Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Pfau

Es ist mir immer von neuem ein Kummer, den ich dennoch nicht entbehren möchte, daß ich einen Pfau fehlte, als ich ein einziges Mal in meinem Leben einen zum Schuß bekam. Es war in Tringganu an der Küste von Malakka. – Eines Tages, als ich mit zwei malayischen Begleitern auf einem Jagdausflug war, kamen wir zu einer neuen Siedlung, die tief im Walde und ziemlich hoch oben im Gebirge gelegen war. Eine Malayenfamilie hatte sich hier niedergelassen und Ackerboden für eine Plantage geschaffen, indem sie einen Teil des Waldes am Bergabhang niedergebrannt hatte. Der abgebrannte Fleck lag wie ein Loch im Urwald, mit einer tiefen Schicht Asche bedeckt, aus der die verkohlten Baumstümpfe ragten. Es glühte und rauchte noch hier und da. Meine Begleiter tauschten Betel mit dem Ansiedler aus und sprachen einige Worte mit ihm; plötzlich sah ich, daß sie sich duckten und zum Walde oberhalb der Brandstätte hinaufdeuteten, während ich sie gleichzeitig leise: Burong mera! rufen hörte.

Ich sah hinauf und entdeckte zwischen dem Farnkraut oben am Waldsaum die saphirblauen Köpfe zweier Vögel. Sie standen unbeweglich wie alle Hühnervögel, die die Aufmerksamkeit von sich abzulenken versuchen, indem sie sich Mühe geben, toten Dingen zu gleichen. Aber sie waren nicht zu übersehen. Es war ein Paar; von der Henne nahm ich keine Notiz. Es war kein Zweifel, daß sie uns beobachteten und daß es schwer halten würde, sich ihnen zu nähern. Ich sah hier zum erstenmal Pfauen in der freien Natur, und kein kostbares Juwel, nichts in der Welt hätte mich mehr reizen können, als die Aussicht, dieses Pfauenmännchen zu schießen. Ein hastiger Rundblick zeigte mir, daß es keine Möglichkeit gab, sich den Pfauen versteckt zu nähern, sie hatten den Wald und ich nur den offnen Platz. Es gab keinen andern Ausweg, als sich eiligst an sie heranzumachen und ihnen die Entfernung zu stehlen, bevor sie sich zum Flug erheben konnten. Sie waren gut zweihundert Meter von mir entfernt, und der Abhang war steil. Ich hielt mich hinter einem verkohlten Baumstamm, der auf der Mitte des Weges stand, und begann so den Abhang hinaufzueilen; ich watete fast bis an die Knie in der heißen Asche, und gleichzeitig duckte ich mich, um so wenig wie möglich sichtbar zu sein. Als ich den Baumstumpf erreicht hatte, richtete ich mich auf und spähte nach dem Wild. Ach, sie hatten mich natürlich gesehen und waren auf dem Rückzug begriffen: ich sah, wie die Köpfe sich bei jedem Schritt rhythmisch duckten, als würden sie an einer Schnur gezogen. Sie beeilten sich gar nicht, aber es war niederschlagend, wie weit sie schon in die Farne hineingekommen waren. Das Männchen ging hinterher, den gekrönten Kopf zurückgewandt; den Körper konnte ich in dem Farnkraut nicht sehen. Da sie mich erblickt hatten, gab ich es auf mich zu decken, und stürmte nur weiter bergan, watete in der Asche, die hoch aufspritzte und mir Gesicht und Hände verbrannte; aber während ich vorrückte, sah ich mit sinkendem Mut, daß die Entfernung nur immer größer wurde. Die Pfauen gingen jetzt rascher, sie waren weit außer Schußweite und näherten sich einigen Sträuchern am Eingang des dichten Hochwaldes, der sie in wenigen Sekunden ganz verbergen würde. In demselben Augenblick trat ich fehl und fiel hin, so lang ich war, während die Asche mich umstäubte … Und da gab ich aus Verzweiflung Feuer, ohne den geringsten Sinn, feuerte einen Schuß in die Richtung der beiden Köpfe ab, die drauf und dran waren, im Unterholz zu verschwinden.

Aber es war doch zu etwas gut gewesen. Denn obgleich die Pfauen natürlich keinen Schaden genommen hatten, erschreckte sie der Schuß: sie gaben die Flucht zu Fuß auf und beschlossen zu fliegen. Mit den Ellenbogen tief in der brennenden Asche liegend, sah ich das Pfauenmännchen, von dem Weibchen gefolgt, Kehrt machen und laufend gerade auf mich zukommen. Die großen Vögel hatten im Gebüsch nicht genug Spielraum zum Fliegen und kamen darum, der Gefahr nicht achtend, wieder auf die Lichtung heraus.

Ach, dachte ich und lachte in meinem heißen Bett, der Vogel ist mir verfallen, ach, wie er sich eilt, um totgeschossen zu werden … Ich ließ mir Zeit, lud meine Büchse von neuem und verbesserte meine Lage in der Asche, während der Pfau – ich sah nur das Männchen – in immer höheren und höheren Sprüngen näherkam, bis er sich schließlich mit einem lauten Kreischen der Flügelfedern über den Abhang warf und sogleich aufflog. Eine Angst packte mich, daß er im nächsten Augenblick über meinem Kopf und hinter mir sein würde, während ich auf dem Bauch lag und mich nicht umdrehen konnte … Weshalb hatte ich nicht geschossen, als er mir so herrlich nah gewesen war … Ach, er hatte mich geblendet, – so schön war er … Und nun schoß ich, aber vorbei! Kein Bonifazius ist schlimmer auf seinem Rost gemartert worden, als ich in der glühenden Asche, als ich sah, daß ich fehlgeschossen hatte. Ich warf mich wütend hintüber, rutschte auf dem Rücken durch die Asche, die durch meinen dünnen Anzug brannte; und während ich so mit dem Kopf nach unten lag, feuerte ich noch einen Schuß ab, wild, blindlings durch die Luft, worauf ich zähneknirschend die Beine über meinen Kopf warf und, Asche und Flüche spuckend, wieder auf den Füßen stand.

Und da flog der Vogel hin. Mein Mißerfolg ging mir damals so nah, wie ein nicht wieder gut zu machendes Unglück, jetzt aber weiß ich, daß der Anblick des Vogels in seinem schönen und freien Flug mindestens so viel wert war wie ein elender Treffer. Jedesmal, wenn ich mich des Anblicks erinnere, wird er mir zu einem immer wertvolleren Erlebnis.

Es war kein zahmer Vogel aus einem zoologischen Garten oder einem Schloßpark, der seine leere Federpracht zur Schau trug, – es war der wildeste Traum des Tropenwaldes selber, eine Fabel von Farben, die sich vor meinen Augen durch die Luft ergoß. Die lange, glatt zurückgestrichne Schleppe leuchtete in der Sonne wie ein Schaum von blauen Himmelskörpern, schwebte hoch oben in der dunstgesättigten Tropenluft, mit einem knisternden Farbenspiel, einem Starren der unzähligen »Spiegel«, die ein Gefolge von kleinen Welten zu sein schienen, die sich wunderten, eine fliegende Familie von Argusaugen, die leibhaftige Zauberei! Der Vogel glich einem Kometen aus Saphiren und Smaragden, wie er in der lodernden Beleuchtung der im Zenit stehenden Sonne turmhoch über dem gewaltigen Profil des Urwaldes von schwindelnd hohen Baumgipfeln und hängenden Gärten von Lianen dahinsegelte. Während er durch die Luft schoß, galoppierte er mit dem Hals und dem gekrönten Kopf in farbenfunkelnden S-Linien, brüstete sich, stolz im Besitz der Sonne, des Raumes und der sieben königlichen Farben des Regenbogens.

Fort war er, wie ein Zug von Sternen segelte er dahin, von denen jeder einzelne ein verzaubertes Wesen war, ein blaues Wunder; und während ich ihm nachsah – es war ja der Berg Ophir, auf dem ich stand, die blauen Berge der Königin von Saba, der Bukit alam –, da schwoll mein Kopf von ebenso vielen entzückten und später sich vermehrenden Ahnungen, wie es Himmel und Sonnen und Wandersterne im Universum gibt.

Ich hätte ihn aber doch verflucht gern von seiner Bahn heruntergeholt.


 << zurück weiter >>