Kein Erdöl,« sagte Georg mit einem bedeutungsvollen Blick, und Harris und ich stimmten zu. Einmal hatten wir uns eines Erdölherds bedient, aber »einmal und nicht wieder«. Die ganze Woche durch war es, als hausten wir in einem Erdölmagazin. Es floß. Es gibt gewiß auf der ganzen Welt kein heimtückischeres Naß, das so leicht durchsickert wie Petroleum. Wir hatten den Herd beim Schnabel des Boots aufgestellt, von da floß es herab zu den Rudern und drang in alles ein, was es auf seinem Wege antraf, ergoß sich in den Fluß und verpestete weit und breit die ganze Atmosphäre. Manchmal kam ein nach Erdöl duftender Wind von Westen, manchmal von Osten und ebenso von Nord und Süd. Ob er nun von den arktischen Schneefeldern oder über den Sand der Wüsten herstrich, immer duftete er nach Petroleum. Und dieser verdammte Duft verdarb uns den Sonnenuntergang, und – verflucht! – selbst der Mondschein roch nach Erdöl.

In Marlow suchten wir aus seinem Bereich zu kommen. Wir verließen unser Boot an der Brücke und machten einen Spaziergang durch die Stadt, um den Geruch loszuwerden; aber es half nichts; er folgte uns. Die ganze Stadt roch nach Erdöl. Wir gingen über den Kirchhof; es schien, als ob man die Toten hier mit Petroleum einbalsamiere. Die Hohe Straße stank danach. Wir wunderten uns, wie die Leute das auf die Länge aushielten. Dann gingen wir stundenweit zu Fuß, Birmingham zu, aber es half uns nichts; die ganze Gegend war in Erdöl getaucht. Am Ende dieser Exkursion kamen wir um Mitternacht unter einer hohlen Eiche auf einem einsamen Felde zusammen, und da wurde nun das Petroleum feierlich verflucht (die ganze Woche hatten wir über die Sache nur in unserer gewöhnlichen, sanftmütigen Weise geflucht), aber jetzt ging dem Faß der Boden aus! Wir taten also einen feierlichen Schwur, niemals wieder Petroleum in einem Boot mitzunehmen, ausgenommen natürlich in einem Krankheitsfalle. Für den gegenwärtigen Fall beschränkten wir uns demgemäß auf einen Spiritusapparat. Das ist ja gewiß nicht das beste auf der Welt! Pasteten und Kuchen werden nach Spiritus schmecken, aber Spiritus ist – wenn auch in beträchtlicher Quantität genossen – immer noch zuträglicher für den Magen als Erdöl.

Außerdem schlug Georg zum Frühstück Eier und Schinken vor, die leicht zu kochen seien, ferner kaltes Fleisch, Teebrot, Butter und Eingemachtes. Zum Gabelfrühstück, meinte er, könnten wir Biskuit, kaltes Fleisch, Butterbrot und Eingemachtes verzehren, aber ja keinen Käse. Der Käse ist wie's Petroleum zu aufdringlich. Das ganze Boot beherrscht er. Durch den Korb dringt er und macht, daß alles andere nach Käse schmeckt. Man kann nicht mehr unterscheiden, ob man Apfeltorte oder Braunschweiger Würste oder Erdbeeren mit Rahm unter den Zähnen hat. Es schmeckt alles wie Käse. In der Tat, Käse verbreitet einen zu starken Wohlgeruch!

Ich erinnere mich eines Freundes, der einmal in Liverpool ein paar Käselaibe gekauft hatte. Prächtige Käse waren es, reif und mild, und mit ca. 200 Pferdekraft-Geruch ausgestattet. Und man hätte dafür garantieren können, daß sie drei Meilen weit rochen und einen Menschen auf 200 Meter Entfernung noch umgeworfen hätten. Ich hielt mich damals gerade in Liverpool auf; da sagte mein Freund zu mir, wenn er mich damit beschweren dürfe und es mir nichts ausmache, so möchte er mich bitten, sie mit mir nach London zu nehmen, da er erst in ein oder zwei Tagen zurückreise und fürchte, die Käse würden sich nicht länger halten.

»O, mit Vergnügen, lieber Junge,« sagte ich, »mit dem größten Vergnügen.«

Nachher fuhr ich in einer Droschke bei ihm vor, um die Käse in Empfang zu nehmen. Die Droschke war eine alte Mausefalle, gezogen von einem Hinkegaul, einem abgehetzten, schläfrigen Klepper, den sein Herr ein Pferd zu nennen beliebte. Ich placierte die Käse zum übrigen Gepäck aufs Kutschendach, und fort ging's, so eilig wie mit der Schneckenpost, bis wir um eine Ecke bogen; da blies der Wind plötzlich unserer Stute den Käsegeruch unter die Nase. Der hauchte ihr auf einmal Leben ein, so daß sie, vor Schrecken schnaubend, mit einer Schnelligkeit von drei Meilen in der Stunde davonjagte. Der Wind blies indessen in derselben Richtung fort, und ehe wir das Ende der Straße erreichten, hatte der Gaul schon eine Geschwindigkeit von vier Meilen in der Stunde erreicht; und während er es früher kaum mit Krüppeln und korpulenten alten Damen hatte aufnehmen können, ließ er die jetzt stolz weit hinter sich zurück.

An der Station angekommen, bedurfte es zweier Schaffner und des Kutschers, um ihn anzuhalten, und ich glaube nicht, daß sie, obgleich ihrer drei, damit zustande gekommen wären, hätte nicht einer der Männer die Geistesgegenwart gehabt, sein Sacktuch über die Nase des Gauls zu binden und etwas Räucherpapier anzuzünden.

Ich nahm ein Billett und marschierte mit meinen Käsen stolz auf dem Perron auf und ab. Das Publikum wich mir respektvoll aus. Der Zug wurde sehr voll, und ich kam in ein Kupee, in welchem sich bereits sieben andre Personen befanden. Ein alter, mürrischer Herr erhob Einspruch, aber ohne Erfolg; ich placierte meine Käse oben auf das Netz, klemmte mich dann mit verbindlichem Lächeln zwischen zwei Insassen und machte eine Bemerkung über das warme Wetter. Nach einer Weile wurde der alte Herr unruhig. »Die Luft ist hier sehr dumpf,« sagte er. »Zum Ersticken!« meinte der Mann neben ihm. Dann begannen beide zu schnüffeln, und als sie Lunte rochen, nahmen sie, ohne weiter ein Wort zu verlieren, ihre Sachen und gingen hinaus.

Dann erhob sich eine umfangreiche Dame mit der Bemerkung, es sei eine Schande, wenn eine ehrbare, verheiratete Frau auf diese Weise ausgetrieben werde, – nahm ihren Reisesack und acht Pakete zu sich und ging ebenfalls hinaus.

Die übrigen vier Mitreisenden blieben noch eine Weile sitzen, bis ein feierlich aussehender Herr – nach seinem Anzug und seinem Gebaren war er Totengräber – den Ausspruch tat, der Geruch hier erinnere ihn an Kindesleichen! Da rissen nun die drei anderen Passagiere mit solchem Ungestüm aus, daß sie sich gegenseitig ernstliche Verletzungen beibrachten. Jetzt wandte ich mich lächelnd an den schwarzen Herrn mit dem Bemerken, es scheine mir, als sollten wir das Kupee allein für uns haben; er lachte geschmeichelt und meinte, es sei sonderbar, wie doch manche Leute aus einer Kleinigkeit gleich eine Geschichte machen könnten. Aber auch dieser mein letzter Mitreisender wurde nach einer Weile sonderbar schwermütig gestimmt, so daß ich, als wir die Station Crewe erreicht hatten, ihn fragte, ob er nicht mit mir kommen und etwas zu sich nehmen wolle? Er nahm das an, wir erzwangen uns den Durchgang zum Büfett, wo wir lärmten und stampften und mit dem Regenschirm winkten, bis endlich nach einer Viertelstunde eine junge Dame kam und fragte, ob wir etwas wünschten. »Was nehmen Sie?« fragte ich meinen Reisegefährten. »Für 2,50 Mark Brandy, aber guten, Fräulein!« antwortete er, trank ihn, ging fort und setzte sich in ein anderes Kupee. Das kam mir denn doch gemein vor. Von Crewe an war ich Alleinbesitzer des Kupees, obschon der Zug ganz vollgepfropft war. An den verschiedenen Stationen war das Publikum, das mein Kupee beinahe leer sah, stets bereit, darauf loszustürzen. »Komm hierher, Maria, da ist noch Platz übrig.« – »Ja, ja, Thomas, da wollen wir hinein,« riefen sie dann wohl aus, rannten herzu mit ihren schweren Gepäckstücken und kämpften an der Wagentür um den Vortritt, bis jemand sie öffnete und einstieg, aber auch sofort in die Arme seiner Hintermänner fiel; und so kamen sie alle nacheinander und nahmen eine Nase voll; dann rafften sie eiligst ihre Siebensachen auf und drängten sich in andere Waggons, oder bezahlten die Differenz für die erste Klasse nach.

Von der Euston-Station brachte ich die Käse in meines Freundes Haus. Als dessen Frau in das Zimmer trat, witterte sie einen Augenblick nach der Ursache des Geruchs; dann sagte sie:

»Was ist geschehen? Sagen Sie mir das Schlimmste! Nur schnell.«

Ich erwiderte ihr: »Es ist Käse! Tom, Ihr Gatte, kaufte ihn in Liverpool und ersuchte mich, ihn nach Hause zu bringen.«

Und ich fügte hinzu, sie werde gewiß einsehen, daß ich unschuldig daran sei; worauf sie mir die beruhigende Versicherung gab, sie glaube das gerne, aber sie werde mit Tom darüber sprechen, wenn er heimkomme.

Aber mein Freund wurde wider Erwarten lange in Liverpool aufgehalten; und drei Tage später, da er noch immer nicht zurück war, kam seine Frau zu mir und fragte: »Was sagte denn Tom betreffs dieser Käse?« Ich erwiderte ihr, daß er befohlen habe, man solle sie an einen etwas feuchten Ort bringen, aber sonst nicht daran rühren. »O! es wird nicht leicht jemand daran rühren,« erwiderte sie; »hat Tom daran gerochen?« »Ich denke wohl,« sagte ich, »er schien sehr dafür eingenommen.«

»Glauben Sie,« fragte sie mich nun, »daß er sehr aufgebracht sein würde, wenn ich einem armen Teufel einen Sovereign gäbe, damit er sie fortschaffe und begrabe?«

Ich entgegnete ihr, da würde sie wohl nie wieder ein Lächeln von ihm zu sehen bekommen. Da schoß ihr plötzlich ein Gedanke durch den Kopf. »Würde es Ihnen etwas ausmachen,« fragte sie, »sie für Tom aufzubewahren? Lassen Sie mich sie Ihnen zusenden!«

»Madame,« antwortete ich, »was mich selbst anbetrifft, so mache ich mir nichts aus dem Käsegeruch, und meiner Reise mit den Käsen von Liverpool hierher werde ich mich zeitlebens mit Vergnügen erinnern, wie an das würdige Finale eines schönen Theaterstücks. Aber in dieser Welt müssen wir immer und überall auf andere Rücksicht nehmen. Die Dame, unter deren Dach ich zu wohnen die Ehre habe, ist eine Witfrau und, wie ich glaube, noch überdies eine Waise. Sie hat einen starken, ich kann sagen, beredten Widerwillen gegen alles, was sie eine Zumutung nennt. Die Gegenwart der Käse Ihres Herrn Gemahls würde ihr, das fühle ich instinktiv, als eine nicht geringe Zumutung erscheinen; und man soll niemals von mir sagen können, daß ich die Witwen und Waisen bedränge.« »Nun gut,« sagte meines Freundes Frau, indem sie sich erhob, »alles, was ich jetzt noch zu sagen habe, ist dies: Ich nehme die Kinder und ziehe mit ihnen in ein Hotel, bis diese Käse gegessen sind. Ich erkläre feierlich, daß ich nicht länger mit diesen Käsen unter einem Dache leben will.«

Sie hielt Wort und überließ die Aufsicht über ihr Haus der Reinmachefrau, die auf die Frage, ob sie den Geruch ertragen könne, antwortete: »Was für einen Geruch?« Und als sie dicht zu den Käsen geführt wurde, um daran zu riechen, meinte sie, sie rieche etwas wie Melonen. Man schloß daraus, daß der Käsegeruch dieser Frau keinen großen Schaden bringen könne. Die Hotelrechnung kam auf 315 Mark zu stehen; somit fand mein Freund, als er alles zusammenrechnete, daß die Käse ihm ca. 8,50 Mark das Pfund gekostet hatten. Er sagte, er esse zu gern zuweilen ein Stückchen Käse, aber das gehe über seine Mittel; so entschloß er sich denn, sich der Käse zu entledigen. Er warf sie in den Kanal, mußte sie aber wieder herausfischen lassen, da die Leute in den Kohlenschleppern sich beklagten. Sie sagten, sie würden halb ohnmächtig von dem Geruch. Hierauf brachte er sie in einer dunklen Nacht auf den Kirchhof. Aber der Leichenschauer entdeckte sie und machte ihretwegen ein furchtbares Aufheben. Er behauptete, das sei ein Komplott, durch welches man ihn um Amt und Brot bringen wolle, da der heillose Geruch ja die Toten auferwecken müßte.

Zuletzt wurde mein Freund sie los, indem er sie nach einem kleinen Seebade brachte und dort im Ufersand vergrub. Der Ort erwarb sich dadurch einen gewissen Ruf. Die Besucher bemerkten, daß die Luft früher nie solch starkwürzigen Seegeruch gehabt habe wie jetzt, und schwachbrüstige und lungenkranke Leute drängten sich jahrelang dahin.

So sehr ich nun auch Käse mag, so stimmte ich doch mit Georg überein, lieber darauf zu verzichten. »Wir brauchen auch keinen Tee!« sagte Georg, – Harris machte ein langes Gesicht – »aber wir wollen um sieben Uhr abends eine nach allen Kanten regelrechte Mahlzeit haben, eine Mahlzeit, die zugleich Mittagessen, Nachmittagstee und Abendessen ist.

Jetzt heiterte sich Harris' Gesicht wieder auf. Georg empfahl noch Braten und Obstpasteten, kalten Braten mit Tomaten, Früchte und Gemüse. Als Getränk würden wir den wunderbaren, klebrigen Extrakt mitnehmen, den Harris fabriziert hatte, welchen man nur mit Wasser zu mischen brauchte, um Limonade daraus zu machen. Dann viel Tee und überdies eine große Flasche Whisky für den Fall, wie Georg sagte, daß wir umkippen sollten.

Es schien mir, Georg berührte diesen Punkt, das Umkippen, etwas zu oft; es dünkte mir dies ein böses Omen und eine Herausforderung des Schicksals. Bei alledem war ich froh über den Whisky.

Wein und Bier wollten wir nicht mitnehmen. Bei einer Fahrt den Fluß hinauf wäre so etwas ein Mißgriff. Man wird dadurch so schläfrig und faul. Wenn man abends in der Stadt umherschlendert und nach den Mädchen ausschaut, da ist ein Gläschen ganz am Platze; aber meidet es, wenn euch die Sonne auf den Kopf scheint oder wenn ihr schwere Arbeit vorhabt!

Nun machten wir eine Liste von all den Sachen, die wir mitzunehmen beschlossen hatten, – sie wurde allerdings ziemlich länglich; – hierauf schieden wir für den Abend. Am andern Tag, es war ein Freitag, trugen wir dann alles zusammen, und am Abend trafen wir uns wieder, um zu packen. Zu den Kleidern schafften wir uns einen großen Gladstonekoffer an, dazu ein paar Körbe für die Lebensmittel und die Kochgeräte. Wir stellten unsern Tisch gegen das Fenster und legten auf dem Stubenboden all die Sachen auf einen Haufen zusammen; hierauf setzten wir uns ringsherum und schauten ihn an. Dann erklärte ich, ich wolle packen.

Ich bin etwas stolz auf meine Fertigkeit im Packen, müßt ihr wissen. Das Packen ist eine Kunst, welche ich nach meinem Dafürhalten besser verstehe als sonst irgendeine lebende Seele. (Ich erstaune oft selbst, wie viele Leute es gibt, die genau dasselbe meinen!) Ich suchte diese Tatsache Georg und Harris begreiflich zu machen und versicherte ihnen, sie würden besser daran tun, dies Geschäft gänzlich mir zu überlassen. Sie gingen auf diesen Vorschlag mit einer Bereitwilligkeit ein, die beinahe unhöflich war. Georg stopfte sich eine Pfeife und machte sich's auf dem Schaukelstuhl behaglich, und Harris streckte seine Beine auf den Tisch und brannte sich eine Zigarre an.

Das war nun gewiß nicht meine Meinung gewesen. Ich wollte bei dem Geschäft nur die Oberaufsicht führen, und Harris und Georg sollten nach meiner Anleitung die Sache machen; ich würde sie dann ab und zu auf die Seite schieben mit dem Ausruf: »Geh' doch nur weg und laß mich das machen! Da schau' her, das ist doch gar nicht so schwer usw.« Auf diese Art hatte ich sie unterweisen wollen. So wie sie aber die Sache verstanden, war es mehr als ärgerlich. Ja! Nichts kann mich mehr ärgern, als wenn andere Leute mir zusehen, wie ich mich abarbeite. Ich lebte einst mit einem Menschen zusammen, der mich auf diese Weise bald aus dem Häuschen gebracht hätte. Er pflegte sich auf dem Sofa auszustrecken, mir stundenlang bei der Arbeit zuzusehen und mich mit den Augen bis in die entfernteste Ecke zu verfolgen. Er sagte, es tue ihm in der Seele wohl, mit anzusehen, wie ich in der kürzesten Frist ein Chaos um mich her verbreite. Dabei werde es einem so recht klar, daß das Leben denn doch kein eitler Traum sei, zum Durchgähnen oder Durchseufzen bestimmt, sondern eine edle Aufgabe voll ernster und schwerer Pflichten. Ja, er wundere sich heute, wie er vordem, ehe er mich gekannt habe, den Tag habe hinbringen können, ohne jemand zu haben, dem er hätte bei der Arbeit zusehen können.

Ich gehöre nun nicht zu dieser Sorte Menschen, ich kann nicht stillsitzen und einen andern Menschen wie einen Sklaven sich schinden sehen. Ich muß aufstehen und, die Hände in den Taschen, um ihn herumgehen und ihm sagen, wie und was er tun soll. Ich mache mir kein Verdienst daraus. Ich kann einmal nicht anders. So verlangt es eben meine energische Natur.

Indessen sagte ich nichts zu dem Gebaren meiner Kameraden, sondern arbeitete vorwärts; das Ding dauerte indessen länger, als ich zuvor gedacht hatte; zuletzt aber brachte ich es denn doch fertig, setzte mich auf den Koffer und schnallte ihn zu.

»Willst du denn die Stiefel nicht auch einpacken?« fragte mich jetzt Harris. Ich schaute umher und überzeugte mich, daß ich sie vergessen hatte. Das sieht Harris ähnlich. Er hatte natürlich kein Wort vorher sagen können, ehe ich den Koffer geschlossen und zugeschnallt hatte. Und Georg lachte! – Es war solch ein zur Wut reizendes, unsinniges, unbändiges, unauslöschliches Lachen, eines, das mich ganz rabiat machen kann!

Ich öffnete den Koffer noch einmal und packte die Stiefel hinein. Wie ich im Begriff war, ihn wieder zu schließen, kam mir der schreckliche Zweifel, ob ich auch meine Zahnbürste eingepackt habe. Ich weiß nicht, wie es kommt, aber es ist einmal so – niemals kann ich mich erinnern, ob ich meine Zahnbürste eingepackt habe oder nicht. Meine Zahnbürste ist ein Geschöpf, das mich wie ein böser Geist verfolgt, wenn ich auf Reisen bin, und mir das Leben verbittert. Es träumt mir mitten in der Nacht, daß ich vergessen habe, sie einzupacken; ich wache auf, in kaltem Schweiß gebadet, stehe auf und mache Jagd nach ihr. Am andern Morgen packe ich sie dann ein, ehe ich sie gebraucht habe, und nun darf ich sie wieder auspacken; gewiß ist sie dann bis zuunterst im Koffer und das letzte Stück, das ich auspacke. Dann packe ich wieder, nachdem ich Toilette gemacht habe, und vergesse nun richtig, sie wieder einzupacken, und im letzten Augenblick fällt mir's ein; dann muß ich noch einmal die Treppe hinaufrennen und muß sie, in mein Taschentuch eingewickelt, mit nach dem Bahnhof nehmen. Natürlich mußte ich auch im jetzigen Fall wieder den ganzen Kram auspacken, und natürlich war sie trotzdem nicht drin. Jetzt rumorte ich die Sachen in einer Weise untereinander, daß sie in einen Zustand kamen, in welchem sie wohl vor Erschaffung der Welt, als noch das Chaos regierte, gewesen sein mögen. Natürlich kamen mir Harris und Georgs Bürsten wohl zwanzigmal unter die Hände, aber die meine konnte ich nicht finden. Ich nahm ein Stück um das andere in die Hände, hielt's in die Höhe und schüttelte es – da kam sie zuletzt aus einem Stiefel heraus. Dann packte ich noch einmal zusammen.

Als ich damit wieder fertig war, fragte Georg, ob auch die Seife drin sei, worauf ich ihm erwiderte, ich schere mich den Henker darum, ob die Seife eingepackt sei oder nicht; dabei schlug ich den Koffer zu und schnallte ihn fest. Dann fand sich's, daß ich meinen Tabaksbeutel eingepackt hatte, und so mußte ich noch einmal auspacken. Endlich um zehn Uhr fünf Minuten abends schloß und schnürte ich den Koffer zum unwiderruflich letztenmal.

Dann waren noch die Körbe zu packen. Harris meinte, in nicht ganz zwölf Stunden sollte ja wohl unsere Abreise vor sich gehen; daher wäre es doch angezeigt, wenn er und Georg das übrige vollends besorgten. Ich erklärte mich damit einverstanden, setzte mich nieder, und nun kam an sie die Reihe.

Die beiden machten sich an die Arbeit, als ob es nur ein Kinderspiel wäre, und wollten mich augenscheinlich belehren, wie man den Rummel machen müsse. Ich machte weiter keine Bemerkung darüber, sondern saß ganz still und wartete. Ich weiß, wenn Georg einmal gehenkt sein wird und Harris allein noch übrig, dann stellt sich heraus, wie miserabel der sich aufs Packen versteht. Und so schaute ich denn auf die Haufen von Tellern und Tassen, von Kesseln und Flaschen und Krügen, von Pasteten und Kochtöpfen, von Törtchen, Tomaten usw. in dem sichern Vorgefühl, daß die Sache nun bald recht anregend zu werden verspreche. Und das wurde sie. Meiner Freunde erstes Geschäft war, eine Tasse zu zerbrechen. Dann setzte Harris das Glas mit den eingemachten Erdbeeren auf eine Tomate und drückte sie zu Brei zusammen; da mußten sie die Tomate mit einem Teelöffel wieder herausscharren.

Dann wollte Georg sich nützlich machen und trat aus Versehen auf die Butter. Ich sagte kein Wort, sondern rückte nur etwas näher, setzte mich auf die Ecke des Tisches und schaute ihrem Treiben zu. Das ärgerte sie weit mehr, als wenn ich sie ausgelacht hätte; ich fühlte es wohl. Ich merkte, daß sie dadurch nervös und aufgeregt wurden; denn sie traten auf dies und jenes, stellten die Sachen einmal da- und einmal dorthin, und konnten natürlich nie etwas finden. Sie packten die Pasteten zuunterst in die großen Körbe, setzten schwere Körbe und Schüsseln darauf, so daß die armen Pasteten wie eingestampft unten lagen. Die Salzdüte lief aus und ergoß ihren Inhalt über alles Eßbare, und was die Butter betrifft, – mein Gott, niemals sah ich zwei Menschen mit einem Pfündchen Butter mehr Unsinn treiben als diese beiden. Als Georg sie endlich von seinem Pantoffel losgebracht hatte, versuchte er, sie in den Teekessel zu stopfen. Aber sie wollte nicht hinein, und was schon darin war, das wollte nicht wieder heraus. Endlich kratzten sie sie doch heraus und legten sie auf einen Stuhl; Harris setzte sich darauf, da klebte sie ihm an den Hosen – und dann suchten sie sie in allen Ecken.

»Ich will einen feierlichen Eid darauf ablegen,« sagte Georg, den leeren Stuhl anstarrend, »daß ich sie auf diesen Stuhl hier gelegt habe!« »Ich sah es,« sagte Harris, »mit meinen eigenen Augen; es ist noch keine Minute her.«

Dann stöberten sie noch einmal in allen Ecken herum, kamen nach vergeblicher Suche in der Mitte des Zimmers wieder zusammen und starrten einander an.

»Das ist doch die sonderbarste Geschichte, von der ich jemals gehört habe,« sagte Georg.

»Es ist eine mysteriöse Geschichte,« meinte Harris. Dann kam Georg zufällig hinter Freund Harris zu stehen und entdeckte sie.

»Ei, da hat sie ja die ganze Zeit über geklebt!« rief er voll gerechter Entrüstung aus. »Wo?« ruft Harris, indem er sich im Kreise dreht. »So steh' doch still!« brüllt Georg ihn an. »Kannst du nicht einen Augenblick stille stehen?« Endlich brachten sie sie los und packten sie in den Teetopf.

Bei der ganzen Affäre war natürlich Montmorency auch beteiligt. Sein Ehrgeiz läuft darauf hinaus, einem überall im Wege zu sein und angefahren zu werden. Wenn er sich irgendwo hindrücken kann, wo man ihn am wenigsten braucht, wo er einen hinten und vorne hindert, so daß man toll werden möchte und ihm, was einem gerade unter die Hände kommt, an die Rippen wirft, dann ist er glücklich und mit sich selbst zufrieden, dann meint er, der Tag sei für ihn nicht verloren. Wenn er es dahin bringt, daß jemand über ihn stolpert und eine geschlagene Stunde über ihn flucht, dann ist sein höchstes Ziel erreicht, dann ist er stolz wie ein Spanier. Er kommt heran und setzt sich auf Sachen, die man gerade einpacken will; denn er trägt sich augenscheinlich mit der fixen Idee, daß, wenn auch immer Harris und Georg die Hand nach etwas ausstrecken, es nur seiner kalten feuchten Nase gelte. Er steckte seine Pfote in die Marmelade, spielte und nagte an den Teelöffeln, glaubte, die Zitronen seien Ratten, fuhr in den Korb und tötete drei davon, ehe Harris ihm mit der Bratpfanne eins versetzen konnte.

Fünfzig Minuten nach Mitternacht war die Packerei vollbracht; Harris, auf dem großen Korb thronend, meinte, hoffentlich sei nichts zerbrochen, worauf ihm Georg erklärte, wenn etwas zerbrochen sei, dann sei es zerbrochen; mit welcher tiefsinnigen Erklärung er sich denn auch zu beruhigen schien. Ferner bemerkte er, daß es ihn jetzt nach Nachtruhe verlange. Harris sollte heute nacht bei uns schlafen, und so gingen wir hinauf nach dem Schlafzimmer. Georg fragte uns: »Um wieviel Uhr soll ich euch Burschen morgen früh denn wecken?« Harris sagte: »Um sieben Uhr.« Ich meinte: »Nein, um sechs,« weil ich noch einige Briefe zu schreiben hatte. »Wecke uns um halb sieben, Georg!« sagten wir nach längerem Streit. Georg aber gab keine Antwort mehr, und wir fanden, daß er schon seit einer Weile fest geschlafen haben mußte; so stellten wir ihm denn die Badewanne derart vor das Bett, daß er morgens beim Aufstehen hineinplumpsen mußte, und dann legten wir uns ebenfalls zur Ruhe.

*


 << zurück weiter >>