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Mit dem Kariol

Es war mitten am Tage und glühend heiß, als ich von der Poststation abfuhr, ein kleines, mausgraues Pferd vor dem Kariol Zweiräderiger, norwegischer Wagen. und einen dreizehnjährigen Jungen als Kutscher. Er hatte messinggelbes Haar, und sein ganz erdbraunes Gesicht war bis über die Stirn hinauf mit kurzem, weißem Flaum bewachsen. Wir fuhren am Abhang eines Berges mitten in der gewaltigen norwegischen Landschaft, wo ein Hof mit Wiesen und Vieh wie ein grünes Fleckchen in dem steilansteigenden Wald erscheint, und wo der Horizont – die hohen, rundkuppeligen Bergprofile – die schaumweißen Wolken mitten durchschneidet.

»Wie heißt der Berg dort gerade vor uns?« fragte ich.

»Äh – ä?«

Ich wiederholte meine Frage, der Junge schien mich aber nicht verstehen zu wollen. War wohl mit dem linken Fuß zuerst aus dem Bett gestiegen. Er saß mit trocknen Lippen da und sah mürrisch geradeaus aufs Pferd, wollte scheinbar nichts mit seinem Passagier zu tun haben. Gut, dachte ich, dann wird dein Trinkgeld so viel geringer werden. Und wir fuhren eine Weile unter Stillschweigen. Das Pferd trabte so lustig.

»Ho, ho, kleiner Gamp!« Norwegisch: Hengst.rief ich. Man mußte wohl die Sprache des Landes sprechen. »Hoa, Kleiner!«

Der Weg staubte so sommerlich. Rechts ging das waldbewachsne Tal tief bis zum Bach hinunter, in dem tausende von Hölzern schwammen, die von hier oben wie Schilfmatten auf der Wasserfläche aussahen; und geradeaus zog sich die andre Talseite meilenweit aufwärts, mit Wäldern und Gutshöfen bestanden. Der Sonnenschein füllte das Tal und weckte alle Farben, die Wolken waren weißer und bildeten höhere Gipfel als an andern Sommertagen.

»Ho, hei, mein Hengstchen,« redete ich das tüchtige kleine Pferd an. Da – was war das? – lachte mein verdrießlicher Kutscher nicht leise vor sich hin – ein knisternder Laut, als wenn eine Maus ihre Zähne wetzt? Wir waren ein gutes Stück gefahren, als er ganz leise und selbstverständlich sagte: »Sie sind wohl aus Bergen, nicht?«

Daß in dieser Vermutung eine niederschmetternde Geringschätzung, fast ein Gottesurteil lag, wußte ich nicht. Ich verneinte es inzwischen, und hierauf schwieg der Kutscher, er wollte augenscheinlich nicht mehr sprechen. Wir trotteten mittlerweile unentwegt vorwärts, unter dem süßlichen Geruch des Pferdes und dem Himbeerduft des Wegsaumes. Ich sah, wie auf den steilen Abhängen Gras gemäht wurde, die Mädchen hatten ihre Kopftücher zum Schutz gegen die Sonne tief ins Gesicht gezogen. Auf einem Waldpfad sah ich ein kleines Mädchen mit einem Strohkorb voll Erdbeeren gehen. Oben auf den grünen Halden grasten Kühe mit Glocken am Halse.

Der Weg staubte und staubte, und entfaltete stets von neuem sommerliche Aussichten. Der Sonnenschein lag in dem mächtigen Luftraum zwischen den Talwänden und wurde hin und wieder in sich selbst sichtbar, als ob sich droben unterm Himmel gewaltig große Metallscheiben oder Spiegel drehten. Ein schwefelgelber Schmetterling schwebte durch die Luft, wie ein kleines Buch mit flatternden Seiten.

Nachdem wir lange gefahren waren, kamen wir zu einer riesigen Birke, die sich über den Weg breitete und in deren Schatten ein Wassertrog stand, in den ein dünner Wasserstrahl aus einer Holzrinne floß. Hier machte das Pferd halt und trank. Nachdem es sich gestärkt hatte, steckte es eine rote Zungenspitze aus dem Maul – ha, das hatte geschmeckt! Und das Pferdchen atmete in tiefen Zügen, diesen weichen, klangvollen Atemzügen, die Pferden eigen sind.

»Ja, ja, kleiner Hengst. Ho, ho!«

Der Kutscher knisterte wieder. Was sollte das heißen, saß der Bursche da und lachte im Dienst? Ich beschloß, ihm überhaupt kein Trinkgeld zu geben. Und wir trotteten weiter. Die Landstraße erstreckte sich kalkweiß, Hügel auf und Hügel ab. An einer Stelle wo wir vorbeikamen, hatte eine große Ameisenschlacht stattgefunden, eine ganze Brigade von toten Ameisen lag im Staub.

Plötzlich sehe ich, daß das Pferd unregelmäßig hin und herfährt; und als ich mich zum Kutscher umwende, sitzt er mit dem Kopf auf die Brust gesenkt und schläft. Das Pferd kam dem Wegrand oft nah, von wo es einige zwanzig Meter zwischen Fichten und Steinblöcken in die Tiefe ging. Ich weckte den Kutscher, und er sah mich verwirrt an, war aber viel zu müde, um sein Unrecht einzusehen. Ich fragte ihn, ob ich die Zügel nehmen solle, darauf aber wollte er sich nicht einlassen. Es sei auch nicht seine Absicht, zu schlafen, erklärte er mit dicker Stimme. Ob er vielleicht zeitig aufgestanden sei? Freilich, erklärte er höflich, er sei die ganze Nacht nicht zu Bett gekommen, es wären so viele Touristen dagewesen. Lieber Gott, ein Kind von dreizehn Jahren! Er glich einem alten, abgearbeiteten Bauern mit seinen kleinen harten Händen und dem erloschenen Blick.

Dann schwiegen wir wieder. Jetzt aber gelobte ich mir im Stillen, daß er dennoch sein Trinkgeld bekommen solle. Konnte Geld den kleinen Mann froh machen, der so frühzeitig das rauhe Leben kennen gelernt hatte, so wollte ich es nicht daran fehlen lassen. Ich wollte den Knaben strahlen sehen, froh wie andere Kinder, bevor wir schieden. Jetzt waren wir bald bei der nächsten Station. Ich rief dem Pferd ermunternd zu – Hü, hü, kleiner Hengst! Und da höre ich wieder das kalte Kichern hinter mir. Was sollte das bedeuten, zum Donnerwetter? Hielt der Bengel mich zum Besten? Was fiel dem Bauernlümmel ein? Ich konnte nicht begreifen, was ihm Veranlassung zu seinem privaten Grinsen auf meine Kosten gab. Ein Trinkgeld für diesen Esel? Seit wann bezahlt man einen ungezogenen Bengel dafür, daß er über einen lacht!

Wir schwiegen jetzt alle beide hartnäckig den ganzen Rest des Weges. Als wir aber von der Landstraße zur nächsten Poststation einschwenkten, rufe ich dem Pferde noch ein letztes Mal zu: »So kleiner Hengst! Ho, nun sind wir da, mein Kleiner!« Und da bricht der Junge, weiß Gott, in ein unverhohlenes Gelächter aus, schüttelt sich vor Lachen, mit frohen Augen, wie ein Kind. Ich sehe ihn wie ein wütendes Fragezeichen an, sein ganzes Gesicht vibriert, er hebt den Blick mit einer eigenen scheuen Schelmerei, die mir blitzschnell zeigt, daß er während des ganzen Weges der Reiche gewesen ist und ich ein Bettler – und schließlich kommt es heraus:

»Entschuldigen Sie, aber es ist gar kein Hengst, es ist eine Stute!«

Er bekam sein Trinkgeld.


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