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Das Wildschwein

Singapur ist eine englische Besitzung, aber die meisten Kaufleute in der Stadt sind Deutsche. Sie sind große Jäger vor dem Herrn, die jeden Sonntag Jagdausflüge in das Innere der Insel Singapur machen oder zu einer von den kleinen Inseln in der Meerenge hinaussegeln, wo es noch Wildschweine gibt. Großwild sieht man nicht auf den Inseln, weder Hirsche noch Tiger, der Deutsche aber ist zufrieden, wenn er ein Wildschwein schießen kann; etwas von dem Respekt vor dem heiligen Eber, dem unentbehrlichen Haustier der Teutonen, ist in seinem Herzen zurückgeblieben. Seine Nasenflügel beben wie bei einer alten Erinnerung, wenn er das Grunzen des Ebers aus dem Gebüsch hört, es ist sein beliebtester Sport, die fliehende Sau mit grobem Hagel zu besprengen und das rote Blut mit einem Messer von Solingen aus ihrem Körper hervorzulocken.

Wir brachen zeitig am Morgen auf, eine Gesellschaft von sechs Herren in drei Kretasevas, kleinen Ponyfahrzeugen von Hindus kutschiert. Vorher waren schon einige zwanzig Klings, Hindus aus der Pariakaste, mit ihren Hunden ausgezogen, um die Wildschweine aus den Dschungeln, wo sie gesehen worden waren, hervorzuklappern, wenn wir Aufstellung genommen hatten. – Wir fuhren über die Serangon Road, an einem endlosen Zug von Zebu-Karren vorbei, die mit ihrer Ladung von Ananas zur Stadt wollten. Von den morgendampfenden Plantagen strömte uns ein starker, kampfriger Dunst entgegen; die Mimosen am Wegsaum hingen bleich und geschlossen unter dem schweren Tau. Die Sonne aber kam schnell und machte in wenigen Minuten ihre Macht geltend. Als wir das Gehölz, das eine Meile von der Stadt entfernt lag, und wo wir jagen wollten, erreicht hatten, staubte es, die Bäume sahen ganz weiß und blendend aus. Wir stiegen aus den Wagen; die Hitze war bereits so groß, daß die Transpiration uns in den Augenbrauen brannte.

Herr Pschorr, ein beleibter Schwabe, leitete die Jagden, die Verantwortung lastete schwer auf ihm, und er ließ einen Wortschwall von erbittertem Malayisch auf den Anführer der Treiber herabsausen, der mit großen, schwarzen Gazellenaugen dabeistand und seine Schelte entgegennahm, während er einen Strohhalm zwischen seinen trockenen Fingern rollte. Schließlich hatte Herr Pschorr sich entladen, und der Hindu schlich auf seinen nackten Pfoten davon, hinter das Gehölz, um die Hunde loszulassen. Dann wurden die Plätze vor den Dschungeln verlost, und eine Viertelstunde später standen wir alle einzeln im Walde. Zwischen jedem Stand waren etwa hundert Schritt Entfernung, doch konnten wir uns gegenseitig nicht sehen. Jetzt hieß es warten.

Die Sonne zerstach einem die Handrücken, die in Schweiß schwammen, wie mit einem Bund Nadeln, der Büchsenlauf wurde so heiß, daß man ihn mit dem Taschentuch umwickeln mußte, um das Eisen überhaupt anfassen zu können. Der Wald verlor in dem intensiven Sonnenschein jede Farbe und erschien mehr weiß als grün. Man versuchte wenigstens die Füße in den Schatten zu bringen, damit sie nicht ganz verbrüht wurden; im übrigen aber verwendete man keinen Augenblick seine Aufmerksamkeit von dem Terrain, das vor einem lag.

Ich erzähle von einem Tag, an dem ich selbst ein Schwein zum Schuß bekam. Gewöhnlich jagt man Wildschweine mit Hagelbüchsen, an jenem Tage aber hatte ich ein Mausergewehr bei mir.

Vor mir lag ein ziemlich dichtes Gehölz mit zwei bis drei Lichtungen, von wo ich das Wild erwarten konnte. Ich hatte schon viele Wildschwein-Jagden mitgemacht, ohne selbst etwas zur Strecke zu bringen, so daß ich auch heute auf einen Mißerfolg vorbereitet war. Die Hunde hatten sich während der letzten fünf Minuten hören lassen, und das durchdringende Geschrei der Hindus gellte im Gehölz, wenn auch noch in weiter Ferne.

Da, in einer Sekunde, dem Bruchteil einer Sekunde, während sich vor mir nichts im Walde geändert und ich nichts gehört hatte, sehe ich die Silhouette eines großen Ebers, Vorderteil, Rüssel und Hauer, keine zwanzig Meter von mir entfernt zwischen zwei Büschen. Und im selben Augenblick schoß ich auf diese fliehende Silhouette, denn der Eber passierte die Lichtung in vollem Galopp. Hätte ich nicht unmittelbar darauf gehört, wie das Tier sich wand und wie toll im Gebüsch umhersprang, so würde ich das Ganze für eine Halluzination gehalten haben.

Der Eber kam so schnell, daß ich sah, wie er die Kugel hinter den Bug, quer durch den Körper bekam, obgleich ich auf den Vorderkörper gezielt hatte. Es war eine tötliche Wunde, aber …

Ich legte eine neue Patrone in den Lauf und eilte zur Stelle. Vom Wildschwein war keine Spur zu sehen, aber einige Schritte seitwärts waren Blutspuren auf den Farnen, und etwas weiter fort eine Blutlache im Gras. Weit konnte es sich sicher nicht geschleppt haben.

Als die Treiber zehn Minuten später durch die Dschungeln brachen und die Jäger sich versammelt hatten, erörterte Herr Pschorr meinen Schuß mit großer Sachkundigkeit und mit jenem gründlichen Eingehen auf Unwesentlichkeiten, das ihm eigen war. Er stellte sich an die Stelle, wo ich gestanden hatte, und ließ sich von mir zeigen, woher das Tier gekommen war, er ging zu der bezeichneten Stelle und betrachtete die Blutspuren mit einem Kopfschütteln, das ihm wohlzutun schien. Der Fall schien die Allgemeinheit anzugehen und nicht mich, er verhörte mich in einem lauten und kommandierenden Ton. Als ihm alles klar zu sein schien, stellte er sich in unserer Mitte auf, sah jeden einzeln an und stellte fest:

Das Schwein – nach des Jägers Erklärung ein Eber – angeschossen, aber entkommen! Nach den Blutspuren zu urteilen, wahrscheinlich schwer verletzt! Meine Herren – nächste Aufstellung!

Im Laufe des Tages schoß die Gesellschaft noch zwei Schweine, Herr Pschorr glücklicherweise das eine, so daß die Jagd nicht vergeblich gewesen war. Herr Pschorr ließ die beiden Kadaver mitsamt einigen Vögeln, die wir geschossen hatten, in einer Reihe auf dem Gras ordnen, nannte das Ganze the bag und ging fürstlich davor auf und nieder. Da lagen die beiden Wildschweine und verwesten im Laufe von zwei Stunden, während wir Rast hielten. Der tropische Sonnenschein in Verbindung mit der tropischen Hitze schien eine chemische Einwirkung auf die toten Tiere zu haben. Der stramme Geruch, der Schweinen eigen ist und der an Bleistifte erinnert, wich bald, und machte dem Leichengeruch Platz. Es schwebte bereits ein feines, violettes Gas über den aufgedunsenen Körpern. Diese beiden gährenden, giftigen Scheusale waren vor wenigen Stunden noch die abgehärtetsten und zart abgestimmtesten Tiere des Waldes gewesen. Man konnte es noch an den kleinen, abgehärteten Klauen und an der Stärke und Grazie des Beinbaues erkennen. Hier war die größte Kraft auf den kleinsten Raumumfang zusammengedrängt. Der Kopf und die ganze Form zeigten, wie das Tier von dem harten Leben zwischen Dornensträuchern und Schlingpflanzen verfeinert worden war, wie der Kampf ums Dasein ein wahrscheinlich im Anfang unbeschütztes Nagetier eigenmächtig zu einem Kampftier mit Bombenenergie umgewandelt hatte. Es mußte Kreuzottern und Raubtieren ins Handwerk pfuschen, und dadurch war es so energisch geworden, so schnell und zweckentsprechend, mit solchen hartnäckigen und wachsamen Borsten und mit Dolchen im Kiefer.

Und von diesem fliegenden Sehnenknäuel stammt das zahme Schwein ab!

Den Eber, den ich geschossen hatte, bekam ich nie zu Gesicht. Obgleich er tödlich getroffen war, hatte er doch noch Kraft genug gehabt, sich fortzuschleppen und sich so tief im Gehölz zu verstecken, daß die Hunde ihn nicht finden konnten. Herr Pschorr gab mir seine Teilnahme zu erkennen und nahm bei dieser Gelegenheit auch auf dieses Gefühl Patent; es täte ihm leid, ungeheuer leid, sagte er, daß ich nun des ausgestopften Kopfes des Ebers verlustig ginge. Er erlaube sich, mir wegen des Verlustes einer wertvollen Trophäe sein Beileid auszudrücken. Richtig, auf diese Weise mußte ich ja auf den Kopf des Ebers als Schmuck für meine Wand verzichten! Herr Pschorr und alle anderen Deutschen in Singapur hatten einen Wildeberkopf an der Wand in ihrem Bungalow, einige von ihnen sogar zwei, von balsamierten Stachelschweinen und anderer Kürschnerarbeit ganz zu schweigen. Die Wildschweinsköpfe waren mit ganz besonderer Sorgfalt und Kunst zubereitet, sie sahen mit ausgezeichneten Glasaugen und einer rotgemalten Zunge in dem weitaufgerissenen Maul fast lebendig aus und erinnerten tatsächlich ein wenig an die ausgegrabene Leiche, die Herr Pschorr bei sich im Hause hatte, und die er seine Frau nannte.

Die Rast und das gemeinsame Mahl nach der Jagd fanden in dem Schatten eines Baumes statt und gingen mit einer manchmal peinlichen Gründlichkeit vor sich. Herr Pschorr schien ein vorausbestimmtes Programm in sich zu tragen, das bis in die kleinsten Einzelheiten befolgt werden mußte. Als wir zum Essen gingen, fand er es angebracht, seine pedantische Grobheit als Jagdherr mit einer forcierten Lustigkeit zu vertauschen. Munter beim Mahle, befahl er mit einem Zitat von Luther, er quietschte selbst laut und gab heitere Lachanfälle zum besten, während seine kleinen, sauren Augen unverändert nüchtern und gierig in seinem flachen Gesicht lagen. Seltsamerweise lachte man mit ihm, obgleich leicht zu erkennen war, daß er im Grunde unter sich selbst und dem Ganzen litt. Der Tag war ihm eine sehr anstrengende Unterrichtsstunde gewesen, durch die er hindurch wollte. Schließlich kam der Augenblick, in dem Herr Pschorr sich offenbar unter großen Qualen in kleidsam maskierter Jagdpoesie Luft machte, ungefähr folgendermaßen: Trafst du das Wildschwein – schenk dir'n Schnaps ein! Wir sitzen und schwitzen – die Moskitos flitzen!

Endlich kam die leidenschaftlich erstrebte Schlußnummer der Jagd und vielleicht ihre eigentlichste Anziehung: wir wurden in einer Gruppe aufgestellt und photographiert. Herr Pschorr zitterte vor Verlangen danach. So wurde das Ganze denn endlich wahr! Wenn zu der Photographie noch das ausgestopfte Archiv kam, mußte selbst Herr Pschorr sich vor der Wahrheit beugen, daß er an einer echten Wildschweinjagd in Singapur teilgenommen hatte.

Herr Pschorr leitete die Aufstellung des Gruppenbildes. Er bestand darauf, daß wir jeder eine abgehauene Schweinekeule in der Hand halten sollten, um das Ganze wahrscheinlicher zu gestalten; er machte ein kleines »tropisches« Arrangement mit Ananasfrüchten im Vordergrund und befahl einem der farbigen Kutscher mit der Champagnerflasche in der Hand dabei zu stehen, die wir zu sechs Mann geleert hatten, damit auch sie nicht vergessen würde. Er selbst stellte sich dick und anmaßend bescheiden im Hintergrund auf, mit einem chinesischen Sonnenschirm als Relief hinterm Kopf. Das Bild schickte er an die » Woche«. Nicht wahr, dort haben Sie es doch gesehen?


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