Jerome Klapka Jerome
Drei Mann in einem Boot
Jerome Klapka Jerome

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Wir hielten unter den Weiden bei Kempton Park, um unser Gabelfrühstück einzunehmen. Es ist ein schönes Fleckchen Erde; eine anmutige ebene Wiese zieht sich am Wasser hin; Weiden hängen drüber her. Wir waren eben beim dritten Gange unserer Mahlzeit – Brot und Eingemachtem – angelangt, als ein Mann in Hemdärmeln und kurzer Pfeife daher kam und uns fragte, ob wir auch wüßten, daß unser Lager da ein gesetzwidriger Akt sei. Wir sagten, wir seien in unserer Betrachtung der Angelegenheit noch nicht so weit gediehen, um über diesen Punkt zu einem definitiven Schlusse kommen zu können; wir wollten aber, falls er uns sein Ehrenwort als Gentleman gebe, daß wir gesetzwidrig handelten, solches ohne weiteres Zögern glauben.

Er gab uns die gewünschte Versicherung, und wir bedankten uns schön; aber sonderbarerweise lungerte er immer noch herum und schien nicht ganz befriedigt; da fragten wir ihn denn, ob wir ihm sonst noch mit etwas dienen könnten; und Harris, der gerne mit einem jeden anbandelte, offerierte ihm ein Stückchen bestrichenes Brot. Der Mann – anders kann ich mir die Sache nicht erklären – muß wohl zu irgendeiner Gesellschaft gehört haben, die sich verschworen, niemals bestrichenes Brot an die Lippen zu bringen, denn er wies es ganz mürrisch zurück, als ob er sich ärgerte, daß ihm eine solche Versuchung überhaupt nahegelegt worden sei, und er fügte hinzu, daß er uns austreiben müsse.

Harris meinte darauf, wenn solches seine Pflicht sei, so solle es auch geschehen, und er fragte den Mann, was ihm wohl als die beste Art und Weise zur Ausführung besagter Maßnahme erscheine. Harris ist, was man so einen gut gebauten Mann – Größe Nr. 1 – nennt, und er schaut handfest und knochig drein; und der Mann maß ihn denn auch von oben bis unten und meinte, er müsse heim und seinen Herrn befragen; er würde dann zurückkommen und uns beide in den Fluß hineinspedieren.

Natürlich ward er nicht mehr gesehen, und natürlich wollte er in Wahrheit nichts anderes als einen Schilling. Es gibt so eine Art uferbewohnendes Gesindel, das ein förmliches Geschäft daraus macht, während des Sommers an den Flüssen entlang zu schlendern und von schwachmütigen Dummköpfen auf diese Weise Geld zu erpressen. Sie spielen sich auf, als wären sie vom Eigentümer hergeschickt worden. Das richtige Verfahren ist in solchem Fall, seinen Namen und Adresse anzugeben und ruhig abzuwarten, bis der Eigentümer einen gerichtlich fordert und klaren Beweis und Rechnung über den Schaden liefert, den man seinem Grundbesitz dadurch zufügte, daß man auf ein paar Quadratzentimetern desselben gesessen. Aber die meisten Leute sind so intensiv träge und furchtsam, daß sie es vorziehen, die Betrügerei förmlich großzuziehen, dadurch, daß sie nachgeben, anstatt durch charakterfestes Auftreten dem Schwindel ein Ende zu machen.

Trifft irgendwo aber in der Tat die Eigentümer selbst der Tadel, so sollten sie wahrlich an den Pranger gestellt werden. Die Selbstsucht der flüssebewohnenden Grundherrn wächst von Jahr zu Jahr. Wenn man den Gelüsten dieser Menschen freien Lauf ließe, so würden sie den Themsefluß ganz und gar absperren. Sie tun dies wirklich längs der kleineren Nebenflüsse und an den Seitenkanälen. Da werden Pfähle und Pfosten ins Flußbett getrieben und von Ufer zu Ufer Ketten gezogen und an jeden Baum riesige Plakatbretter angenagelt. Der Anblick dieser Plakattafeln ruft jeglichen bösen Trieb in meiner Natur wach. Mir ist's, als müßte ich jedes einzeln herunterreißen und dem Manne, der es aufsteckte, an den Kopf schlagen, bis ich ihn in ein besseres Jenseits befördert hätte; alsdann würde ich ihn begraben und das Plakat als Leichenstein auf sein Grab setzen.

Ich teilte Harris diese meine Gefühle mit, und er sagte, er habe sie in noch weit erschreckenderem Grade. Er sagte, es sei ihm nicht nur, als müsse er den Mann umbringen, der die Tafel habe aufstecken lassen, sondern daß er dessen ganze Familie nebst allen seinen Freunden und Verwandten ermorden möchte, und alsdann würde er sein Haus niederbrennen. Das schien mir zu weit gegangen, und ich sagte dies zu Harris; aber er antwortete:

»Keine Spur. Das geschähe ihnen gerade recht, und ich ginge hin und sänge etwas Humoristisches auf den Trümmern.«

Ich erboste mich, daß Harris in diesem blutdürstigen Tone fortfuhr. Man sollte seinem Gerechtigkeitsgefühl nie erlauben, in bloße Rachsucht auszuarten. Es währte lange, bis ich Harris dazu brachte, die Sache von einem etwas christlicheren Standpunkt aus zu betrachten; aber es gelang mir zuletzt, und er versprach mir, auf alle Fälle die Freunde und Verwandten zu verschonen und nichts Humoristisches auf den Trümmern zu singen.

Hättet ihr jemals Gelegenheit gehabt, Harris etwas Humoristisches singen zu hören, so würdet ihr begreifen, welch großen Dienst ich der Menschheit leistete. Es ist eine von Harris' fixen Ideen, er könne etwas Humoristisches singen; unter denjenigen seiner Freunde aber, die Harris den Versuch machen hörten, herrscht die fixe Idee, er könne es nicht und werde es niemals lernen, und man sollte ihm überhaupt verbieten, jemals wieder den Versuch zu machen.

Wenn Harris bei einer Abendgesellschaft ist und aufgefordert wird, einen Gesang zum besten zu geben, so antwortet er: »Ja, wissen Sie, ich kann eben nur etwas Humoristisches singen;« das sagt er aber in einem Tone, der wohl zu verstehen gibt, daß, wenn er so etwas singe, es so wundervoll sei, daß man nur sagen könne: »Hör' dieses Lied und stirb!«

»O, wie reizend,« sagt die Wirtin, »bitte, singen Sie eins, bitte, Mr. Harris,« und Harris steht auf und steuert dem Klavier zu mit der strahlenden Heiterkeit eines freigebigen Mannes, der eben im Begriff ist, jemand etwas zu schenken.

»Nun, bitte um allgemeine Stille,« sagt die Dame des Hauses zu den übrigen gewandt: »Mr. Harris ist im Begriff, uns etwas Humoristisches vorzusingen.«

»O, wie hübsch!« murmelt man, und man drängt vom Wintergarten herein, man kommt die Treppen herauf, man geht und holt die andern aus allen Winkeln des Hauses zusammen und drückt sich in den Salon, und sitzt ringsherum und strahlt vor lauter Erwartung.

Dann fängt Harris an. –

Nun, man verlangt nicht zu viel Stimme bei einem komischen Vortrag. Man erwartet weder korrekten Einsatz noch vollkommen reine Vokalisation. Man nimmt es dem Sänger nicht gar sehr übel, wenn er mitten in einer Note herausfindet, daß sie zu hoch ist, und mit einem Ruck herunterstürzt. Man nimmt es nicht so genau mit dem Takt.

Man nimmt es nicht so genau, wenn der Sänger der Begleitung um zwei Takte voraus ist und dann mitten in der Zeile plötzlich innehält, um sich mit dem Klavierspieler auseinanderzusetzen und alsdann den Vers aufs neue zu beginnen. Aber man erwartet den Text zu hören.

Man ist nicht darauf gefaßt, daß der Sänger nie mehr als die ersten drei Zeilen der ersten Strophe im Gedächtnis hat und diese immerfort wiederholt, bis es Zeit ist, daß der Chor einfällt. Man ist nicht darauf gefaßt, daß der Sänger mitten in der Zeile abbricht und kichert und sagt: »'s ist höchst sonderbar, aber beim Teufel! ich kann mich nicht weiter erinnern!« und dann probiert, ob er nicht selbst noch etwas dazuschustern kann, und dann nach einer Weile sich auf einmal wieder die Worte beifallen läßt, wenn er längst schon an einen ganz anderen Teil des Liedes gekommen ist, und dann ohne jede weitere Anzeige abbricht, zurückgeht und es euch zu hören gibt, mögt ihr's nun wollen oder nicht.

Ich will geschwind ein Pröbchen von Harris' humoristischem Singen zum besten geben, und dann kann der geneigte Leser selbst urteilen.

Harris (vor dem Klavier stehend und gegen das erwartungsvolle Auditorium gewandt): »Ich fürchte, 's ist ein etwas veraltetes Ding, wissen Sie. Ich vermute, Sie kennen es alle, wissen Sie. Aber 's ist das einzige Ding das ich kann. Es ist das Richterlied aus ›Pinafore‹ – nein, ich meine nicht ›Pinafore‹ – ich meine – nun, Sie wissen schon, was ich meine, das andere, wissen Sie. Sie müssen alle einfallen, um den Chor mitzusingen, wissen Sie.«

Gemurmel des Entzückens und der Erwartung, den Chor mitzusingen. Brillantes Vorspiel zum »Richterlied« aus »Gerichtliches Verhör«, von einem nervösen Pianisten ausgeführt. Der Augenblick kommt, wo Harris einsetzen soll; Harris nimmt keine Notiz davon. Der Nervöse beginnt das Vorspiel von neuem, und Harris, der zu gleicher Zeit zu singen anfängt, stürzt sich auf die ersten zwei Zeilen des ersten Preisliedes aus »Pinafore«. Der nervöse Pianist versucht mit dem Vorspiel fortzufahren, gibt es aber auf und versucht Harris zum »Richterlied« aus »Gerichtliches Verhör« zu begleiten, findet aber, daß dies nicht dem Zweck entspricht, versucht herauszubringen, was er denn eigentlich tut und wo er ist, fühlt aber, daß ihm die Sinne vergehen, und hält inne.

Harris (mit freundlich herablassender Aufmunterung): »'s ist ganz recht. Sie machen's ja ganz nett; wirklich, fahren Sie nur fort.«

Nervöser Pianist: »Ich fürchte, es steckt da irgendwo ein Fehler. Was singen Sie doch nur gleich?«

Harris (rasch): »Ei, das Richterlied aus ›Gerichtliches Verhör‹. Kennen Sie denn das nicht?«

Irgendein Freund von Harris (aus dem Hintergrunde des Zimmers): »Nein, das singst du nicht, du närrischer Kauz, du singst ja das Admiralslied aus ›Pinafore‹.«

Langer Streit zwischen Harris und Harris' Freund in bezug auf das, was Harris wirklich singt. Der Freund gesteht zuletzt seufzend ein, es sei einerlei, was Harris singe, wenn Harris nur die Gnade haben wollte, fortzufahren und es auch wirklich zu singen, und Harris, im Gefühl und mit dem Ausdruck beleidigter Unschuld, bittet den Pianisten, noch einmal anzufangen. Daraufhin beginnt der Pianist das Vorspiel zum Admiralslied, und Harris, sich eine Stelle zunutze machend, die er für einen Einsatz passend erachtet, beginnt.

Harris: »Als ich vormalen jung war
Und Jus studieren sollte.«

Allgemeines Lachgebrüll, das von Harris als Kompliment aufgefaßt wird. Der Pianist, an Weib und Kind denkend, gibt den ungleichen Kampf auf und zieht sich zurück; seine Stelle wird von einem stärker besaiteten Menschen eingenommen.

Der neue Pianist (heiter): »Wohlan, alter Junge, fangen Sie mal zuerst an und ich falle ein. Wir wollen uns nicht weiter mit dummen Vorspielen abgeben.«

Harris (dem der wahre Sachverhalt langsam aufdämmert), lachend: »Bei Gott! Ich bitte Sie um Entschuldigung. Natürlich – ich habe die beiden Lieder untereinander gebracht. Aber Jenkins war es, der mich in diese Verwirrung stürzte, wissen Sie. Gut also, fangen wir an.«

Singt; seine Stimme scheint aus dem Keller zu kommen und wie ein erstes dumpfes Grollen ein herannahendes Erdbeben anzuzeigen.

»Als ich vormalen jung war,
Da diente ich ein Vierteljahr
Bei einem Anwalt grau von Haar,«

(Beiseite zum Pianisten): »'s ist zu tief, alter Junge; wir wollen das noch einmal durchnehmen, wenn's Ihnen nicht drauf ankommt.«

Er singt die drei ersten Zeilen noch einmal, diesmal in hohem Falsett. Große Verwunderung von seiten der Zuhörerschaft. Eine nervöse alte Dame beginnt zu weinen und muß hinausgeführt werden.

Harris (fährt fort):
»Und ich fegte die Fenster, die Türe rein,
Und ich –

Nein – nein, ich wusch die Fenster der Vordertüre rein und der Boden mußte gewichst sein – nein, zum Teufel – bitte tausendmal um Entschuldigung – kurios, daß mir die Zeile auch gar nicht mehr recht einfallen will. Und ich – und ich – o, gut, wir singen nun eben den Chor, und zwar wie's kommt. (Singt):

Und ich diddel – diddel – diddel – diddel – diddel – de,
Und bin jetzt Herr über unsere Marine.

Frisch drauf, Chor – die letzten zwei Zeilen müssen wiederholt werden, wissen Sie.«

Allgemeiner Chor:
Und er diddel – diddel – diddel – diddel – diddel – de,
Ist jetzt Herr über unsere Marine.«

Und Harris kommt nie zur Einsicht, was für eine Rolle er spielt und wie er einen Haufen Leute langweilt, die ihm nie in ihrem Leben was zuleide getan. Er bildet sich wahr und wahrhaftig ein, er habe sie famos unterhalten, und sagt, nach dem Nachtessen singe er nochmal was Humoristisches.

Apropos – humoristische Gesänge und Abendgesellschaften – da fällt mir ein ziemlich eigentümlicher Vorfall ein, dessen ich einstmals Zeuge war, und der, da er auf die innersten Vorgänge des menschlichen Seelenlebens viel Licht wirft, in diesen Blättern verzeichnet zu werden verdient.

Es war eine elegante und feingebildete Gesellschaft. Wir waren im höchsten Wichs, sprachen so schön und waren alle so glücklich – ausgenommen zwei junge Menschen, Studenten, die eben aus Deutschland zurückgekommen waren. Diese jungen Alltagsmenschen schienen nicht gerührt von dem »allgemeinen Glück«. Sie machten Mienen, als komme ihnen alles, was vorgehe, recht hausbacken vor.

Die Wahrheit zu sagen, wir waren ihnen viel zu schöngeistig. Unsere glänzende, aber gewählte Unterhaltung und unser feiner Geschmack gehörten einer höheren Sphäre an als der dieser jungen Leute, die entschieden nicht in unsere Gesellschaft paßten. Sie hätten sich nie hineindrängen sollen, das war hinterher die allgemeine Ansicht. Wir spielten Stücke aus den alten deutschen Meistern. Wir erörterten philosophische und ethische Probleme. Wenn wir kokettierten, so geschah es mit »Anmut und Würde«. Wir scherzten sogar mitunter – aber nur im höheren Stil.

Nach dem Abendessen trug jemand ein französisches Gedicht vor, und wir fanden es wunderschön; dann sang jemand eine schwermütige Ballade in spanischer Sprache, die einige von uns zu Tränen rührte, so gefühlvoll war sie.

Und nun erhoben sich diese zwei jungen Leute und fragten uns, ob wir jemals Herrn Slossem BoschenAnspielung auf die für Engländer sehr schwierige Aussprache des Deutschen. (der eben angekommen sei und sich zurzeit unten im Speisesaal befinde) sein großes deutsches humoristisches Lied vortragen gehört hätten. Niemand von uns konnte sich erinnern, es jemals gehört zu haben.

Die jungen Herren sagten, es sei das komischste Lied, das jemals geschrieben worden sei, und wenn wir es gerne hören wollten, so würden sie Herrn Slossem Boschen, der ein guter Bekannter von ihnen sei, veranlassen, es zu singen. Sie sagten, es sei so lustig, daß einstmals, nachdem Herr Slossem Boschen es vor einem deutschen Fürsten gesungen, derselbe – nämlich der Fürst – habe weggetragen und ins Bett gebracht werden müssen. Niemand, sagten sie, könne das Lied so wiedergeben wie Herr Slossem Boschen. Er bleibe so ernsthaft während des ganzen Vortrags, als ob er eine Tragödie vortrüge, und das mache die Sache natürlich noch viel komischer. Weder durch Ton noch durch Miene, sagten sie, gebe er zu verstehen, daß er etwas Komisches singe, das würde der Sache Eintrag tun. Gerade seine feierliche Miene und sein ernsthafter Ton, der sich oft bis zum Pathos steigere, habe eine so unwiderstehliche Wirkung auf die Lachmuskeln. Wir sagten ihnen, wir brennten vor Begierde, ihn zu hören, und möchten uns gern einmal durch ein recht herzhaftes Lachen erfrischen; da gingen sie denn hinunter, um Herrn Slossem Boschen heraufzuholen.

Er schien sofort bereit; denn er kam sogleich herauf und setzte sich, ohne sich weiter bitten zu lassen, ans Klavier.

»O, wie wird es Sie belustigen, wie werden Sie lachen!« flüsterten die beiden jungen Leute uns zu, während sie durch das Zimmer gingen und bescheiden einen Platz hinter des Professors Rücken einnahmen.

Herr Slossem Boschen begleitete sich selbst. Das Präludium verriet nicht gerade, daß etwas Humoristisches nachfolgen würde. Es war eine eigentümlich seelenvolle Melodie; sie machte einem förmlich die Haut schauern: aber das sei so die deutsche Art, flüsterten wir uns zu und gaben uns Mühe, die Sache heiter zu nehmen.

Was mich anbetrifft, so verstehe ich nicht Deutsch. Ich lernte es zwar in der Schule, hatte aber nach zwei Jahren, nachdem ich die Schulbänke verlassen, glücklich wieder alles vergessen und mich seitdem viel wohler befunden. Dennoch fühlte ich gerade kein Bedürfnis, jetzt meine Unwissenheit an die große Glocke zu hängen; da kam mir ein nach meiner Meinung gescheiter Gedanke. Ich behielt die zwei Studenten immer im Auge und tat genau wie sie. Kicherten sie, so kicherte ich auch; lachten sie laut auf, so brach ich in ein wieherndes Gelächter aus; und obendrein lachte ich dann und wann ganz auf eigene Faust leise vor mich hin, als ob ich eine kleine Pointe entdeckt hätte, die den anderen entgangen. Ich tat mir was zugut auf diese Schlauheit.

Im weiteren Verlauf des Vortrags glaubte ich zu bemerken, daß ein großer Teil der Anwesenden die beiden jungen Leute ebenfalls ins Auge gefaßt hatte. Sie kicherten auch, wenn die jungen Leute kicherten, und lachten laut auf, wenn sie laut auflachten oder gar in ein höllisches Gelächter ausbrachen. So ging die Sache eine Weile ganz flott. Und dennoch schien dem deutschen Professor etwas zu seiner Glückseligkeit zu fehlen. Als wir zuerst zu lachen anhuben, zeigten seine Mienen maßloses Erstaunen, als ob er eher des Himmels Einfall als unser Gelächter erwartet hätte. Das kam uns sehr komisch vor, wir sagten, sein ernsthaftes Aussehen gebe dem Spaß erst die rechte Weihe. Wenn er auch nur mit einem Augenzucken die Komik angedeutet hätte, so wäre der ganze Spaß verdorben gewesen. Da wir nun zu lachen fortfuhren, machte sein Erstaunen einem verdrießlichen und ärgerlichen Ausdruck Platz, und er schoß wütende Blicke auf uns alle, ausgenommen auf die beiden jungen Leute, die er nicht sehen konnte, weil sie dicht hinter ihm standen.

Das war das Signal zu einem markerschütternden Gelächter. Wir glaubten, vor Lachen sterben zu müssen. Schon der Text, sagten wir, könnte einen in Lachkrämpfe versetzen, und nun obendrein sein komischer Ernst, o, es war überwältigend!

Beim letzten Verse aber, da übertraf er sich selbst. Er blickte mit solch wilder Wut um sich, daß wir – wären wir nicht zuvor auf die deutsche Art, etwas Humoristisches zu singen, vorbereitet gewesen – gewiß Nervenzufälle bekommen hätten. Das eigenartige Musikstück endete dann mit solch hinsterbendem Klageton, daß wir gewiß in Tränen ausgebrochen wären, hätten wir nicht gewußt, daß es ein lustiges Stück sei.

Unter donnerndem Lachgebrüll hörte er auf. Wir sagten, das sei das lustigste Lied, das wir je gehört, und wunderten uns, wie man angesichts solcher Lieder behaupten könne, die Deutschen hätten keine humoristische Ader! Und wir fragten den Professor, warum er denn das Lied nicht ins Englische übersetzte, damit auch ungebildete Leute es verstehen und einmal ein wirklich humoristisches Lied kennen lernen könnten?

Da erhob sich Herr Slossem Boschen. Du lieber Gott, wie der loslegte! Er fluchte in seiner eigenen Sprache (nach meiner Meinung einer zu diesem Zweck ganz besonders geeigneten Sprache); dabei drehte er sich, die Fäuste ballend, wild im Kreise und warf uns all die englischen Ausdrücke, die ihm überhaupt zu Gebote standen, an den Kopf. In seinem ganzen Leben, behauptete er, sei er nicht so beleidigt worden.

Es stellte sich jetzt heraus, daß das Lied nichts weniger als humoristisch gewesen. Es handelte von einer im Harzgebirge lebenden Jungfrau, die ihr Leben gelassen, um die Seele ihres Geliebten zu erlösen. Nach seinem Tode begegneten sich ihre Geister in der Luft; dann aber – im letzten Verse – verließ er sie und machte sich mit dem Geiste einer anderen davon; ich erinnere mich der Einzelheiten nicht mehr so genau – aber jedenfalls war es etwas sehr Trauriges.

Herr Boschen behauptete, er habe das Lied einmal vor dem Deutschen Kaiser gesungen – der habe dabei geschluchzt wie ein kleines Kind. Er – nämlich Herr Boschen – sagte, es gelte allgemein als eine der tragischsten und rührendsten deutschen Balladen.

Wir befanden uns in einer peinlichen, sehr peinlichen Lage. Vergeblich suchten wir nach einem Wort der Entgegnung. Wir schauten uns nach den beiden jungen Leuten um, die »all dies Herrliche vollendet«; aber sie waren unmittelbar nach dem Schluß des Liedes lautlos verduftet.

So endigte jene Abendunterhaltung. Niemals habe ich eine Gesellschaft so ruhig, mit so wenig Aufheben aufbrechen sehen. Nicht einmal »Gute Nacht« sagten wir einander. Mit leisen Schritten stahlen wir uns auf der unbeleuchteten Seite der Treppe hinunter. Im Flüstertone ersuchten wir den Diener um unsere Hüte und Überröcke, schlüpften hinaus und verschwanden rasch um die nächste Ecke; jeder mied ängstlich den andern.

Seit dieser Zeit habe ich mich niemals wieder für deutsche Lieder erwärmen können.

Es war halb drei Uhr, als wir an der Sunbury-Schleuse ankamen. Unmittelbar vor dem Schleusentor ist der Fluß wunderlieblich und der Wasserarm zur Seite reizend; – aber versuche niemand, denselben aufwärts zu rudern.

Ich versuchte es einmal. Ich war an den Rudern und fragte meine Gefährten, die am Steuer saßen, ob sie es für möglich hielten, hier durchzukommen. »Warum nicht?« meinten sie, »wenn du nur tüchtig ruderst.« Wir befanden uns gerade, als sie dies sagten, unter dem kleinen Fußsteig, der zwischen den beiden Wehren den Fluß überbrückt, und so bog ich mich über die Ruder und arbeitete aus Leibeskräften.

Es war ein stolzes Rudern. Immer taktgemäßer wurden meine Schläge. Nicht nur mit den Armen ruderte ich; auch die Beine und der Rücken mußten mithelfen. Mein Ruderschlag wurde immer kräftiger, immer rascher, klatschender – es war großartig!

Meine beiden Freunde meinten, es sei ein wahres Vergnügen, mir zuzusehen. Nach Verlauf von ungefähr fünf Minuten dachte ich, wir müßten nun nahe dem oberen Wehr sein, und schaute auf. Aber noch immer waren wir unter der Brücke genau an derselben Stelle wie vorhin, als ich zu rudern anfing. Und da saßen diese zwei Dummköpfe und wollten sich vor Lachen ausschütten.

Mit meiner ganzen Plackerei hatte ich gerade so viel erreicht, daß das Boot unter der Brücke festsaß. Von da an überließ ich es anderen Leuten, bei starker Strömung einen Schleusenabfluß aufwärts zu rudern.

Wir ruderten nun bis Walton, einem ziemlich ansehnlichen Orte, stromauf.

Cäsar mußte in Walton natürlich eine kleine Niederlassung haben, ein Lager oder eine Verschanzung oder irgend etwas derartiges. Cäsar war ein eingefleischter Stromauf-Schiffer. Die Königin Elisabeth hat den Ort natürlich auch mit ihrem Besuch beehrt. Immer und überall, wohin man sich auch wenden mag, begegnet man ihren Spuren. Auch Cromwell und Bradshaw (nicht der Verfasser des großen Kursbuches, sondern König Karls bedeutendster Ratgeber) nahmen hier Aufenthalt.

Diese alle beisammen müßten eine recht nette Gesellschaft gebildet haben.

In der Kirche zu Walton befindet sich ein eiserner »Zaum für Zänkerinnen«. Mit diesem Ding pflegte man vor Alters Weiberzungen zu bändigen. Heutzutage hat man das aufgegeben; ich vermute, weil man nicht mehr genug Eisen beschaffen konnte und kein anderes Metall für den Zweck stark genug war.

Auch sehenswerte Gräber befinden sich in der Kirche, und ich befürchtete schon, Harris werde sie sich nicht entgehen lassen; aber er schien nicht daran zu denken, und so fuhren wir weiter. Oberhalb der Brücke macht der Fluß eine Menge Windungen; das gibt der Landschaft etwas Malerisches; hat man aber ein Boot zu ziehen oder zu rudern, so machen sie einen nervös und veranlassen nicht gerade sanftmütige Auseinandersetzungen zwischen Ruderer und Steuermann. Zur Rechten zieht sich hier der Oatlandspark am Ufer hin. Es ist ein berühmter, alter Herrensitz. Heinrich VIII. stahl ihn von irgend jemand – es fällt mir nicht gerade ein, von wem – und residierte darin. Die verstorbene Herzogin von York, welche Oatlands bewohnte, war eine große Hundeliebhaberin und hielt sich eine ganze Menge dieser Vierfüßler. Sie ließ sich eigens einen Friedhof für sie anlegen; und hier liegen sie denn; ungefähr fünfzig Stück, von einem Grabstein, auf welchem eine Inschrift angebracht ist, überdeckt.

Nun, vielleicht verdienen sie eine solche Ehrung ebensogut wie der Durchschnittschrist.

Bei den »Corway«-Pfählen an der ersten Flußbiegung oberhalb der »Waltonbrücke« wurde zwischen Cäsar und Cassivelaunus eine Schlacht geschlagen. Cassivelaunus hatte sich für die Begegnung mit Cäsar vorbereitet und eine Menge Pfähle in den Fluß schlagen (und ohne Zweifel eine Plakattafel anbringen) lassen. Aber dessenungeachtet überschritt Cäsar den Fluß. Er ließ sich von diesem Flusse nun einmal nicht abtreiben. Er wäre der rechte gewesen, die Schleusenabflüsse hinaufzurudern.

Halliford und Shepperton sind, von der Wasserseite aus gesehen, zwei hübsche kleine Orte; aber Sehenswürdigkeiten gibt es weder in dem einen noch in dem andern. Nur ein Grabstein mit einer poetischen Inschrift befindet sich im Friedhof zu Shepperton, und ich befürchtete daher, Harris werde aussteigen und sich dort herumtreiben wollen. Ich sah ihn sehnsüchtig nach der Landungsbrücke schauen, als wir uns ihr näherten; da gelang es mir, durch eine geschickte Bewegung seine Mütze ins Wasser zu werfen, und über seinem verzweifelten Versuch, sie wieder zu erlangen, und seinem Zorn über meine Ungeschicklichkeit vergaß er seine geliebten Gräber ganz und gar.

Bei Weybridge ergießen sich der Wey, der Bourne und der Kanal von Basingstoke an derselben Stelle in die Themse. Die Schleuse befindet sich gerade der Stadt gegenüber, und das erste, was uns in die Augen fiel, als wir ihrer ansichtig wurden, war Georgs Jacke auf dem einen Flügel des Schleusentors, von der sich bei genauer Besichtigung herausstellte, daß Georg darin steckte. Montmorency brach in ein wütendes Gebell aus, ich kreischte, Harris brüllte; Georg schwang seinen Hut und schrie ebenfalls aus Leibeskräften. Der Schleusenwärter stürzte mit einem Rettungsseil heraus, da er glaubte, es müsse jemand in die Schleuse gefallen sein, und war nun ganz ärgerlich, daß dies nicht der Fall war.

Georg hielt ein etwas Sonderbares, ein mit Wachstuch überzogenes Etwas in der Hand. An einem Ende war es rund und flach, und ein langer Stiel steckte daran.

»Was ist das für ein Ding?« fragte Harris, »etwa eine Bratpfanne? Was?«

»Nein,« erwiderte Georg, während sein Auge sonderbar wild aufleuchtete, »sie sind jetzt ungeheuer in der der Mode; den ganzen Fluß entlang werden sie von jedermann angeschafft: 's ist ein Banjo.«

»Seit wann kannst du denn das Banjo spielen,« riefen Harris und ich in einem Atem.

»Ich kann mich dessen nicht gerade rühmen,« erwiderte Georg; »aber man sagte mir, es sei sehr leicht zu lernen; und hier habe ich das Buch mit der ›Anleitung zum Selbstunterricht‹.«

*


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