Jerome Klapka Jerome
Drei Mann in einem Boot
Jerome Klapka Jerome

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Unter den mir bekannten Städten an der Themse ist Marlow eine der hübschesten. Es ist eine geschäftige, lebhafte kleine Stadt; als Ganzes genommen, ist sie zwar nicht gerade sehr malerisch; aber es sind viele altertümliche Winkel und Erker darin. Eine liebliche Landschaft umgibt auch den Ort. Namentlich ladet ein reizendes Wäldchen zum Spazierengehen ein. Du liebes, altes Wäldchen! Wie duftig lebt mir heute noch die Erinnerung an die schönen, dort verlebten sonnigen Sommertage im Gemüte! Wie scheinen in deinen gründämmerigen Hallen lachende Gesichter spukgleich zu erstehen und zu verschwinden! Deine flüsternden Blätter erzählen uns so manche Sagen und Geschichten aus längst entschwundenen Tagen!

Von Marlow an wird es sogar noch schöner. Die große Abtei zu Bisham, deren Steinmauern vormals von den Rufen der Tempelritter widerhallten, wo einst Anna von Cleve und später die Königin Elisabeth Hof hielt, ist reich an romantischen Eigentümlichkeiten. Sie enthält ein mit Gobelins tapeziertes Schlafzimmer, und ein geheimes Gemach ist hoch oben zwischen dicken Mauern verborgen, wo der Geist der Lady Holy, die ihren kleinen Knaben zu Tode quälte, noch heute bei Nacht umgehen und versuchen soll, seine Geisterhände in einem Geisterbecken reinzuwaschen.

Hier ruht auch Warwick, der Königsmacher, und kümmert sich nun nicht mehr um solch kleinliche Dinge, wie die Könige und Königreiche dieser Welt. Auch Salisbury, der bei Poitiers so gute Dienste tat.

Unter den Buchen von Bisham fuhr Shelley, der damals in Marlow lebte (wo man sein Haus noch heute in der Weststraße sehen kann), in seinem Boote auf und ab und verfaßte seine »Revolution des Islam«.

Bei dem Wehr, von Hurley ein wenig weiter oben, habe ich oft gedacht: Hier könnte ich einen ganzen Monat bleiben, ohne daß mir die Zeit reichen würde, all die Schönheit der Landschaft in mich aufzunehmen. Das Dorf ist eines der ältesten am Flusse. Ein wenig weiter hinauf, in einer reizenden Biegung des Stromes, liegen die Trümmer der Medmenham-Abtei.

Die berüchtigten Mönche von Medmenham oder die »Höllenfeuergesellschaft«, wie sie gewöhnlich genannt wurden, bildeten eine Brüderschaft, deren Wahlspruch war: »Tu, was dir beliebt«; – und dieser Spruch ist heute noch auf dem zerfallenen Eingangstore zu lesen. Viele Jahre früher, ehe diese verrottete Abtei mit ihrer Verbrüderung von frechen Spöttern begründet wurde, stand auf demselben Platze ein Kloster von ernsthafterer Art, dessen Mönche einen anderen Typus vertraten als jene Epikureer, die fünfhundert Jahre später auf sie folgten. Die Zisterzienser, deren Abtei im dreizehnten Jahrhundert hier stand, trugen keine gewebten Kleider, sondern grobe Röcke und Kapuzen, aus Tierhäuten bereitet; sie aßen weder Fleisch noch Fisch, noch Eier. Sie schliefen auf Stroh und erhoben sich um Mitternacht, um Messe zu lesen. Ihre Tage verbrachten sie mit Arbeit, mit Lesen und Beten, und über ihrem ganzen Leben lag die tödlichste Stille ausgebreitet, denn keiner von ihnen sprach ein Wort.

Eine traurige Brüderschaft, die an diesem lieblichen Plätzchen, das Gott so schön erschaffen hatte, ein trauriges Leben führte!

Wie seltsam! Die Stimme der ganzen Natur ringsum, der sanfte Gesang des vorbeiflutenden Wassers, das Geflüster des Ufergrases, in dem der Wind spielt, sollte ihnen das alles nicht eine richtigere Lebensansicht beigebracht haben? Da lauschten sie den ganzen Tag in tiefsinnigem Schweigen und warteten auf eine Stimme vom Himmel, und den ganzen Tag lang und in der feierlichen Herrlichkeit der Nacht sprach diese Stimme in tausend und abertausend Tönen zu ihnen und dennoch hörten sie sie nicht.

Von Medmenham an ist der Fluß zunächst voll friedlicher Schönheit; von Greenlands an wird er etwas öde und eintönig, bis man über Henley hinaus ist.

Am Montag Morgen standen wir in Marlow ziemlich früh auf und wollten vor dem Frühstück noch ein Bad nehmen. Als wir davon zurückkamen, spielte sich unser Montmorency als ein furchtbarer Esel auf. Der einzige Gegenstand, worüber ich und Montmorency verschiedener Ansicht sind, das sind Katzen. Ich mag die Katzen, aber Montmorency mag sie nicht. Wenn ich einer Katze begegne, so bleibe ich stehen und schmeichle ihr: »Miezi, liebe Miezi«. Dann beuge ich mich zu ihr hinab und streichle sie sachte am Hinterkopf. Darauf krümmt die Katze wohlgefällig den Rücken, streckt ihren Schwanz bolzgerade in die Höhe, reibt ihre Nase an meinen Hosen und alles ist eitel Gefälligkeit und Frieden. Aber wenn Montmorency einer Katze begegnet, dann kommt die ganze Straße in Aufregung, und in zehn Sekunden werden da mehr wüste Ausdrücke verschwendet, als ein anderer ehrenwerter Mann sein ganzes Leben lang brauchen würde, wenn er sie ein wenig zu Rat hielte.

Ich tadle den Hund nicht; in der Regel begnüge ich mich, ihm eins an die Ohren zu hauen oder Steine nach ihm zu werfen, denn ich denke, es liegt dies nun einmal in seiner Natur. Foxterriers kommen mit mindestens viermal so viel Erbsünden auf die Welt als andere Hunde; und wir Christen brauchen Jahre um Jahre geduldiger Anstrengung, um eine nennenswerte Milderung der Sitten eines Foxterriers hervorzubringen. Ich erinnere mich, wie ich eines Tages in die Vorhalle des Haymarket Warenlagers trat und da eine Menge Hunde, die auf ihre drinnen in den Läden befindlichen, Einkäufe machenden Herren warteten, herumlungern sah. Da waren ein Bullenbeißer, ein paar Spitzhunde, ein Bernhardiner, einige Jagdhunde und Neufundländer, ein Rattenfänger, ein französischer Pudel mit dichtem Haar rings um den Kopf, aber sonst ganz kahl geschoren, eine Bulldogge, einige winzig kleine Schoßhündchen und ein paar Yorkshirehunde.

Da saßen und lagen sie alle friedfertig, gutmütig und in tiefe Gedanken versunken. Eine feierlich friedliche Stille schien in dieser Halle zu herrschen. Ein Zug von Ruhe und Ergebung, eine sanfte Trauer erfüllte den Raum. Nun trat eine reizende junge Dame herein; sie hatte einen sanft dreinschauenden kleinen Foxterrier an der Leine, welchen sie zwischen der Bulldogge und dem Pudel angebunden zurückließ. Das Hündchen legte sich nieder und schaute sich ungefähr eine Minute lang um. Dann richtete es seinen Blick in die Höhe und schien, nach dem Ausdruck seines Gesichts zu urteilen, an seine Mutter zu denken; hierauf gähnte es; dann schaute es wieder auf die andern Hunde, die alle so still, so ernst und würdevoll dalagen.

Es schaute die Bulldogge an, die zu seiner Rechten fest schlief. Es schaute den Pudel an, der aufrecht und vornehm zu seiner Linken sah. Und plötzlich, ohne jedwede Kriegserklärung, ohne auch nur im mindesten herausgefordert worden zu sein, biß es den Pudel in eines seiner Vorderbeine, und ein schmerzliches Geheul drang durch die vorher so friedliche Halle. Das Ergebnis dieses ersten Versuchs mußte dem Hündchen sehr befriedigend erschienen sein; denn es beschloß, in der Weise fortzufahren und etwas Leben in die Gesellschaft zu bringen. Es sprang über den Pudel weg und machte einen lebhaften Angriff auf einen Spitzer; dieser erwachte und fing sofort mit dem Pudel Streit an. Dann kam das liebe Hündchen wieder an seinen Platz zurück, packte die Bulldogge am Ohr und versuchte, sie zu vertreiben. Die Bulldogge ihrerseits, ein merkwürdig unparteiisches Vieh, schnappte ohne Unterschied nach allem, was sie erreichen konnte, den Aufseher der Vorhalle mit inbegriffen, was dem lieben, kleinen Hündchen das Feld frei ließ, um eine ununterbrochene Fehde mit einem ebenso streitlustigen Yorkshirehunde zu genießen.

Einem Kenner der Hundenatur braucht nicht erst gesagt zu werden, daß mittlerweile alle anwesenden Hunde so grimmig miteinander fochten, als ob sie Haus und Hof zu verteidigen hätten. Die großen Hunde fochten ohne Unterschied miteinander, die kleinen unter sich und füllten die Zeit, die ihnen dazwischen frei blieb, damit aus, die großen in die Beine zu beißen. Die ganze Halle war in einem Höllenaufruhr und der Lärm wahrhaft ohrenzerreißend. In der Straße draußen sammelten sich die Leute an und fragten, ob da Gemeindeversammlung gehalten werde, oder, wenn das nicht, wer denn ermordet worden sei, und warum? Männer kamen mit Stangen und starken Stricken herbei und versuchten, die Hunde auseinander zu bringen, einige liefen fort, um die Polizei zu holen.

Während der Aufruhr am wildesten tobte, kam die reizende junge Dame wieder heraus und nahm ihr liebes, kleines Hündchen wieder in die Arme. Es hatte eben den Yorkshirehund auf einen Monat lahm gebissen und schaute jetzt so unschuldig drein wie ein neugeborenes Lämmchen; dann küßte sie es und fragte es, ob man es denn gemordet habe, und was diese großen, wüsten Hunde ihm getan hätten; es schmiegte sich fest an sie und schaute sie an mit einem Blick, der zu sagen schien: »O, wie froh bin ich, daß du endlich gekommen bist, mich aus dieser schändlichen Gesellschaft fortzubringen!«

Und die reizende junge Dame meinte, die Leute hier hätten gar kein Recht, solch wilden Bestien wie diesen andern Hunden zu erlauben, sich hier in Gesellschaft von Hunden aus guten Häusern aufzuhalten, und sie hätte nicht übel Lust, deshalb eine Klage anzustrengen.

Item, so ist die Natur des Foxterriers, und deshalb tadle ich denn auch Montmorency nicht wegen seiner Neigung, sich mit Katzen zu raufen; aber nachmals wünschte er selbst, daß er an jenem Morgen seiner Neigung nicht gefrönt hätte.

Wir waren, wie oben erwähnt, von unserm Bade zurückgekehrt und eine Strecke weit die Hauptstraße hinaufgegangen, als eine Katze aus einem der vor uns liegenden Häuser herauskam und über die Straße wegspazierte.

Montmorency stieß ein Freudengeschrei aus – es war der Schrei eines tapfern Kriegers, der seinen Feind sich in die Hand gegeben sieht – so mag Cromwell geschrien haben, als er die Schotten von ihren Bergen herabsteigen sah – und stürzte sich auf seine Beute.

Sein Opfer war ein großer, schwarzer Kater. Ich habe in meinem Leben keine größere, keine häßlichere Katze gesehen als diese. Sie hatte schon den halben Schwanz, ein Ohr und ein beträchtliches Stück der Nase eingebüßt. Es war ein großes, kräftig aussehendes Tier, das ruhig und zufrieden dreinschaute.

Montmorency jagte mit einer Geschwindigkeit von zwanzig Meilen in der Stunde hinter dieser armen Katze her, aber dessenungeachtet pressierte es der Katze gar nicht, sie schien die ihrem Leben drohende Gefahr gar nicht erkannt zu haben.

Sie schritt ganz ruhig weiter, bis ihr Mörder in spe nur noch einen Meter von ihr entfernt war; dann kehrte sie sich um, setzte sich mitten auf die Straße und schaute Montmorency mit einem freundlichen, fragenden Blick an, der auszudrücken schien:

»Ja? Sie wünschen?«

Montmorency fehlt es nicht an Mut; aber es war etwas in dem Blick dieses Katers, das auch das Herz des kühnsten Hundes hätte erbeben machen können. Er hielt plötzlich an und schaute sich meinen Kater an. Keines von beiden sprach ein Wort; aber was sie sich mit Blicken sagten, lautete gewiß folgendermaßen:

Die Katze: »Womit kann ich aufwarten?«

Montmorency: »Mit gar nichts. Ich danke Ihnen.«

Die Katze: »O, genieren Sie sich doch nicht, wenn Sie etwas wünschen. Ich bin wirklich gern bereit!«

Montmorency (der sich etwas zurückzieht): »O nein! Gewiß nicht! Bemühen Sie sich nicht. Ich – ich fürchte, ich habe mich geirrt. Ich glaubte Sie zu kennen. Ich bedauere, Sie gestört zu haben.«

Die Katze: »O, bitte recht sehr; es war mir ein großes Vergnügen! Aber wünschen Sie wirklich gar nichts?«

Montmorency (der sich noch immer zurückzieht): »Nein! Durchaus nichts! Ich danke Ihnen! Ich wünsche gar nichts, Sie sind sehr gütig! Guten Morgen!«

Die Katze: »So – nun denn guten Morgen auch!«

Montmorency kehrte mit sorgfältig eingezogenem Schwanze zu uns zurück und nahm eine bescheidene Stellung im Nachtrab ein.

Wenn man seitdem gegen Montmorency das Wort »Katze« gebraucht, so zittert er am ganzen Körper und schaut einen mit einem mitleiderregenden Blick an, als wollte er sagen:

»O bitte, sprecht mir doch nicht davon!«

Nach dem Frühstück gingen wir auf den Markt, um uns wieder auf drei Tage zu verproviantieren. Georg meinte, wir hätten auch Gemüse einzukaufen; es sei ungesund, sich der Gemüse zu enthalten, wir müßten auch vegetabilische Speisen zu uns nehmen. Er erklärte, das Kochen der Gemüse sei etwas ganz Leichtes, er werde das schon übernehmen; so schafften wir uns denn zehn Pfund Kartoffeln, einen Scheffel Erbsen und einige Kohlköpfe an; ferner kauften wir uns im Hotel eine Beefsteakpastete, ein paar Stachelbeertorten, eine Hammelkeule; Früchte, Backwerk, Brot und Butter, Schinken, Eier und andere Lebensmittel schafften wir uns nach und nach in den verschiedenen Läden der Stadt an.

Unsere Abreise von Marlow muß ich als einen unserer größten Erfolge bezeichnen. Sie war würdig und eindrucksvoll, ohne pomphaft zu sein. Wir hatten uns ausbedungen, daß uns alles, was wir eingekauft hatten, durch einen Laufburschen sofort nachgetragen würde; wir wollten keine lahmen Versicherungen hören, wie: »Ganz recht, mein Herr! ich werde es Ihnen sofort zusenden!« oder: »Der Laufbursche wird noch vor Ihnen drunten beim Boot sein!«

Damit hätten wir dann, an der Landungsbrücke wartend herumschlendernd, zweimal in die Kaufläden zurückrennen und uns mit den Leuten herumärgern können. Nein, dazu waren wir zu klug. Wir warteten, bis der Korb gepackt war, und nahmen dann den Jungen gleich mit uns. Wir gingen in viele Läden und verfuhren überall nach demselben Grundsatz; die Folge hiervon war, daß, als wir mit unsern Einkäufen zu Ende waren, wir eine ganz ansehnliche Auswahl von Jungen mit Körben, Paketen etc. als Gefolge beieinander hatten.

Als wir endlich die Hauptstraße hinunter nach der Landungsbrücke marschierten, da muß unser Zug ein so imponierendes Schauspiel geboten haben, wie die gute Stadt Marlow schon seit vielen Jahren keines gesehen hatte.

Die Ordnung des Zuges war folgende:

Montmorency, einen Stock im Maule tragend;
zwei schäbig aussehende Köter, Freunde Montmorencys;
Georg, mit den Überziehern und Teppichen beladen, eine kurze Pfeife im Munde;
Harris, der sich bemüht, mit leichter Anmut einherzuwandeln, während er in der einen Hand einen mehr als vollgestopften Gladstonekoffer, in der andern eine Flasche mit Limonadensaft hält;
der Gemüsehändler- und der Bäckerbursche mit Körben;
der Hausknecht aus dem Hotel, einen großen Korb tragend;
der Konditorjunge mit einem Korb;
der Bursche des Delikateßhändlers mit einem Korb;
ein langhaariger Hund;
der Junge des Käsehändlers mit einem Korb;
ein Hausknecht mit einem Sack;
der Busenfreund des genannten Hausknechts, die Hände in den Taschen, eine kurze Tonpfeife im Munde;
der Obsthändlersjunge mit einem Korbe;
ich selbst mit drei Hüten und einem Paar Stiefel, bemüht, mir den Anschein zu geben, als ob ich nichts davon wüßte;
sechs kleine Buben und vier herrenlose Hunde.

Als wir zum Landungsplatze kamen, sagte der dortige Schiffsvermieter:

»Verzeihen Sie, mein Herr, die Frage: Hatten Sie eine Dampfbarkasse oder eine Arche Noah gemietet?«

Auf unsere Erklärung, daß unser Boot ein zweirudriges Schiff sei, schien er ein wenig erstaunt zu sein.

Die Dampfboote machten uns an jenem Morgen wacker zu schaffen! Es war gerade die Woche vor den großen Wettfahrten bei Henley; deshalb sammelte sich viel Volks dort an; einige fuhren allein, andere zogen große Familienbarken im Schlepptau. Ich kann nun einmal die Dampfboote nicht ausstehen, und ich glaube, es geht jedem Ruderer so. Wenn ich ein Dampfboot zu Gesicht bekomme, so steigt jedesmal der fromme Wunsch in mir auf, es an einen einsamen abgelegenen Teil des Flusses zu locken und es dort in den Grund zu bohren!

In einem Dampfboot liegt solch eine herausfordernde Dreistigkeit, daß dadurch jeder böse Trieb meines Innern wachgerufen wird; da sehne ich mich denn nach den guten alten Zeiten zurück, da man mit einer Axt, mit Bogen und Pfeil einherschreiten und den Leuten den Standpunkt klar machen durfte.

Der Gesichtsausdruck jenes Mannes, der mit den Händen in der Tasche und der Zigarre im Munde gemütlich am Steuer des Fahrzeugs steht, genügt schon, um einen Friedensbruch zu entschuldigen; und das herrische Zeichen mit der Pfeife, daß man ihm aus dem Weg gehen solle, würde, glaube ich, jeden aus Ruderklubisten zusammengesetzten Gerichtshof zu dem Urteil veranlassen: »Durch Notwehr gerechtfertigter Totschlag!«

Sie hatten nun bei uns ständig zu pfeifen, daß wir ihnen ausweichen sollten. Wenn ich es sagen darf, ohne ruhmredig zu erscheinen, so haben wir nach meiner Meinung während dieser Woche den Dampfbooten mehr Störung, mehr Aufenthalt und Ärger verursacht als alle die andern Boote miteinander.

»Ein Dampfboot kommt!« pflegte einer von uns auszurufen, wenn er den Feind in der Ferne erblickte, und in einem Augenblick war alles bereit, ihn zu empfangen.

Ich ergriff das Steuer, während Harris und Georg sich mir zur Seite setzten, alle den Rücken dem Dampfboot zugekehrt; und so trieb unser Boot ruhig in die Strömung hinaus.

Daher dampft das Boot und pfeift, was es kann, und dahin fahren wir von der Strömung getrieben. Einige hundert Meter von uns entfernt fangen sie dann wie rasend an zu pfeifen; dann lehnen sie sich über die Brüstung und brüllen uns zu, aber wir hören eben nichts! Harris erzählt eben eine Anekdote von seiner Mutter, und Georg und ich wollen um alle Welt kein Wort davon verlieren.

Dann läßt das Boot seine Pfeife noch einen Verzweiflungsschrei ausstoßen, der den Kessel beinahe zum Platzen bringt, und muß umsteuern und sich rückwärts wenden; bei dieser Gelegenheit fährt es auf den Grund auf; dann rennen alle Insassen nach dem Lugaus und schreien gellend zu uns herüber, und die Leute am Ufer schreien ebenfalls; alle anderen Boote halten an und stimmen ebenfalls mit ein, bis meilenweit der ganze Fluß in der wildesten Aufregung ist.

Nun bricht Harris mitten im interessantesten Teil seiner Geschichte plötzlich ab, schaut mit leisem Erstaunen auf und sagt zu Georg:

»Ich glaube gar, Georg, es ist ein Dampfboot in der Nähe!«

Und dieser darauf: »Ach ja! Es war mir doch vorhin, als hätte ich etwas pfeifen hören!« Worauf wir dann ebenfalls in Aufregung geraten und nicht wissen, wie wir mit unserm Boot ausweichen sollen. Die Leute im Dampfboot drängen sich nun auf einen Haufen zusammen und geben uns Anweisungen.

»So fassen Sie doch das Steuer mit der Rechten, Sie Dummkopf! – Nein, zurück mit der Linken! – Nein! Nicht Sie! Der andere Herr! Lassen Sie doch das Steuer fahren! Können Sie nicht das Steuer fahren lassen? So, jetzt ziehen Sie an beiden Seiten! Nicht in der Richtung! O, Sie!«

Dann lassen sie ein kleines Boot von ihrem Schiffe nieder und kommen uns zu Hilfe, und nach einer Stunde mühevoller Arbeit schaffen sie uns aus dem Wege, so daß sie weiterfahren können, und wir bedanken uns recht schön und ersuchen sie, uns ein klein wenig ins Schlepptau zu nehmen. Aber dazu sind sie nicht zu bewegen.

Ein anderes gutes Mittel, die aristokratischen Dampfboote aus der Haut zu ärgern, entdeckten wir darin, daß wir vorgaben, sie für eine Gesellschaft Ladenschwengel und dergleichen zu halten, und sie fragten, ob sie der von Herrn Cubit zusammengetrommelte Ausflüglertrupp seien, oder zu den sogenannten »Tempelherren von Bermondsey« gehörten, und ob sie uns nicht eine Pfanne leihen könnten.

Ältliche Damen, die mit dem Fahren auf dem Flusse nicht vertraut sind, werden beim Begegnen von Dampfbooten immer entsetzlich aufgeregt. Ich erinnere mich, einmal von Staines nach Windsor gefahren zu sein; es ist dies eine Strecke, die an diesen Ungeheuern der Mechanik besonders reich ist; ich hatte drei Damen, auf welche oben erwähnte Bezeichnung paßte, bei mir. Es war recht unterhaltend. Wenn sie von weitem ein Dampfboot erblickten, so bestanden sie darauf, zu landen und sich am Ufer niederzusetzen, bis das Boot wieder außer Sicht war. – Sie sagten, es tue ihnen sehr leid, aber sie seien es ihren Familien schuldig, sich nicht tollkühn in Gefahr zu begeben.

Bei der Hambledon-Schleuse war unser Trinkwasservorrat zu Ende; deshalb nahmen wir unsern Krug und gingen nach dem Hause des Schleusenwärters, um ihn um etwas Wasser zu bitten.

Georg war unser Sprecher. Er zeigte sein gewinnendstes Lächeln und sagte:

»O, bitte, könnten Sie uns vielleicht etwas Wasser überlassen?«

»Gewiß!« erwiderte der alte Mann, »nehmen Sie sich, so viel Sie mögen, und lassen Sie den Rest zurück!«

»O, ich danke Ihnen recht sehr,« murmelte Georg. »Wo haben Sie Ihr Wasser?«

»O, es ist immer am nämlichen Ort, alter Junge,« war die dumme Antwort, »gerade hinter Ihnen.«

»Aber ich sehe keines,« sagte Georg, indem er sich umwandte.

»Aber bei Gott, wo haben Sie denn Ihre Augen?« war des Mannes Erklärung, indem er Georg herumdrehte und den Fluß hinauf- und hinabwies, »da ist doch genug Wasser zu sehen, sollt' ich meinen!«

»O,« sagte Georg, dem nun endlich das Verständnis aufging, »wir können doch den Fluß nicht trinken!«

»Nun, natürlich nicht, aber etwas davon,« antwortete der alte Bursche. »Seit fünfzehn Jahren habe ich nichts anderes getrunken!«

Georg erklärte ihm, daß sein Aussehen durchaus keine glänzende Reklame für die gute Marke sei, er würde immerhin Brunnenwasser vorziehen.

Wir bekamen welches in einem weiter oben gelegenen Häuschen. Ich glaube zwar, daß es auch nur Flußwasser war, aber wir wußten es nicht; daher fanden wir es ganz gut. Was das Auge nicht sieht, das greift den Magen nicht an.

Wir versuchten es noch ein andermal mit dem Flußwasser, aber der Erfolg war kein glänzender.

Wir fuhren den Strom hinab und hatten uns nahe bei Windsor in ein Hinterwasser begeben, um den Tee zu bereiten.

Unser Wasserkrug war leer; der Fall lag daher so, daß wir entweder ohne Tee zu Bett gehen oder Flußwasser dazu nehmen mußten.

Harris war für das letztere. Er meinte, das Wasser würde schon recht werden, wenn wir es kochten. Er sagte, die immer im Wasser enthaltenen Giftkeime würden durch das Sieden getötet. So füllten wir denn unsern Teekessel mit Themsewasser, kochten es und paßten scharf auf, ob es auch wirklich koche.

Unser Tee war fertig, und wir hatten uns eben ganz behaglich niedergesetzt, um ihn zu trinken, als Georg, die Tasse schon beinahe an den Lippen, plötzlich innehielt und ausrief: »Ho! Was ist denn das?«

»Was ist – was?« riefen Harris und ich in einem Atem.

»Nun, das da!« sagte Georg, indem er nach Westen schaute. Harris und ich folgten seinem Blicke und sahen in der schwachen Strömung einen Hund langsam dahertreiben. Es war der ruhigste, friedfertigste Hund, den ich jemals gesehen habe. Nie habe ich einen Hund gesehen, der zufriedener und gelassener aussah. Er schwamm träumerisch auf dem Rücken daher und streckte alle Viere gerade in die Höhe. Es war, wie man zu sagen pflegt, ein wohlgenährter, wohlgebauter Hund. Heran schwamm er, ruhig, würdig, still, bis er in die Nähe unseres Bootes kam; da verlangsamte er seine Fahrt, blieb gemütlich zwischen dem Schilf hängen und begehrte für diesen Abend keine weitere Platzveränderung.

Georg sagte, er wolle heute keinen Tee mehr, und leerte seine Tasse in den Fluß. Harris war auch nicht mehr durstig und folgte seinem Beispiel. Ich hatte meine Tasse schon zur Hälfte leer getrunken, aber ich wünschte, ich hätte es nicht getan! Ich fragte Georg, ob ich nun wohl den Typhus bekommen würde. Er meinte: »O nein!« Er dachte, für diesmal würde ich wohl noch davonkommen; auf jeden Fall würde ich in ungefähr vierzehn Tagen wissen, ob ich ihn hätte oder nicht. In diesem Hinterwasser fuhren wir bis Wargrave hinauf. Es ist dies ein kurzer Kanal, der vom rechten Ufer ungefähr eine halbe Meile oberhalb der Marsh-Schleuse beginnt. Es ist wohl der Mühe wert, diese Strecke zu befahren; denn sie ist gar hübsch und schattig und schneidet überdies noch eine halbe Meile Wegs ab. Natürlich ist die Einfahrt mit Ketten und Pfählen verrammelt; auch sind Tafeln angebracht, die jeden, der da zu rudern wagt, mit allen nur möglichen Folterqualen, Einkerkerung und Tod bedrohen!

Ich wundere mich nur, daß diese Strandräuber nicht auch die Luft auf dem Fluß für sich in Anspruch nehmen und jeden mit mindestens vierzig Schilling Strafe bedrohen, der es wagt, sie zu atmen.

Doch lassen sich ja die Pfähle und Ketten mit etwas Geschick leicht umgehen, und was die Verbottafeln anbelangt, so kann man, wenn es einem auf fünf Minuten Zeit gerade nicht ankommt und niemand um den Weg ist, einige davon herunterreißen und ins Wasser werfen.

Ungefähr auf dem halben Wege hielten wir an, um unser Gabelfrühstück einzunehmen. Bei diesem Frühstück war es, daß Georg und ich plötzlich in furchtbaren Schrecken versetzt wurden. Auch Harris wurde in Schrecken versetzt; aber ich glaube nicht, daß der seinige auch nur halb so schlimm war als der, welchen Georg und ich bei diesem Anlaß empfanden. Das ging so zu: Wir saßen auf einer Wiese, ungefähr zehn Meter vom Ufer entfernt, und hatten uns eben behaglich zum Essen niedergelassen, Harris hatte die Beefsteakpastete zwischen den Knien und wollte sie zerteilen. Georg und ich hielten unsre Teller in Bereitschaft. »Habt ihr vielleicht einen Löffel zur Hand?« fragte Harris; »ich brauche einen Löffel, um die Sauce herauszuschöpfen.« Der Korb war dicht hinter uns; da wandten wir beide, Georg und ich, uns um, um einen Löffel herauszuholen. Darüber waren keine fünf Sekunden vergangen. Als wir uns wieder umwandten, waren Harris und die Pastete verschwunden.

Es war ein weites, offenes Feld. Auf hundert Meter in der Runde war weder ein Baum noch eine Hecke zu sehen. In den Fluß konnte er auch nicht gefallen sein, weil wir dem Wasser näher waren als er, und er über uns hätte hinwegklettern müssen.

Georg und ich schauten uns überall um. Dann sahen wir einander an.

»Hat ihn denn der Himmel zu sich genommen?« fragte ich.

»Aber die Pastete würde er doch schwerlich mitgenommen haben,« meinte Georg.

Dieser Einwurf erschien uns von einigem Gewicht; wir kamen also von dem Gedanken der Himmelfahrt wieder ab.

»Ich glaube,« sagte Georg, der wieder zum Gemeinverständlichen und Natürlichen zurückkehrte, »das Wahrscheinlichste ist, daß ein Erdbeben stattgefunden hat.«

Und dann setzte er mit einer leisen Trauer im Tone hinzu: »Ich wollte, er hätte sich nicht mit dieser Pastete beschäftigt!«

Und mit einem Seufzer wandten wir uns wieder nach der Stelle zurück, wo wir Harris und die Pastete zum letztenmal auf Erden gesehen hatten. Da! das Blut erstarrte uns in den Adern, und die Haare standen uns zu Berg – sahen wir Harris' Kopf, nichts als seinen Kopf aus dem hohen Grase vorstehen, das Gesicht stark gerötet und große Entrüstung ausdrückend.

Georg faßte sich zuerst wieder.

»Sprich! um des Himmels willen!« rief er. »Und sage uns, ob du noch lebst oder schon tot bist. Und sag', wo ist denn dein übriger Mensch?«

»O, sei doch kein so brettdummer Esel,« antwortete Harris' Kopf, »ich glaube, ihr habt es absichtlich getan!«

»Was getan?« fragten Georg und ich zu gleicher Zeit.

»Nun, mich daher sitzen heißen – ein verdammt niederträchtiger Streich! Da, faßt einmal die Pastete!«

Und, wie es uns schien, mitten aus der Erde kam die Pastete heraus, ziemlich mit andern Dingen vermischt und beschädigt, und hinter ihr drein kabbelte Harris, beschmutzt und durchnäßt, heraus. Er hatte sich ahnungslos hart an den Rand eines kleinen Grabens gesetzt, der durch hohes Gras verborgen war und als er sich etwas zurücklehnte, war er hintenüber gepurzelt und mit ihm die Pastete und alles, was er in den Händen hatte. Er sagte, in seinem ganzen Leben sei er niemals so überrascht gewesen, als da er plötzlich den Boden unter sich weichen gefühlt habe, ohne sich auch nur im entfernt geringsten eine Vorstellung von dem, was geschehen war, machen zu können. Er habe gemeint, der Weltuntergang sei da.

Harris glaubt noch bis auf den heutigen Tag, Georg und ich hätten alles zuvor geplant. So folgt ungerechter Verdacht auch dem Allerunschuldigsten! Denn wie sagt der Dichter? »Wer mag der Verleumdung entgehen?« Ja, wer?

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