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Das Stiergefecht

Der zweite Mai ist der Freiheitstag der Spanier.

Und es traf sich so, daß die Nachricht von der zerschmetternden Niederlage bei Cavite just an diesem Tage in Madrid ankam. Die Spanier machten vormittags einen kleinen Aufstand, der zu einer prächtigen Militärparade Anlaß gab. Der Lärm und die Erbitterung schwammen in Farben.

Über Mittag war Ruhe in der Stadt.

Gegen vier Uhr aber wurde Madrid wie ein Ameisenhaufe, den man mit einem Stock aufgewühlt hat. Auf der Puerta del Sol konnte man vor Wagen nicht vorwärtskommen. Sie fuhren, als gälte es das Leben, und alle in dieselbe Richtung, zur Alcalástraße hinaus. Dort war der Verkehr enorm. Hier und da hielten weitläufige Fahrzeuge, vor deren Türen Kutscher standen, die in ekstatischem Eifer die Arme gen Himmel hoben und schrien:

Noch Platz, noch Platz!

Und die, die unter dem Segeldach Platz genommen hatten, schrieen ebenfalls und rumorten wie Mäuse in einer Falle. In einem Augenblick war ein Wagen gefüllt, der Kutscher sprang auf den Bock und peitschte auf die Maultiere los, und fort ging's, was Riemen und Geschirr halten wollten. Einige Wagen hatten ein Gespann von sechs Maultieren, elenden Mähren, die Köpfe aber waren mit den schönsten roten Pompons behängt!

Ohne zu wissen, was die atemlose Hast bedeutete, suchte ich auch Platz in einem der Wagen, und fort ging's im Galopp durch die Calle de Alcalá.

Wagen überholen uns, wir überholen andere, ich sehe Hunderte von Gesichtern. Wir passieren Equipagen, in denen vornehme Spanierinnen sitzen. Ihr schwarzes Haar ist nur von einem Schleier bedeckt, und ihre Gesichter gleichen großen Opalen; die schönen Züge sind kalkweiß oder blau geschminkt. Sie sitzen voll edler Ruhe unter dem freien Himmel, der seinen Schein auf ihre Wangen zu werfen scheint, die in der Sonne phosphoreszieren. Ich sehe Spanier auf den Fußsteigen gehen, den Mantel düster bis übers Kinn geworfen, irgendwo steht ein Bettler, wir hasten an einem Triumphbogen vorbei, und auf der Treppe liegt ein Mann, der seinen Mantel bis über die Nase gezogen hat. Zerfetzt und mager ist er, und mitten in seinem Elend, mitten in all dem Lärm, schläft er, und neben ihm liegt ein kleiner zusammengerollter Hund und schläft ebenfalls.

Auf der Straße kommt jetzt ein rotgekleideter Bursche auf einem Maulesel dahergesprengt, er sitzt stolz ganz hinten auf dem Kreuz wie im Zirkus, und hinter ihm folgt ein Wagen in scharfem Trab. Dieser gleicht einem Blumenkorb, acht Stierfechter brüsten sich darin in roten und gelben und goldgestickten Kostümen. Die Maultiere vor dem Wagen haben riesige Strohhüte mit Schellen auf den Köpfen!

Noch ein Wagen mit Capeadoren. Und dann im langsamen Trab ein Picador. Er steht in den ungeheuren Steigbügeln, die wie altmodische Wagschalen aussehen, seine Haltung ist wie die einer Statue; hinter ihm kommt ein Mulatte in feuerrotem Rock.

An der Ecke der Calle de Alcalá aber hatte ich vor nur zehn Minuten die Telegramme gelesen, die mit Kreide auf eine große Tafel gemalt waren. Da stand von der mörderischen Seeschlacht zu lesen, da stand, daß die Amerikaner sich zur Landung auf Cuba anschickten. Und ich hatte die noch feuchten Extrablätter der Zeitungen gelesen, in denen das Unglück mit Pathos serviert wurde – eine gewaltige, eine unerhörte Katastrophe! Die Niederlage selbst wurde als ehrenvoll bezeichnet ( el glorioso desastre de Cavite).

An diesen Telegrammen rennen die Einwohner von Madrid auf dem Wege nach der Plaza de Toros vorbei, diese Zeitungen stecken in ihren Rocktaschen.

Und unser Fahrzeug taumelt vorwärts, wir erreichen den Gipfel der Anhöhe. Da wird unser Kutscher von Delirium ergriffen, er springt vom Bock, stürzt sich wie ein Tiger auf die Maultiere und löst, wie von Raserei besessen, die vordere Koppel, zerrt die Maultiere zur Seite, – und wir sprengen weiter, den Hügel hinunter, mit nur einem Gespann.

Endlich erreichen wir die Plaza de Toros, eine rote Arena am Ende der Stadt. Ein Getümmel ist hier! Es weht ein frischer Wind. Auf den umliegenden Feldern fegt der Staub wie Schneeflocken daher, ich sehe, wie winzig kleine Esel sich mit einer Unverhältnismäßigkeit von einem Spanier auf dem Rücken vorwärtskämpfen; ein Bauer kommt angetrabt, seine Beine sind vom Knie bis zum Fußgelenk mit zinnoberroten Lappen umwickelt, er sieht unsagbar unternehmend aus, sein Gesicht gleicht einer schwarzen und eingeschrumpften Kartoffel.

Vor den beiden Billettschaltern findet ein heißer Kampf statt. Und der Eingang verschlingt die Menge, als würde sie von einem heftigen Luftzug aufgesogen. Der Lärm und Spektakel ist unglaublich. Da sehe ich, wie ein Mann sich mitten im Gedränge auf die Erde setzt und seinen einen Stiefel auszieht. Er sieht hinein und nickt, – ja, ganz richtig, es ist ein Stein darin. Und der Mann genießt mit einem Lächeln seinen privaten kleinen Triumph, während er den Stein ausschüttet.

Ich sehe, daß es Billette zu vierundneunzig Pesetas gibt.

La corrida fängt um halb fünf Uhr an. Das ist die gewohnte Zeit an jedem Sonntag, denn dann ist das erste Halbspiel der Gottesdienste einigermaßen beendigt. Die Leute haben gerade Zeit, aus dem einen Tor heraus und in das andere hereinzukommen, dann zum Mittagessen nach Hause und dann in die Abendmesse. Den Rest des Abends kann jeder das Seinige zur Fortpflanzung des spanischen Volkes beitragen.

Die Plaza de Toros ist über und über besetzt. Die Menschen sind so verteilt, daß die, die sich sonst auf der Sonnenseite des Lebens befinden, auf der Schattenseite sitzen – la sombra –, während umgekehrt die niedrig Besteuerten die Sonne gratis im Gesicht haben. Die Billettpreise sind so landesväterlich angesetzt, daß dieses Verhältnis sich ganz von selbst ergibt.

Ich saß natürlich auf der Schattenseite, die Bank war von Stein, und ich hatte nichts anderes als ein weiches Kisten zum Schutz gegen den harten Sitz. Der ganze gewaltige Zirkus war voll von Menschen. Die Plaza de Toros ist in maurischem Stil gehalten, eine freche und rohe Imitation. Während nun die Balkons und Logenteile mit vielfarbigen Kopfbedeckungen besetzt waren, während die Logenränder sich wie farbige Gürtel herumschlangen, erinnerte das Ganze an eine jener kunstfertigen Blumenrabatten, wie man sie in Stadtparks sieht, oder auch an ein Meisterwerk von einem Heringssalat, bunt zusammengesetzt und in einer Schüssel serviert. Und über dem mächtigen Ring wölbte sich der Himmel wie eine Käseglocke, die Gott mit Rücksicht auf seine Nase dort angebracht hatte.

Bei den Klängen einer Blechmusik reiten zwei Herolde durch die Arena und machen eine tiefe Reverenz vor der Präsidentenloge. Dann holen sie die quadrille, die Capeadore zu Fuß, die Picadore zu Pferde und die Stallknechte. Diese begrüßen den Präsidenten und nehmen längs der Barriere Aufstellung.

Ohne Zögern läßt man den ersten Stier herein. Er ist schon im voraus gereizt und gestochen worden, wie man weiß, er trabt über den Sand und sieht sich fremd um, es ist ein hübsches, junges, gutgenährtes Tier. Die Capeadore breiten ihre leichten Seidenmäntel aus, und der Stier wird ihrer ansichtig. Euch will ich schon kriegen! denkt er und fängt zu rennen an. Die Capeadore schwärmen auseinander – sie bewegen sich, als ob ihre Seelen in ihrem Hinterteil säßen –, und einer, dessen Seele ungewöhnlich flott wohnt, eilt dem Stier entgegen, bleibt vor ihm stehen und brüstet sich trotzig. Der Stier springt auf ihn los, der Capeador entschlüpft seitwärts und fegt ihm mit seinem Mantel an den Augen vorbei. Andere lösen ihn ab, und dieses Haschen währt eine Weile. Der Stier wendet sich nach rechts und nach links wie ein Bauernjunge, der in das Spiel von Stadtkindern geraten ist und sich vergeblich müht, eines von ihnen zu fangen. Er ärgert sich, er pustet die Luft aus den Nasenlöchern wie Schüsse aus Luftbüchsen, – und nun ist er für alles weitere aufgelegt. Die Picadore halten an der Barriere auf ihren Ausgangsgäulen. Es sind hochgewachsene, rohgeschnittene Kerle in gelben Lederhosen (Waschleder), sie bekommen ihre Lanzen gereicht, und einer reitet vor. Dem Pferde ist eine Binde schräg über die Augen gebunden; das rechte Auge, das bei den Manövern dem Stier zugekehrt sein wird, ist ganz geblendet, wogegen es mit dem linken etwas sehen kann. Das gibt dem Pferde ein sorgloses Aussehen, als ob es beim Blindekuhspielen ein ganz klein wenig schummeln wolle.

Der Stier wird eines tapferen Mannes ansichtig, der zu Pferde vor ihm hält und giftig mit einer Lanze auf ihn zielt. Er weicht zurück, schabt den Sand mit den Vorderbeinen, sinkt nieder, nimmt Maß, nickt und scheint gleichsam sich selbst zuzuflüstern: Da soll doch ein Donnerwetter dreinfahren! …

Und was ein Mensch verhindern könnte, geschieht wirklich; es soll geschehen: der Stier stürzt mit Gekrach auf Pferd und Reiter los. Der Picador wird aus dem Sattel geschleudert und fällt ein großes Stück weiter wie ein Sack Mehl auf den Sand nieder. Das Pferd krümmt sich zusammen, stolpert heftig seitwärts und fällt, – und sofort sind die Capeadore mit ihren roten Mänteln da. Der Stier fährt auf sie los und jagt sie zur Barriere, wo sie sich schleunigst in Sicherheit bringen. Stallknechte helfen dem Picador auf die Beine – das Publikum rast –, und das Pferd, – das Pferd wird mit Stöcken und Riemen bearbeitet, bis es sich wieder auf die Beine gestrampelt hat. Es hat nur zwei leichte Wunden, eine im Bauch und eine zwischen den Rippen, sie können höchstens einen Viertelmeter tief und von der Länge eines Armes sein. Das Blut stürzt stoßweise bei jedem Pulsschlag hervor.

Was kann das zu bedeuten haben? – scheint das Pferd zu denken, es kaut auf der Trense, schnauft erleichtert und meint immerhin noch billig davongekommen zu sein. Jetzt aber schwingt der Picador sich von neuem in den Sattel und reitet das zitternde Tier vorwärts. Ein neuer krachender Zusammenstoß, und diesmal werden Pferd und Reiter gegen die Barriere geschleudert. Der Picador hält sich ruhig im Schutze des Pferdes, obgleich seine Lage wohl keineswegs angenehm ist, und der Stier wühlt wütend in dem zappelnden, wahnsinnig erschrockenen Pferde. In diesem Augenblick ist die dickköpfige Bestie, deren Wut in den Hörnern sitzt, die Inkarnation der tausendköpfigen Menge, die zusieht.

Als es den Capeadoren gelingt, den Stier mit sich zu locken, wird der Picador hervorgezogen, er hat schlimme Püffe bekommen. Er hinkt und stöhnt heftig. Das Pferd aber soll aufstehen. Und die Stallknechte schlagen es über Maul und Augen mit ihren Stöcken. Diese Stöcke sind aus einer Art geschmeidigen und knotigen Dornzweigen gemacht. Ja, ja, laßt mir einen kleinen Augenblick Zeit … das Pferd will sein Äußerstes tun, denn das will ein Pferd unter allen Umständen, es ist gehorsam und vernünftig. Aber es kann nicht. Es soll. Und als es schließlich wackelnd auf seinen Vieren steht, hängt ein Sack brauner und weißblauer Gedärme aus seinem Bauch fast bis auf die Erde hinunter. Da es noch stehen kann, ist es ja indessen noch ganz brauchbar, es soll noch einmal heran. Der Picador hat sich einen Hintergrund erstöhnt, auf dem er als abgehärteter Held auftreten kann, er setzt sich in den Sattel (Ovation). Wie das Pferd aber vorwärtsgehen will, tritt es mit dem einen Hinterbein in die Gedärme und tritt sie weiter heraus – Jo! sagt es und fällt auf die Hinterbeine. Der Picador steigt ärgerlich aus dem Sattel. Das Pferd bekommt nun Erlaubnis, eine Weile sitzen zu bleiben; vielleicht kommt es wieder zu Kräften. Es sitzt auf den Hinterbeinen wie ein Hund und wendet den Kopf hierhin und dorthin und sieht sich um. Es liegt ein eigener, demütiger Ausdruck um das geschlossene Maul. Wenn es einige Minuten sitzen und etwas verschnaufen darf, wird es seinem Reiter wieder gehorchen. Inzwischen vergißt man es über dem Stier, der im Begriff ist, Leber und Kaldaunen aus einem anderen Pferd herauszupflügen, buchstäblich; denn als der Stier sich von dem zusammengeklumpten Pferd abwendet, zieht er einen langen, triefenden Darmfetzen an seinem Horn mit sich. Der Picador wird aufgesammelt, seine Hosen sind blutbefleckt. In demselben Augenblick springt der erste Banderillero mit hocherhobenen Banderillen in die Mitte der Arena, als wolle er mit zwei Taktstöcken ein Musikstück intonieren.

Das Pferd, das abseits auf seinen Hinterbeinen sitzt und über seine Ohnmacht grübelt, bekommt den Eindruck, als ob alle es vergessen hätten. Vielleicht kann es sich eine Rast gönnen. Und es legt sich still auf die Seite und streckt den Kopf von sich in den Sand. Einer der Stallknechte sieht es und kommt heran und schlägt ihm herzhaft über die Augen. Als er aber sieht, daß es nicht mehr kann, zieht er ein Messer mit einer herzförmigen Spitze hervor und stößt es ihm oben in das Rückenmark. Das Pferd krümmt und streckt sich eine Minute wie in elektrischen Zuckungen, bis es stillliegt. Nur die Messer sind hier barmherzig.

Der Banderillero stampft auf die Erde und macht sich wichtig. Der Stier stürzt im Galopp auf ihn los; und vorgebeugt, zwischen den Hörnern stehend, stößt der Mann dem Stier blitzschnell beide Banderillen auf einmal in den Rücken, – und weg ist er. Applaus. Diese Banderillen haben Widerhaken, sonst würden sie ja gleich wieder herausfallen; und wenn der Stier sich bewegt, fressen die Spitzen sich in sein lebendiges Fleisch hinein. Er wirft den Kopf zurück und springt aufgeregt in die Luft. Das Blut strömt die Flanken hinab und tropft von der Wamme. Wenn der Stier sich bewegt, fliegen rote Lichtfunken aus seinem Bug. Und er bewegt sich ununterbrochen, plump geschmeidig wie er ist, er will einen von diesen Zweibeinen in grünen oder gelben oder roten Seidenkostümen aufspießen, er meint, daß man das von ihm erwartet. Anstatt aber wirklich einen aufs Horn zu nehmen, empfängt der dumme Stier noch zwei Paar Banderillen in seinem Fleisch; und als er just in der Nähe eines der toten Pferde ist, stürzt er sich in seiner Qual und Wut wie ein Schwimmer kopfüber in den toten Körper, zerreißt ihn, quetscht ihn, ballt ihn zusammen und zerrt alle Eingeweide heraus. Das tote Pferd scheint wieder aufzuleben und phantastisch zu zappeln, es sieht unglaublich barock aus, und die Menge lacht. Wenn eine Lachwoge über dieses große, kostbare Blumenbeet geht, klingt es wie der Zugwind von einem Vogelschwarm, einer ungeheuren Schar seltsamer Vögel, die alle ihren Schnabel in einem Aas genetzt haben.

Der Stier ist jetzt ganz außer Atem und sehr angestrengt, er keucht, die blutgeronnenen Seiten wogen ein und aus, und die Zunge hängt ihm lahm aus dem Maul. Dadurch aber bekommt er einen behenden und pfiffigen Ausdruck, ungefähr wie ein Hund, mit dem man spielt, und der im Eifer vergißt, seine Zunge zu beherrschen.

Es tritt eine Flauheit in der Vorstellung ein. In der Zwischenzeit schnüffelt der Stier an der Tür, durch die er hereingekommen ist; er legt den Kopf auf die Seite und betrachtet die Riegel. Ob diese Tür nicht geöffnet werden könnte? Nein! Das scheint nicht die Absicht zu sein. Im Gegenteil. Die Capeadore jagen ihn wieder in die Mitte der Arena. Jetzt versucht der Stier zu entkommen, indem er über die Barriere springt, ein unerwarteter, prachtvoller Sprung von einem Zweihufer. Es geht eine unwillkürliche Bewegung durch die Zuschauermenge. Der Stier aber gelangt nur in einen Laufgang, von wo er wieder zurückgetrieben wird.

Vor der Präsidentloge steht der Espada Enrique Vargas mit entblößtem Haupte und wendet sein glattes Pfaffengesicht nach oben. Er bittet um die Erlaubnis, das Spiel zu beenden. Er braucht nicht darum zu bitten, es ist nur eine Formsache. Wenn er dagegen darum bitten würde, den Stier zu schonen … Enrique Vargas bittet nicht darum, – er hat vielleicht Frau und Kinder.

Dann tritt er mit Kammerdienerschritten vor, in der linken Hand hält er eine feuerrote Decke, und in der rechten trägt er den Degen in delikater, wagerechter Linie. Erst ermattet und verwirrt er den Stier mit der Decke, und darauf sticht er viermal verkehrt. Hat man so etwas schon erlebt? Bei den beiden ersten Malen ist die Klinge im Rücken des Tieres stecken geblieben, aber bei den Sprüngen des Stieres wird sie wieder herausgerüttelt. Der Stich muß eine bestimmte Stelle treffen, und der Espada muß eine bestimmte Position vor dem Stiere einnehmen. Er katalepsiert den Stier mit der roten Decke, und wenn das Tier vor Zweifel und Unschlüssigkeit stillsteht, muß er sich eilen, ihn zu treffen. Er macht seine Sache schlecht, und das Publikum schreit ihm seinen Hohn zu. Ich finde auch, daß es unsaubere Arbeit ist, und rufe: Elender! zu ihm herab. Was nützt es, daß der fünfte Stich brav ist; er tritt ohne Applaus zurück, tüchtig verlegen und schamrot.

Der Degenschaft und einige Zoll von der Klinge sitzen auf dem Rücken des Stieres. Der Rest befindet sich metertief in seinem Innern. Jetzt kommt es darauf an, ob der Stoß gut geführt ist. Wie lange wird es der Stier noch treiben? Er windet sich, steht still und wölbt den Rücken in die Höhe. Das Blut spült und plätschert infolge der inneren Verblutung aus dem Munde. Der Stier sieht verständnislos und etwas dämlich aus, er hebt den Kopf hoch in die Luft, wie um sich um die schmerzende Stelle zu konzentrieren; und da diese Stellung sich dazu eignet, brüllt er einmal – Muh! Durch mein Bewußtsein gleitet ein leises Gewebe von Sommerstimmung, grünen Weiden, rinnenden Bächlein und dem fernen Buh eines Rindes.

Kurz darauf beginnt der Stier zu schwanken. Die Capeadore aber lassen ihn nicht nach Belieben schwanken, sondern umkreisen ihn getreulich mit ihren Mänteln, und er stößt nach ihnen mit seinem vielkantigen Kopf und voltigiert, so gut er es vermag. Plötzlich fällt ihm die Stalltür wieder ein, er hat ein Gefühl, als ob er nach Hause möchte, und er taumelt quer über die Arena wie ein Mann, der seinen Rausch etwas unsicher, aber doch in eine bestimmte Richtung trägt.

Dem Stier jedoch wird es nicht erlaubt, eine bestimmte Richtung einzuschlagen, er wird umhergejagt und macht in seiner Verzweiflung einen letzten Versuch, einem der Menschen die Knochen zu zermalmen. Da er schwindlig und betäubt ist, achtet er nicht auf seine Augen, und die Mantelzipfel schlagen gegen die zarten Augäpfel.

Ja, ja, wartet nur! … der Stier ermannt sich und rast dahin, jagt sie allesamt über die Barriere. Er steht eine Weile und glotzt sie an, und – ja, dann legt er sich nieder, legt sich einfach nieder. In dem Augenblick, wo er Ruhe hat, fühlt er sich ein ganz klein wenig behaglich, er leckt sich ein paarmal in jedes Nasenloch und macht eine Schluckbewegung, als fühle er das Bedürfnis, einen Futterkloß hinaufzuschieben und ihn wiederzukäuen. Jetzt aber springen sie allesamt zu ihm herab und schlagen ihm mit ihren Mänteln über die Augen. Der Stier wendet den Kopf hin und her und zittert mit den Augenlidern. Er erhebt sich dann, da es nun einmal sein soll, und steht schwankend da. Wird von einem Todesschauder gerüttelt und hustet geklumptes Blut auf die Erde. Stößt und fegt mit den ohnmächtigen Hörnern nach den Capeadoren. Und der klotzige Kopf sinkt herab, er wird so matt.

Erst als der Stier seitwärts umsinkt, lassen die Capeadore ihn in Ruhe. Die Stallknechte müssen leider heran, – es ist eine schlechte Estokade. Zwei, drei Male hacken sie das Messer in das Rückenmark des Stieres, und nach einigen Minuten des Krampfes stirbt er. Jetzt kommen die Stallknechte mit Wagen herein, und die toten Tiere werden im Galopp quer über die Arena gezogen. Sie hängen schlaff seitwärts herab – hu hei, es ist ein Triumph zu sehen.

Das war Nummer eins. Es war nichts Besonderes, nicht sehr wütend und nur mittelmäßig tapfer: Sieben Angriffe, vier Stürze, zwei Pferde. Banderillen gut. Estokade sehr schlecht. Nummer zwei, drei und vier fielen auch sehr armselig aus. Nummer fünf war dagegen recht lebhaft und brachte hübsche Sachen. Drei Pferde. Atonio Fuentes stieß fünfmal miserabel und das sechstemal wundervoll. Atonio Fuentes, sonst gewandt, soll sich mehr zusammennehmen.

Der sechste und letzte Stier war gut, gründlich gereizt und bis zum Wahnsinn gequält. Er zerriß acht Pferde. »El Nacional« aber konstatierte mit einer gewissen Bitterkeit, daß drei davon freilich schon durch frühere Stiere halbtot waren. Was ist das für eine Ungehörigkeit, wir möchten heile Häute zum Zerstechen. Wir wollen doch hier in Spanien keine toten Pferde umbringen!

Man höre, wie die acht Pferde getötet wurden. Eines wurde tief in die fleischige Brust getroffen und auf die Erde geschleudert, darauf wurde ihm beim zweiten Angriff der Hals so entsetzlich aufgeschlitzt, daß der Tod sofort eintrat. Der Picador benutzte inzwischen die Gelegenheit, den Stier ehrlich mit der Lanze zu stechen, und als er nachher stöhnend und voller Beulen aufgesammelt wurde, erhinkte er sich einen Applaus. Ein Pferd wurde vom Picador dem Stier in hohnvoller Stellung zugekehrt, so daß derselbe mit dem Angriff zögerte (Bravo) – dann griff der Stier an und begrub sein eines Horn unter dem Schwanz des Pferdes, hob es einige Minuten mit den Hinterbeinen von der Erde und preßte es schließlich der Länge nach zusammen. Und als das Pferd wieder auf seinen Beinen stand, strahlte das rote Blut dick aus seinem Körper heraus. Es sah so aus, als ob es sich etwas anderes vornähme, und die Munterkeit brach brausend hervor. Mitten durch den Lärm aber hörte ich das Pferd schreien, wild und gellend wie eine Lokomotive in einer Bergkluft. Im übrigen verhielten die Pferde sich während der Qualen ruhig. Einem wurde das Maul aufgerissen, dazu schwieg es; ja, da man die Zähne sehen konnte, war es, als ob es aufgeräumt lächelte. Dann wurde ihm sein Bein aufgerissen, es muckste nicht, sondern ritt zum drittenmal vor, wobei seine Gedärme bloßgelegt wurden. Der Dünndarm beschwerte das Tier, aber es machte nicht viel Aufhebens davon. Erst beim viertenmal wurde es gegen die Barriere gedrückt und zerrissen. Ein Pferd wollte sich verteidigen und stieß mit den Hufen – aber nicht sehr lange! Eines prustete – Puh! – als die Gedärme unter ihm dampften. Ein anderes schüttelte nur den Kopf und verblutete. Ein anderes wurde bei einem Wutanfall des Stieres total zerrissen und hatte keine Zeit mehr, irgend eine Meinungsäußerung von sich zu geben. Eines drückte seinen Schmerz mit den Beinen aus, als es genug hatte – die ganze eine Seite gähnte, Lunge und Leber lagen bloß –, es zappelte über den Sand, als ginge es auf Feuer. Gleich darauf fiel es um, wurde geschlagen und gestoßen; und als es den Gnadenstoß bekommen hatte, winkte es mit dem Schwanz, bevor es verschied.

Und der Stier wurde allmählich getötet. Er raste umher mit seinem salzigen Schmerz und konnte keine Rache nehmen. Ach nein. Und schließlich legte er sich nieder, wie die anderen es getan hatten, und genoß einige private Stoßseufzer, bis er sich wieder verteidigen und mit den Hörnern stoßen mußte – von Dunkelheit geblendet – bis er fiel.

Damit war la corrida vorbei. Es war recht schlecht, sagten die Zeitungen. Kein Schneid dabei, keine Vornehmheit beim Blutvergießen. – No bueno.


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